Stefan Soltesz ist tot.
Ein schlichter Satz, und doch, für mich bedeutet er viel. Stefan Soltesz war mich einer der ganz großen Dirigenten, keiner der "Supernamen" die von der Fono-Industrie vermarktet werden. Aber einer, bei dem man sich auf jede Aufführung freute, denn es war stets ein Fest des Musizierens, wenn er am Pult stand. Was sich manchmal auch in seiner ausladenden Art des Dirigierens zeigte. Vor dem großen C-Dur-Jubel in der "Freischütz"-Ouverture ein riesiger Luftsprung mit anschließendem, lauten "Rumms", als er wieder auf dem Pult aufkam, das konnte man alles mitfühlen. Ich hatte das große Glück, in meinem Leben einen Großteil seiner künstlerischen Laufbahn zu kreuzen, so in Braunschweig, später in meinen Kölner Jahren dann mit vielen Fahrten an das Aalto-Theater in Essen. Und es war, nicht nur mir, eine innere Verpflichtung und Vergnügen jedes Jahr zur Wiederaufnahme der "Frau ohne Schatten" zu fahren, einem Werk zu dem, wie überhaupt zu Richard Strauss, er wohl eine besondere Affinität besaß. Es waren Feste ! Einfach war er wohl nicht, so hörte man immer wieder, denn es ging ihm stets um die Sache der Musik an sich, da fand er sicherlich nicht immer gelinde oder genehme Worte, nicht nur Musikern, sondern auch den "Obrigkeiten" gegenüber.
Die Essener Zeit war , so glaube ich, wohl seine ganz große Zeit, aus einem Stadttheater mit grandioser Architektur (Alvar Aalto), machte er in seiner Zeit ein großes Haus von Niveau. Auch aus Antwerpen kamen ihm seine Fans hinterhergereist, oft genug konnte man ganze Busse aus Belgien vor dem Theater stehen sehen. Manchmal verblüffte er am Pult durch sein Erscheinen, obwohl ein anderer Hausdirigent vorgesehen war. Man hatte wirklich das Gefühl, er hätte am liebsten Alles dirigiert. Zum Musiktheater hatte er wirklich eine besondere Affinität, denn er war ein absoluter Sängerdirigent und wußte auch um die Belange der Bühne, ohne dabei das musikalische Gesamtkonzept zu vernachlässigen. Eigentlich dachte ich erst, daß er sehr konservativ gestrickt ist, doch dann hat er mit so "Regie-Alpha-Tieren" wie Dietrich Hilsdorf und Peter Konwitschny zusammengearbeitet, das Ergebnis waren große Abende .
Dieses Jahr habe ich ihn noch in der Komischen Oper mit dem "Zigeunerbaron" gehört, auch etwas , was er wie wenige der großen Dirigenten, mochte und konnte: die Operette. Da erinnert man sich an wundervolle Abende mit Johann Strauß, Imre Kalman und sogar den jazzigen Paul Abraham. Ja, und am 22. Juli hatte ich mich sehr auf "Die schweigsame Frau" von Richard Strauss in München gefreut, eine wirklich gute Besetzung, aber am meisten auf einen meiner Lieblingsdirigenten mit einer, unter ihm, noch nicht gehörten Strauss-Oper. Das schreibe ich jetzt nicht als schöne Worte für einen Nachruf, sondern weil ich das so erlebt habe. Schon bei der Ouverture meinte ich, das Werk noch nie so gut gehört zu haben. Die Sänger alle inspiriert, der wundervolle Text von Stefan Zweig verständlich, die musikalischen, komplexen Strukturen klar präsentiert, dabei voller Sinnlichkeit. Ich dachte wirklich noch, jetzt erlebst du eine musikalische Sternstunde. Dann plötzlich ein Verstummen , das Licht geht an und eine schreckliche Stille, Rufe nach einem Arzt. Ich möchte so etwas nicht erleben, aber für mich war es so. Jetzt bin ganz persönlich traurig, denn etwas Kostbares ist nicht mehr. Stefan Soltesz wird der musikalischen Welt fehlen; er fehlt mir.
Martin Freitag, 27.7.2022