DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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 KÖNIGLICHE OPER KOPENHAGEN

 

(c) Wiki / Julian Herzog

 

 

 

Die Walküre

9.3.22

 

Desweiteren am 13.3. | 20.3. | 24.3. | 27.3.2022

 

 

"Du schufst ihm die Not", wirft Fricka ihrem Göttergemahl Wotan in der hochspannenden ehelichen Auseinandersetzung im zweiten Aufzug vor, weil Wotan durch seine Ränkespiele den heiligen Bund der Ehe zwischen Sieglinde und Hunding zerstörte, indem er seinen Helden Siegmund an Hundings Herd gelockt hatte. Vermutlich fand in diesem Satz Frickas der Regisseur John Fulljames den Ansatzpunkt seines Regiekonzepts dieser Neuinszenierung der WALKÜRE in Kopenhagen. Denn zu Beginn, wenn im Orchestervorspiel der Sturm tobt, sehen wir Wotan und seine Walküren an Schreibtischen sitzen, wo sie an Laptops und auf Reißbrettern die Handlung quasi entwerfen. Wotan spielt dabei den Künstler in weiter Leinenhose, langem Mantel, die Haare zu einem Dutt geformt. Er entwirft auch das Modell des Bühnenbilds (Bühne und Kostüme: Tom Scutt), das dann zum Auftritt Siegmunds in echt von hinten auf die Bühne gerollt wird. Es ist eine simple, gigantische Holztreppe, natürlich in Eschenoptik, denn schließlich hat Wotan ja die Weltesche bereits symbolhaft ins Modell gestossen. Wenn sich diese Treppe auf der Bühne nun dreht, sehen wir unter den Holzverstrebungen die Messi-Wohnung Sieglindes und Hundings, samt dem angekokselten Stamm der Weltesche, in den Wotan sein Schwert gestossen hatte. Im gleichbleibend fahlen (und damit einschläfernden) Licht (von DM Wood) kann man in der armseligen Behausung kaum was erkennen, nur dass Sieglinde dem Siegmund Waser aus einem Benzinkanister kredenzt. Erst als Siegmund zu "Winterstürme wichen dem Wonnemond" ansetzt, ändert das Licht: Die rechteckigen Leuchtröhrengerüste, welche sowohl als Trennwände sowie später auch als Schilde der Walküren dienen, leuchten nun frontal ins Publikum, zusätzlich zu zwei kalt-weiss blendenden Scheinwerfern vom Bühnenhimmel. Auch nicht angenehmer, als das dämmrige Licht der vorangegangenen Szenen. Siegmund muss also die Treppe hochstürmen für "Winterstürme...", doch zur Vereinigung mit der Schwester und dem Herausziehen des Schwertes aus der Esche natürlich schnellstens wieder nach unten rennen. Stress und Gefahrensituation für den Sänger. Wotan und die Walküren stehen mit Drehbuch an der Seite und feiern die inzestuöse Geschwisterliebe mit Hurrarufen und einem Silberfolienplättchen ausstossenden Pistolenschuss. Wie bei "Wer wird Millionär".

Zu Beginn des zweiten Aufzugs geht die Feier weiter. Brünnhilde tippt auch noch schnell was in Wotans Computer. Doch Fricka setzt dem Treiben mit dem eingangs erwähnten Auftritt zum Glück ein Ende. Die Personenführung und die Charakterzeichnung der Protagonisten gelingen dem Regisseur hier hervorragend, die Lichtdramaturgie ist viel gelungener und verbessert sich im dritten Aufzug noch mehr. In diesem Schlussteil dient die Treppe als Walkürenfelsen und Zugang zu Walhall für die gefallenen Helden. Die gigantische Treppe erfüllt hier ihren Sinn auf überzeugende Art, man kann nur hoffen, dass die königliche Oper eine kulante Unfallversicherung abgeschlossen hat, denn nicht alles Stolpern der Sänger auf diesen steil ansteigenden Stufen schien gewollt zu sein ... . Wunderbar stimmungsvoll inszeniert war der Feuerzauber, das Hochfahren der Treppe mit dem das Schwert schwingenden Klein-Siegfried im Feuerschein darunter. 

Warf die Inszenierung auch einige Fragen auf, so gelang von der musikalischen Seite her eine Sternstunde. Ich kann mich nicht erinnern, live je eine so herausragend besetzte und dirigierte WALKÜRE erlebt zu haben Thomas Søndergård leitete Det Kongelige Kapel mit wunderbar austarierter Dynamik, nie nachlassenden Spannungsbögen, feinem Sinn für herrlich herausgearbeitete Detailschönheiten der Partitur und hervorragender Balance zwischen Graben und Bühne. Auch im Parkett konnte man die fantastische Akustik des Hauses voll genießen. Die Sänger*innen glänzten allesamt mit vortrefflicher Diktion und niemand war gezwungen zu forcieren - so muss Wagner klingen!

Tomasz Konieczny war ein phänomenaler Wotan, seine gestalterische Durchdringung der Rolle machte auch die ausuferndsten Monologe zum Erlebnis. Mal ganz nach innen gekehrt im zweiten Aufzug, wo er Brünnhilde seine Dilemmata offenbarte (weshalb der Regisseur hier das Licht ausschaltete und bei mit dem Werk weniger vertrauten Besuchern einen Zwischenapplaus provozierte, war mir ein weiteres Rätsel), dann wieder fulminant auftrumpfend in seiner Schelte und dem Abschied! Seine Gemahlin Fricka wurde von Hanne Fischer mit vornehmer Autorität und souveräner Intelligenz ausgestattet, sie zerpflückte Wotans Argumente mit dermaßen umwerfender darstellerischer und gesanglicher Souplesse, dass sie mir zum ersten Mal richtig sympathisch wurde. Frau Fischer möchte ich unbedingt in weiteren Rollen erleben. Mit Ann Petersen und Bryan Register war das inzestuöse Geschwisterpaar Sieglinde und Siegmund ideal besetzt. Ann Peterson verfügte über die wunderbar aufblühende jugendliche Stimmkraft, welche die Partie erfordert und Bryan Registers mühelos und klangschön anspringender der Tenor ist fabelhaft für den Siegmund. Ein musikalisches Traumpaar. Trine Møllers Brünnhilde hat mich regelrecht vom Sessel gehauen: Welch eine wunderbare Stimme, so frisch, unangestrengt und rein habe ich die Hojotoho -Rufe noch selten gehört. Ergreifend in der Todesverkündigung, kämpferisch attackierend im Einstehen für das Geschwisterpaar, Mitleid erregend im Annehmen der Strafe des Göttervaters. Weltklasse! Morten Staugaard last but not least gestaltete einen hinreißend grantigen Hunding!

Vortrefflich sangen die Walküren, selbst die beiden Einspringerinnen, welche vom Bühnenrand her sangen, fügten sich prächtig in den mitreißenden Gesamtklang des Walkürenritts ein.

Fazit: Musikalisch eine Sternstunde, szenisch mit ein paar Fragezeichen zur Bühnengestaltung. Trotzdem unbedingt empfehlenswert!

Leider ist keine Gesamtproduktion von DER RING DES NIBELUNGEN an der Oper Kopenhagen geplant. Irgendwie wäre man schon neugierig, wie sich das Regiekonzept über den gesamten Ring entwickelte.

 

Kaspar Sannemann, 12.3.22

Foto (c) KOK

 

La Bohème

8.3.22

 

weitere Aufführungen 12.3. | 16.3. | 18.3. | 22.3. | 29.3. | 7.4.2022

 

 

 

Dass sich Puccinis Meisterwerk LA BOHÈME seit der Uraufführung vor 126 Jahren ungebrochener Beliebtheit erfreut, zeigt ein Blick auf die im Programmheft der Königlichen Oper Kopenhagen vermerkten Aufführungszahlen: Allein in der dänischen Hauptstadt kommt LA BOHÈME in dieser Zeitspanne auf rund 630 Vorstellungen. Und tatsächlich, auch wenn man diese Oper schon zigmal gesehen hat, wird man ihrer nie überdrüssig, ist gerührt wie beim ersten Mal - vor allem wenn die Inszenierung stimmt! Das tat sie hier zu 100%. Elisabeth Linton hat das Werk vor sechs Jahren am königlichen Theater inszeniert, nun wurde die Produktion wieder aufgenommen. Im wunderbar atmosphärisch stimmigen Bühnenbild von Astrid Lynge Ottosen, mit den Kostümen von Magdalena Stenbeck und der Lichtgestaltung von Ulrik Gad gelang dem Team eine überaus genaue Milieustudie über den Reifeprozess von sechs jungen Menschen, mit ihren Träumen, ihrer jugendlichen Unbeschwertheit, aus der sie durch den tragischen Tod Mimìs brutal gerissen werden. Faszinierend werden die szenischen Verwandlungen geschafft: Die kalte Mansarde des ersten Bildes dekonstruiert sich gegen Ende des Liebesduetts zwischen Mimi und Rodolfo - das Universum scheint ihnen offen zu stehen, sie begeben sich quasi auf einen Höhenflug. Der setzt sich im zweiten Bild fort, das Café Momus ist hier eine schicke Bar in einem Luxuskaufhaus à la Galleries Lafayette. Im dritten Bild hat der Rausch dann bereits ein Ende. In der kalten Februarnacht an der Zollschranke müssen die Gefühle erst mal neu sortiert werden. Genial ist das Schlussbild konzipiert: Der Frühling ist da (eine einsame Kamilie in einer Vase), die vier Freunde haben die Mansarde verlassen und verbringen den Tag an der wärmenden Frühlingssonne, haben freien Blick über die Dächer der Stadt Paris und ihre Monumente. 

Die Sänger agieren mit jugendlicher Leidenschaft, sind verspielt und am Ende zutiefst erschüttert und betroffen, genau wie wir im Publikum. Yana Kleyn singt eine ausdrucksstarke, einnehmende Mimì. Im Verlauf des Abends wird ihre Stimme immer wärmer, rührt am Ende zu Tränen. Der Rodolfo von Matteo Lippi ist eine wahre Offenbarung: Ein Timbre und eine Strahlkraft zum Dahinschmelzen. Mit großartiger stimmlicher und darstellerischer Gewandtheit gibt der Bariton Luthando Qave den Maler Marcello. Seine Eifersucht trifft die umwerfende Musetta von Clara Cecilie Thomsen, welche so herrlich kokett sein kann im Momus-Bild, wo sie den Walzer mit überschäumender Verve singt, keifend und selbstbewusst im Streit mit Marcello im dritten und anrührend im Gebet und im Mitleid im Schlussbild. Simon Duus gestaltet einen warmstimmigen Schaunard und Kyungil Ko nimmt mit philosophischer Tiefe als Colline Abschied von seinem Mantel. In den kleineren -aber nicht unwichtigen - Partien überzeugen Simon Schelling als Benoît, Lars Bo Ravnbak als Parpignol und Steffen Bruun als Alcindoro.

Im Orchestergraben lassen Paolo Carignani und Det Kongelige Kapel Puccinis Partitur in dynamisch differenziert ausgestalteter Klangqualität erstrahlen. Der Maestro trägt die Sänger mit faszinierender Sensibilität auf Händen. Ein wunderbarer Opernabend!

 

Kaspar Sannemann, 10.3.22

Bilder (c) Oper Kopenhagen - Camilla Winther

 

 

 

ROMEO UND JULIA

30.10. 2019

Geradezu berührend altmodisch

kommt die Choreographie von Helgi Tomasson daher, welche er in der Ausstattung von Jens-Jacob Worsaae 1994 für das San Francisco Ballet geschaffen hatte und mit der das San Francisco Ballet nun für vier Vorstellungen in Kopenhagen vor restlos ausverkauftem Haus gastierte. Thomas R. Skelton tauchte das Bühnenbild in warmes Licht, ein wunderbarer Tag (wenn er denn nicht so tragisch enden würde) im Verona der Renaissance wird hier evoziert, einen Eindruck, welche auch die ganz klassischen, weich fliessenden und an die Epoche des Dramas angelehnten Kostüme unterstrichen. Man erlebt das bunte, verspielte Treiben auf dem Marktplatz, Flirten und Hofieren, virtuose Akrobaten (ganz stark getanzt von Julia Rowe, Max Cauthoren und Lucas Erni), stupende Fechtszenen und viel Pantomime.

Daneben wird aber auch eindringlich getanzt, zum Beispiel von den beiden "leichten" Mädchen (Isabella DeVivo und Elizabeth Powell) und ihren Verehrern Estéban Cuadrado, Steven Morse, Henry Sidford und wieder Lucas Erni, ein äusserst vielseitiger, wunderbar agiler Tänzer. Alle grösseren Partien waren ganz hervorragend und charakterlich stimmig besetzt. Hervorzuheben sind der kraftvolle Tybalt von Luke Ingham, die in in verliebte Gräfin Capulet von Jennifer Stahl mit einem eindrücklichen Porträt dieser komplexen Figur. Sehr gut auch Val Caniparoli als Pater Lorenzo und auch als Prinz von Verona. Wunderbar witzig und leider tragisch endend der Mercutio von Estéban Hernandez, toll auch im Zusammenspiel mit dem Benvolio Hansuke Yamamoto. Benjamin Freemantle war ein zurückhaltend vornehm-kalter Graf Paris und Anita Paciotti wusste als umtriebige Amme zu gefallen.

Das Hauptaugenmerk allerdings richtete sich auf das Liebespaar - und dieses war geradezu ideal besetzt mit Mathilde Froustey als mädchenhaft unbeschwerte Julia, die dann umso brutaler in die Wirklichkeit der Familienfehde zwischen ihrer Sippe und den Montagues geworfen wurde. Perfekter Spitzentanz, luftig, weich fliessend und eine bestechend saubere Armhaltung zeichnete ihren einfühlsamen Tanz aus. Jugendlich stürmisch und mit schönen, weitgreifenden Sprüngen, perfekten Drehungen und Hebungen wartete Joseph Walsh als Romeo auf, die beiden waren ein wunderbares Paar, dem man so gerne eine gemeinsame Zukunft gegönnt hätte.

Prokofievs magische Partitur war bei Martin West und Det Kongelige Kapel bestens aufgehoben und zusammen mit dem mit bestechender Präzision tanzenden San Francisco Ballet wurde die Aufführung zu einem stimmigen Gesamtkunstwerk - und befriedigte die manchmal das Publikum allerorten beschleichende Sehnsucht nach dem Althergebrachten ....

 

Kaspar Sannemann 3.11.2019

(c) Erik Tomasson

 

 

Søndergård & The sea

25.10.2019

 

Zu dieser Progrmmgestaltung kann man dem DR SymfoniOrkestret unter der Leitung von Thomas Søndergård nur gratulieren. Vier Werke, die allesamt die Thematik des Meeres, die Sonnen - und Schattenseiten, mit musikalischen Mitteln malen, entstanden innerhalb von 70 Jahren, wurden an diesem Abend gespielt, und zwar zusammengefasst in zwei Blöcke. Vor der Pause die beiden narrativen Werke, Brittens SEA INTERLUDES und Elgars SEA PICTURES, nach der Pause die beiden Kompositionen mit " impressionistischem" Charakter, Borup-Jørgensens MARIN und Debussys LA MER.

Stimmungsvolle, ja aufwühlende Seelemgemälde malt Britten in den SEA INTERLUDES aus PETER GRIMES. Wunderbar gespielt der DAWN mit der Mixtur aus tiefem Blech, den ersten Violinen und der Flöte. Betriebsamkeit dann im zweiten Interlude SUNDAY MORNING: Gezwitscher der Holzblasinstrumente über grummelndem Bass, Unheil wird durch scharfes Blech angekündigt, dazu die Scheinheiligkeit der Glocken. Im MOONLIGHT verbreitete sich trügerisch ruhige Stimmung, welche dann im STORM mit brachialer Gewalt vertrieben wurde. Faszinierend gelangen hier dem Orchester die Übergänge von Harfenglissandi zu Streicherphrasen.

Elgars wunderschön vertonte fünf Lieder SEA PICTURES wurden von der Mezzosopranistin Karen Cargill mit sanft timbrierter Mezzosopranstimme vorgetragen. Sie ist keine Sängerin, die mit oberflächlicher Stimmprotzerei imponieren will, sondern sie bettet ihre schöne Stimme zurückhaltend, aber mit interpretatorischer Tiefe in den orchestralen Fluss ein. Søndegård und das Orchester waren ihr dabei aufmerksame Partner. Wunderschön die Wärme im SLUMBER SONG, mit Liebe efüllt wie ein lauer Frühlingswind erklang IN HAVEN. Mit dezenten Turbulenzen wurde SABBATHMORNING AT SEA gestaltet, textafin und mit hymnischem Blech untermalt . Verführerisch und neugierig führte und Cargills Stimme zu dem mystischen Ort WHERE CORALS LIE. Mit grossen Effekten warteten Orchester und Sängerin in THE SWIMMER auf: Das ging unter die Haut - Elgars Spätromantik vom Allerfeinsten glänzte wortwörtlich silbern und golden!

Nach der Pause erblickte man dann auf dem Podium ein Riesenorchester mit zwei Flügeln, viel Schlagwerk, vollbesetzte Bläser- und Streicherpulte. Überraschenderweise wurde Borup-Jørgensens Riesenpartitur MARIN aber nie laut und lärmig. Geradezu fein ziseliert und von zarter Transparenz im Klang erfüllt, lauschte man dem Werk, mit seinem Flüstern, Gemurmel und Brodeln. Untewasserwelt, mit all ihren Geheimnissen und Schönheiten und Gefahren, wie ein Tauchgang. Das Orchester war stark gefordert. Da müssten die Posaunisten auch mal rhythmisch präzise auf die Notenpulte und die Bässe auf den Resonanzkasten klopfen, einer der Pianisten die Saiten des Flügels zupfen. Diese Klangkulisse liess innere Bilder entstehen, die Orchestercrescendi wühlten auf, die Gongs schufen Mystik und das geradezu träumerische Verklingen des Stückes löste begeisterten Applaus aus. Ja, diesen Weg kann zeitgenössische Musik einschlagen (ok, das Stück ist schon 50 Jahre alt), aber auch nicht viel älter als Lachenmanns unsägliche Komposition, die ich mit kürzlich in Zürich anhören musste.

Den Abschluss dieses eindrücklichen Konzerts bildete Debussys Orchesterwerk - man könnte es auch eine Sinfonie in drei Sätzen nennen - LA MER.Stimmungsvoll die Morgendämmerung über dem Meer, sanfte Wellenschlag, geheimnisvolle Ruhe, zwei Harfen begleitet von Celli und Bratschen, dann die effektvolle Solotrompete, die zum höchsten Sonnenstand am Mittag überleitet. Im zweiten Satz das liebliche und Lichte Spiel der Wellen, reizvoll die Kombination Triangel - Harfen. Den krönenden Abschluss bildete die mit wagnerianischem Aplomb gestaltete Apotheose Darstellung des DIALOGUE DU VENT ET DE LA MER. Grndios die Homogenität der Blechbläser. Ein herausragender Abend, der lange nachhallen wird!

 

Kaspar Sannemann, 27.10.2019

 

 

 

QUEEN OF SPADES

26.10.2019

 

 

Es gibt sie noch, diese einmaligen Glücksmomente im Theater, wo man vor lauter Schönheit und Ergriffenheit nur noch weinen könnte. Solche Momente bringt das Ballett QUEEN OF SPADES, welches der junge britische Choreograf Liam Scarlett vor eineinhalb Jahren für das Königliche Dänische Ballett geschaffen hatte. Wo soll man mit dem Lob beginnen? Nun am besten wohl in der Reihenfolge des Besetzungszettels. Liam Scarlett schuf auf der Grundlage von Puschkins wohl eindrücklichster Novelle ein bestechendes Konzept, um die tragische Geschichte des spielsüchtigen deutschen Offiziers und Aussenseiters in der russischen Armee, Hermann, in die choreographische Sprache zu übersetzen. Das ist perfektes Handlungsballett, ohne gestellten pantomimischen Firlefanz. Alles wird aus dem Tanz, dem Körper der Tänzer herausgearbeitet, in eine bezwingende, ja geradezu atemberaubende Tanzsprache übersetzt. Selbst wer weder mit Puschkins Novelle noch mit Tschaikowskys gleichnamiger Oper vertraut ist, wird mit dem Schicksal der Protagonisten mitfiebern können.

Die Choreografie ist von stringentem Fluss, Kraft und Empathie geprägt. Und trotz allem verharrt sie im klassischen Tanzstil mit Tanz auf der Spitze, Sprüngen, Hebungen und Virtuosität. Wahrlich, der Tanz bringt hier eine bedeutende zusätzliche Ebene in die Geschichte - und zwar kongruent zur Musik! Diese hat der begnadete Musiker Martin Yates aus verschiedenen Werken Tschaikowskys zusammengestellt und sensationell stimmig orchestriert: Man hört Ausschnitte aus Opern (EUGEN ONEGIN, natürlich auch PIQUE DAME, DIE JUNGFRAU VON ORLÉANS u.a., Orchestermusik aus HAMLET, DER STURM, MANFRED, und orchestrierte Klaviermusik - Berceuse, Scherzo, Valse caprice). Die Bühne und die Kostüme wurden von Jon Morell entworfen, wobei er sich bei der Gestaltung der Bühne auf schlichte, bewegliche Elemente in klaren Linien beschränkte, bei den Kostümen hingegen mit prachtvollen, beglückenden Entwürfen punktete. Im Prolog (mit der jungen Gräfin) sind die Kostüme an das Rokoko Zeitalter angelehnt, später dann an die Entstehungszeit der Novelle Puschkins. Wunderschön! Die alles wird durch das Lichtdesign David Finns atmosphärisch dicht ausgeleuchtet.

Kommen wir zu den Ausführenden dieser Matinee im wunderschönen alten königlichen Theater: Stephanie Chen Gundorph beherrscht die Szene mit ihrer gefühlskalten, unheimlichen Präsenz. Ihre Darstellung der Gräfin ist schlicht eine Wucht, präzise getanzt, die Mimik zur Eismaske erstarrt und dabei sowohl als junge Gräfin als auch als betagte und später als Geist von geradezu unheimlicher Anziehungskraft. Tobias Praetorius tanzt den ehrgeizigen Aussenseiter Hermann, der schliesslich den einzigen Weg zum sozialen Aufstieg in dieser versnobten russischen Adelsgesellschaft im Glücksspiel sieht. Diesem verfällt er so sehr, dass er in die Sucht, ja in eine Besessenheit abgleitet. Praetorius tanzt dies mit fantastischer, ausdrucksstarker Kraft. Wenn er dann - nach verlorenem Endspiel und dem Einsatz der falschen Karte - zusammenbricht und dem Wahnsinn verfällt, könnte man heulen über sein tragisches Schicksal. Er liebt zwar Liza, die Pflegetochter der Gräfin, welche von Lena-Maria Gruber mit berührender Schlichtheit getanzt wird. Sie wird aber auch von Tomskij bedrängt (kraftvoll und sexy dargestellt von Vitor de Menezes). Hermann jedoch ist ambitiös und wendet sich von Liza ab: Eine Beziehung zu Pauline (wunderbar spritzig und mit schönem Tanz auf der Spitze: Heather Dünn) scheint ihm erfolgsversprechender.

Der Pas de Quattre beim Ball (Liza - Tomskij , Pauline - Hermann) ist fantastisch geraten. Der Kapitän in der Kaserne wird von Meirambek Nazargozhayev mit autoritärer Kraft getanzt, Nicolai Hansen besticht mit Eleganz als Paulines Vater Cekalinskij und James Clark gibt den Gegenspieler der Gräfin, Graf St.Germain, im Prolog am Hof von Orléans .

Wunderbar luftig tanzt das Corps des königlichen Balletts in der Ballszene, mit schon beinahe Nurejew'scher Kraft die Männer in der Szene in der Kaserne.

Vincenzo Milletari am Pult der Kongelige Kapel bringt Tschaikowskys elegische Melodien aufs Einnehmendste zum Klingen!

Eine Aufführung, die man gesehen und erlebt haben sollte und wohl nicht so schnell vergisst!

 

Kaspar Sannemann 27.1ß.2019

© Henrik Stenberg

 

 

 

Rossini

Il Viaggio a Reims

Königliche Oper Kopenhagen

Premiere am 12. März 2017

www.kglteater.dk

Ein Mordsspaß in der Galerie

„Das ist ein Geschenk und kein Geschenkgutschein“ soll der greise Milliardär Maersk McKinney Moeller, Chef der weltweit größten Transportfirma, ärgerlich von sich gegeben haben, als die Stadtverwaltung Kopenhagen immer wieder Einfluss auf Architektur und Ausstattung der neuen Oper nehmen wollte. Hatte doch der patriarchalische Unternehmer 2005 der Stadt ein Opernhaus auf einer eigens von ihm gekauften Insel für schlappe 335 Millionen Euro „geschenkt“, allerdings mit einer steuerlichen Meisterleistung für seine Stiftung und erheblichen Folgekosten für die Stadt bezüglich Betrieb und Umfeld. So stellt der 41.000 Quadratmeter große graue Kasten am Wasser das Schloss Amalienborg, welches seit 250 Jahren das Stadtbild prägt, in den Schatten, ist schwer zu erreichen und wäre in diesen Dimensionen von den Dänen niemals gebaut worden. Die Akzeptanz bei der Presse und der Bevölkerung geht daher für „Moellers Mausoleum“ ziemlich auseinander.

 Anfahrt mit dem Wassertaxi

Auf dem Spielplan stand die Premiere von Rossini´s letzter, weitgehend handlungsarmer, musikalisch aber ganz vorzüglicher Oper „Il Viaggio a Reims“, eher nur dann und wann aufgeführt, da mit vierzehn (!) Solisten eine selten große Anzahl an herausragenden Sängern benötig wird. Das kann für kleinere Häuser schon finanziell unerreichbar sein. Natürlich nicht für Wien, wo 1988 das Werk in stupender Güte herauskam; unter Claudio Abbado und der Regie von Luca Ronconi spielten und sangen u.a. nicht Geringere als Cecilia Gasdia, Lucia Valentini-Terrani, Monserat Caballé, Samuel Ramey, Ruggero Raimondi und der unverwüstliche Enzo Dara. Der hervorragende Mitschnitt ist erhältlich bei der Deutschen Grammophon. Die damalige Life-TV-Übertragung war so anregend, dass der Rezensent probierte, kurzfristig noch Eintrittskarten zu bekommen – leider vergebens. Vielleicht gibt es ja irgendwo noch einen TV-Video zu ergattern.

Die zahlreichen Solistenrollen machen diese Oper interessant für die Life-Präsentation von jungen Sängern; so geschieht es in Pesaro, dem Geburtsort von Rossini. Hier können seit 2001 die jährlichen Absolventen der „Accademia Rossiniana“ im Rahmen des „Rossini Opera Festivals“ ihre szenischen und musikalischen Qualitäten in einer Inszenierung von Emilio Sagi zeigen, aufmerksam beobachtet von zahlreichen „Voice-huntern“ aus ganz Europa. Im Gegensatz zur klassischen Inszenierung, wo eine internationale Reisegruppe auf dem Wege zur Krönung von Karl dem X. in Reims in einem vornehmen Hotel gestrandet ist, weil keine Pferde zur Verfügung stehen, befindet man sich hier auf einem Schiff. Das aber kommt auch nie an; so wechseln die Seereisenden vom Bademantel in schicke Abendgarderobe und feiern ausgiebig unter sich.

Nun zu Kopenhagen. Der venezianische Regisseur Damiano Michieletto hat zusammen mit der deutschen Revivaldirektorin Meisje Barbara Hummel, derzeit federführend in der Oper Amsterdam, aus dem Libretto eine alternative und sehr originelle Geschichte herausgekitzelt. Die Wirtin des eigentlichen Hotels Madame Cortese ist jetzt Chefin einer großen, extravaganten Kunstgalerie, wo eine neue Ausstellung vorbereitet wird. Man schleppt riesige Bilder hin und her, Schwadronen von Reinigungsfrauen feudeln, was das Zeug hält; der Raum ist eine einzige Baustelle mit zahlreichen hektischen Arbeitern, elektrischem Hubwagen, diversen Leitern und sogar einem Laser-Meßgerät für die Bildjustage.

Aus diversen Transportkisten werden Statuen hervorgeholt, die sich ihrer Schutzhüllen entledigen und plötzlich ein Eigenleben führen: Jetzt wird es surreal. Sie werden mit Preisschildern ausgezeichnet und präsentieren sich zum Kauf in einem großen Rahmen. Einige der Figuren finden sich in den aufgehängten berühmten Gemälden an den Wänden wie die Infantin von Velasques, Frieda Kahlo, Otto Dix und Van Gogh u.a. Ein Treffen zwischen Kunst und Alltag, zwischen realistischen und imaginären Menschen. Gemälde werden auf einmal lebendig, die Objekte mischen sich unter die Menschen. Der Auktionator Don Profondo waltet umtriebig und mit herrlich flexiblem salbungsvollem Bass seines Amtes. Später reißen die Figuren Löcher in eine riesige weiße Leinwand, klettern dahinter und ziehen dann die komplette Leinwand runter. Dahinter erscheinen verhüllte Objekte, Kulisse für das kommende Bild.

Übervolle Einführung in die Oper

In der Pause bot sich die Gelegenheit, das Handling der Oper mit dem Publikum zu erkunden. Es gibt ein kostenloses Wassertaxi für die Anfahrt. Erstaunlich war, dass die Einführung in die Oper übervoll war, die Besucher standen auch auf den Treppen bis hoch oben. Sehr praktisch ist, dass große Garderobenanteile kostenfrei zugänglich sind, dass große Tische mit bereits bezahlten Getränken die Drängelei an der Theke entbehrlich machten, und dass die Garderobe der Besucher trotz Premiere nur als sehr zivil bezeichnet werden konnte. Das sieht in Bayern sicherlich ganz anders aus.

Im zweiten Teil wurden die verhüllten Objekte entblättert, herauskam die Szenerie des berühmten Gemäldes von Francois Gerard „Die Krönung von Karl X in Reims von 1827. Aber noch ganz ohne die zugehörigen Figuren. Nur ein Haufen Restauratoren pinselt und schabt alles auf Neue. Die Figuren bekommen ihre Kostüme, nehmen ihre Plätze in Zeitlupe auf der Gemäldebasis ein und erstarren zum bekannten Bild von Gerard, welches dann ganz langsam in das projizierte Originalbild übergeht. Man weiß nicht genau - ist es noch echt oder schon Projektion?

Damiano Michieletto hat eine lebendige, äußerst amüsante Geschichte geschaffen, in der sich alle Sänger und Sängerinnen herrlich austoben können. Ganz köstlich die Szene, wo die Nationalhymnen angestimmt werden, es gibt wunderbare Aktionen zwischen Galeriebesuchern und den Figuren auf den Bildern. Man hat Mühe, alle feinsinnigen Gags überhaupt registrieren zu können. Rossini´s Musik ist wie Champagner oder Kir Royal, spritzig, durchsichtig und fein gezeichnet. Der Dirigent Thomas Sondergard schafft eine sensible Balance zwischen den stark beschäftigten Sängern und seinen Musikern, immer bedacht auf ausgewogene Lautstärke und angenehmes Tempo. Sein königliches Orchester war bestens in Form, federnd, mit präzisen Bläsern und einem wunderbaren Rossini-Klang.

Auch der Chor, der szenisch stark gefordert ist, singt perfekt und spielt vor allem köstlich; es ist eine reine Freude ihm zuzusehen (Marco Ozbic). Von den vielen hervorragenden Sängern, die überdies auch noch genial und mit großer Spielfreude auf der Bühne agierten, können hier nur einige aufgezählt werden: Anke Briegel, Elisabeth Jansson, Rebeca Olvera, Henriette Bonde-Hansen,  Gert Henning-Jensen, Levy Sekgapane, Mirco Palazzi, Nicola Ulivieri, José Fardikha und Davide Luciano. Die überaus originellen Kostümeaus zwei verschiedenen Zeitaltern stammen von Carla Teti.

Diese Produktion wurde vor zwei Jahren bereits in Amsterdam gezeigt und wandert von Kopenhagen weiter nach Rom. Ein ganz großer Opernspaß, der die Reise allemal gelohnt hat. Und durchaus ein Grund für einen Besuch der ewigen Stadt sein könnte.

Hier der Trailer:

 

https://kglteater.dk/det-sker/sason-20162017/opera/rejsen-til-reims/#galleri

Wer mal in die Amsterdamer Produktion reinschauen möchte:

https://www.youtube.com/watch?v=WSsvg0iWRcY

 

Michael Cramer 16.3.2017

Fotos ©Thomas Petri und © Opernfreund

 

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