DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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 THEATER FREIBERG

www.mittelsaechsisches-theater.de

 

 

 

Francis Poulenc:

Die menschliche Stimme.

Arvo Pärt:

Te Deum

Besuchte Vorstellung: 28. April 2022

Es ist nicht nur eines der ältesten, sondern auch eines der kleinsten Stadttheater Deutschlands und bisher ein echter „Geheimtipp“. Das Mittelsächsische Theater Döbeln / Freiberg hat sich in den vergangenen Jahren unter der Intendanz von Ralf-Peter Schulze durch anspruchsvolle Inszenierungen großer Opern einen Namen gemacht. Mit bemerkenswertem Mut widmete man sich dabei den Werken des 20. Jahrhunderts, auch abseits des üblichen Kanons. Getragen wurden diese durch ein starkes Sängerensemble. Die „Primadonna assoluta“ des Hauses, Leonora del Rio, beschrieb der Berliner Musikkritiker Dieter David Scholz als „Glücksfall“ für das Haus, „mit großer Gesangskultur, mit betörenden Tönen, auch leisen, mit erfreulicher Wortverständlichkeit… und darstellerischer Noblesse“. Dass sie sich nach über zehn Jahren zum Ende der Spielzeit verabschieden wird, ist für das Theater ein Verlust. Ob als Marschallin, Mimi, Arabella, Madeleine di Coigny oder Giorgietta – immer wieder vermochte es die die Sängerin mit argentinischen Wurzeln mit ihrem wandlungsfähigen Sopran und eindringlicher Verkörperung unterschiedlicher Bühnenfiguren das Publikum zu berühren.

 

 

Zu den anspruchsvollsten Rollen des gesamten Opernrepertoires dürfte die Rolle der „Frau“ in dem 1959 uraufgeführten letzten Bühnenwerk von Francis Poulenc „Die menschliche Stimme“ gehören. In der vierzigminütigen „Monooper“ konzentriert sich alles auf die einzige auftretende Person, die ein Telefongespräch führt. Der Geliebte am anderen Ende der Telefonleitung hat sie offenkundig vor wenigen Tagen verlassen. In einem emotionalen Ausnahmezustand zwischen Hoffnung und Verzweiflung sowie durch Manipulation versucht sie, ihn zurückzugewinnen. Das stellt immense Anforderungen an die Sängerin, die idealtypisch zugleich Schauspielerin und Tänzerin sein sollte. In der Konzentration auf die einzige Bühnenfigur ohne eine äußere Handlung gilt es, ausschließlich durch die Musik und Darstellung, einen Spannungsbogen zu entwickeln und zu steigern. Dabei muss die Sängerin nicht nur diese unterschiedlichen Gefühlslagen vermitteln, sondern zugleich auch die Reaktionen der nicht sicht- und hörbaren Gesprächspartner am anderen Ende der Telefonleitung spiegeln: des Geliebten, eines „Fräulein vom Amt“, die die Verbindung immer wieder herstellt oder unterbricht und darüber hinaus noch einer zufällig in die Leitung geratenen unbekannten Frau, die sich kommentierend in das Gespräch einschaltet.

 

 

Die kleine Bühne unterstützt die Konzentration auf das Wesentliche. Sie wird durch vier Säulen und eine modern anmutende Liegecouch dominiert. Ein Viereck, das ein Fensterkreuz andeutet, dessen Größe sich verändert und welches keinen Blick nach außen ermöglicht, verstärkt eine klaustrophobische Atmosphäre. Ein Geflecht von Telefonschnüren, in denen sich die Protagonistin verfängt, fesselt oder festhält und zeitweilig eine Schale, in der Briefe oder sinnbildlich für Erinnerungen stehende Papiere verbrannt werden, bilden die einzige Ausstattung. Lichteffekte verstärken die Stimmungsschwankungen. Auf die Säulen projizierte Wasserbewegungen assoziieren Suizidgedanken.

Die Handlung setzt mit der durch Störungen beeinträchtigten Herstellung einer telefonischen Verbindung ein, die zu dieser Zeit üblicherweise noch durch ein „Fräulein vom Amt“ handvermittelt wurde. Das anfangs noch durch vordergründiges Geplänkel und banale Schutzbehauptungen dominierte Gespräch eskaliert im Verlauf der Dreiviertelstunde zusehends. Die räumliche Entfernung ermöglicht zunächst ein gegenseitiges Versteckspiel, das sich jedoch nicht lange aufrechterhalten lässt. Bald ist von einem Suizidversuch die Rede. Der Ausgang des Gesprächs bleibt offen.

Das durch den Ersten Kapellmeister José Luis Gutiérrez geleitete Orchester der Mittelsächsischen Philharmonie bildet zwischen nervöser Spannung, geradezu zärtlichen Tönen, Pausen und expressiven Ausbrüchen einen Seelenraum aus unterschiedlichen Klangfarben, in dessen Zentrum sich die Sängerin bewegt. Die Klangsprache erinnert an die zwei Jahre zuvor, 1957, uraufgeführten „Dialoge der Karmeliterinnen“. In seiner Einführung in das Werk weist Christoph Nieder im Programmheft auf das Verbindende beider Opern hin. Die Zerbrechlichkeit des Menschenlebens bildet sowohl in den „Dialogen der Karmeliterinnen“ als auch in der „Menschlichen Stimme“ das untergründige Thema. Angst, Verzweiflung und Hoffnung, die sich in der großen Nonnen-Oper auf drei Charaktere verteilen, werden hier in der einzigen Rolle zusammengeführt. An die Protagonistin dieser Oper stellt diese Komprimierung gegensätzlicher Seelenzustände höchste Anforderungen. In den Worten der Regisseurin Arila Siegert: „Sie muss fast sprechen, hauchen, muss auch das dreigestrichene C singen, also hochdramatische und technisch schwierige Momente zeigen… Sie muss von einem Zustand in den anderen, oft nur 2-3 Takte, transformieren.“

Es ist ein Erlebnis, wie es Leonora Weiß-del Rio gelingt, diesen „musikalisch-expressiven Parforceritt von höchster Expressivität“ zu meistern. Selbst über den gelegentlichen Ausbrüchen des Orchesters klingt ihr Sopran kultiviert und textverständlich. Da in dem Freiberger Theater keine Projektion des Librettos möglich ist, erleichtert dies nicht unwesentlich den Zugang zum Geschehen auf der Bühne. Auf diese Weise erschließt sich die Einheit von Musik, Text und Körpersprache.

Angesichts Bühnenpräsenz der Sängerin, die Raum erfüllt und sich auf das Publikum überträgt, hätte es nicht zwingend der Ergänzung durch ein Tänzerpaar bedurft. Die Regisseurin und Choreographin Arila Siegert, eine Schülerin der legendären Gret Palucca, fügt in ihrer Interpretation des auf eine Person fokussierten Werkes den inneren Widerstreit zwischen einer männlichen Verkörperung des Todes (Lorenzo Malisan) und der weiblich dargestellten Seele (Aya Sone) hinzu. Sie spiegeln das Innenleben der Protagonistin zwischen Ängsten, Resignation, Todessehnsucht und Hoffnung. Dabei gelingt es den Tänzern, kommentierend zu wirken und emotionale Akzente zu setzen. Anders als bei dem etwas in Mode gekommenen Einsatz von Tänzern in Opern, unterstützt diese Interpretation den emotionalen Gehalt des Werkes und wirkt nicht aufgesetzt. Als die „Seele“ die Sängerin mit vermeintlich körperlichem Einsatz zurückhält, sich in den gut besetzten Orchestergraben zu stürzen, merkt man, wie dem Publikum der Atem stockt.

Im kleinen Theater von Freiberg wurden offenbar noch im Zusammenhang mit den coronabedingten Einschränkungen Tische im Zuschauerraum aufgestellt, an denen jeweils drei Personen Platz finden konnten. Ein freundlicher Mitarbeiter des Theaters, der meine Karte für die ursprünglich in Döbeln geplante Premiere problemlos umtauschte, erläuterte es so: „Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in Paris auf dem Montmartre und lauschen den Musikern“. Glücklicherweise lud diese unkonventionelle Sitzordnung nicht zu einer Lockerung der Disziplin ein. Das Publikum folgte der Handlung mit angehaltenem Atem und benötigte nach dem Ende der Oper Zeit, um sich zu sammeln.

Für Aufführungen im Döbelner Theater hatte man sich aus logistischen Gründen entschieden, das Werk mit einer anderen Kurzoper, der opera buffa „Telefon“ von Gian Carlo Menotti, zu verbinden. In Freiberg erfuhr der Abend in der direkt gegenüberliegenden Nikolaikirche seine Fortsetzung mit dem aufwendig besetzten Te Deum von Arvo Pärt. Als inhaltliche Klammer der beiden unterschiedlichen Werke wird im schön gestalteten und informativen Programmheft der „Übergang der individuellen zur universalen Liebe“ genannt. Das Te Deum bilde ein „ins Transzendente erweitertes stimmliches Requiem“. Es gibt eine erstaunlich Parallele im Leben und Schaffen der beiden Komponisten, in deren Oeuvre geistliche Werke einen wichtigen Platz einnehmen. Im Alter von 37 Jahren wandte sich Poulenc dem katholischen Glauben zu; der in Estland geborene Pärt trat exakt im gleichen Lebensjahr der Russisch-Orthodoxen Kirche bei.

Das halbstündige Te Deum für drei Chöre, Klavier, Streichorchester und Tonband vereinigte den Opernchor des Mittelsächsischen Theaters, den Max-Klinger-Kammerchor Leipzig, den A-capella Kammerchor Freiberg und Mitglieder des Jugendchores „Voice Dance“ mit der Mittelsächsischen Philharmonie zu einem homogenen Klangerlebnis.

 

 

Die Inspiration für das 1984 im Auftrag des Westdeutschen Rundfunks komponierte Werk bildete nach den Worten des Komponisten das Panorama einer Bergkette, deren unterschiedliche Tönungen der Farbe Blau er in Töne setzen wollte. Dabei bediente er sich des von ihm in der Mitte der siebziger Jahre entwickelten sogenannten „Tintinnabuli-Stils“ – ein eigenes harmonisches System, dessen Bezeichnung sich von dem lateinischen Begriff für Glöckchen ableitet.  Dieser von der mystischen Erfahrung des Kirchengesangs geprägte Stil vermittelt seinem langsamen Aufbau eine meditative Stimmung. Das Werk baut auf einem Glockenklang auf; elektronisch aufgenommene und bearbeitete Töne einer Windharfe, deren Saiten aufgrund des hindurch strömenden Windes vibrieren, verstärken dessen Wirkung.

Der Klang der in diesem Stil komponierten Werke Pärts zieht den Zuhörer unmittelbar in seinen Bann. Von CD im heimischen Wohnzimmer kann er mit der Zeit allerdings auch ermüdend wirken. In der mustergültigen Interpretation, die durch die Akustik des Kirchenraumes mit seinem Nachhall eine besondere Wirkung erfuhr, wurde das Te Deum zu einer Offenbarung. Es bildete den beeindruckenden Abschluss eines außergewöhnlichen Opernabends.

Wie wird es mit dem Mittelsächsischen Theater unter der neuen Intendanz weitergehen? In der kommenden Spielzeit setzt es mit „Rigoletto“ und den „Lustigen Weibern aus Windsor“ eher auf Bekanntes und Bewährtes sowie die „Heitere Muse“. Mut bei der Spielplangestaltung birgt immer auch das Risiko eines schwer einzuschätzenden Zuspruchs durch das zahlende Publikum. Aufwendige und anspruchsvolle Produktionen werden sich angesichts des überschaubaren Einzugsgebiets sowie der geringen Platzkapazitäten in den beiden Häusern und der geringen Einnahmen aus dem Kartenverkauf immer schwerer realisieren lassen. Andererseits gibt es dennoch Enthusiasten, für die die Perlen in den Spielplänen eine Anregung für einen Kurzurlaub vor Ort bilden.

Eine gute Idee kann zur Nachahmung empfohlen werden. Das Spielzeitbuch für 2022/23 wurde in einen sinnvoll gestalteten Kalender integriert, der als täglicher Begleiter nützlich sein kann. Für einen geringen Obolus an der Theaterkasse verkauft, ist er wesentlich sinnvoller als die in einigen Opernhäusern immer noch verbreiteten unhandlichen Folianten mit vielen Bildern und wenigen Informationen.

Michael Rudloff, 3.4.22

Bilder (c) Theater Freiberg

 

 

Das Telefon/ Il Tabarro

Premiere: 02.10.2021

Paarbeziehungen am Fluss

Lieber Opernfreund-Freund,

gleich zwei Kurzopern hatten gestern in Freiberg Premiere. Das Opernensemble des Mittelsächsischen Theaters stellt in seiner ersten Premiere der neuen Spielzeit Puccinis Mantel dem Telefon von Giancarlo Menotti zur Seite. Ralf-Peter Schulze gelingt in seiner letzten Spielzeit als Intendant dabei ein packender Musiktheaterabend in der dem Theater gegenüber liegenden Nikolaikirche, der nicht nur mit eindrucksvollen Bildern überzeugt.

Auf den ersten Blick haben Puccinis wahrscheinlich düsterste Oper Il Tabarro und Menottis nur 25 Minuten dauerndes Telephone(in Freiberg wird es auf Deutsch gesungen) wenig Gemeinsamkeiten. Schulze lässt Menottis Kurzoper aber an einem Fluss spielen und schafft so den Link zum Drama um den Seineschiffer Michele und seine Frau Giorgetta. Dazu hat ihm Tilo Stadte einen täuschend echt wirkenden Überseecontainer auf die Bühne der Nikolaikirche gestellt, der scheinbar an einem Haken hängt und dadurch fast etwas Leichtes hat. DochLeichtigkeit ist es nicht, was Puccinis Tabarroprägt; vielmehr teilen alle Protagonisten ein hartes Los, sei es bei der knochenaufreibenden Arbeit als Hafenarbeiter oder als desillusionierte Frau an der Seite eines alten Patriarchen, die allzufrüh das gemeinsame Kind und damit jede Hoffnung auf Glück verloren hat. Das glaubt sie im Löscher Luigi zu finden, plant gar eine Flucht zusammen mit ihm. Doch Michele wittert den Plan und vereitelt ihn auf grausamste Weise. Giorgetta fügt sich nach dem Mord an ihrem Geliebten offenbar wieder in ihr Schicksal und lässt sich von ihrem despotischen Mann regelrecht in ihr altes Leben abführen. Das ist nicht das einzige starke Bild, das Schulze mit seiner stringenten Erzählweise gelingt: die geschundenen Arbeiter, die nur durch Giorgettas Aufmerksamkeit ins Leben zu finden scheinen, sind ein anderes. 

Vor den starken Eindrücken von Puccinis Einakter, der aus seinem Trittico stammt, gerät am Ende des Abends die kleine Opera buffa, die den Abend eröffnet hat, fast in Vergessenheit. Ben hat seine Freundin Lucy zu einem Picknick geladen, um ihr einen Heiratsantrag zu machen. Doch die hängt pausenlos am Telefon, so dass der verzweifelt Werber selbst zum Hörer greift, um Lucy anzurufen und um ihre Hand zu bitten. Ein köstlicher musikalischer Schwank, den Menotti 1947 als Curtainraiser für sein Medium da ersonnen hat und in dem die hinreißende Lindsay Funchal ihren reinen Sopran voller strahlender Höhen ebenso präsentieren kann, wie ihr humorvolles Talent.

 

 

Der junge Bariton Uli Bützer legt die Partie des Ben fast zu liedartig an, macht aber fehlende Bühnenroutine durch komödiantisches Timing und große Spielfreude wett. Dazu verfügt er über einen klangschönen, farbenreichen Bariton, der Lust auf mehr macht.

 Dramatischer wird es – auch stimmlich – bei Puccini. Leonora Weiß-del Rio fügt ihrem weiten Repertoire eine weitere Facette hinzu, gestaltet die Giorgetta voller Inbrunst und Leidenschaft, satter Mittellage und immensem Ausdruck. Da kann das Theater sich glücklich schätzen, solch eine exquisite Sängerdarstellerin in den Reihen des Ensembles zu haben. Nicht ganz mithalten kann Frank Unger als Luigi. Die Partie scheint zu hoch für seinen an sich kraftvollen und strahlenden Tenor, in den gefühlvollen Passagen mit weniger Forte gefällt er mir da ausnehmend besser. Durch die Bank überzeugend ist Elias Han als Michele. Ihm gelingt mit seinem wuchtigen, durchdringenden Bassbariton das Kunststück, dem despotischen Schiffer so viel Seele einzuhauchen, dass er dem Publikum bisweilen fast sympathisch wird. Auch darstellerisch ist der aus Korea stammende Sänger eine Wucht, ist allein durch sein eindrucksvolles Auftreten schon Bedrohung. Überraschung des Abends ist für mich der junge Murilo Sousa,der den versoffenen Tinca ebenso überzeugend darstellt, wie den lyrisch-schmalzigen Liedverkäufer. Sein weicher Tenor ist eine Ohrenweide, sein Farbenreichtum macht Eindruck. Der Talpa ist beim samtenen Bariton von Grzegorz Rozkwitalski in den besten Händen, stimmlicher Gegenpart ist seine Frau Frugola, die von Dimitra Kalaitzi-Tilikidou mit saftigem Mezzo präsentiert wird. 

GMD Jörg Pitschmann spornt die Musikerinnen und Musiker der Mittelsächsischen Philharmonie, die im Telefon von der Pianistin Hui Won Lee virtuos unterstützt werden, zu Höchstleistungen an. Das Orchester ist hinter dem erwähnten Container platziert und lässt beim Puccini doch nichts von klanglicher Präsenz und orchestraler Wucht, bei Menotti nichts von musikalischem Witz und Esprit vermissen. Ein rundum empfehlenswerter Abend geht nach nur 80 Minuten zu Ende. Mir hat es so gut gefallen, dass ich gerne sitzen geblieben und das Ganz noch einmal erlebt hätte. Die Chance dazu haben nun aber Sie, lieber Opernfreund-Freund.

 

Ihr

Jochen Rüth

03.10.2021

 

Die Fotos stammen von Jörg Metzner.

 

 


Andrea Chénier

Premier: 27.04.2019

Große Oper am kleinen Theater

Lieber Opernfreund-Freund,

die Revolutionsoper Andrea Chénier des italienischen Komponisten Umberto Giordano ist seit dem vergangenen Wochenende am Theater Freiberg zu erleben. Dabei beweist das kleine Haus, das es durchaus in der Lage ist, großen Werken eine Bühne zu geben.

1896 fand er Mailänder Scala uraufgeführt, ist Andrea Chénier die einzige Oper des aus dem süditalienischen Foggia stammenden Komponisten Umberto Giordano, die auch heute noch ab und an den Weg auf die Spielpläne deutsche Theater findet. Das Werk erzählt, beginnend am Vorabend der Französischen Revolution auf dem Schloss der Grafen von Coigny, wie die Revolution ihre eigenen Kinder frisst, wie der Dichter Andrea Chénier vom Anhänger der Revolution zum Verfolgten wird. Der Poet, den es tatsächlich gegeben hat, 1789 noch glühender Verfechter ihrer Ideale, wird fünf Jahre später unter der Schreckensherrschaft wegen angeblich kontrarevolutionärer Zeitungsartikel angeklagt, in einem Schauprozess nur wenige Tage vor dem Sturz Robespierres zum Tode verurteilt und noch am gleichen Tag geköpft. Luigi Illica, der für seine intensive Zusammenarbeit mit Puccini bekannt ist und auch die Libretti zu dessen Bohéme, Tosca und Madama Butterfly verfasst hat, hat die historisch verbürgten Begebenheiten um eine Liebesgeschichte ergänzt, in der die Adelige Maddalena de Coigny Cheniér auf einem Fest in ihrem Elternhaus kennenlernt und ihn, nachdem ihre Familie ermordet wurde, 1794 auf den Straßen Paris wieder trifft. Die beiden gestehen sich ihre Liebe. Carlos Gérard, einst Diener im Hause Coigny und in Maddalena verliebt, ist zu einer Schlüsselfigur von La Terreur geworden und befeuert die Anklage gegen Chénier, kann aber die Hinrichtung nicht mehr verhindern, als er nach Maddalenas innigem Bitten (die Arie La mamma morta ist nicht erst seit der Verwendung der Callas-Interpretation im Film Philadelphia weltberühmt) deren aufrichtige Liebe zu dem Dichter erkennt. Maddalena nimmt daraufhin die Identität einer ebenfalls zum Tode verurteilten jungen Frau an und geht gemeinsam mit Andrea Chénier zur Guillotine.

Judica Semler habe ich als genau am Skript erzählende Regisseurin kennen gelernt. Umso erstaunlicher – und erfreulicher – fand ich die Ansätze ihrer Lesart im ersten Akt, in dem sie das Gebahren des Adels, der die Realität bis zum letzten Moment nicht erkennen mag, sondern die Welt lieber durch rosarote Brillen betrachtet, karikiert. Pracht und Prunk entstehen tatsächlich auf dem Rücken der Arbeiter und Bauern, die hinreißenden überzeichneten Kostüme von Annabel von Berlichingen sind da noch ein echter Hingucker. Auch die Idee, zwischen den Akten Texte des Dichters einzublenden und sie von Johann-Christof Laubisch vorlesen zu lassen, ist gut, wenn auch recht ausufernd umgesetzt, beleuchten sie doch die Hintergründe des Geschehens und ermöglichen dem Publikum einen guten Einblick in das Schaffen des hierzulande nur als Opernfigur bekannten Chénier. Doch leider hält Semler diesen augenzwinkernden und originellen Ansatz nicht konsequent durch, verfällt ab dem zweiten Bild erneut ins bloße Erzählen; zusätzlich verengen überflüssig erscheinende Aufbauten die ohnehin kleine Freiberger Bühne, „übliche“ Revolutionskostüme mit Dreispitz und allgegenwärtiger drapeau tricolore treten an Stelle des Karikaturesken – und das ist ein bisschen schade. Die Veränderung von der Revolutionsidee zur Schreckensherrschaft versinnbildlicht bis zum Schluss einzig eine Art kindlicher Marianne, deren anfangs blütenweißen Kleidchen am Ende blutbesudelt ist.

Das engagierte Freiberger Ensemble legt sich ins Zeug, um diese Geschichte musikalisch auf die Bühne zu bringen. Giordano hat hierzu ein paar Höllenpartien ersonnen, musikalischer Bombast und Klangrausch beschreiben die Orchestrierung der melodienreichen Partitur am besten. Im Graben spornt GMD Raoul Grüneis die Mittelsächsische Philharmonie an und legt das ganze Feuer von Giordanos Komposition frei, erweist sich aber bei den höchstschwierigen Arien als sensibler Begleiter der Sängerinnen und Sänger. In der Titelrolle trumpft Frank Unger mit tenoraler Wucht auf und bewältigt die Anforderungen der Partie, die sich fast ausschließlich in forte im Hohen Register bewegt, genau da. Mit den zarteren Passagen hat der Tenor, der Ende vergangener Spielzeit vom Ensemble in Annaberg-Buchholz nach Freiberg gewechselt ist, das eine oder andere Problemchen, begeistert aber mit engagiertem Spiel. Andrii Chakov hingegen ist ein völlig tadelloser Carlo Gérard, vereint in seiner Interpretation des Fieslings den jugendlichen Eifer seines frischen Baritons mit ausdrucksstarkem Volumen und wird so zum idealen Interpreten des idealistischen Revolutionärs. Alice Hoffmann ist eine präsente und miteißend spielende Contessa (diese Rolle war mir bisher in anderen Aufführungen kaum aufgefallen) und gehört für mich ebenso zu den Überraschungen des Abends wie der junge Jakub Kunath, der als Mathieu Eindruck macht und seine Figur bühnenpräsent und mit farbenreichem Bariton gestaltet. Elias Han ist ebenso eindrucksvoll als Fléville wie als Schmidt, während Johannes Pietzonka den Spitzel Incredibile mit einer Mischung aus Verschlagenheit und Intriganz zum Leben erweckt – und dazu noch vorzüglich singt. Sergio Raonic Lukovic gefällt mir in der kurzen Rolle von Chéniers Freund Roucher sehr gut, während die präsente und brillant darstellende Dimitra Kalaitzi-Tilikidou ihrer Bersi leider ein wenig Schärfe in der Höhe mitgibt.

Ensemblemitglied Leonora Weiß-del Rio debütiert als Maddalena de Coigny und präsentiert – hochschwanger und in ihrer letzten Vorstellung vor Mutterschutz und Elternzeit – eine überzeugende Interpretation, bewegt in der bereits erwähnten Arie über alle Maßen und zieht auch im großen Schlussduett noch einmal alle Register. Das Freiberger Ensemble wird hoffentlich nicht allzu lange auf diese Künstlerin verzichten müssen. Der Chor, von Peter Kubisch hervorragend einstudiert, präsentiert sich solide und fein aufeinander abgestimmt, die diversen, beherzt und überzeugend aufspielenden Chorsolisten komplettieren die umfangreiche Besetzungsliste. Das Publikum im voll besetzten Haus ist begeistert und ich hege die Hoffnung, dass sich die Qualität dieser Komposition und der künstlerischen Umsetzung am Mittelsächsischen Theater rasch herumspricht. Ich zumindest habe Ihnen, lieber Opernfreund-Freund, schon einmal davon erzählt…

 

Ihr Jochen Rüth 29.04.2019

Die Fotos stammen von Jörg Metzner

 

 


Gian Carlo Menottis

Der Konsul 

Premiere: 16.2.2019


besuchte Vorstellung: 20.4.2019

 

Lieber Opernfreund-Freund,

die erste abendfüllende Oper Der Konsul des italo-amerikanischen Komponisten Gian Carlo Menotti, Jahrgang 1911 und Lebensgefährte von Samuel Barber, ist derzeit am Mittelsächsischen Theater auf Deutsch zu erleben. Dank des engagiert aufspielenden Ensembles und der weitestgehend gelungen Regie von Hauschef Ralf-Peter Schulze wird der Abend ein eindrucksvoller Erfolg, der lange nachhallt.

Menottis dreiaktiges Werk, 1950 uraufgeführt, behandelt ein menschliches Drama, das in einem unterdrückten, von Spitzeln überwachten Staat spielt. Die junge Mutter Magda Sorel, deren Mann sich dem Widerstand angeschlossen hatte und in ein anderes Land geflohen ist, versucht, ein Visum für sich, ihr Kind und ihre Schwiegermutter zu bekommen, um dem Ehemann nachzureisen. Im Konsulat trifft sie auf Menschen, die wie sie verzweifelt auf eine Ausreise warten, aber immer wieder von der Sekretärin weggeschickt werden, weil noch Formulare und Papiere fehlen. Das mutet fast kafkaesk an, zumal die titelgebende Figur nie in Erscheinung tritt und sich alles ständig wiederholt. Magdas Kind stirbt letztlich über der Wartezeit, in der Magda wieder und wieder vorstellig wird und versucht, den Konsul zu sprechen. Auch ihre Schwiegermutter stirbt. Da erfährt Magda auf dem Konsulat, dass ihr Mann John zurückkommen will, wenn sie nicht nachkommen kann. Sie beschließt, nach Hause zu gehen und sich umzubringen, um wenigstens den Ehemann in Sicherheit zu wissen. Der Ehemann trifft nur Sekunden nach ihrem Verlassen im Konsulat ein und wird dort von der Geheimpolizei festgenommen. Magda sieht derweil zuhause sterbend noch einmal alle Figuren der Handlung an sich vorbeiziehen und hat nicht mehr die Kraft, den Anruf des Konsulats anzunehmen.

Beklemmend und aktuell sind die Themen des Werkes, zu dem der Komponist selbst das Libretto verfasst hatte. Menschenwürde, staatliche Überwachung, Flüchtlingsschicksal und Familiennachzug sind derzeit omnipräsent und doch nutzt Intendant Ralf-Peter Schulze den Abend nicht, um einen konkreten Zeitbezug herzustellen, lässt die Handlung zu einer nicht näher genannten Zeit an einem unbestimmten Ort spielen. Ganz als Opfer der Behördenwillkür zeigt er die weibliche Hauptfigur, die in den Mühlen des Formalismus zermahlen wird und letztendlich ihr Leben verliert. Dazu bespielt er die nüchterne Bühne, die Ausstatter Tilo Staudte ihm gebaut hat und die nur mit ein paar Stühlen bestückt ist und von meterweise Akten in den Schränken begrenzt wird, indem er die Personen stringent führt und episch auch vom großen Ganzen erzählt. So gelingt packendes Musiktheater at its best ohne Mätzchen und Tamtam. Leider erliegt Schulze in den beiden Traumszenen dann doch der Versuchung, diesen kühl erzählenden Pfad zu verlassen, und setzt allzu reichlich Nebelschwaden und Projektionen auf der Gaze ein, die es nicht gebraucht hätte. Das aber ist nur ein kleiner Wermutstropfen eines ansonsten wirklich großartigen Musikdramas, das Schulze da auf die Bretter des kleinen Freiberger Theaters bringt.

Dabei unterstützt ihn ein bestens disponiertes Sängerensemble. Allen voran möchte ich mich da vor Leonora Weiß-del Rio verneigen, die mich vom ersten Takt an packt mit ihrem immensen Ausdruck und der nicht nachlassenden Kraft. Die Intensität der Darstellung ist phänomenal, ihr wandlungsfähiger Sopran macht Gänsehaut und die Verzweiflung und das gleichzeitige Aufbäumen, das sie in das Finale des zweiten Aktes packt, drückt einen förmlich in den Sitz. Da sehe ich bald hochdramatischeres winken. Kalter Gegenpart an diesem Abend ist die wunderbare Dimitra Kalaitzi-Tilikidou, die mit klarem, eisigem Sopran die unnahbar wirkende Konsulatssekretärin gibt, im letzten Bild dann aber doch auch ihre menschlichen Züge entdeckt und zu mitreißendem Gefühl fähig ist. Sergio Raonic Lukovic gibt den Bösewicht der Geheimpolizei in bester Scarpia-Manier, mit durchschlagkräftig, in der Tiefe sattem Bariton und bedrohlichen, Angst einflößenden Zwischentönen, während Karin Goltz als John Sorels Mutter ein Erlebnis ist, so intensiv nimmt diese Künstlerin den Zuschauer mit bei ihrer Charakterstudie. Andrii Chakov formt den John Sorel mit klangschönem Bariton, während aus dem Quintett der ebenfalls im Konsulat Hoffenden – allesamt exzellent besetzt – der junge Peter Fabig mit weichem und geschmeidigem Bass und Johannes Pietzonka mit exzentrisch und kühn klingendem Tenor hervorstechen. Nicht unerwähnt lassen möchte ich auch Susanne Engelhardt, die in kurzen Auftritten als charmante Chansonsängerin überzeugt.

Im Graben hält Jörg Pitschmann die Fäden zusammen. Dabei mag man kaum glauben, dass er am gestrigen Abend zum ersten Mal die musikalische Leitung innehat, so versiert ist sein Umgang mit der Partitur, so sicher, präzise und gewandt legt er zusammen mit den Musikerinnen und Musikern der Mittelsächsischen Philharmonie Menottis Werk mit all seiner Schroffheit, seinen Ecken und Kanten und auch seinen balsamisch-sphärischen Zwischentönen frei. Wunderbar! Diese große Stück Musiktheater im Freiberger Haus ist uneingeschränkt empfehlenswert, nicht nur, weil es sich um eine der seltenen Gelegenheiten handelt, es einmal auf der Bühne zu erleben, sondern auch, weil der Abend zeigt, wozu auch kleine Häuser fähig sind, wenn sie in ihr Ensemble hineinhören. Dann ist bei der Stückauswahl auch einmal so ein As dabei. Also, lieber Opernfreund-Freund: Hin, wer kann! Es wir noch bis Ende Mai gespielt.

 

Ihr Jochen Rüth 22.4.2019

Die Fotos stammen von Jörg Metzner.

 

 

 

ARABELLA

Premiere am 18.03.2017

Große Oper an kleinem Theater

Lieber Opernfreund-Freund,

große Oper nur für die große Bühne? In Freiberg hat man sich gestern an die „Arabella“ von Strauss gewagt. Das Ergebnis ist zwar kein Sieg auf ganzer Linie, kann sich aber über weiter Strecken durchaus hören und sehen lassen.

Die ab Ende der 1920er Jahre entstandene Oper spielt Mitte des 19. Jahrhunderts in Wien, das Libretto stammt von Hugo von Hofmannsthal und markiert den Schlusspunkt der jahrelangen, insgesamt sechs Opernwerke umfassenden Zusammenarbeit mit dem großen Komponisten. Nur wenige Tage, nachdem er im Juli 1929 seine Schlussfassung des Schlussmonologs des ersten Aktes an Richard Strauss übersandt hatte, nahm der Tod dem Librettisten die Feder aus der Hand. Bis in den Herbst 1932 arbeitete Strauss an der klanglichen Umsetzung der „lyrischen Komödie“, die schließlich am 1. Juli 1933 in Dresden zur Uraufführung kam. Eines der Kernthemen der Oper ist das Vorspiegeln falscher Tatsachen: Die Waldners, eine einst wohlhabende Grafenfamilie, sind bankrott, logieren aber nach wie vor in einem Hotel in Wien und leben auf Pump. Da ihnen die finanziellen Mittel fehlen, beide Töchter mit adäquater Garderobe auszustaffieren, geben sie die jüngere Zdenka kurzerhand als Jungen Zdenko aus. Zdenkas Freund Matteo, der ebenfalls glaubt, dass sie ein Junge ist, ist verliebt in die ältere Schwester Arabella, die aber auch von drei Grafen umworben wird. Um Arabella reich zu verheiraten, hat der Vater ein Bild von ihr an einen alten Kriegskameraden geschickt. Statt seiner wird jedoch sein Neffe Mandryka vorstellig, der sich in das Portrait verliebt hat.

Auch Arabella schwärmt für den kroatischen Grafen, der trotz seines Geldes die einfachen Dinge liebt und den sie Tage zuvor zufällig auf der Straße gesehen hat, und sie nimmt seinen Antrag gerne an. Auf dem Ball am Faschingsdienstag bestellt Zdenka Matteo, den sie heimlich liebt, in Arabellas Zimmer, um ihn dort an deren Stelle zu erwarten. Mandryka wähnt, dass seine frisch Verlobte ihn betrügt und beschuldigt sie vor der versammelten Familie und den anderen Hotelgästen der Untreue. Erst als Zdenka zugibt, nicht Zdenko zu sein und die Scharade eingefädelt zu haben, löst sich alles in Wohlgefallen auf: Matteo und Zdenka verloben sich, Arabella reicht Mandryka nach einem Brauch aus seiner Heimat ein Glas Wasser als Zeichen ihrer Liebe und aufgrund des wohlhabenden Schwiegersohnes ist wohl auch der Haushalt der Waldners wieder ausgeglichen.

Dieses zentrale Thema der falschen Tatsachen zeigt Hausregisseurin Judica Semler direkt im ersten Bild. Das an sich feine Hotel verfügt zwar über eine imposante Freitreppe samt Galerie, die Zimmer aber sind karg und schmucklos. Kleidung und Ausstattung - beides lag in den Händen von Annabel von Berlichingen - weisen mit Pelzstolas und Art Deco-Elementen auf die Entstehungszeit der Oper hin und sind weitestgehend gelungen. Lediglich die arme Susanne Engelhardt hat die Kartenaufschlägerin in allzu klischeehafter Gewandung als Zigeunerin darzustellen und auch der Diener Mandrykas, der in Freiberg eher Leibwächter zu sein scheint, mag mit seinem Funkknopf im Ohr so gar nicht in die Szenerie passen. Judica Semler gelingt eine lebendige Inszenierung. Selbst den dritten Akt, der mir an manch anderem Haus schon recht lang wurde, belebt sie gekonnt durch Bespielung des Bühnenhintergrundes und stimmungsvolle Lichtwechsel. Am Ende steht eine stringente, schnörkellose Erzählung des verworrenen Plots ohne sinnschürfendes psychologisches Gedeutel.

Bis auf Jana Büchner, die als Fiakermilli die halsbrecherischen, nicht enden wollenden Koloraturen bravourös meistert, handelt es sich gestern ausschließlich um Rollendebüts. Leonora del Rio legt die Arabella wenig mädchenhaft an, glänzt mit sicherer Höhe und kraftvoll-warmem Sopran. Dabei ist sie da und dort durchaus zu feinem Piano fähig, das ich mir aber ein wenig öfter gewünscht hätte. Zum Beispiel im berühmten Duett mit Zdenka im ersten Akt läuft sie diesbezüglich zu Höchstform auf. Allein für diese Minuten hat sich der Weg vom Rhein an die Freiberger Mulde schon gelohnt, so genial passen die Stimmen der gebürtigen Argentinierin und Lindsay Funchal zusammen. Die gibt eine schlichtweg tolle Zdenka, zeigt ihren leichten Sopran erneut in den schillerndsten Facetten und spielt mitreißend. Hausbariton Guido Kunze legt mit seinem kultivierten Bariton den Mandryka weniger als bauernhaften Machertypen an, sondern als zwar protzenden, aber doch nach aufrichtiger Liebe suchenden, durchaus auch unsicheren Mann. Dabei meistert er die Partie seelenvoll und ohne merkliche Anstrengung. Ganz so überzeugend bringt Gastsänger Sebastian Fuchsberger den Matteo nicht über die Rampe. Die Höhen klingen doch recht angestrengt, so sehr, dass sein Spiel regelrecht hölzern wirkt. Sergio Raonic Lukovic legt den Fokus auf die komödiantischen Anteile seiner Figur des Grafen Waldner und wird dabei rhythmisch unsauber, Barbora Fritschers Mezzo passt gut zu seiner Frau Adelaide. Aus dem Trio der Verehrer ragt das neue, aus Korea stammende Ensemblemitglied Elias Han als Graf Dominik mit imposantem Bariton voller Kraft heraus. Der kleine Opernchor meistert seine Aufgabe und wurde von Tobias Horschke und Peter Kubisch betreut.

Für das Orchester schreibt Richard Strauss für seine Verhältnisse vergleichsweise wenige Musiker vor, aber immer noch mehr als die Mittelsächsische Philharmonie stellen kann. Dennoch tönen durchaus Strauss’sche Klänge aus dem Graben, die aber mit denen in Dresden oder München natürlich nicht vergleichbar sind. Das müssen sie in diesem kleinen Haus aber meiner Ansicht nach auch gar nicht. Was hingegen sein muss, ist, dass GMD Raoul Grüneis die Wackler bei den Streichern ausmerzt. Gelingt ihm das, dann überzeugt sein schlankes Dirigat auf ganzer Linie.

Dem Publikum im ausverkauften Haus sagt die gefällige Inszenierung zu. Dass ein solch kleines Theater sich dieser Aufgabe gestellt hat, verdient Respekt. Das ein solch gutes Ergebnis am Ende des Abends steht, kann nur Gelingen, wenn alle Beteiligten mit aller Kraft am gleichen Strang ziehen.

Ihr Jochen Rüth / 19.03.2017

Die Fotos stammen von Jörg Metzner

 

 

LA BOHEME

Premiere: 16.04.16

besuchte Vorstellung: 15.05.16

 

Lieber Opernfreund-Freund,

eine ganz besonders düstere Interpretation von Gioacomo Puccinis wunderbarer „La Bohème“ ist derzeit am mittelsächsischen Theater zu sehen. Von Anfang an macht die Regisseurin Arila Siegert die Ausweglosigkeit der Situtation deutlich und lässt den personifizierten Tod den Abend eröffnen. Er ist in den verschiedenen Bildern immer wieder präsent und leitet die arme Mimì damit ihrem unausweichlichen Ende zu. Lediglich im allerletzten Bild, bei Mimìs Todesgang, ist er seltsamerweise nicht zu sehen - das ist aber auch der einzige Bruch in der ansonsten sehr durchdachten Inszenierung von Arila Siegert.

Dass die vom Tanztheater kommt, merkt man dem Abend an. Viele Szenen scheinen regelrecht durchchoreografiert. Durch die durchdachte Personenführung gelingt es Siegert, auf der kleinen Freiberger Bühnen selbst in den Massenszenen den Fokus auf der Künstlergruppe und dem Liebespaar Rodolfe/Mimì zu halten - da friert beispielsweise der Chor ein oder bewegt sich in Zeitlupe und ermöglicht fast etwas Kammerspielartiges bei den Hauptakteuren und damit eine Konzentration auf das Wesentliche. Das ist bei Siegert mehr als trostlos. Regelrecht düster ist die Produktion angelegt, einziges Requisit auf der Bühne ist eine Art spanische Wand, die mitunter als Mansardenwand den Raum begrenzt und so zusätzliche Intimität schafft oder zu einer Art Oberlicht wird. Projektionen von Sternenhimmel oder fallendem Schnee sorgen zwar für romantische Akzente, die Kostüme von Moritz Nitsche, der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, zeigen aber lediglich sämtliche Schattierungen von schwarz zu grau. Einzelne Farbtupfer setzen nur Parpignol und Musetta in ihrer Auftrittsszene - sobald die sich aber Marcello zugewandt hat und mit dem Künstler lebt, tritt auch sie nur noch in Grau auf. So wird Henri Murgers „La vie de bohéme“ in Freiberg zur hoffnungslosen und tristen Milieustudie.

Bis auf das Liebepaar Rodolfo und Mimì ist die Produktion ausschließlich aus dem Ensemble besetzt. Als Mimì buchstäblich in letzter Minute für das erkrankte Ensemblemitglied Leonora del Rio eingesprungen ist Rebekah Rota, die sich als wahrer Glücksgriff erweist. Sie glänzt nicht nur durch berauschende Pianobögen, zu Herzen gehendes Messa di voce, berührendes Spiel und ausdrucksstarken Gesang, sondern fügt sich auch nahtlos ins Ensemble und die anspruchsvolle Choreografie ein. Der österreichische Tenor Sebastian Fuchsberger lässt da und dort den Mut zum Piano ein wenig vermissen, stattet den Rodolfo aber mit bombensicherer und eindrucksvoller Höhe aus, singt und spielt fokussiert. Lindsay Funchals Musetta ist unglaublich facettenreich. Die junge Sopranistin ist ein wahrer Blickmagnet, zeigt im zweiten Aufzug eine beeindruckende Höhe, große stimmliche Beweglichkeit und fesselnde Bühnenpräsenz, weiß sich aber im letzten Bild zurückzunehmen und gibt ebenso überzeugend die mitfühlende Freundin. Ihrem on/off-Freund Marcello verleiht Guido Kunze mit gepflegtem Bariton Kontur, überzeugt vor allem in der der zweiten Hälfte des Abends und heimst zusammen mit Sebastian Fuchsberger für die Duettszene im letzten Akt verdientermaßen Szenenapplaus ein. Die Künstler-WG komplettieren Sergio Raonic Lukovic als hinreißend komischer Schaunard und Martin Gäbler, der als Colline beweist, daß man kein Bass sein muss, um mit der berühmten Mantelarie zu Tränen zu rühren. Jens Winkelmann gibt überzeugend den bedauernswerten Benoît, Derek Rues heller Tenor darf als Parpignol leider nur kurz strahlen. Nikolaus Nitsche, Dimitro John Walter Moses und Frieder Post komplettieren das überzeugend aufspielende Ensemble in den kleineren Rollen. Überzeugend ist auch der Opernchor, dessen Einstudierung Tobias Horschke übernommen hat und der durch den Freiberger Knabenchor vortrefflich ergänzt wird.

Generalmusikdirektor Raoul Grüneis kitzelt im Graben reinsten Puccini aus der Mittelsächsischen Philharmonie. Er zeigt die Partitur frisch und voller Farben, schwelgerisch, gefühl- und auch kraftvoll, wo es angezeigt ist, und so gelingt ihm eine starke Interpretation dieses Gassenhauers.

Das Publikum im ausverkauften Haus ist zu Recht begeistert, applaudiert enthusiastisch und ausdauernd. Die sehenswerte Produktion ist - zumindest in dieser Spielzeit - in Freiberg nicht mehr zu sehen, wird aber ab dem 21. Mai beim Theaterehepartner Döbeln gezeigt.

Ihr Jochen Rüth / 17.05.2016

Die Fotos stammen von Jörg Metzner und zeigen in der Rolle der Mimì die originalbesetzte Leonora del Rio.

 

 

Massenets

DON QUICHOTTE

Premiere am 17.10.15

Tragischer Held im Wandel der Jahreszeiten

Lieber Opernfreund-Freund,

gestern hatte im mittelsächsichen Freiberg, im ältesten Stadttheater Welt, Jules Massenets "Don Quichotte" Premiere. Die Opernversion des Stoffes von Miguel de Cervantes aus dem frühen 17. Jahrhundert - gemäß einer Umfrage des Osloer Nobelinstituts immerhin das "beste Buch der Welt" - beschränkt sich auf Don Quijotes Beziehung zur hinreißenden Dulcinea, die er im Gegensatz zum Roman auch zu Gesicht bekommt und der er im Laufe der Geschichte ihr geraubtes Perlencollier zurück bringt. Von den Abenteuern, die der Ritter von der traurigen Gestalt zusammen mit seinem Knappen Sancho Panza im Roman erlebt, hat lediglich der Kampf gegen die Windmühlen, die er für Riesen hält, Einzug in die Oper gefunden und bildet das Finale des zweiten Aktes.

Mit der szenischen Umetzung hat man Kristina Wuss betraut, die die tragigkomische Geschichte mehr oder weniger als eine Art Reise durch die Jahreszeiten erzählt. Auf der kleinen Freiberger Bühne hat Tilo Staudte, der auch für die mit großer Liebe zum Detail gestalteten Kostüme verantwortlich zeichnet, Handschriften von Cervantes auf Wände gezogen, Gemälde aus dem 19. Jahrhundert bilden den Hintergrund für die Szenerie, in dem Cervantes selbst und Leser des Romans aus dem 17. Jahrhundert als stumme Rollen auftreten und somit den Rahmen für die Erzählung bilden. Leider hält die Regisseurin diesen doch recht traditionellen Ansatz nicht stringent durch und streut moderne Requisiten ein. Eine herumliegende Computertastatur, ein Doppeldeckerflugzeug im Rundflug und die Darstellung der Räuberbande als US-amerikanische Cowboys sind aber weder besonders originell noch sinnstiftend und bleiben deshalb bloße Regiemätzchen. Nicht zuletzt wegen des wunderbar variantenreichen und stimmungsvollen Lichtes von John Gilmore gelingen aber bewegende und anrührende Bilder, die am Ende eine gelungene szenische Umsetzung von Massenets Oper möglich machen.

Die von Don Quijote umworbene Dulcinea, die für sein Werben nur Spott übrig hat, wird von der Tschechin Barbora Fritscherüberzeugend dargestellt. Sie verfügt über eine enorme Bühnenpräsenz, ihr farbenreicher, warmer Mezzo drückt Verträumtheit und Verzweiflung ebenso aus wie überbordende Lebensfreude. Sergio Raonic Lukovic, der die Titelrolle übernommen hat, wartet da mit weniger Facettenreichtum auf, verfügt aber über einen weichen Bassbariton. Da kommt ihm die Partitur zugute, die getragenen und melancholische Melodienbögen, mit der Massenet seinen Helden über weiter Strecken versorgt, gelingen ihm wunderbar. Sein getreuer Gefolgsmann Sancho Panza findet in Guido Kunze einen idealen Darsteller. In der Rolle kann er mit seinem weichen lyrischen Bariton sein komödiantisches Talent voll ausleben. In den beiden letzten Akten gelingen ihm anrührende Szenen, da auf Deutsch gesungen wird, ist zudem seine außergewöhnliche Textverständlichkeit hervorzuheben. Über die verfügt auch Ensembleneuzugang Derek Rue. Der schlanke Tenor des jungen Amerikaners passt gut zum Banditen und bildet einen schönen Gegenpol zur reiferen Stimme von Jens Winkelmann, der den Räuberhauptmann darstellt.

Susanne Engelhardt und Lindsay Funchal ergänzen als Ducineas Kavaliere mit großer Spielfreude das Ensemble. Der kleine Freiberger Chor (Einstudierung:Alexander Livenson) schlägt sich wacker, vor allem die Herren vermögen zu überzeugen. Und jetzt wird dann doch ein wenig gemäkelt: das Tanzterzett (Choreografie: Martina Morasso), bestehend aus Gabriela KluckMichelle Chantal Schulze undLaura Sterba ist über weite Strecken doch recht asynchron und bietet auch wegen der uneinheitlichen Kostümwahl kein wirklich harmonisches Bild. Vom Gitarristen Peter Scheitz, der Dulcineas Arie im vierten Akt untermalt, wünscht man sich ein wenig mehr Leidenschaft.

Nichts zu beanstanden gibt es am Dirigat von GMD Raoul Grüneis. Das Werk klingt über weite Strecken recht französisch, dennoch gibt es immer weder spanisch folkloristische Ansätze in der Partitur. Der mittelsächsischen Philharmonie gelingt beides unter seiner einfühlsamen Führung außerordentlich gut - abgesehen von ein, zwei Kieksern im Holz. Die Musiker fühlen sich in den orchestralen Solopassagen ebenso wohl, wie in der Rolle des die Sänger begleitenden und unterstützenden Ensembles.

Das kleine Freiberger Haus ist am Premierenabend leider nicht voll besetzt, die Zuschauer applaudieren allen Beteiligten umso mehr. Da bleibt dem Theater zu wünschen, dass das mittelsächsische Publikum erkennt, was für eine tolle Leistung ihr Theater da allein mit Ensemblekräften abgeliefert hat, auch und gerade abseits der gewohnten Repertoirepfade, die sich anzuschauen lohnt.

Von mir gibt's in jedem Fall eine unbedingte Besuchsempfehlung.

Ihr

Jochen Rüth aus Köln 18.10.15

Die Fotos stammen von André Braun

 

 

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