DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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www.teatroregioparma.it/

 

 

UN BALLO IN MASCHERA     

Aufführung am 15.10.21 (Premiere am 24.9.)  

 

Wie es einem Festival ansteht, hat die einmonatige, Verdi gewidmete Veranstaltung eine besondere Wahl für obiges Werk getroffen: Die bekannte Musik blieb unangetastet, aber gesungen wurde der Text des ursprünglichen Librettos, das der päpstlichen Zensur zum Opfer fiel, weshalb die Handlung bekanntlich nach Boston verlegt werden musste, da ein Königsmord auf offener Bühne weder den Behörden, noch vermutlich auch dem Publikum zugemutet werden konnte. Hier ging es also nicht darum, die Handlung textgleich, nur mit anderen Namen der handelnden Figuren - wie schon oft geschehen - ins ursprünglich vorgesehene Schweden zurückzuverlegen, sondern aufzuzeigen, woran sich die Zensoren gestoßen hatten. Da gibt es viel zu schmunzeln, wenn Amelia beispielsweise wie ein „candido Cherubino“ leuchtete und die Zensoren die Nennung eines Engels verwerflich fanden. Es gibt nicht wenige solcher Stellen, und man leidet mit dem armen Librettisten Antonio Soma mit, der sich neue, manchmal skurril wirkende Verse ausdenken musste und dafür auch viel Häme einzustecken hatte. Dennoch bleibt die Entscheidung für den Originaltext insofern fragwürdig, als die Unterschiede nicht sofort ins Auge/Ohr springen und sich erst beim Lesen wirklich offenbaren. Interessant war es allemal...

Viel stärker machte mich der Regieansatz des im Sommer leider an Covid verstorbenen Regisseurs Graham Vick stutzig. Seiner Ansicht nach ist Gustavo ein König, „der alles hat und sich nur mehr verbotenen Freuden hingeben will“, in diesem Fall also der Eroberung der Gemahlin seines Verteidigers und besten Freundes Anckastrom (im Libretto aus Gründen der für italienische Zungen leichter auszusprechenden Begriffe als „Conte“ bezeichnet wie auch Gustavo als „Sire“). Hier muss ich absolut Einspruch erheben, denn Verdis schönstes Liebesduett erzählt uns von wahrer Liebe von beiden Seiten.Überhaupt ist Gustavo/Riccardo der nobelste von Verdis Tenorhelden, der sich nach dem kurzen Rausch der gegenseitigen Liebeserklärung mit Amelia zum Verzicht auf die Geliebte entschließt.

Ich sehe mich daher gezwungen, die von Jacopo Spirei nach Vicks Konzept erarbeitete Fassung abzulehnen, denn zu sehen ist ein höfisches Lotterleben, das seinen Höhepunkt im abschließenden Maskenball findet, an dem nur Freaks und andere wilde Gesellen teilnehmen. Ich konnte noch die wahnwitzigen Zuckungen von Krüppeln und Drogenabhängigen im Bild der Ulrica tolerieren, nicht aber ein Finale, in dem Gustavo und Amelia während ihres letzten Tanzes weit voneinander entfernt sind und die so wunderbar ersterbende Bühnenmusik nicht genutzt wird. Auch ist ein illustriertes Vorspiel heutzutage Pflicht: Diesmal sehen wir Gustavos Begräbnis mit den Trauernden unter schwarzen Schirmen (das gab es übrigens auch schon vor Jahren bei der von Laurent Pelly inszenierten „Traviata“). Jede Menge gegendertes Volk schon im ersten Bild, Oscar in karierten Hosen mutiert im Ulricabild zu einer Art Stummfilmvamp in Flitter und Glitter. Richard Hudson, neben den Kostümen auch für das Bühnenbild verantwortlich, setzte für letzteres vor allem auf Stühle, die eigentlich nur im Galgenbild in ihrer Anhäufung eine gewisse Wirkung erzielten.

Am Pult stand Roberto Abbado, der das Werk zum ersten Mal dirigierte und sich für die ursprüngliche Textfassung stark gemacht hatte. Das Ergebnis war eine im positiven Sinn traditionelle Interpretation, bei der die Filarmonica Toscanini seiner schwungvollen Zeichengebung mit Überzeugung zu folgen schien. Der von Martino Faggiani einstudierte Chor des Hauses brillierte auch aus einer Entfernung von 40 Metern in einem Rund hoch über der Bühne. Diese Lösung musste während der Erarbeitung der Regie gefunden werden, als die Covid-Regeln ein Auftreten des Chors auf der Bühne noch verboten (die Männer hätten als Frauen und umgekehrt auftreten sollen).

Die einzige authentische Verdistimme dieser Produktion war im Besitz von Amartuvshin Enkhbat. Der Mongole wies neuerlich nach, dass er nicht nur wunderbares Material hat, sondern auch mit seiner Phrasierung Expressivität zu vermitteln vermag. Dass er „Eri tu“ auf einem Sessel sitzend singen musste, während im Hintergrund Amelia mit dem gemeinsamen Sohn „König“ spielte, war eine Zumutung, die der Künstler durch seine stimmlich großartige Leistung überwand. Piero Pretti war ein sehr solider Gustavo, mit nicht ausreichend Raffinement für „E' scherzo od è follia“, der aber insgesamt überzeugte, auch weil er sich immer wieder um schöne Piani bemühte. Maria Teresa Leva erwies sich mit lyrischem Sopran erneut als zu leicht für dramatische Verdirollen, und wie in Macerata als Aida gelang ihr das lyrische „Morrò“ viel besser als das dramatische „Orrido campo“. Die Regie war ihr nicht behilflich, als sie bei Anckastroms Auftritt nach dem Liebesduett sich mit Trippelschritten einem Vorhang näherte und sich in diesen einwickelte. Da ließ Feydeau grüßen. Die Stimme von Giuliana Gianfaldoni (Oscar) klang in der Mittellage eher farblos und allzu leicht, aber die Höhen gelangen gut und überstrahlten die Ensembles. Anna Maria Chiuri hatte nicht nur nicht die Tiefe für Ulrica, sondern ihr Organ zerfiel, bei stumpfer Mittellage, in vier verschiedene Stimmen. Als Cristiano machte Fabio Previati seine Sache gut, Fabrizio Beggi und Carlo Cigni waren einprägsame Verschwörer Ribbung und Dehorn (begleitet allerdings von Visagen, die nicht einer Gruppe von Verschwörern, sondern der kriminellen Unterwelt entsprungen schienen. Cristiano Olivieri (hier kein Richter, sondern gar Justizminister) und Federico Veltri (Diener des Grafen, nicht Amelias) waren die zuverlässigen Comprimari.

Fazit: Ein interessantes Unternehmen, stimmlich nicht immer ganz überzeugend umgesetzt, aber im Gesamteindruck der Mühe wert. 

                                                           

Eva Pleus 21.10.21

Bilder: Roberto Ricci / Teatro Regio di Parma

 

SIMON BOCCANEGRA                          

Aufführung am 16.10.21 (Premiere am 9.10.)

 

Der Pandemie ist es geschuldet, dass das Festival Verdi heuer neben der Inszenierung von „Un ballo in maschera“ nur die konzertante Version einer weiteren Oper herausbrachte, da es im Stadium der Planung nicht absehbar war, welche Projekte überhaupt das Publikum erreichen würden.

Wir Opernliebhaber sind ja oft heilfroh, wenn man sich, von keinen Regiekasperliaden beeinträchtigt, ungestört dem Stimm- und Musikgenuss hingeben kann. Gerade bei diesem Werk mit seinen mehreren kurzen, wie zersplitterten Szenen hätte ich manchmal eine Inszenierung als bereichernd empfunden; dennoch war diese Wiedergabe ein hoher musikalischer Genuss.

 

 

Da es sich um eine Koproduktion mit dem Teatro Comunale von Bologna handelte, kamen Orchester und Chor von dort. Michele Mariotti, früherer Musikdirektor in Bologna, hatte daher einen guten Draht zu den Musikern und ließ die düsteren Farben dieses Meisterwerks in aller Pracht erglühen. Dazu war er den Sängern ein aufmerksamer, unterstützender Begleiter. Der Chor, wie schon beim „Maskenball“ in einem Halbkreis hoch über der Bühne postiert, sang unter der Leitung von Gea Garatti Ansini sehr gut, aber die Kollegen aus Parma waren ihm am Vortag doch noch um einen Hauch überlegen.

Der auch als Cellist und Dirigent ausgebildete Russe Igor Golovatenko sang die Titelrolle mit mächtigem Bariton, der farblich zunächst an die Tenorkollegen aus seiner Heimat erinnerte, also ziemlich hell und metallisch klang.

 

 

Nach einer kurzen Gewöhnungsphase konnte man sich aber an einer raffinierten Interpretation erfreuen, in einer hinreißend prägnant gesungenen Ratsszene, später tiefe Resignation und Trauer vermittelnd. Auf Augenhöhe mit diesem exzellenten Künstler Michele Pertusi, dessen Fiesco stimmtechnisch wie aus dem Lehrbuch erklang, aber in seiner Expressivität Stolz wie Gram gleichermaßen Raum gab. Die Szene Simone/Fiesco im letzten Bild war einer der Höhepunkte des Abends. Weniger überzeugend waren die Leistungen des jungen Paares: Angela Meade wirkte nicht immer sicher und suchte vermehrt den Blickkontakt mit dem Dirigenten. Ich denke, dass ihr strahlendes Sopranmaterial im Belcanto und in den Werken des jungen Verdi besser aufgehoben ist. Hochinteressant ist auch das Stimmmaterial des jungen Riccardo della Sciucca, der mit mühelosen Höhen gefiel.

 

Allerdings muss der 25-Jährige noch zahlreiche technische Mängel beheben, und es steht zu hoffen, dass er sich auf das Studium besinnt und nicht gleich verheizen lässt. Durchschnittlich, vor allem hinsichtlich der Expressivität, geriet der Paolo von Sergio Vitale, wo hingegen Andrea Pellegrini (Pietro) mit klangvollem Bass aufhorchen ließ. Federico Veltri und Alessia Panza ergänzten verlässlich.

Große, berechtigte Begeisterung vor allem für Mariotti, Golovatenko und Pertusi.    

 

Eva Pleus 20.10.21

 

Bilder: Roberto Ricci / Teatro Regio di Parma

 

 

 

 

PELLEAS ET MELISANDE          

Teatro Regio 28.3.

 

 

Claude Debussys einzige Oper hätte im Vorjahr auf die Bühne des Teatro Regio gelangen sollen, als Hommage Parmas an die Welt, war es doch Kulturhauptstadt. Die Pandemie hatte das verhindert, aber das Opernhaus wollte es sich nicht nehmen lassen, in diesem Jahr die Produktion eines Titels nachzuholen, den man in seiner Raffinesse nicht unbedingt in der von Verdis Melodien erfüllten Emilia erwarten würde.

Wie viele italienische Häuser lud auch das Teatro Regio eine kleine Journalistengruppe ein, der Aufnahme für ein späteres Streaming beizuwohnen. Wir wurden in zentral gelegenen Logen des 2. Rangs untergebracht (und man hatte sogar an Mineralwasser in Flaschen gedacht, da die Cafeteria des Hauses natürlich geschlossen war); das Orchester befand sich in Bühnennähe im ausgeräumten Parkett, das damit zur Hälfte besetzt war.

Das für Regie, Bühnenbild und Kostüme verantwortliche Duo Barbe & Doucet (in dem André Barbe für die Ausstattung verantwortlich ist und der von der Choreographie kommende Renaud Doucet für die Regie) sorgte für ein überaus stimmungsvolles Ambiente, in welchem herabhängende Wurzeln, Moos, ein flockig blühender Baum oder eine Insel in einem See die Atmosphäre ebenso charakterisierten wie im Hintergrund ein Schloss in Spielzeuggröße. Die das Werk kennzeichnende traumähnliche Stimmung war überzeugend getroffen und bezog auch eine gewisse charakteristische Rätselhaftigkeit mit ein, wenn wiederholt in weiße Schleier gehüllte junge Frauen die Bühne bevölkerten oder eine Figur, die sich später als der Arzt herausstellte, die Rampe querte.

Dennoch war das Ergebnis letztlich „physischer“, weniger zerbrechlich, als man es gewohnt ist. Für den Zuschauer stellte sich neuerlich die Schwierigkeit heraus, in dieser Konstellation das Gleichgewicht zwischen dem von Marco Angius geleiteten Orchester und der Bühne zu beurteilen, denn die Stimmen wurden zwar nicht zugedeckt, aber ihr Klang erwies sich einfach als dramatischer als in diesem Werk üblich. Ich möchte das aber nicht als negativ gemeint wissen, denn es war sehr interessant, eine dramatischere und damit sozusagen menschlichere Realisierung zu erleben.

Pelléas wurde von dem kanadischen Bariton Phillip Addis interpretiert, der auch nicht so sehr der gewohnte Tagträumer war, aber doch eine durchaus romantische Gestaltung der Figur bot. Damit passte er zu Monica Bacelli, die eine intensive Mélisande war, deren Mezzo aber nicht das berühmte „keusche“ Timbre besitzt. Der Georgier Michael Bachtadze war ein den genannten Voraussetzungen entsprechendes Rauhbein als Golaud, mit dem man bei seinem Zusammenbruch dennoch Mitleid haben konnte. Vincent Le Texier (an den ich mich noch als Ford in einem viele Jahre zurückliegenden „Falstaff“ in Lyon erinnere), scheint ins Bassfach gewechselt zu sein und sang einen sehr nachdrücklichen Arkel. Bei der ausgezeichneten Geneviève des albanischen Mezzos Enkelejda Shkoza bedauerte man die Kürze ihrer Rolle. Ein überzeugender Yniold war die Sopranistin Silvia Frigato, die üblicherweise im Barockfach unterwegs ist. Vielversprechend klang der Arzt des jungen italienischen Basses Andrea Pellegrini. Mit Ausnahme von Bachtadze sind alle Interpreten für ihre idiomatisches Französisch zu loben.

Man kann nur hoffen, dass dieser starke Einsatz des Hauses, um ein künstlerisch hochwertiges Ergebnis zu erzielen, in nicht zu ferner Zukunft auch von einem breiteren Publikum beurteilt werden kann.                                                                                   

 

Eva Pleus 1.4.21

Bilder: Roberto Ricci

 

Festival Verdi

Teatro Regio 10.10.

 

Das dem großen Sohn Bussetos gewidmete Festival endet traditionell mit dem Datum von Verdis Geburtstag, dem 10. Oktober. Der Abend hätte von Luca Salsi bestritten werden sollen, der aber aus gesundheitlichen Gründen absagte. Mit Ludovic Tézier war es gelungen, einen gleichwertigen Ersatz zu finden, der zusammen mit dem aus Parma stammenden Bass Roberto Tagliavini einen mitreißen Verdiabend bestritt, der auch per Streaming verfolgt werden konnte.

Tézier hielt sich anfänglich (bei „alla vita che t'arride“ aus dem „Maskenball“ und dem Duett Posa-Philipp aus „Don Carlo“) noch an die auf dem Pult aufgelegten Noten, befreite sich im Laufe von Jagos „Credo“ aber davon, was seine ohnehin vorhandene stimmliche Expressivität noch verstärkte. Posas Tod und Fords Monolog aus „Falstaff“ brachten nach der Pause authentische Höhepunkte, gekrönt von einem erschütternd dargebotenen „Cortigiani“ Rigolettos. Die einzige Zugabe des Abends war dann ein erneuter Höhepunkt, denn Renatos Verzweiflung in „Eri tu“ hat man schon lange nicht mehr so eindringlich gehört, wobei der Bariton aber nie die Wege bruchloser Stimmschönheit verließ. Für Filippo benutzte auch Tagliavini ein Notenpult, während er Attilas große Szene und Walters schwierige, wenig bekannte Arie „Il mio sangue“ aus „Luisa Miller“ frei sang und mit seinem schön timbrierten, wohlgerundeten Bass beeindruckte.

Milo Martani am Klavier zeigte nicht nur, dass er ein sehr guter Begleiter ist, sondern steuerte mit der Konzertphantasie op. 1 von Giuseppe Martucci (1856-1909) aus 1871 über die „Macht des Schicksals“ und vor allem mit Liszts hinreißender Konzertparaphrase zu „Rigoletto“ S434 aus 1859 einen bedeutenden Beitrag zu dem Abend bei.                                                          

 

Eva Pleus 12.10.20

                        

MACBETH, Parco Ducale, 11.9.

MESSA DA REQUIEM, Parco Ducale, 18.9.

ERNANI, Teatro Regio, 25.9.

Auch die klassische „terra verdiana“ mit dem Festival Verdi ist durch COVID schwer getroffen worden, eigentlich doppelt, ist/wäre Parma doch europäische Kulturhauptstadt 2020 (was glücklicherweise angesichts der zahlreichen ins Wasser gefallenen Projekte auf 2021 ausgedehnt wurde).

Das Teatro Regio wollte sich nicht geschlagen geben und hat viele Veranstaltungen an Nebenschauplätzen erarbeitet, die unter dem Titel „Verdi-Off“ so „neben“ nicht sind, weil z.B. eine Karawane von Künstlern durch die Stadt und das benachbarte Busseto zieht, um auch weniger musikaffinen Menschen etwa „La Traviata“ nahezubringen. Diese Schiene, die es schon in den letzten Jahren gab, wurde angesichts der Umstände heuer natürlich noch wichtiger, und es wäre schön, könnte man alle dieses Programm durch das gesamte Festival Verdi hindurch bereichernden Vorstellungen sehen.

Bei der Oper hingegen mussten sowohl hinsichtlich der geplanten Titel, als auch des Aufführungsorts große Veränderungen vorgenommen werden. Geblieben sind von den ursprünglichen Plänen konzertante Aufführungen von „Macbeth“ und „Ernani“ und neben einigen Konzerten Verdis „Requiem“. Da angesichts der Publikumsbeschränkungen an Aufführungen im Opernhaus zunächst nicht zu denken war, fiel die Wahl auf Freiluftvorstellungen im großen Parco Ducale, ursprünglich von den Farnese errichtet und dann von Marie Louise von Österreich, der zweiten Gemahlin Napoleons und nach dessen Sturz Herzogin von Parma, Piacenza e Guastalla, zu neuer Blüte gebracht.

Vor dem Palazzo Ducale wurde eine Bühne errichtet, die größenmäßig alle Stück'ln spielt, denn darauf findet das Orchester Filarmonica Arturo Toscanini bequem Platz, dahinter der Chor, mit der beleuchteten Fassade des Palazzo im Hintergrund. Die geschickte Anordnung ermöglicht, dass die Klangverstärkung absolut minimal und diskret bleibt, was ich an den Stimmen, die mir fast alle bekannt waren, beobachten konnte.

Da es Aufgabe eines Festivals ist, auch Produktionen von Werken zu bringen, die im normalen Repertoirebetrieb selten oder nie aufscheinen, hatte man sich für die Pariser Fassung des „Macbeth“ entschieden, aber in französischer Sprache, so wie das Werk 1865 in Paris erklungen ist. Verdi hatte sein Werk aus 1847 im ursprünglichen Italienisch überarbeitet, und der Direktor der Opéra Léon Carvalho ließ die Oper von Charles Nuittier und Alexandre Beaumont übersetzen. Interessant und zutreffend ist dabei die Bezeichnung „Opéra en quatre actes imité par Shakespeare“, denn der Text ist manchmal dem englischen Barden näher als dem Textbuch von Francesco Maria Piave und (teilweise) Andrea Maffei. Diese Version wurde nach einem nicht eben durchschlagen Erfolg nie mehr gegeben, und so kennen wir die „Pariser“ Fassung international auf Italienisch.

Ein Atout für diese Wahl der künstlerischen Leitung des Festivals war die Verkörperung der Titelrolle durch Ludovic Tézier, der als Muttersprachler dem Text besondere Prägnanz zu verleihen vermochte.

Mit seinem wunderbar sämig timbrierten Bariton durchmaß er mit erschütternder Expressivität die zwischen Triumph und Furcht schwankenden Höhen und Tiefen der Karriere des Königsmörders. Hier war es besonders schade, dass Carvalho von Verdi die Änderung des ursprünglichen Finales verlangt hatte und Macbeth mit seinen letzten verzweifelten Phrasen nicht vor Publikum stirbt. Die für Lady Macbeth vorgesehene Davinia Rodriguez sagte schon vor Probenbeginn ab, und es war natürlich schwierig, für diese Fassung einen Ersatz zu finden. Schließlich war Silvia Dalla Benetta bereit, die Rolle in kurzer Zeit zu lernen. Die Künstlerin ist ein lyrischer Sopran mit passabler Technik, und es gelang ihr trotz mancher schriller Töne und Intonationstrübungen der machtgierigen Frau Profil zu verleihen. (Eine gute Idee war es, den Brief beim ersten Auftritt der Lady aus dem Off von einer Künstlerin mit französischer Muttersprache lesen zu lassen). Als Banquo lieferte Riccardo Zanellato eine professionelle Leistung, was auch für Giorgio Berrugi als Macduff gilt. Aufhorchen ließ der junge David Astorga aus Costa Rica als Malcolm, eine Rolle, die schon öfter zum Macduff geführt hat (ähnlich wie die Giannetta im „Liebestrank“ später zur Adina). Als Arzt und Comtesse (in der italienischen Fassung „Dama“) gefielen Francesco Leone und Natalia Gavrilan. Einen Diener, einen Meuchelmörder und die Erste Erscheinung (Premier Fantôme) gab zufriedenstellend Jacobo Ochoa aus Kolumbien.

Roberto Abbado dirigierte die Filarmonica Arturo Toscanini mit zügigen Tempi, die nie die Spannung nachlassen ließen. Sehr schön gelangen auch die für Paris geschriebenen „Ballabili“, die Tanzeinlagen, die bei einer szenischen Darstellung oft hemmend wirken. Der von Martino Faggiani einstudierte Chor des Teatro Regio di Parma ließ sich nicht lumpen und gab eine Interpretation auf dem von diesem Klangkörper gewohnten Niveau.

Vor dem „Requiem“ bat Parmas Bürgermeister Federico Pizzarotti um eine Schweigeminute für die in Parma besonders zahlreichen COVID-Opfer. Auch hier stand Roberto Abbado, der Musikdirektor des Festival Verdi, am Pult der Filarmonica Arturo Toscanini und zelebrierte auf zu Herzen gehende Weise das Meisterwerk des Atheisten Verdi, in dem sich alle Zerrissenheit eines zum Glauben nicht Geborenen in höchstem künstlerischem Ausdruck manifestiert. Auch der Chor des Teatro Regio di Parma in der Einstudierung des unersetzlich scheinenden Martino Faggiani gab zwischen Aufschrei, Murmeln und fast Sprechgesang sein Allerbestes.

Das Solistenquartett war zu drei Vierteln ausgezeichnet bis hervorragend: Eleonora Buratto (deren Robe nicht unbedingt den Bekleidungsmaßstäben für ein sakrales Werk entsprach) interpretierte mit vollem lyrischem Sopran, der auch den schwierigen Abstieg ins tiefe Brustregister bewundernswert schaffte, ihren im „Liberame domine“ kulminierenden Part. Prachtvoll der Mezzo von Anita Rachvelishvili, die trotz ihres hinreißenden Orgeltons stilistisch immer perfekt im Rahmen blieb. Roberto Tagliavini anstelle des nach Wien „verliehenen“ Michele Pertusi setzte seinen nicht allzu voluminösen, aber farblich authentischen Bass balsamisch ein. Gegenüber diesen hervorragenden Leistungen fiel Giorgio Berrugi allerdings stark ab, denn seinem Tenor fehlte der edle Klang, was sich vor allem beim Ingemisco und beim Hostias störend auswirkte.

Da das Schlechtwetter eine Wiederholung des Requiems nach zwei Tagen verhindert hatte, musste die konzertante Aufführung von „Ernani“ doch noch ins Teatro Regio verlegt werden, wo die behördlichen Hygienevorschriften schneller als geplant umgesetzt wurden (für das Publikum bestehen sie im Parkett aus Plastikschilden, die jeweils zwei Plätze trennen).

„Ernani“, das fünfte (und für mich das musikalisch stürmischste) Jugendwerk Verdis, wurde erstmals von Michele Mariotti dirigiert, der erneut seine Begabung zeigte, die Leistung eines Orchesters zu maximieren. Die schon in den vorherigen Produktionen ausgezeichnete Filarmonica Arturo Toscanini legte noch ein Schäuferl nach und brillierte in nie nachlassender Spannung in authentischem Verdi-Sound. Der Chor des Hauses unter Martino Faggiani zeigte sich in der von ihm nach den vorherigen Leistungen zurecht erwarteten Form.

Eleonora Buratto gab ihr Rollendebüt als Elvira. Ihre furchtlose Attacke der dramatischen Koloratur, wie sie für die Sopranrollen in Verdis Jugendwerken charakteristisch ist, war beeindruckend, auch weil die Stimme dabei nie ihre Reinheit verlor. Die tiefen Töne verrieten, dass wir es mit einer im Grund lyrischen Stimme zu tun haben, die aber auf bestem technischem Fundament ruht. Dazu kam eine leidenschaftliche Interpretation, die vergessen ließ, dass es sich um eine konzertante Aufführung handelte. Auf Piero Pretti in der Titelrolle traf das leider nicht zu, denn er sang seinen Part korrekt, ohne aber die Zerrissenheit des in Wahrheit adeligen Räubers Ernani über die Rampe zu bringen, auch weil er sich auf keinerlei visuellen Kontakt mit seinen Partnern einließ. Anstelle von Amartuvshin Enkhbat, dem stimmlich außergewöhnlichen mongolischen Bariton, der in COVID-Zeiten seine Heimat nicht verlassen durfte, war Vladimir Stoyanov Don Carlo. Trotz nicht auserlesenen Timbres gefiel der Bulgare zunächst sehr, auch weil er sich intensiv um Phrasen wie „Vieni meco“ bemühte, ermüdete aber im Laufe der Vorstellung zusehends, was ihn im dem Bariton gehörenden dritten Akt mehrmals zum Forcieren zwang. Im Ganzen aber eine anständige Leistung. Zu bewundern war Roberto Tagliavini als Silva, der stimmlich mit farblich echten Basstönen erfreute und hinsichtlich Expressivität der von ihm geliebten Elvira nicht nachstand. Das Niveau der Comprimari wurde von Carlotta Vichi (Elviras Begleiterin Giovanni) besser verteidigt als von Paolo Antognetti (Don Riccardo) und vor allem Federico Benetti (Jago).

Auffallend war, dass die Arien und vor allem deren Nachspiele nicht von sofortigem Jubel unterbrochen wurden, sondern bis zum Ende störungsfrei zu hören waren. Wenn sich das Publikum in Parma gesitteter verhält, wollen wir als unbesiegbare Optimisten dies unter die wenigen positiven Konsequenzen von COVID einreihen. 

                                                                      

Eva Pleus 27.9.20

Bilder: Roberto Ricci

 

 

 

Turandot

Premiere in Brescia: 30.09.2016

Übernahmepremiere: 10.01.2020

besuchte Aufführung: 18.01.20

 

Lieber Opernfreund-Freund,

Parma ist 2020 italienische Kulturhauptstadt und feiert das direkt zu Beginn mit einer Reprise der Turandot-Produktion die Giuseppe Frigeni 2016 für das Teatro Grande di Brescia inszeniert hat und die mittlerweile u.a. in Bergamo und auf Teneriffa zu sehen war, ehe sie im März nach Modena und Piacenza weiterzieht. Die umfangreiche Choreografie, nach der sich der Regisseur jeden Protagonisten bewegen lässt, macht aus Puccinis Schwanengesang beinahe ein Ballett.

Frigeni erzählt das Werk, das in dieser Produktion mit dem nach wie vor gängigen Alfano-Finale gezeigt wird, vor düsterer Kulisse ohne optischen Pomp in schlichtem Schwarz und Weiß und visualisiert immer wieder das Verhältnis Liús zu Calaf. Die beiden begegnen sich in ihren Bewegungen ein ums andre Mal und letztendlich sorgt Liú durch ihren Freitod tatsächlich dafür, dass Turandots Unnahbarkeit aufweicht: sie entreißt der Prinzessin ihren Gürtel und ersticht sich mit daran befestigten Pfeilen. So wird mit Turandots Gewand gleichsam ihr Panzer aufgerissen, doch als sie endlich bereit ist, sich Calaf und ihren Gefühlen zu öffnen, wird klar, dass es dem Prinzen nie um die Frau ging, sondern nur um den Sieg. Die völlig dunkel gehaltene Bühne wird von einer Treppe dominiert, die bisweilen eine Kluft entstehen lässt und so die Verhältnisse der Personen zueinander immer wieder sinnfällig unterstreicht. Der an sich schwarze Horizont öffnet sich für die Auftritte des Kaisers und der Prinzessin in gleißend hellem oder stimmungsvoll farbigem Licht, für das ebenfalls Giuseppe Frigeni verantwortlich zeichnet, und versinnbildlicht somit das, wonach Calaf eigentlich strebt: Macht. Aus den fast durchweg schwarzen, mitunter asiatisch anmutenden Kostümen von Amélie Haas stechen nur die in prunkvolles Weiß gehüllte Regent und seine Tochter hervor, die bedauernswerte Liú darf Grün tragen und so die Hoffnung symbolisieren. Statisten und Solisten bewegen sich nach genau vorgegebener Choreografie, Frigeni überlässt nichts dem Zufall und obwohl es allerhand zu sehen gibt in dieser Turandot, verkommt das Werk nicht zur Ausstattungsschlacht – im Gegenteil. Die ruhigen durchgeplanten Bewegungen und die zahlreichen Metaphern auf der nüchternen Bühne bereichern, ohne zu überladen.

 

Die französische Sopranistin France Daris ist in der Titelrolle zu erleben, verfügt über eine sauber ansprechende Höhe und präsentiert ihren kraftvollen Sopran in der Rätselszene eiskalt und durchdringend, ehe sie im Schlussduett gefühlvollere Farben einstreut und so beide Facetten ihrer Figur zum Leuchten bringt. Samuele Simoncini hat in dieser Produktion als Calaf debütiert, singt den unbekannten Prinzen gestern also erst zum zweiten Mal. Das merkt man dem aus Siena stammenden Tenor keine Sekunde an, so selbstsicher und voller Power tritt er auf. Seine satte Mittellage wird von metalldurchzogener Höhe gekrönt, sein Spiel zeigt den Prinzen testosterongeladen als Vollmacho – kein Wunder also, dass da das Eis der Prinzessin schmilzt. Die bedauernswerte Liú wird von Marta Torbindoni gefühlvoll, doch ohne übertriebene Sentimentalität gestaltet, die feine Höhe und der Mut zum Piano des frisch klingenden Soprans passen hervorragend zur zarten Sklavin.

Ping, Pang und Pong werden von der Regie einmal nicht als Drillinge, sondern als individuelle Persönlichkeiten gezeichnet. Dem werden Fabio Previati, Roberto Covatta und Matteo Mezzaro durch ihre detaillierte Rollengestaltung gerecht, sorgen durch ihr beherztes Spiel für Momente des Schmunzelns und sind so ein sehens- wie hörenswertes Trio. George Andguladze gelingt als Timur eine zu Herzen gehende Beweinung der Liú mit seinem wunderbaren Bass, während Paolo Antognetti als Ehrfurcht gebietender Altoum und Benjamin Cho als Mandarin das bestens aufgelegte Ensemble komplettieren.

Der Chor wird von der Regie meist recht statisch rechts und links der erwähnten Treppe postiert. Diese Gelegenheit nutzen die Damen und Herren unter der Leitung von Martino Faggiani zur eindrucksvollen Präsentation ihrer wunderbar ausgewogenen Stimmen, erzeugen Traumatmosphäre beim Aufgang des Mondes und erfüllen hymnisch-imposant den kompletten Raum, wenn sie den Kaiser preisen. Das erzeugt Gänsehaut!
Im Graben hält Valerio Galli die Fäden zusammen, präsentiert ein frisches Dirigat, gibt den einzelnen Instrumentalstimmen ebenso viel Raum wie den Sängern auf der Bühne und lässt mich bei dieser Turandot nie gehörte Nuancen der Partitur erleben. Das Publikum im restlos ausverkauften Haus ist am Ende der Vorstellung zu Recht begeistert und überschüttet neben dem Dirigenten vor allem Marta Torbendini und Samuele Simoncini mit anhaltendem Jubel.

 

Ihr
Jochen Rüth

19.01.2020

 

Fotos © Roberto Ricci, Teatro Regio di Parma

 

 

FESTIVAL VERDI 2019

Das heurige Festival bot mit „Nabucco“ und „Aida“ (letztere im kleinen Haus in Busseto) sowie „I due Foscari“ und „Luisa Miller“ die richtige Mischung aus populären und weniger gespielten Werken.

 

I DUE FOSCARI

Teatro Regio 11.10.

Giuseppe Verdis sechste Oper, 1844 in Rom uraufgeführt (also im selben Jahr wie „Ernani“, der allerdings in Venedig zur Uraufführung kam), ist – wie früher auch „Simon Boccanegra – vom Publikum nie so recht geliebt worden. Einer der Gründe dafür lag bei einem beiden Werken gemeinsamem Umstand, nämlich ihrer pessimistischen Düsterkeit. Dass in beiden Opern Dogen die Hauptrolle spielen, halte ich eher für einen Zufall. Hingegen kann das von Francesco Maria Piave nach Byron gezimmerte, dramaturgisch einförmige, Libretto nicht viel zu stärkerer Publikumsakzeptanz beitragen. Bleibt Verdis Musik – und die ist ausgesprochen inspiriert und hält für technisch gut gerüstete und temperamentvolle Sänger sehr viel Schönes bereit.

Diese Inspiration wurde mit viel Schwung von Paolo Arrivabeni am Pult der Filarmonica Arturo Toscanini übernommen. Die Verve des Orchesterspiels entsprach den pulsierenden, in mitreißenden cabalette gipfelnden Rhythmen des 29-jährigen Komponisten. Der Chor des Teatro Regio unter Martino Faggiani erbrachte seine gewohnte sensationell gute Leistung.

Die beiden Foscari, Vater Francesco und Sohn Jacopo, lagen in mehr als bewährten Kehlen. Der Bulgare Vladimir Stoyanov, als alter Doge in ausgezeichneter Maske, sang mit seinem gut geführten Bariton sehr ausdrucksvoll und überzeugte in der szenischen Gestaltung als gebrechlicher Greis. In seiner erschütternden Schluss- und Todesszene musste er allerdings einige zusätzliche Kraft aufwenden, doch gelang es ihm, sie sehr berührend zu verwirklichen. Fabelhaft war die Leistung des Rumänen Stefan Pop als Jacopo, der in all seinen dramatischen Ausbrüchen überzeugte, aber in seiner (fast) Wahnsinnsszene mit den Halluzinationen über den Tod des Grafen Carmagnola regelrecht erschütterte.

Ein, zwei etwas forcierte Spitzentöne fielen da nicht ins Gewicht. Leider war die Mexikanerin georgischer Abstammung Maria Katzarava als Lucrezia Contarini ein rechter Ausfall, denn außer schönen filati in Pianophrasen hatte sie nicht viel zu bieten. Die Höhen wurden regelmäßig geschrien, und auch die Intonation ließ oft zu wünschen übrig. Schade! Als Loredano, Gegner der Foscari, der die Tragödie aus Rachsucht in Bewegung setzt, war der persönlichkeitsstarke Bass Giacomo Prestia fast eine Überbesetzung. Frisch klangen der Tenor von Francesco Marsiglia (Barbarigo) und der Sopran von Erica Wenmeng Gu. Verlässlich ergänzten in Minirollen der ukrainische Tenor Vasyl Solodkyy und der Bariton Gianni De Angelis.

Überzeugend war auch die Regie von Leo Muscato ausgefallen, welche die Geschichte in die Entstehungszeit der Oper verlegte. Die Gehröcke und die rote Kleidung des venezianischen „Rats der Zehn“ schufen eine bedrückende Stimmung, die gern auf historische Kostüme verzichten ließ.

Etwas weniger geglückt war die Arbeit von Kostümbildnerin Silvia Aymonino für den in luftige weiße Gewänder gehüllten Damenchor (der allerdings während des Maskenfestes im Karneval in schwarzer Spitze beeindruckte) und vor allem für das viel zu enge grüne Kleid der nicht unbedingt schlanken Lucrezia, die auch noch durch eine besonders hässliche Perücke verunstaltet wurde. Die einfache Szenerie von Andrea Belli wurde je nach Schauplatz von Dogenporträts belebt oder deutete Jacopos Kerker durch heruntergelassene Ketten an. Großen Anteil an dem atmosphärisch starken Eindruck hatte die Beleuchtung von Alessandro Verazzi.

Große Publikumszustimmung, in die sich heftige, meiner Ansicht nach gerechtfertigte, Buhs für Katzarava mischten.                                                                                           

 

LUISA MILLER

Chiesa di San Francesco del Prato 12.10.

Da der dreijährige Zyklus von Aufführungen im Teatro Farnese abgeschlossen ist und nicht erneuert wurde, hat sich die künstlerische Leitung des Festivals zu Opernproduktionen in dieser gotischen Kirche als Nebenschauplatz für das Teatro Regio entschlossen. Die Geschichte des Sakralbaus ist neben seiner architektonischen Bedeutung insofern interessant, als er seit über 200 Jahren nicht mehr geweiht war und langsam seinem Untergang entgegenging. Der Vorschlag des Festivals erweckte das Interesse der Diözese, welche die Kirche zurückkaufte und nun grundlegend renovieren lässt.

Was einerseits als ein wunderbares Zusammengehen im Sinne der Kultur zu preisen ist, bewirkt als Opernschauplatz allerdings einiges Kopfzerbrechen. Zur – wie in Kirchen fast immer – nicht idealen Akustik kommt die Länge des Hauptschiffs (gespielt wird in der Apsis), die den Zuschauern in den hinteren Reihen nur wenig Sicht zugesteht. Journalisten wurden daher auf eine hochliegende eigene Tribüne gesetzt, von der aus das Geschehen gut zu verfolgen war. Persönlich hatte ich mit der Akustik keine Probleme, aber manche Kollegen gingen in der Pause lieber hinunter. (Umgekehrt erschien ein Schweizer Ehepaar, dass angesichts der Preise protestierte und auf der Tribüne Platz nahm, „um auch etwas zu sehen“). Eine also nicht einfache Situation, an der man aber festhalten will, da 2020 die französische Fassung von „Macbeth“ hier gegeben werden soll.

Ebenso schwierig ist die Situation auch für den Regisseur. Lev Dodin stellte den unter Alberto Malazzi gut singenden Chor des Teatro Comunale von Bologna auf die für die Renovierungsarbeiten aufgestellten Gerüste. Eine geschickte Lösung, was auch für die Gestaltung der Szenenfolge gilt, die ohne Unterbrechungen ablaufen konnte. Dies bedingte ganz wenige Versatzstücke (Bühnenbild und Kostüme: Aleksandr Borovskij - letztere eher durchschnittlich ausgefallen), meist Sägeböcke, die in Tische oder Sitzgelegenheiten verwandelt werden konnten.

Nur im letzten Bild gab es eine lange, festlich gedeckte Tafel, in jedes deren Gläser Rodolfo minutiös sein für sich und Luisa gedachtes Gift schüttete. Das bringt uns auf die dramaturgische Sicht des Regisseurs auf Verdis Oper nach Schillers „Kabale und Liebe“ (das um zahlreiche Szenen und Figuren gekürzte Textbuch stammt von Salvadore Cammarano). Sind die szenischen Lösungen angesichts der Örtlichkeit geschickt, so fehlt weitgehend die schauspielerische Anleitung für die Sänger. Diese müssen fast immer reglos verharren (zum Glück gibt es keine seltsamen Assoziationen und diesbezüglichen Verrenkungen à la Robert Wilson), was der Handlung ihre Dramatik nimmt. Da es unter den Sängern keine wirklich starken stimmlichen Gestalter gab, fiel das Ergebnis ziemlich ermüdend aus.

In musikalischer Hinsicht gab es Licht und Schatten. Roberto Abbado leitete das Orchester des Bologneser Hauses zügig und mit großer Aufmerksamkeit für die Sänger. Einige musikalische Details gingen durch die großen Proportionen des Gebäudes wohl verloren. Nachdem die mit großer Neugier erwartete Angela Meade schon im Vorfeld abgesagt hatte, übernahm Francesca Dotto die Titelrolle. Die Sängerin hat sich vor allem mit der Violetta einen Namen gemacht und gestaltete demgemäß den ersten und Teile des zweiten Akts, in denen Koloratur gefragt ist, überzeugend. Schwerer tat sie sich mit dem 3., viel dramatischeren Akt, wo ihr Defizit in der unteren Lage nicht zu leugnen war.

Als Rodolfo ließ der Tunesier Amadi Lagha gutes Material hören, das vor allem in der Höhe sehr schön aufging. Die Mittellage hat ein weniger interessantes Timbre, und am Legato sollte gearbeitet werden. Die rundeste Leistung kam von Franco Vassallo als altem Miller. Er sang Luisas Vater kraftvoll und überzeugte sowohl in den aufbrausenden, als auch in den innigen Momenten. Als Federica (bei Schiller: Lady Milford) ersetzte die Russin Veta Pilipenko mit schönem Mezzo die erkrankte Martina Belli. Da sie bereits als Luisas Freundin Laura im Einsatz war, konnte sie beide Rollen singen, weil die beiden Figuren keine gemeinsame Szene haben. Als böser Graf Walter war Riccardo Zanellato mit bröseliger Stimme nicht wiederzuerkennen. Man kann nur hoffen, dass es sich um einen verunglückten Abend handelte. Als Wurm ließ Gabriele Sagona stimmlichen Nachdruck und diabolische Präsenz vermissen. Der Tenor Federico Veltri ergänzte als Bauer (hier ein Mönch in Kutte).

Es gab am Schluss Zustimmung für alle Leistungen, aber Jubel klingt anders.

 

NABUCCO

Teatro Regio 13.10.

Aus zwei Gründen stach diese Produktion aus dem Angebot heraus, nämlich weil es musikalisch die beste und in puncto Regie die provozierendste war.

Der musikalischen Wiedergabe sei daher der ihr gebührende Vorrang gegeben: Francesco Ivan Ciampa leitete die Filarmonica Arturo Toscanini mit Feuer und Schwung, und wenn man als Zuhörer die Augen schloss, konnte man sich sehr gut die Geschichte der Auseinandersetzungen zwischen Assyrern und Hebräern vorstellen. Ganz ausgezeichnet war auch die Qualität des Orchesterklanges. In der Titelrolle der Mongole Amartuvshin Enkhbat, der nach seinem Debüt als Rigoletto in Macerata nun auch weiteren Kreisen bekannt ist. („Merker“-Leser kennen diesen Namen schon von meinen Berichten aus Novara und Menorca).

Der Sänger bewies wieder, wie sehr er sich in Verdis Klangwelt einzufühlen vermag, wie genau er allen Vorgaben des Komponisten folgt, wie hervorragend seine italienische Diktion ist (obwohl er privat die Sprache nur rudimentär beherrscht). Dazu der Wohlklang dieser bruchlos geführten, warm timbrierten Baritonstimme. Als Abigaille stand ihm Saioa Hernández nicht nach. Dieser von den an den Schalthebeln der Besetzungspolitik mit ziemlicher Verspätung entdeckte soprano drammatico di agilità leistet wahrhaft Imponierendes; angesichts der furchtlos (und schönstimmig) absolvierten Intervallsprünge konnte man nur Bewunderung empfinden. Wenn Abigaille einmal keine Zitterpartie ist, verdoppelt sich der Hörgenuss. Dritter im Bunde der hervorragenden Sänger war Michele Pertusi, der als Zaccaria wieder einmal eine Lektion in Gesangskultur gab, dabei aber immer expressiv blieb, ob es sich nun um tröstende Worte oder flammende Aufrufe handelte. Sehr gut auch die schönstimmige Annalisa Stroppa als Fenena, während ihr Ismaele in Gestalt von Ivan Magrì nicht sehr frisch klang. (Vielleicht hatte ihn das Pendeln zwischen Parma und Wien für „Butterfly“ ermüdet). Gute Vertreter der Kleinrollen waren Gianluca Breda (Hohepriester des Baal), Manuel Pierattelli (Abdallo) und Elisabetta Zizzo (Anna). Den Chor des Hauses unter Martino Faggiani neuerlich zu loben, hieße Eulen nach Athen zu tragen.

Die Herren Ricci/Forte zeichneten für das progetto creativo, worunter wohl die Dramaturgie zu verstehen ist. Als Regisseur stand Stefano Ricci auf dem Programmzettel. Dieses „kreative Projekt“ (wörtliche Übersetzung) sah die Verlegung der Handlung in das Jahr 2046 in einer Militärdiktatur vor. Sollte jemand nicht genug von Soldaten mit Sturmgewehren haben, so wurde er hier bestens bedient. Das Bühnenbild von Nicolas Bovey zeigte Teile eines Kriegsschiffs, aber auch einen für die Bescherung geschmückten Weihnachtsbaum (konsequenterweise war Zaccaria ein katholischer Priester). Die Hebräer wurden einerseits als Opfer des Antisemitismus am Vorabend des 2. Weltkriegs gezeigt (es gab auch verschreckte Damen in Pelzmänteln), andererseits trugen sie zu Beginn die sattsam bekannten Schwimmwesten von Flüchtlingen, die über das Mittelmeer nach Europa gelangen wollen (Kostüme: Gianluca Sbicca). Um das für das Regieteam bedeutsame Thema noch zu unterstreichen, traten in der (ziemlich laut geratenen) Umbaupause zwischen 3. und 4. Akt Tänzer auf, die untereinander eine blaue Schnur weitergaben und sich dann so verrenkten, dass es aussah, als würden sie mit den Wellen kämpfen.

Dazu blies eine uniformierte Dame in eine gefüllte Wasserflasche und erzeugte damit den Eindruck von Wellenschlag. In der Umbaupause zwischen 1. und 2. Akt wurden hingegen zwei Militärs beim Schreddern von Unterlagen gezeigt. Was mich bei dieser Art von Regieführung betroffen macht, ist die weitgehende Abwendung von der Personenregie bzw. verunglückte Lösungen wie die von auf Stühlen aneinander gereihten Protagonisten, die aussehen, als würden sie auf einen Krankenkassentermin warten, und das im Moment höchster musikalischer Dramatik. Unerlässlich erscheinen in dieser Art von Interpretation auch Mimen, die wohl die Gedanken der Figuren ausdrücken sollen (?). Ein großes Lob hingegen für die szenische Gestaltung des (natürlich wiederholten) Gefangenenchors, wo die einzelnen Personen ein Stück Erde in Händen hielten, das sie langsam zu einem Hügel aufhäuften – der Traum von einer endgültigen Heimat.

Von der Premiere war zu hören, dass sie durch viele Zwischenrufe gestört wurde, bei dieser dritten Aufführung entlud sich der Publikumszorn nur mehr auf die weiter oben geschilderte Zwischenszene. Ich halte derartige Aktualisierungen zwar für überflüssig, aber da sie ja nicht während der Musik stattfanden, waren die Buhrufe ebenso unnötig. Allerdings ist zu bedenken, dass das Publikum in Parma als besonders konservativ gilt. Sänger, Chor und Orchester wurden am Schluss begeistert gefeiert.

 

MEZZOGIORNO IN MUSICA

Palazzo Ducale 12.10.

Dieses Mittagskonzert wurde in einem der wunderschönen Säle des sonst nicht öffentlich zugänglichen, weil den Carabinieri vorbehaltenen, Palastes im großen Stadtpark von Parma veranstaltet. Solisten waren France Dariz (Sopran) und Gustavo Castillo (Bariton). Die beiden jungen Künstler waren die Cover für die Interpreten von Abigaille bzw. Francesco Foscari und erhielten hier Gelegenheit, ihr Können zu zeigen. Die von der Musikwissenschaftlerin Carlida Steffan eingeführten Stücke bildeten einen Bogen von Donizetti bis zum Verdi der „Traviata“, mit welcher Oper die Galeerenjahre des Komponisten ihr definitives Ende gefunden hatten.

Somit begann Castillo mit „Cruda funesta smania“ aus der „Lucia“, es folgten „L'abandonée“ aus einem in Paris entstanden „Album di sei romanze“ Verdis und die große Arie der Abigaille durch den Sopran. Der Bariton brachte „Sacra è la scelta“ aus „Luisa Miller“ zu Gehör, der Sopran „La luce langue“ aus der Pariser Fassung von „Macbeth“. Die letzte Solonummer war „Di provenza“ von Germont père, und das Duett „Figlia l'avanza!“ aus den „Foscari“ beendete das Konzert.

Die französische Sopranistin verfügt über umfangreiche dramatische Mittel mit einer nach Mezzo klingenden Basis. Sie sang mit großer Emphase, wobei ein paar Höhen ein wenig schrill gerieten, was vielleicht auch auf den relativ kleinen Saal mit seiner Akustik zurückzuführen ist. Der30-jährige Bariton aus Venezuela scheint mir hingegen eine veritable Entdeckung zu sein, so prachtvoll gleichmäßig strömte seine schön timbrierte Stimme. Dazu fielen, bei bester Diktion, ausgezeichnete Phrasierung und vor allem hohe Expressivität auf. Schon lange nicht mehr habe ich die „abgelutschte“ (wie man heute wohl sagt) Arie des Germont mit so viel Ausdruck vorgetragen gehört, dennoch weit entfernt von schmalziger Sentimentalität.

Das Publikum feierte die beiden Künstler, die als Zugabe den zweiten Teil des „Foscari“-Duetts wiederholten. In den Jubel wurde auch der ausgezeichnete Pianist Gianluca Ascheri eingeschlossen, der mit großer Brillanz ein ganzes Orchester ersetzte.

 

Eva Pleus 19.10.19

Bilder: Roberto Ricci / Teatro Regio di Parma

 

 

IL BARBIERE DI SIVIGLIA                 

Aufführung am 31.3.19

(Premiere am 22.3.)

Es hätte so schön sein können

 

Die Wiederaufnahme der Regie des 2016 verstorbenen Beppe De Tomasi durch seinen ständigen Mitarbeiter Renato Bonajuto hatte ihre positiven Seiten vor allem in der lebendigen und sorgfältigen Personenführung von De Tomasis Adlatus. Dessen Aufgabe war nämlich gar nicht so einfach, denn das wunderhübsche Einheitsbühnenbild von Poppi Ranchetti zeigte ein maurisch inspiriertes, kunstvoll gearbeitetes Gitter, in dessen Innerem sich nur zwei Wendeltreppen befanden. Die wenigen Versatzstücke, wie etwa Rosinas Schreibtisch, wurden hinein- und hinausgetragen. Durch die zarte Zeichnung des Gitters sah das Publikum die Figuren weiterhin, weshalb sie also nicht einfach „abtreten“ konnten. Hier muss auch die ausgezeichnete Lichtregie von Andrea Borelli erwähnt werden. Sehr witzig gelöst war das Finale I, wo Figaro und Basilio den zur Statue erstarrten Bartolo zwischen ihnen hin- und herpendeln lassen. (Seit Ponnelles genialer Lösung dieser Szene ist einer Art Bewegungschoreographie offenbar nicht zu entkommen). Mit Ausnahme eines kanariengelben Kleides für Rosina im 1. Akt waren die Kostüme von Artemio Cabassi hübsch und kleidsam, für Almaviva, als er sich zu erkennen gibt, gar prachtvoll.

Chiara Amarù (Rosina) hatte sich als indisponiert ansagen lassen, aber mit Ausnahme einiger vorsichtig angesetzten tieferen Töne war davon nichts zu merken. Die Sängerin hat mit ihrem schönen dunklen Mezzo und der gut sitzenden Koloratur die ideale Rossinistimme und spielte auch charmant kratzbürstig-selbstbewusst. Ein ausgezeichneter Bartolo war Simone del Savio, kein ausgesungener Buffo, sondern ein in vollem Saft stehender Bassbariton, der sich weitgehend der üblichen Mätzchen enthielt, die in dieser Rolle leider oft zu sehen sind. In Roberto Tagliavini und seinem klangvollen Bass fand Don Basilio eine überzeugende Verkörperung, die weniger schleimig als bösartig wirkte. Xabier Anduaga ist mit seinem von einem metallischen Kern dominierten Tenor über Almaviva schon hinaus, wobei es auch angenehm war, keine für die tenori di grazia oft charakteristischen nasalen Töne zu hören. Entsprechend war seine Koloratur etwas mühsam, aber der 24-jährige Baske klingt für ein anderes Repertoire vielversprechend. Angenehm ergänzten Lorenzo Barbieri (Fiorello), Eleonora Bellocci (Berta) und Giovanni Bellavia (Ein Offizier).

Leider war Mario Cassi in der Titelrolle meilenweit von einem halbwegs akzeptablen Figaro entfernt. Er brüllte seine Auftrittsarie, ohne die Spitzentöne in eine Linie einzubinden, womit er allerdings Erfolg hatte (ach, kritisches Publikum von Parma, wo bist Du geblieben?). Beim Applaus outrierte er so schamlos, dass es zu einem (nicht weniger gebrüllten) Bis kam. (Dadurch verzichtete Publikumsliebling Tagliavini trotz lauter Bisrufe auf eine Wiederholung der „Calunnia“). Im weiteren Verlauf des Abends erwies sich Cassi als schlampig bei den Rezitativen, womit er der Aufführung viel von ihrem Reiz nahm. Keine große Unterstützung kam auch von Alessandro D'Agostini, der am Pult des Orchestra dell'Emilia-Romagna Arturo Toscanini zunächst für eine verwaschen klingende Ouverture verantwortlich war, auch wenn die Interpretation dann langsam an Kontur gewann. Tadellos der von Martino Faggiani einstudierte Herrenchor des Hauses.

Am Publikumserfolg dieser Nachmittagsvorstellung besteht allerdings kein Zweifel.

 

Eva Pleus 7.4.19

Bilder: Roberto Ricci / Teatro Regio di Parma

 

 

Festival Verdi                           

Die Ende September/Anfang Oktober (letzterer Giuseppe Verdis Geburtsmonat) stattfindende rund einmonatige Veranstaltung wurde in den vergangenen Jahren auch international intensiv beworben, was neben den italienischen auch viele Opernfans aus aller Welt in die Stadt in der Poebene brachte.

Eröffnet wurde heuer mit MACBETH im Teatro Regio (27.9.), wobei die 1847 in Florenz uraufgeführte Erstfassung gewählt wurde. Fehlt hier einerseits „La luce langue“, von Verdi für Paris nachkomponiert, so ist andererseits das Finale mit dem sterbenden Protagonisten, der erst im Augenblick des Todes erkennt, dass ein Erringen der „vil corona“ die begangenen Verbrechen nicht wert war, wesentlich stärker als der fast unbeachtete Abgang von Macbeth, der in der Pariser Fassung ungesehen in der Schlacht fällt. Ich persönlich ziehe auch die den Hörer direkter anspringende Form des berühmten Chors „Patria oppressa“ der späteren Version vor, außerdem stört keine (für Paris unerlässliche) Ballettmusik den Fortlauf der Handlung.

Der Programmzettel zeigt nicht an, wer das Bühnenbild erstellt hat, das es tatsächlich praktisch nicht gibt. Regisseur Daniele Abbado setzt zur Gänze auf Lichteffekte (Angelo Linzalata) und die Schaffung von nebelartigen Effekten durch die Verteilung von Feuchtigkeit. Sängerfreundlich ist das nicht, denn die Künstler mussten, sobald sie die Bühne verlassen hatten, von ihren Betreuern flugs abgetrocknet werden, um sich nicht zu verkühlen! So blieb diese Regie auf das Ambiente fixiert, ohne die Charaktere der Protagonisten besonders herauszuarbeiten. Zeigten sich die Hexen zu Beginn noch leidlich überzeugend, so wurden sie bei ihrer zweiten Anrufung von einer bunt gekleideten Truppe teils abstruser Monster verkörpert (Choreographie: Simona Bucci). Die Kostüme von Carla Teti beeindruckten für das Volk, waren in ihrem bürgerlichen Habitus aber keine Hilfe für die Protagonisten.

Die Titelrolle wurde von Luca Salsi verkörpert, der sich in stimmlicher Bestform befand. Sein weich strömender Bariton drückte alle Nuancen des von seiner infernalischen Frau getriebenen Mannes aus, von falscher Zuversicht über Triumph bis hin zu bodenlosem Erschrecken. Damit zeigte der Künstler, wie viel eine Stimme zu charakterisieren vermag, auch wenn die entsprechende Regie fehlt. Darunter litt Anna Pirozzi stärker, denn ihre Ausstrahlung war für die Lady nicht charismatisch genug, was sich vor allem in der sehr zurückgenommen gesungenen Nachtwandelszene zeigte. Besser, ja ausgezeichnet, lagen ihr die aggressiven Gesänge samt expressiver Koloratur der Lady. Eine Freude war Michele Pertusi als Banco, der einmal mehr bedauern ließ, dass die Rolle nicht länger ist, so ungetrübt floss sein edler Bass. Antonio Poli sang die Arie des Macduff tadellos, doch ging sein lyrischer Tenor in den Ensembles unter. Erwiesen sich Matteo Mezzaro (Malcolm) und Gabriele Ribis (Medico) als tüchtige Comprimari, so fiel Alexandra Zabala als Dama durch eine besonders schöne Stimme und anteilnehmendes Singen auf. Der Chor des Teatro Regio verursachte mit der hohen Qualität seines Gesangs einmal mehr Gänsehaut (Einstudierung: Martino Faggiani). Am Pult der Filarmonica Arturo Toscanini war Philippe Auguin ein ausgezeichneter Sachwalter Verdis, der den düsteren Farben dieses Dramas zu beträchtlicher Wirkung verhalf.

Viel Applaus für die Sänger und die Musiker, ziemlich heftige Buhs für Daniele Abbado.

 

Am 28.9. folgte im kleinen, intimen Teatro Verdi von Busseto Verdis zweites Werk, die Buffa UN GIORNO DI REGNO. Bekannt auch unter dem Titel „Il finto Stanislao“, war das Werk bei der Uraufführung an der Mailänder Scala nach einem einzigen Abend abgesetzt worden. Verdi (der sich bekanntlich erst als Greis mit „Falstaff“ wieder einem heiteren Sujet zuwenden sollte) dachte nach diesem Fiasko ans Aufgeben, wozu es bekanntlich nicht gekommen ist; dafür wird ihm die Musikwelt wohl ewig dankbar sein!

In der Tat ist die Oper von unterschiedlicher Qualität, schwankend zwischen kopiertem Rossinistil und schwungvollen Einfällen Marke „Eigenbau“, doch lässt beides sich gut hören, um so mehr als in Busseto die Produktion wiederbelebt wurde, die Pier Luigi Pizzi 1997 für Parma geschaffen hatte und die 2001 auch an der Scala mit den Studenten der Accademia zu sehen war. Nun war Massimo Gasparon für Regie, Bühnenbild, Kostüme und Beleuchtung zuständig, aber mit Ausnahme einiger kleinerer Vergröberungen, die sich vor allem im Austeilen von Püffen manifestierten, blieben Pizzis unterhaltsame Ideen bestehen. So spielt etwa, als Reverenz vor Parma, eine Szene in einer mit einladenden Schinken behängten Küche, eine andere lässt die Marchesa del Poggio, die Geliebte Belfiores und somit des falschen Stanislao, in ihrer großen Auftrittsszene ein Bad nehmen.

Diese lebenslustige, recht emanzipierte junge Frau ist die auch als Charakter am besten gezeichnete Figur der Oper und wurde von Gioia Crepaldi mit hellem, in der Höhe etwas scharfen Mezzo sehr schwungvoll umgesetzt. Sie und ihre Kollegen kamen vom Concorso Voci Verdiane, wobei die stimmliche Qualität im allgemeinen leider eher zu wünschen übrig ließ. In dieser Hinsicht zogen sich am besten der Bariton Michele Patti (Belfiore) und die kubanische Sopranistin Diana Rosa Cardenas Alfonso (Giulietta di Kelbar, die an einen reichen Alten verheiratet werden soll) aus der Affäre. Mehr durch sein Spiel denn stimmlich überzeugte Matteo d'Apolito (Signor La Rocca, der besagte Alte). Als sein Gegenspieler Barone di Kelbar spielte Giulio Mastrototaro, der schon länger auf der Bühne steht, seine Routine aus. Während Rino Matafu und Andrea Schifaudo unauffällig ergänzten, war der junge Liebhaber Edoardo di Sanval in Gestalt des Slowenen Martin Susnik mit grellem Tenor ein ziemlicher Ausfall. Wenn schon Verdi, dann sollte er besser den Dr. Cajus singen.

Das Orchester des Teatro Comunale di Bologna unter Francesco Pasqualetti spielte mit viel guter Laune, zu der auch der Chor des selben Hauses unter Andrea Faidutti beitrug. Freundlicher Beifall.

 

Im wunderbaren, barocken Teatro Farnese vom Beginn des 17. Jahrhunderts gab es mit LE TROUVÈRE am 29.9. eine Rarität zu sehen. Nach den direkt in französischem Idiom geschriebenen und 1855 in Paris uraufgeführten „Vêpres Siciliennes“ dachte der Direktor der Opéra an eine französische Fassung von „Il Trovatore“. Verdi musste sein Werk der gallischen Sprache anpassen, beließ es aber bei relativ wenigen Änderungen. Leider wurde Leonoras Cabaletta im 4. Akt gestrichen, was aber auf praktische Gründe zurückzuführen sein dürfte. Die einzige bedeutende Änderung betraf das Finale, das nun nicht mehr so überstürzt klingt wie im Original, sondern mit dem Zitieren des „Miserere“ und einiger Motive Azucenas etwas breiteren dramatischen Raum erhielt. (Es bleibt die Frage, warum Verdi diesen ausgewogeneren Schluss nicht in den „Trovatore“ rückübersiedelt hat).

Sei dem, wie ihm wolle, die Erbsünde dieser Produktion liegt darin, dass die Regie Robert Wilson anvertraut wurde. Wer seit gut 35 Jahren die statische, auf steife Gesten beruhende Arbeit dieses Künstlers kennt, dem ist klar, dass die Kombination Verdi-Wilson ein Widerspruch in sich selbst ist. Wie üblich gab es keinerlei Beziehung zwischen den Protagonisten, denn Wilson, der sich im Programmheft einmal mehr rühmt, die „Spannung zwischen voran eilender Musik und langsamen Gesten zu schaffen“, will sich nicht einen Deut mit der musikalischen Vorgabe beschäftigen. Zusätzlich zum üblichen Personal gibt es einen alten Herrn, den man zunächst als den alten Grafen Luna deuten möchte, der bis zum Ballett (davon später) auf der Bühne bleibt, dann aber weggetragen wird und für immer verschwindet. In der Szene Manrique/Azucena geistert eine Dame mit zwei Mädchen herum, wobei die Haltung aller drei in der Nähe einer altertümlichen Pumpe erstarrt. Es gibt auch eine alte Dame mit Kinderwagen (meinetwegen die Amme des kleinen Luna), doch schwingt sie im Ballett dann das Tanzbein.

Um den Leser nicht zu sehr auf die Folter zu spannen: Die 25-minütige Ballettmusik, die Verdi für Paris nolens volens schreiben musste, wird von Wilson und seinen acht (!) Mitstreitern als Boxkampf inszeniert, wo Männlein und einige Weiblein und Kindlein mit roten Boxhandschuhen aufeinander losgehen. (Bei dieser Premiere gab es übrigens nur ein paar schwächliche Buhs am Schluss, während das Publikum bei weiteren Vorstellungen nach eben dieser Szene seinem Unmut freien Lauf ließ). Das sogenannte Bühnenbild, ein leerer, quadratischer Raum, stammten ebenso von Wilson wie die Beleuchtung. Über die Kostüme von Julia von Leliwa ist nicht mehr zu sagen, als dass sie schwarz waren, und das Make-up Design von Manu Halligan verhinderte ganz im Sinne Wilsons jegliche Mimik der Sänger. Das Video-Design von Tomek Jeziorski zeigte einmal Aufnahmen aus dem historischen Parma und ein andermal stürmisches Meer. Das war's.

In schroffem Gegensatz zu diesem hochartifiziellen Getue stand die musikalische Leitung von Roberto Abbado, der einen vorwärts drängenden, authentischen Verdi dirigierte. Orchester und Chor (dieser unter Andrea Faidutti) des Teatro Comunale di Bologna bereiteten somit wenigstens musikalische Freuden. Als Marco Spotti mit der Erzählung des Fernand anhob, befürchtete man die Verschlechterung der nicht perfekten Akustik des Saales, doch stellte sich rasch heraus, dass der Künstler selbst für die schnarrenden Töne verantwortlich war. In der Titelrolle klang Giuseppe Gipali tapfer, aber eher matt, während seine Léonore Roberta Mantegna eine stark verbesserte Technik ihrer bedeutenden dramatischen Stimme hören ließ. Als Azucena war Nino Surguladze noch mehr als die anderen Opfer von Wilsons Arbeit, denn die zentrale Stellung der Figur kam überhaupt nicht heraus. Ihr heller Mezzo war außerdem stimmlich wenig nachdrücklich. Franco Vassallo lieferte neben Mantegna die beste stimmliche Leistung und erfreute als Einziger mit einem verständlichen Französisch. Interessant schien die Stimme von Tonia Langella (Inès).

Als Trost blieb dem wenig erfreuten Zuschauer der prachtvolle Rahmen, den dieses Theater abgab.

 

Den Abschluss dieses Eröffnungsreigens bildete am 30.9., wieder im Teatro Regio, Verdis neunte Oper ATTILA, 1846 kurz vor „Macbeth“ entstanden. Hier finden sich zündende Melodien im Überfluss, aber mit Attilas Alptraum vom Erscheinen eines Alten (der sich dann in der Realität als Papst Leo herausstellt und den Hunnenfürsten von der Eroberung Roms abhält) bereits große musikalische Reife zeigt.

Als Koproduktion mit der Staatsoper Plovdiv (der europäischen Kulturhauptstadt 2019) entstanden, ist dem Regisseur und Bühnenbildner Andrea De Rosa dafür zu danken, dass er eine im besten Sinne konservative Auslegung des Werks auf die Bühne gestellt hat. Sogar die Szene während der Ouverture, in der sich eine von den Hunnen verfolgte Familie in ein Erdloch flüchtet, ist sinnvoll, endet doch Attila nach seiner Ermordung durch Odabella ebendort. Dass der Regisseur den Protagonisten eine um Gnade flehende Frau heimtückisch erstechen lässt, steht allerdings im Gegensatz zu Verdis Wollen, der uns den Hunnenkönig in recht menschlichen Dimensionen zeigt. Auch entspricht sein Kostüm mit Gilet, Taschenuhr und Mantel im Stil des ausgehenden 19. Jahrhunderts keineswegs einem Barbarenfürsten. Überhaupt sind die Kostüme von Alessandro Lai recht widersprüchlich, denn der Römer Ezio trägt eine modern anmutende schwarze Uniform, die zwei ihn begleitenden Senatoren hingegen jeweils eine schön drapierte Toga, während die Kostüme von Odabella und ihrem geliebten Foresto zeitlich nicht zuzuordnen sind. Abgesehen davon ist die Produktion aber sehr eindrucksvoll, wenn zum Beispiel beim Eintreffen der Hunnen eine große Mauer auseinanderbricht oder Papst Leo in einem Behälter auftritt, der so geschickt gemacht ist, dass die Figur überdimensional groß erscheinen muss. Die Beleuchtung durch Pasquale Mari tat ein übriges, um die dunkle Stimmung des Werks zu unterstreichen.

Für den Hörer war das Dirigat von Gianluigi Gelmetti am Pult der Filarmonica Arturo Toscanini ein mitreißender Genuss, für die Sänger vermutlich etwas weniger, denn er peitschte die Rhythmen ohne Rücksicht auf Verluste voran und ließ den auf der Bühne Stehenden nicht immer Zeit genug, um die großen Bögen ausschwingen zu lassen. In der Titelrolle erwies sich Riccardo Zanellato als technisch versierter Sänger, dessen Bass über die ganze verlangte Bandbreite der Gefühlsskala verfügte. Sein Kostüm (siehe oben) war ihm bei der szenischen Umsetzung allerdings wenig behilflich. Sein Widersacher Ezio fand in Vladimir Stoyanov mit seinem gut geführten, durchschlagenden Bariton und schöner Legatokultur ausgezeichnete Verkörperung. An Odabella werden, wie bei allen frühen Frauenfiguren Verdis, höchste Anforderungen an stimmliche Potenz und dramatische Koloratur gestellt. Maria José Siri war in ihren aggressiv zu gestaltenden Arien ausgezeichnet, während sie sich mit „Oh, il fuggente nuvolo“ mit der für das Gedenken an Vater und Verlobten verlangten Lyrik etwas schwertat. Für den zarten, lyrischen Tenor von Francesco Demuro kommt der Foresto eindeutig zu früh – die Stimme faserte förmlich aus. Eindrucksvoll gestaltete Paolo Battaglia den Papst Leo; Saverio Fiore war mit sicherem Tenor Uldino, Attilas Vertrauter, der ihn schlussendlich aber auch verrät. Großartig neuerlich der Chor des Hauses in der Einstudierung des vielfach bewährten Martino Faggiani.

Eine vom Publikum ohne jede Gegenstimme gefeierte Produktion. Das sollte den Verantwortlichen zu denken geben.                                                                                       

Eva Pleus 9.10.18

Bilder: Roberto Ricci / Für Trouvère“: Lucie Jansch

 

 

TOSCA

Aufführung am 28. und 29.4.18 (Premiere am 27.4.)

Wie war das mit dem kritischen Publikum in Parma?

Die schlimmste Befürchtung des reisenden Opernfans ist immer, dass ein Sänger, dessentwegen man sich in Bewegung gesetzt hat, absagt. Genau dies ist mir in Parma widerfahren, doch davon später, denn zunächst will ich erklären, warum ich die ursprünglich anvisierte Vorstellung am 29.4. um die vom Vortag erweitert habe. Hier ging es um Saioa Hernández, die mich drei Wochen zuvor als Gioconda stark beeindruckt hatte und die ich nun in Puccinis Werk hören wollte. Auch hier ließ diese voluminöse, schön timbrierte Stimme, die auch überzeugende Piani zu produzieren vermag, nichts zu wünschen übrig. Szenisch war sie überzeugend, auch wenn sie mit einem Regisseur vermutlich weitere Nuancen erarbeiten könnte, die in dieser Produktion nicht möglich sind. Das ewig treppauf-treppab in allen drei Akten ist wahrlich nicht hilfreich.

Stimmlich hochinteressant war auch ihr Cavaradossi, der erst 26-jährige Russe Migran Agadzhanian. Aus einer Künstlerfamilie stammend, hatte er zunächst Klavier und Dirigieren studiert und mit seinem Spiel bereits einige Preise eingeheimst, als er sich auch zum Stimmstudium entschloss. Ein angenehm timbrierter Spintotenor, der sehr musikalisch und unter Beachtung der Vorschriften des Komponisten eingesetzt wird, wobei sich sein Besitzer auch sehr unbefangen auf der Bühne bewegt. Positives lässt sich auch über Armando Gabba sagen, der den Mesner einmal nicht als Karikatur anlegte, sondern als frommen Mann, sich vor den um ihn herum stattfindenden Ereignissen wirklich fürchtet.

Nach einem Lob für Nicolò Ceriani (Sciarrone), Roberto Scandura (Kerkermeister) und den frischen Hirtenknaben von Carla Cottini ist leider nichts Gutes mehr zu berichten, denn Luciano Leoni war ein schwacher Angelotti und Luca Casalin ein unangenehm krähender Spoletta. Richtig schlecht war Angelo Veccia, dessen stimmliche Möglichkeiten meilenweit entfernt von den Anforderungen waren, die Puccini an den Scarpia stellt. Hier wurde mit letzter Kraft gebrüllt, und auch der Versuch, schleimig-bösartig zu wirken, ging ins Leere.

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Am nächsten Tag dann die Erstbesetzung mit Anna Pirozzi in der Titelrolle. Ihre Stimme ist vielleicht eine Spur mediterraner als die von Hernández, aber im Ganzen waren die Leistungen der beiden Damen sehr ähnlich, sowohl in vokaler Hinsicht, als auch, was den szenischen Aspekt betrifft. Dieses Datum hatte ich ursprünglich wegen Andrea Carè gewählt, über den ich Gutes gehört hatte, das ich verifizieren wollte. Nach einer bereits indisponiert gesungenen Premiere musste er leider alle weiteren Vorstellungen absagen, und zum Einsatz kam Lorenzo Decaro, dessen Cavaradossi als Einspringer seine recht unmusikalische, mit viel Vibrato dargebotene Leistung nachgesehen sei. Auch hier vermochte der Scarpia in Gestalt von Francesco Landolfi nicht zu punkten. Neuerlich forciertes Gebrüll, weil die Stimme sonst nicht ansprang, dazu eine Tongebung mit ständig schiefem Mund, der an das Opfer einer Parese denken ließ. Alle anderen wiederholten ihre Leistung vom Vortag.

Ein wenig ruhmreiches Kapitel schrieb auch Fabrizio Maria Carminati am Pult des Orchestra Filarmonica Italiana, denn über eine wenig inspirierte Wiedergabe kam man nicht hinaus. Tadellos hingegen der Chor des Hauses in der Einstudierung von Martino Faggiani. Hier hatte auch die Regie (Joseph Franconi Lee „nach einer Idee“ von Alberto Fassini) im Bühnenbild von William Orlandi (von dem auch die Kostüme stammten) ihren besten Moment, als sich beim Tedeum die Kuppel von Sant'Andrea della Valle öffnete und den Zug der Garde mit einem segnenden Prälaten zeigte.

Unverzeihlich hingegen ist, dass die von Puccini für den Beginn des 3. Akts so genial komponierte Morgendämmerung nicht zu sehen ist, sondern nur schwarze Wolken dräuen.Wo ist das berühmt-berüchtigte Publikum von Parma geblieben? Jubel und Applaus schlossen nämlich sämtliche Mitwirkenden ein – seltsam, seltsam.

Eva Pleus 30.4.18

Bilder (c) Roberto Ricci

 

 

JÉRUSALEM

Aufführung am 8.10.17 (Premiere am 28.9.)

Italienische Oper, französisch abgewandelt

Als sich Giuseppe Verdi aufmachte, um 1847 Paris, das damalige Zentrum der Opernwelt, auf den Spuren Rossinis und Donizettis zu erobern, war er im selben Jahr in London für die „Masnadieri“ verpflichtet. Eine französische Umarbeitung von „Attila“ kam aus verschiedenen Gründen nicht in Frage, sodass sich dafür nur sein viertes Werk, „I lombardi alla prima crociata“ aus 1843, anbot. Es war erfolgreich an der Mailänder Scala uraufgeführt worden und hatte in wenigen Jahren Aufführungen in Barcelona, Petersburg, Berlin, Wien und New York (als erste Verdi-Oper in den USA) erlebt.

Nun war es an den Librettisten Alphonse Royer und Gustave Vaez, in ziemlicher Eile einen neuen Text auf die vorhandene Musik zu schreiben. Sie zimmerten ein Textbuch, das sich zwar in der Handlung von den „Lombardi“ unterschied, aber dramaturgisch auch nicht viel glücklicher war, denn die Szenen reihen sich ohne wirklichen roten Faden aneinander. Verdi verwendete relativ viel des ursprünglichen musikalischen Materials (das mehrfach an ganz anderer Stelle zum Tragen kam), schrieb aber auch neue Musik, von der vor allem die große Szene der Degradierung von Gaston besonders beeindruckend gelungen ist. Im Gegensatz zu den „Lombardi“ gibt es das Liebespaar Gaston-Hélène von Anfang an (in dem früheren Werk konnten Oronte und Giselda wegen ihrer christlichen bzw. muslimischen Religionszugehörigkeit nicht zusammen kommen).

Roger, ursprünglich Vatermörder, hier Mörder des Bruders (der aber im 3. Akt wieder auftaucht), erfuhr musikalisch ziemliche Änderung, denn aus dem Bassbariton Pagano wurde in dieser Fassung ein veritabler Bass. Dass sie Akzentuierung der Noten oft im Gegensatz zum französischen Sprachduktus steht, ist wiederholt zu merken, aber als Ganzes betrachtet, kann von einem eigenständigen, interessanten Werk gesprochen werden.

Für die im Rahmen des Verdifestivals stattfindende Produktion hatte man Hugo De Ana als Regisseur und Ausstatter verpflichtet, dessen Arbeit perfekt zur großen Oper passt. So waren neben historisch inspirierten Kostümen vor allem auch prachtvolle Bühnenbilder zu sehen, die die Stimmung des frühen Mittelalters ebenso wiederzugeben vermochten, wie die einer sonnverbrannten Wüste. Dazu kamen die passende Beleuchtung durch Valerio Alfieri und sparsame, aber eindrucksvolle Projektionen (etwa eines mittelalterlichen Kirchenfensters) von Ideogamma-Sergio Metalli. Einzig die Choreographie des – für Pariser Produktionen damals unerlässlichen – Balletts durch Leda Lojodice fiel ideenarm aus, aber an die Dame muss man sich in De Anas Fahrwasser halt gewöhnen.

Mehr als das solide, aber nicht weiter mitreißende Dirigat von Daniele Callegari ist die Leistung des Chors des Hauses in der Einstudierung von Martino Faggiani zu erwähnen, der wieder einmal zeigte, dass es wahrlich nicht an diesen Sängern liegt, wenn Italiens Opernhäuser in der Krise sind. Ist Michele Pertusis Bassbariton eine Spur zu leichtgewichtig für den Roger, so glich das der Sänger durch eine wunderbare vokale Linie und eine reiche Ausdruckspalette aus. Ramón Vargas schenkte sich das hier (im Gegensatz zum „Trovatore“) tatsächlich geschriebene hohe C und war ansonsten sehr auf Attacke bedacht, was seinem schönen lyrischen Material nicht immer gut tat. Auch dem Sopran von Annick Massis fehlte für die dramatischen Stellen etwas an Substanz, aber sie führte vor, wie Koloraturtechnik in einer französisch gedachten Oper zu funktionieren hat.

Die weiteren männlichen Rollen wurden von dem spanischen Bariton Pablo Gálvez (Graf von Toulouse), dem bulgarischen Bass Deyan Vatchkov (Monteil, päpstlicher Gesandter), einem weiteren Bass, dem Italiener Massimiliano Catellani (Emir von Ramla) verlässlich gesungen, während der schöne Tenor des Italieners Paolo Antognetti (Raymond, Knappe) aufhorchen ließ. Die Mezzosopranistin Valentina Boi gab zuverlässig Isaure, die Vertraute Hèlénes.

Eine erfreuliche, vielbeklatschte Produktion, die in Kooperation mit der Opéra de Monte-Carlo entstanden ist.

Eva Pleus 26.10.17

Bilder: Roberto Ricci

 

 

 

GIOVANNA D'ARCO

Teatro Farnese

Premiere am 2.10.16

Nicht immer überzeugend

Am Tag nach der Eröffnung des einmonatigen Verdi-Festivals folgte im Teatro Farnese die Premiere von Verdis siebenter Oper im wunderbaren Hoftheater der Pilotta, des 1580 gegründeten und nach und nach erweiterten Herzogspalasts der Stadt. Das 1944 von Bomben der Alliierten zerstörte Theater wurde zwischen 1956 und 1960 wieder aufgebaut, durfte aber jahrzehntelang nur besichtigt werden. Dann wurden zunächst Aufführungen für maximal 200 Zuschauer erlaubt, und nun darf das Teatro Regio die Bühne vor rund 800 Zuschauern bespielen. Schon der Zugang zwischen den prachtvollen Gemälden der Galleria Nazionale ist eine Besonderheit und stimmt auf die phantastische Wirkung des ganz aus Holz bestehenden Schauplatzes ein – ein starkes Erlebnis!

Die beiden miteinander verheirateten Regisseure Saskia Boddeke und Peter Greenaway, erstere bekannt als Videokünstlerin, letzterer als Filmemacher, hatten die Anordnung im Theater umgedreht, das heißt, dass die Zuschauer dort saßen, wo normalerweise gespielt wird, während die in Stufen angeordneten Sitzreihen frei blieben, manchmal in die Projektionen einbezogen wurden und manchmal auch dem Interpreten von Giovannas Vater Raum gaben. Vor diesen Stufenreihen befand sich eine kreisfömige, drehbare Plattform (Bühnenbild: Annette Mosk), auf der sich die Handlung abspielte. Der Chor trat am Fuß der Sitzreihen auf, um sich dann wieder zurückzuziehen, links von der Plattform hatte das Orchester Platz gefunden.

Die Videoprojektionen vermochten zu beeindrucken, wenn sie zahlreiche berühmte Mariendarstellungen zeigten oder auch abstrakte Formen oder eine Königskrone. Weniger gefiel die Projektion des Gesichts der Interpretin der Giovanna, die mit ihrem (unbeabsichtigten?) Wimpernklimpern wie ein Starlet wirkte. Gar nicht überzeugten sie gegen Schluss der Oper mit den aktuellen Bildern flüchtender Kinder. Natürlich stimmt es, dass diese die ersten Opfer von Kriegen sind, aber Giovanna singt während ihres Sterbens etwas ganz anderes (und war historisch außerdem ja auch eine von religiösen Wahnideen angetriebene Kriegerin). Einer mit Claus Guth über uns hereingebrochenen Mode folgend, gab es drei Giovannas, nämlich die Sängerin und zwei Ballerinen, von denen die eine (Lara Guidetti) die kriegerische, die andere die kindliche, unschuldige Figur (Linda Vignudelli) verkörperte (Choreographie: Lara Guidetti). Alle drei sind gleich gekleidet (die weiter nicht bemerkenswerten Kostüme stammten von Cornelia Doornekamp). Der Programmzettel weist über zehn weitere technische Mitwirkende aus, angesichts eines zwar ästhetischen, von der Bühnenwirksamkeit her aber eher mageren Ergebnisses doch ein wenig viel...

In der Titelrolle hörte man die Koreanerin Vittoria Yeo, die im Besitz eines kristallen reinen Soprans ist, den sie technisch ausgezeichnet beherrscht, auch kann ihr Expressivität bestätigt werden. Allerdings hätte man sich eine vollere Stimme für die Giovanna gewünscht, und wie sie mit diesem Organ Lady Macbeth singt, ist mir ein Rätsel. Seit ich Luciano Ganci vor rund zwei Jahren zum letzten Mal (als Alfredo) hörte, hat er technisch große Fortschritte gemacht und verkörperte Karl VII. mit angenehm elastischem Material und sicheren Spitzentönen. Vittorio Vitelli gab Giovannas Vater Giacomo mit knorrigem Bariton das ihm zustehende, ebensolche Profil. In den Minirollen Delil und Talbot waren Gabriele Mangione bzw. Luciano Leoni zu hören. Neuerlich eindrucksvoll erklang der Chor des Teatro Regio unter der Leitung von Martino Faggiani. Der 1978 geborene Spanier Ramón Tebar am Pult von I Virtuosi Italiani (ein meist dem Barock verpflichtetes Ensemble) nahm angenehm frische Tempi und ließ ein größer besetztes Orchester nicht vermissen.

Der Schlussapplaus war entschieden mehr als höflich, aber ebenso entschieden nicht von Enthusiasmus getragen.                                                                               

Eva Pleus 12.10.16

Bilder: Roberto Ricci

 

 

 

DON CARLO

Premiere am 1.10.16                         

Durchwachsen

Dass Giuseppe Verdis grandioses Werk nicht leicht zu inszenieren ist, darf als bekannt vorausgesetzt werden, aber dass ein erfahrener Regisseur wie Cesare Lievi so viele Banalitäten abliefern würde, damit war dann doch nicht zu rechnen. Dabei hatte ihm Maurizio Balò ein Bühnenbild gebaut, das nicht nur sehr schnelle Verwandlungen ermöglichte, womit die Anzahl der Pausen auf eine reduziert werden konnte (was in Italien bei langen Opern extrem selten ist), sondern mit seinen großen Platten aus weißem, schwarz geädertem Marmor die Kälte und Ausweglosigkeit am spanischen Hof bestens charakterisierte. Für die Gartenszene wurden zwei Pflanzenspaliere hinzugefügt, für das Autodafé ein großes Kreuz, das sich öffnete und aus dem Philipp nach seiner Krönung heraustrat, ein Gitter für die Kerkerszene mit Posas Tod. (Gespielt wurde die vieraktige Fassung in italienischer Sprache).

Nicht so geglückt waren die Kostüme desselben Künstlers, die nur für Filippo mit dem Oberteil einer Rüstung und einem auf den Schultern getragenen Mantel mit Pelzkragen die richtige Mischung aus Phantasie und einem Hauch historischer Authentizität fanden. Carlo mit Stiefeln und offenem weißen Hemd hätte ebenso Turiddu sein können, Posa mit seinen flachen schwarzen Schuhen und gerade fallendem braunen Umhang Beckmesser. Die Königin, Eboli und der weibliche Hofstaat trugen Trauerkleidung, dazu gesellten sich rot gewandete Bischöfe im Autodafé. Während dieser Zelebrierung der geistlichen Macht zogen blutbeschmierte Ketzer im Stil von Margarethe Wallmann Karren mit weiteren Ketzern. Hier gab es auch den einzigen originellen Einfall des Abends, nämlich einen Karren mit zur Verbrennung bestimmten Büchern.

Weitere Regieeinfälle waren bizarr bis komisch: Der Damenchor (wie erwähnt in Trauerkleidung) raffte zu Ebolis „Canzon saracena“ die Röcke und schwang das Bein, während der Gartenszene lugte ein neugieriges Mönchlein aus einer Tür, Eboli riss sich während „O don fatale“ eigenhändig ihr Auge aus, Filippo würgte (!) seine Gemahlin während der Auseinandersetzung um Carlos Porträt in ihrem Schmuckkästchen. Überhaupt war das spanische Hofzeremoniell völlig außer Kraft: Posa legt Eboli den Arm um die Schulter, um sie wegzuführen und umschlingt bei seinem Ruf nach Freiheit Filippos Füße! Im Autodafé fehlt es an Komparserie, sodass man nicht weiß, wen Filippo als „Stützen seines Thrones“ anruft.

Der musikalische Eindruck war insofern besser, als es wenigstens einige interessante Interpretationen gab, obwohl Daniel Oren am Pult der Filarmonica Arturo Toscanini (trotz des klingenden Namens kein besonders qualitätsvoller Klangkörper) im Laufe des Abends auf immer größere Lautstärke setzte und damit eine Tschinbumm-Wirkung erzielte. Michele Pertusi, der erstmals den Filippo sang, gefiel mit seiner immer bruchlos geführten Stimme und einer prachtvoll gesungenen Arie. In seiner Interpretation hatte der menschliche, fühlende Teil des Herrschers die Oberhand, was wohl auch mit Farbe und Qualität seines Basses zu tun hat, der selten wirklich drohend zu klingen vermag. Ein gelungenes Debüt, wobei gerade diese Rolle im Laufe der Jahre sicherlich noch weitere Nuancen härterer Natur dazugewinnen wird. José Bros singt seit einiger Zeit das dramatischere Fach und interpretierte den Infanten mit metallischem Touch, sicheren Spitzentönen und den üblichen Tenorgesten, was aber dem Regisseur anzulasten ist, denn alle Sänger, mit Ausnahme von Pertusi, blieben darstellerisch im Klischee stecken.

So auch der Posa von Vladimir Stoyanov, der zwar nicht im Besitz besonders interessanter stimmlicher Mittel ist, diese aber gepflegt und mit dem Bemühen um Nuancen einsetzte. Marianne Cornetti war durch ihre Leibesfülle an auch nur ansatzweise überzeugendem Spiel gehindert und sang eine rustikal klingende Eboli mit mehr als einem forcierten Ton. Serena Farnocchia war als Persönlichkeit inexistent und plagte sich mit den tieferen Tönen der Elisabetta. Da sie sich völlig auf ihre vokalen und gesangstechnischen Probleme konzentrieren musste, blieb ihr keine Zeit für Interpretation. Schlimm war die Leistung von Ievgen Orlov als Großinquisitor, der auf „Röhre“ machte, ohne eine solche zu haben und musikalisch mit dem Orchester nicht zurecht kam. (Einer der seltsamsten Regieeinfälle war es auch, dass er sein Kreuz wie einen Blindenstock benutzen musste). Simon Lim orgelte überzeugend Karl V., und sehr gut waren die Chorsolisten, denen die flandrischen Deputierten anvertraut waren. In Ordnung Tebaldo (Lavinia Bini)

Stimme vom Himmel (Marina Bucciarelli) und Lerma/Herold (Gregory Bonfatti). Der von Martino Faggiani einstudierte Coro del Teatro Regio klang kompakt, wie eigentlich immer in Parma.

Viel Erfolg und Applaus für die Produktion, mit der das einen Monat dauernde Festival Verdi eröffnet wurde: Das ist ihr grundsätzlich zu gönnen, denn Parma versucht mit großem Einsatz, dieses sein Festival neu zu positionieren.                                                                     

Eva Pleus 9.10.16

Bilder: Roberto Ricci

 

 

LE NOZZE DI FIGARO

Aufführung am 19.1.16

(Premiere am 12.1.)

Mozart pur, auch szenisch

Ein wenig besorgt waren die an dieser Produktion aus 2006 (Teatro San Carlo, Neapel) beteiligten Künstler, denn wie würde das seit genau vierzig (!) Jahren in Parma nicht mehr gezeigte Werk bei einem Publikum ankommen, das fast ausschließlich auf Verdi und das melodramma im allgemeinen setzt?

Es darf Entwarnung gegeben werden, denn die vier Vorstellungen (deren letzte ich hörte, zwei weitere finden in Reggio Emilia statt) waren (nach anfänglich etwas zurückhaltender Premierenstimmung) bei vollem Haus ein Riesenerfolg. Die Basis war zunächst die erwähnte Inszenierung: Regisseur Mario Martone ließ die Handlung in der ihr zugeschriebenen Zeit ablaufen und sich von Sergio Tramonti ein Einheitsbühnenbild bauen, das aus einer langen Tafel mit ihren Stühlen bestand, die auch bestens als Versteck dienen konnte. Für den 2. Akt genügte ihm die Andeutung eines Federbetts, um das Boudoir der Gräfin zu markieren, im 3. Akt diente die Tafel auch als Tanzfläche und im 4. Akt verschwand sie zunächst mit Hilfe geschickter Beleuchtung. Manche Szenen begannen schon im Parkett und wurden dann oben weitergeführt, das alles sehr wirkungsvoll und ohne Aufdringlichkeit. (Die Wiederaufnahme war von Raffaele di Florio mit merklicher Sorgfalt einstudiert worden). Hübsch und passend auch die Kostüme von Ursula Patzak.

Das war also schon einmal eine überzeugende szenische Grundlage für eine übermütig sprudelnde musikalische Wiedergabe, aus der die großen Ruhemomente des „Porgi amor“, des „Dove sono i bei momenti“ und natürlich des überirdisch schönen „Contessa, perdono“ in ihrer ganzen harmonischen Ausgewogenheit besonders hervorstachen. Matteo Beltrami hieß der Urheber dieser so vergnüglichen wie duftigen Interpretation: Der junge Dirigent bewies neuerlich, dass er die ihm unterstellten Klangkörper nicht nur anzuspornen und mitzureißen, sondern auch zu formen vermag, denn mit dem Orchestra Filarmonica Italiana fand er eine nicht unbedingt auf Oper (und schon gar nicht auf Mozart) spezialisierte Truppe vor, mit der er offensichtlich ganze Arbeit geleistet hatte. (Seit der Auflösung des hauseigenen Orchesters werden in Parma die Orchester nach Bedarf engagiert, was natürlich jeglicher Kontinuität Hohn spricht). Als Zuhörer konnte man entspannt die Musik genießen, auch weil das Vertrauen der Sänger zu ihrem Dirigenten ganz klar war – nie gab es einen zweifelnden oder suchenden Blick auf Beltrami.

Als Susanna war Laura Giordano nicht nur eine Augen-, sondern auch eine Ohrenweide. Das zierliche Persönchen hatte es faustdick hinter den Ohren und ließ seinem Figaro keinen Fehler durchgehen. Ihre wendige Kammerzofe wusste stets, was sie wollte, und war ihrer Umgebung gedanklich immer um einen Sprung voraus. Nichts an ihr war affektiert, und sie nutzte die Rezitative (gut am Cembalo: Simone Savina), um alle Charakterzüge dieser liebenswerten Figur auszuloten. Köstlich ihre Reaktion in der Erkennungsszene Mutter/Sohn im 3. Akt, wenn sie bei „Sua madre“ nicht, wie sonst üblich, verblüfft war, sondern schlicht abwinkte, als wollte sie sagen, das könne man jemandem anderen erzählen.

Dazu phrasierte Giordano mit ihrem nicht allzu großen, aber perfekt projizierten Sopran wunderbar und erhielt nach der Rosenarie berechtigt den stärksten Szenenapplaus. Ihr Figaro war Simon Orfila, dessen Bassbariton für die Rolle ideal ist, und der sich auch pfiffig den verschiedenen Situationen anpasste. Als (neben der Marcellina) einzigem Ausländer in einem rein italienischen Ensemble hörte man zuweilen seinen spanischen Akzent, was aber nur der Vollständigkeit halber angemerkt sei. Als Graf Almaviva hatte Roberto De Candia sein Rollendebüt, aus dem er sehr viel machte. Von der Physis her eher ein Figaro, legte er den Grafen als einen Mann an, der Widerrede weder gewohnt ist, noch sie duldet. So war er jeder Zoll ein Herr, unterstrichen noch durch den Einsatz seines dunkler gewordenen, flexiblen Baritons, mit dem er „Hai già vinta la causa“ vorbildlich interpretierte. Als seine Gattin hatte Eva Mei mit einigen Intonationstrübungen zu kämpfen, doch verbesserte sie sich im Lauf des Abends in dieser Hinsicht. Ihre Interpretation dieser seelisch verletzten, aber ihren Gatten immer noch liebenden Frau gelang sehr berührend. Nicht viel Gutes kann leider über Laura Polverelli als Cherubino gesagt werden, denn sie sang diese wunderbare Rolle vokal wie szenisch völlig uncharmant. Marcellina war nicht mit einem Mezzo, sondern mit einem Sopran besetzt: Die junge Kosovarin Marigona Qerkezi machte mit hübscher Stimme und beherztem Auftreten das Beste daraus. Als eher unauffälliger Bartolo agierte Francesco Milanese, während Giulia Bolcato ganz so klang, als wäre ihre Barbarina, wie für so viele Soprane vor ihr, das Sprungbrett für größere Rollen. Als Don Basilio und Don Curzio ergänzten Ugo Tarquini und Matteo Macchioni, und der köstliche Zornbinkel Antonio des Carlo Checchi soll noch eigens gelobt werden.

Großer Jubel am Ende einer Vorstellung, die ohne jeden Strich ausgekommen (es gab nicht nur die Arien von Marcellina und Basilio im 4. Akt zu hören, sondern auch Rezitative -z.B. von Barbarina- die sonst immer gestrichen werden) und dennoch wie im Flug vergangen war. Würde mich nicht wundern, wenn man in Parma nach mehr Mozart verlangte...

Eva Pleus 30.1.16

Bilder: Roberto Ricci

 

 

 

Schön düster

LA FORZA DEL DESTINO

Teatro Regio Aufführung am 19.10.14

(Premiere am 10.10.) 

Die „Macht des Schicksals” gehörte immer schon zu Giuseppe Verdis am schwierigsten in Szene zu setzenden Werken, was also auch die Zeit betrifft, bevor man sich den Kopf darüber zerbrach, wie man eine Kriegsbegeisterung des 19. Jahrhunderts in die heutige Stimmungslage transportieren konnte. Die Schwierigkeiten lagen schon immer in der Verbindung der Haupthandlung mit den Volksszenen, in der Erstellung des grandiosen Affreskos, an das der Komponist bei diesem für St. Petersburg geschriebenem Werk gedacht hatte. In unserer Zeit kamen die erwähnten Bedenken gegen die Glorifizierung des Krieges hinzu.

Als für die gesamte Produktion (Regie, Bühnenbild, Kostüme, Choreographie und Beleuchtung) verantwortlich hatte Stefano Poda diese Arbeit vor drei Jahren für das Teatro Regio geschaffen und diesmal wieder überarbeitet. Da ich sie damals nicht gesehen habe, vermag ich Änderungen, von denen die Rede war, nicht Rechnung zu tragen. Jedenfalls wollte Poda die Grausamkeit und Unerbittlichkeit des Krieges darstellen, was er in dunklen Tableaus zum Ausdruck brachte. Sämtliche Kostüme waren schwarz gehalten (und bei den ersten Herren im Schenkenbild in Gehrock und Zylinder dachte ich an die übliche Verschiebung in die Entstehungszeit), aber die Sache wurde durchgehalten, ohne das Auge zu ermüden, wozu auch das in Stanniolfarben gehaltene Bühnenbild beitrug, das geschickt in die verschiedenen Szenen der Handlung verwandelt werden konnte. Einziger – heftiger – Farbtupfen war Preziosillas rote Kleidung, die in ihrer ganzen Anlage an den sozusagen teuflischen Gehalt ihrer Gesänge verwies, denn ein „Evviva la guerra, è bella la guerra“ kann heute einfach nicht mehr akzeptiert werden. Beeindruckend war vor allem das Kreuz, das wie eine aus dem Nichts geschnittene leere Form die Szene der „Vergine degli Angeli“ beherrschte. Die Balletteinlagen übertrugen anstatt folkloristischer Beiträge die Schrecken des Krieges in Körpersprache.

Musikalisch war das so schwer zu besetzende Werk mit einer Ausnahme eine Freude. Als Alvaro glänzte Roberto Aronica, der mit nie ermüdender Energie den unglücklichen Mulatten auf die Bühne stellte: Prachtvolle Spitzentöne, schönes Legato in der Mittellage, beteiligtes Spiel – nach Kunde in Valencia und Kaufmann in München eine dritte erstklassige Besetzung einer Rolle, die lang auf einen geeigneten Interpreten gewartet hat. Das gilt auch für  Don Carlo, der in Luca Salsi einen Vertreter fand, der die schwierigen Stellen dieser klassischen Verdirolle für Bariton nicht fürchtete und seine Linien bruchlos sang; dazu gesellte sich eine eindrucksvolle Darstellung (und auch hier kann als weitere im Bunde auf Tézier in München und Piazzola in Valencia verwiesen werden). Damit die Bäume nicht in den Himmel wachsen, ist von Virginia Tola (Loenora) zu berichten, dass sie sie die Rolle gesanglich sicher gestaltete, aber dass ihre Stimme alles andere als angenehm klang. Für sie gab es am Schluss Buhrufe, eine übertriebene Reaktion, denn es hätte genügt, nicht zu applaudieren. Doch den weiteren Mitwirkenden gebührt jedes Lob: Michele Pertusi, der mit weich strömendem Bass den Padre Guardiano sang und bewies, wie man dieser Rolle auch ohne Riesenröhre wunderbar überzeugend beikommen kann. Absolut überzeugend war Chiara Amarù in der hier besonders schwierig zu interpetirenden Rolle der Preziosilla: Mit Leuchtkraft und sicherer Höhe gestaltet, passte sie sicher ihrer ins Dämonische verzerrten Rolle bestens an. Als mieselsüchtiger Eiferer Melitone gefiel Roberto De Candia mit tragendem Bariton und Verzicht auf komische Einlagen. Auch die Comprimari waren ausgezeichnet besetzt: Von Simon Lim hätte man gerne mehr gehört, als ihm die Rolle des Marchese di Calatrava zusteht, und Raffaella Lupinacci war eine volltönende Curra. Andrea Giovannini, Daniele Cusari und Gianluca Monti waren, vor allem angesichts der vollkommen ungestrichenen Fassung, erstklassige Besetzungen für Trabuco, Alcade und Chirurg.

Der Coro del Teatro Regio di Parma erwies sich auch nach dem Abgang seines langjährigen Chefs Martino Faggiani als in der Einstudierung von Salvo Sgrò als absolut klang- und sattelfest. Jader Bignamini, wieder einer der – relativ jungen – Dirigenten, die in ihrer Heimat im italienischen Opernrepertoire nach oben streben (er war unter Ricardo Chailly Erste Klarinette im Mailänder Orchestra Verdi) legte ein absolut überzeugendes Dirigat vor, in dem die lang gezogenen Bögen der Wehmut ebenso wirksam erklangen wie die martialischen Beiträge der Chöre und Preziosillas.

Abgesehen von den Buhs für Tola Riesenjubel seitens des schwierigen Publikums von Parma.                                                                               

Eva Pleus 27.10.2014

Bilder: Teatro Regio di Parma

werden noch nachgetragen

 

                                                                                                                              

 

  

LES PÊCHEURS DE PERLES

Aufführung 6.4.2014  

(Premiere 25.3.2014) 

Musik weit besser als Bühne

Diese Produktion von Georges Bizets nach “Carmen” bekanntestem Werk war in Italien bereits in Triest und Verona zu sehen gewesen. Ich hatte sie in letzterer Stadt gesehen und in jeder Hinsicht (fehlende Personenführung, seltsam ungenaue Charakterisierung der Örtlichkeit) verfehlt gefunden. Meine Meinung dazu konnte ich auch in Parma im Teatro Regio nicht ändern, denn weiterhin sehen wir neben einem zertrümmerten Buddhakopf Tänze, wie sie an das tiefste Afrika erinnern (Choreographie: Anna Rita Pasculli) oder eine mit Motiven à la Jugendstil verzierte Behausung Zurgas (Bühnenbild: Giorgio Ricchelli)  – also ein Mischmasch, der nur in den Kostümen von Alessandra Torella daran erinnert, daß die Handlung in Indien spielt. Auch wurde (im Gegensatz zu Verona und zum - zugegebenermaßen recht flüchtig zusammengeschusterten - Libretto von Eugène Cormon und Michel Carré) das vorgesehenen Finale, in welchem Zurga durch die aufgebrachten Dorfbewohner dafür, daß er dem Liebespaar Leïla-Nadir zur Flucht verholfen hat, gelyncht wird, verändert: Nun blieb Zurga etwas ratlos vor dem sich schließenden Bühnenvorhang stehen – offenbar ein „Einfall“ des Regisseurs Fabio Sparvoli

Glücklicherweise fiel der musikalische Teil diesmal trotz Veränderungen in der ursprünglich vorgesehenen Besetzung sehr positiv aus, denn Patrick Fournillier gelang es, das Orchestra Regionale dell’Emilia- Romagna zu intensivem Spiel zu führen, das den orientalisch gefärbten Melodien Bizets die richtige melancholische Farbe verlieh, ohne deshalb an Spannung zu verlieren. Für die schon vor Probenbeginn erkrankte Désirée Rancatore war Nino Machaidze verpflichtet worden, was eine gute Entscheidung war. Die Stimme der jungen Georgierin ist nach der Geburt eines Kindes in Mittellage und Höhe noch gerundeter und auch in der Tiefe kraftvoller geworden, und sie sang die ihr Keuschheitsgelübde brechende Priesterin nicht nur sehr schön, sondern auch mit großer Innigkeit. Antonino Siragusa hatte sich während der Proben mit dem Dirigenten nicht recht verstanden und sagte vor der Generalprobe ab. Mit Dmitry Korchak war ein sehr guter Ersatz gefunden, der seinen recht metallischen Tenor technisch ausgezeichnet führte und ihm dadurch die von Bizet für die Interpretation des Nadir verlangte träumerische Süße schenkte. Vincenzo Taormina kann man bescheinigen, daß er sich sehr um den Zurga bemühte und an lyrischen Stellen eine passable Leistung brachte, während er sich mit den dramatischen Ausbrüchen und Höhen seiner Arie plagte. Luca Dall’Amico sang mit Nachdruck den Nourabad, Hohepriester Brahmas. Besonderes Lob verdient der Chor des Hauses, der unter der wie immer exzellenten Leitung von Martino Faggiani brillierte.

Nach fünf Vorstellungen in Parma wird die Produktion zweimal in Modena zu sehen sein, wo wir ihr eine ähnlich herzliche Aufnahme wünschen wie an diesem Nachmittag.                 

Eva Pleus 13.4.14

Photos: Roberto Ricci

 

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