WOLFENBÜTTEL Lessingtheater

Autor1956 / Wiki
Lessingtheater-wf.de
Tschaikowskys Pantöffelchen
Premiere TfN Hildesheim: 09.12.2018
besuchtes Gastspiel in Wolfenbüttel: 16.12.2018
Lieber Opernfreund-Freund,
vor 426 Jahren war das Theater des Schlosses Wolfenbüttel das erste in Deutschland mit einem festen Ensemble, doch diese Zeiten sind längst vorbei. Das heutige Lessingtheater, ein stimmungsvoller Theaterbau zwischen Neoklassizismus und Jugendstil, 1909 eröffnet, fungiert als Gastspielhaus und bietet unter anderem dem im kaum 50 km entfernten Hildesheim beheimateten TfN im wahrsten Wortsinne eine Bühne. Gestern habe ich die seltene Gelegenheit genutzt, hier Musiktheater zu erleben, und mir die von den Hildesheimern ausgegrabene Tschaikowsky-Rarität Die Pantöffelchen (im Original Cherevichki) für Sie angesehen.

Die 1887 am Moskauer Bolschoi-Theater uraufgeführte Oper, eine Umarbeitung von Tschaikowskys Der Schmied Wakula aus dem Jahr 1885, fußt auf der Erzählung Die Nacht vor Weihnachten von Nikolai Gogol und passt somit natürlich perfekt in den Advent. Die verwöhnte Oxana ist sich für den Schmied Wakula, der um sie wirbt, zu schade, obwohl sie ihn eigentlich liebt. Um ihn vor der Dorfgemeinschaft bloßzustellen, verspricht sie ihm ihre Hand, wenn er ihr ein paar Pantoffeln zu Weihnachten schenkt, wie sie sie nur die Zarin besitzt. Mit Hilfe des Teufels, den der listige Schmied zu seinem Handlanger macht, bekommt er am Zarenhof tatsächlich ein paar goldene Pantoffeln. Die damit beschenkte Oxana allerdings möchte sie gar nicht mehr haben, weil ihr um die Sorge um Wakula, den sie tot glaubte, bewusst geworden ist, dass sie nur ihn will. Diese Märchen ist mit allerhand Zauberei gespickt, in einer Nebenhandlung wird zudem aus Wakulas Mutter, der Hexe Solocha, und dem Teufel ein Paar. Musikalisch ist das Werk durchzogen von russisch anmutenden Klängen, da und dort scheinen einem Motive und Harmonien aus Eugen Onegin oder Schwanensee ins Ohr zu dringen. Alles in allem ist die Oper aber weit entfernt von der Raffinesse der Pikowa Dama oder dem Eugen Onegin, auch wenn sie durchaus einen gewissen Melodienreichtum aufweist. So bleibt sie eine manchmal recht ungeschickte Aneinanderreihung einzelner Szenen ohne Überleitung und wird zur recht einfach konzipierten Nummernoper. Das ist aber für so einen unterhaltsamen Weihnachtsmärchennachmittag für Jung und Alt durchaus passend.

Ganz ohne viel Schnickschnack erzählt Anna Katharina Bernreitner in genau diesem Modus das Märchen um den unglücklich verliebten Schmied. Bühne und Kostüme von Hanna Rosa Oellinger und Manfred Rainer muten zwar mitunter recht futuristisch an in ihrem Weiß, doch angefangen bei Pelzmänteln und -mützen über pseudotraditionelle Zopffrisuren bis hin zum an die berühmte Matrjoschka erinnernde „Auspacken“ des Dorfes lässt die junge Regisseurin russische Anklänge zu und schafft mit tollem Licht, viel Bewegung und noch mehr Phantasie eine zauberhafte Erzählung – die allerdings mehr an Kindertheater erinnert, als an Musiktheater für die große Bühne. Das ist zwar vielleicht nicht ganz das, was man erwartet – vor dem Hintergrund der Vorweihnachtszeit allerdings, in der Opa und Oma gerne einmal mit den Enkeln ins Theater gehen, mehr als legitim. Nicht zu Entschuldigen und ein echter Störfaktor ist hingegen die altbacken-hölzerne Übersetzung, die – auch wenn sie bereits aus dem Jahr 1898 stammt – anmutet, als habe man den russischen Text einmal schnell durch den Google-Translator gejagt, so gestelzt und ohne Rücksicht, ob sich alles reimt oder die gesungene Silbenanzahl halbwegs mit der der Töne überein stimmt, kommt sie daher. Der Anspruch, dass auch junge Besucher der Handlung unmittelbar folgen können, ist nachvollziehbar – eine etwas frischere Übersetzungsversion hätte man dem Libretto von Jakow Polonsky allerdings dennoch gönnen können.

Musikalisch gibt es wenig zu meckern, alle Sängerinnen und Sänger singen auf beachtlichem Niveau, wobei der wohlig-warme Mezzo von Neele Kramer als durchtriebene Solocha neben Levente Györgys Ehrfurcht gebietendem Bass als Durchlaucht und dem jungen Peter Kubik zu meinen persönlichen Höhepunkten geraten. Gerade Peter Kubiks charaktervoller Bariton, den das junge Ensemblemitglied mit überragendem schauspielerischen Talent paart, lässt mich erwartungsfroh in dessen Zukunft schauen. Aber auch Katja Bördner, die mit in den Höhen brillantem Sopran als Oxana glänzt, und der durchschlagkräftige Tenor von Wolfgang Schwaninger als Wakula bieten Grund zur Freude. Schließlich möchte ich auch Uwe Tobias Hieronimi als Tschub nicht unerwähnt lassen, der überzeugend nicht nur seinen Bassbariton sondern auch sein feines komödiantisches Gespür präsentiert.

Achim Falkenhausen stellt am gestrigen Nachmittag unter Beweis, dass er nicht nur die Damen und Herren des Chores exzellent auf die Partie vorbereitet hat, sondern auch im Graben seinen Mann steht und von den russische Folklore versprühenden Passagen bis hin zu dichten, beinahe sinfonischen Stellen versiert die ganze Bandbreite der Partitur präsentiert. Das Publikum im nahezu voll besetzten Haus applaudiert begeistert, freut sich an dem schönen Weihnachtsmärchen und der gefälligen szenischen Umsetzung und auch ich habe die Vorstellung am Nachmittag des dritten Advent sehr genossen.
Ihr Jochen Rüth / 17.12.2018
Die Fotos stammen von Falk von Traubenberg.