LUCCA Teatro del Giglio
teatrodelgiglio.it
Erneute Würdigung nach 25 Jahren
Catalanis „La Wally“ in seiner Geburtsstadt Lucca
Premiere: 19.01.2018
Lieber Opernfreund-Freund,
„der Prophet zählt in der Heimat nichts“, so heißt es in einer Redewendung. Das mag im toskanischen Lucca nicht für deren berühmtesten Musikersohn Giacomo Puccini gelten. Der Meister ist hier omnipräsent, die Cafés und Restaurants heißen „Butterfly“ oder „Turandot“, sein Geburtshaus, vor dem Puccini in bekannter Pose als Statue thront, beherbergt ein Museum und in der Kirche San Giovanni finden mehrmals pro Woche Konzerte mit Szenen und Arien aus seinen Opern statt. Anders ergeht es einem anderen Luccheser Opernkomponisten. Das mag auch damit zu tun haben, dass das Vergessen Alfredo Catalanis schon zu dessen Lebzeiten begann, als Giulio Ricordi nach Puccinis Erfolg mit „Manon Lescaut“ ganz auf ihn als neues Zugpferd seines Verlagshauses setzte und sich nicht mehr wirklich um die Werke des maestrinos, wie Giuseppe Verdi Alfredo Catalani einmal genannt hatte, kümmerte
Zwar hat Lucca seinen vielleicht zweitberühmtesten Sohn nicht ganz vergessen, das Haus in der Via degli Asili, in dem er geboren wurde, ziert zumindest eine Marmortafel, die an diesen Umstand erinnert, und im örtlichen Musikinstitut, das Luigi Boccherinis Namen trägt, wird er mit einer Marmorbüste im Foyer geehrt. Aber das Theater seiner Heimatstadt, das sich in den 1980er Jahren noch mit einem Zyklus all seiner Werke hervor getan hatte, hat seit 1993 nichts mehr aus seiner Feder auf den Spielplan gesetzt. Umso lobenswerter ist es, dass nach nunmehr einem Vierteljahrhundert erneut „La Wally“ auf der Luccheser Bühne zu erleben ist, da sich das Teatro del Giglio an der Produktion beteiligt hat, die im vergangenen Jahr bereits an den Theatern in Modena, Piacenza und Reggio Emilia - allerdings weitestgehend in anderer Besetzung - zu erleben war. (wir berichteten)
Der naturalistische Ansatz von Nicola Berloffa, der die Opernversion der „Geierwally“-Geschichte in der Alpenwelt belässt und Wally als selbstbewusste Frau zeigt, die als Außenseiterin beispielsweise in Pelz gehüllt auf einem Ledersessel Hof hält, während die Dorfbewohner sich dicht auf Holzbänke quetschen, verliert auch auf der kleineren Bühne in Lucca nichts von ihrem Charme. Dazu wurden die Aufbauten von Fabio Cherstich behutsam in Breite und Tiefe angepasst, ohne wirklich szenische Tiefe einzubüßen. Die reichlich Lokalkolorit versprühenden Kostüme von Valeria Donata Bettella wirken ebenso authentisch wie der vom Band eingespielt Wind und der allgegenwärtige Schnee. Sogar mit einem naturgetreuen Sprung a la „Tosca“ wartet die Produktion auf, wenn Wally sich am Ende ihrem Geliebten Giuseppe in die Tiefe nach wirft, in die ihn gerade zuvor eine Lawine gerissen und so das Happyend anders als im Roman von Wilhelmine von Hillern vereitelt hatte.
Dass die Sängerinnen und Sänger ihre zum Teil anspruchsvollen Rollen für nur zwei szenische Aufführungen einstudiert haben, wirkt aus deutscher Sicht fast unglaublich. Lediglich Zoran Todorovich ist als Giuseppe Hagenbach ein „alter Hase“, hat die Rolle bereits 2016 in Montecarlo und im vergangenen Jahr an den drei genannten italienischen Häusern gesungen und trumpft entsprechend souverän und gelassen auf. Mit nicht enden wollender Kraft zeichnet er den Hagenbach als Haudegen und Weiberheld, der aber am Ende doch zu seinen Gefühlen für Wally steht, und kann sich dabei auf seinen höhensicheren und strahlenden Tenor verlassen. Die Titelheldin wird von Serena Farnocchia verkörpert, deren voller Sopran mir im ersten Akt noch ein wenig scharf in den Höhen vorkommt. Doch ab dem zweiten Aufzug erscheint mir die wie der Komponist aus Lucca stammenden Sängerin nahezu als Idealbesetzung und sicherlich als eine der vollendetsten Darstellerinnen dieser mit Höchstschwierigkeiten gespickten Rolle der vergangenen Jahre. Toll! Auch Marcello Rosiello als Hagenbachs Nebenbuhler Gellner glänzt mit umwerfendem Ausdruck und so voluminös-eindrucksvollem Bariton, dass man ihm den Bösewicht auf ganzer Linie abnimmt. Paola Leoci zeigt in der Hosenrolle Walter ihren feinen und geschmeidigen Koloratursopran und Irene Molinari bleibt mit vollem Mezzo als Afra im Gedächtnis - das ist in der Vergangenheit nicht jeder Sängerin gelungen. Bis in die kleinste Rolle hinein ist veritabel besetzt, so dass Graziano Dallavalle als Pedone ebenso viel Eindruck macht wie Francesco Facini in seinem kurzen Auftritt als despotischer Vater Wallys.
Den Chor des Festival Puccini hat Elena Pierini betreut - und der zeigt in der zweiten Hälfte des Abends doch die eine oder andere Unsicherheit bei der Bewältigung des umfangreichen Parts. Ähnlich geht es dem Orchestra Filarmonica Pucciniana unter der Leitung von Marco Balderi. Der hat vor allem im dritten und vierten Akt hörbar Probleme, die Instrumentalisten im Zaum und mit den Sängern synchron zu halten. Das mag sicher auch an den bisweilen sportlichen Tempi liegen, die er anschlägt, doch trotz dieser Unsauberkeiten da und dort gelingt ihm unterm Strich ein rundum rundes Dirigat von Alfredo Catalanis Partitur - und so war’s ein toller Abend.
Ihr Jochen Rüth / 20.01.2018
Die Fotos sind auf der Generalprobe am 17.01.2018 entstanden und stammen von Lorenzo Breschi.