DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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www.opernhaus.ch/

 

 

 

NABUCCO

Emotionslose blutleere Inszenierung

Anlässlich der Premiere dieser Produktion vor etwas über drei Jahren habe ich mich eher skeptisch zur abstahierten Interpretation der Oper durch Regisseur Andreas Homoki und den Ausstatter Wolfgang Gussmann geäussert. Dieser Eindruck hat sich - leider - auch anlässlich dieser Wiederaufnahme nicht geändert. Die kalte, ganz in grüner Marmoroptik gehaltene Bühne mit der gigantischen Marmorwand, die steifen Kostüme (uniforme Reifröcke für die Damen, ebenfalls in diesem dunklen Flaschengrün gehalten) vermögen keine Emotionen zu wecken, wirken kalt, distanziert, blutleer.

 

 

Die Choreographie der Chorszenen grenzt manchmal an Persiflage und würde besser in ein Werk Offenbachs passen. Zwar kan man die Intentionen des Regisseurs auf die Reduzierung der Handlung auf ein Familiendrama gut nachvollziehen, er bietet auch einige intelligent gemachte Einblicke in die Personenkonstellationen. Der Regisseur wollte neben dem Familiendrama auch das Ablösen einer alten durch eine neue (nicht unbedingt bessere) Gesellschaftsordnung zeigen und blendete so den Religionskonflikt vollständig aus. Doch für diese ehrenwerte Anliegen bieten die von Verdi - wie stets bei ihm - kurz und konzis gehaltenen Szenen zu wenig Raum für eine über blosse Andeutungen hinausgehende Interpretation. So entsteht ein Konzert im Kostüm ohne jegliche Requisiten (bis auf eine Krone und eine Pistole für den Suizid Abigailles).

 

Auf jegliche Bühnen- und Theatereffekte wird konsequent verzichtet. Es ist alles sehr ästhetisch und nett anzusehen, aber wirkliches Interesse vermag die Produktion auch beim zweiten Ansehen nicht zu wecken. Das ist mit Verlaub zu wenig für eine Bühnenproduktion, das hätte man so auch halbszenisch konzertant darbieten können.

 

Weitaus glücklicher wurde man mit der musikalischen Seite: Gegenüber der Premiere waren sämtliche Partien und der Dirigent neu besetzt. Mit Denato Renzetti (bei ihm studierte übrigens auch der GMD des Opernhauses Zürich, Gianandrea Noseda) stand ein Kapellmeister der alten Schule am Pult der sehr sorgfältig musizierenden Philharmonia Zürich. Renzetti dirigierte mit sparsamen Bewegungen, vertraute auf den sicher von den Musikern grundierten M-ta-ta Rhythmus und formte mit seinen Armen und Händen gekonnt die dynamische Ausgestaltung der facettenreichen Partitur des jungen Verdi. Das Ergebnis war grandios!

 

Die neuen Solisten konnten sich unter diesem Dirigat geschützt und sicher fühlen und darauf zum Teil mit imposanten Leistungen triumphieren. So etwa Lucio Gallo in der Titelpartie, der nicht nur gesanglich sondern auch darstellerisch ein einnehmender, sehr differenziert gestaltender Nabucco war. Omer Kobiljak liess inder Premierenserie vor drei Jahren noch in der kleinen Partie des Abdallo aufhorchen, nun verlieh er der grösseren Partie des Ismaele seine wunderschön gefärbte Tenorstimme. Schade, dass Verdi für den Ismaele im zweiten Teil nicht mehr so viel Musik komponiert hatte, denn Kobiljak hörte man ausgesprochen gerne zu. Die dritte grosse Männerpartie, den Anführer der Hebräer, Zaccaria, sang der Bass Alexander Vinogradov mit wunderschöner und voll und beeindruckend klingender Tiefe.

 

Ein ungewohnter WOW-Effekt stellte sich mit der Besetzung der Fenena ein: Oftmals wird die Rolle der "echten" Tochter Nabuccos mit einer nicht allzu grossen, dafür mit sanftem Wohlklang aufwartenden Mezzosopranstimme besetzt. Nicht so bei dieser Wiederaufnahme in Zürich: Die Russin Alisa Kolosova trumpfte mit einem satten, leicht guttural gefärbten Volumen auf, mit dem sie in grossen Häusern oder einer Arena mühelos die hintersten Ränge erreichen könnte. Durch diese spannungsgeladene, dynamisch schon beinahe die Schmerzgrenz erreichende Interpretation von Alisa Kolosova erhielt die Partie plötzlich ein ungeahntes Gewicht, änderte die Balance in den Ensembles und machte die Oper geradezu zu einem Schwesternduell. Denn die eigentliche weibliche Protagonistin der Oper NABUCCO ist ja die illegitime Tochter und Halbschwester Fenenas, Abigaille. Anna Pirozzi hat die mörderische Rolle der Abigaille bereits über hundertmal interpretiert (Verona, Valencia, Beijing, Tel Aviv, Leipzig, Stuttgart, Berlin, Las Palmas, Lyon, Paris, Bologna, Florenz, Parma, Palermo, Cagliari, Napoli, Mailänder Scala). Sie ist stimmlich eine Wucht, meistert die exaltierten Intervallsprünge und die Acuti problemlos, vermag aber auch differenzierte, verinnerlichte Qualen zu transportieren.

 

 

Der Chor der Oper Zürich, die Chorzuzüger und der Zusatzchor bringen die Chortableaux effektvoll und dynamisch fein abgestuft zum Klingen (Einstudierung: Janko Kastelic). Sehr gut besetzt sich die kleinen Partien des Oberpriesters des Baal (Stanislav Vorobyov), das Abdallo (Alejandro del Angel) und der Hebräerin Anna (Yuliia Zasimova). Das Publikum im ausverkauften Haus (Volksvorstellung zu stark ermässigten Preisen) bedankte sich für die Leistungen der Künstler mit grossem Applaus und Bravi-Rufen.

 

Kaspar Sannemann 12.9.22

(c) oper zürich / Monika Rittershaus

 

Arabella

Lyrische Komödie in drei Aufzügen | Musik: Richard Strauss | Libretto: Hugo von Hofmannsthal | Uraufführung: 1. Juli 1933 in Dresden | Aufführungen in Zürich: 13.5. | 15.5. | 20.5.2022

 

"Das ist ein Engel, der vom Himmel niedersteigt", singt Mandryka zu Beginn des 2.Aufzugs. Dieser Engel war gestern Abend Jacquelyn Wagner, die als kurzfristige Einspringerin für die erkrankte Hanna-Elisabeth Müller tatsächlich praktisch vom Himmel gestiegen war, denn sie wurde direkt aus ihrem (wohlverdienten) Urlaub in Spanien als Retterin in die Produktion eingeflogen. Als Retterin war sie bereits kurz vor dem ersten Corona-Lockdown am 7. März 2020 in diese Produktion eingestiegen, deren Titelpartie wegen Erkrankungen so oft umbesetzt werden musste. Und erneut, wie 2020 durfte Jacquelyn Wagner am Ende die Ovationen des Publikums entgegennehmen, die nicht nur für die Dankbarkeit der "Retterin" standen, sondern zu Recht auch ihre herausragende Rolleninterpretation feierten. Frau Wagner sang eine sehr berührende Arabella, liess ihr ihr warmes Timbre behutsam aufblühen, liess tief in die Seele der Arabella blicken (Mein Elemer ..., mit dem wunderschönen Bratschen-Solo), intonierte sicher (exemplarisch im ersten Akt die traumhaft schön intonierte Phrase "... er schaut nicht herauf". Wie stets bei dieser tollen Sängerin ging das alles ohne unnatürliches Forcieren in der hohen Lage; sie klang herrlich in den Zwiegesängen mit dem erneut fantastisch disponierten Bariton von Josef Wagner als Mandryka (einer der wenigen Konstanten dieser Produktion aus dem Jahr 2020). Jacquelyn Wagner agierte mit grandioser Natürlichkeit, völlig in der Rolle aufgehender Mimik, da stimmte jeder Blick, jede Geste, jede Bewegung. Für diese Wiederaufnahme neu besetzt wurde die Rolle der Zdenka. Anett Fritsch verfügte über den schimmernden Silberglanz, den diese Rolle erfordert und agierte vortrefflich, sowohl in der Maskerade als "Bub", als auch als endlich ihre wirkliche Sexaulität ausleben dürfende junge Frau im dritten Akt. Schade, dass sie im grossen Duett mit Arabella im ersten Akt (Aber der Richtige ...) ihr Volumen zu stark aufdrehte und so die exquisite Balance in den zauberhaften Harmonien, die Strauss da komponiert hatte, gefährdete. Judith Schmid gestaltete eine umwerfende Adelaide, Mutter von Arabella und Zdenka. Auch da stimmte einfach alles, Frau Schmid zeigte ihr komisches Talent, gepaart mit einem satten, raumfüllenden Mezzosopran, welch grossartige Leistung! Genauso umwerfend ihr Gemahl, dem Michael Hauenstein seinen prachtvollen, mit vortrefflicher Diktion souverän gestaltenden, satten Bass lieh. Auch er ein richtiges Bühnentier, ein Komödiant durch und durch. Mit Pavol Breslik war der Matteo natürlich sehr luxuriös besetzt. Sein ebenmässiger Tenor strahlte verzweifelt - verliebt im ersten Akt und lief verwirrt durch die von Zdenka arrangierte Verwechslungsgeschichte vokal zu ganz grosser Form auf. Neu und vortrefflich besetzt waren auch die drei Grafen (Verehrer Arabellas): Nathan Haller als selbstsicherer, sich unwiderstehlich glaubender Elemer; Yannick Debus, der sich nach der Abweisung durch Arabella an deren Mutter ranmacht und der genügsamere Lamoral von Brent Michael Smith. Konstanten dieser Produktion (neben dem wunderbaren Mandryka von Josef Wagner und dem herrlichen Maichael Hauenstein als Waldner) bilden auch Aleksandra Kubas-Kruk als herrlich jodelnde Fiakermilli, die einen nach dem anderen der Schuhplattler "umwirft" und Irène Friedli als grossartige Kartenaufschlägerin.

Nach Fabio Luisi 2020 lag die Leitung der Philharmonia Zürich nun in den Händen von Markus Poschner, Chefdirigent des Orchestra della Svizzera Italiana und des Bruckner Orchesters Linz. Seine Interpretation der ARABELLA enthält nichts von süsslichem Operetten-Weichspüler, ist manchmal wie gegen den Strich gebürstet, aufwühlend in der singenden Seele schürfend, kratzbürstig und unter der Oberfläche brodelnd - hochspannend, und von der Philharmonia Zürich mit wunderbarer Klangmischung umgesetzt. Unter der polierten Oberfläche der Hotellobby brodelt es auch in der Inszenierung. Da kann ich nur meinen Text von 2020 einfügen, der postitive Eindruck von damals hat sich mehr als bestätigt: "Regisseur Robert Carsen legte die Handlung nämlich nicht wie von Hofmannsthal vorgesehen um 1860 an, sondern verlegte sie in die Zeit des Nationalsozialismus der Entstehungszeit der Oper, also zwischen 1926 und 1933. Gideon Davey schuf die dazu passende Ausstattung, eine Hotelhalle in Rot und Schwarz, umfasst von Galerien auf drei weiteren Geschossen. Dieses Einheitsbühnenbild passte wunderbar, um die Handlung zu verorten und ermöglichte durch die Galerien verschiedene interessante Spielebenen. Für den zweiten Akt, den Fiakerball, wurde die Lobby zusätzlich mit riesigen Hakenkreuzfahnen links und rechts „geschmückt“. Gideon Davey schuf auch die passenden Kostüme. Das Ballkleid der Arabella in Petrolblau und mit den Goldapplikationen wusste ganz besonders zu gefallen. Aber auch die Art wie Zdenka als Zdenko eingekleidet war, überzeugte sehr. Insgesamt eine sehr gediegene Inszenierung, doch unter der polierten Oberfläche brodelte es natürlich gewaltig. Das von Robert Carsen und Peter van Praet gespenstisch ausgeleuchtete Ballett der Braunhemden und der Schuhplattler zum Vorspiel des dritten Aktes, mit den Schlägereien und den unsäglichen Hitlergrüssen hatte was Slapstickartiges, ja geradezu Absurdes und wirkte zunächst wie ein aufgestzter Regietheater-Fremdkörper. Doch wenn dann am Ende, nach der von Jacquelyn Wagner so ergreifend und emanzipatorisch (sie hindert ihren Zukünftigen daran, das berühmte Glas zu zerbrechen) gestalteten Schlussszene die Nazischergen auf den Galerien auftauchen und die ganze Bagagi zu erschiessen drohen, spürt man doch, dass Hofmannsthal und Strauss den Zeitenwechsel wohl gespürt (Hofmannsthal), aber nicht verstanden (Richard Strauss) haben.

Fazit: Nur noch eine Vorstellung dieser Wiederaufnahme, nicht verpassen!

 

Kaspar Sannemann, 16.05.22

 

 

L’INCORONAZIONE DI POPPEA

Öff. Generalprobe am 12. September 2021

„Es wird leidenschaftlich geliebt, gemordet und phantastisch gesungen“

Unter dem Motto „Mit Lust zur Macht“ übertitelt das Opernhaus Zürich mit diesen Worten seine Präsentation zur Wiederaufnahme der Opera musicale von Claudio Monteverdi „L’incoronazione di Poppea“ - und sie hätte keinen stimmigeren Titel finden können. Denn was man in über drei Stunden in der Inszenierung des Katalanen Calixto Bieito aus dem Jahre 2018 erlebt, das ist an - auf der Opernbühne für heutige Verhältnisse noch akzeptabler - Offenheit und Direktheit, auch in erotischer Hinsicht, kaum zu überbieten. Und steht dennoch vollkommen in der Werkaussage dieser Barockoper über die grausame Regentschaft des römischen Kaisers Nero. Der kam ja gerade erst bei den Bregenzer Festspielen mit der Oper „Nerone“ von Arrigo Boito zu interessanten Ehren. Zum äußerst publikumsfreundlichen Auftakt zur neuen Saison 2021/22 hatte Intendant Andreas Homoki das Publikum zur Matinee in die öffentliche Generalprobe der Wiederaufnahme eingeladen, die unter der musikalischen Leitung von Ottavio Dantone sam Pult des Orchestra La Scintilla stand. Es kam in großer Zahl.

 

Bieito hat die Handlung in eine Bilderwelt übersetzt, die uns aus TV-Soaps und Krimis geläufig ist, wobei er aber stets am Stück und seiner Handlung bleibt - das ist seine große Kunst bei aller Modernität und Zutaten des Regietheters, was man besser als „Regisseurs-Theater“ bezeichnen sollte, wie ich neulich irgendwo las. Und so zeigt er auch die wohl weit- und weiterhin gültige Relevanz von Macht, Gewalt, Verrat, Liebe und Eifersucht sowie Mord im Rahmen einer hedonistischen Gesellschaft zur Zeit Neros. Um die viele betreffende Bedeutung der Thematik noch zu erhöhen, hat Rebecca Ringst ein Bühnenbild entworfen, welches sich wie ein Ring und das mittig sitzende Orchester zieht, mit einer Zuschauertribüne auch auf der Bühne. An den Proszeniumslogen sind viele und auch große Screens befestigt, auf denen die Handlung optisch mal kommentiert, mal aufgeladen oder gar ins Extreme übersteigert wird. So sieht man minutenlang, wie Seneca nach dem Aufschneiden der Pulsadern mit einer Rasierklinge, die durch eine seitliche Kameraeinstellung vorher auch noch klar gezeigt wurde, langsam im blutdurchtränkten Wasser der Badewanne erstirbt. Noch drastischer konnte man das wohl kaum zeigen und daraufhin gleich den totalen Kontrast mit dem „Freudenfest“ Neros angesichts des Todes des Weisen.

 

Leidenschaftliche Liebesbeweise sind zwischen Nero und Poppea zu sehen, er meist mit nacktem Oberkörper, sie in erotischen Outfits, kontrastierend mit der dekadenten Abstrusität der Verkleidung Ottones in eine Frau, um Poppea zu ermorden.

Allzu brutal, aber eben konsistent im Sinne der Inszenierung, die folgende blutige Misshandlung von Drusilla aufgrund ihrer Mittäterschaft.

Immer aber ist ein Mindestmaß an visueller, modisch ansprechender Ästhetik gewährt, wofür der Kostümbildner Ingo Krügler verantwortlich zeichnet. Dankenswerterweise verzichtet er auf die immer wieder abstoßende bis alberne Darstellung weißer Schiesser-Unterwäsche als Poststereotype des Regisseurs-Theaters, zumal bei Richard Wagner.

Allein die drei über allem stehenden Allegorien Fortuna, das Schicksal, Virtù, die Tugend, und Amor, die Liebe setzen sich vom grausamen Geschehen durch schlichte weiße Nachthemden ab, aus denen sie die meiste Zeit aus irgendeiner Bühnenecke beobachten, was passiert und so die mit ihnen verbundenen Qualitäten ständig in Erinnerung halten. Jake Arditi singt den Amor mit einem guten Countertenor, Sandra Hamaoui eine klangschöne Fortuna und Hamida Kristoffersen eine ebenfalls ansprechende Virtù.

 

 

Wie gesagt, sängerisch ist das gesamte Ensemble umfassend in hohen Tönen zu loben, und niemand hat in dieser Generalprobe, die ja öffentlich war, markiert. Das war eine vokalen Leistung in italienisch wie aus einem Guss und machte mit dem einfühlsamen Dirigat von Ottavio Dantone und dem mit Barockmusik besonders vertrauten Orchestra La Scintilla zu einem auch musikalisch bewegenden Gesamterlebnis. Julie Fuchs spielte und sang eine laszive und alle erotischen Register ziehende Poppea, mit feiner Stimmführung und bester Diktion. David Hansen präsentierte als Nerone einen Countertenor der Extraklasse, bei mühelos klangvollen Höhen auch zu einer auch virilen Tiefe fähig - und das alles mit ausgezeichneter darstellerischer Gestaltungskraft.

Emily d’Angelo konnte mit einem klaren, prägnanten und zu bester Attacke fähigen Sopran begeistern, ebenfalls bei einer starken Interpretation der gescheiterten Kaiserin. Herrlich ihr Abschiedslied von Rom, gerade erst bewegend interpretiert von Joyce DiDonato bei den Salzburger Festspielen.

 

 

Delphine Galou gab einen glaubwürdigen Ottone, von seiner anfänglichen Verzweiflung bis zu seiner fatalen Entwürdigung nach dem skurrilen Mordkomplott. Deanna Breiwick sang und isolierte die Drusilla zunächst Musetta-haft mit einem ebenfalls wohlklingenden Sopran. Später konnte sie auch die tragische Gefallene mit viel Überzeugungskraft mimen. Miklos Sebestyén verkörperte einen mahnenden, dann nachdenklichen und schließlich berührend vom Leben Abschied nehmenden Seneca mit einem zu dieser Rolle fast kontemplativ anmutenden samtenen Bass - eine großartige Darstellung dieser so wichtigen Figur im Stück. Auch die kleineren Rollen waren stimmlich sehr gut besetzt, wie Manuel Nuñez Camelino als Nutrice, Emiliano Gonzalez Toro als Arnalta, Bozena Bulnicka als Valetto sowie Tomas Erlank, Andrew Moore und Andrei Skliarenko in Nebenrollen.

 

Am Schluss erscheinen Nero und Poppea in vollem Ornat als gekrönte Häupter in einem Rausch an goldenen Farben und Luftballons. Eindrucksvoll gelingt dabei das finale Liebesduett „Pur ti miro“ – „Dich nur sehen“, ein letzter musikalischer Höhepunkt einer ungewöhnlichen, aber überzeugenden Interpretation einer der Frühopern der Geschichte.

 

Fotos: Monika Rittershaus

 

Klaus Billand/15.9.2021

www.klaus-billand.com

 

 

WOZZECK

Premiere 13.09.2015

Wiederaufnahme 09.02.2020

Auch 4 1/2 Jahre nach der Premiere verfügt diese Inszenierung noch immer über eine ungebrochene Faszination, erzielt eine ungemein starke Sogwirkung, begeistert und überwältigt mit der Kraft der Groteske. Andreas Homoki und dem Ausstatter Michael Levine ist damit ein Meisterwerk, ja ein Meilenstein gelungen und man mag den WOZZECK kaum mehr anders sehen. Ganz persönlich muss ich sagen, dass dieses Gesamtkunstwerk sich in die Top Ten all meiner gesehenen Opernaufführungen einreiht. Mehr dazu lesen Sie bitte in meiner untenstehenden Rezension der Premiere von 2015!

Ein ganz grosses Glück dieser erfreulichen Wiederaufnahme (nicht selbstverständlich in Zürich für ein Werk des 20. Jahrhunderts, das nicht von Richard Strauss oder Puccini stammt ...) ist natürlich, dass der herausragende Bariton Christian Gerhaher für die Titelrolle erneut zur Verfügung stand. Seine Interpretation des Wozzeck ist wahrlich eine Wucht! Die Diktion, wie immer bei diesem Ausnahmesänger, exemplarisch, die musikalische Gestaltung, die Phrasierung, die grandiose dynamische Abstufung einzigartig, bewegend und unter die Haut gehend. Mit von der Partie ist erneut Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als phänomenaler Hauptmann, der diese schwierige Partie mit stupender Souveränität meistert. Auch die kleineren Partien der Handwerksburschen (Pavel Daniluk und Cheyne Davidson), der Margret (Irène Friedli), des Burschen (Tae-Jin Park) und des Narren (Martin Zysset) waren erneut den bewährten Kräften des Ensembles anvertraut, wobei insbesondere Pavel Daniluk und Irène Friedli mit ihren Interpretationen ganz besonders zu begeistern vermochten. Gun-Brit Barkmin sang erneut die Rolle der Marie, diesmal stimmlich etwas schriller und exaltierter als vor knapp fünf Jahren, oftmals die Schmerzgrenze des Ohrs streifend, aber überwältigend in ihrer Darstellung.

Neu hinzugekommen ist der Doktor von Jens Larsen, die wohl beängstigendste Figur der Oper, welcher der grossartige Bassist der Komischen Oper Berlin nichts an Dämonie und Menschenverachtung schuldig blieb. Neu besetzt sind auch der Tambourmajor mit Daniel Brenna, sicher nicht nur im stimmlichen Ausdruck, sondern auch mit bestechender darstellerischer Sicherheit auf dem schmalen Steg agierend und der kumpelhaft und einnehmend gestaltende Andres von Iain Milne. Als Mariens Knabe machte Braulio Camarena mit seinen zarten Hopp-hopp-Rufen auf sich aufmerksam – der Sohn des grossen Belcanto-Tenors Javier Camarena in den Fussstapfen des Papas?

Und neu ist auch der Dirigent dieser Wiederaufnahmeserie: Hartmut Haenchen gibt mit diesem herausragenden Dirigat sein Debüt am Opernhaus Zürich mit einer zupackenden, präzisen, wo nötig auch wuchtig aufrüttelnden Lesart der genialen Partitur. Es ist zu hoffen, dass dieser exzellente Dirigent auch für andere Produktionen ans Haus zurückkehren wird. Die Philharmonia Zürich spielte die unglaublich starken Zwischenspiele mit bestechender Sauberkeit, Luzidität und eben auch Sinnlichkeit. Wer's schon 2015 gesehen hat, darf gerne nochmals hingehen, wer's damals verpasst hat, sollte dies unbedingt tun!

Musikalische Leitung Hartmut Haenchen Inszenierung Andreas Homoki Ausstattung Michael Levine Kostümmitarbeit Meta Bronski Lichtgestaltung Franck Evin Choreinstudierung Janko Kastelic Dramaturgie Kathrin Brunner

Wozzeck: Christian Gerhaher

Tambourmajor: Daniel Brenna

Andres: Iain Milne

Hauptmann: Wolfgang Ablinger-Sperrhacke

Doktor: Jens Larsen

1. Handwerksbursch: Pavel Daniluk

2. Handwerksbursch: Cheyne Davidson

Der Narr: Martin Zysset

Marie: Gun-Brit Barkmin

Margret: Irène Friedli

Mariens Knabe: Braulio Camarena

Ein Bursche: Tae-Jin Park

 

Premierenkritik von 2015

 

.. und es gibt sie also doch noch, diese magischen Momente des Musiktheaters, diese Abende in der Oper, bei denen einfach alles stimmt, bei denen Text, Musik, Sängerinnen und Sänger, Orchester, Dirigent, optische und szenische Umsetzung, inklusive der Technik und des Lichts, eine Einheit bilden, alle involvierten Künste bruchlos zueinander finden, berühren, bewegen, ergreifen: Diese Neuproduktion von Alban Bergs WOZZECK am Opernhaus Zürich ist ein solches Ereignis! Eine Aufführung, welche man sich besser, exemplarischer kaum vorstellen kann, eine Produktion, die in sich dermaßen stimmig ist, dass sie die Qualitäten zur Referenzaufführung dieses Werkes in sich birgt!

Wo also mit der Würdigung beginnen, wenn doch alle Beteiligten auf gleichermaßen höchstem Niveau Außerordentliches geleistet haben? Versuchen wir es einmal mit dem Optischen: Der Ausstatter Michael Levine hat ein gigantisches Puppentheater auf die Bühne des Opernhauses zimmern lassen, mit sechs nach hinten ansteigenden und sich verengenden Ebenen, welche sich horizontal und vertikal schließen und sogar in Schräglage bringen lassen, ein Bühnenbild also, welches die Handlung kommentierend mitspielt, mit lautloser Präzision Räume freigibt und wieder schließt (anscheinend mit einer Ausnahme, welche jedoch niemandem aufgefallen ist).

Diese Holzrahmen sind flüchtig mit gelber Farbe bestrichen, einer Farbe, welche positive wie negative Assoziationen hervorruft, einerseits ist sie die Farbe der Erleuchtung und der Kreativität, anderseits symbolisiert sie Gift, Eiter, Galle, Neid und Eifersucht. Die technisch ausgeklügelte, die surrealen Effekte verstärkende und untermalende Beleuchtung stammt einmal mehr vom genialen Lichtdesigner Franck Evin. Ins Auge stechen auch die Kostüme, diese schmutzigen, ärmlichen, großkotzigen Kleider, welche an Figuren aus Hugos LES MISÉRABLES erinnern, einem Werk, das historisch in der selben Zeit angesiedelt ist wie Büchners Dramenfragment (die Kostüme stammen ebenfalls von Michael Levine und seiner Assistentin Meta Bronski). Der Regisseur Andreas Homoki lässt nun die Oper Bergs auf dieser Bühne als groteskes Puppentheater spielen, was insofern Sinn macht, als sowohl im Stück als auch im traditionellen Puppentheater namenlose Prototypen auftauchen. Sind es im Puppentheater Großmutter, Wachtmeister, Teufel, Prinzessin und Krokodil, so sind es bei Büchner/Berg Hauptmann, Doktor, Tambourmajor, Handwerksburschen, Narr und Knabe. Homoki lässt die eindrückliche Bühne dabei mit einer Virtuosität (gar Akrobatik wird von den Darstellern abverlangt) und Genauigkeit im gestischen Ausdruck sondergleichen bespielen.

Man spürt deutlich, dass es sich hier bei allen um Getriebene handelt, getrieben von ihren Ängsten und daher fremdbestimmt, eben so wie auch die Puppen im Kasperletheater fremdbestimmt sind und von unsichtbaren Mächten geführt werden. Oft sieht man nur die Oberkörper der Protagonisten und (des vortrefflich agierenden Chors und Statistenvereins) und doch erreicht Homoki zusammen mit dem erwähnten Einbezug des agierenden Bühnenbildes eine wahrlich packende Intensität der Handlung, eine Spannung, welche in ihren Bann zieht und die 100 Minuten der drei pausenlos gespielten Akte mit ihren 15 Szenen wie eine albtraumhafte Wanderung durch die Ebenen menschlicher Abgründe im Flug vergehen lässt. Was gäbe es da nicht alles aufzuzählen an wunderbar subtil herausgearbeiteten Details in der Personenführung, an erhellendem, expressivem Sarkasmus, an genauer Charakterisierung der Personen unter der oberflächlichen Schicht der grotesken Maske. Jede Aktion, jede Regung, jeder Gedanke ist glasklar auf den Text und dessen musikalische Ausdeutung abgestimmt, so haarfein und intelligent durchdacht, dass man es sich eben gar nicht mehr anders vorstellen kann, genau so wie es der Interpret des Wozzeck, Christian Gerhaher, anlässlich der Premierenfeier in Worte gefasst hat. Wenn man im Audiobereich von Referenzaufnahmen spricht, so erreicht diese Produktion den Status der Referenzaufführung und es ist zu hoffen, dass diese Produktion auf einer silbernen Scheibe für die Nachwelt (und uns) festgehalten werden wird.

In einem Interview hat der Dirigent Fabio Luisi gesagt, dass er sich eine neue Opernpartitur (und der WOZZECK hier in Zürich war für ihn neu) vom Text her erschließe. Das hört man den ganzen Abend hindurch am Musizieren der Philharmonia Zürich unter seiner Leitung. Welch eine Luzidität, welch eine fantastische Transparenz des Klangbilds, welch eine Sinnlichkeit ist da zu hören, die man bei Berg eigentlich gar nicht vermutet hätte. Nicht nur in den berühmten Zwischenspielen und Überleitungen brilliert das Orchester, sondern auch in den farbigen, mit bestechender Präzision gespielten und dynamisch fantastisch ausbalancierten Kommentaren zu den gesungenen Textstellen.

Die Besetzung ist ausnahmslos grandios, ja sie bewegt sich auf einem geradezu überwältigenden Niveau. Alle Sängerinnen und Sänger gestalten ihre schwierigen Partien mit einer hervorragenden Textverständlichkeit und einer feinfühligen Durchdringung der entsprechenden Rolle. Christian Gerhaher singt die umfangreiche Partie des Wozzeck mit einer dermaßen souveränen Selbstverständlichkeit, einer fein austarierten, differenzierten Genauigkeit, dass man es kaum glauben kann, dass es sich um ein Rollendebüt handelt. Seinen lyrischen Bariton lässt er mit zu Herzen gehender Wärme strömen. Als Marie brilliert Gun-Brit Barkmin mit ihrem ausdrucksstarken Sopran, durchschreitet mit subtil abgestufter Kraft alle Gefühlsregungen dieser Frau, vom sexuell aufgeladenen Begehren, dessen ekstatischer Erfüllung zur schuldbewussten Reue. Einen Höhepunkt ihrer Leistung stellt die Bibelszene (Akt III, Szene 1) dar, mit den durch Mark und Bein gehenden „Heiland-Rufen und der Erzählung vom Kind, das keinen Vater und keine Mutter hatte.

Das Kind tritt übrigens erst am Ende auf, wenn es das„Hopp, hopp“ zu singen hat (Alessandro Reinhart singt das mit bestechender Klarheit) und spielt mit der Puppe, die vorher das Kind symbolisiert hat. Die ebenfalls hervorragend genau singenden Kinder des letzten Bildes sind übrigens kostümiert wie die Erwachsenen des Stücks: Die traurige Geschichte der Underdogs und Getriebenen wird sich fortsetzen! Mauro Peter gibt mit wunderschöner Tongebung den stets optimistisch-sorglosen Andres. Die Besetzung der namenlosen, aber für das Verständnis des Stücks so wichtigen Prototypen (Hauptmann, Doktor, Tambourmajor, Narr, Handwerksburschen) ist ebenfalls atemberaubend gut. Als Hauptmann ersingt sich Wolfgang Ablinger-Sperrhacke einen gewaltigen Erfolg, meistert den riesigen Stimmumfang der Partie mühelos. Lars Woldt gestaltet einen hervorragenden Doktor mit seinen eitlen Selbstüberschätzungen, seiner gewaltigen Hochnäsigkeit. Brandon Jovanovich ist schlicht eine Idealbesetzung für den testosterongesteuerten Tambourmajor, ein tumber, eingebildeter Sexprotz mit sicher geführtem Heldentenor. Pavel Daniluk, Cheyne Davidson (Handwerksburschen), Martin Zysset (Narr) und Tae-Jin Park (ein Bursche) tragen mit ihren präzise ausgestalteten Interpretationen viel zum Gelingen der Aufführung bei, ebenso wie Irène Friedli als Margret, welche mit ihrem komischen Talent einmal mehr umwerfend (in diesem Falle: umfallend) gut ist.

Fazit: Keine Angst vor der Musik Alban Bergs, liebe Besucherinnen und Besucher. Diese Produktion zeigt eindrücklich, weshalb WOZZECK als DAS Meisterwerk des 20. Jahrhunderts angesehen wird. Ein Triumph für die Oper Zürich und ihren Regie führenden Intendanten Andreas Homoki.

 

Kaspar Sannemann, 10.2.2020

Bilder (c) Monika Rittershaus

 

 

 

TANNHÄUSER

23.03.2019

 

TRAILER (11 Minuten)

 

Man könnte sich mal wieder kurz fassen und schreiben: Schön laut war's, das Publikum war begeistert und feierte die Ausführenden frenetisch. Doch wollen wir es dabei nicht belassen und etwas Differenzierung hereinbringen, Differenzierung, die bei dieser Wiederaufnahme eindeutig fehlte. Sicher, eine TANNHÄUSER-Aufführung im Dauerforte verfehlt den Effekt nicht, vermag aber weder zu bewegen noch in die Tiefe der Charaktere einzudringen, sondern ermüdet zusehends Ohr und Gemüt. Das beginnt schon im Graben, wo der Philharmonia Zürich vom Dirigenten Axel Kober keinerlei Zurückhaltung auferlegt wurde.

Immerhin spielt und bläst das Blech sauber, deckt jedoch meistens alle anderen Orchesterstimmen zu – und oft auch die aussergewöhnlich stimmstarken Sängerinnen und Sänger auf der Bühne. Axel Kober bevorzugt ziemlich zügige Tempi, was per se der Oper gar nicht mal so schlecht bekommt. Aber wie erwähnt leidet darunter die Differenzierung, die dynamische Abstufung. Nur selten hält man bei einer gehaltvollen Phrase der Celli inne, ansonsten wird vorwärtsgedrängt, in stürmischer Lautstärke. Für die Titelrolle wurde DER Wagner Heldentenor unserer Tage aufgeboten, Stephen Gould. Er hat mit der anforderungsreichen Partie natürlich keine Schwierigkeiten, seine Stimme scheint punkto Volumen und Kondition keinerlei Begrenzungen zu kennen. Da sind manchmal hammermässige Phrasen zu hören, die einen vor Ehrfurcht niederknien lassen, so z.B. das Allmächt'ger dir sei Preis! Hehr sind die Wunder deiner Gnade nach der Verwandlung im ersten Akt, oder die berührend gestaltete Begegnung mit Elisabeth in der Wartburghalle (hier ein TV Studio für die Casting Show "Thüringen sucht den Super-Minnesänger"). Und natürlich muss man keinen Moment bangen, dass Gould für die Romerzählung nicht genügend Reserven hätte, die ist überaus packend gestaltet.

Dazwischen gab es aber auch bei ihm viel Kraftprotzerei, manchmal auch mit leichter Trübung der Intonation. Lise Davidsen debütierte in der Rolle der Elisabeth. Vielleicht mag (neben dem Dirigat) auch eine gewisse Nervosität daran schuld gewesen sein, dass sowohl die Hallenarie als auch das Gebet im dritten Akt viel zu laut gesungen wurden. Vor allem der Beginn des Gebets war kein Flehen mehr, sondern ein wutentbrannter Aufschrei gegen die heilige Jungfrau. Kann man natürlich machen, aber passt das auch zur Rolle? Jedenfalls musste ich mir zu Hause auf youtube gleich mal Grümmer, Janowitz, Jessye Norman und Birgit Nilsson anhören, um mich davon zu überzeugen, dass all diese Interpretinnen das Gebet mit in sich ruhender Empfindsamkeit eröffneten. Bei der Hallenarie kann man die stimmliche Exaltiertheit noch eher entschuldigen, auch wenn sie für meinen Geschmack zu herausgebrüllt erklang. Allerdings, und das muss man Lise Davidsen zugute halten, macht ihre Stimme dies alles problemlos mit, zeigt keinerlei Brüche – und tatsächlich findet sie (zu selten) auch zu berückenden Piani. Herrlich schwingt sich ihre Stimme im Finale II über die Männer, doch leider decken Kober und die Philharmonia Zürich auch diesen tollen Effekt beinahe zu. Als einer der wenigen an diesem Abend versuchte Stephan Genz als Wolfram von Eschenbach etwas liedhafte Gestaltung in den Gesang zu bringen. Leider machte seine Stimme das alles nicht mit, bröselte in den Piani weg, wurde in der Höhe dünn und farblos.

Die Erklärung dafür folgte zu Beginn des Schlussaktes, als er sich wegen einer Pollenallergie ansagen lassen musste. Dankenswerterweise hielt er den dritten Akt tapfer durch und man möchte ihn gerne mal mit dem O du mein holder Abendstern im Vollbesitz seiner Kräfte hören. Tanja Ariane Baumgartner bestritt mit der Venus ein Rollen- und Hausdebüt. Endlich, muss man sagen, denn diese Mezzosopranistin begeistert restlos mit ihrer fulminant geführten Stimme, samten und erotisch schmeichelnd, dann wieder trotzig Tannhäusers Wunsch nach Befreiung aus den erotischen Fesseln des Venusbergs widersprechend und wunderbar mit grossem Atem auftrumpfend in Nur Helden öffnet sich mein Reich und am Ende des dritten Aktes mit Zu mir! O komm! Auf ewig sei nun mein! Hoffentlich wird man diese wunderbare Interpretin vermehrt in Zürich erleben dürfen. Herausragend gestaltet Mika Kares den Landgrafen, balsamisch strömt sein herrlich timbrierter Bass, exemplarisch in Diktion und Phrasierung. Seine einfühlsamen Worte an die Tochter Noch bleibe denn unausgesprochen – zum Dahinschmelzen. Die Minnesänger wurden von Iain Milne (Walther von der Vogelweide, für ihn wurde in die Tannhäuser-Fassung von 1875 noch das Lied im zweiten Akt eingeschoben), Ruben Drole (Biterolf), Martin Zysset (Heinrich der Schreiber) und Stanislav Vorobyov (Reinmar von Zweter) sehr solide interpretiert. Sen Guo sang den jungen Hirten (hier eine Krankenschwester) mit wunderbar lichtem Sopran, auf der Bühne von einer zweiten Krankenschwester traumhaft schön begleitet, nämlich von Risa Soejima mit dem Englischhorn.

Und damit wären wir bei der Inszenierung durch Harry Kupfer, die vor acht Jahren Premiere gefeiert hatte – und in den ersten beiden Akten immer noch nicht überzeugt. Das Hantieren der Minnesänger mit den E-Gitarren auf dem Golfplatz war geradezu peinlich und lächerlich – eine Altherren Rockband, die nochmals zusammen finden soll oder was? Näheres kann man bei meiner Besprechung von 2011 nachlesen .Sehr gelungen jedoch die Führung des exzellent singenden Chors und Zusatzchors, sowie der SoprAlti der Oper Zürich (Einstudierung: Ernst Raffelsberger). Zum Glück gibt es dann ja noch den dritten Akt. Und hie rüberzeugtt das Bühnenbild von Hans Schavernoch restlos. Diese Bahnhofshalle ist der ideale Ort für die Rückkehr der Pilger, das vergebliche Warten Elisabeths auf Tannhäuser, das Defilé der Geistlichen mit dem Papst und seinem ergrünenden Stab, das Ende Wolfgangs im Stroboskop-Gewitter, die Gitarre Tannhäusers an sich pressend. Das ist wirklich Klasse gemacht. Immerhin ein versöhnliches Ende eines überlauten Abends. Aber wie erwähnt, das Publikum tobte vor Begeisterung.

 

Kaspar Sannemann 24.3.2019

Bilder (c) T & T Fotografie / Suter & Dorendorf

 

 

 

 

 

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