DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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 (c) Opernfreund

 

Bisher wurden folgende Opernaufnahmen verglichen:

 

- Manon Lescaut

- Lohengrin

- Luisa Miller (Verdi)

- Maskenball (Verdi)

- Nabucco (Verdi)

- Falstaff (Verdi)

- Der fliegende Holländer (Wagner)

- Eugen Onegin (Tschaikowsky)

- La Rondine (Puccini)

- Die Puritaner (Bellini)

- MacBeth (Verdi)

- Don Carlos (Verdi)

- Rusalka (Dvorak)

- Le Comte Ory (Rossini)

- Siegfried (Richard Wagner)

- Der Freischütz (Weber)

- Ariadne aud Naxos (Strauss)

- Cosi fan Tutte (Mozart)

- Tosca (Puccini)

- Idomeneo (Mozart)

- Lohengrin (Wagner)

- Meistersinger (Wagner)

- Carmen (Bizet)

- Aida (Verdi)

- Don Giovanni (Mozart)

- Fidelio (Beethoven)

- Tristan und Isolde (Wagner)

 

 

 

Die Geschichte der „Manon Lescaut“ vom Abbe Prevost

in 4 Opern variiert

Inhalt: Zwei Teenager brennen durch!

Die Geschichte einer leidenschaftlichen Teenagerliebe: die 15 jährige Manon Bild 2 soll in ein 2 Kloster, der 17 jährige des Grieux in ein Priesterseminar, sie verknallen sich ineinander und fliehen nach Paris, wo sie von kleinen Gaunereien und dem Ausnehmen alter Lüstlinge leben, die die flatterhafte Manon wohl auch ganz gerne verführt. Der Alte des Grieux aber lässt seinen Sohn zurück zum Studium entführen, der flieht abermals, versehentlich tötet er einen Rivalen, wieder rettet ihn sein einflussreicher Vater, sorgt aber dafür, dass Manon als Dirne nach Amerika verbannt wird. Der Sohn folgt ihr aufs Schiff. Bei der Flucht aus der Französischen Kolonie stirbt Manon in der Wüste. Der junge Mann kommt zurück nach Paris und erzählt dem Abbe sein Leben, der vermarktet alles sogleich zu einem Roman, der sofort ein Bestseller wird. Natürlich schreit diese Story geradezu danach, dass daraus eine Oper gemacht würde. Gleich 4 Komponisten widerstanden auch der Verlockung nicht.

Interpretation:

Ein leidenschaftlicheres Plädoyer für schrankenlose leidenschaftliche Liebe als die Geschichte der Manon Lescaut hat es wohl seit der Antike nicht mehr gegeben,. Geschrieben hat den Roman 1731 ausgerechnet ein Abbe! Dieser   Abbe Prevost ( 1696-1763) stellte damit die Leidenschaft und den Sex über jede gesellschaftliche Moral. Der Autor protestiert so auch gegen die Scheinheiligkeit seiner Gesellschaft, in der hehre Moralvorstellungen mit einer Blüte des Mätressenwesens einhergingen. Kein Wunder, dass der Roman 1733 schon wieder verboten wurde. Denn die Vorherrschaft des Klerus und alle traditionelle Wertvorstellungen wurden ja hier hinterfragt und damals erstmalig in der Literatur thematisiert. Auch Schriftsteller wie Voltaire und Jean-Jacques Rousseau – beide Zeitgenossen von Abbé Prévost, mit denen er Kontakt pflegte – klagten die sozialen Missstände an. So war er aber auch Vorläufer von Goethes "Werther". Und auch in Wagners „Walküre“ ist viel später dieses Aufbegehren der schrankenlosen Liebe gegen Moral und Sitte präsent.

 

Die Komponisten:

1.Daniel, Francois, Esprit Auber, 1782-1871

Er war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einer der allerbekanntesten Komponisten und der Star der Opera Comic in Paris, für die er an die 50 Opern komponierte. „Die Stumme von Portici“ (1828) war derart berühmt, dass man auf der Straße ihre Melodien pfiff. Durch eine Aufführung dieser Oper, mit ihren Freiheitsgedanken, wurde in Belgien sogar eine Revolution ausgelöst. Bei EMI gibt es noch die großartige CD von 1987 mit Alfredo Kraus. Die komische Oper “Frau Diavolo“ (1830) wurde auch zum Beginn meiner „Opernlaufbahn“ in den Sechziger Jahren noch oft aufgeführt. Es gab damals sogar eine Verfilmung mit dem berühmten Wagnertenor (!) Wolfgang Windgassen. Auch den Maskenball nahm Auber Verdi vorweg („Gustav III.“ 1833) und vom „Der Schwarze Domino“ erschien 1995 noch eine hübsche CD mit Sumi Jo. 1856 folgte dann seine „Manon Lescaut“. Noch vor seinem Tod geriet Auber aber schon in Vergessenheit, da die Opera Comic inzwischen als antiquiert galt.

,Manon Lescaut“

Aubers feine, elegante und geistvolle Musik hat in den ersten beiden Akten ihre größten Momente: die Schilderung der flatterhaften, oberflächlichen aber auch entzückenden Manon ist hinreißend und von großem Zauber. Da übertrifft er mit dem Charme und Liebreiz seiner feinen Musik eigentlich alle 3 Konkurrenten. Schwerer tut er sich mit dem 3. Akt, denn große Dramatik war seine Sache nicht. Manons Tod wird so zum elegisches Dahinschwinden. Das ist nicht ohne tiefe Wirkung, denn seine sensible Musik berührt durchaus. Die geradezu vulkanischen Gefühlseruptionen Puccinis sind dazu das andere Extrem. Interessant, dass bei Auber Prevosts Roman sehr verändert wurde: die beiden leben zu Beginn schon länger miteinander, keine Flucht vor dem Kloster und dem Priesterseminar, kein Vater Des Grieux. Dafür werden die vielen Liebhaber auf nur einen reduziert, dem stark aufgewerteten Marquis d`Herigny, der unglücklich in sie verliebt ist und mehr zu singen hat als der fast zur Nebenfigur degradierte Des Grieux, dem nicht einmal eine einzige Arie gegönnt wird! Und das bei einem Tenor! Manon aber wird zum fast unschuldigen naiven Opfer ihres schurkischen Vetters Lescaut und des ziemlich verantwortungslosen Des Grieux. Ich nehme an, dass diese Umwandlungen wegen der Zensur geschahen, die eine Beinah- Dirne, wie bei Prevost, als Titelfigur nie und nimmer zugelassen hätte.

 

Einspielungen:

 

 

KLASSIK CENTER KASSEL 2016, DVD, aus dem Theatre Imperial de Compiegne von Pierre Jourdan produziert: „Solid und ansprechend aber ohne Untertitel!“

 

Die einzige DVD dieser Oper gibt es bei Klassik Center und man muss dankbar sein, dass es überhaupt eine gibt. Die Aufnahme stammt zwar schon von 1990 und bleibt der Tradition sehr treu. Aber das ist kein Nachteil. Denn eine so unbekannte Oper würde durch die heute üblichen Verfremdungen total unverständlich. Aber so ist eine recht ansprechende, wenn auch brav solide Inszenierung (David Freeman) zustande gekommen, in einem modern stilisierten Einheitsbühnenbild und einer ruhigen Regie. Bloß der 3. Akt läuft dann aus dem Ruder: diese brutalen Szenen auf der Bühne mögen ja authentisch für ein Straflager gewesen sein, sie passen aber in der ausgespielten Realität weder zur Regie der beiden ersten Akte noch zur sensibel feinsinnigen Musik. Darauf hätte man verzichten können um stattdessen lieber die Charaktere mehr zu betonen. Elizabeth Vidal ist vom Typ her genau richtig besetzt, wenn sie auch die Koloraturenopulenz einer Sumi Jo nicht erreicht. Rene Massis schafft die für einen Bariton sehr anspruchsvollen Höhen des Marquis mühelos, ist aber darstellerisch viel zu steif. Der des Grieux des Alain Gabriel sieht ebenso blendend aus wie er singt. Das Orchester leitet Patrick Fournillier gründlich und routiniert. Aber nun kommt es: bei einer so unbekannten Oper müssten doch unbedingt Untertitel vorhanden sein. Das rasend schnelle Französisch, überfordert unser Schulfranzösisch total. Da hilft es auch nichts, aus dem Internet das Libretto herunter zu laden, da die Dialoge für diese Einspielung extra neu geschrieben wurden, was ja beweist, wieviel Mühe man sich gemacht hat. Ein Witz aber ist das im Cover vollmundig angepriesene sogenannte „Booklet“: es besteht aus 1 Seite (!) auf der in 5 Sprachen jeweils 17 Zeilen zum Werk stehen! Und noch dazu in einer lausigen Übersetzung.

 

Bei You tube https://www.youtube.com/results?search_query=auber+manon+lescaut

 

gibt es einen wunderbar gelungenen Mitschnitt aus der Opera Royal in Liege von 2016 in dem vor allem Sumi Jo wieder gesanglich brilliert mit all den jubelnden Koloraturen und Höhenflügen. Darstellerisch hätte sie für die flatterhafte aber dennoch liebenswerte Manon schon mehr Hilfe der Regie vertragen können. Die sehr aufgewertete Rolle des Marquis d`Herigny fordert mit ihren, für eine Baritonrolle abenteuerlichen Höhen, den sympathischen Wiard Withold wirklich sehr, dennoch wirkt er darstellerisch glaubwürdig. Die Minirolle des verantwortungslosen Des Grieux lässt dem Tenor Enrico Cesari wenig Chancen, sich zu profilieren. Und Roger Joakim gibt als Oberschurke dem Sergeanten Lescaut alles an nötiger Hinterfotzigkeit. Am Pult des großartigen Orchesters lässt Cyril Englebert Aubers herrlichen Melodienzauber richtig aufblühen. Die brave Regie von Paul-Emile Fourny mündet nach sehr interessantem Beginn leider in verstaubten Gesten und alter Rampensingerei. Schade, denn die Wiederbegegnung mit diesem zu Unrecht vergessenen Juwel könnte zu echtem Opernglück werden, für alle, die eine elegante, feinsinnige und spritzigen Variante der Geschichte um die Manon schätzen würden.

 

 

CD: EMI 5 75254 2 von 1975

 

Nur noch bei Amazon gibt es die wunderbare CD mit einer überwältigend gut gelungenen Aufnahme vom Radio France mit Mady Mesple und Peter-Christoph Runge in den beiden wichtigsten Rollen als Manon und Marquis. Die Aufnahme ist so plastisch, dass man die Optik kaum vermisst.

 

 

Jules Massenet (1842 -1912)

Er war eine Art Wunderkind, kam schon mit 11Jahren ans Konservatorium, studierte bei Gounod und Thomas, wurde dann selber dort Professor. Nach meinem Opernführer schrieb er an die 30 Opern. Aber es dauerte, bis er Erfolge hatte: der große Durchbruch kam erst mit „Manon“ 1884, da war er schon 42! Dann kam Werther“ 1892, „Thais“ 1894 und „Don Quijote“ 191o.Die strengen Pariser Regeln für eine „Opera Comique“ erforderten zwischen den Musikstücken immer gesprochen Dialoge. Massenet umging diese Vorschriften, indem er zu Musikbegleitung gesprochene Texte verwendete, also ein sogenanntes Melodram.                     

„Manon“

Massenet hält sich viel enger an die Vorgabe des Abbe Prevost, Masnons Eintritt in eine Klosterschule, Des Grieux wird Abbe, sein Vater kommt vor, die vielen Liebhaber, nur am Schluss: Manon stirbt schon auf dem Weg zur Deportation in Frankreich, also nicht erst in der Wüste von Arizona. Massenets Musik ist ungleich leidenschaftlicher als die von Auber, es gibt große dramatische Szenen, aber die Handlung ertrinkt noch nicht so in Musik , wie später bei Puccini. Neben eindrucksvollen „Ohrwürmern“, die einem lange im Gedächtnis bleiben, kommen bei Massenet, dann auch wieder recht einfallslose Passagen, wie eigentlich in allen seinen Opern. Als Beispiel sei die ganze erste Szene des 3. Akts genannt: musikalisch langweilig, dramaturgisch überflüssig, und das ganz 35 Minuten lang! So ziehen sich die 5 Akte mit fast 3 Stunden Dauer schon manchmal etwas hin. Szenen wie die in der Kirche: „Ah fuyez douce image…“ und das folgende Duett mit Manon, wo sie ihn wieder „rumkriegt“ (3.Akt, 2. Szene), gehören dann allerdings auch wieder zum Großartigsten der ganzen Opernwelt.

 

Einspielungen:

 

 

 

DGG,LA/Berlin,2007,Blu-Ray/DVDs,: „Mitreissende Rollenidentifikationen.“

Die Aufnahme lebt von Netrebko und Villazon. In fast beispielloser Identifikation leben sie ihre Rollen beinahe in Vollendung. Die gesanglich perfekten Leistungen sind selbstverständlich, werden aber beinahe zur Nebensache. Vor allem im 1. Akt und dann noch gesteigert in der 2. Szene des 3. Aktes erreichen sie eine mitreißende künstlerische Dichte, die zu einem der wenigen ganz großen Höhepunkte der gesamten Discographie wird. Villazons „A fuyez douce image…“ hebt diese Aufnahme weit über die seiner Konkurrenten, denn da liefert ein Tenor nicht nur schöne Töne ab, das tun andere auch, vielleicht sogar noch schönere, sondern da fließt echtes Herzblut. Ähnliches gilt für die Schlussszene, bei der sich die beiden gegenseitig übertreffen und eine geradezu schmerzhafte Intensität erreichen. Barenboim wird da als Einspringer im letzten Moment zum bloßen Begleiter. Unfroh machte mich dagegen die Inszenierung: denn die Verlegung in die 50iger des letzten Jahrhunderts ist wieder mal ein alberner unnötiger Regiegag. Insbesondere die Verwandlung der Manon in diverse Filmstars! Manon glich nicht der Marylin Monroe und die Monroe nicht der Manon. Was soll der Unsinn? Ganz davon abgesehen, dass leichtfertige Damen im 20. Jahrhundert nicht mehr nach USA deportiert wurden, stimmt auch sonst gar nichts mehr, denn auch junge Mädchen wurden da nicht mehr ins Kloster abgeschoben und so weiter. Trotzdem: eine wunderbare singuläre Einspielung, dank der beiden Protagonisten.

DGG, Wien, 1983, DVD: „Klassisch schön und gekonnt“

Bei der DGG gibt es, den Managern sei Dank, noch immer die sehr eindrucksvolle Aufnahme aus Wien mit der Gruberova, damals absoluter Superstar der Staatsoper. Und ihr Koloraturenzauber ist ja wirklich überwältigend. Als leichtlebige Manon erfüllt sie ihre Rolle ganz mit dem ihr eigenen Zauber. Man weiß ja aus ihren Rossini und Donizettieinspielungen, welch großartige Komödiantin sie ist. Die dramatische Attitude scheint ihr dagegen nicht so ganz zu liegen. Araiza ist ein Supertenor mit herrlicher Stimme gewesen, aber doch kein so richiger ausgesprochener Singschauspieler. So singt er sein „Ah fuyez….“ Ganz wunderbar, die Verzweiflung dagegen bringt zum Beispiel Villazon viel überzeugender. Großartig ist natürlich   die perfekte und typische Ponnelle-Inszenierung. Natürlich würde man heute nach fast 40 Jahren alles anders machen, ob es aber überzeugender wäre, das sei mal dahin gestellt.

 

So manche schöne Aufnahme wurde von den Herstellern inzwischen leider aus den Verkehr gezogen, ein Zeichen dafür, dass diese Oper wohl doch nicht mehr so gefragt ist. Leider hat Arthaus seine Prachtaufnahme von 2003 mit Renee Fleming und Marcelo Alvarez gestoppt, aber bei Amazon ist sie noch zu haben.

 

Bei Warner Classics gibt es aber noch die wunderschöne von 2007 mit Natalie Dessay und Villazon in der interessanten Regie von Mc Vicar.

 

„Le Portrait de Manon“

1894 komponierte Massenet noch eine Art Fortsetzung zur Manon: Des Grieux hat sich wohl nach Manons Tod bald getröstet und eine andere geheiratet. Sein Sohn (übrigens eine Mezzosopran-Rolle) verliebt sich in ein Mädchen namens Aurora, das der toten Manon sehr ähnlich sieht, was den Vater Des Grieux (hier ein Bariton), in begreifliche Verwirrung stürzt. Des Rätsels Lösung: es ist die Tochter des Sergeanten Lescaut und somit Manons entfernte Cousine, bei Puccini wäre sie ihre Nichte. Rührendes Happy End mit Hochzeit. Die Musik enthält viele Anspielungen zur Oper Manon. Leider habe ich diese Oper nie gesehen, obwohl sie 2014 in Feldkirchen/Kärnten und noch 2019 in Leipzig noch aufgeführt worden war. Aber damals wusste ich das noch nicht.

Einige interessante Ausschnitte findet man im YouTube:

https://www.youtube.com/watch?v=MB92bdRL-NY

https://www.youtube.com/watch?v=6mpliiplMX0

 

Giacomo Puccini (1858 bis 1924)

Nach dem Titan Verdi noch italienische Opern zu komponieren war schon ein Wagnis. Am besten gelang es wohl Puccini, und das aus 3 Gründen: 1. er assimilierte das Neue, das mit Wagner gekommen war, am genialsten in seine Musik, ohne seinen persönlichen Stil aufzugeben und 2. er wählte ganz neue Themen aus der kleinen wahren Welt der Leute und 3. sein Melodienreichtum war so groß, dass er immer aus der eigenen besonderen Phantasie schöpfen konnte und nie epigonal wurde. 8 unsterbliche Opern hat er so geschaffen, und dass er die letzte nicht vollenden konnte, das lag nicht vielleicht daran, dass ihm die Einfälle ausgegangen, waren sondern an seiner Kettenraucherei, die ihm den schlimmen Kehlkopfkrebs beschert hatte

„Manon Lescaut“

Es grenzt schon fast an Verwegenheit, ein Thema, das es schon zweimal recht erfolgreich als Opern und einmal als Ballett (Halevy) gab, neuerdings zu vertonen. Und dann noch mit einem halben Dutzend von Librettisten, darunter auch Leoncavallo. Doch hier verdarben viele Köche mal nicht den Brei, sondern es kam etwas beinahe Neues heraus, das sich vonden anderen 2 Manon- Opern durchaus unterschied. So konzentrierte er die Handlung auf 4 Akte und weniger Schauplätze. Auch das Liebesidyll aus dem 2. Akt Massenets strich er und knallte auf die Szene der ersten Verliebtheit im1. Akt sofort Manons Maitressenleben in Paris, was ihren Wankelmut drastisch aufzeigte. Dafür erfand er die packende Szene vor der Einschiffung der Manon genial neu. Das große Liebesduett des 2. Aktes in das der alte Geronte wie weiland König Marke höchstpersönlich herein platzt, hat nicht nur in der Handlung Anklänge an den Tristan, wenn es hier natürlich auch einige Nummern kleiner zugeht. Ähnliche Parallelen zum Tristan sieht der Puccini Biograph Dieter Schickling zum Beispiel auch im 4. Akt. Das Ganze ertrinkt aber bei Puccini beinahe in schöner Musik. Kein Wunder, dass diese Vertonung nach einer gewissen Anlaufzeit ihre beiden Rivalen ganz (Auber) oder fast (Massenet) verdrängte.

 

Einspielungen:

 

DGG, MET, 1980, DVD: „Ein herrliches theatergeschichtliches Dokument“

Diese 40 Jahre alte Aufnahme ist auch heute noch immer rundherum gekonnt, hinreißend und spannend und vielleicht immer noch eine der besten! Obwohl die Bildtechnik etwas zu dunkel ist. Denn die Inszenierung ist zeitlos gültig, ohne aktuelle Mätzchen und Albernheiten. Und die Sänger absolute Spitze. Das überrascht zunächst, ist doch Renata Scotto da ja schon ein wenig über ihre besten Jahre hinaus. Aber sie agiert auch hier mit derselben überzeugenden herzzerreißenden Leidenschaft wie 25 Jahre früher. Und sie singt wie immer mit „Seele“. Das macht sie so ungeheuer eindrucksvoll. Domingo ist überwältigend großartig, auf seinem absoluten Höhepunkt. So erlebte ich ihn damals in München noch selbst als Des Grieux. Die Nacht des Anstehens hatte sich mehr als gelohnt! Renato Cappecchi gibt sogar der kleinen Rolle des Geronte eigenes interessantes Profil. Und Levine lässt das Met Orchester Puccinis Melodien singen, dass man sich wieder mal wie ins Opernwunderland verzaubert fühlt.

 

Sony, London 2014, DVD/Blu-Ray: „Harter Realismus großartig umgesetzt“

Die perfekte Transformation in die Gegenwart ist da dem Regisseur Jonathan Kent gelungen. Und die alte Story passt ja auch bestens in unsere Zeit, in der es hart und brutal nur noch um Sex und Geld und Macht geht. Bloß die Deportation leichtfertiger Frauen, ja die passt jetzt so gar nicht mehr. Da rächt sich die Zeitverschiebung unerbittlich. Und das ist dann auch die schwächste Szene geworden. Das Schlussbild mit der zerstörten Straße erschreckt und verstört mich in seiner realistischen Härte. In diesem Sinn bewundernswert umgesetzt wird die Geschichte von den beiden Hauptakteuren. Vor allem Christina Opolais geht mit ihrem beinahe erschreckenden Totaleinsatz bis an die Schmerzgrenze der Empfindung. Eine Intensität ohne Rücksicht auf eventuell schädliche Stimmstrapazen. Ob das mal gut geht? Jonas Kaufmann ist ihr der ideale stimmstarke Partner. Auch Antonio Pappano lotet die Dynamik rücksichtslos aus. Was er da den Ohren der Zuhörer zumutet, das lässt kaum etwas vom geliebten Melos des guten Puccinis übrig. Ich weiß, so will man das heute. Aber die Verzauberung, wie sie früher in der Oper zu erleben war, die war mir ehrlich gesagt lieber als dieser ganze Realismus.

3. Nur noch 3 weitere Einspielungen auf DVD/Blu-ray entdeckte ich von dieser doch so populären Oper. Die anderen sind nicht mehr lieferbar. Besteht selbst nach solchen Rennern keine Nachfrage mehr?

Bei Warner-Classics gibt es noch die 1997 in Glyndebourne aufgezeichnete Aufnahme unter Gardiner, der Puccini ganz neu erleben lässt: filigran und sensibel, fast wie Mozart klingend, dazu passt der schlanke Tenor von Patrick Denniston, der Puccinis Kantilenen ganz ohne die üblichen Drücker blühen lässt. Etwas farblos aber stimmlich einwandfrei Adina Nitescu in der Titelrolle. Die Bühne recht karg aber durch bunte Kostüme aufgelockert. Köstlich die Tanzparodie der Greise im 2. Akt.

4. 1998 folgte an der Scala eine Aufzeichnung bei Naxos unter dem brillanten Muti. Der damals gerade als neuer Domingo hochgehypte Jose Cura überzeugt darstellerisch voll mit seinem dynamischen Spiel, setzt mir aber mit seinem zweifellos herrlichen Material doch zu sehr auf „Stimmritzenprotzerei“, wie das der alte Leo Slezak nannte. Maria Guleghina hatte hier auch schon das Format, mit dem sie einige Jahre später als Abigail Furore machte. Eine sehr schön altmodisch-klassische Inszenierung, wer sich das das noch zu mögen traut.

5. Bei Arthaus gibt es seit 2008 eine etwas sonderbare Inszenierung aus Chemnitz, deren Konzept von Hilsdorf stammt, deren Ausführung vor Ort aber ein Hausregisseur übernahm. Eine freudlos langweilig-zeitlose Szenerie, die im 4. Akt statt in der Wüste von Arizona in der Kloake von Paris endet. Ein alberner Kostümmischmasch aus mehreren Jahrhunderten soll wohl zeigen, dass die Story zeitlos passieren könnte, was das blöde Publikum ja sonst nicht merkt! Ich schätze Aufnahmen aus der sogenannten Provinz sehr, sieht man doch da, welch erstaunliche Leistungen dort vollbracht werden und wie gering der Abstand zum hoch vermarkteten Startheater doch ist. Astrid Weber und Zurab Zurabisvili bestätigen das auch hier wieder einmal. Und ich denke voll Hochachtung an einen großartigen „Ring“ den ich einige Jahre vorher in Chemnitz erleben durfte, ehe der spätere Intendant dann modernes Regietheater anordnete.

 

Hans Herner Henze (1926 – 2012)

 

Über viele Jahrzehnte habe ich Uraufführungen besucht und meistens durchlitten, auf der Suche nach wirklich überzeugenden neuen Lösungen. Gehalten hat sich kaum eine der vom Feuilleton zunächst hochbejubelten Novitäten. Es ist wohl schon so, wie Fischer-Dieskau in seinem letzten Buch schreibt: das musikalisch Mögliche wurde in den letzten Jahrhunderten schon restlos ausgeschöpft, und zwar von den größten Genies der Musikwelt. Was sollte da überhaupt noch kommen können? Die atonale Musik hat sich in über 100 Jahren nicht so recht durchgesetzt, wohl weil sie allzu brutal der Physiologie des Hörens widerspricht, wie mir ein musikalisch gebildeter HNO Arzt mal erklärte. Henze hat als unwahrscheinlich produktiver Künstler mit 23 Bühnenwerken, 10 Symphonien und noch mehr Kammermusik immer wieder probiert, akzeptable neue Wege zu gehen. Scheute auch vor eklektischen Lösungen nicht zurück. Was davon hielt sich im Repertoire? Doch auch politisch nahm er Stellung. Bei der Uraufführung am 9.12 1968 zum „Das Floß der Medusa“ verließen Chor und Solist Fischer Dieskau das Podium wegen der zunehmenden politischen Agitationen. Es gab sogar Verhaftungen und Prozesse.

„Boulevard Solitude“

Henze folgt weitgehend der Vorlage von Abbe Prevost, verlegt aber alles in eine erstarrte kalte Gegenwartsgesellschaft, in der jeder einsam ist. Um das Alleinsein zu verdeutlichen also kein Name eines Menschen der Titel, sondern der einer Straße, der „Straße der Einsamkeit“. Das Paar scheitert nicht wie bei den anderen Verarbeitungen am Übermaß der Leidenschaft sondern am Mangel an Gefühlen. Der Spiegel für die Gegenwart ist überdeutlich. In 7 Szenen wird die Handlung erzählt, 7 Mal unterbrochen durch Orchester-Interludien. Manon ist eine Dirne. Der reiche Gönner ist hier der Tenor und es kommt auch sein Sohn als Liebhaber der Manon vor, der nun wiederum Bass singt. Manon tötet den Alten und muss ins Gefängnis. Es gibt keine Sterbeszene am Schluss, sondern eine Art Orchesterepilog. Musikalisch kommt die polyphone Zwölftonart relativ selten vor, so dass diese seine 4. Oper musikalisch noch am leichtesten zugänglich ist. Besonders die Außenseiter Manon und Des Grieux sind durch Zwölftontechnik charakterisiert, der reaktionären Gesellschaftsschicht ist aber meist konservative Tonalität zugeordnet. Für die steife, stockkonservativ- reaktionäre Zeit um 1952 war das bereits sozialkritischer Zündstoff und schon deshalb erregte das Werk gehöriges Aufsehen, das heute nicht mehr so ganz nachvollziehbar ist.

 

Einspielungen

 

 

EuroArts, London und Barcelona, DVD, 2007: „Weder neu noch aufregend“

Die einzige DVD dieser Oper wurde inzwischen von EuroArts vom Markt genommen, ein Zeichen, wie fremd die atonale Musik auch nach über 100 Jahren dem Publikum geblieben ist. Dabei ist diese Wiedergabe außerordentlich gut gelungen. Geradezu genial die Regie des Altmeisters Nikolaus Lehnhoff und die Sänger sind sehr passend ausgewählt. Hingebungsvoll widmen sie sich ihren vertrackten Gesängen, bei denen der Laie manchmal gar nicht nachvollziehen kann, woher sie wissen, welchen Ton sie jetzt zu singen haben. Laura Aikin identifiziert sich derart mit ihrer Rolle, dass die Manon geradezu plastisch entsteht. Großartig! Tom Fox als Bruder Lescaut gibt dem hier recht fiesen Schurken die hämisch bösartige Kontur und Par Lindskog als Des Grieux, macht die Qualen des so unglücklich ungeschickten Verliebten nachvollziehbar. Trotz dieser wirklich ganz hervorragenden Darbietung muss ich gestehen, dass mich diese Musik wenig anspricht und statt Ergriffenheit vor allem ein Gefühl zäher Langeweile zurückbleibt.

2. Als CD gibt es über Amazon immer noch die erste Schallplatteneinspielung von Naxos von 1953 mit Elfriede Trötschel und Josef Traxel, dem damaligen Belcanto-Tenorstar. Hochinteressant, die beiden mal in ganz anderen Rollen zu erleben. Doch ohne die ablenkende Optik wurde mir der oben zugegebene Eindruck noch deutlicher.

Fazit: das Publikum entschied sich eindeutig vor allem für Puccinis „Manon Lescaut“, eng gefolgt von Massenets „Manon“. Schade um die praktisch vergessene feinsinnige und geistvolle Fassung von Auber. Das Schicksal der Gegenwartsopern teilt Henzes Werk: hochgepriesen und schlecht besucht.

 

24.6.2021 Peter Klier

 

 

11x Lohengrin: Für jeden etwas

1.DGG DVD, Met New York 1976/1986

Ein theatergeschichtliches Dokument mit der Rysanek

Nach der ersten Aufführung an der MET 1886 wurde Lohengrin über 600 mal gespielt und mir scheint fast, man hat die Kulissen und Kostüme von anno dazumal 100 Jahre lang brav bis 1986 aufgehoben und wieder verwendet. Das macht diese Aufnahme als theatergeschichtliches Denkmal richtig sehenswert: So wurde an der MET 100 Jahre lang Oper inszeniert! Und sogar auch noch von einem der bekanntesten Theatermacher in Europa, nämlich dem August Everding. Vor allem die Wagnerpuristen werden deshalb natürlich bestens auf ihre Kosten kommen. Musikalisch ists sowieso ziemliche Spitzenqualität, denn Levine donnert wahre Wagnerwonnen aus dem Orchestergraben, so dass das permanente akustische Gänsehautgefühl jeden Romantiker begeistert. Und dann brennt im 2. Akt Leonie Rysanek als Ortrud ein stimmliches und darstellerisches Furioso sondergleichen ab, so dass man alle Kulissen und Helme und Ritter vergisst. Und Peter Hofmanns Lohengrin ist nicht nur optisch überwältigend als himmlischer Gralsbote. Alle anderen haben bestes Gesangsniveau, das versteht sich an so prominenter Stelle ja von selbst. Alle Nostalgiker werden jubeln!

 

2.Euroarts DVD, Bayreuther Festspiele 1982:

Das Meisterwerk des Regie - Altmeisters

Die ja nicht mehr so ganz neue Aufnahme ist so gekonnt zeitlos, dass sie immer noch besticht. In den abstrakten Kulissen des damals so berühmten Nagelkünstlers Günther Uecker zaubert Götz Friedrich ein Opern-Märchen hin, mit so psychologisch durchdachter Personenführung, dass es immer noch richtig aufregend ist. Und das alles, ohne dem Werk einen neuen Inhalt überzustülpen, wie es ja inzwischen üblich ist. Großartig, packend und auch notengetreu werkgerecht. Allen voran realisiert Karen Armstrong die Ideen ihres Ehemannes, ergreifend als rührende Elsa. Und was ihr vielleicht stimmlich zum Weltniveau fehlt, ersetzt sie voll durch ihre Hingabe an das Werk. Wie sie ängstlich zögernd den Traumritter nur vorsichtig mit einem Finger zu berühren wagt, das muss ihr erst mal jemand nachspielen. Peter Hofmann ist wieder Lohengrin, eine optische Inkarnation und er singt auch noch großartig. Elizabeth Connell und Leif Roar agieren psychologisch durchdacht eher unterschwellig gemein böse, was noch spannender ist. Zeitlos meisterhaft und erhaben über alle Moden.

 

3.Arthaus Musik DVD, Wien 1992:

Domingo for ever

Diese Einspielung ist wohl wegen Placido Domingo als Lohengrin entstanden, und der singuläre Sänger hat sicher verdient auch in dieser Rolle dokumentiert zu werden. Er rechtfertigt sie jede Sekunde voll und ganz. An Stimmgewalt und Schönheit kommt ihm keiner gleich und sein spanischer Akzent passt hier sogar zum exotischen Sendboten. Aber er steht nicht allein. Cheryl Studers feine Elsa, Dunja Vejzovic und Hartmut Welker als intensives böses Paar und dann der sensible Claudio Abbado am Pult in der gediegenen Regie von Wolfgang Weber, ein Genuss ohne Reue, zwar oft schon so gesehen aber garantiert ohne Ärger über Regieunsinn.

 

4.DGG DVD, Bayreuther 1993

Wie im Opernhimmel: Romantische Oper für Träumer

Der großartige Maler Henning von Gierke hat schon einige Opern mit seinen wunderbaren Bildern genial ausgestattet (Holländer, Freischütz, Giovanna d‘Àrco) und liefert auch für diese wunderschöne Produktion romantische Bilder und Schneelandschaften von so zauberhafter Intensität, dass sie geradezu kongenial zur Musik harmonieren. Das Schlussbild, in dem die Welt in eisiger Schneekälte erstarrt, wenn Lohengrin abreist, dieser poetisch erschütternde Anblick ist allein schon die ganze Aufnahme wert. Nicht nur so hoffnungslose Romantiker wie ich kommen da ins Träumen und könnten vor Glück abheben. Denn auch musikalisch ist alles aufs Beste bestellt und die Regie von Herzog nimmt sich sehr klug zurück, was umso wirkungsvoller ist. Der hervorragende Praktiker Peter Schneider sorgt am Pult für gefühlvoll dramatische Musik, Paul Frey singt ebenso gut wie er aussieht, Cheryl Studer ist hier tausendmal besser als in der Wiener Aufnahme mit Domingo, Gabriele Schnaut und der großartige Ekkehard Wlaschiha (der beste Telramund den ich kenne) sind als böses Paar absolute Spitzenklasse. Ja und des „Basses Grundgewalt“ von Manfred Schenk lässt das alte Festspielhaus geradezu erbeben. Also ungefähr so wie diese Inszenierung stelle ich mir meinen ganz privaten Opernhimmel vor.

 

5.Euroarts, DVD, Barcelona/HH, 1998/2006

Lohengrin im Klassenzimmer - einfach herrlich!

Im Jahre 1996 hatte ich mir für „Der Opernfreund“ eine Glosse als Lohengrin Parodie ausgedacht, die in der Schule spielen sollte. Wie erstaunt war ich, etwas später genau meine Parodie in HH als Inszenierung zu erleben. Und ich habe mich prächtig amüsiert, vor allem im 1. Akt, wenn Elsa dauernd wieder im Schrank verschwindet und die kurzbehosten hehren Helden mit Holzschwertchen aufeinander losgehen. Und dann Elsa und Ortrud, die sich unter den Schulbänken statt vor dem Münster balgen und an den Haaren ziehen. Witzige Ideen meisterhaft ausgeführt. Und ganz allmählich ohne es zu wollen wird man dann aber doch vom wirklichen Drama umfangen und staunt über Konwitschny, der aus dem Ulk unmerklich echtes packendes Theater entstehen lässt. Oder ists doch Wagners Theaterpranke, die da wieder zuschlägt? Ein Theater-Genie, das sogar noch   Klamauk zum packenden Drama werden lässt??? Wer Humor hat und auch über seine Idole (und Wagner ist für mich der Größte) mal lachen kann, der wird sich über die 2 DVDs bestimmt freuen. Zumal die Sängerdarsteller mit allergrößter Begeisterung dabei sind, voran Emily Magee als köstlich naives, aber auch ganz liebes Elsa-Dummchen, der es sogar gelingt, hinter der Parodie das Drama aufzuzeigen. Großartig! Luana DeVol als bezopftes Klassenmonster mit Riesenstimme. Blasser der Telramund H.J.Ketelsen und sehr solide aber kein Aufreger der Lohengrin John Treleavens. Alles spannend und verblüffend anders bis zum total überraschenden Schluss!

 

6.Opus Arte/Naxos, DVD, Baden-Baden, 2006

Die ideale zeitgemäße Musteraufführung

 „Ortrud“ müsste diese Aufführung eigentlich heißen, denn die unvergleichliche Waltraud Meier überragt hier das Ensemble und das will bei dessen hohem Standard schon was bedeuten! Auf einzigartige Weise fasziniert sie sowohl im souverän ausdrucksvollen Gesang mit fulminanter Höhe als auch im schleichend intriganten Spiel. Die rührend liebevolle und verliebte Elsa der Solveig Kringelborn hat da keine Chance. Dieses Zusammenspiel ist ganz große packende Oper, ebenso ergreifend wie das des kühlen schlank singenden Klaus Florian Vogt, der wirklich aus einer anderen Welt zu kommen scheint, mit dem sehr irdischen Bilderbuchbösewicht von Tom Fox. Das sind wahre Sternstunden und lassen in ihrer Vollkommenheit den wortdeutlichen Roman Trekel als Heerrufer und gewaltigen Hans-Peter König beinahe zu Stichwortgebern verkümmern. Kent Nagano sorgt für sensible ätherische Klänge aber auch für die nötige Dramatik. Da die kühl moderne Inszenierung Nikolaus Lehnhoffs in der abstrakten weißen Arena vom Geschehen nicht ablenkt, konzentriert sich die Aufmerksamkeit ohne ablenkende Regiemätzchen direkt auf das psychologisch dichte und spannende Geschehen. Das Wundervolle dieser Geschichte allerdings, das kommt hier, wie meistens, zu kurz. Dennoch: die Musteraufführung des 21. Jahrhunderts wäre hier gefunden.

 

7.Decca DVD München 2009

 

 

Häuslebauerin und Zimmermann 

 

Ich habe mich, als es endlich Opern DVDs gab, riesig gefreut, jetzt die Opernwunder auch sehen zu können. Aber diese Aufnahme hätte besser nur als CD erscheinen sollen, denn musikalisch ist sie eine richtige Jahrhundert Einspielung. Kein Wunder, bei dem Traum-Ensemble!!! Als DVD jedoch ist sie ein Ärgernis. Wieder mal ist ein unfähiger Regisseur schuld daran, der unbedingt eine andere Geschichte erzählen will als Musik und Textbuch vorgeben! Da stimmt dann wirklich überhaupt nichts mehr. Elsa als Häuslebauerin!!! Ja um Gottes Willen hat der nicht begriffen, dass sie von einem Ideal träumt, und nicht von einem kleinspießigen Reihenhaus. So wie Wagner einst ja auch vom Ideal der Kunst als politische Kraft träumte. Naja, was soll‘s, Ignoranten gibt’s halt immer wieder! Das Musikalische dagegen ist großartig und die Piani von Jonas Kaufmann können glatt süchtig machen. Zusammen mit Anja Harteros haben wir wieder mal ein Traumpaar. Aber auch die beiden bösen Michaela Schuster und Wolfgang Koch überzeugen stimmlich und in der Darstellung total. Natürlich parodieren die Zimmermannskostüme und banalen T-Shirts ganz blödsinnig die hochpathetische gewaltige Musik. Dabei nimmt Kent Nagano Wagner wirklich wunderbar ernst. Augen zu und hören: dann tun sich wahre Wunder auf!

 

 8.Opus Arte/Naxos, 2 DVDs Bayreuther Festspiele 2011

Kein Rattengift nötig!

selten ist mir bei anderen Inszenierungen so deutlich geworden, wie großartig Wagners Werk ist, da es ja sogar diese Regie mit all ihren „witzigen“ Ideen problemlos überlebt. Dabei sind es ja gar nicht so sehr die berühmten „Ratten“, denn die passen zu den martialischen Aufmarschszenen geradezu genial. Nein, blöd sind die Mätzchen, die Neuenfels seinem Ruf als „Schocker des spießigen Publikums“ wohl schuldig zu sein glaubt. So das Herumtorkeln des offenbar besoffenen Königs. Georg Zeppenfeld führt das mit geradezu selbstloser Disziplin aus. Auch der Brautzug zum Münster soll dann ja wohl mit den heraushängenden Rattenschwänzen karikieren. Dumm die primitiven Comiceinspielungen, die die Vorspiele zu den Akten verblödeln. Schade, denn zwischendrin gibt’s auch packendes Musiktheater. Zum Beispiel in der furios als Loriotschen Ehekrach inszenierten Brautgemach Szene. Nun sind aber auch fulminante Singschauspieler am Werk. Klaus Florian Voigt gefällt mir als Gralsritter, der wirklich wie nicht von dieser Welt singt,   und Annette Dasch   mit ihrem schauspielerischen Totaleinsatz. Das böse Paar ist überzeugend böse mit Petra Lang und Jukka Rasilainen, der leider stimmlich etwas matt klang. Andris Nelsons als sängerfreundlichen und liebenswerten Dirigenten zu loben fällt einem sehr leicht. Fazit: Wagner, mal nicht ganz so ernst genommen, das allein rechtfertigt ja schon den Kauf dieser 2 DVDs.

 

9. DGG   2 DVDs, Dresden 2017

 

Anna for Elsa! Ein wirklicher Superabend!

Wenn das nicht ein Abend der Superlative war! Hervorragende

Sängerpersönlichkeiten, ein wunderbares Orchester, und noch dazu keine blödsinnigen Einfällen der Regie. Denn Regie gab es ja eigentlich gar keine. Von der uralten Mielitz-Inszenierung von 1983 waren wohl nur das langweilig öde Bühnenbild übriggeblieben und martialisch militante Aufmärsche des herrlich singenden Chors. Aber so ganz ohne Regie geht’s halt auch nicht. Schon gar nicht mit gleich 2 Rollen-Debütanten: Netrebko meistert das Problem natürlich mühelos, sie folgt ihrem grandiosen Bühneninstinkt und zieht alle in ihren Bann. Schwer dagegen tut sich der eher steife Piotr Beczala, der wie immer grandios singt, aber doch als Darsteller etwas langweiliger ist. Er könnte durch eine gute (!!) Regie nur gewinnen. Bleibt aber dennoch die Frage, ob er wirklich genügend Durchschlagskraft für den Gralsritter hat? Im 2. Akt ging er in den Orchesterfluten manchmal etwas unter. Allerdings haut da Thielemann schon richtig drauf, verzaubert aber sonst wie immer emphatisch mit „seiner“ Dresdner „Wunderharfe“. Neben der gewaltigen Elsa dominierte Evelyn Herlitzius als wie immer grandiose Ortrud in ihrem ausgefeilten Rollenporträt. Zusammen mit dem interessanten Tomasz Konieczny als Telramund sind die beiden ein richtiges Traumpaar des Bösen. Den König orgelt Georg Zeppenfeld sehr edel und präsent wie immer. Aufgewertet wird der Heerrufer durch die Persönlichkeit von Derek Welton. Insgesamt auf jeden Fall ein sehr schönes Dokument eines hochgefeierten, spannenden und vermutlich wirklich einmaligen Musikevents.

 

10. DGG 2 DVDs, Bayreuth 2018

 

Der Elektromonteur und die Kleidermotten  

Es gab mal eine Zeit, da war Bayreuth weltweit beispielgebend für allerhöchste Qualität und Integrität das Werk Richard Wagners betreffend. Nur die Besten, die sich anderswo schon bewiesen hatten, wurden eingeladen und garantierten Spitzenaufführungen von denen man noch lang zehren konnte. Wenn ich nun diese dilettantische Inszenierung damit vergleiche, erfasst mich gleichermaßen Trauer und Zorn. Trauer über die Inkompetenz eines blutigen Anfängers, der nicht mal sein Handwerk beherrscht und sich wohl zum ersten Mal mit Wagner beschäftigt hat, und Zorn über die unprofessionelle Festspielleitung, die so etwas veranlasst. Aber genug damit. Musikalisch konnte man dagegen ja wirklich sehr zufrieden sein, dafür sorgte allein schon Christian Thielemann, von dem ich aber erwartet hätte, dass er solch eine dilettantische Regieblamage verhindert. Piotr Beczala hat sich seit seinem Rollendebut in Dresden gewaltig gesteigert und scheint sich wirklich zum idealen Lohengrin unserer Zeit zu mausern. Anja Harteros war in der Müncher Aufführung wohl besser disponiert, vielleicht störte sie hier die wirrgraue Hexenperücke. Waltraud Meier zeigt dass sie noch immer faszinieren kann, auch wenn die Höhenlage nicht mehr so präsent ist. Tomas Konieczny und Georg Zeppenfeld, inzwischen Telramund und König Heinrich vom Dienst, überzeugen auch als Kleidermotten. Als CD wärs sicher eine Spitzenaufnahme.

 

11. Naxos/BelAir, DVD/Blu-ray Stuttgart2020

 

Ein Wunder - leider aber nur im Orchestergraben

Das einzige Wunder in dieser Inszenierung (Arpad Schilling) spielt sich im Orchestergraben ab. Dafür sorgt der grandiose Cornelius Meister, Nomen est Omen, geradezu meisterhaft! Und auch der Chor blüht richtig festspielwürdig auf. Das allein ist schon diese Einspielung wert. Auf der Bühne aber herrscht 3 Akte lang gekonnt anspruchsvolle Finsternis ägyptischen Ausmaßes. Statt eines Gralsritters wird einer aus der Mitte der ärmlich gekleideten Werktätigen zum Retter bestimmt. Obwohl der Chor doch eben noch von einem Wunder mit einem Schwan sang! So geht es dann 3 Akte lang weiter: auf der Bühne wird ein ganz anders Stück gespielt als Musik und Textbuch erzählen. Nun können solche Brüche ja einen ganz spannenden Kontrast erzeugen, aber hier ist die Diskrepanz einfach zu groß und es wirkt unfreiwillig erheiternd, wenn zu der banalisierten Handlung sphärisch abgehobene Musik ertönt, und sich die Werktätigen in hochtrabendstem Wagnerpathos äußern. Das wäre etwas für die Parodisten. Die Sänger schlagen sich trotzdem sehr achtbar: allen voran Simone Schneider als sehr gefühlvoll spielende und singende Elsa. Mit ihrer Prachtstimme wuchtet Okka von der Damerau eine mächtige Ortrud auf die Bühne,. Gestalterisch bleibt sie etwas blass. Ihr Telramund, wird von Martin Gantner sehr überzeugend dargestellt, und Goran Juric orgelt als König mit balsamischem Bass seine Gesänge. Lohengrin ist hier der sympathische Antiheld und Michael König ist dafür der überzeugendste Darsteller, der auch sehr schön auf Linie singt 

            

Fazit: Was tun? Wieder ganz einfach, denn es gibt für jeden etwas:

 

Traditionalisten werden mit den DVDs aus der Met selig werden.

Intellektuelle mit Gefühl mögen sicher die Aufnahme aus Bayreuth von 1982.

Intellektuelle ohne Gefühl werden bei der  Stuttgarter nichts vermissen.

Domingo-Fans langweilen sich ihm zu Liebe gerne in der braven Wiener Aufnahme

Waltraud Meier-Fans werden in Baden Baden mitreißende Perfektion erleben.

Kaufmann-Fans wählen die Münchner und ärgern sich dort über die Regie.

Netrebko-Fans wird die fehlende Regie der Dresdener nicht im geringsten stören.

Wagnerianer, die Humor haben, amüsieren sich bei Konwitschny oder bei Neuenfels und seinen Ratten.

Romantiker, falls es die noch gibt, beglückt die Bayreuther Aufnahme von 1993!

Neugierige, die genug Mottenpulver haben, könnten die Bayreuther von 2018 mit Freude anhören. Na denn viel Spaß.

 

Wünscht Ihr Peter Klier 18.2.2021

 

Anmerkung des Hrg.

 

Daß sagenhafte 11 Opernaufnahmen in einem Artikel besprochen werden ist nicht nur eine fleissige Groß-Wahnsinnstat, sondern gehört eigentlich ins Guinness Buch der Rekorde. Das gab es bisher nur im OPERNFREUND. So etwas ist einmalig, ein quasi Alleinstellungsmerkmal unseres OFs. "Leidenschaft für Musiktheater" ist unser Untertitel. Ich kenne niemanden, der diese mehr im Herzen hat, als unser Ehrenvorsitzender, Alterspräsident und letztes noch lebendes Gründungsmitglied. Dafür den besonders herzlichen Dank der Herausgeber.

Hinzu kommt noch die Riesenarbeit jedes Cover mit einer alten Agfa Clack abzufotografieren und separat entwickeln zu lassen. Daher bitten wir unsere Leser wegen der etwas ungewohnten Analog-Qualität (Ja so waren die Bilder halt früher) um Nachsehen. Die Herausgeber sammeln gerade für eine neue Digitalkamera, die er dies Jahr zu seinem 81. Geburtstag bekommt. Aber PSSST - nicht verraten ;-). Ich werde im Laufe der nächsten Wochen die Coverfotos gegen Digitalbilder der Plattenhersteller austauschen.               Peter Bilsing, 18.2.2021

 

 

 

 

7 Mal „Luisa Miller“

und 7 Volltreffer - nicht nur für Verdifans!

 

DGG, DVD, Met, 1979:

„Opas Operngala als mitreissendes Stimmenfest!“  

Stimmlich ist diese Aufnahme eigentlich nicht mehr zu toppen: Domingo ist auf noch dem Höhepunkt seiner Leistungskraft, voll glühender Empathie und mitreissendem Einsatz, Sherrill Milnes verwöhnt mit seinem sanftweichen Luxusbariton, Renata Scotto begeistert mit herrlich strahlender Ausdruckskraft, Bonaldo Giaiotti orgelt den verbohrten Vater mit Bassesgewalt und James Morris singt den Wurm fast zu schön. James Levine sorgt wie immer für den aufregenden Verdidrive im Orchester. Als CD wäre die Einspielung unübertroffen. Auf der Bühne allerdings sieht man eine Aufführung, die wie aus Verdis Zeiten importiert zu sein scheint, in ihrer naturalistischen Opulenz der aufwändigen Kostüme und der gewaltigen Pappendeckelkulissen. Das alles lenkt vom dramatischen Geschehen durch zuviel Pomp ab. Zumal der Regie zur Personenführung aber auch schon gar nichts eingefallen ist. Jeder steht halt irgendwie herum und singt so schön er nur kann. Wobei nur Domingo und Scotto mit ihren herausragendem schauspielerischen Einsatz ihren Rollen starkes Profil geben und für dramatische Steigerungen sorgen. Fazit: hören und geniessen, auch wenn Ton und Bildqualität nicht so ganz auf dem heutigen Niveau sind.

 

 

Hardy/RAI, 2DVDs, Pavia,1981:

„ Ein gediegen braves Fundstück, nur für eifrige Sammler

Bisher war die Aufnahme nur schwer zu erhalten, da sie nicht menr hergestellt wurde. Jetzt gibt es diese Uraltproduktion aus Italien in Restposten gerade wieder bei Amazon, allerdings kostet sie dort bis über 30 €, was sie schon wegen der technischen Qualität überhaupt nicht Wert ist! Interessant ist sie eigentlich nur für Sammler und wegen der damals blutjungen (21 Jahre!!) Sopranistin Cecilia Gasdia, die später auch mal die Festspiele in Verona leitete und Abgeordnete war. Auch ein Wiedererleben mit dem einst berühmten Dirigenten Gavazzeni freute mich. Die Inszenierung ist brav und bieder, der Gesamteindruck nicht gerade überwältigend.Fazit: nur für eifrige Sammler von Interesse

 

 

„Kultur“, DVD, Lyon,1988:

Erinnerung an die guten Achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts.

Ganz auf die damals sehr berühmte Sängerin June Anderson zugeschnitten, ist diese Aufnahme. Und das mit Recht. Sie dominiert gesanglich und darstellerisch das übrige Ensemble und sie wäre auch der hauptsächliche Grund, sich mit der Einspielung zu beschäftigen. Nuancenreich und ausdrucksvoll stellt sie diese schwere Rolle dar, auch wenn manche Passagen doch aufzeigen, dass sie ihr nicht leicht fielen. Kein Wunder, ist sie doch erst kurz zuvor vom reinen Belcantokoloratursopran zu „schwereren“ Partien übergewechselt. Doch ist dieser Einwand angesichts der künstlerischen Gesamtleistung ebenso unwichtig, wie die schwächelnde Höhe des eindrucksvoll spielenden Eduard Tumagian als Miller. Stimmlich und darstellerisch voll überzeugend der Graf Walter Paul Plishka und der fiese Wurm des Romuald Tesarowicz. Das Kreuz der Aufnahme schien mir dann aber doch der Rodolfo des Japaners Taro Ichihara zu sein. Maurizio Arena dirigiert das erstaunlich gute Orchester der Lyoner Oper spannungsvoll. Jaques Lasalle hat eine sehr effektive moderne Inszenierung geschaffen, die typisch für die Achtziger Jahre ist: durchaus wirklich neue Wege zu gehen, ohne aber das Werk zu verändern oder gar zu zerstören, wie es das Regietheater später dann leider allzu oft in selbstverliebter Arroganz und Ignoranz zu tun begann. Leider sind nur Untertitel in sehr freier Englischer Sprache vorhanden. Fazit: Ein Dokument über June Anderson und die Opernkultur dieser Zeit.

 

 

Naxos, 2 DVDs, Venedig, 2006

Ohne Schnickschnack: pures Drama packend serviert                        

Geradezu umgekehrt als bei der Aufnahme aus der MET ist es hier: nicht ein brilliantes großes Stimmenfest wird geboten, sondern der dramatische Totaleinsatz eines eingespielten homogenen Ensembles. Das sorgt für ein durchwegs packendes dramatisches Bühnengeschehen. Dadurch wird die Aufnahme dem Werk letzten Endes gerechter als durch noch so bewundernswerte Stimmopulenz. Aus diesem Ensemble jemand als besonders hervorzuheben, fällt schwer. Dennoch seien stellvertretend die 3 Hauptakteure genannt: Darina Takova überzeugend als Luisa, der routinierte höhensichere Giuseppe Sabbatini als Rodolfo und Damian Salerno als einsatzfreudiger Miller mit breitem Tremolo. Ein leicht verwandelbares, etwas abstraktes Bühnenbild passt sich dem spannenden Bühnengeschehen stimmungsmässig sehr gut an. Maurizio Benini sorgt für den spannenden Orchesterteil und Arnaud Bernard für die intelligente Regie. Fazit: Wer auf eine interessante, moderne und dennoch werkkonforme Inszenierung mehr Wert legt als auf Stimmenopulenz der ist hier richtig.

 

 

C Major, DVD, Parma, 2007:

„Die italienische Provinz zeigt Flagge - und wie!“

 „Il vecchio Miller“ oder „Il Padre“ müsste Verdis Oper in dieser Aufnahme heißen, denn Leo Nucci ist für mich hier wieder der alle anderen überragende Künstler. Seine Ausdrucksgewalt und seine Emotionalität ergreifen immer wieder. Und dabei war er damals, man glaubt es fast nicht, schon 65 Jahre alt! Natürlich sind stimmliche Verschleißerscheinungen zu merken. Angesichts dieser überragenden Leistungen sind sie aber ohne Bedeutung. Denn noch immer kann er mitreissende Höhepunkte setzen, wie kaum einer der Jüngeren. Marcelo Álvarez, der Rodolfo, singt zwar wie immer mit sehr schönem Höhenglanz und auch recht leidenschaftlich, und er engagiert sich mit Volldampf. Aber leider fehlt ihm das nötige schauspielerische Talent. Er macht alles richtig, aber die mitreissende Ausstrahlung eines Leo Nucci zum Beispiel, die hat der sympathischen Künstler leider nicht im gleichen Maß. Neben diesen beiden schwächelt die etwas blasse Luisa der Fiorenza Cedolins zumindest am Anfang doch sehr. Später steigert sie sich aber dann zu eindrucksvoller Gestaltung. Als Conte di Walter habe ich schon viel überzeugendere Darsteller erlebt als Giorgio Surian, und auch zu Rafal Siwek könnte ich mir faszinierendere Alternativen in der Bombenrolle als Wurm vorstellen. Donato Renzetti leitet das Orchester recht brauchbar, ohne besondere Aspekte zu finden. Recht spannend die Inzenierung mit dem naturalistisch einfachen Bühnenbild für die Szenen der „einfachen“ Leute und einem abstrakten Gitternetz für die verbrecherische Oberschicht. Das Schlußbild mit den riesigen Kerzen im Hintergrund ist zwar emotional sehr ergreifend, aber doch haarscharf nahe am Kitsch. Fazit: Nicht nur für Nucci und Alvarez Fans lohnend, sondern eine echte spannende Alternative zu den anderen Einspeilungen.

 

 

Leider noch keine DVD!, Zürich, 2009:

„ Die verpasste Chance der DVD Produzenten!“

Bei YouTube fand ich noch eine sehr interessante Einspielung von 2009 aus Zürich mit dem großartigen, meist leider unterschätzten, Tenor Fabio Armiliato und der nicht minder hervorragenden Barbara Frittoli. Den Miller zeichnet Leo Nucci (67!!!) als äußerst eindrucksvolle Charakterstudie. Dass er damals schon nicht mehr so ganz im Vollbesitz seiner großartigen Stimme war, mindert seine einmalige Leistung nicht im Geringsten. Der große Charakterbass Laszlo Polgar ist der überzeugend böse Graf Walter. Massimo Zanetti dirigiert sehr spannend. Leider gibt es aber weder bei Amazon noch bei Jpc eine DVD dieser eindrucksvollen, leicht surrealistischen Inszenierung von Damiano Michieletto. Es hat sich wohl kein Label für dieses Prachtstück interessiert. Verdis „Luisa Miller“ ist halt leider völlig zu Unrecht nicht so bekannt wie andere seiner Opern. Fazit: Schade, denn diese Aufnahme lohnt sich auf jeden Fall für jeden ernsthaften Verdi-Fan. Ich war wieder mal hell begeistert!

 

 

Arthaus, Blu-ray, Malmö, 2012:

„ Intelligent und rundum gelungen: einfach Spitze!“

Diese Blu-ray war für mich die riesengroße Überraschung! Zwar kannte ich aus Malmö die sehr guten Aufnahmen von „Jenufa“ (2013 bei Arthaus) und „Pelleas und Melisande“ (2016 bei BelAir). Aber diese wunderbar gelungene Luisa Miller hat mich schon sehr überrascht. An Spannung und Ausdrucksgewalt toppt sie fast alle anderen Aufnahmen! Das fängt schon mit dem interessanten Bühnenbild (Christian Taraborrelli) an: nichts als eine grüne Wiese, wenn Luisas Welt noch in Ordnung ist, die dann aber schon mit dem Erscheinen Wurms aufbricht und immer mehr zerfällt, so wie Luisas Welt kaputt geht. Das Schlußbild folgerichtig dann in einer kahlen leeren Hütte. Dazu derart überzeugende Singschauspieler, die dem jweiligen Typ ihrer Rolle haarscharf entsprechen. Besonders der Wurm (Lars Arvidson, ein großartiger Schauspieler mit ausdrucksvollem Bassbariton) und der Präsident Walter (Taras Shtonda ein Charakterbass und Darsteller allererster Güte). Höhensicher der volltönende Bariton von Vladislav Sulimsky, eine bescheiden zurückhaltende gütige Vaterfigur. Luc Robert als Rodolfo ist ein echter Schillerheld. Auch wenn er die Tenorwonnen eines Pavarotti nicht bieten kann, so spielt er doch umso überzeugender. Sie alle übertrifft Olesya Golovneva als die ideale Luisa schlechthin, auch sie eine Figur wie aus einem Schillerdrama. Michael Güttler sorgt für orchestrale Spannung und die packende Regie stammt von Stefano Vizioli. Fazit: Für mich die überzeugendste und beste aller Aufnahmen.                                

 

Peter Klier, 10. 1. 2021

 

8 Mal „Un Ballo in Maschera" und nur eineinhalb Ärgernisse

 

 

1.Opus Arte DVD, ROH London, 1975: „Ein begeisternder Oldtimer nicht nur  für Nostalgiker!“

 

Es ist geradezu rührend anzusehen: alle sind noch so jung und schlank, kein Wunder, ist die Aufnahmne doch ganz 45 Jahre alt. Entsprechend dürftig ist natürlich die Technik. Der typische 70iger Jahre Sound ist recht schwach, das Bild könnte schärfer sein und die Bedienung ist recht umständlich. Und trotzdem! Der Oldtimer hat was! Derart strahlend und begeisternd hat man den Domingo schon lange nicht mehr gehört. So erlebte ich ihn auch damals zum ersten Mal, nach nächtelangem Anstehen um Karten. Sicher, seine Stimme hat in der Salzburger Einspielung schon an Breite gewonnen, aber auch an Routine, aber diesen enthusiastischen Totaleinsatz gibts nur hier! Doch auch Cappuccilli  ist in Hochform! Wo sind solche Stimmen heute noch anzutreffen: mächtig aber auch kultiviert? Reri Grist als süß zwitschernder Page Oskar und der Abbado am Pult , einfach mitreissend! Ricciarelli  war mit der Amelia schon stark an ihre Grenzen gekommen, scharfe Höhen verraten das unbarmherzig. Dennoch: welch ein Totaleinsatz! Schenks Regie ist zwar selbst für die damalige Zeit recht bieder, aber wenigstens macht er nichts kaputt. Also pures Geniessen.

 

 

 

2.Arthaus, (nicht mehr im Katalog, aber erhältlich), DVD, Salzburg, 1989: „ Karajans Fluch!“

 

Alles war so schön geplant für ein Superevent ganz auf IHN zugeschnitten,lauter First Class Sänger, ein bombastisch größenwahnsinniges Bühnenbild und eine leere Regie, die garantiert dem großen Meister die Show nicht stehlen würde. Aber dann starb ER. Und Solti musste in die Bresche springen, ja und der war den ganzen langen langweiligen 1.Akt wie gelähmt. Da kam nur heiße Luft aus dem Orchestergraben. Nun sind die hier zu bringenden flotten leichten Töne allerdings ohnehin nicht Soltis Sache. Als er dann aber im 2. Akt die Orchesterwogen dramtisch aufbäumen lassen konnte, da war er schon mehr in seinem Element. Die Spannung setzte jetzt das ganze Haus in Brand. Und die beiden großartigen Solisten konnten voll mithalten. Vom damals voll im Saft stehenden Domingo war das ja schon zu erwarten gewesen, aber auch Josephine Barstow steigerte sich zu herrlich dramatischem Höhenflug. Und Leo Nuccis entsetzter Aufschrei, als er seine Frau in der verschleierten Gespielin seines Freundes erkannte, der blieb einem den ganzen Abend im Ohr. Großartig! Auch zum Beginn des 3. Aktes hielt Nucci  sein Niveau, so ergreifend hatte man diese herrlichste Baritonarie Verdis selten gehört! Danach schaute alles nur noch auf das Kulissenverschiebungswunder das Schlesinger da sicher im Auftrag Karajans inszeniert hatte. Von einer Personenregie war nichts zu merken. Domingo brauchte die aber auch nicht für seine pathologisch hochinteressante Sterbestudie. Die anderen blieben reine Staffage. Schade.

 

 

 

3. DGG, DVD, MET, 1991: „Ein echtes Stimmfest der Superlative!“

 

Es ist meines Erachtens sicher Pavarottis beste Aufnahme des Riccardo/Gustavos und übertrifft sogar noch die von 1980, ebenfalls aus der MET und unter Levine und ebenfalls bei der DGG erhältlich, jetzt aber nicht mehr im Katalog aufgeführt. Aber hier hat er ein Maß an Ausdrucksstärke und Sensibilität erreicht, das schlichtweg überwältigt. Sein Mienenspiel unterstützt darüberhinaus den vokalen Ausdruck, so daß man seine sonstige körperliche Starrheit gar nicht mehr wahrnimmt. Er allein wäre es schon wert, diese Aufnahme wieder und wieder zu hören. Dass Leo Nucci ein charaktervoller und höchst eindrucksvoller Singschauspieler ist, war mir natürlich schon immer bekannt. Aber auch er übertrifft seine anderen Einspielungen als Renato hier noch einmal. In seiner großen Arie im 3. Akt bietet er stimmtechnisch und vom Ausdruck das Maximum an Gesangkultur. Die dritte Spitzenleistung kommt von der darstellerin des Oskar. Harolyn Blackwell bietet nicht nur Koloraturgesang in Vollendung, sondern spielt den Pagen äusserst überzeugend bis in die Verzweiflung bei Gustavos Sterbeszene hinein. Die vierte der herrlichen

Stimmen gehört Aprile Millo, deren mächtiger Verdisopran so richtig in die MET passt, wo sie auch entsprechend gefeiert wurde. Für mich ist sie leider rein optisch in einer DVD schwer erträglich, zumal mit dieser fürchterlichen spiessigen Perücke. Dass ihretwegen ein König seinen besten Freund betrügt, das erscheint mir selbst für die abstrusen Opernverhältnisse doch recht unglaubwürdig. Auf der Bühne über 20

Meter Entfernung mag das anders wirken. Levine dirigiert einen mitreissenden Verdi. Musikalisch auf jeden

Fall eine absolute Spitzenaufnahme.Die Regie Piero Faggiones  macht nichts kaputt, bietet aber ausser gigantischen Bühnenprunk im Stile des 19. Jahrhunderts nur langweilige Stehoper. Naja, wenigstens lenkt er durch eigene verrückte Zutaten nicht vom Geschehen ab, wie das ja heutzutage leider oft geschieht.Also: Zurücklehnen und nur genießen. Ist ja auch mal schön!

 

 

 

4 Euroarts, Blu-Ray, Leipzig , 2005: „ Ein Kostümbildner läuft Amok“

 

 Ich sehe mir ja gerne Aufnahmen an, die nicht gerade in den Hochburgen des Opernbetriebs entstanden sind. Denn da gibt es wirklich oft interessantere Inszenierungen und neue Stimmen zu entdecken. In Leipzig dominiert zunächst einmal Chailly am Pult. Das ist wirklich Weltklasse, was er und das Gewandhausorchester da bieten. Als Amelia überrascht eine leidenschaftlich spielende und singende Amelia, wie man sie auch an den grössten Häusern nicht besser erleben kann. Ihr begeisternder Totaleinsatz, selbst wenn sie gar nicht „dran“ ist, hebt sie weit über die meisten ihrer Konkurrentinnen hinaus. Wenn Chiara Taigi Stimme auch noch das letzte Quentchen besonderer Stimmqualität hätte, wäre ihr eine gigantische Weltkarriere absolut sicher. Massimliano Pisapia als robuster höhensicherer Riccardo singt zwar nicht allzu sensibel, ist aber durchaus sympathisch. Strohtrocken, steif und mit harter Stimme sein Freund Renato (Franco Vasallo.), nett und locker der Page Eun Yee You. Die hellstimmige großartige Ulrica von Anna M Chiuri  wird leider durch einen von allen guten Geistern verlassenen Kostümbilner als überdimensionierter Igel (!!!) verunglimpft. Aber nicht nur sie, sondern die ganze Inszenierung, macht er durch seine extrem hässlichen und blödsinnigen Kostüme kaputt. Dass den niemand bei seinem gnadenlosen Amoklauf zu stoppen vermochte! Originell an der ganzen auch sonst langweiligen Herumsteh-Inszenierung ist eigentlich nur noch der Schluss: da tobt ein surrealistisch verrückter Mummenschanz vor einer lichten blauen Glaskuppel, die sich nachher über dem sterbenden Riccardo schließt.

 

 

 

5. Opus Arte, DVD/Blu-Ray, Madrid/ London, 2008: „Musik Note 1, Regie 6, (da nicht vorhanden)“

 

Nein, neue Aspekte bringt diese Inszenierung wirklich nicht, sie ist tarditionell bis zum Überdruss, ohne die Personen zu charakterisieren oder ihr Handeln auch nur irgendwie verständlich zu machen. Das Bühnenbild ist ebenso uninspiriert und langweilig. Da kommt selbst bei mir richtige Sehnsucht nach gutem Regietheater auf. Musikalisch bietet Jesus Lobos Cobos gutes Orchesterdrama und spannenden Drive. Der sympathische Marcelo Alvarez ist wirklich kein großer Schauspieler, singt aber überwältigend gut, mit geradezu jubelnder Höhenattacke und stimmfrisch bis zum Schluß der anstrendenden Partie. In der Sterbeszene wird er dann von der nicht vorhandenen Regie total allein gelassen und hilflos auf einen Stuhl gesetzt. Leider ist seine matronenhafte Amelia so gar kein glaubwürdiges Liebesobjekt, für das man sogar seinen besten Freund betrügen würde. Violeta Urmana merkt man aber auch den ehemaligen Mezzo an, (inzwischen 2020 ist sie ja wieder zu Klytämnestra usw. zurückgekehrt). Wie sie ihre Höhen mit Riesenstimme herauswuchtet, ist schon bewundernswert, auch wie Alvarez daneben rein akustisch bestehen kann! Das spricht schon für seine sehr gute Technik. Immerhin: das Duett im 2. Akt brachten die beiden so großartig, dass das Publikum lange und berechtigte Ovationen spendete. Total langweilig in Spiel und Gesang  ist der Renato von Marco Vartonga als Totalausfall. Hervorragend spielend und in brillanten Höhen zwitschernd Alessandra Marinelli, hier sehr niedlich als blutjunger Page Oscar kostümiert. Elena Zaremba als Ulrica sieht eher wie eine Salondame aus, singt aber grandios mit hellem Mezzo und erspart uns die sonst übergewichtigen grusligen Voodooweiber. Eine sehr gute Repertoiraufführung, die eine bessere Regie verdient hätte!

 

 

 

6. C Major, DVD, Parma, „Tutto Verdi“, 2013: „Große Oper in herrlich malerischem Bühnenild!“

 

Aus der berühmten Oper in Parma kommt eine auch optisch sehr interessante Aufnahme. Als erstes fiel mir dieser herrliche Tenor als Riccardo auf. Seine Stimme und Diktion begeisterten mich sofort, denn hinter dem ungewohnten Bart habe ich ihn nicht gleich erkannt: das ist ja Francesco Meli! Noch nicht so elegant singend wie dann 2014 in der Arena, aber allemal schon was ganz Besonderes.Seine Amelia steht ihm nicht im geringsten nach. Von Kristin Lewis .habe ich das auch nicht anders erwartet. Eleganter Verdigesang, eine große Stimme, immer stilvoll und motionsgeladen. Großartig! Ganz unverständlich dann für mich der geradezu spärliche Applaus. An der Scala wird sie gefeiert, im launischen Parma dagegen blitzt sie ab!! Schwachpunkt der Aufnahme war dann der langweilige Renato (Vladimir Stoyanov.), mit uninteressanter Stimme und kaum vorhandener Bühnenpräsenz. Der nun hinwiederum, ich glaubte es kaum, wurde vom angeblich so kritischen Publikum geradezu frenetisch gefeiert. Ein Rätsel, auch wenn er, wie ich zugebe, seine große Arie im 3. Akt einigermassen gut hinter sich brachte. Aber auch nicht mehr. Hervorragend dagegen wieder der quicklebendige Page, der mich schon in der Aufnahme aus der Arena voll begeistert hat: Serena Gamberoni, das ist wirklich nicht mehr zu toppen. Ebenso wie Elisabetta Fiorillo als Ulrica, wenn auch, wie ja weltweit alle Ulricas, albern kostümiert.  Die große Überraschung für mich waren dann aber die überaus schönen romantischen Bühnenbilder. Vor allem der 2. Akt mit dem wunderbaren Bühnenbild ganz nach dem herrlichen Gemälde von C.D. Friedrich „Klosterruine im Schnee“ bezauberte mich alten Romantiker.

 

 

 

7. C Major, 1 DVD/Blu-ray, München, 2016: „Fade Regie killt Verdis spannendes Melodiendrama“

 

Wieder mal eine Inszenierung, die unbedingt psychologisch interessant sein will und doch nur die grandiose Musik konterkariert und lähmt. Und das so stark, dass diese Lähmung dann sogar den sonst gar nicht  faden Zubin Mehta angesteckt hat?  Es spielt alles in einem Schlafzimmer mit geschwungener Treppe nach oben, wie man sie aus alten Revuefilmen mit Marika Rökk nur allzu leidvoll in Erinnerung hat. Ebenso sinnlos wie öde. Nun ja, wenn nur wenigstens die Personenregie nicht auch noch wie in Zeitlupe wirken würde. Darüber hinaus gibt’s geradezu groteske Szenen, so wenn das Liebespaar, wie in einem Konzert nebeneinander im Bett stehend, sich seiner Liebe versichert und der Ehemann einen Meter daneben im selben Bett „schnarcht“. Oder bei Renatos großer Erinnerungs-Arie ein Johannes Heesters im Frack Marika Rökk im Brautkleid die blöde Treppe hochträgt. So viel Kitsch hat Verdis herrliche Musik wirklich nicht verdient. Und die Regietheaterfans auch nicht. Dieser pausenlos pseudopsychologisierende Blödsinn nimmt dem eigentlich doch recht spannenden Geschehen jeden Pepp und ist auf die Dauer nur noch langweilig. Obwohl  Piotr Beczala als auch Anja Harteros natürlich himmlisch singen und Okka v.d. Damerau geradezu vorbildlich die Ulrika orgelt und spielt. Blass dagegen Petean, dem man den eifersüchtigen Gatten überhaupt nicht abnimmt. Blödsinnig: wieder der Mord im 3. Akt, denn alle stehen da im dauernd präsenten Ehebett herum! Schade um die verpasste Chance und doppelt schade, dass diese überflüssige Produktion auch noch als DVD erscheinen musste. Die Harteros- und Beczala-fans hätten Besseres verdient. Und erst recht die Anhänger des Regietheaters.

 

 

8. 3-Sat, Leider noch (?) keine DVD, Arena Verona, 2014: „Die DVD-Labels haben da was verpasst!“

 

Meines Erachtens ist das eine der sympathischsten und besten Produktionen dieser großartigen Oper. Auch wenn sie, oder gerade weil sie, ohne die hochgejubelten Superstars auskommt. Die sehr schöne und intelligente Inszenierung stammt von Pierluigi Picci. Höhepunkt ist der großartig angelegte 2.Akt.Den Riccardo singt Francesco Meli, einer der wohl zur Zeit besten Verdi- Tenöre, der ebenso elegant singt wie agiert. Unermüdlich ist seine leichte Höhenpräsenz, so sensibel wie man es in der Arena selten hört, denn da werden ja mehr die lauten robusten Töne bejubelt. Die liefert mit gewaltiger Stimme Luca Salsi, der führende Verdi Bariton, der mir aber fast immer etwas zu sehr auf reine Stimmgewalt setzt. Hui He hat den typischen Verdiklang und spielt elegant wirkungsvoll. Serena Gamberoni ist der hinreißende Page, die ihrem Getriller auch Inhalt zu geben weiß und großartig spielt. Die Ulrika Elisabetta Fiorillos orgelt ihre Partie wie es sich gehört und bemüht sich, keine Hexe zu sein. Für das spannende Dirigieren ist der junge Andrea Battistoni zuständig. Ein extra Bravo für ihn!

Fazit: da es die Aufnahme aus Verona (Nr.: 8) noch nicht gibt, empfehle ich als Stimmfest die aus der MET mit dem besten Riccardo aller Zeiten. Romantikern sei natürlich das Bühnenwunder aus Parma gegönnt (Nr.:6). Domingofans dürften mit (Nr.: 1) selig werden. Den Liebhabern des Regietheaters kann ich leider keine der Aufnahmen richtig empfehlen. Dabei gibt es bei Youtube ganz interessante Aufführungen zu sehen. Sicher erscheinen solche Experimente den Marketingstrategen der Firmen zu riskant für die Absatzzahlen. Allen anderen viel Vergnügen!

 

Peter Klier, 27.10. 2020

 

 

8 Mal „Nabucco“: nicht immer zur Freude für die Verdi-Fans!

1.Warner, DVD, Scala Milano, 1987: „Eine Opernnostalgie als pures Stimmfest!“ 

Renato Bruson war wohl der ganz große Star dieser schönen abet natürlich total altmodischen Aufnahme und wurde mit vollem Recht als einer der ganz großer Nabuccodarsteller gefeiert. Damals im Vollbesitz seiner wunderbar tönenden Stimme blieb er wirklich der Rolle nichts schuldig. Der noch junge Paata Burchuladse gar wurde neben Nesterenko schon als die andere ganz große Basshoffnung aus dem slawisch/russischen Sprachraum gefeiert. Nun ein Ghiaurov wurden beide nicht so ganz, aber man konnte doch immer sehr zufrieden sein. Neben ihnen dominierte Ghena Dimitrova als Abigail mit ihrer Riesenstimme Chor und Orchester, oft scharf in der extremen Höhe aber immer mit eindrucksvoller Stimmwucht. Und Riccardo Muti als Dirigent garantierte Spannung und größte Authentizität. Die Inszenierung war für die Scala der damaligen Zeit absolut typisch: große Bühnenopulenz, bunte Kostüme, hie und da mal einige moderne Regieeinsprengsel, die dann umso mehr auffielen. Ansonsten stand   jeder dort herum, wo es akustisch am besten für ihn war und dann alle Aufmerksamkeit für die droßen Stimmen. Kleine Ketzerei so nebenbei: Diese damals oft anzutreffende Stehoper findet sich aber in der allerneuesten Einspielung von 2019 wieder: da stehen auch alle frontal zum Publikum und dann volles Rohr ins Publikum (siehe ganz unten Nr.: 8).

2. ArtHaus-Musik, DVD, Wien, 2001: „ Intelligent geplant und packend verwirklicht!“

 

Diese Inszenierung von Günther Kramer wurde in Wien sehr geschmäht, dabei finde ich sie ganz brauchbar: eine leere Bühne, die voll auf das Geschehen konzentriert, wirksame Beleuchtungseffekte und eine ausgezeichnete Personenführung. Natürlich fürs Gemüt ist das alles nicht gerade aber doch sehr wirkungsvoll.Und musikalisch bleibt wirklich kein Wunsch offen. Fabio Luisi ist ein Dirigent der absoluten Sonderklasse, feurig und auch sensibel, großartig! Maria Guleghina als überwältigend gute Abigail ist ein wahrer Stimmvulkan! Aber auch die leisen Töne überzeugen. Und technische Schwierigkeiten kennt dieser absolute Ausnahmesopran selbst bei diesen anspruchsvollen Rolle keine. Nicht ohne Grund ist sie lange Zeit die Abigail vom Dienst auf allen großen Bühen. Als Fenena lernte ich mit Marina Domaschenko eine ausdrucksstarke, damals noch junge, Sängerin kennen. Sie beherrscht, wie die ganz Großen, mit ihrer Persönlichkeit jede Szene, auch wenn sie gerade nur als Nebenfigur auftritt. Miroslaw Dvorsky als Ismaele singt sehr gepflegt und gefühlvoll, ohne leider die Stimmschönheit seines Bruders zu haben. Und Giacomo Prestia überzeugt auch darstellerisch voll in der großen und schweren Rolle des Zaccaria. Dass er kein schwarzer Bass ist, muss man heutzutage akzeptieren, wo gibt’s die überhaupt noch? Leo Nucci überzeugt in der Titelrolle vor allem als genialer Darsteller. Da beweist jede kleine Nuance seine große Rollenerfahrung. Stimmlich kann er, mit seinen damals fast 60, natürlich nicht mehr so ganz aus dem Vollen schöpfen. Er teilt sich die Rolle aber klug ein und ist bei den entscheidenden Stellen voll da. Aber wie!

 

 

3.DGG, DVD, MET, New York, 2002: „ Drei Superstimmen in Opas Stehoper“

 

Nicht Nabucco sondern „Abigail“ müsste diese Aufnahme heißen, denn Maria Guleghina, damals die Abigail vom Dienst in allen großen Häusern, übertrifft sich hier sogar noch selbst. Nicht nur, dass sie alle Schwierigkieten dieser vertrackten Rolle spielend meistert, liefert sie auch noch ein dramatisch überzeugendes Rollenportrait.Und das so ziemlich als Einzige, denn eine Personenführung ist von der praktisch nicht vorhandenen Regie bei keinem sonst zu spüren. Am ehesten noch von dem herrlich balsamisch singenden Samuel Ramey! Der aber wurde vom Kostüm her derart albern zugerichtet, dass er sin dieser Optik kaum mehr überzeugen kann. Sieht er doch aus, wie eine Art alter Winnetou mit Matrosenmütze! Juan Pons prunkt mit einer wahren Stentorstimme, steht aber, als nicht gerade begnadeter Schauspieler, recht teilnahmslos neben der Rolle. Ebenso wie alle anderen Sänger. Auch das wäre der lahmen Regie anzulasten. Natürlich haben sie alle stimmlich das übliche MET-Niveau. Motor der Aufnahme ist James Levine, der ohne viel zu fackeln einen saftigen Verdi dirigiert, mitreissend daramtisch, oft recht laut, aber dort, wo es nötig ist, auch die Feinheiten sensibel herausarbeitet. Das Bühnenbild könnte mit Hollywood Bibelfilmwen aus den Fünfziger Jahren ohne weiteres konkurrieren. Dafür war die MET ja bekannt und geliebt. Wer es mal selbst erlebt hat, der weiß, dass man sich dem überwältigenden Eindruck in diesem Riesenhaus kaum entziehen kann.Und das gilt weitgehend auch für diese Aufnahme. Für Regietheaterfans ist sie dagegen mit Recht ein unerträglicher Graus.

 

4. ArtHaus DVD, Piacenza, 2004: „Bravouröser Rückblick auf ein einst heiles Opernwunderland“

 

Dieser im wunderschönen Opernhaus von Piacenza gemachte Mitschnitt, enthält einen bei uns völlig unvorstellbaren Vorgang: als nämlich das Regieteam vor den Vorhang tritt, wird es mit tobenden Applaus und frenetischem Trampeln begrüßt. Nun ist die Inszenierung von……. aber auch ein auf die italienische Provinz speziell zugeschnittenes typisches Ereignis: bunte goldstrotzende Kostüme, ebenso  gewaltig   wie phantastisch, stimmungsvoll schöne leicht moderne  Bühnenbilder und so gut wie keine Personenregie. Das Publikum wird also nicht dadurch abgelenkt, dass es über eine von der Regie neu erfundene Handlung nachdenken muß. Ja und die Sänger können sich voll und ganz auf ihre Hauptaufgabe konzentrieren: das Singen. Und das tun sie dann auch so fabelhaft, dass keine Wünsche offen bleiben. Allen voran überzeugt der damals noch ziemlich unbekannte Ambrogio Maestri, der, obwohl gerade erst mal 34, diese Riesenpartie des Nabucco mit seiner Riesenstimme bravourös hindonnert. Andrea Gruber als Abigail steht ihm da stimmlich nicht im geringsten nach und bietet dazu auch noch ein ergreifendes Rollenportrait, das sie sicher von ihren vielen anderen Auftritten in berühmten Häusern mitbrachte. Der dritte im Bunde der Riesenstimmen ist Paato Burchuladse als gewaltiger Zaccaria mit allerdings leicht slawischemTimbre. Wer sich also am Opernpomp nicht stört, wird einen Opernabend der nostalgischen Sonderklasse geniessen können und sich auch bestimmt öfters über den szenischen Aufwand köstlich amüsieren.

 

5. C Major, DVD, Parma, „Tutto Verdi“, 2009: „Gut gemeint….und doch kein Volltreffer!“

 

Die Serie “Tutto Verdi“ aus dem Jubiläumsjahr 2013 scheint mir nicht so ganz gelungen. Von allen, die ich bisher sah, war ich immer etwas enttäuscht. Auch hier wieder! Star dieser DVD hier aus Parma sollte der großartige Leo Nucci sein. Doch erweist er sich inzwischen leider als etwas enttäuschend. Zwar ist seine Bühnenpräsenz immer noch äusserst beeindruckend. Aber stimmlich merkt man ihm sein Alter, von damals fast 67 Jahren, schon an. Wer vor allem auf ihn Wert legt, der sollte sich dann doch besser für die Wiener Aufnahme mit ihm von 2001 bei ArtHaus (siehe Nr. 2.) entscheiden. Vielleicht wäre man bei der DVD also doch besser bei dem Original-Nabucco der Inszenierung, dem recht guten Anthony Michael-Moore, geblieben, der wirklich ordentlich singt, aber natürlich nicht die Persönlichkeit Nuccis hat. Bei dieser Aufnahme hier dominiert nun gesanglich die rasante Dimitra Theodossiou als furchteinflößende Abigail. Und dann vor allem der Zaccaria von Riccardo Zanellato mit seinem schwarzen Bass. Völlig zu Recht wurden sie deshalb auch gefeiert. Michele Mariotti sorgt für das sehr temperamentvolle Spiel des Orchesters. Die Inszenierung von Daniele Abbado dagegen finde ich nicht so toll. Das Rampensingen akzeptiere ich ja noch als typisch italienische Eigenart, aber ansonsten scheint mir alles etwas unklar zu sein. So kommen die Babylonier in pompösen Opernklamotten mit gewaltigen Umhängebärten, die Gefangenen aber in modernen Alltagskleidern. Aber dann jubeln auch die der Abigail zu? Naja, was die Regie sich halt so ausdenkt. Das Bühnenbild dagegen ist ganz stimmungsvoll. Unter den vielen Nabucco-Aufnahmen ist diese hier nicht unbedingt die für die einsame Insel.

 

6. Sony, DVD/Blu-Ray, ROH Covent Garden, 2015: „ Etwas für Domingofans“

Eine hervorragende Abigail lernte ich in Liudmyla Monastyrska kennen. Als ob diese vetrtackte Rolle gar keine Schwierigkeiten hätte, singt sie ebenso ausdrucksvoll wie stimmschön und erzeugt ganz große Wirkung. Und das, obwohl die Regie sie und alle anderen durchwegs in ebenso alberne wie bühnenunwirksame Kostüme steckte! Vitalij Kowaljow singt den Zaccaria mit wunderschöner, warmer und weicher Stimme. Nur der eigentlich erforderliche schwarze Bass ist er halt nicht. Oder nicht mehr. Kein Wunder, wenn er so oft in Wotans Gefilden ganz andere Töne zu singen hat. Alle kleineren Rollen sind dem Niveau des Hauses entsprechend sehr sehr gut besetzt. Bei der Titelrolle aber ist meine Meinung etwas zwiegespalten! Ich meine  Domingo als Bariton. Für den Tenor Domingo standen wir früher Nächte lang wegen Karten an und schrien uns heiser vor Begeisterung. Auch jetzt hat er  ja immer noch die großartige Ausstrahlung des ganz besonderen Bühnenküntlers, hat immer noch das aufsehenerrengende Charisma und ist immer noch ein Charakterdarsteller allerersten Ranges. Daran liegt es also nicht. Doch ich habe gleich 3 Einwände allgemeiner Art gegen einen Tenor, der ins Baritonfach ausweicht: 1.) die Stimmfarbe passt nicht mehr. Das ist so, wie wenn man ein Cellokonzert von einer tiefer gestimmten Geige spielen liesse. Die herrliche sonore Klangfarbe würde fehlen. (Ähnliches erfuhr auch Matthias Goerne, als er sich in Salzburg als Sarastro versuchte.)  Genau so fehlt halt Domingo, bei allem Respekt vor seiner großartigen Leistung, als vermutlich schon 80 Jährigem, der dunkle Baritonklang. 2.) Aber genau den hat Verdi ja einkomponiert. Zum Beispiel bei den großen Duetten mit dem Sopran der Abigail. Da fehlt dann das nötige dunkle Gegengewicht. Deshalb hat Verdi ja immer für einen Bariton mit dunklem sonoren Klang geschrieben.  3.) Verdi gab dem Bariton für besonders dramatische Momento gerne eine sehr hohe Note, meist das Fis oder gar das G. Für einen Bariton steckt hinter dieser für ihn extremen Note dann eine ganz schöne Power. Und das gibt der Situation die nötige dramatische Wucht. Ein Tenor, selbst ein ehemaliger, singt diese Töne ohne Anstrengung, eher so nebenbei, die dramatische Wucht fehlt da natürlich. Auch das ist eine Verfälschung des Willens des Komponisten. Nun ja, die Fans werden mich jetzt kreuzigen, ich weiß. Sie würde ihn ja auch bejubeln, wenn er Bass oder Sopranrollen sänge.

 

7. Belair Naxos, DVD, Arena Verona, 2017: „ Gesungener Geschichtsunterricht überfordert Arena!“

Die alte biblische Geschichte vom alten Nebukadnezar einfach ins Risorgimento zu verlegen fand ich zunächst eine sehr interessante Idee der Regie von Arnaud Bernard Und das Bühnenbild mit dem aufgeklappten Opernhaus von innen war ja wirklich recht beeindruckend. Aber vielleicht passte das Konzept auch optisch doch nicht so ganz in die riesigen Ausmaße der riesigen Arena oder der gesungene Geschichtstunterricht überforderte das Arena-Publikum, weil es ja eh nur auf den berühmten Chor wartete? Jedenfalls hatte das Ganze seine Mühe, so richtig in Fahrt zu kommen. Erst als ich schon alles verloren glaubte, da kam dann doch noch ein mitreißender Funke irgendwoher. Und dann war es endlich packendes Operntheater. Obwohl George Gagnize vom Riesenraum vor allem zum lauten Singen verführt wurde und Susanne Brachini  bestimmt nicht gerade der grobschlächtige Arenatyp ist, sondern in einem Opernhaus besser angekommen wäre. Vielleicht auch Rafael Siwek. Motor des ganzen aber war der Dirigent Daniel Oren, der für Schwung sorgte und gleichermaßen dass alles Beieinander blieb. Was für eine Leistung bei diesen räumlichen Ausmaßen. Diese Inszenierung würde ich zu gerne in einem normalen Opernhaus und darauf abgestimmter sensiblerer Personenregie sehen. Das wäre doch mal was!

8. Naxos / Dynamic, 1 DVD/Blu-ray, Parma, 2019: „Rätselhafte Regie aber interessante neue Sänger“

Stefano Ricci verlegt die verworrene Story ins Jahr 2046 auf ein Militärschiff. Das fährt unter Leitung eines größenwahnsinnigen Kapitäns, der Gott sein will. Die Handlung wird dadurch auch nicht verständlicher. Denn ob die Hebräer aus dem Alten Testament  nun auf einer neuen modernen Arche herumfahren, oder ob sie moderne Flüchtlinge sind, oder deportierte Juden, das gibt bis zum Schluss viel zu grübeln. Man sieht, wie spannend modernes Regietheater sein kann! Unklar blieb mir aber auch, wen denn die sterbende Abigail zum Schluss völlig unpassend zu den ätherischen Klängen der Musik da noch schnell aufhängen lässt! Das kann man noch nicht einmal vermuten. Denn die ungeliebte Stiefschwester Fenena ist es jedenfalls nicht, die sitzt ja an der Rampe ebenso ratlos herum wie das Publikum im Saal. Aber was soll`s, nehmen wir halt auch diese Inszenierung als gut gemeinten Versuch, dieses herrliche Opernmonstrum für ein modernes Publikum akzeptabel   zu machen. Und musikalisch ist ja auch alles bestens gelungen. Gleich zwei großartige und fast noch neue Stimmen gibt es da zu entdecken. Und auf die Stimmen kommt es bei Verdis frühen Werken ja besonders an. Da wäre an erster Stelle die über alle Massen großartige Abigail der jungen Spanierin Saioa Hernandez zu nennen. Gleiches wäre über den Nabucco des mongolischen Baritons mit dem unaussprechlichen Namen Amartuvishin Enkhbat zu sagen. Denn seine mächtige und gut geführte Stimme ist äußerst vielversprechend. Der bekannte Bass Michele Pertusi orgelt die dankbare Rolle des Zacharia so großartig, wie man sich das wünscht. Nur, warum er als katholischer Pfarrer verkleidet ist, will mir nicht in den Sinn. Der dynamische Dirigent Francesco Ivan Ciampa aber ist noch ein weiterer. Da meint man, vieles noch nie so gehört zu haben. Wer die Rätsel dieser Regie nicht scheut, der kann sich über eine musikalisch packende Einspielung freuen mit neuen interessanten Sängern freuen.                                                                                                                                                              

Fazit: Mein Favorit wäre die intelligente Wiener Aufnahme, mit dem großartigen Leo Nucci, bei Arthaus, Nr. 2. Die Nostalgiker haben die Wahl zwischen gleich 2 in etwa gleich guten Aufführungen: bei Warner aus der Scala Nr.1 und bei Arthaus aus Piacenza Nr. 4. Domingofans werden sich von der Londoner Einspielung bei Sony, Nr.6, nicht abbringen lassen, und die Modernisten haben ohnehin keine Alternative zu Nr. 8 aus Parma bei Naxos!    Peter Klier, 13.5. 2020

 

 

Verdis „Falstaff“: 8 Mal

...und welch Wunder, keine richtig verhunzt!

1.Decca, DVD, Berlin, 1978: „ Bis heute unübertroffen!“

Gabriel Bacquier ist stimmlich gesehen wohl eher nur Durchschnitt und trotzdem übertrifft er durch sein großartiges Spiel und seine totale Rollenidentifikation alle potenteren Kollegen mühelos. Allein schon sein unnachahmlich herausgeputzter Auftritt vor dem Stelldichein bei Alice macht das Ganze sehenswert. Denn bei ihm ist jede noch so kleine musikalische Nuance in Mimik oder Gestik übersetzt. Solti liefert ihm durch sein nuancenreiches Dirigieren die perfekte Vorlage und Götz Friedrich sorgt für quirliges Leben auf der Bühne. Shakespeare und Verdi wären sicher hell begeistert. Und antiquiert ist diese Aufnahme trotz ihrer 42 Jahre kein bisschen. Sie funkelt und lebt wie kaum eine andere. Sicher, für Stimmfetischisten ist sie nicht so ganz super, aber beim Falstaff geht es ja auch nicht darum, Arien brillant zu präsentieren sondern um die Ensembleleistung. Und da sind die Sänger hier alle sehr präsent. Großartig charmant Karan Armstrong als Alice (natürlich, ich weiß, Barbara Frittoli hat die strahlenderen Höhen) und Sylivia Lindenstrand ist die hintertriebenste Mrs Quickly (Ja sicher, andere orgeln in der Tiefe mit größerer Stimmgewalt) und die liebreizende Nannetta von Jutta Ihloff hat natürlich auch ihre Konkurrentinnen. Aber insgesamt ist dieses spielfreudige Ensemble nicht so leicht zu toppen. Und Richard Stilwell spielt als Ford nicht nur dezent witzig, nein, er hält in seiner Rachearie auch den enormen Orchesterwogen stand, zu denen sich der temperamentvolle Sir Solti hinreißen ließ. Schade, dass man nicht von der Bühne her einspielte, sondern einen Film daraus machte. Aber das merkt man eigentlich nur an den Zwischenerklärungen, die für das Kinopublikum wohl zum Verständnis schon nötig waren. Leider aber ist diese herrlich-witzige Aufnahme beim Hersteller nicht mehr in der Liste, doch bei Amazon und anderen noch erhältlich!

 


2.Sony, DVD, Salzburg 1982: „ Ein wirklicher Klassiker der Operngeschichte!“

Der berühmte Video Klassiker nun auch als DVD. So wurde vor 40 Jahren Oper gemacht und das ist nicht im Geringsten abfällig gemeint. Denn hier stimmen Musik und Szene derart perfekt zusammen, wie man es heutzutage leider gar nicht mehr kennt. Jeder musikalische Effekt findet seine kongeniale Spiegelung auf der Bühne. So z.B. wenn zum Triangel-Geklingele im Orchester punktgenau der Ford dem Falstaff mit dem Geldsack klimpert. Natürlich geschah damals alles viel ruhiger und statuarischer als heute. Und ein Meisterregisseur war der selige Karajan ja nun wirklich nie. So fehlt auf der Bühne der zündende Effekt doch deutlich. Aber Verdi dirigieren, das konnte er dann doch einmalig. Dazu hat er ein richtiges Meisterensemble: Raina Kabaivanska als zwar nicht mehr ganz so herrlich strahlende Alice, Guiseppe Taddei, die Falstafflegende von damals, ist der dicke Ritter in Person und er lebt diese Rolle bis ins Detail aus, Rolando Panerai als lautstarker Ford,. Die persönlichkeitsstarke Christa Ludwig ist die hinreißend komische Miss Quickly und sogar eine Trudeliese Schmidt in der undankbaren Rolle der Meg Page. Janet Perry und Francisco Araiza sind stimmlich dann doch längst über das Liebespaar hinausgewachsen. Ja aber nun vor allem Heinz Zednik als Bardolfo, eine Charakterstudie allerersten Ranges. Wie er die kleinste Schublade aufzieht um zu sehen, ob der dicke Falstaff vielleicht doch da drin versteckt ist, das ist Komik vom Feinsten.

 

3. Opus Arte, DVD, London 1999: „ Quietschbunter Verdi mit grandiosem Titelhelden!“

 

Die schreiend quietschbunte Inszenierung Graham Vicks hätte mich beinahe abgehalten, diese DVD weiter anzusehen. Welch ein Fehler wäre das gewesen, denn ich hätte die tolle Leistung Bryn Terfels als Falstaff verpasst. Zwar ist er in der Inszenierung die 2018 in London gezeigt wurde (siehe Youtube) noch viel besser, aber die gibt es halt leider nicht zu kaufen. Doch auch 1999 hatte er schon begriffen, dass die Zurückhaltung in Mimik und Gestik die Pointen noch viel besser zur Geltung bringen als die meist übliche Übertreibung, die Wirkung kommt dann umso besser von den kleinen Dingen. Das spielt er in meisterliche Rollenidentifikation bis ins Detail voll aus! Und stimmlich kann er natürlich aus dem Vollen schöpfen, das war ja zu erwarten. Aber diese feinsinnige Interpretation hätte ich ihm wirklich nicht zugetraut. Schade dass ihn die Regie mit dem vulgär nackten Plastikwanst zum Schluss noch in unappetitlichen Klamauk treibt. Neben Maestri wäre er wohl der zweite geniale Falstaff unserer Zeit. Barbara Frittoli glänzt als Alice wie in allen anderen Aufnahmen stimmlich und darstellerisch. Und natürlich ist auch das restliche Ensemble auf hohem Niveau. Genannt seien noch Roberto Frontali als Ford, Gwynne Howell als Pistol, und die Quickly Bernadette Manca di Nissas. Bernhard Haitink überraschte mich als Verdidirigent durch sein lockeres und melodienseliges Dirigat.

 

4. TDK DVD, Florenz 2006: „Ein Umhängebauch macht noch keinen Falstaff!“

 

Vom Bühnenbild und der Regie her wäre das eigentlich die fast ideale Falstaff-Aufnahme. Zumal im Musikalischen Zubin Mehta und ein tolles italienisches Ensemble mit Barbara Frittoli, der unübertroffenen Alice vom Dienst, an der Spitze, allererste Sahne garantieren. Und doch fehlt da was, und das ist ein Falsatff mit echtem Humor. Ruggiero Raimondi singt zwar tadellos und er bemüht sich auch nach Kräften! Aber das genügt halt leider nicht! Ein dicker Umhängebauch macht eben doch noch keinen guten Falstaff. Zumal sein faltenreiches mageres Gesicht außerdem so gar nicht zum dicken Ritter passt und seine konstant grämliche Miene erst recht nicht. Die überzeugende Rollenidentifikation, die Raimondi als Don Giovanni oder Scarpia wie von selber gelingt, fehlt hier leider total. Zumal es halt Konkurrenz gibt, die diese vollendete Ausstrahlung ganz von selber hat. Schade! Dennoch lohnt sich die Aufnahme schon allein optisch: die Verwandlung des Wirtshauses bei offener Bühne in einen herrlichen Herstwald ist geradezu umwerfend gut gelungen. Und endlich mal wird der gigantische Orchesterplatsch, der Falstaffs Sturz in die Themse ausmalt, auch deutlich inszeniert. Und deshalb nicht nur für Raimondi-Fans doch zu empfehlen.

 

5.Arthaus DVD, Kaiserslautern 2010: „Die Provinz zeigt Flagge!“

 

Endlich mal eine Aufnahme aus einem kleinen Opernhaus in der Provinz, statt, wie sonst immer, aus den großen Opernzentren der großen Welt. Und es schlägt sich sehr beachtlich und bleibt nichts schuldig, das quicklebendige und spielfreudige Ensemble! Natürlich sind nicht alle Rollen mit Weltklassestimmen besetzt, aber zum Beispiel Adelheid Fink als Alice, Yanyu Guo als Quickly und Wioletta Hebrowska als Meg Page könnten sich durchaus überall sehen und hören lassen. Auch das Orchester meistert munter und leicht diese vielleicht anspruchsvollste Oper Verdis. So entsteht eine amüsante und wirklich unterhaltsame Aufführung. Bernd Weikl, Regisseur und Hauptdarsteller in einem, singt mit seinen damals beinahe 70 Jahren erstaunlich volltönend und raumfüllend. Aber, ein Falstaff, ja ein Falstaff  ist er leider schon vom Typ her halt nicht. Da fehlt ihm das Wesentliche, nämlich der echte Humor. Eher grämlich kommt er daher getrippelt, bemüht lustig, da gibt es bessere. Viel bessere! Seine Inszenierung dagegen ist eigentlich richtig witzig und natürlich sehr sängerfreundlich. Obwohl er es nicht lassen kann, einige der von ihm sonst immer zu Recht gescholtenen Albernheiten des Regietheaters nun selber einzufügen: so den Gorilla als running Gag und die blöde Falstaffpuppe. Ganz großartig aber ist das witzige und phantasievolle Bühnenbild von Thomas Dörfler mit der riesigen Erdkugel und den gemalten Promis von Verdi bis Merkel. Insgesamt eine mal ganz andere Einspielung, die man sich trotz der Einwände schon mal ansehen kann.

 

6. Naxos, Bluray, Zürich 2011: „ Brillantes Spiel vor leeren Bühne“

 

Die Bühne, die sich Bechtholf und Glittenberg da ausgedacht haben ist schon sehr leer und kühl, das enttäuscht zunächst. Aber das konzentriert umso mehr aufs Spiel, und die Personenführung ist überzeugend! Das quirlt nach Plan alles gekonnt durcheinander, dass es die reinste Freude ist. Nun ist halt aber auch ein Spitzenensemble am Werk: allen voran wieder Ambrogio Maestri, für den der dicke Ritter ja geradezu die Paraderolle ist. Seine Art der sehr dezenten Komik überzeugt immer wieder. Und stimmlich räumt er ab, wie kein anderer. Gleich ihm ist auch Barbara Frittoli eine kaum zu toppende Besetzung mit Weltgeltung. Beinahe ist sie schon die Alice vom Dienst auf fast allen Aufnahmen. Die Leichtigkeit ihrer Spitzentöne, die doch Durchschlagskraft haben, ist bewundernswert. Yvonne Naef überzeugt als Miss Quickly, Judith Schmid als Meg Page. Die Nanetta von Eva Liebau ist fein gesungen und gespielt. Und Javier Camarena ist auch hier eine verschwenderisch großartige Besetzung für die kleine Rolle des Fenton. Als Dirigent gefällt mir Daniel Gatti durch seine lockere und leichte Art des Musizierens eigentlich fast besser als Zubin Mehta, der mir schon manchmal zu sehr in die Vollen geht und so zu schwer für diese amüsant witzige Musik wird. Und so gelingt der dritte Akt derart verzaubernd, wie ich es gar nicht zu hoffen gewagt hätte. Facit: Insgesamt schätze ich diese wunderbare Einspielung mehr als viele andere und das will bei dem allgemein hohen Niveau dieser 8 Aufnahmen schon was heißen!

 

7. Euroarts, DVD/Bluray, Salzburg 2013: „Ambrogio Maestri, der geniale Falstaff unserer Zeit!

Ambrogio Maestri als Falstaff genügt eigentlich schon als Erfolgsgarant für jede Inszenierung. Er spielt ihn nicht den dicken Ritter, er ist es mit Leib und Seele und mit seiner gewaltigen Stimme, die der Rolle nichts an Wucht aber auch ironischem Gesäusel und Pianissimohöhen schuldig bleibt. Er ist der geniale Falstaff unserer Zeit und übertrifft alle Konkurrenz mühelos. Und den nötigen Bauch hat er von Natur aus schon mitbekommen. Ohne Anstrengung steht er im Mittelpunkt und überspielt so manchen Regieblödsinn beinahe nebenbei. Wie hier, wenn die Handlung ins Altersheim verlegt wird. Wohl weil Verdi mal eins gestiftet hat und damals schon 80 war. Dabei ist ihm im so hohen Alter die jugendlichste und frechste und modernste Musik gelungen. Die keineswegs ins Altenheim gehört. Und die Darsteller sind ja auch alle recht jung. Dass immer mal wieder einige Komparsen mit dem Rollator vorbeiwackeln ist zwar blödsinnig stört aber weiter nicht. Schon eher, dass Falstaff nicht in die Themse gestürzt wird, was ja auch im Orchester kongenial beschrieben wird, sondern man ihn mit blauen Konfettis bewirft!!! Ein schöner gespenstisch blauer 4. Akt mit viel Zaubererotik entschädigt aber dann doch wieder. Und auch das großartige Ensemble mit einem strahlend höhensicheren Javier Camarena als verschwenderisch besetzten Fenton. Fiorenza Cedolins als sexy Alice, Elisabeth Kulman als in Bassregionen orgelnde grundkomische Quickly und Eleonora Buratto als strahlende Nanetta krönen das spielfreudige Ensemble.

 

8.Decca, Bluray/DVD, MET 2015: „Shakespeare in der Wohnküche!“

 

 

Und wieder mal Ambrogio Maestri als überwältigender Falstaff. Doch dieses Mal hat er es nicht leicht: muss er doch den Karren aus dem Dreck herausziehen, in den ihn die heute so zwanghafte übliche Aktualisierungssucht der Regie (hier Robert Carsen) gefahren hat. Ist das denn so schwer zu begreifen, dass Falstaff eine Shakespearefigur ist, solche Typen gibt es halt heute leider nicht mehr. In einer Wohnküche verliert er seinen ganzen Zauber und würde nur zum Proleten, wenn nicht ein genialer Singschauspieler wie eben Maestri das Ganze dann doch noch rettet. Aber wozu soll das alles gut sein? Die Story versteht man so nicht besser, im Gegenteil, sie wird unglaubwürdiger unter modernen Menschen. Und welche emanzipierte Frau von heute würde den Dicken auch nur eines Blickes würdigen? Doch was solls! Das hervorragende Ensemble der MET unter James Levine macht die Einspielung dann halt doch wieder zwar nur bedingt sehens-, aber unbedingt hörenswert.

Facit: wer`s klassisch mag dem empfehle ich trotz der Meriten der Karajanaufnahme doch die vom Solti mit dem genialen Gabriel Bacquier (Nr.1). Bei den neueren bevorzuge ich die temperamentvolle aus Zürich (Nr.6). Bryn Terfel hätte eine andere Inszenierung verdient, und am wenigsten hat mir Nr. 8 aus der MET gefallen, ausschließlich wegen der Regie. Viel Spaß, trotz oder gerade wegen der schlechten Zeit!

Peter Klier, 23.3.2020

 

* Karikatur und Vierzeiler aus dem nicht so ernst gemeinten Opernführer

 „Im 3.Akt sind alle tot!“ 133 Opern auf den Punkt gebracht von Peter Klier

 

9-mal  Wagners  „Der Fliegende Holländer“

6-mal schöne Gewinne & 3-mal Nieten

 

1.Icestorm-VZ, DVD, Defa -Film, 1964: „ Eine fesselnde Opernkostbarkeit aus dem Filmmuseum“

Durch Zufall entdeckte ich diese Kostbarkeit von 1964. Ihr besonderer Reiz liegt im durchaus hochmodernen Konzept des auch heute noch bekannten Regisseurs Joachim Herz. Da träumt  Senta nämlich das ganze Geschehen nur. Man sieht: alles schon mal dagewesen! Und es geht um die Befreiung Sentas aus den beengenden bürgerlichen Konventionen. Da fielen mir nun sofort recht verdächtige Parallelen ein, und zwar zu Harry Kupfers berühmtem Holländer in Bayreuth, 22 Jahre später! Sind die ein reiner Zufall? Oder hat einer da ein Konzept tüchtig „abgekupfert“? Ein ganz besonders überzeugendes Stilmittel ist dagegen, dass in Schwarzweiß gedreht wurde. Das gibt der recht düsteren Geschichte ganz neue und tiefe Dimensionen.   Wunderbare Kamerafahrten führen in romantisch zauberhafte Stimmungen, durch Kirchenruinen und Traumlandschaften, wie sie auf der Opernbühne kaum machbar wären. Das alles ist auch künstlerisch anspruchsvoll. Deshalb ist dem Label „Icestorm Entertainment“ für diese Ausgrabung sehr zu danken. Denn sie ist nicht nur für Nostalgiker hoch interessant, sondern auch im besten Sinn überraschend modern. Gesungen wird durchwegs sehr anspruchsvoll, mit allerdings für unsere Hörgewohnheiten erstaunlich lyrischen Stimmen aus dem renommierten Ensemble der Leipziger Oper unter dem sehr kompetenten Dirigenten Rolf Reuter. Da auch technisch und akustisch kaum Mängel zu bemerken sind und die DVD für wirklich wenig Geld zu haben ist, empfehle ich jedem Opernfreund aufs dringlichste, sich dieses Erlebnis nicht entgehen zu lassen!

2. Universal/DGG, DVD, Film München, 1974: „Eine lohnende Opernnostalgie - in echtem Wasser!“

Solche Verfilmungen waren damals sehr „in“ und lockten auch echte Opernmuffel ins Kino. In ihrem braven Realismus hatten sie schon etwas sehr rührend Naives an sich. Die Szene rückt da manchmal recht bieder in Lortzingnähe. Dafür spritzen die Wellen hoch über die armen Sänger und ein wahrhaftiges Holländerschiff rauscht mit blutrotem Segel herein, wie es sich gehört. Musikalisch ist unter Sawallisch wieder alles vom Feinsten. Donald Mac Intyre ist eine bis heute singuläre Traumbesetzung des Holländers, Hermann Winklers ausdrucksstarker Tenor scheute als bestens frisierter Erik keinen Höhenflug, Catarina Ligendza als liebliches Blondchen strahlt mit großartigen Höhen und lässt mit ihrem Sprung vom Pappmachefelsen ins echte Wasser nicht die geringsten Zweifel an ihrem unbedingten Erlösungswillen. Bengt Rundgren, Harald Ek und Ruth Hesse erfüllen ihre Rollen wie immer großartig. Es lohnt sich noch, Opas Oper mal anzusehen. Denn die schwer Regiegeschädigten unserer Zeit werden es nicht für möglich halten: Szene und Oper erzählten doch damals tatsächlich dieselbe Geschichte.

3. Universal/DGG, DVD, Bayreuth, 1986: „ Sentas Traum zerschellt am Dorfplatz“

Der DGG ist sehr zu danken, dass sie diese ehemalige Kultinszenierung auch über 30 Jahre später noch im Repertoire hat. Sie ist es wert, weil sie bis heute fast konkurrenzlos ist. Und zwar gleich dreifach: nämlich sowohl im zeitlos spannenden Konzept, wie in der technischen Realisierung der vielen Umbauten und in der musikalischen Darbietung. Kupfers Idee, die Handlung als Sentas Traum darzustellen schafft auch heutigen romantikfernen Realisten einen begreifbaren Zugang zu den romantischen Handlungsebenen. Leider weicht er am Schluss von seinem Konzept ab. Er lässt nämlich Senta nicht „zwecks Erlösung“ ins Wasser springen. Oh nein! Sie muss suizidal am Pflaster des Dorfplatzes zerschellen. Und die Spießer knallen demonstrativ ihre Fenster zu. Mit so viel westlicher Dekadenz wollen sie nichts zu tun haben. Dieser sozialkritische Schluss scheint mir ein Zugeständnis an seine Ideologie zu sein! Aber sonst: alle Achtung! Musikalisch dominiert Simon Estes als singuläres Holländerereignis. Bis heute unerreicht in Stimmgewalt und Ausdruckskraft. Lisbeth Balslev gestaltet die wahnhafte Senta mit geradezu schmerzhafter Eindringlichkeit. Sie allein wäre es schon wert, sich mit dieser Aufnahme auseinanderzusetzen. Daland und Erik finden in Matti Salminen und Robert Schunk stimmgewaltig eindrucksvolle Gestalter. Die Aufnahme ist in absolutes Muss und moderner als viele spätere Einspielungen.

4. EMI , VIDEO, München 1991: „Wunderschöne Opernlegende für staatlich geprüfte Romantiker!“

Am Markt ist sie nicht leicht aufzutreiben, diese im besten Sinn konservative Einspielung. In ihr bilden Bühne und Musik noch eine wunderbare sensible Einheit mit herrlichen Bühnenbildern des Malers Henning von Giercke, der auch die Regie führte. Zwar ist die Personenführung der große Schwachpunkt, dafür bleiben dem dankbaren Zuschauer aber auch alle albernen Regiemätzchen erspart. Es gibt also Wagner pur. Dafür sorgt auch schon Sawallisch, der damalige Holländerdirigent vom Dienst. Julia Varady ist eine mädchenhaft schöne Senta, die mit der ihr eigenen unglaublichen Intensität bald zur Legende wurde. Bis heute, als romantischer Held mit dunkler Heldenstimme, noch zu bewundern ist Robert Hale, und Peter Seiffert war mit dem Erik damals schon mehr als nur ein Heldentenorversprechen. Jakko Ryhänen Ulrich Ress und Anny Schlemm beweisen die damalige Qualität der Münchner Oper. Der herrliche Schluss mit der strahlenden Sonne, die aus dem Meer aufsteigt, bleibt jedem Romantiker unvergessen. Übrigens: die einzige Aufnahme mit der später nachkomponierten Schlussapotheose.

5. Helikon/Harmonia Mundi, DVD und Blu-ray, Madrid/Lyon 2016: „Atemberaubend bildgewaltig!“

Da habe ich mich aber wirklich sehr gefreut: endlich mal wieder tobt das Meer und ein Schiff ist auf der Bühne! Wenn’s auch nur ein rostiger Abwrackkahn ist. Aber dann begann schon die Verwirrung: der Holländer scheint im gleichen Schiff wie Daland zu reisen. Nanu??? Fährt der Schrecken aller Frommen mit seinem zukünftigen Schwiegersohn schon seit Ewigkeiten umher? Das Feuilleton jubelte wieder mal von „interessantem Ansatz“. Aber im 2. Akt kam es noch dicker: Norwegen liegt wohl in der Wüste? Und die wird als eine Art riesiger gelber Luftmatratze dargestellt. Auf ihr fällt allen das Gehen sichtlich schwer, und ich wartete immer ängstlich darauf, ob sie nicht gleich durcheinander purzeln, wie auf einem Riesentrampolin. So spannend kann modernes Regietheater sein. Die Spinnerinnen waren dann als bunte Orientalen verkleidet und ein lustiger Sonnenschirm machte das dramatische Geschehen gleich viel erträglicher. Erst zum Schluss wogte das Meer dann wieder atemberaubend hoch auf und schien außer dem Holländer auch gleich das ganz Theater zu verschlingen. Das war wirklich technisch brillant gekonnt und hier passte die Bühne endlich mal wieder zur Musik. Ein extra lautes Bravo für die Projektionen! Doch die Regie schießt wieder quer: denn die opferbereite Senta, versinkt nicht etwa in diesem herrlichen Meer, wie es sich gehört! Nein, sie begnügt sich, ihr Gesicht genau so weiß einzuschmieren, wie der Schrecken aller Frommen. Und schon ist er erlöst! Naja Wagner ist nicht umzubringen und musikalisch war es schon außerordentlich gut. Allen voran wiederum Angela Bremsberg, als derzeit wohl unerreichte Senta mit jubelnden Spitzentönen, die nicht glauben lassen, dass sie eigentlich vom Mazzon her kommt. Sie hält dem Vergleich mit meinen Erinnerungen an ehemalige Senta legenden ohne weiteres stand. Sehr interessant Nikolai Schuko als  ebenso standsicherer wie enorm höhenstarker Erik und Benjamin Bruns als äußerst erfreulicher Steuermann. Kwangchoul Youn als erfahrener Wagnerkämpe mit balsamischem Stimmklang, bleibt seiner Rolle nichts schuldig. Sein Namensvetter dagegen zeigt uns wieder mal, wie schwer Wagner zu singen ist. Und dann ist er auch noch ausstaffiert wie ein in seine Farbe gefallener Tüncher. Vielleicht tut er Senta deshalb so leid, dass sie ihn unbedingt erlösen will? Facit: atemberaubende Bühnenbilder machen die Einspielung zum singulären Ereignis. Die Regie gibt sich alle Mühe, diesen guten Eindruck kaputt zu machen, um interessant zu sein.

6. Naxos, DVD/Blu-ray, Th.a.d.Wien, 2017/19: Endlich die Urfassung - aber von Py statt Wagner!“     

Der Naxos Gruppe wäre wirklich sehr zu danken, dass sie die Urfassung zum „Holländer“ von 1841 jetzt in technisch perfekter Aufnahme auch den DVD Freunden zugänglich gemacht hat. Aber Olivier Py fasst die Oper leider nur als „Parabel über die Kunst“ auf. Dabei tönen doch aus jeder Note das Meer und die menschliche Not. Wieso die angebliche „Kunst“ aber dann in Bretterwänden angesiedelt wird, und alle Herren im grauen Anzug mit Weste, Krawatte und Hut, wie beim seligen Surrealisten Rene Magritte, einhergehen, bleibt wieder mal ein Rätsel des modischen Regietheaters. Trotzdem gebe ich aber gerne zu, dass mich die DVD gefangen nahm. Lag es an der großartigen Personenregie, der Neugier auf die Urfassung oder halt einfach wieder Mal am großen Zauberer Wagner? Viel trägt auch der Dirigent Marc Minkowski bei, mit den Originalinstrumenten klingt die Musik schärfer und härter, auch aufwühlender. Das geht natürlich auf Kosten des schönen romantischen Klangbildes. Ja und alles spielt in Schottland. Folgerichtig singt der Daland, der da Donald heißt auch „Gastfreundschaft kennt der Schotte“. Erik ist Georg. Senta sollte zunächst Anna und auch mal Minna heißen. Ja, und ihre Ballade ist in dieser Urfassung gleich einen ganzen Ton (!) höher, also in a-Moll. Ingela Brimberg, als der unbestrittene Star der Aufnahme, allerdings packt diese aberwitzige Höhe überwältigend souverän. Diese großartige Sängerin ist übrigens inzwischen so eine Art „Senta vom Dienst“, ich wüsste auch keine Bessere. So brilliert sie auch bei der Aufnahme aus Madrid von 2016. Bernhard Richter singt den verzweifelten Georg/Erik ebenso ausdrucksstark wie mutig. Lars Woldt gibt dem polternden Donald/Daland persönliches Profil, und Ann Solvang hebt die Mary gekonnt aus der Nebenrolle heraus. Samuel Youn ist inzwischen auf 3 Einspielungen als Holländer vertreten. Er verlegt sich notgedrungen oft aufs reine Charakterisieren, da er viele Phrasen stimmlich nicht anders packt. Ich glaube einfach nicht, dass es heutzutage wirklich keinen besseren als ihn gibt, wenn es auch kein George London, Simon Estes oder Mac Intyre ist, die ich halt immer noch im Ohr habe.

Die letzten 3 Aufnahmen ärgern mich: denn man bekommt musikalische Darbietungen von Wagners Holländer zu hören und sieht Handlungen und Charaktere zu 3 ganz anderen neuen Opern. Nun hat aber Wagner jeden Charakter und jede Szene genau in seiner Partitur geschildert. Mich stört es gewaltig, wenn seine großartigen Musikschilderungen und die neu erdachten Handlungen der Regie derart schmerzhaft auseinander klaffen!

7. Opus Arte/Naxos, DVD/Blu-ray, Amsterdam, 2010: „Das Drama im Schwimmbad“

Immerhin hat der Regisseur  Kusej begriffen, dass in der Oper Wasser vorkommt. Also sieht man einen Swimmingpool mit Badenixen. So flach geht es weiter, nicht die eigentliche Handlung wird geboten, sondern wirre Assoziationen der Regie, die sich, wenn man sie denn endlich enträtselt hat, als ebenso flach erweisen. Zum Schluss erschießt dann irgendjemand den Holländer und die Senta. Leider hat er den Regisseur vergessen! Mein Rat: Bild aus und nur zuhören, denn musikalisch ist es eine der besten Wiedergaben überhaupt. Der Star ist wieder mal Hartmut Hähnchen. Juha Uusitalo ist vom Stimmtyp her der ideale Holländer und Catharine Naglested eine interessante Senta. Und Marina Prudenskaja ist die reinste Luxusbesetzung für die Mary, aber Robert Lloyd als Daland zeigt doch schon Verschleißerscheinungen. Marco Jentsch singt sehr achtbar den Erik. Also: Augen zu und Ohren auf!

8. Opus Arte/Naxos DVD/Blu-ray, Bayreuth, 2013: „Senta und der Handelsreisende im Pappkarton!“

Wer hätte jemals geahnt, dass Digitalisierung und Turbokapitalismus die Ursache fürs Drama des Holländers sind? Man muss dem Regisseur Gloger sehr dafür danken, dass er uns diesen Zusammenhang aufzeigte. Allein wären wir doch nie darauf gekommen! Realisiert wird diese Welt, na wodurch? Na durch Pappschachteln, was sonst. Da denkt man doch auch gleich ans Meer. Der Holländer scheint eine Art Handelsvertreter für Ventilatoren zu sein. Drum singt er ja auch: „Ich bin der Schrecken aller Frommen!“ Ja wenn es noch als Parodie gedacht wäre wie Konwitschnys genialer Lohengrin. Nein, todernst wird der Unfug lahm realisiert. Da hat ein Jahrtausendgenie wie Wagner die tollsten szenischen Phantasien und ein Ignorant füllt die Bühne mit Pappschachteln als Bühnenbild, in denen ein offenbar verrücktes Weib herumwühlt. Und wieder muss die musikalische Darbietung den Abend retten. Obwohl Thielemann mir etwas zu viel Rücksicht auf seinen stimmschwachen und auch persönlichkeitsarmen Titelhelden zu nehmen scheint, so dass die nötige Gefühlswucht doch sehr gebremst daherkommt. Franz-Josef Seligs und Ricarda Merbeths Riesenstimmen haben diese Rücksicht natürlich nicht nötig. Und Senta hätte sicher statt des lahmen Holländers eher den herrlich singenden Erik Tomislav Muzek genommen. Benjamin Bruns wurde inzwischen zu einer Art Steuermann vom Dienst, was durchaus verständlich ist. Fazit: Gäbe es diese Aufnahme nicht, würde ich sie nicht vermissen.

9. Universal/DGG, DVD/Blu-ray, Zürich, 2015: „ Die graue Büromaus und der wilde Zottelpelz!“

In einem altmodischen Kontor sitzen Buchhalter an ihren Tischen und singen: „Hisst die Segel! Anker fest!“ Obwohl weit und breit in dem Kontor kein Schiff zu sehen ist! Plötzlich steht dann ein dicker unrasierter Mann mit Zottelpelz und Zylinder da und behauptet, dass die Frist um ist. Das begeistert die graue Bürovorsteherin Senta so, dass sie ihn unbedingt erlösen will. Absurdes Theater? Nein, Andreas Homoki was here! Genug des Unfugs. Musikalisch ist die Aufnahme sehr interessant, obwohl gerade Bryn Terfel in der Titelrolle nicht so überzeugt. Eine wunderschöne Riesenstimme ertönt, aber sonst tut sich wenig. Vielleicht hat ihn sein Outfit so frustriert, Wunder wäre es keins. Überwältigend die Senta Anja Kampes wie in allen ihren Rollen! Packend intensiv Matti Salminen trotz der Stimmeinbußen, hell tönend Marco Jentzsch in der undankbaren Rolle des Erik und eine Offenbarung Chor und Orchester unter Alain Altinoglu. Was für eine Freude für die glücklichen Ohren und was für ein Ärgernis für die armen Augen!

Peter Klier, 19.1.2020

 

 

Achtmal Tschaikowskys „Eugen Onegin“ und kein bisschen langweilig!

 

 

 

1.Arthaus Musik, DVD 2000/1944, Bolschoi: „Ein Gruß aus dem russischen Opernmuseum“

Im Jahre 2000 machte das Bolschoi allen Nostalgikern ein Riesengeschenk: eine Produktion aus dem Jahre 1944 (!) wurde mit all dem verstaubten Opernpomp, fast wie ein Gruß aus einem vergangenen Jahrhundert, wieder erweckt. Genau so habe ich aber das Bolschoi überhaupt selbst noch erlebt: mit gemalten hyperrealistischen Kulissen von gewaltigen Dimensionen. Das war schon auch eindrucksvoll, denn dieser naturalistische Blick in vergangene Opernzeiten wurde mit größter Intensität ausschließlich aus dem Text und der Musik heraus entwickelt. Dennoch war es auch manchmal lächerlich. Und der unermessliche Abstand zum heutigen Regietheater wurde überdeutlich klar. An dieser DVD kann man das noch einmal superdeutlich nachvollziehen. Und da musikalisch alles vom Feinsten ist, Mark Ermler einfühlsam dirigiert und alle prachtvoll singen, lohnt sich der Ausflug ins Opernmuseum tatsächlich, und sei es auch nur als Kuriosum.

 

2. Decca Film, 1972: „Elegische Traumbilder fürs Auge“

Opernfilme kamen in den 60iger Jahren schwer in Mode und blieben doch ein Irrweg: denn die Synchronisierung klappte fast nie gut. Und dann noch der sterile Studioton. Auch blieben die Gesichter der doubelnden Schauspieler selbst bei den anstrengendsten Hochtönen aus dem Playback recht entspannt, was auf die Dauer langweilig wurde. Ich bin überzeugt, dass die durchwegs großartigen Sänger den darstellerischen Teil selbst auch nicht schlechter gemeistert hätten. Stimmlich ist alles bestens mit Bernd Weikl und Theresa Kubiak, Julia Hamari und Stuart Burrows. Und als Dreingabe ist die Stimme Nikolai Ghiaurovs zu hören, dem vielleicht besten Gremin, wenn es denn nicht Furlanetto (siehe Nr.: 4 ) gäbe. Ob allerdings Solti mit seiner zupackenden Art der ideale Dirigent für „lyrischen Szenen“ ist? Wunderbar auf jeden Fall die optische Realisierung mit herrlich romantischen Bildern und elegischen Schneelandschaften. Deshalb begeistert dieser poetische Film vor allem Träumer und Schöngeister. Die es noch nicht sind, die werden  es vielleicht durch diesen Film.

 

3.Decca, New York, MET 2007, DVD/Blu-Ray : „Topstars in Vollendung an der MET“

Renee Fleming ist als mädchenhaft jubelnde Tatjana ebenso überzeugend wie als große tragische Heldin, der man sofort glaubt, wie schwer es ihr fällt, auf ihr Glück zu verzichten. Da wüsste ich kaum eine bessere. Und Dimitry Horostovskys Samtbariton klingt einfach hinreißend, zumal ihm ja der versnobte Dandy auch darstellerisch bestens gelingt. Der herrlich singende Ramon Vargas macht aus dem oft etwas lahmen Lensky eine interessante und originelle Type. Nur Sergej Aleksashkin ist ein etwas hölzerner Gremin. Nun beweist sich der Qualitätsstandard einer Aufführung aber auch an den Nebenrollen. Stellvertretend sei hier Larisa Shevchenko als überzeugend mütterliche Amme genannt. Valery Gergiev kennt die Partitur sicher bis ins Detail und setzt Tschaikowskys „Lyrische Szenen“ sehr wohltönend um. Das passt recht gut zur knappen Inszenierung Robert Carsens, der sich im äußerst sparsamen Bühnenbild wohl ganz auf das Charisma seiner Topstars verlässt. Und so macht er wenigstens nichts kaputt, wie manche seiner Kollegen von der Zunft des Regietheaters. Das Publikum jubelt wirklich mit Recht und feiert begeistert eine Aufführung mit Topstars in Vollendung.

 

4. Wien /Salzburg, 2007, DVD: „In der Regiekälte erfrorenes Liebespaar“

Das ärgert mich ja schon immer, wenn die Handlung modisch schick in ein anders Jahrhundert verlegt wird (Sowjetunion um 1980), in das weder die Personen noch ihr Verhalten auch nur annäherungsweise hineinpassen. Der Dandy Onegin in der Sowjetunion! Und das verträumte Adelsmädchen Tatjana! Und dann soll 1980 einer Frau auch noch das Briefeschreiben peinlich sein, wie weiland 1833. Blöder geht’s ja gar nicht mehr! Doch! Denn den Brief tippt sie bei kaltem Neonlicht in einem Glashaus gar auf einer Schreibmaschine! Deren Geklappere vernichtet jetzt auch noch rhythmisch die herrliche Musik zur Briefszene. Und dann noch ein Duell 1980 in einer Kolchose! Das kann nur jemandem einfallen, der vom Sprechtheater kommt. Als „moderne Überformung“ wird das von Kritikern hochgejubelt. Und macht doch nur eine eigentlich einfache Geschichte und deren Charaktere unverstehbar. Was unsere Teilnahme an deren Geschick gegen Null minimiert. In dieser total unterkühlten und verkopften Umgebung können mir die durchwegs sehr guten Sänger nur noch leidtun! Und sie geben wirklich ihr Bestes: allen voraus der stimmmächtige Peter Mattei in der Titelrolle und der große Ferruccio Furlanetto als einzigartiger alter General. Die hervorragende Anna Samuil wird trotz ihres Totaleinsatzes schon in der Briefszene von der kalten und gnadenlosen Regie um jede Chance gebracht. Daniel Barenboim versucht wohl zu retten was zu retten ist, erreicht aber bei weitem nicht die Intensität und den Schwung seines Schülers Omer Meir Wellber (Siehe Nummer 7). Nicht ohne Grund wurde diese Einspielung inzwischen aus dem Angebot genommen.

 

5. Naxos/Opus Arte, Amsterdam, DVD/Blu-ray, 2012: „Ertrunken in den Fluten der Regieeinfälle!“

 „Zuviel, zu viel! Ach das ich nun erwachte!“ hätte ich mit dem seligen Tannhäuser am liebsten aufgeschrien, beim Ansehen dieser kitschigen, klischeehaften, wenn wohl auch ironisch gemeinten, Monsterschau über die Geschichte Russlands. Denn wie so oft ertrinkt die eigentliche Handlung in den Fluten der total überbordenden Regieeinfälle Stefan Herheims. Was da an Kosmonauten, orthodoxen Priestern, Zaren, dem Russischen Bären, sowjetischen Olympioniken und Kolchosbauern über die Bühne walzt, das trampelt alles andere gnadenlos ins Off. Mich wundert nur, dass uns Putin und Stalin erspart blieben, lässt der Regisseur sich doch sonst keinen noch so blöden Gag entgehen. Ja und die Liebesstory wird dann auch noch gnadenlos verfremdet und umgedreht: so schreibt Onegin wieder mal selbst (siehe Nr. 6) den Liebesbrief Tatjanas an sich. Man kann zur Not verstehen, was die Regie da um sieben Ecken herum meint, aber es treibt die Dramaturgie der Handlung halt total ins Aberwitzige. Ebenso, wenn beim eigentlich ja intimen Schlussduett die Fürstin es zulässt, dass die neureiche Moskauer Schickimicki höhnisch zuschaut! Dem seelisch ohnehin toten Onegin überreicht Gremin dann noch eine leere Pistole, damit nur ja jeder kapiert wie genial die Regie ist! Nicht nur Puschkins Poesie wird damit peinlich plump gekillt, sondern Tschaikowskys sensible Musik gleich noch dazu. Und dennoch bleibt es spannend: denn Mariss Janson dirigiert und das rettet wenigstens die Musik. Und wie! Denn auch die Sänger sind hervorragend: Krassimira Stoyanov ist für die junge Tatjana zwar schon reichlich zu alt, singt aber mit unvergleichlicher Höhenattacke und Bo Skovhus macht alle eventuellen stimmlichen Zweifel durch seine Ausdrucksgewalt völlig unwichtig. Mein Rat: beim nächsten Mal Augen zu und nur genussvoll hören.

 

6. Naxos/Opus Arte, ROH, London, DVD/Blu-ray, 2013: „Der verdoppelte Regieblödsinn“

Der Inhalt dieser Oper ist eigentlich recht einfach zu verstehen und nachzuvollziehen. Zu einfach! Das fand wohl der Regisseur Kasper Holten und erfand zu dem Liebespaar junge Doubles. Und jetzt wurde es richtig kompliziert: denn nun schreibt nicht Tatjana den verhängnisvollen Liebesbrief an Onegin, sondern der gedoubelte Onegin schreibt an sich selber (!), was ja totaler Blödsinn ist. Und die Tatjana steht im Off und singt. So wird die Handlung dauernd auf den Kopfgestellt, bis sie schlussendlich keiner mehr versteht. Es sei denn, es wären im Publikum zufällig einige Theaterwissenschaftler da, die über den höheren Regieblödsinn promoviert haben. Musikalisch dagegen ist alles wirklich erste Sahne: Robin Ticciati dirigiert mitreißend und tiefschürfend, Simon Keenlyside singt trotz altersbedingt stimmlicher Abstriche ebenso großartig wie die höhenstarke Krassimira Stoyanova. Und Pavol Breslik ist ein Lensky wie aus dem Bilderbuch. Für den ergreifendsten Moment der ganzen Aufnahme sorgt am Schluss der Bass Peter Rose als Gremin. Der hört nämlich beim finalen Duett angstvoll zu, ob seine Tatjana wohl bei ihm bleiben wird. Und was sich da in seinem Gesicht an Gefühlen spiegelt, das ist packender als die ganze Inszenierung. Ich bin überzeugt, dass diese Idee nicht von der Regie kam, denn sonst würden um den alten Gremin ja auch noch mindestens einige junge Doubles herum hüpfen.

 

7. Naxos/CMajor, Warschau und Palau de les Arts, Valencia, DVD/Blu-ray, 2013: „Tatjana im spannenden Regiewunderland“

Nach diesen drei bitteren Enttäuschungen fragte ich mich schon: gibt es denn gar keine überzeugend moderne Inszenierung? Aber ja doch! Und was für eine! Aus Polen kommt sie und begeisterte mich jedes Mal aufs Neue, wenn ich sie anschaute. Und das auch noch beim 10. Mal. Denn Mariusz Trelinsky gelingt es, mit einem überraschenden Bildkonzept den seelischen Hintergrund der Story sensibel und überaus spannend zu erzählen. Farbmächtige symbolische Bühnenbilder unterstützen ihn dabei. Besonders schön, weil die Bildkomposition nicht nur psychologisch sondern auch noch atmosphärisch äußerst stimmig ist. Ein erzählerischer Trick hilft ihm Spannung zu erzeugen: da geistert als stummer Statist der inzwischen gealterte Onegin rückblickend über die Bühne und zeigt seinem jungen alter Ego, was er jetzt eigentlich hätte tun sollen: zum Beispiel die Tatjana zu umarmen, oder er sich beim Lenski zu entschuldigen. Den singt ebenso stimmschön wie eindrucksvoll der junge Dmitri Korchak. Und dann erst Kristina Opolais, als wunderschöne Erfüllung aller Interpretationsträume vor allem von der jungen Tatjana. Eine schöne und schlanke, aber in der Höhe sehr durchschlagkräftige Baritonstimme hat Artur Rucinsky, der auch optisch geradezu der ideale Onegindandy ist. Bedrückend der raumfüllende Bass Günter Groissbecks, hier als gewollt steiflederner Gremin. Dazu das Dirigierwunder Omer Meir Wellber, der mich hier mehr als alle anderen seiner 7 Kollegen begeisterte.

 

8. DGG, New York, MET, DVD/Blu-Ray, 2014: „Im Wohlklang baden - Anna Netrebkos Triumph “

Es gibt sie ja, aber sie sind selten geworden, diese einmaligen Momente in der Oper, wenn in einer Szene mal Sänger, Orchester, Regie und Bühnenbild so herrlich harmonieren, dass man sich in einer Spirale der Opernseligkeit bis in den siebten Opernhimmel hinauf schraubt und den Atem anhält vor Spannung.  Außer mir schien es noch etwa 4000 Besuchern in der riesigen MET so zu gehen, denn es war kein Laut zu hören, niemand hustete und keiner raschelte. In dieser Aufnahme gab es das gleich zweimal: während der Duellszene und im Finale des 3.Akts. Und danach ergriffene Stille. Keiner brüllte ins Piano Bravo hinein. Anschließend aber brach ein Orkan an Beifall aus. Und schon wegen dieser zwei Szenen, lohnt sich diese DVD. Vergessen ist der etwas uninspirierte Beginn des 1. Aktes, als selbst die Netrebko noch nicht so ganz ihr sonstiges Niveau erreicht hatte. Dann aber zeichnete sie ein ergreifendes Porträt der bei ihr eher introvertierten Tatjana und wächst zum Schluss in dem herrlichen Bühnenzauber zusammen mit Mariusz Kwiecien in geradezu überirdische Dimensionen. Pjotr Beczala bringt einen geradezu heldischen Lenski. Bloß mit Gewehren ging man bei Duellen, wie hier, niemals aufeinander los! Valery Gergiev sorgt wieder für einen berauschend schönen Tschaikowsky-Klang, ohne die Schärfen besonders zu betonen, wie es heute von der Feuilleton-Mafia ja so gelobt wird.. Eine Aufnahme durch die man zum begeisterten Opernfan würde, wenn man es nicht schon seit Jahrzehnten wäre.

 Fazit: Was mich am sog Regietheater oft stört ist, dass viele Regisseure mehr sich selbst inszenieren als das Werk, da sie sich für Originalgenies halten, die den Komponisten mindestens ebenbürtig eher noch überlegen sind. Während bei der Musik nicht eine Achtelnote geändert werden darf, ist alles andere der Regiewillkür schutzlos ausgeliefert. Nicht dass ich einer konservativ-historischen Werktreue das Wort reden wollte, um Gottes willen, nein! Aber der Geist der Musik und das Wesen der Handlung sollte doch wenigstens respektiert werden. Drei Aufnahmen stehen für mich deshalb an der Spitze: die beiden aus der MET, (3 und 8), auch wegen der einfach nicht mehr zu toppenden Besetzung der Tatjana durch Renee Fleming und Anna Netrebko. Wobei es mir schwerfällt, einen signifikanten Qualitätsunterschied zu finden. Was die eine an überwältigender stimmlicher Pracht bietet, hat die andere an überragender darstellerischer Präsenz. Am besten man erlebt beide. Bei den Onegins dominiert Horostovsky als einmaliger Glücksfall einer stimmschönen Rollenidentifikation. Und auch die beiden Lenskis sind einander, jeder auf seine hervorragende Art, ebenso ebenbürtig, wie die beiden Gremins gleichermaßen stimmschwach und ausdrucksarm sind. Beide Inszenierungen sind im besten Sinn werktreu, und bieten doch ihre eigene Auslegung. Die dritte der von mir favorisierten Aufnahmen (Nr. 7), die aus Valencia, rettet souverän die Ehre des modernen Regietheaters und begeistert mich immer wieder gerade durch die moderne Lesart mit dem psychologisch ausgefeiltem Bühnenbild und der genialer Beleuchtungsphantasie. Was tun? Alle drei kaufen, jede ist es unbedingt wert. Und Tschaikowskys geniales Werk kann man gar nicht oft genug hören, Ich habe diese Oper eben beim Vergleich wohl 20-mal gehört und immer wieder aufregend Neues entdeckt.

 

Peter Klier, 19.11.2019

 

 

 

Dreimal La Rondine

Wird Puccinis Schmerzenskind jetzt von den Toten erweckt?

Fehlgeburt statt Wiederbelebung

Ich bin überhaupt kein Freund davon, wenn ehrgeizige Regisseure eine Oper in eine andere Zeit verlegen. Denn meistens stimmt dann das Ganze gar nicht mehr. Vor allem dieser inhaltlich ohnehin recht armselige Traviataverschnitt wird dadurch regelrecht gekillt. Denn die Story von der opferbereiten ehemaligen Edeldirne, die, um ihren jungen Liebhaber nicht zu desavouieren, auf ihre gemeinsame große Liebe verzichtet, ist selbst im 19. Jahrhundert mit seiner heuchlerischen Doppelmoral kaum glaubhaft. Völlig blödsinnig wird es aber durch die Verlegung ausgerechnet ins Hollywood der wilden 50-iger. Wen hätte damals noch das Vorleben einer Diva interessiert? Die noch dazu ausgerechnet im Jane Mansfield Outfit daherkommt! Der ohnehin schwächliche Spot bricht dadurch endgültig in sich zusammen und die armen Sänger stehen auf fast verlorenem Posten. Dabei wuchtet Fiorenza Cedolins im Totaleinsatz ihrer großen Stimme die Magda zu packender Dramatik hoch, die allerdings die doch etwas seichtere Musik, vor allem im 3. Akt, überfrachtet. Ihr Partner schafft es nicht so gut, sich gegen die wirklich verfehlte Regie von Graham Vick zu behaupten. Ich lernte das Werk vor Jahren leider mit dieser Aufnahme kennen und hätte ihm damals keine große Chance gegeben. Welch ein Irrtum!

 

Eine strahlend schöne Wiedergeburt

Diese Aufnahme dagegen, belehrte mich schnell eines Besseren. So perfekt von Weltspitzensängern dargeboten, mit glaubhaften Rollenidentifikationen und sensibel in wunderschönem Jugendstil verortet, hat diese Oper durchaus ihre Wirkung, wenn sie auch wirklich kein Knüller, wie z.B. die Tosca, ist. Die alte Regel erweist sich wieder mal als richtig: eine Spitzenoper wirkt auch noch in mittelmäßigen Aufführungen, eine schwächere Komposition braucht eine Top-Realisation. Und die hat die MET hier zweifellos geschaffen. Angela Gheorghiu ist die geradezu geniale Verkörperung der Magda, stimmlich und darstellerisch kaum zu toppen. Ihr damaliger Ehemann Roberto Alagna bemüht sich sehr einen jungen Mann darzustellen, ist aber einfach zu alt für die Rolle. Zwar singt er strahlend schön, mit leuchtendem Höhenglanz, klingt aber doch schon zu heldentenoral, zumal für eine Operette, die dieses Werkchen ja eigentlich werden sollte. Lisette Oropesa war damals schon auf dem Weg zur Weltspitze: eine perfekte Luxusbesetzung der Sonderklasse. Marius Brenciu als schwärmerischer Dichtertenor vervollkommnet das großartige Quartett. Und dass man für die winzige Nebenrolle des alten Liebhabers sogar einen, wenn auch abgesungenen, Samuel Ramey bemüht hat, beweist den Standard dieser Inszenierung. Total unterschätzt wurde schon immer Marco Armiliato als Dirigent (genau wie sein Bruder als großartiger Tenor). Hier zeigt er wieder einmal, zu welcher Klasse er eigentlich gehört. Eine wahre Spitzenaufnahme der Sonderklasse!

 

Eine Erweckung mit Phantasie und Pepp!  

Villazon hat gleich 3 Vorteile als Regisseur: er hat Phantasie, er weiß was Sängern zuzumuten ist und er kann Noten lesen, was die meisten seiner neumodischen Kollegen nicht von sich behaupten können. Und so entstand auch hier wieder eine werkgerechte, sängerfreundliche, sehr phantasievolle und auch witzige Inszenierung. Und sie steckt voller Überraschungen, die den vom Libretto her doch recht dürftige Traviata Aufguss bis zum Schluss spannend macht. Auch das Rätsel der neu erfundenen 3 Masken erzeugt Interesse und wird am Schluss recht intelligent aufgelöst. Das surrealistische Bühnenbild will ebenfalls erst mal verstanden werden und ist alles andere als langweilig. Also doch kein so schlechter Weg, um einer Oper, die vielleicht nicht zu den allerstärksten Schöpfungen gehört, das Interesse zu sichern, das sie dennoch verdient hat. Denn Puccini geht hier durchaus neue Wege, indem er die von Melodien überschäumenden Arien seiner 3 berühmten Opernknaller durch anspruchsvollen psychologisch durchdachten Sprechgesang ersetzt. Dinara Alieva und Charles Castronovo sind dafür beinahe eine echte Traumbesetzung. Und da alle um sie herum ebenfalls Klasse und Niveau haben, begeistert diese Einspielung vor allem den Kenner und empfiehlt das bisher so selten gespielte Schmerzenskind Puccinis auch anderen Theatern. In Meiningen ist am 29.11. und 1.12. die nächste Premiere zu erwarten. Hoffentlich finden sie einen sensiblen Regisseur als Gärtner für das zarte Pflänzchen.

Fazit: Es lohnt sich wirklich, dieses leider fast vergessene doch recht interessante und federleichte Werk kennen zu lernen. Denn seine Probleme liegen nur im schwachen Libretto und keinesfalls in der Musik. Im Gegenteil. Puccini probiert hier durchaus neue interessante Wege mit einer Art melodienreichem Sprechgesang. Dem Neuling empfehle ich mit der wunderschönen sensiblen Inszenierung aus der MET zu beginnen. Kenner werden ihre intellektuelle Freude dazu auch an Villazons ideenreichem Rätselspiel haben, das musikalisch der anderen Aufnahme nicht nachsteht.

 

Peter Klier, 9. August 2019

 

 

 

 

 

 

6-mal die schönste Oper mit dem dümmsten Libretto:  

Bellinis I Puritani

 

 

DGG. 073 4421.GH 2, 2 DVDs, New York MET, 1976/2007

Eine Aufnahme zum Träumen!

Wie löst man das Problem mit einer Oper voll solcher Unwahrscheinlichkeiten in der Handlung? 1976 setzte man sie an der MET einfach naiv und ohne alle kritischen Zweifel in Szene und zwar in naiv wunderschönen Bühnenbildern. Und es wurde ein naiv wunderschöner Opernabend. 30 Jahre später gelingt die Wiederaufnahme ebenfalls wunderbar, denn man hatte jetzt mit Anna Netrebko eine echte Superbesetzung. Und wer mag da noch an der Inszenierung herummäkeln? Wie schön, dass es von dieser Superaufnahme 2 DVDs gibt. Ein Erlebnis zum Träumen, zum Abheben, zum Seele baumeln lassen und zum Glücklichsein. Neben Netrebko haben es aber die anderen Sänger nicht einfach. Eric Cutler, der inzwischen Lohengrin und Kaiser singt, war ein sehr guter Arturo, mit leichten Höhen und ausdrucksvollem Gesang. Ein Pavarotti aber ist er halt nicht. Doch das sind die anderen Arturos auch nicht. Franco Vasallo und John Relyea beweisen das hohe Niveau der MET in den kleineren Rollen und über die Sängerin der Königin breite ich mal den Mantel der christlichen Nächstenliebe. Patrick Summers dirigiert recht mitreißend und gibt den Sängern auch noch eine sehr solide Basis. Und so sind die Jubelstürme am Schluss durchaus ansteckend, auch für den Zuschauer zu Hause.

 

 

ArtHaus Musik B005FAH18E, 2DVDs, Liceu, 2001/11:

Der Triumph der alten Dame

Wenn ich es nicht nachgelesen hätte, würde ich es nicht glauben: Edita Gruberova war bei dieser Aufnahme tatsächlich schon 55 Jahre alt. Wo Junge schon ihre liebe Mühe haben mit der vertrackten Höhenlage der Partie, da triumphiert sie, wenn auch nicht mehr so ganz mühelos wie in ihren Jugendjahren, aber doch noch ungeheuer eindrucksvoll. Und sie singt nicht nur virtuose Koloraturen sondern emotional erfüllte Seelentöne. Jose Bros war damals mit Mitte 30 und ein Belcantoexperte, der von Alfredo Kraus viel gelernt hatte. Carlos Alvarez als schönstimmig dominierender Riccardo fast schon überbesetzt. Die Inszenierung ist sparsam und klar. Zum Beispiel die zerbrochene Kutsche in der Schneelandschaft als leicht verständliches Symbol der total verfahrenen aussichtslosen Situation. Ansonsten wird hier halt die menschliche Stimme gefeiert und die Schönheit der Musik. Und das ist gut so. Denn wie könnte man Bellini auch besser gerecht werden? Schließlich geraten die Opernfreunde ja bis heute wegen der großartigen Musik in Begeisterung und nicht wegen der sinnfreien Handlung seiner fürchterlichen Librettoungetüme!

 

 

DECCA 074 3351 DX2, 2DVD, Bologna 2009

Das blaue Wunder von Bologna

Das passiert mir ja nur sehr selten, dass ich von einer DVD Aufnahme so mitgerissen werde, dass Zeit und Raum verschmelzen und ich abhebe und sich schönstes Opernglück zu Hause im Wohnzimmer einstellt. Halleluja! Das Wunder geschah mir bei dieser Aufnahme! Die herrlich blauen surreal leuchtenden Bühnenräume, die schwelgerische Musik vom Orchester unter Michele Mariotti voll ausgekostet, und zwei Stimmen, die sich zum absoluten Schönklang verbanden. Und wie sie nicht besser für den Zauber des Bellinischen Melos zu finden sind: die anmutig mit ihrer Rolle total verschmelzende Nino Machaidze und Juan Diego Florez mit seiner ausdrucksvolle Stimme und ihrem wunderschönen Timbre. Auch die kleineren Rollen sind üppig besetzt mit Ildebrando d’Arcangelo und Gabrieli Viviano Folglich rauscht auch immer wieder und endlos lange der verdiente Riesenapplaus des begeisterten Publikums auf. Die Regie von Pier’Alli (von dem auch die herrliche Bühnenbilder sind) ignoriert kluger Weise den Unsinn der Handlung einfach  und setzt völlig zu Recht auf die Überzeugungskraft der Musik. Wer eine Bellini–Oper besucht, will schließlich meistens nur Melodien schlürfen und nicht die Handlung intellektuell hinterfragen.

 

 

Opus Arte B008REG7BW, 2 DVDs Nederlandse Opera 2012

Bellini mal ganz ohne die Superstars

Bekanntlich sangen die Tenöre der Zeit des Belcanto die superhohen Töne nicht mit voller Stimme, sondern im Falsett. Als Gilbert Duprez 1837 zum ersten Mal ein Hohes C, wie heute üblich, mit voller Stimme, sang und nicht als Falsettton, gab es eine Sensation und viele Damen fielen vor Schreck in Ohnmacht. Für die nachfolgender Tenöre aber hat er ein Riesenproblem geschaffen: wer kann es auch? Umso mehr staune ich heute, wieviel Tenöre die unglaublichen Höhenflüge des armen Arturo nicht nur wagen, sondern sogar auch noch glänzend schaffen, und ganz ohne zu knödeln! Und dabei noch gar nicht mal so berühmt sind, wie sie es eigentlich verdient hätten. John Osborn  ist so ein unerschrockener Ritter des Hohen C, der im Belcanto-Fach immer dann auftritt, wenn Florez keine Zeit hat oder zu teuer ist. Vielleicht ist er nicht ganz so schön wie der Diego, und hat auch nicht dessen Timbre, aber großartig singen kann er auch, und ob! Mariola Cantarero ist als Elvira optisch schon etwas gewöhnungsbedürftig. Das junge Mädchen glaubt man ihr kaum. Schon gar nicht in der so ungeschickten Kostümierung, die man fast als Beleidigung bezeichnen könnte. In ihrer sehr gut aufgebauten und gestalteten Wahnsinn Szene macht sie dann aber doch alles wieder gut. Neben den anderen Superaufnahmen hat es diese nicht leicht zu bestehen, obwohl sie ja durchaus ihre Meriten hat. Aber leider ist halt das „sehr gute“ schon immer der schlimmste Feind des „guten“ .gewesen.

 

 

BelAir BAC 142, 2 DVDs, Madrid, 2016/17

Die bedingungslose Kapitulation des Kritikers

Trotzdem ich diese Aufnahme mindestens ein Dutzend Mal anhörte, kann ich mich nicht entscheiden, ob nun der Damrau oder dem Camarena die Krone gebührt. Aber was soll auch die alberne Qualifizierung? Beide sind so unglaublich gut, dass ich sie nur bewundern kann. Seit der legendären Sutherland hörte ich eine derart souveräne Meisterung dieser im wahrsten Sinn wahnsinnigen Partie nicht mehr. Ja, sie übertrifft die Australierin sogar noch mit ihrer intensiv emotionalen Gestaltung. Nun war das ja ohnehin deren Schwachpunkt. Camarena singt mit einer derart stupenden Sicherheit wie ich sie seit Alfredo Kraus nicht mehr hörte. Und auch er übertrifft den großen Meister, und zwar an hingebungsvoller Ausdrucksstärke. Da kommt keiner der anderen 5 Arturos auch nur annäherungsweise mit. Da auch Tezier in der undankbaren Rolle des Riccardo voll überzeugt und Evelino Pido ein ebenso routinierter wie feuriger Dirigent ist, bleibt musikalisch nicht der geringste Wunsch offen. Und selbst an der Bühne (Emilio Sagi) gibt’s nichts auszusetzen. Die kalte Schneelandschaft mit dem romantischen Vollmondwald ist von poetischem Reiz und passt ebenso gut zur Musik wie die bewegten Riesenschatten und Schleier wenn Elvira ausrastet. Die krause Handlung zu verbessern, neben der die des Trovatore ja noch von eiskalter Logik ist, das hat man klugerweise erst gar nicht erst versucht.

 

 

Naxos 2.110598-99, 2DVDs, Stuttgart 2018

Bellini mal zum Nachdenken

Endlich mal ein Regieteam, das diese völlig unglaubhafte und schlimme Opernstory verdaulicher zu machen versucht: Elvira scheitert hier nicht an ihrer Hysterie, sondern an der brutal verbiesterten Gesellschaft, in der sie leben muss. Die Realisierung dieses ja ganz interessanten Regie-Ansatzes bringt aber sofort das nächste Problem: diese Story mit ihren brutalen Realismen passt jetzt überhaupt nicht mehr zu Bellinis Edelmusik! Zumal die üblichen Übertreibungen des Regietheaters frei Haus mitgeliefert werden. So wird Elvira zum elegisch zart säuselnden Finale des 1. Akts gleich mal öffentlich (!) vergewaltigt, während sie mit ihren Puppen (!) spielt. Dazu ist dann die hässliche Ästhetik der Bühnenbilder von Anna Viebröck eigentlich schon wieder passend. Wenn man bereit ist, das alles zu akzeptieren, dann wird allerdings die krause Handlung tatsächlich recht packend. Denn die Personenführung ist wie immer bei Wieler/Morabito gekonnt und spannend. Zumal ja außerdem auch noch sehr sehr ordentlich gesungen wird. Ana Durlovskis Elvira steht den großen Namen kaum nach und überzeugt mit hingebungsvollem auch gestalterisch großartigem Totaleinsatz. Rene Barbera bleibt der Hochtonschwelgerei des Arturo nichts schuldig und ironisiert das übertriebene Heldentum recht gekonnt. Und der ausdrucksstarke Adam Palka macht aus der kleinen Rolle des Giorgio beinahe eine Hauptpartie. Aber warum nur ist er geschminkt wie Prof. Dr. Börne aus den Münsteraner Krimis? Der Dirigent Giulino Carella schwelgt wunderbar im Bellinischen Melos, dessen akustische Wonnen mit der harten Action auf der Bühne versöhnen. Diese Aufnahme ist von nicht zu überschätzender Bedeutung: ist sie doch der einzige Versuch, eine moderne Sinngebung für das krause Bühnengeschehen zu finden.

Fazit: Die Aufnahmen aus New York (Netrebko), Bologna (Florez und Machaidze) und Madrid (Damrau und Camarena) sind in der künstlerischen Qualität wohl gleichwertig, da geben der persönliche Geschmack und die Sängerpräferenz den Ausschlag. Wer nicht nur Arien schlürfen will, sondern sich ein interessantes Regieerlebnis zutraut, das bestimmt nicht immer erfreulich ist, aber durchwegs packendes Musiktheater bietet, dem sei die Stuttgarter Aufnahme wirklich dringend empfohlen.

 

Peter Klier, 14. April 2019

Das Enleitungsbild ist aus meinem Opernführer Im dritten Akt sind alle tot!

 

 

 

SIEBENFACHER MACBETH

6 mal würde sich Verdi im Grab umdrehen

 

1.DGG ( 073 4380) 2 DVDs, Film 1987

„Klassisch und fast vollkommen!“

Ich gebe es ja zu, dass ich Opernfilme eigentlich gar nicht mag. Denn das Kunstprodukt Oper verträgt sich mit dem blanken Naturalismus nicht. Und meist wird die Musik dann zur reinen Bilduntermalung herabgewürdigt. Nicht aber hier. Sicher deshalb, weil der musikalische Teil von besonderer Qualität ist: dafür sorgen  schon Shirley Verret und Leo Nucci, die beide  ganz außerordentlich gute Rollenvertreter sind. Vor allem Nuccis hier noch vollklingendem Bariton liegt die Verdikantilene. Rein gesanglich ist er wohl der beste Macbeth von allen hier Gehörten. Das gilt auch für den Macduff Verano Luchettis! Dieses Ensemble ist wirklich auch nach 30 Jahren noch kaum erreicht, geschweige denn übertroffen. Riccardo Chailly sorgt ganz unaufdringlich für authentischen Verdiklang. Die Regie geht recht achtsam zu Werke und ertränkt die Musik nicht in Bilderfluten. Das feuchtgraue Gemäuer der archaischen Burg in Frankreich passt ausnehmend gut zur düsteren Handlung und so werden bildmächtige Szenarien gestaltet, die schon unter die Haut gehen. Befremdlich aber die Hexenszene, bei der nackte „Wilde“ wie auf einem Affenfelsen im Zoo umherhüpfen. Aber auch bei den anderen Einspielungen ist ja die Gestaltung der Hexenszene schwach bis albern, da haben die modernen Regisseure wohl Angst vor Kitsch? Trotz dieses Einwandes gilt uneingeschränkt: wer Opernfilme mag, wird eine authentischere  Einspielung nicht finden.

 

2. Arthaus Musik ( 101 563) 1DVD, Zürich, 2001

„Lady Macbeth von Zürich“

In Zürich dominiert Paoletta Maroccus Lady die Aufführung, wenn auch manchmal etwas scharfstimmig. Das tut der packenden Charakterisierung keinen Abbruch. Im Gegenteil. Auch Thomas Hampson ist schauspielerisch sicher der derzeit kompetenteste Darsteller des Mr. Macbeth. Spielt er doch seine Angst nicht nur, sondern er scheint sie wirklich zu erleben. So entsteht ein außerordentlich überzeugendes Rollenporträt, obwohl er stimmlich sicher manchmal auch über seine Grenzen kommt. Sehr geholfen hat ihm der hervorragende Sängerdirigent Franz Welser-Möst, der das Orchester stark zurückgenommen hat. Und trotzdem schafft er noch die nötige Ausdrucksgewalt. Ganz nebenbei beweist er aber gerade damit seine wirklich große Dirigierkunst. Die erschöpft sich eben nicht in der heute allgemein üblichen brutalen Lautstärke. Aus dem durchwegs sehr guten Ensemble ragt noch Roberto Scandiuzzi als Banco überzeugend hervor. David Pountney hat das Ganze inszeniert und seinetwegen hätte ich fast schon bei der ersten Hexenszene abgedreht. Was ihm da an Unsinn mit strickenden, Hula-Hoop-Reifen spielenden, spießigen und knallbunten Hausfrauen einfiel, entspricht voll dem heute oft anzutreffenden Regieblödsinn. Aber gut, dass ich doch nicht abschaltete! Denn insgesamt gelang ihm eine außerordentlich spannende und interessante Inszenierung. Sonderbares und Phantasievolles gibt es aber immer noch genug zu sehen. Die genial stimmungsvollen Bühnenbilder von Stefan Lazaridis würden die Inszenierung allein schon interessant genug machen. Wer eine auch intellektuell packende Aufnahme sucht, der sollte  schon zugreifen.

 

3. Naxos BEL-AIR (B004QDNSJC) 2DVDs, Paris, 2011

„Zwei Serienkiller im Reihenhaus“

Meine Güte, das war doch vor 20 Jahren schon ein alter Hut, wenn da spätpubertierende Jungregisseure mit verblödelnder Primitivtrivialisierung des Operninhalts den Bildungsbürgern ihre Opern um die Ohren klatschten. Dass das heute von fanatischen Regietheateranhängern und Feuilletonschwätzern immer noch bejubelt wird, ist ja kaum zu glauben. Denn eigentlich ist das früher vielleicht mal  nötige Regietheater doch längst an lahmer Einfallslosigkeit verstorben. Das zeigt Tscherniakows fader Aufguss mit uralten Regietheaterrequisiten überdeutlich: Da morden Herr und Frau Kleinbürger Macbeth in der Wohnküche serienweise Nachbarn oder Kollegen oder wen eigentlich? Ja und  warum eigentlich? Antwort und Motivation bleibt uns der bejubelte Regiestar ebenso schuldig, wie jegliche Personenführung. Und wenn der Herr Macbeth dann endlich in Unterhosen am Küchentisch stirbt, ist einem das wirklich völlig schnuppe. Ja wenn wenigstens zu all dem lahmen Unfug gut gesungen würde! Aber da habe ich sogar in der Provinz schon besseres erlebt. Und Currentis, der andere hochgejubelte Shootingstar, hetzt mal ohrenbetäubend laut durch die Partitur und lahmt dann wieder in zäher Zerdehnung. Die Kritik bejubelt das als aufregend neuen Verdistil. Wie Verdi aufregend modern dirigiert wird, zeigen Conlon, Welser-Möst und Luisi ganz unaufdringlich auf den anderen DVDs. Vielleicht sollte der Herr Stardirigent deren Aufnahmen mal aufmerksam anhören. Und die ihn hochjubelnden Musikschwätzer gleich mit. Im Zweifelsfall aber kapieren sie den Unterschied gar nicht, denn  wenn etwas neu ist, muss es ja besser sein!

 

4.DGG ( 073 5234) 1Blu-ray, Met, 2014

„Die Lady Macbeth als Netrebko“

Natürlich dominiert die Netrebko die gesamte Einspielung. Nicht nur, weil sie ein ganz neues Rollenporträt einer sexy Lady abseits aller Klischees eines Horrorweibes schafft. Sondern auch, weil Spiel und Gesang zu einer überwältigenden Einheit verschmelzen, und die gefürchteten gesangstechnischen Probleme dieser Monsterrolle noch nicht einmal zu ahnen sind. In der Übertragung aus Berlin 2018 konnte man dann erstaunt   feststellen, dass sie diese Leistung aus der MET 4 Jahre später sogar noch steigern konnte. Neben ihr verblasst der ohnehin etwas blasse Lucic schon ein wenig. Seit ich ihn vor vielen Jahren begeistert in dieser Rolle erstmals erlebte, hat er leider nicht hinzugewonnen. Das  grausliche Geschehen ist hier leider wieder mal  in die Gegenwart verlegt! Das trivialisiert den mystischen Hintergrund und nimmt den Personen die archetypische Bedeutung. Idiotisch, wie meistens, auch hier die Hexenszenen. Die zeigen einen amerikanischen Frauenverein mit Kompotthütchen. Sollte das gar eine sozialkritische witzige Anspielung auf diese Frauenvereine  sein? Die schönen Bühnenbilder trösten aber auch darüber hinweg. Auch Fabio Luisi hilft vom  Pult her, das alles  zu vergessen. Er dirigiert wie immer  differenziert, temperamentvoll und doch sensibel. Letztendlich  bleibt also nur: unbedingt kaufen und Begeisterung pur erleben!

    

5. Warner Music (B001D6OKUQ) 2 DVDs, Met 2008

„Die andere Lady“

 

 

Warner Music bietet dieselbe Inszenierung an, aber statt  Netrebko mit Maria Guleghina. Diese ebenfalls ganz hervorragende Künstlerin zeigt  ein eher konventionell böses Klischee der bösen Lady. Bei einigen Spitzentönen kann sie ihre Mühe nicht ganz verbergen. Dennoch eine großartige Leistung. Im Vergleich mit Netrebko beweist sich aber halt wieder mal die alte Regel, dass das „Außerordentliche“ leider der schlimmster Feind des „sehr Guten“ ist. Lucic klingt hier, 6 Jahre früher, noch deutlich  gesünder. Insgesamt also wirklich eine äußerst interessante Variante,  zumal der feurige  Levine mit wesentlich breiterem Pinsel malt als der feinsinnige Luisi. Ich staunte, wie sich die ganze Aufführung dadurch verändert. Man sollte wirklich beide parallel erleben. Es lohnt sich!

 

6.Sony (889 854 03579) 2DVDs, LA - Opera 2016

 „Macbeth und die netten Teufelchen!“

 

 

Das ist sicher eine Inszenierung so recht nach dem Geschmack des amerikanischen Publikums. Herrliche Kostüme, leicht verständliche und effektvolle Personenführung, ein äußerst wirkungsvolles Bühnenbild und als Dreingabe eine fulminante Hexenszene, mit allgegenwärtigen herumkletternden Teufelinnen, damit man wenigstens etwas zum Nachdenken hat. Die riesigen Gespenster-Pappmacheeköpfe im 3. Akt aber, ja die würden in Deutschen Opernhäusern Lachsalven ohne Ende hervorrufen. Trotzdem: nach all dem Verfremdungsunfung und Trivialisierungsgemansche wird hier Verdi mal wieder ernst genommen. Und man kann sich auf seine szenischen Eingebungen wirklich genauso verlassen, wie auf seine musikalischen. Für deren Realisierung garantieren der hellwache James Conlon als Dirigent und ein wahres Traumensemble. Allen voran der unverwüstliche Domingo als fast idealer, wenn auch zu tenoraler Macbeth, dem in der Baritonlage schon oft die Durchschlagskraft fehlt. Verdi hat ja, nicht nur wegen der Klangbalance, natürlich eine dunkle Stimme vorgeschwebt. Was solls, solche Einwände wiegen nicht allzu schwer, angesichts einer vor allem darstellerischen Präsenz, wie sie wenig  andere haben! Zumal er hier in besserer Form sang, als bei der Berliner Übertragung 2 Jahre später. Seine Lady Ekaterina Sementchuk singt ganz außerordentlich großstimmig, wurde aber darstellerisch von der Regie  wohl total verlassen. Hildebrando d‘ Àrcangelo ist die reinste Luxusbesetzung für Banco. Und der Beste von allen Bancos. Interessant auch Josua Guerreros Macduff, der Calleja in der MET Crew locker toppt.

 

7. Naxos (NBD0077V) 1 Blu-ray, Palermo 2017

„ Die Lady und die fahrenden Betten “

Also verstecken braucht sich diese allerneueste Aufnahme neben denen aus den großen Bühnen wirklich nicht. Dafür sorgt allein schon der ausdrucksstarke Macbeth des fulminanten Roberto Frontali.  Aber auch die Inszenierung von Emma Dante hat interessante neue Ansätze, bleibt aber manchmal im allzu Verrätselten stecken. So, wenn zur Schlafwandlerszene lauter weiße Betten auf der Bühne herum fahren. Oder die Hexen, die  jeder neumodischen Tannhäuserinszenierung zeigen könnten, wie ein Bachanale geht. Andere Albernheiten, wie das Herumklettern auf den überhohen Stühlen oder das Pferdegerippe auf dem Macbeth und seine Lady abwechseln reiten, hätte man sich gerne erspart. Aber die Klage um den toten König in Form einer Christlichen Pieta ist dann wieder ebenso eindrucksvoll wie natürlich auch verblüffend. Die Lady (Anna Pirozzi) singt übrigens ganz außerordentlich stilvollen Verdi, und zeigt, dass die Rolle auch  lyrisch aufgefasst werden kann. Dass sie vom Maskenbildner wie eine alte Indianersquaw hergerichtet wurde, grenzt allerdings schon an Körperverletzung. Marco Mimica als Banco und  Vincenzo Constanzo als Macduff stehen der  prominenteren Met Besetzung überhaupt nicht nach.

Fazit: Wiedermal die Qual der Wahl: natürlich dominierte die DGG – Aufnahme aus der MET mit der großartigen Netrebko  in den Medien. Was aber schon  ungerecht den anderen gegenüber ist. Denn die mit Domingo aus LA ist szenisch viel erfreulicher und die Züricher mit Hampson vom intellektuellen Gehalt her bei weitem anregender. Auch die szenisch recht gewagte aus Palermo, die verblüffend neue Wege geht, verdient es, mal erlebt zu  werden. Und der klassische, ebenso  bildmächtige wie  tonschöne Film bei der DGG, der kann gar nicht genug gepriesen werden.

                                                           

PK 6.3.2019

 

 

6 Mal „Don Carlo(s)“

Verdis eindrucksvollste Oper

 

Ein Operndokument historischer Größe

Eine Therapie für Regietheaterverseuchte, die zeigt, wie man früher einst ohne Verfremdung und Regiemätzchen ein Maximum an Ausdruck und Wirkung erreichen konnte. Wenn man denn echte Profis hatte, denen es nicht um Selbstdarstellung ging, sondern ausschließlich um das Werk. Gustav R. Sellners Regie begnügt sich mit Wenigem, aber das ist gekonnt. Nun hat er allerdings eine Gruppe von einmaligen Singschauspielern, die wirklich mit einer Geste mehr andeuten können als andere mit 10 Luftsprüngen. Josef Greindl als König ist da an erster Stelle zu nennen. Mit zur Rolle grandios passender knorriger Bassgewalt dominiert er die Szene mit eiskalter Wucht. Und das will etwas heißen, wenn ein Fischer-Dieskauneben ihm agiert. James King mag eine verblüffende  Besetzung des Carlos sein, aber wenn er in die heldentenorale Steigerung geht, fegt er alle stimmlichen Bedenken beiseite. Wer fragt da noch nach Italianita, zumal ja ohnehin Deutsch gesungen wird. Und zwar so, dass man jedes Wort versteht. Martti Talvelaverkörpert schauerlich den ganzen Schrecken der Inquisition. Die beiden Damen haben es da schwerer mitzuhalten. Pilar Lorengar schafft es mit ihrer reinen Engelstimme und Patricia Johnson als Einspringerin für Mignon Dunn muss man halt hinnehmen. Wolfgang Sawallisch dirigiert einen sehr deutschen Verdi. Aber so klang das halt damals überall. Bleibt noch anzumerken, dass Tonqualität und Synchronisation schlechter Standard der 60-iger Jahre sind. Dennoch als Theatergeschichtlicher Zeitzeuge von hohem Wert.

 

 

Opernopulenz und Starbesetzung!

Diese Aufnahme ist kaum zu toppen, vor allem was die Sänger betrifft. Ein Domingo in absoluter Bestform als glutvoller Liebhaber mit traumhaft schönem Stimmklang, auch darstellerisch der Mittelpunkt, sogar neben dem machtvoll orgelnden Ghiaurov als grandiosem König. Mirella Freni höchstens noch von derHarteros erreicht, der junge Furlanetto, schon ein beeindruckender Inquisitor, trotz der albernen Rasputinmaske. Und als Eboli mit historisch gerechtfertigter Augenklappe Gace Bumbry: sie singt alle Konkurrentinnen einfach in Grund und Boden, außer vielleicht Waltraud Meier. Aber jetzt kommt`s im wahrsten Sinn des Wortes leider dicke: Louis Quilico! Steif herumstehen und laut singen, reicht das für den Posa? Dafür pflegt James Levine einen Verdi – Sound zum süchtig werden. Bleibt die Inszenierung. Na ja, das ist halt die typisch überzogene MET Opulenz! Auch wenn sie dabei nicht immer guten Geschmack zeigen: eindrucksvoll ist`s trotzdem. Zumal angesichts unserer meist sehr verkopften Regie, angesiedelt in Wohnküchen und Tiefgaragen. Ich habe in den 80iger Jahren einige dieser Aufführungen live an der MET in ähnlicher Starbesetzung erlebt. Es sind schöne Erinnerungen bis heute geblieben. Denn wer mag bestreiten, dass Oper ja  auch eine sinnliche Kunst ist? 

 

 

Wenn schon die französische Fassung, dann diese

Eine ganz großartige Besetzung wird hier aufgeboten, mit dem überragenden Thomas Hampson als idealem Posa, damals mit langen Revoluzzer-Haaren. Auch die begnadete Singschauspielerin Waltraud Meier als Eboli ist die Erfüllung schlechthin. Alagna überzeugt darstellerisch und stimmlich völlig, was in der heiklen französischen Fassung gar nicht so leicht ist. Karita Mattila singt eine kühlstimmig, total überlegene Elisabeth. Eric Halvarson als furchterregend dunkelstimmiger Super-Großinquisitor singt seinen König in Grund und Boden. Denn die Rolle des Philippe, sonst ja eine Domäne der ganz schwarzen Bässe, ist hier mit einem Bassbariton (!) von schwächlicher Tiefe besetzt. Welche Vermarktungsstrategien haben wohl dazu geführt, Jose van Dam zu wählen, der ja auch als Schauspieler selten präsent ist? So entsteht in einer der Hauptrollen ein ziemliches Vakuum. Die Regie, die bisher kaum störte, scheint im 4. Akt plötzlich „trendy“ sein zu wollen: der Großinquisitor muss mit Donner und Blitz und fast kriechend auftreten, so wie im alten Schmierentheater der Mephisto. Harte Feldbetten aus dem Restbestand der US Army, auf denen die Regina ruhig schläft, während der unzufriedene Gemahl sein Alleinsein beklagt. Dieser Raum ist dann auch der Kerker des Infanten. Und dann das enge Klostertürchen durch das sich KarlV. und sein Enkel beim finalen Abgang quetschen. Lächerlich dumm! Antonio Pappano ist auf gleich drei Don Carlos-Aufnahmen der überlegene Dirigent vom Dienst, und ich wüsste keinen besseren. Bleibt die alte Streitfrage: die französische oder die italienische Fassung? Letztere scheint mir dramatischer und packender zu sein als die sicher elegantere französische. Bei der aber überwältigt die Klage um Posa im 4. Akt, mit dem erschütternden „Lacrymoso“ aus dem 7 Jahre später entstandenem  Requiem. Eine absolute Sternstunde!

 

 

Eine Prinzessin mit Kittelschürze in der Wohnküche 

Die ganze, ja oft sehr trübe, Suppe des Regieunfugs wird hier von Konwitschny über eine wehrlose Oper ausgekippt: von der Eboli mit Küchenschürze beim Hähnchenkochen bis zum Autodafé als Polonaise quer durchs Opernhaus und zur verblödelten Slapstickszene mit dem Großinquisitor. Diese Trivialisierung führt im Zusammenhang mit der großen Geste der Musik unweigerlich zur Parodie. Ist solche Provokation alles, was er damals zu bieten hatte? Und ist das noch derselbe, der einst den so genialen Lohengrin im Klassenzimmer und die Aida in Meiningen schuf? Hier meine ich, schielt er nur noch auf die Hype fürs Feuilleton, damit alle auch spannen, wie er  die  Oper aufmischt. Und de Billy dröhnt mit überlautem Orchester die Sänger zu. Ramon Vargas singt trotzdem einen einwandfreien Carlos, Bo Skovhus besticht wie immer durch seine schauspielerischen Qualitäten und Nadja Michael  überzeugt sogar noch als Küchenschürzen-Eboli. Die restliche Sängerriege ist nicht so ganz das, was gerade in Wien zu erwarten wäre. Man hat diese DVD nicht ohne Grund, so meine ich, aus dem Angebot genommen. Der selige Verdi hat daraufhin sicher einen überschwänglichen Dankesbrief geschrieben. Denn dass man die ihm in Paris aufgezwungene Ballettmusik nochmals spielen würde, noch dazu im Wohnküchenidyll, das hat er wirklich nicht verdient. Auch nicht diese Szenerie, die so überhaupt nicht zur Musik passen will. Für unermüdliche Regietheaterfans,  ein Trost: bei Amazon gibt`s die DVDs noch für nur einige Euros.

 

 

Ein Infant wie aus dem Bilderbuch

Villazon ist der großartige Mittelpunkt dieser überzeugenden Aufnahme. Denn seine Rollenidentifikation geht wirklich direkt unter die Haut. Und er steht   rein vom Typ her dem überschäumend verwirrten Infanten sicher auch viel näher, als seine stimm-potenteren Kollegen Domingo und Kaufmann, die doch eher die Siegertypen sind. Wie er agiert und singt, immer an seinem oberen Limit und auch oft darüber, das ist nicht nur ungeheuer eindrucksvoll und mitreißend, sondern erklärt auch, warum er doch so relativ früh Probleme bekam. Furlanetto als auch stimmlich mitreißender König, der recht offen auch seine Gefühle zeigt, bietet ebenfalls ein außergewöhnliches Rollenportrait, weit über das übliche Klischee hinausgehend. In der Szene mit Halvarson, reißt er auch ihn, den Großinquisitor vom Dienst auf den meisten Aufnahmen, zu seiner bestimmt besten Leistung mit. Sonia Ganassi ist stimmlich durchaus überzeugend, aber doch etwas zu bieder für das intrigante Vollweib Eboli. Simon Keenlyside, wie immer der Cowboy vom Dienst, singt tadellos, ist aber nicht gerade die Erfüllung der Idealgestalt des Posa. Auch hier wieder Pappano am Pult: routiniert und überzeugend. Das Bühnenbild anfangs sehr eindrucksvoll, düster mit schwarzblauem Licht, wird in der Gartenszene und beim Autodafé dann quietschbunt. Die Regie stört nicht, ohne aber große Akzente zu setzen. Das tun Villazon und Furlanetto, vermutlich in eigener Initiative, dafür umso überzeugender. Bravo!

 

 

 

Lahme Regie bremst Sängerpersönlichkeiten aus

Diese Inszenierung lahmt an Peter Stein, der zwischen niedlichen Details, kleinbürgerlichen Interieurs und surrealen Räumen hin und her schwankt, unentschlossen, ob er modisches Regie-Theater oder brave Arrangements machen soll. Selbst das sonst so spannende Autodafé wird zur langweilig bebilderten Stehoper, und der Streit zwischen König und  Inquisitor zum spießigen Kaffeekränzchen zweier alter Männer vor gemütlich blau gekachelten Wänden. Diese falsch angelegte Szene retten die Sänger nur mit Müh und Not: der mit knorzigen Stimmresten singende Eric Halvarson, einst der großartige Großinquisitor vom Dienst, hier mit putziger Kindersonnenbrille (aufgepasst: er ist ja blind) und der stimmmüde Martti Salminen. Aber auch Thomas Hampson klang vor 20 Jahren (in der Pariser Aufnahme) noch viel frischer. Allerdings bringen alle drei ihre großen Persönlichkeiten noch sehr beeindruckend ein, indem sie ihre Stimmprobleme geradezu genial zum Ausdrucksmittel steigern. So überzeugen sie schließlich  doch noch voll und ganz. Naja, total fanatische Stimmfetischisten überzeugen sie vielleicht nicht. Die Königin des Abends ist zweifellos Anja Harteros mit ihrem herrlich beseelten Singen. Jonas Kaufmann begann damals leider schon, seine Mittellage unschön zu verdicken, singt aber dennoch meistens schön auf Linie. Ja, und er spielt natürlich wie immer eindrucksvoll. Die Eboli Ekatarina Semenchuks lässt wenig Wünsche offen und Pappano ist ja nun wohl endgültig der Don Carlos Dirigent vom Dienst.

 

Fazit: Das ist diesmal aber wirklich schwer: die französische Aufnahme, so meine ich, gehört schon unbedingt dazu, also natürlich die aus Paris von 1996 bei Warner erschienene. Und Villazon hat mich als Don Carlos von allen am meisten überzeugt in der Londoner DVD, ebenfalls bei Warner, und den prachtvollen Furlanetto gibt`s da ja noch obendrein! Die in Musik und Szene gleichermaßen opulente aus New York bei der DGG darf man sich eigentlich auch nicht entgehen lassen. Für Kaufmann-Fans ist natürlich die Einspielung aus Salzburg bei Sony ein absolutes Muss. Nimmt man nun noch bei ArtHaus die klassische alte Berliner in Deutsch, die immer noch ihre Meriten hat, so meine ich wenigstens, dann hätten wir ja so ziemlich alle als sehr empfehlenswert gefunden. Und die eine, die modernistische  eben, die werden die Regietheaterfans wiederum nicht missen wollen. Meine ganz persönliche Wahl: die Berliner als Zeitdokument, die aus Paris als unbedingt nötige französische Variante und die Londoner wegen Villazon und Furlanetto. Jetzt sind alle Domingo- und Kaufmannfans sauer auf mich. Ich weiß, und die Regietheateranhänger auch, ich weiß!

Peter Klier, 3. Januar 2019

 

 

Fünf Mal Dvoraks „Rusalka“

Von der Angst des Regietheaters vor einem Märchen

Rusalka im Mädcheninternat

ArtHaus Musik (auch bei Naxos): 109150 1BlurayLondonENO,1984

 

Dass die Pubertät eine schwere Belastung ist, und die erste Liebe oft schief geht, das ist ja allen bekannt. Pountneys kühle Regie   lässt aus diesen Seelendramen einen surrealistischen Reigen kühler Bilder im Schlafsaal eines Mädchenpensionats entstehen. Mit gefesselten Beinen singt Eilene Hannan auf der Schaukel bewundernswert professionell ihr Mondlied. Dann kommt ein alter Herr im Rollstuhl (Rodney Maccan) und ermahnt mit dröhnender Bassgewalt, wohl nicht zu viel zu schaukeln.   Die Stiftsvorsteherin alias Hexe entfacht kurz einen kleinen Kulissenzauber. Und erst am Ende des ersten Akts kommt mit dem kraftstrotzenden John Treleaven als Prinz etwas Leben in die intellektuell überfrachtete Bude. So schwer tat man sich schon 1984 mit Märchen. Doch leider plätschert auch die Musik unter Mark Elder etwas sehr distanziert dahin. Zumal auch noch in Englisch gesungen wird, was doch recht eigenartig klingt. Siegmund Freuds Theorien im Opernhaus mit kühler Distanz zu visualisieren und dazu Dvoraks Melodienzauber zu hören: Für den rein intellektuellen Operngenuss ist das zweifellos eine höchst interessante Bildvorlage. P.K.

 

P.S. Alktuell bei Amzon für 9,95 fast geschenkt. Schnell zuschlagen, denn dagür lohnt es sich allemal diesen Silberling ins Regal zunstellen. P.B.

 

 

Rusalka im Pornofolterkeller

CMajor 750 904, 1 Bluray, München 2011

 

Was diese total verfremdete Einspielung, trotz allem doch interessant macht, ist die unglaublich intensive Rollenidentifikation von Christine Opolais in der Titelrolle. Vergleicht man nur mal das Psychodrama, das sie aus dem nun wirklich total abgelutschten „Lied an den Mond“ macht, mit der verzuckerten Interpretation von Anna Netrebko, dann begreift man, zu welch ungeheurer Bandbreite Oper in der Lage ist. Ansonsten aber hat das alles mit Dvoraks Oper nichts gemeinsam. Denn zu dessen spätromantisch wunderbarer Musik missbraucht hier nicht nur ein Perverser Kinder im feuchten Keller, sondern die Regie gleich die ganze Oper. Und das ist technisch auch noch schrecklich perfekt umgesetzt. Günther Groissböck spielt eklig überzeugend den Kinderschänder und orgelt dazu seine herrlichen Gesänge als Wassermann/Pornograph. Und sogar Klaus Florian Voigtssonderbarer Tenor passt bestens zum unentschlossenen Wesen des Prinzen oder was er hier auch sein mag. Die der Musik aufgepfropfte Schreckenshandlung verfehlt also ihren furchtbaren Eindruck keineswegs. Wer dickfellig genug ist, dass es ihm vor nichts mehr graust, der mag sich das meinetwegen ansehen. Der alte Dvorak aber, der sich ja nicht mehr wehren kann, rotiert bestimmt in seinem Ehrengrab in Prag. P.K.

 

P.S. Wird zu Mondpreisen mit über 80 Euro aktuell verkauft. Regiemist dieser Art geriert schnell zu "Kult". Es scheint auch so, daß die Scheibe nicht mehr aufgelegt wird, weil man sich keine Verkaufszahlen verspricht P.B.

 

 

Rusalka auf der Reeperbahn nachts um Halbeins

Euro Arts 2059924, 1Bluray, La Monnaie 2012

 

Endlich mal eine moderne Inszenierung, die das Werk zwar durchaus kritisch hinterfragt, aber dennoch auch romantisch-märchenhaften Züge nicht ausgespart und ganz unmodern Gefühle wagt. Zunächst verblüfft zwar die Verortung der Story im Rotlichtmilieu, das aber, wann immer erforderlich, sich sogar mit dem nötigen Kulissenzauber zum phantasievollen Zauberland verwandelt. Eine spannende Personenführung ist bei Stefan Herheim ebenso selbstverständlich wie die notengenaue Verbindung der Regie mit der musikalischen Aussage. Kein Wunder, ist er ja gelernter Musiker. Allerdings würde ich diese Inszenierung nicht unbedingt Neulingen empfehlen. Denn wer Dvoraks Oper nicht ganz genau kennt, der dürfte schnell in der verrätselten Bilderflut ertrinken. Adam Fischer als großartiger Dirigent sorgt für musikalische Spannung und die Sänger lassen keine Wünsche offen: Myrto Papatanasu als auch optisch sensibel - zarte Rusalka mit ätherischen Pianotönen und  Pavel Cernon als lyrisch heller Prinz. Willard White gestaltet den Wassermann als märchenhaften Drahtzieher darstellerisch ganz großartig. Nur begreife ich nicht, warum er dauernd in Schlafanzug herum laufen muss? Insgesamt eine zwar verfremdende doch spannende Inszenierung, die bestimmt reichlich Stoff zum Nachdenken über ihre merkwürdige Logik bietet. Aber sie weist auch zauberhafte und wundervoll emotionale Momente auf.

 

P.S. Kaufempfehlung! Für aktuell 20 Euro ist das bei dieser tollen Sängerbesetzung wirklich noch ein fairer Preis trotz Herheim ;-).  P.B.

 

 

Rusalka als Opernwunder aus Polen !

4. DUX 8178 1DVD,Opera Nova Bydgoszcz (Polen) 2012 

 

Weder kannte ich bislang eine Stadt namens Bydgoszcz, noch ahnte ich, dass es dort überhaupt ein Opernhaus gibt. Mit recht gespannten Erwartungen sah ich deshalb dieser Aufnahme entgegen und erlebte eine Riesenüberraschung: eine Einspielung, die sich vor allen anderen nicht zu verstecken braucht. Denn auch die Hauptsolisten können sich hören lassen. Magdalena Polkowska als Rusalka etwa, die mit ihrer jugendlich-begeisterten Rollenidentifikation völlig überzeugt. Tadeusz Szlenkiers  gibt dem verkrampft-kühlen Prinzen sein ganz besonderes stimmliches Niveau. Das Orchester unter Maciej Figas hält bis zum Schluss mit großer Einsatzfreude durch. Endgültig begeistert hat mich aber dann die Inszenierung von Kristina Wuss: ohne die üblichen Mätzchen des Regietheaters erzählt sie genau die Geschichte, die Dvorak vertont hat und ist dabei keineswegs nur steril werkgerecht. Denn die psychologisch durchdachten Ausschmückungen zeigen immer wieder ihre sehr persönliche Handschrift. Dazu ließ sich Mariusz Napierala ein romantisch zauberhaftes Bühnenbild einfallen, das die Handlung noch verdeutlicht. Eine alte Brücke verbindet nämlich   sehr sinnvoll das Ufer der Menschenwelt mit dem der Wassergeister. Dahinter ein Nachthimmel von solch poetischer Schönheit, dass diese Optik schon alleine diese Aufzeichnung rechtfertigt. Zumal das Bühnenbild eben nicht (wie zum Beispiel bei Otto Schenk) in geschönter Einheitsstarre verharrt, sondern sich dauernd den jeweiligen Handlungssträngen anpasst, und zwar  ebenso poesievoll wie erhellend. Dabei schreckt man auch nicht vor wirksamen Bühnengags zurück, so, wenn Rusalka von der hohen Brücke ins Wasser springt. Wie das technisch derart perfekt gemacht wird, habe ich immer noch nicht enträtselt. Jeder Regisseur von Tosca sollte sich das mal ansehen. Ein extra BRAVO auf die mir jetzt nicht mehr unbekannte Oper von Bydgoszcz! P.K.

 

P.S. Schon allein zur Unterstützung einer so kleinen rührigen Firma wie DUX/Euroarts und damit sie neben den üblichen Giganten nicht untergeht, müssen wir den Opernfreunden diese wunderbare DVD ans Herz legen. Die 22 Euro sind bestens angelegt. Ein werktreuer Märchengenuss - ein Meilenstein. P.B.

 

 

Mit Rusalka im Opern-Märchenland

5.DECCA 074 3873 0379, 1 DVD, New York MET 1993/2014

 

Bei den Namen Otto Schenk und Schneider-Siemssen weiß jeder erfahrene Opernfreund sofort, was die Inszenierung bringen wird: ausgefeilte, konservative Gestaltung durch zwei Opernvollprofis. Und das vor schönen Bühnenbildern, die genau zur Musik passen. Irgendwelche modernen Verfremdungen oder gar Neuinterpretationen werden dabei gar nicht erst gewagt. Wenn dann aber die musikalische Darbietung so entwaffnend perfekt geschieht, wie hier an der MET, unter dem wirklich genialen Dirigat von Yannick Nezet-Seguin, sind die erträumten Opernwonnen garantiert. Zumal ja auch noch ein Traumensemble zur Verfügung steht: denn Renee Fleming als „Rusalka vom Dienst“ und Piotr Beczala, als märchenhaft singender Märchenprinz, sind einfach nicht mehr zu toppen. Alle anderen fallen in der Leistung keineswegs ab: insbesondere Emily Magee macht aus ihrer Rolle, der Fremden Prinzessin, eine ausgefeilte Charakterstudie und John Relyea orgelt seinen Wassermann wie es sich halt gehört. Wer aber ein Märchen pur auf der Opernbühne nicht erträgt, und etwas mehr Pfeffer will, der hat ja gleich 3 modernere Auffassungen zur Auswahl, siehe oben. P.K.

 

P.S. 25 Euro - gebraucht schon ab 13 Euro. Ich habe sie mir, als großer Fan von Yannick Nezet-Seguin (lesen Sie auch unsere Konzertbesprechung von 2017) den ich aktuell für einen der besten Dirigenten weltweit halte, die Scheibe sofort bestellt. Der Maestro müsste eigentlich in die Gefilden eines Karajan oder Solti demnächst noch aufsteigen. Schon daher unbedingt laufenswert... P.B.

 

Fazit

Diesmal ist‘s komplizierter: Wer noch Märchen pur aushält, wird mit der brav-traditionellen Aufnahme bei Decca unter Schenk sehr glücklich sein (Nr.5). Die verblüffend gekonnte Aufnahme bei DUX (Nr.4) empfehle ich allen, die sich mal überzeugen wollen, dass auch kleinere Theater mithalten können, also kauft die DVD aus, na wie heißt der Ort?, ja aus Bydgoszcz! Wer fantastisches Regietheater erwartet, der wird die Aufnahme von Herheim aus dem LaMonnaie (Nr.3) wählen. Alle für Märchen inzwischen zu verkopften Regietheaterfans, finden sicher die kühl intellektuelle Aufnahme aus der ENO (Nr.1) besonders „cool“. Und wer wirklich viel vertragen kann, ja der wird zweifellos die schon richtig schmerzhafte Verfremdung aus München kennen lernen wollen.(Nr.2). Dvorak würde sich darüber aber kaum freuen.

Peter Klier, 23. September 2018

 

 

 

Rossini „Le Comte Ory“

ein fast vergessenes Kleinod - dreimal neu entdeckt!

Ich hätte nie geglaubt, dass ich nach über 60 Jahren intensivster Beschäftigung mit der Oper noch etwas Neues und mich so Begeisterndes entdecken könnte, wie dieses vergessene Kleinod, das Rossini aus Einzelstücken der „Reise nach Reims“zusammengebastelt hat. Und davon gibt es auch noch gleich 3 überaus herrliche Aufnahmen, die mich, den nun fast 80 jährigen Opernnarren, wieder in schon vergessen geglaubte   jugendliche Begeisterung versetzen konnten. Es gibt sie also doch noch, diese vor Glück fast närrisch machenden Opernwunder! Diese Begeisterung macht mir aber eine kritische Besprechung jetzt sehr schwer: ich halte nämlich alle drei Aufnahmen mit nur kleinen Unterschieden für sehr gut gelungen.

 

1.Warner: 0825646054503, 1Bluray, New York 2011:

„Opulenz in allen Bereichen: eine echte MET “                         

Wie bei der MET üblich, weist auch diese Einspielung eine Opulenz auf, die sich andere Bühnen wohl kaum leisten können. Das gilt nicht nur für das wunderschöne Bühnenbild und die verschwenderisch prachtvollen Kostüme sondern auch für das Staraufgebot. Gleich drei Weltstars werden bemüht: Diana Damrau, Joyce di Donato und Juan Diego Flores! Wobei mich bei allen dreien die völlig unerwartete komödiantische Brillanz noch mehr begeisterte, als die ja erwartete Fähigkeit zur Stimmakrobatik. Und die Regie von Bartlett Sher löst sogar die verzwickte Aufgabe, einen Tenor in Nonnenkleidung mit einem Mezzo in Männerkostüm und einem Sopran im Nachthemd ein Terzett im Bett singen zu lassen, von allen Einspielungen am besten. Und schafft es sogar noch, dabei ebenso dezent erotisch wie auch herrlich witzig zu sein. Dass die drei bei dem geforderten Körpereinsatz auch noch prachtvoll singen, versteht sich in dieser Gagenklasse natürlich von selbst. Ein toller Spaß mit ebenso schwieriger wie anspruchsvoller Musik.

 

2. DECCA 074 3468, 1Bluray, Zürich 2012:

„Ein Kreuzzug mit de Gaulle im Nachkriegsfrankreich.“

In die fünfziger Jahre und in die Französische Provinz verlegt die Regie hier die Handlung, was zumindest im 1. Akt erstaunlich gut aufgeht. Das ist vor allem der großartigen stimmlichen und darstellerischen Präsenz Javier Camarenas als Titelhelden zu verdanken. Der aber auch vor Klamauk und Unfug nicht zurückschrecken muss. Um ihn herum ein ebenso spielfreudiges Ensemble, mit so vielen witzigen Details, dass sich ein wiederholtes Ansehen unbedingt lohnt, um alle Köstlichkeiten auszukosten. Cecilia Bartoli mit ebenso viel Mut zu Hochtönen wie zur Darstellung der hier ältlichen Gräfin und Rebecca Olvera als Page in Uniform bleiben ihren Rollen gar nichts schuldig. Und als Running Gag dazu das riesige Bild des heldenhaften De Gaulle. Die bei aller Komik ebenso wertvolle wie anspruchsvolle Musik Rossinis wird übrigens auch hier, wie bei allen 3 Aufnahmen, sehr „ernst“ genommen.


3. Naxos 2.110388,1 DVD, Malmö 2015:

Ein weniger bekanntes Theater zeigt Flagge - und wie!

Diese DVD mit relativ unbekannten Sänger/innen ist ein überzeugendes Plädoyer dafür, dass auch ohne die oft hochgejubelten Opernstars äußerst gelungene Aufnahmen möglich sind. Die Malmö Opera vollbrachte somit fast ein kleines Opernwunder. In der höhenvertrackten Rolle des Grafen Ory bleibt Leonardo Ferrando mit geradezu jubelnder Hochtonlust keines der vielen Hohen Cs und Ds schuldig. Und spielt auch noch überzeugend. Auch Erika Miklosa als Gräfin Adele spielt und singt hin- und mitreißend und die Cherubin-Hosenrolle des frechen Pagen wird von Daniela Pini herrlich dargeboten. Jubel beim Publikum und beim Rezensenten ist die Folge. Doch auch die Inszenierung, angesiedelt in einer Art kunstvollem Pseudomittelalter, begeistert. Und der Dirigent Tobias Ringborg gibt diesem witzigen und melodienreichen Werk, das völlig zu Unrecht fast vergessen war, natürlich alles, was zum Rossiniglück nötig ist. Und das ist bei dieser anspruchsvollen Partitur gar nicht so leicht. Ich bin mir absolut sicher, dass sich diese Aufnahme unter den 7 bei Amazon genannten, (von denen es aber bei den Labels nur noch 3 gibt), sehr gut behaupten wird.

 Fazit: da jede der Aufnahmen andere interessante Schwerpunkte setzt, empfiehlt es sich wirklich, alle 3 zu kaufen.   Ich verspreche: es wird ein dreifaches Vergnügen werden!                                                                        2. September 2018

 

 

 

„Selige Vielfalt auf sonniger Höh!“

8 Mal Wagners „Siegfried“ 

DGG 073 4062, 2DVDs Bayreuth 1980/2005

Chereau ein hochgejubelter Nachahmer ?  

Wie man wohl ausgerechnet Manfred Jung an so prominentem Ort als Siegfried wählen konnte, ist mir immer noch ein Rätsel. Vielleicht, weil Wolfgang Wagnereben erst den Kollo aus Bayreuth vergräzt hatte, wie Kollo in seinen Memoiren ausführlich beschreibt? Da musste halt ein braver Jasager als Ersatz her, auch wenn er weder optisch noch stimmlich auch nur im entferntesten selbst bescheidenen Siegfried-erwartungen entsprach. Doch nicht nur an ihm liegt es, wenn die Enttäuschung groß war. Denn auch Chereau lieferte eigentlich nichts Neues oder Sensationelles. Denn die  guten Ideen kannte jeder, der es wissen wollte, schon von der wunderbaren Inszenierung Ulrich Melchingers aus Kassel von 1972(!!!). Bei dem die sozialkritische Komponente sogar noch viel schärfer und weniger putzig daherkam, als bei Chereau. Aber damals blieb das verdiente Presseecho aus und so wurde alles wieder vergessen. Einschließlich des Wanderers im Gehrock, der Rückverwandlung des Drachen Fafner in einen Menschen, und fast aller Gags des Mime. So jubelte die Kritik nun einen gar nicht neuen Jahrhundertring ahnungslos hoch. Natürlich: unbestritten bleiben da noch eine grandiose Gwyneth Jones und der fast legendäre Mime Zedniks. Aber leider auch der knochentrockene  Boulez als Dirigent eines nüchternen Schmalspurwagners, der die Tiefenauslotung der Partitur genauso schuldig bleibt wie ihre Gefühlswerte.

 

DGG 073 0379, 2 DVDs MET 1990

Schenks Ring für Senioren: ein Klassiker ohne Kamillentee!

Kapitalismuskritik und soziologische Tiefenbohrung gibt’s hier natürlich nicht, aber   psychologisch ausgefeilte bühnenwirksame Personenführung schon. Und es muss wirklich schon ein schwer an der Adorno-Seuche Leidender sein, der sich  von diesem Bühnengeschehen nicht mehr mitreißen lassen kann. Optisch  hätte Wagner sich das wohl auch so ähnlich vorgestellt. Und der hatte sich ja auch schon einiges Kluge gedacht beim Schaffensprozess, ganz ohne die modernen Regisseure zu befragen. Besonders hinreißend der erste Akt, den Jerusalem und Zednik zu einem singschauspielerischen Meisterstück ohnegleichen machen. Kein anderes Duo erreichte das in dieser ästhetischen Perfektion. Schon wegen dieser Szenen ist es jammerschade, dass die Aufnahme nun gestrichen wurde. Aber wahrscheinlich hat sie ja jeder Opernfreund ohnehin schon und den anderen geschieht es Recht!

 

Warner Classic  2564 62320, 2 DVD Bayreuth 1992

Musikalisch Gold, Regie nur „Kupfer“!

Da hat einer einen tollen Siegfried in bester Stimmverfassung und was macht er mit ihm, der Herr Regisseur? Er lässt ihn an einer alten Lok dauernd rauf und runter klettern, bis ihm die Puste ausgeht. Auch Mime und Wanderer killt so er durch seine Klettermanie. Schon oft fragte ich mich, wie Harry Kupfer zu seinem Ruf kam. Und wenn er dann im 2. Bild dem Wanderer gar einen Waldvogel aus der Hosentasche ziehen lässt, frage ich mich weiter, ob er seinen Wagner überhaupt  mal gelesen hat: Wotan darf eben doch gerade nicht dazu beitragen, dass Siegfried seinen Weg geht, der muss ihn selber finden, um die Welt retten zu können. Und aus dem grandiosen Graham Clark macht er als Mime im Woody Allen Stil, ist eher ein armes Schwein als einen bösartigen Zwerg. Aber es bleibt  ja noch das Musikalische. Und da ist alles aufs Best bestellt, nicht nur wegen Barenboims grandiosem Dirigieren, auch wegen der Top Sänger: Tomlinsons Wanderer und Jerusalems Siegfried dürften bis heute ziemlich unerreicht sein.

 

Euroarts 2052088, 2DVD, Stuttgart 2002

Der Gesang der Schmuddelspießer vor dem Weltuntergang

Also das Ereignis dieser DVD ist für mich nicht optischer sondern akustischer Art, nämlich  das Orchester unter Zagrosek. Das funkelt und jagt und hat einen nie nachlassenden Drive, mit erstaunlichen und ganz  neuen Klangeffekten. Großartig! Und ein unbedingt nötiger Gegensatz zum Breitspur-Wagner eines Thielemanns. Die dazu gelieferte Optik finde ich zwar keineswegs neu (welcher Bühnenbildner verlegt die Handlung denn heutzutage nicht in Tiefgaragen und Hinterhöfe), doch aber auch passend zu der von Schopenhauer übernommenen Weltuntergangsstimmung Wagners. Die Personenführung dazu ist, wie fast immer im  Regietheater, wirklich gekonnt. Doch zu Spießern und Proleten passt halt nun wiederum die gewaltige Musik so gar nicht, und  das Ganze wird schnell zur Parodie, zum Beispiel wenn sich zum 1Sound eines 100 Mann Orchesters nur zwei Gammler ankeifen. Aber zum Anhören finde ich es unbedingt zu empfehlen, auch wenn die Sänger kaum übers Mittelmaß hinauskommen. Wer sichs dennoch auch unbedingt anschauen will, kann wieder Mal erkennen, dass Wagner nicht umzubringen ist, selbst von neuzeitlichen Regisseuren nicht.

 

Arthaus Musik, 101 357, 2 DVDs, Weimar 2008

Wäre Wagner doch nur in Weimar geblieben!

Neben so manchem albernen Herumgekaspere, wohl um ein modernes Konzept zu beweisen, gelang so ganz nebenbei eine recht packende Aufführung mit großartiger Personenführung und eindrucksvollen Szenen: so mit dem allerliebsten Fräulein Waldvogel. Da kommt ganz plötzlich sogar romantische Stimmung auf, als ich schon alles verloren glaubte. Die intensive Darstellung im Schlussduett wurde durch die alberne Idee, alles auf der schon gedeckten Hochzeitstafel spielen zu lassen, dann doch ziemlich gestört. Tiefpunkt war im 2. Akt die unappetitlich dickwabbelige nackte alte Frau, die wohl Fafner sein sollte. Gesanglich überragte Catherine Foster als grandiose Brünnhilde das Ensemble, und der Siegfried Johnny van Halls überzeugte voll, nicht nur als spielfreudiger und intensiver Darsteller, sondern er bewies ganz nebenbei, dass man diese Monsterpartie auch sehr schön lyrisch singen kann, wenn denn der Dirigent kein unsensibler  Krachmacher ist. Und das ist der großartige Carl St. Clair nun ganz und gar nicht. Sein Orchester spielt sehr knapp und scharf zeichnend, wodurch genau das neue aufregende Klangerlebnis entsteht, das zu einer modernen Inszenierung hervorragend passt. Viele neue Aspekt und spannende Szenen bewiesen, dass es die Provinz oft besser  kann, als die Hochburgen. Und wo Topstimmen mal fehlten, ließ totale Rollenidentifikation das schnell vergessen. Wahrlich: dem guten alten Wagner wird sein altes Weimar diesmal gerechter als das hochgejubelte Bayreuth.

 

DGG 073 4845, 2 DVDs, MET 2011

Ganz große Oper mit Disneys Drache im Bretterwald

Also das mit dem Bilderbuch-Eidechsen-Drachen hätte selbst an der MET nicht passieren dürfen! Dass es da keine Lacher gab? Aber sonst: eine großartige, zur Handlung  passende, musikalisch stimmige Inszenierung, mit den besten jetzt denkbaren Sängern. Was will man mehr, wenn man nicht als Fan des Regietheaterstils halt Opernzertrümmerung erwartet. Nein, die gibt es hier nicht, auch keine neuen sozio-politischen Denkansätze, dafür aber die sehr  gekonnte Umsetzung der Wagnerschen Ideen. Und die sind allemal genial genug, um einen großartigen Abend zu gewährleisten. Und auch immer noch „in“, denn nicht umsonst war Wagner ja ein steckbrieflich gesuchter linker Aufrührer. Etwas gewöhnungsbedürftig ist die Kostümierung des Wanderers als Ostasiatischer Guru mit zu kleinem Hut. Dafür singt er bombastisch wie immer, der Bryn Terfel und Josef Siegel bietet eine meisterhaft ausgefeilte Psychostudie eines hinterfotzigen Angsthasen, stimmlich  mit wahrer Siegfriedröhre. Damit würde er andere Tenöre glatt an die Wand nageln! Der aus dem Nichts aufgetauchte toll singende und spielende Heldentenor  James Hunter Morris aber kann ihm standhalten, und das auch im Schlussduett. Denn auch die ausgeruhte Deborah Voigt als liebevolle hellstimmige Brünnhilde kann ihm das Fürchten nicht lehren. Er allein wäre den Kauf dieser DVDs schon wert. Warum lässt sich Bayreuth denn diesen Wundermann entgehen? Mauscheln da die Agenturen wieder mal? Fabio Luisi ist ein feinsinnig begleitender Freund der Sänger, der aber auch die Spannung hält und Gefühlstiefen schön ausleuchtet. Und anders als unter seinem Vorgänger, der ja alle Längen ermüdend auskostete, spielt das Orchester an der MET nun endlich mal wieder flotter!

 

Arthaus Musik 101 695, 2 DVDs, Scala Milano 2012

Geglückter  Kompromiss von Alt und Neu.

Guy Cassier geht einen recht guten Weg: Da sind zunächst die sehr schönen Projektionen von Enrico Bagnoli, die auch die  Romantiker erfreuen, die ja sonst bei den modernen Inszenierungen mit politischer Ausrichtung stets zu kurz kommen. Aber sie überrollen den Zuschauer auch nicht derart mit Bildeindrücken, dass die Musik kaum mehr Beachtung finden kann, wie im „Ring“ aus Valencia. Sie geben aber auch dem Intellektuellen, der seinen Wagner gerne grübelnd betrachtet, mit ihrem philosophisch-psychologisch durchdachten Hintergrund viel Stoff zum Nachdenken. Außerdem stellt die Inszenierung mit ihrer auch handwerklich perfekten Personenführung den Theatermenschen in uns zufrieden. Aber auch musikalisch gibt es viel Positives zu melden. Da wäre zum ersten die  gefühlsbetonte Auslegung unter Barenboim, die mir sehr gut gefällt. Bei den Sängern überzeugte mich in erster Linie die sehr liebevoll und fast mädchenhaft scheue Darstellung der Brünnhilde durch die auch stimmlich großartige Nina Stemme. Der Wanderer Terje Stansvold ist der beste Darsteller den man sich wünschen könnte, aber stimmlich leider nicht auf diesem Niveau. Lance Ryan singt und spielt den Siegfried mit viel Mut und Zuversicht, lässt mich aber weder Kollo noch Jerusalemvergessen, und hat in James Hunter Morris (siehe die  neueste DGG Aufnahme) einen Rivalen, der ihm wirklich das Fürchten lehren könnte.

 

CMajor 703 904, 2 DVDs, Valencia

FURA DEL BAUS - Ein Ring für Technikfreaks und Opernmuffel.

Der Flug des Wanderers über Eisgebirge zur Wala-Erda ist das Beste der Aufnahme, die für meine Begriffe in technischen Spielereien und Multimediaunfug erstickt. Das lässt kaum Chancen für die Sänger, auf die in der rauschenden Bilderflut wohl kaum mehr einer achtet. Wie schrieb ein Fan: „Endlich war Wagner mal nicht langweilig!“ Na freilich, die Bilder boten genug Abwechslung von der langweiligen Musi! Selbst der auch hier überwältigende Gerhard Siegel als Mime ging beinahe unter. Uusitalos Wanderer singt großartig ist aber albern kostümiert, was auch für Jennifer Wilsons Brünnhilde gilt. Lance Ryan kämpft wie in Mailand tapfer gegen die Probleme der Monsterpartie an, die ihm schon das Fürchten lehren konnte. Man merkt schon: meine Lieblings-Aufnahme ist das nicht, trotz oder sogar  auch wegen Zubin Metha am Pult.

Fazit: Mit der neuen Einspielung aus der MET kann jeder Wagnerianer voll zufrieden sein, wenn er noch nicht allzu von der Regie geschädigt ist. Wenn doch, so empfehle ich die Stuttgarter. Oder als guten Kompromiss für Beide, vielleicht die aus Weimar.

 

Peter Klier, 23. Juni  2018

 

5 1/2mal „Freischütz“ von brav über kalt bis witzig und überladen und kaputt .

Arthaus Musik, 127 195: DVD, Hamburg1968: Eine echte Opernfilmlegende!

Arthaus Musik hat sich sehr verdient um den Freischütz gemacht: gleich 4 der 6 Aufnahmen sind bei diesem Label zu haben. Und noch mehr Lob dafür, dass diese wunderschöne ältere Einspielung aus der Pionierzeit auch weiterhin im Programm belassen wurde. Andere Labels dagegen sind immer sehr schnell im Aussortieren. So blieb erfreulicher Weise auch dieses historische Dokument erhalten. Mit Staunen kann seine fast zeitlose Gültigkeit festgestellt werden. Natürlich ist die Personenführung etwas sehr antiquiert und schauspielerische Untalente, wie zum Beispiel Gottlob Frick oder Ernst Kozub, bleiben sich selbst überlassen mit ihren antiquierten Operngesten. Dafür singen beide singulär gut, Kozub war ja sogar als Siegfried im Solti Ring vorgesehen, scheiterte aber an den Noten. Doch auch die anderen Sänger, bis zu den Nebenrollen, sind ein Querschnitt durch die Sängerelite der damaligen Zeit. Man denke nur an Edith Mathis als herrliches Ännchen. Und die Wolfsschluchtszene ist bis heute nicht übertroffen an romantischem Flair und dramatischem Zunder. Natürlich bietet die Regie keine psychologische Tiefenbohrung der Charaktere an, wie heute üblich. Keine ideologische Denkarbeit fürs Hirn aber viel Freude fürs Herz. Ist auch mal wieder ganz schön.

Arthaus Musik, 109 195: 1 DVD, Zürich1999: Als wär‘s von Berthold Brecht

Das ganze Gegenteil bietet diese Aufnahme: nämlich viel fürs Hirn und wenig fürs Herz. Ruth Berghaus zeigt nur fast abstrakte tiefschwarze Figuren, vor allerdings farblich sehr reizvollen Flächen. Daraus hätte sich schon was machen lassen. Aber nicht für den Freischütz! Sehr geeignet wären zum Beispiel Fortners „Bluthochzeit“, Bergs „Wozzeck“ oder Janaceks „Totenhaus“. Aber ausgerechnet der arme Freischütz wird so radikal von Romantik gesäubert! Wo sie doch aus jeder Note herausgrüßt! Adorno und Brecht zum Trotz sei es gesagt: Aus lauter Angst vor dem, was einige Kopffüssler für Kitsch halten könnten, sollten Stimmungen und Emotionen nicht derartig radikal vermieden werden! Ich bin überzeugt, dass hier wieder mal nach dem Reclamheft inszeniert wurde und nicht nach der Partitur. Schade, gerade bei diesem Ensemble, denn selbst Matti Salminen als bassgewaltige Inkarnation des Bösen schlechthin, wird ausgebremst und nur das Ännchen von Marlin Hartelius durchdringt manchmal den ideologischen Kältepanzer mit weicher Stimme. Peter Seiffert als stimmstarker und -schöner Max mit Intellektuellenbrille (!) ist szenisch kaum vorhanden und auch Inga Nielsen kommt nur schwer gegen den Regiefrost an. Schade, denn diese Inszenierung hätte eigentlich wirklich großen Stil, das ist in jeder Szene zu spüren, aber sie passt halt gerade zu dieser Oper leider so gar nicht.

 

Arthaus Musik, 100 107: 1 DVD, Hamburg 1999: Regietheater, das wirklich Freude macht!

Wer hätte das vom Opernzertrümmerer Konwitschy erwartet: eine witzige, beinahe liebevoll- ironische Inszenierung, fast immer am Werk entlang, mit Stimmung und Gefühl! Und das Bühnenbild von Gabriele Koerbl passt geradezu wie angegossen zur Regie. Kommt als drittes noch die wirklich kongeniale musikalische Umsetzung durch Ingo Metzmacher hinzu, der sich hinter Thielemanns Dresdner Einspielung überhaupt nicht zu verstecken braucht: musikalischer Drive und Spannung sind bei ihm in gleichem Maße zu finden, aber hinzu kommt noch eine geradezu beglückende Durchhörbarkeit des Orchesterklangs. Und auch die Sänger sind hervorragend: allen voran Simon Yangs mokanter und nicht salbadernder Eremit, dann das überwältigende Ännchen Sabine Ritterbuschs und der in raumgreifender Schönheit badende Sopran von Charlotte Margione, als gar nicht so steife Agathe. Was dem Kaspar Albert Dohmens an schwarzen Bassdominanz fehlen mag, ersetzt er reichlich durch Dämonie. Und Jorma Silvasti als Max müsste nur sein starkes Vibrato in den Griff kriegen, um zur ersten Garde der Tenöre zu gehören. Insgesamt wohl die überzeugendste und geschlossenste Einspielung, wenn man nur bereit ist, sich auf die ironisch-witzige, aber gar nicht verstörende, Sichtweise des Regisseurs einzulassen. 

Arthaus Musik, 169 294: Bluray, Filmoper 2010: Agathe ist die „The Hunters Bride“.

Man sollte es nicht glauben, was ein Maskenbildner alles anrichten kann: aus dem Max, wurde eine grässliche Mischung zwischen Rasputin und unappetitlichstem Pennbruder gemacht, so hat er keine Chance mehr, die Rolle irgendwie noch zu retten. Geschah das auf Wunsch der Regie? Die drängt mit einer verwirrenden und unaufhörlichen Bilderflut die Musik ohnehin völlig in den Hintergrund. So gibt’s während der paar Minuten von „Leise, leise fromme Weise…“ gleich ganze 10 wechselnde Einstellungen! Darunter auch, man staune, eine Leichenwäscherei! Da hat dann selbst ein Daniel Harding keine Chance mehr, dessen ungemein spannenden Drive, ansonsten für Musikspannung pur sorgt, ohne die Gefühlswerte der Partitur zu vernachlässigen. Großartig! Das Solistenensemble ist sicher in erster Linie nach optischen Präferenzen für den Film ausgesucht, überzeugt aber trotzdem auch stimmlich! Als Kaspar dominiert, wie in allen seinen Rollen, natürlich auch hier, der Vollblutkünstler Michael Volle. Erfreulich das Wiedersehen mit dem unverwüstlichen Urgestein Franz Grundheber als noch immer stimmmächtigen und ausdrucksstarken Ottokar. Der Eremit von Rene Pape ist von der Bassesschwärze her nicht mehr ganz so überzeugend wie einst, die Wotan-Ausflüge haben da wohl einiges verändert. Juliane Banse als Agathe singt und spielt sehr sensibel und stilvoll, und Regula Mühlemann als Ännchen   ist halt einfach süß, keine Frage. Ob durch diesen Film wirklich neue Besucher für die Oper gewonnen werden? Für gediegene Opernfreunde ist es eher ratsam einfach das Bild auszuschalten und die Musik als CD genießen: dann hört man wahre musikalische Opernwonnen, herrlich!

Warner Classic 22 EF J8: 1 DVD Stuttgart 1981/ 2004: Achim Freyers witziges Meisterstück

Nicht nur die Wege des Herrn sind unerforschlich, auch die der Produktpolitik mancher Labels. Da hat man bei Warner die interessanteste und witzigste Inszenierung dieser Oper, seit über 30 Jahren ein Geheimtipp mit Kultcharakter, und nun, wo sie in Stuttgart ab Mai sogar als Wiederaufnahme zu sehen sein wird, streicht man sie dummerweise aus dem Katalog! Schade drum, denn auch im Handel ist sie kaum mehr aufzutreiben! Wer fündig wird, der sollte nicht zögern!

C Mayor 733 204: 1Bluray, Dresden 2015: Freischütz in Dresdens Kriegsruinen

Wie kommt ein Regisseur wohl auf die hirnrissige Idee, eine Oper, die im Märchengenre und im Wald angesiedelt ist, nun ins zerbombte Dresden zu verlegen? Glaubt er wirklich, dass die Leute 1945 nichts anderes im Sinn hatten, als ausgerechnet Jungfernkränze zu flechten? Oder Freikugeln zu gießen? Vielleicht um die Bomber abzuschießen? Oder spekulierte er einfach auf den Beifall der Adorno-verseuchten Kritikerkaste? Oder auf ein skandalträchtiges Gebuhe für die Medien nach 2 Stunden deprimierenden Trübsinns? Dabei ist die Personenführung eigentlich so gut, dass man zu Recht einen echten Operkönner (Axel Köhler) dahinter vermuten kann! Auch musikalisch sorgt Thielemann natürlich für Niveau, wenn die Wahnerschwere auch manchmal zu lastend wird. Bei den Sängern dominiert nicht nur stimmlich ein absoluter Spitzen Bass (Zeppenfeld), Christine Landshammer und Sara Jubiak versuchen erfolgreich, die triste Szene unter Zeltplanen und Ruinenresten, etwas aufzulockern. Michael König als Max gibt sicher sein Bestes, aber ein romantischer Held ist er halt weder stimmlich noch vom Aussehen. Dass er nun gleich in 2 der 6 Aufnahmen eingesetzt ist, sagt viel über die Einfallslosigkeit der Besetzungsbüros oder die Tüchtigkeit seines Agenten aus.

Fazit: Die romantischste Aufnahme ist sicher Nr.1 von 1968 bei Arthaus, da liebten die Regisseure noch die Partitur. Die etwas steife Personenführung nimmt man halt in Kauf. Witzig und spannend, in ganz neuer Sichtweise Nr. 3, ebenfalls Arthaus von 1999. Wegen Daniel Harding ist auch Nr. 4 zum Anhören interessant, schon wieder Arthaus, ja dieses Label hat sich um den Freischütz äußerst verdient gemacht. Mein Rat: am besten man nimmt gleich alle drei.

Peter Klier, 14. April 2018

 

 

Siebenmal „Ariadne auf Naxos“: fünfmal zum Freuen, zweimal zum Fürchten.

1.      Arthaus Musik 197 255:  1 DVD, Festspiele Salzburg 1965: Rückblick in eine „heile“ Opernwelt

Man kann Arthaus Musik nicht genug danken, dieses wertvolle Zeitdokument erhalten und zugänglich gemacht zu haben. In klassisch eindrucksvollen schwarzweißen Bildern erhält man so einen schönen Einblick in die fast vergessene Welt der Opernseligkeit. Altmeister wie Günther Rennert und Karl Böhm waren die Garanten. Die Besetzung ist eine Liste der besten Strauss-Sänger dieser Zeit. Und hätte Christa Ludwig nicht im letzten Moment Angst vor den Höhenflügen der Ariadne bekommen, wäre dieses Zeitdokument um eine echte Sensation reicher. Wer das alles noch miterlebt hat, wird froh sein, diese Aufnahme trotz ihrer akustischen Mängel erleben zu dürfen. Und Jüngeren sei ein Einblick in eine Zeit gegönnt, in der die Welt der Oper noch nicht, wie heute leider so oft, von der Regie verunstaltet worden ist. Und dennoch lebendiges quirliges Theatererleben geboten wurde.

2.      DGG 00440 073 4370 1 DVD, Wiener Staatsoper 1978: Opernlegende im Playback      

Eigentlich wäre das ja die Referenzaufnahme. Hätte sie nicht einen kleinen Schönheitsfehler: sie wurde im Play-Back-verfahren im Studio aufgezeichnet und die Sänger machen halt brav den Mund auf und zu, die Spannung einer Liveaufnahme aber ist dahin. Ansonsten ist alles erste Sahne: Rene Kollo und Edita Gruberovasind in ihren Rollen sogar unübertroffen bis heute, ja noch nicht einmal auch nur annähernd erreicht. Und auch Janowitz und Berry sind ja echte Legenden. Karl Böhm bietet als Dirigent das absolute non plus Ultra. Der herrlich kitschig schöne Sternenhimmel zum Schluss, der lässt natürlich jedem Nostalgiker Wonneschauer über den Rücken rieseln. Wer würde da schon eine politisch ideologische Überhöhung vermissen?

3.      Arthaus Musik 100 171: 1 DVD, Dresden 2000: Adorno zum Trotz: Oper darf auch schön sein!

Den finalen Zauber der Verwandlung am Schluss der Oper traut sich wohl kaum noch ein heutiger Regisseur in solch einer herrlichen Bilderwelt darzubieten, wie Marco Arturo Marelli. Das überrascht schon nach dem äußerst karg-modernen Interieur im Vorspiel. Der traut sich was, dachte ich mir, angesichts einer Kritikerkaste, die alles gefühlvoll Zauberhafte wütend als bildungsbürgerlichen Kitsch geißelt. Und auch Colin Davis erfreut uns mit überströmenden Gefühlswonnen im Orchester. Susan Anthony, die mir aus ihrer Frühzeit in Coburg noch in bester Erinnerung ist, kann da ebenso jubelnd mithalten wie der strahlende Bacchus von John Villars. Und steht dann  noch gar Sophie Koch als herrliche Inkarnation des jungen Komponisten auf der Bühne, bleiben die Wonneschauer höchsten Operngenusses nicht aus. Adorno und den wilden Regisseuren der Gegenwart zum Trotz: Oper darf auch schön sein und muss nicht nur zur ideologischen Agitation missbraucht werden. Bravo!    

4.      Warner 186 795: 1 DVD,MET New York 2003: Üppig und pompös- wie die alte Tante MET

So üppig pompös liebts die MET halt, nicht nur musikalisch (Levine kostet die herrlichen Melodien mit endlosen Bögen wahrlich betörenden Wohlklangs aus)sondern auch szenisch, wenn im klassisch echten Kulissenzauber fast ein Zuviel an Menschengewimmel vom Hauptgeschehen etwas ablenkt. Deborah Voigt passt auch optisch in diesen Rahmen. Ihrer kraftstrotzenden Opulenz glaubt man allerdings die Todessehnsucht ebenso wenig wie dem nicht minder umfangreichenRichard Margison den griechischen Gott. Womit nichts gegen ihren, den Riesenraum füllenden, Gesang gesagt sein soll. Der Komponist Susanne Metznerssteht den beiden an unbekümmert vokaler und körperlicher Wucht nicht nach. Auch Wolfgang Brendel erfüllt den Musiklehrer mit angemessen verorteter Stimmwucht. Ein machtvolles Stimmfest, sicher gut passend zu den Riesenausmaßen der MET. Die zierliche Natalie Dessay führt dagegen sensibel vor, wie filigran Straussgesang sein könnte. Ein machtvolles Stimmfest bis zum opulenten orange leuchtenden Finale.

5.      Arthaus Musik 107 249: 1 DVD, Zürich 2006: Eine  DVD – die besser eine CD wäre!

Wie schon oft beim  zeitgenössischen Regietheater auf DVDs dachte ich mir auch hier: Was für eine herrliche CD wäre diese beinahe perfekte musikalische Darbietung, wenn man das Geschehen auf der Bühne nicht sehen und ertragen müsste. Denn zuzusehen, wie Klaus Guth diese herrliche Oper verschandelt, das sollten sich nur hartgesottene Regietheaterfans antun. So, wenn die arme Ariadne sich als torkelnde Säuferin in einer Züricher Gaststätte dem Oberkellner anbietet, der Musiklehrer blind über die Bühne tappt und sich der arme Komponist erschießt, statt besser den Regisseur! Negatives Trumpfass aber ist der Intendant Pereira, als  zweifellos weitaus schlechtester Haushofmeister aller Einspielungen. Mein Rat: Diese DVD mit ausgeschaltetem Bildschirm anhören. Das lohnt sich wirklich: denn Robert Sacca ist der einzige nach Kollo, der den Bacchus wirklich gepflegt und schlank singt, Emily Magee erfreut als äußerst gefühlvolle Ariadne, und Michael Volle wuchtet seinen Musiklehrer effektvoll in Wotansnähe. Christoph Dohnanys schlanker sensibler Orchesterklang könnte sogar glatt süchtig machen

6.       DECCA 074 3809: Baden-Baden 2012: Fliegende Stühle und ein Hochglanz Finale

Das Haus des reichsten Mannes von Wien ist offenbar von einem hypermodernen Architekten entworfen. Aber das ist schnell vergessen und das Finale ist dann so zauberhaft, wie es sich halt auch von der Musik her gehört. Besonders, wenn endlich die albernen Stühle zum Himmel fliegen. Auch in dieser Aufnahme triumphiert wieder Sophie Koch als Inkarnation des Komponisten, ja und Eike Wim Schultegibt einen wunderbar geschäftig wuseligen Musiklehrer, mit beinahe tenoralem Höhenglanz. Renee Fleming als recht kühle schönstimmige Ariadne und Robert Dean Smith als wagnergestählter pausbäckiger Bacchus überzeugen ebenso wie Jane Archibald als flotte Zerbinetta ohne Höhenangst. Rene Kollo brilliert in kluger Selbsteinsicht jetzt mit der Sprechrolle des Haushofmeisters. Wäre ein anderer Spitzentenor von einst nur ebenso klug, bevor er die letzten wunderbaren Erinnerungen an seine einstigen Glanzzeiten im falschen Baritonsound ertränkt. Thielemann ist mir im Vorspiel zu wenig leicht und flott, das wuchtet alles mit Parsifalschwere einher. Die Aufschwünge in der Opera-seria dagegen, die zaubert er dann wirklich genial mit endlosem Atem. Insgesamt also eine so spannende Aufnahme, dass sie auch am Bildschirm noch zum Liveerlebnis wird.

7.      Opus Arte OA 1135 D: Glyndebourne 2013/14: Zerbinetta in der Zwangsjacke

Und schon wieder ein Opfer einer ausgeflippten Regie, die unbedingt originell sein will! Im Vorspiel geht’s zunächst ja noch einigermaßen, bis dann am Schluss die Granaten der Tiefflieger (!!!) einschlagen. Nach der Pause wird’s aber wirklich schlimm: Krankenschwester Ariadne liegt im Lazarett-Bett mit dem verwundeten Gefreiten Bacchus, und Hilfsschwester Zerbinetta wird während ihrer schweren Arie in einer   Zwangsjacke in die Psychiatrie gebracht. Das hätte man lieber rechtzeitig mit der Regisseurin tun sollen. In Garmisch aber bebt der Friedhof, weil Richard Strauss so heftig in seinem Grab rotiert. Nur schade um den wirklich großartigen Musiklehrer des seriösen Thomas Allen und den dramatisch engagierten Komponisten Kate Lindseys.

 

Fazit:

Eine Qual der Wahl gibt es hier eigentlich nicht: Wegen der enormen künstlerischen Qualitäten bei Nr. 1 und 2 lohnt es sich wirklich, auch für Technikfreaks, mal Kompromisse beim Sound einzugehen! Und  Nr. 4 wird Liebhaber großer Stimmen sehr glücklich machen. Auch Nr. 5 und 7 werden zumindest Anhänger des modernen Regietheaters dennoch spannend finden. Aber meine Lieblingsaufnahmen wären Nr.3 und 6, wegen der traumhaften Sophie Kochund vor allem wegen der herrlichen Finali in beiden Fällen.

Peter Klier, 12.2.2018

 

„Nozze di Figaro“

Neuere Versuche zu Mozarts herrlicher Oper 

1.      Euro Arts 2072954  1Blu-ray, Festspiele Salzburg 2015: Der Graf als geiler Lord

Das große Handicap dieser Aufnahme ist das verkorkst-verschachtelte Bühnenbild, das in quälender Enge weder Stimmung schafft und kaum Raum für Bewegung gibt. Wollte das die Regie so?? Und dann im 4. Akt, wo ja intime Nähe sinnvoll wäre, spielt die Szene in einem riesigen kahlen Wintergarten mit der Ausstrahlung einer alten Bahnhofshalle um 3 Uhr Nachts. Die vielen kleinen Zimmer im Querschnitt bieten allerdings viele Spielräume und Sven Eric Bechtholf bemüht sich redlich sie mit neuer Sichtweise und noch viel mehr   Aktionen alle dauernd wieder zu benützenAlso langweilig wird es nie. Etwas mehr  an psychologischer Deutung der Personen und der Handlung hätte ich schon erwartet, ohne damit gleich die ganze Kiste oft überzogenen Blödsinns aus dem Regietheaters einzufordern. Ob nun aber gerade die Verlegung ins 20. Jahrhundert viel brachte? Ohne die geht es wohl heute nicht mehr? Dabei fehlt dann gerade die echte Bedrohung durch das brutale „Jus primae Noctis“, das der Graf ja nur wieder anzuordnen bräuchte. So aber wird die Story auf das Anbaggern eines Dienstmädchens durch seinen geilen Chef reduziert. Sie bräuchte ja nur „NEIN“ zu sagen und die Oper wäre aus. Musikalisch ist alles bestens! Dan Ettinger schafft auch musikalisch die Spannung, die den Zuschauer aufmerksam hält, und hat ja auch noch so großartigen Sänger! Allen voran die herrliche Mozartsopranistin Anett Fritsch als jugendliche Gräfin. Meiner Meinung nach wäre sie allerdings jetzt eher die ideale Susanne, vom tollen Aussehen bis zur stimmlichen Entwicklung. Luca Pisaroni ist ein derartig umwerfend männlich verführerischer Graf, mit herrlichem Bariton gesegnet, dass es fast unverständlich ist, wieso sich die etwas ältliche, aber großartig singende Susanna (Martina Jankova), gar so gegen ein Techtelmechtel sträuben sollte. Der Figaro Adam Plachetka singt ebenso volltönend gut wie sein Herr, wirkt aber durch die blödsinnige Chauffeursuniform eher wie ein General als ein pfiffiger Diener! Cherubino ist von der Regie her sehr erotisch angelegt und Margarita Gritskovableibt der Rolle wirklich nichts schuldig. Dass die Gräfin dennoch gar so spröde reagiert, erschein uns heute etwas antiquiert. Ein Wiedersehen mit der früher in allen großen Rollen so oft gefeierten Ann Murray, jetzt als elegante Marcellina, freute den Nostalgiker in mir.

2.      DGG 00440 073 4245 2DVD    Festspiele Salzburg 2006   „Sex im Treppenhaus“

Klaus Guth geht recht umkrempelnd ans Werk und von  Mozart bleibt außer der Musik eigentlich nichts übrig. Wie später in seiner Fidelio-Inszenierung 2015 verfremdet er dauernd, lässt schwarze Schatten tanzen, friert die Bewegungen immer wieder ein, erfindet Figuren, wie den albernen Engel der dauernd durch die Handlung stolpert und lauter unlösbare Rätsel aufgibt, ja und dann besonders blöd: Grafens wohnen wohl im Treppenhaus? Was der ganzen Regie-Albernheit vor allem dann die Krone aufsetzt, ist, wenn es dauernd auf den Treppen zu beischlafähnlichen Handlungen kommt. Nichts gegen die Erotik, die ist ja mitkomponiert und fehlt zum Beispiel gerade in der oben besprochenen Aufnahme. Aber dass es alle so öffentlich treiben, wo sie doch gleichzeitig bemüht sind, es vor den anderen zu verbergen! Das Ganze erinnert eher an Strindbergs schwarze Dramen als an Mozart und seine Leichtigkeit! Aber auch Hornoncourt dirigiert mit bleierner Erdenschwere eher Brahms. Für den Kenner ergeben sich dennoch einige recht verblüffend neue Arrangements. Neulinge allerdings, und das waren bei der TV Ausstrahlung wohl die meisten, werden sicher ratlos und enttäuscht die Oper in Zukunft noch verständnisloser meiden. Eine Riege von hervorragenden Sängerdarstellern macht das Ganze dann aber doch zum Erlebnis, dem Bemühen der Regie zum Trotz. Dabei kann Anna Netrebko als Susanna und wohl gedachter Star der Aufführung gar nicht so recht punkten. Ob sie eher schon eine Gräfin wäre? Christine Schäfer läuft ihr tatsächlich absolut den Rang ab als pubertierend schüchterner Cherubino. Auch Bo Shovhus würde als Rollenstudie eines verkrampften  Psychopathen recht überzeugend wirken - in einem Ibsen Drama. Aber bei Mozart? Als eigentlich geplante Karikatur eines dummen Adligen? Aber für diesen Regieunfug kann der grandiose Schauspieler und Sänger nichts. Natürlich fehlt der beim Regietheater unvermeidliche Rollstuhl nicht, und wenn der Dr. Bartolo damit umkippt, dann ist der absolute Höhepunkt des Komödiantischen in dieser traurigen Inszenierung erreicht. Ildebrando d Arcangelos wirkt hier sonderbar blass, so kennt man ihn gar nicht. Auch er ein Opfer der „Guthen Regie“? Dorothea Röschmanns Gräfin ist noch am ehesten im Rollenklischee erkennbar, als traurig sich selbst auflösende Ehefrau des schwitzenden Gräflichen Psychopathen. Na ja!

 

3.      Accentus AC 20307: 2 DVDs, Bejing 2016    „Der Chinesische Cherubino“

Ich kaufte sie mir gleich bei Amazon, weil sie da, noch nicht mal ein Jahr nach Erscheinen, schon für 0,89 Cent verramscht wurde und ehrlich gesagt: mehr ist sie auch nicht wert.

Fazit: Die Aufnahme aus Salzburg 2015 ist wirklich sehr gut anzusehen und ein recht interessanter Kompromiss zwischen Neu und Alt. Die von 2006 dagegen erfreut sicher nur die Neuerer. Dabei war  ja die alte von John Dew aus Leipzig (Unitel AO 5009686) eigentlich schon sehr viel moderner. Ja und mein Favorit ist über all die Jahre die alte Ponnelle Inszenierung von 1976 geblieben (DGG 00440 073 4034). Da stören mich nur die „geschwiegenen“ Arien als inneres Erlebnis. Wie konnte so ein enorm kluges Theatergenie nur auf so einen enorm dummen Einfall kommen?

Peter Klier, 17.12.2017

 

 

 

Cosi fan tutte

Sieben Mal sehenswerte Aufnahmen 

1.      Arthaus Musik 102309, 1 DVD, Glyndebourne 1975: Eine Überraschung aus dem Opernmuseum

Grundsolide so müsste man diese 42 Jahre alte Aufnahme nennen, denn da ist eigentlich alles richtig. Aber eben doch auch irgendwie antiquiert, was natürlich auch wieder seinen eigenen Charme hat. Das Bühnenbild ist typisch für diese Zeit: sparsamst aber doch stimmungsvoll. Und auch die Personenführung stimmt, ist aber doch, bei allem Respekt, sehr altmodisch. Musikalisch sorgt John Pritchard fürs richtige Niveau und einen tollen Drive, wie er höchstens noch von Muti geboten wird. Und die beiden Damen (Helena Doese und Sylia Lindenstrand) brauchen sich vor den heutigen Stars überhaupt nicht zu verstecken. Leider ist der Sound recht schwach, da merkt man das Alter der Aufnahme schon deutlich. Für ältere Opernfreunde trotzdem eine schöne Nostalgiereise zurück, wie es früher mal war, für Jüngere eine Lehre, dass nicht alles Neue unbedingt besser sein muss.   

2.      Arthaus Musik 107 219, 2DVDs, Festspiele Salzburg 1983: 34 Jahre Augenweide und Hörgenuss

Riccardo Mutis schwungvolles Dirigat und das wunderschöne Bühnenbild sind die großen Pluspunkte dieser Aufnahme. Psychologische Durchdringung der Charaktere oder gar Brechungen waren aber damals weder üblich noch erwünscht. Es wurde halt sinnenfreudiges Theater gemacht und das hat ja auch was. Die Darsteller werfen sich mit sichtbarer Freude in ihre Rollen und bieten genau das bisschen Übertreibung, das Mozart vielleicht vorgeschwebt haben mag. Stimmlich hat der Guglielmo des späteren Wotans James Morris fast schon zu viel Power. Francisco Araiza, der Mozarttenor seiner Zeit, und Kathleen Battle  als der Despina- Koloraturstar sind weitere Berühmtheiten, die man heute zu Unrecht schon weitgehend vergessen hat. Und Sesto Bruscantini, der großen Sänger-Legende aus den berühmten Fritz Busch Einspielungen, hier als Alfonso nochmals zu begegnen, ist ja schon fast ein historisches Ereignis. Ann Murray und Margaret Marshall sind zwar geradezu antiseptisch unerotisch, bieten aber soliden Gesang. Überraschend: Von ihrer Frische hat diese Aufnahme bis heute nichts verloren

3.      Medici Arts 2072368, 2DVDs, Wiener Festwochen 1996: Gibt’s das noch? Da stimmt ja alles!

Das ist die zweite ebenso ideale Einspielung von Riccardo Muti. Und es macht Spaß zu vergleichen, wieviel er doch, in den 13 Jahren, die dazwischen liegen, reifer und tiefer geworden ist, ohne an Charme und Elan zu verlieren. Auch hier hat er ein ideales Sänger Ensemble, das auch recht spielfreudig ist. Nur strengste Anhänger des Regietheaters stört es da noch, dass die Regie kein Risiko eingegangen ist, psychologische Deutungen nur im Ansatz probiert und Brechungen schon überhaupt nicht wagt. Dafür gibt’s das reinste Mozart-Glück vom Feinsten. Herrliche Bühnengemälde bieten viel Abwechslung und den Augen jede Lust. Und witzig ist es auch noch. So wenn Barbara Frittoli eine überzogene Parodie der großen klassischen Oper mit ihrer Felsenarie bietet. Deren Tiefe wird dabei natürlich leider nur noch vom Orchester ausgelotet. Ebenso spielfreudig und mit weicher Mezzostimme singend Angelika Kirchschlager als Dorabella und Monica Bacellials handfeste Despina. Michael Schade und Bo Skovhus bleiben den beiden Kavalieren weder stimmlich noch an leicht überzogener Komik etwas schuldig und der skurrile Alfonso Alessandro Corbellis bietet eine köstliche Mozarttype.

      4. Erato/ Warner 0094634471695, 2DVDs, Aix en Provence 2005: Beinarbeit als Regiekonzept?

1976 erregte Chereaus Jahrhundertring viel Aufsehen, wobei ganz vergessen wurde, dass schon einige Jahre vorher in Kassel und Leipzig fast dieselben Ideen realisiert worden waren. Nun ein leere hässliche Theaterruine, wohl ein Symbol für die seelische Zerstörtheit der 2 Paare am Ende der Oper? Aber vorher 3 Stunden ein optischer Langeweiler! Unruhig belebt durch das dauernde Herumgelaufe als eine Art Trimm- Dich-Programm mit Operngesang. Diese Choreografie der Seelen zeigt vor allem todernste Verstörtheit, was ja der heutigen Werksicht voll entspricht. Auf der Strecke bleiben das Lachen Mozarts, die Selbstironie und die lockere blitzschnelle Fluktuation zwischen Ernst und Heiterkeit. Daniel Harding dagegen beherrscht mit seinem modernen Mozartdrive diesen augenzwinkernden musikalischen Ernst ganz ungezwungen. Und er hat großartigen Sänger. Elina Garanca mit ihrem samtweichen Singen, und die großartigen Fiordiligi Koloraturenvon Erin Walls. Auch Shawn Mathey und Stephane Degout überzeugen ganz locker und Ruggiereo Raimondi als alter Casanovaverschnitt erst recht. Barbara Bonney als unkonventionelle Despina ohnehin. Musikalisch wirklich eine der besten Einspielungen überhaupt!

5.      Euro Arts 2072534, 1 Blu-ray, Festspiele Salzburg 2009: Guths toller Opern-Psycho-Thriller.

Schon wieder ein modernes kaltes Wohnzimmer, schon wieder banale Alltagskleider, wie stimmungslos. Aber dann zaubert die Bühne fast unheimliche Beleuchtungseffekte und die Regie denkt sich intelligente Aktionen aus. Zum Beispiel bei den sonst so peinlich unglaubwürdigen Verkleidungsszenen. Oder wenn die beiden Damen ihre langen langen Arien singen. Prompt werden sie zu den spannenden Höhepunkten. Aber das muss man selber sehen, es elektrisiert sofort, auch noch nach 7 x Cosi Hören-am-Stück. Der Dirigent (Adam Fischer) und die 6 Sänger bieten besten Mozart. Allen voran Bo Skovhus als magisch zynischer Alfonso. Einfach Großartig! Die Dorabelle der schönen Isabel Leonard balanciert auch noch beim herrlichsten Singen schwindelfrei auf hohen Geländern und Miah Persson singt und spielt die sonst so steife Fiordiligi mal ganz überzeugend sexy. Ebenso wie Patricia Petibon als Despina in hautengen Jeans. Florian Boesch und Topi Lehtipuu bleiben auch beim kultivierten Mozartsingen Macho- Playboys erster Güte. Ich fand diese Aufnahme als bei weiten am spannendsten von allen.

       6.Euro Arts 2072748, 2 DVDs, Festspiele Salzburg 2013: Spitzenensemble und lahmes Leitungsteam

Bei der vierten hier besprochenen Aufnahme war der Dirigent der Lebensretter. Hier dagegen ist er fast der Totengräber. So unflexibel und ohne Charme hörte ich Mozart selten. Dabei war Christoph Eschenbach als Pianist doch der feinsinnigste und sensibelste Gestalter der Klaviersonaten von Mozart. Was ist da nur schiefgelaufen? Dabei hat er ein wirklich sehr gut singendes und spielfreudiges Ensemble. Allen voran überzeugen Malin Hartelius und Luca Pisaroni durchtotale Identifikation mit ihren Rollen und mit ihren tollen Stimmen. Der Ferrando Martin Mitterutzner hat leider nicht den allerschönsten Mozartsound in der Stimme, singt aber wirklich sehr ausdrucksvoll. Aber dass dann der sympathische Alfonso Gerald Finleys am Schluss vergiftet werden muss, ist das große Rätsel, das uns der Regisseur Sven Eric Bechtholf leider nicht löst. Und das, obwohl er sich ja sonst überhaupt nicht um eine neue Sichtweise oder um Charakterisierungen bemüht, sondern eher um amüsanten Klamauk. Das ist zwar unterhaltsam, neue Erkenntnisse erhalten wir so aber nicht und schon gar keine Stellungnahme zu den ja recht krassen Vorgängen zwischen den Liebespaaren. Mit der so guten Sängerriege hätte man mehr erreichen können!

      7. Cmajor 714508, 2 DVDs, Madrid 2013: Großartiges Regietheater mit Generalpausen

Eine Riesenhype gab es, als der berühmte Filmregisseur Michael Haneke sich mal zur Oper herab ließ. Aber wenn dem allmächtigen Herrn Regisseur die Musik zu kurz für seine Aktionen war, musste der willfährige Dirigent halt den alten Mozart mit Generalpausen verlängern. Das zerhackstückt vor allem die ja eigentlich spritzigen Rezitative. Es ist ein trauriges Zeichen der heutigen Übermacht der Regie, dass selbst ein Dirigent wie Sylvain Cambreling da mitmachen muss. Gibt es einen Gewinn der Löchertaktik? Na ja, die Regie ist schon vom Feinsten, wenn sie auch vieles recht modern offen lässt. Auch vom Sängersextett her ists bestens. Anett Fritsch singt und spielt ganz großartig und sieht auch noch sehr sexy aus. Und Paola Gardina stellt ihre Emanze im kühlen Businessdress ganz überzeugend vor. Auch die beiden Kavaliere sind als Sänger-Typen bestens gecastet: Juan Gatell und Andreas Wolf ! Viel Mühe gab sich die Regie mit Despina, als Harlekin. Das passt zur Commedia del Arte, ist aber sonst nicht sehr erhellend. Kerstin Aveno und William Shimell spielen und singen das immerhin sehr gut und prächtig. Auf den anfangs recht kühl und distanziert geführten Handlungsablauf folgt dann aber ein derart großartiges zweites Finale, dass es schon mächtig unter die Haut geht. Das total verwirrte Doppelpaar bleibt nach dem Partnertauschtrauma wirklich zerstört zurück. Und das wird auch musikalisch recht aufregend realisiert. Bitte mehr davon!

Zum Schluss: Schade ist, dass die Labels einige der interessantesten neuen Aufnahmen nicht mehr auf Lager haben, so die ziemlich verrückte von 2003 bei EuroArts von Doris Dörrie. Oder die schöne bei DECCA 2006 vom Ehepaar Herrmann. Und ewig schade um die meines Erachtens beste überhaupt von Ponnelle und Harnoncourt, allerdings schon von 1988 bei der DGG. Eine Jahrhundert-Aufnahme ohne Altersflecken! Bei JPC und Amazon ist sie allerdings noch zu erhalten. Dann unbedingt zulangen!

Zur Qual der Wahl: Nostalgiker werden mit Mutis erster Einspielung bei Arthaus Musik von 1983 glücklich werden. Wer bereit ist, sich auf Neues einzulassen erlebt bei Klaus Guth 2oo9 spannendstes Regietheater bei Euro Arts. Und wer sich nicht so richtig entschließen kann, dem empfehle ich den Alt/Neu-Kompromiss mit Mutis zweiter Aufnahme von 1996 bei Medici Arts. Und natürlich die vom Ponnellebei der DGG!  

Peter Klier, 29. 9.2017

Karikatur (c) DER OPERNFREUND / Klier

 

 

7x Tosca

7x Hochspannung! 7x Opernglück ;-))))))

7x Tosca! 7x Hochspannung! 7x Opernglück!

 1.DGG DVD 00440 073 4038    1976   Tosca im Kino:    Ein Opernfilm um Opernmuffel zu bekehren

Ein Opernkrimi als Kinothriller? Warum nicht, wenn es so opulent realisiert wird! Und der Film hat den Vorteil, auch die Vorgänge zu zeigen, die man in der Oper nicht sieht: zum Beispiel die spannende Flucht Angelottis aus der Engelsburg. Für Opernmuffel ein Riesenvorteil zum besseren Verständnis. Und die echten Opernroutiniers haben ja noch die großartige musikalische Realisierung. Denn mit Raina Kabaiwanska, Domingo und Sherill Milnes ist die gesangliche Topliste der damaligen Opernstars aufgeboten, auch wenn Milnes ein schauspielerisches Nulltalent ist. Leider fehlt natürlich die typische Spannung einer echten Opernaufführung „live“, zumal die Regie Lichtjahre vom heutigen Regietheater entfernt ist. Doch die Labels machen ja immer noch bei Tosca einen Riesenbogen um neue und vielleicht umstrittene Inszenierungen. Wahrscheinlich scheuen sie mit Recht das Vermarktungsrisiko. Als Lehrer habe ich mit diesem Film allerdings tatsächlich ganze Generationen von popverseuchten Schülern mal auf die Gattung Oper zumindest aufmerksam machen können. Wirklich schön, dass es ihn immer noch gibt.

2. DGG DVD 00440 073 4100 New York 1988 Ein schöner Operntraum aus der MET für Nostalgiker

Als wir vor vielen Jahren zum ersten Mal in der MET waren, erlebten wir eine herrliche Tosca von Zefirelli mit all dem herrlichen Pomp und Prunk eines großen Opernabends. Wie freute ich mich, nun gerade diese alte Inszenierung als DVD bei der DGG wieder zu finden. Und so verstaubt, wie junge Opernfreunde meinen könnten, ist das alles gar nicht. Natürlich ist heute mehr Drive, aber richtig mitreißend ist es auch so noch, und sicher viel näher an Musik und Handlung als manches Regietheaterexperiment. Sinopoli dirigiert einen spannenden Opernkrimi, Italo Tajo ist der weltbeste Mesner, der damals so junge Domingo wird heute kaum noch auch nur annähernd erreicht (schon gleich gar nicht vom „Herrn Netrebko“) und der Scarpia Cornell Mac Neills ist ein Musterbeispiel, wie man mit einem Minimum von Aufwand ein Maximum an Wirkung erzeugt, wenn man`s halt kann. Und wie er das kann. Bleibt die Tosca selbst: ja dass die Hildegard Behrensals Wagnerheroine das überhaupt machte war ja schon eine kleine Sensation, Birgit Nilsson immerhin traute es sich ja auch, und gar nicht schlecht. Leider fehlt ihr für unsere heutigen Erwartungen leider die nötige erotische Ausstrahlung. Dass sich gleich zwei Männer wegen der korrekten höheren Tochter ins Verderben stürzen sollten, ja das gibt’s halt nur in der Alten Oper. Insgesamt wirklich ein echtes Opernmärchen, zum Genießen und Träumen, träumen wie wunderschön und ideologisch unbelastet man früher mal Opern machte.

     3. Arthaus Musik DVD 107 195  auch Blu-Ray Verona 2006 Tosca in Breitwand mit toller Titelheldin

         Bei Aufnahmen aus der Arena denkt man sofort an kolossale Aida-Spektakel mit Massenszenen und Elefanten. Und der Filmeregisseur Hugo de Ana bleibt dem nichts schuldig. Im Te Deum langt er wirklich voll zu und übertrifft mit echten Kanonen sogar noch den Pomp der bei der Aida. Nur die Elefanten fehlen. Das ist aber schon richtig eindrucksvoll, an diesem Ort auch durchaus gerechtfertigt und wird natürlich dankbar bejubelt. Genau wie der riesige zerbrochene Engelstorso als spektakuläres Einheitsbühnenbild. Ansonsten sind die Sänger, sich selbst überlassen. Marcelo Alvarez und Ruggiero Raimondi, die wie immer großartig singen, ziehen mit viel Routine ihre allerdings überzeugenden Rollen-Klischees ab, was wie immer sehr wirksam ist. Die Tosca der Fiorenza Cedolins dagegen verströmt ihr Herzblut und ist eine wirklich überwältigende und packende Tosca, die sich vor ihren prominenteren Kolleginnen der anderen Aufnahmen nicht im Geringsten verstecken muss. Allein schon ihretwegen lohnt sich diese Einspielung 

    4. Decca DVD 074 3420 Blu-Ray 074 38282 Zürich 2009  Toscas Problem: gleich 2 potente Verführer

Scarpia müsste diese Einspielung eigentlich heißen, wegen der singulären Darstellung durch den faszinierenden Thomas Hampson: ein aalglatter eiskalter Schurke, aber auch mit so viel Charisma, dass man die Tosca in ihrer Standhaftigkeit eigentlich nicht so ganz verstehen kann. Wäre der Sänger des Cavaradossi halt nicht gerade ein solcher Frauentyp wie Jonas Kaufmann, ein Charmeur, der auch noch mit berückender Pianokulur ganz großartig singt. Emily Magee ist so gar nicht der Typ des üblichen Tosca Klischees, doch sie gestaltet sehr mitreißend eine liebende, hingebungsvoll leidende Frau, die in einer vom Schicksal tragisch überfordernden Schreckenssituation zur großen Heroine wird. Das ist so eindrucksvoll ergreifend, zumal sie mit mächtiger Stimme auch der geforderten Dramatik nichts schuldig bleibt und wie immer ihre Rolle emotional äußerst glaubhaft auflädt. Eine großartige Darstellung abseits jeglichen Rollenklischees. Carsen fasst die Story als Theater im Theater auf, weshalb die tote Tosca am Schluss plötzlich putzmunter nochmals auf der Bühne erscheint, bevor dann auch der echte Vorhang fällt. Damit killt er unsensibel die Schlussdramatik des ganzen Stückes!

    5. Arthaus Musik DVD 101 594 auch Blu-Ray Genua 2010

Das Sängerehepaar Daniela Dessi / Fabio Armiliato dominiert diese wunderschöne Aufnahme gekonnt und aufeinander eingespielt. Und sie singen wie die Weltmeister. Vor allem seine großartige Pianokultur bei den berühmten „….blitzenden Sternen“ ist wirklich sensationell. Die „dacapo“ Wünsche danach und nach ihrem ergreifenden „Vissi d`Arte…“ sind voll berechtigt und voll berechtigt ist auch, dass sie beide prompt erfüllt werden und auch in dieser Aufnahme enthalten sind. Denn wie bei allen großen Sängern, singen sie es beim zweiten Mal wieder ganz anders. Wenn es in unserem Opernbetrieb gerechterweise nach der Leistung ginge, müssten sie beide ohne Zweifel zu den ganz großen Superstars gehören. Der Scarpia des mir bisher unbekannten Claudio Sgoura hat einen riesigen Heldenbariton und spielt ebenso eindrucksvoll wie angenehm dezent. Da das Bühnenbild dem der Uraufführung nachempfunden ist, gibt es im dritten Akt auch noch den herrlichen nächtlichen Blick von der Engelsburg auf die Kuppel des Petersdoms und eine unvergesslich schöne Morgendämmerung zu dem beginnenden Glockengeläute im Orchester. Wegen der heute verordneten „neuen Ästhetik“ ist das so verzaubernd in dieser Poesie fast überhaupt nirgends mehr auf einer Bühne zu sehen. In unsrem „Opernkreis“ freute diese Aufnahme nicht nur optisch am meisten.

      6.Warnerclassics DVD50999 4 04639 8, Blu-ray 50999 4 06497 London 2012.Scarpia als „Iwan der Schreckliche in Rom“

Puccini hat den Scarpia ja eigentlich als aalglatten sadistischen Heuchler angelegt. Bryn Terfel dagegen wuchtet eine Art grauslichen „Iwan den Schrecklichen“ auf die Bühne. Aber wie er das macht, das erzeugt schon echtes Gänsehautfeeling. Angela Ghiorghiu hat nach Aberhunderten von Toscas die Rolle so ausgefeilt drauf, dass jede Nuance einfach perfekt ist. Da sie ja auch noch eine sehr schöne Frau ist und mit gesanglicher Brillanz überzeugt, wird sich die Netrebko bei ihrem nächsten Rollendebut schon sehr anstrengen müssen, um diese Konkurrentin zu erreichen, oder gar zu übertreffen. Jonas Kaufmannn, zur Zeit der Cavaradossi vom Dienst, überzeugt dann ebenso mit seinem natürlichen Charme, wie mit   heldentenoralen Vittoria-Rufen und zartester Pianokultur bei den „blitzenden Sternen“. Wuchtig und gewaltig lässt Pappano das Orchester sehr dramatisch aufrauschen. Da kommt man schon ins Schwitzen.

7.Euroarts DVD 2064178 Blu-ray 2064174 Baden-Baden 2017 (erhältlich erst 20.10. 2017) Tosca richtig sexy

Da ist sie nun, die sexy Tosca des 21. Jahrhunderts: Kristine Opolais, und sie zeigt den braven Primadonnen von einst, wie man Männer auch auf der Opernbühne verrückt machen kann, mit viel nacktem (zugegeben hübschen) Bein und körperlichem Totaleinsatz. Ohne Frage die aufregendste Tosca auf allen DVDs! Und sie zerreißt sich geradezu vor Einsatzfreude. Aber auch stimmlich meistert sie ihre Rolle schon souverän. Marcelo Alvarez singt wie immer mit ebenso mächtigem wie geschmeidigem Tenor. Als zeitgemäß moderner Scarpia mit brutaler Eleganz überzeugt Marco Vratonga mit Riesenstimme. Vor allem im 2.Akt kocht es dann zwischen den Darstellern geradezu. Nur eine bessere Regie hätte diese DVD verdient. Was Philipp Himmelmann aufbot, ist so beliebig und ohne Pepp, wie eigentlich alles von ihm. Schon der 1. Akt: soll es eine Kirche sein? Eine Großgarage? Ein TV Studio? Was auch immer, die Stimmung ist gleich Null. Nur zum Schluss hat er sich was Neues ausgedacht: Tosca scheint sich da mit einer Art Bolzenschussgerät zu töten. Na ja, wieder mal ein Regisseur, der meint, er könne alles besser. Trotz allem eine hoch interessante Aufnahme, schon allein wegen der Opolais und natürlich auch noch wegen Simon Rattle am Pult. Das ist wirklich Puccini vom Feinsten. Und es ist die neueste und sicher die erotischste Aufnahme dieses so viel gespielten Stückes.

Fazit: Jede der 7 Aufnahmen ist wirklich sehr gut, letzten Endes liegt’s dann an der persönlichen Sängerpräferenz. Mein persönlicher Tipp wäre die Aufnahme aus Genua, weil`s mal andere Sänger sind als die üblichen top vermarkteten Stars. Oder aber, trotz meiner Regiebedenken, vielleicht auch die neueste von Euroarts, weil sie mal andere Wege geht mit diesem ausgelutschten Stück.

Peter Klier 9.Juli 2017

Karikatur vom Autor

 

 

 

7 x Lohengrin

= 28 Stunden Wagner in einer faszinierenden Bandbreite!

1.      DGG 073 4176 Met New York 1976/1986 Ein theatergeschichtliches Dokument mit der Rysanek

Nach der ersten Aufführung an der MET 1886 wurde Lohengrin über 600 mal gespielt und mir scheint fast, man hat die Kulissen und Kostüme von anno dazumal 100 Jahre lang brav bis 1986 aufgehoben und wieder verwendet. Das macht diese Aufnahme als theatergeschichtliches Denkmal richtig sehenswert: So wurde an der MET 100 Jahre lang Oper inszeniert! Und sogar auch noch von einem der bekanntesten Theatermacher in Europa, nämlich dem August Everding. Vor allem die Wagnerpuristen werden deshalb natürlich bestens auf ihre Kosten kommen. Musikalisch ists sowieso ziemliche Spitzenqualität, denn Levine donnert wahre Wagnerwonnen aus dem Orchestergraben, so dass das permanente akustische Gänsehautgefühl jeden Romantiker begeistert. Und dann brennt im 2. Akt Leonie Rysanek als Ortrud ein stimmliches und darstellerisches Furioso sondergleichen ab, so dass man alle Kulissen und Helme und Ritter vergisst. Und Peter HofmannsLohengrin ist nicht nur optisch überwältigend als himmlischer Gralsbote. Alle anderen haben bestes Gesangsniveau, das versteht sich an so prominenter Stelle ja von selbst. Alle Nostalgiker werden jubeln!

2.      Euroarts 2072028 Bayreuther Festspiele 1982 das Meisterwerk des Regie- Altmeisters

Die ja nicht mehr so ganz neue Aufnahme ist so gekonnt zeitlos, dass sie immer noch besticht. In den abstrakten Kulissen des damals so berühmten Nagelkünstlers Günther Uecker zaubert Götz Friedrich ein Opern-Märchen hin, mit so psychologisch durchdachter Personenführung, dass es immer noch richtig aufregend ist. Und das alles, ohne dem Werk einen neuen Inhalt überzustülpen, wie es ja inzwischen üblich ist. Großartig, packend und auch notengetreu werkgerecht. Allen voran realisiert Karen Armstrong die Ideen ihres Ehemannes, ergreifend als rührende Elsa. Und was ihr vielleicht stimmlich zum Weltniveau fehlt, ersetzt sie voll durch ihre Hingabe an das Werk. Wie sie ängstlich zögernd den Traumritter nur vorsichtig mit einem Finger zu berühren wagt, das muss ihr erst mal jemand nachspielen. Peter Hofmann ist wieder Lohengrin, eine optische Inkarnation und er singt auch noch großartig. Elizabeth Connell  und Leif Roaragieren psychologisch durchdacht eher unterschwellig gemein böse, was noch spannender ist. Zeitlos meisterhaft und erhaben über alle Moden.

3.      Arthaus Musik 100 957 Wien 1992 Domingo for ever

Diese Einspielung ist wohl wegen Placido Domingo als Lohengrin entstanden, und der singuläre Sänger hat sicher verdient auch in dieser Rolle dokumentiert zu werden. Er rechtfertigt sie jede Sekunde voll und ganz. An Stimmgewalt und Schönheit kommt ihm keiner gleich und sein spanischer Akzent passt hier sogar zum exotischen Sendboten. Aber er steht nicht allein. Cheryl Studer feine Elsa , Dunja Vejzovic und Hartmut Welker als unglaublich intensives böses Paar und dann der sensible  Claudio Abbado am Pult in der gediegenen Regie von Wolfgang Weber, ein Genuss ohne Reue, zwar oft schon so gesehen aber garantiert ohne Ärger über Regieunsinn.

4.      Euroarts 2056008 Barcelona/HH 1998/2006 Lohengrin mal ganz anders

Im Jahre 1996 hatte ich mir für „Der Opernfreund“ eine Glosse als Lohengrin Parodie ausgedacht, die in der Schule spielen sollte. Wie erstaunt war ich, etwas später genau meine Parodie in HH als Inszenierung zu erleben. Und ich habe mich prächtig amüsiert, vor allem im 1. Akt, wenn Elsa dauernd wieder im Schrank verschwindet und die kurzbehosten hehren Helden mit Holzschwertchen aufeinander losgehen. Und dann Elsa und Ortrud, die sich unter den Schulbänken statt vor dem Münster balgen und an den Haaren ziehen. Witzige Ideen meisterhaft ausgeführt. Und ganz allmählich ohne es zu wollen wird man dann aber doch vom wirklichen Drama umfangen und staunt über Konwitschny, der aus dem Ulk unmerklich echtes packendes Theater entstehen lässt. Oder ists doch Wagners Theaterpranke, die da wieder zuschlägt? Ein Theater-Genie, das sogar noch   Klamauk zum packenden Drama werden lässt??? Wer Humor hat und auch über seine Idole (und Wagner ist für mich der Größte) mal lachen kann, der wird sich über die 2 DVDs bestimmt freuen. Zumal die Sängerdarsteller mit allergrößter Begeisterung dabei sind, voran Emily Magee als köstlich naives, aber auch ganz liebes Elsa-Dummchen, der es sogar gelingt, hinter der Parodie das Drama aufzuzeigen. Großartig! Luana DeVol als bezopftes Klassenmonster mit Riesenstimme. Blasser der Telramund  H.J.Ketelsen und sehr solide bei der Sache aber ohne Aufreger der Lohengrin John Treleavens. Alles spannend und verblüffend anders bis zum total überraschenden Schluss!

5.      Decca 074 3387 München 2009      Gralsritter und Zimmermann

Ich habe mich vor 20 Jahren, als es endlich Opern DVDs gab riesig gefreut, jetzt die Opernwunder auch sehen zu können. Aber diese Aufnahme hätte besser nur als CD erscheinen sollen, denn musikalisch ist sie eine richtige Jahrhundert Einspielung. Kein Wunder, bei dem Traum-Ensemble!!! Als DVD jedoch macht diese Inszenierung sicher vielen Wagnerfreunden schwer zu schaffen. Wieder mal ist ein unfähiger Regisseur schuld daran, der unbedingt irgendwie originell sein wollte! Da stimmt dann ja wirklich überhaupt nichts mehr mit Wagners Musik und Handlungsideen überein. Wie kann sich jemand selbst nur so überschätzen, dass er glaubt, es besser zu können als so ein Jahrtausend Genie. Elsa als Häuslebauerin!!! Ja um Gottes Willen hat der nicht begriffen, dass sie von einem Ideal träumt, und nicht von einem kleinspießigen Reihenhaus. So wie Wagner einst ja auch vom Ideal der Kunst als politische Kraft träumte. Naja, was soll‘s, das Musikalische dagegen ist großartig und die Piani von Jonas Kaufmann können glatt süchtig machen. Zusammen mit Anja Harteros haben wir wieder mal ein Traumpaar. Aber auch die beiden bösen Michaela Schuster und Wolfgang Koch überzeugen stimmlich und in der Darstellung total. Natürlich parodieren die Zimmermannskostüme und banalen T-Shirts ganz blödsinnig die hochpathetische gewaltige Musik. Dabei nimmt Kent Nagano Wagner wirklich wunderbar ernst. Augen zu und hören: dann tun sich wahre Wunder auf!

6.      Opus Arte OA 1071 D, 2 DVDs Bayreuther Festspiele 2011 Kein Rattengift nötig!

selten ist mir bei anderen Inszenierungen so deutlich geworden, wie großartig Wagners Komposition ist, da sie ja sogar diese Regie mit all ihrem Unfug grandios aushält. Dabei stören mich gar nicht so sehr die berühmten „Ratten“, denn die passen vor allem im 2. Aufzug zu der Heerruferszene geradezu genial. Nein, unerträglich sind die Mätzchen, die Neuenfels seinem Ruf als „Schocker des spießigen Publikums“ wohl schuldig zu sein glaubt. So das unverständliche Herumtorkeln des offenbar besoffenen Königs. Georg Zeppenfeld führt das mit geradezu selbstloser Disziplin aus und rettet wenigstens ein bisschen Würde durch seine stimmliche Kompetenz. Auch der Brautzug zum Münster soll dann ja wohl in erster Linie provozieren, durch die dämlichen bunten Kleidchen, mit den heraushängenden Rattenschwänzen. Am schlimmsten aber die überaus unsinnigen Comiceinspielungen mit den gezeichneten Ratten, die die Vorspiele zu den Akten verblödeln. Schade, denn zwischendrin gibt’s auch packendes Musiktheater. Zum Beispiel in der furios als Loriotschen Ehekrach inszenierten Brautgemach Szene. Nun hat er aber auch fulminante Singschauspieler. Klaus Florian Voigt gefällt mir als Gralsritter, der wirklich wie nicht von dieser Welt singt,   und Annette Dasch  mit ihrem Totaleinsatz. Das böse Paar ist überzeugend böse mit Petra Lang und Jukka Rasilainen, der leider stimmlich etwas matt klang. Andris Nelsons als sängerfreundlichen und liebenswerten Dirigenten zu loben fällt einem sehr leicht. Fazit: für mich insgesamt doch eine sehr interessante DVD und ein triumphaler Beweis für Wagners unzerstörbare Genialität. Na das allein rechtfertigt ja schon den Kauf dieser 2 DVDs.

7. DGG 07353196 (erhältlich erst ab 7.7.2017) 2 DVDs Dresden 2017: Anna for Elsa!

So wie 1992 einst in Wien extra für Domingo gemacht ist diese Aufnahme wohl für Anna Netrebko jetzt in Dresden entstanden. Man wollte wohl die blödsinnige Hype um dieses Ereignis zeitnah vermarkten und Netrebko als Elsa ist ja wirklich eine eigene Aufnahme wert. Ob man ihr aber was Gutes damit getan hat? Da ärgert man sich so oft über Regieblödsinn, aber ganz ohne Regie, so wie hier, geht’s halt auch nicht. Schon gar nicht mit gleich 2 Rollen-Debütanten. Und das alles in 40 Jahre alten Kulissen! Vor allem der wie immer sehr schön singende aber doch etwas langweilige Darsteller Piotr Beczala könnte durch eine gute (!!) Regie nur gewinnen. Neben der Elsa dominierte Evelyn Herlitzius als wie immer grandiose Ortrud in ihrem ausgefeilten Rollenporträt, Koniezny als Telramund erweckt großes Interesse. Und natürlich verzaubern die Dresdner unter Thielemann, wer hätte es anders erwartet. Also insgesamt ein sehr schönes Dokument eines hochgefeierten Musikevents. Und warum soll Netrebko nicht eine eigene Lohengrin - Produktion wert sein, genau wie Domingo!

Was tun? Wieder ganz einfach: Puristen werden mit den DVDs aus der Met selig werden, Domingofans mit der aus Wien, Netrebkoliebhaber mit der allerneuesten Gabe aus Dresden aber erst im Juli , für Intellektuelle mit Gefühl ist die erstgenannte Aufnahme aus Bayreuth von 1982 ein Muss, für Intellektuelle ohne Gefühl die aus München, und für Wagnerianer, die auch Humor haben kann ich die Gralsritter-Variante in kurzen Hosen aus HH/Barcelona nur empfehlen und den Rattenlohengrin kann man sich ebenfalls mit Gewinn ansehen, schon wegen der Personenregie.

1.6.2017

 

 

5 x IDOMENEO

wird oft als lahm verkannt, aber wenn’s gekonnt gemacht : spannend wie ein Krimi.

Arthaus Musik 102313, Glyndebourne 1974:

44 Jahre alt und kein bisschen leise

Diese Aufnahme dominiert vor allem Josephine Barstow als leidenschaftliche Da aber wurde ich stutzig und bemerkte, wie alt diese furiose Aufnahme doch schon sein muss: tatsächlich schon 1973 entstanden, und immer noch sehr wirkungsvoll. Fast modern auch das halbtechnische Bühnenbild (Roger Butlin) mit dem Trick, alles wie durch einen fernrohrähnlichen Tunnel zu sehen. Dahinter dann romantische Bildvisionen. Welch ein Eindruck! Die recht statische Personenführung (John Cox) zeigt dann allerdings auch deutlich: so würde und könnte man das heute nicht mehr machen. Und das fürchterliche Ungeheuer im 2. Akt dürfte inzwischen von vielen, die ihre naive Freude an der Oper verloren haben, leider doch nur belacht werden, obwohl es, immerhin doch schon als Video, eigentlich recht eindrucksvoll den armen Idomeneo bedroht (mit schöner schlank-lyrischen Stimme Richard Lewis).Den geradezu idealen Mozarttenor Leo Goeke kennt man heute auch nicht mehr. Er gibt einen sehr männlichen Idamantes und erspart mir Gottseidank die heute so modernen Pseudo-Eunuchen. John Pritchard setzt auf einen vollen romantischen Sound, der ist zwar nicht ganz stilrein, aber ungemein wohlklingend im Vergleich zu den kratzenden Geigen des sogenannten historischen Originalklangunfugs. Dass er aber den halben 1. Akt einfach weg ließ, wird ihm Mozart nie verzeihen. Und auch nicht, dass bei den alten Griechen plötzlich Originalpopen(!) auftauchen. Ansonsten: reine Freude und eine Lektion für hochmütige Regietheateranhänger: auch vor über 40 Jahren verstand man schon das Regie Handwerk.

 

NVC Arts 5050467  Glyndebourne 1983:

Ein Schlafmittel ohne Nebenwirkungen

 7 Jahre später wird am selben Ort von der Regie pure Langeweile produziert: lahmes Herumstehen, steife Gesten, plumper Pappfelsenrealismus und viele Umhänge-Bärte. Auf die Idee, Mozart mit dem alt- japanischen No-Theater zu kombinieren, und so die Herumsteherei zu verdoppeln,muss man ja erst mal kommen. Trevor Nunn kam drauf und sein Assistent war, man staune, Robert Carson. Da retten auch die teilweise ganz guten Sänger und Bernhard Haitinkam Pult nichts mehr. Hätten sie lieber eine CD gemacht! So ist’s halt Valium brutal geworden. Gute Nacht!

 

ArtHaus Musik102 011 Drottningholm 1986/1991:

Barockes Styling in Perfektion

Das herrliche alte Opernhaus mit der alten Bühnentechnik und den rollenden Bühnenwalzen für schäumende Meereswellen verführte Michael Hampeverständlicher Weise dazu, mal ganz im Barockstil zu inszenieren. Und das tat er dann auch fast ohne Kompromisse, wenn man von dem unpassenden Bart Stuart Kales als sehr empfindsamen Idomeneo mal absieht. Arnold Östman entfachte richtiges Barockfeuer im Orchester, natürlich mit Originalinstrumenten, aber hier musste das wohl so sein. Barockfans werden von der rezeptionsgeschichtlich hochinteressanten Inszenierung begeistert sein. Zumal auch die Sänger fast alle recht überzeugen, es geht also auch ohne das Altus-Gesäusele. Sehr dramatisch David Kuebler als Idamante, Anita Soldh, als rabenschwarze Rachefurie über die Bühne tobend, bleibt der superaufregenden zweiten Elektra Arie nichts schuldig,. Überhaupt diese Arie! Aufregend und packend wie Ebolis „O Don fatale“, beweist sie das dramatische Potential des jungen Mozart doch sehr deutlich.

 

Decca 0743169 2DVDs Salzburger Festspiele 2006:

Extra was für Schöngeister

Aus der Flut der heute oft äußerlich so hässlichen Inszenierungen ragt diese Produktion von Ursel und Karlernst Herrmann geradezu als Insel der absoluten Schönheit äußerst wohltuend heraus. Auch wenn der dramatische Drive manchmal der artifiziellen Optik geopfert wird. Ein ästhetisches Erlebnis ersten Ranges ist es allemal. Und auch der Humor kommt nicht zu kurz, ist doch die Idee, den muschelbehängten Neptun dauernd über die Bühne geistern zu lassen, wirklich einfach herrlich auflockernd. Auch wenn dann im 3. Akt die supergewaltige VOCE des Gottes in der Luxusbesetzung Günther Groissbecks nicht so ganz dazu passt. Überhaupt ist die Sängerriege vom Feinsten und dem edlen Konzept adäquat: Ramon Vargas als schönstimmiger Idomeneo, singt als obs von Verdi wäre und Ekatarina Siurina verwöhnt optisch und akustisch gleichermaßen. Die Besetzung des Idamante mit einem Mezzo wäre für mich ärgerlich, wenn Magdalena Kozenanicht so überaus intensiv singen und spielen würde. Dass sie dabei den Eindruck eines höchstens 14 jährigen Knaben erweckt passt nicht so ganz zum heldenhaften Töter des Ungeheuers. Die Krone aber gebührt meines Erachtens der fulminanten Elektra Anja Harteros, die auch sehr zu bewundern ist, dass sie in dem superengen Kleid überhaupt singen kann. Jedes Mal wenn sie Atem holt meint man, dass oben alles rauspurzeln wird. So kann man auch Spannung erzeugen! Roger Norrington sorgt für schnelle Tempi, die historischen Instrumente stören mich aber dennoch. Ich finde diese modische Masche immer wieder verfehlt. Vor allem, wenn man bedenkt, wie Mozart und Beethoven einst über die damaligen „jämmerlichen“ Instrumente klagten. (Der schöne Witz, dass Harnoncourt bei einer einfachen Blinddarm OP gestorben ist, weil man ihn mit historischen Instrumenten operierte, der muss hier einfach mal wieder erzählt werden, vielleicht kennt ihn ja einer noch nicht.)

 

medici arts 2072448 2DVDs Cuvillies Theater München 2008:

fast so spannend wie ein TV-Thriller

Sogenannte moderne, und ja oft auch zu Recht verschrieene, Inszenierungen können manchmal wirklich kleine Wunder vollbringen: nämlich aus einer als etwas langatmig verkannten Oper, ein atemberaubend spannendes Erlebnis zu zaubern. So geschehen durch Dieter Dorn und seinem überwältigend einsatzfreudigen Ensemble. Da gelingt es zum Beispiel Annette Dasch, aus ihrer Schlussarie eine der aufregendsten und packendsten Szenen der ganzen Opernwelt zu machen, genau so würde ich mir Don Giovannis Höllenfahrt mal wünschen. Juliane Banseund Pavol Breslik bilden das sanfte und ebenso anrührend wie opferbereite Liebespaar und präsentieren so ganz nebenbei die schönsten Mozartstimmen. Die Stimmschönheit ist es bei John Mark Ainsleys Idomeneo nicht gerade, die uns fesselt, sondern seine hingebungsvolle Ausdrucksgewalt und unbedingte Einsatzbereitschaft. Und Rainer Trost ist als Arbace eine absolute Luxusbesetzung an Stimmschönheit und Stimmgewalt. Ist dann noch Kent Nagano am Pult, steht der totalen Begeisterung nichts mehr im Wege. Bei einem Musik-Vortrag habe ich mit dieser Einspielung gleich eine ganze Gruppe ausgesprochener Idomeneo - Ignoranten bekehren können.

Zur Qual der Wahl: Die gibt es hier eigentlich gar nicht, denn Puristen werden die Barock Version aus Drottningholm bevorzugen, wer es modern und richtig spannend will, kommt an der Münchner Aufnahme nicht vorbei, Schöngeister bevorzugen sicher Salzburg, einen schönen Kompromiss bietet dann die erste Einspielung aus Glyndebourne, ja und wer sich unbedingt langweilen will, kann das bei der zweiten dann von Herzen tun. Wenn es nur immer so leicht wäre, sich zu entscheiden.

Peter Klier, 16.4.2017

 

 

5-mal „Die Meistersinger von Nürnberg“

eine Freude über 23 Stunden!

1. DGG 0440 07341605 GH2 DVD von den Bayreuther Festspielen 1984

Beckmesser singt Schubertlieder

Hermann Prey als Beckmesser war 1984 in Bayreuth die Sensation. Zum ersten Mal kein abgesungener Bassbuffo mit öden Scherzen, sondern ein ernst zu nehmender Konkurrent, der noch dazu den Sprachnonsens im 3. Akt mit der Innigkeit und dem Schönklang des kultivierten Schubertsängers zu etwas ganz Einmaligem veredelte. Wäre als Stolzing nicht der einzigartige Siegfried Jerusalem mit seinem damals noch so strahlend klingenden Wagnertenor gewesen, dann hätte das Evchen (Anne M. Häggander) vielleicht doch statt des Ritters diesen tollen Merker gewählt. Der routinierte Bernd Weikl kann sich neben dieser unerwarteten Konkurrenz dennoch souverän behaupten. Aber die Gewichte verschieben sich schon ein wenig. Was Wagner ja sicher nicht so gemeint hat. Für ihn war der Merker doch die absolute Negativfigur (Hanslick), stellvertretend für eine Kunstdogmatik, die er aufs heftigste zu bekämpfen versuchte. Ansonsten sind in Wolfgang Wagners heiler Welt-Schau kritischen Reminiszenzen natürlich nicht zu erwarten, das war auch damals noch nicht üblich. Die Schwerpunkte liegen dafür in der heiteren psychologischen Charakterisierung der Meister und im Musikalischen. Denn der routinierte Wagnerspezialist Horst Stein bietet da allerbeste Qualität. Ja und außerdem gibt es ja auch noch ein naturalistisch wunderschönes Bühnenbild. Das alles pur zu genießen, vor allem den ganz anderen Beckmesser, ist schon auch mal sehr schön und macht große Freude. Für Regietheateranhänger gibt es ja noch andere Aufnahmen.

 

2. DGG 0440 0730949 OGH2 DVD aus der MET 2001

Beckmesser im Romantiker Himmel

Diese optisch so schöne Inszenierung von den Altmeistern Otto Schenk und Günther Schneider-Siemssen zeigt die MET noch heute, und erst 2014 wurde sie weltweit im Kino ausgestrahlt. Und das zu Recht. Für ein Kinopublikum, das vielleicht nicht so erfahren ist wie die Opernbesucher, wäre doch eine modern-kritische Inszenierung nur verwirrend und vielleicht sogar abschreckend gewesen. Hier dagegen bezaubern herrliche Bilder von einer heilen Welt, die es so sicher nie gegeben hat. Und die Wagner auch so nicht gemeint hat, mit seiner doch recht giftigen Kritik an allen steifen Kunstregeln und ihren verbohrten Verfechtern der damaligen Zeit. Optisch ist es aber sicher die schönste und opulenteste Inszenierung, die auf DVDs überhaupt zu haben ist. Und wer sich daran nicht auch einmal freuen kann, für den hat die Welt der Oper ohnehin schon viel von ihrem eigentlichen Zauber verloren. Soll nicht heißen, dass moderne kritische Lesarten auch nötig sind. War doch vieles im Text vor 160 Jahren wirklich ganz anders gemeint und wurde damals auch ganz anders verstanden als heute. Die Personenführung allerdings ist hier für moderne Erwartungen schon recht statuarisch. Vor allem Ben Heppner, der sehr schön und schlank auf Linie singt, steht halt meistens nur dekorativ herum und hebt hie und da mal einen Arm etwas an. Das war‘s dann. Das entzückend naiv gespielte und schön gesungene Evchen von Karita Mattila hätte er sicher so nicht erobert. James Morris als souveräner Sachs ist da schon beweglicher. Und auch der Beckmesser Thomas Allen überzeugt, wenn er auch mit dem ja nun wirklich singulären Prey nicht zu vergleichen ist. Der immer schon sehr langsam dirigierende James Levine braucht diesmal geschlagene 21 Minuten mehr als alle anderen, dafür baut er aber, wann immer es geht, gewaltige Crescendi auf. Ansonsten gilt auch hier: keine Aufnahme für Fans des Regie Theaters, aber sicher eine ganz herrlich für alle, die in der Oper auch mal träumen und nicht nur denken wollen


3. ARTHAUS Musik 102318 DVD aus Berlin 1995 auch Blu-ray

Der echteste Beckmesser

Eine zeitlos gültige und geradezu geniale Gratwanderung zwischen Tradition und Moderne ist Götz Friedrich gelungen. Seine wirklich ausgefeilte Personenregie, mit sehr vielen Ansätzen zu echter Charakter-Komik, zeugt ebenso von perfektem Können, wie von einer humanen und philosophisch klugen Denkweise, die ja im Werk auch geradezu zwingend vorgegeben ist. Wenn Sachs am Schluss den Beckmesser in die Arme schließt und zurückholt, ist das hier nicht nur eine schöne Geste sondern tief erlebt. Auch die umstrittenen und immer wieder so falsch verstandenen Textpartien in der Schlussansprache werden hier genial entschärft: indem sie eben nicht voller Pathos herausgeschmettert werden. Da hat der Sachs nämlich einen kleinen Schwächeanfall, nachdem Stolzing die Meisterwürde zurückgewiesen hat, greift sich ans Herz und singt fast tonlos und gar nicht großkotzig von der Deutschen Kunst. Und dieser humane Sachs findet in Wolfgang Brendel den geradezu kongenialen Interpreten. Humorvoll und sympathisch und stimmlich wirklich bis zum Schluss voll präsent. Der richtige Partner für diesen Sachs ist der klug-komische Beckmesser Eike Wilm Schultes. Sicher würde ihn die kesse Eva der charmant-aufgeweckten Eva Johannsson bestimmt nicht erwählen. Nein, niemals! Aber genau so war er doch von Wagner ja auch gedacht: als negativer Gegenpol zum Sachs! Und eine böse Karikatur aller Kritiker im allgemeinen und von Hanslick im Besonderen noch dazu. Dass er hier bei aller Boshaftigkeit, noch gar nicht mal so unsympathisch erscheint, ist die Leistung dieses großartigen Singschauspielers. Für alle als Einzelcharaktere herrlich herausgearbeiteten Meister sei Ivan Sardi als schwerhöriger, verärgerter und wunderbar skurriler Typ genannt. Etwas zu sehr auf Lautstärke setzt mir Gösta Winbergh als überaus kräftiger Stolzing. Sicher, er kann sich‘s stimmlich auch leisten. Das Bühnenbild von Peter Sykora zeigt eine riesige herrlich gotische Fensterrosette im ersten Akt, wie es sie in der Katharinenkirche (eigentlich müsste es ja historisch richtig die Marthakirche sein) zwar nie gegeben hat, wie sie aber schöner nicht erfunden werden konnte. Und zu Beginn des 2. Aktes schwirren sogar die Glühwürmchen aus dem Wahnmonolog herum. Sollte es denn Kitsch sein, könnte er schöner nicht erfunden werden. Zum Schlussbild erscheint die Nürnberg Kulisse zum senkrecht aufgestellten Riesen-Kreis hin gewuchtet, geradezu als warnendes Symbol gegen jegliches Pathos und jeglichen politischen Missbrauch.

 

4. Opus Arte OA 1041 D DVD von den Bayreuther Festspielen 2008 auch als Blu-ray

Beckmesser das eigentliche Genie

Im 19. Jahrhundert wurden gerade Wagners Oper gerne parodiert. Nestroy hat da einen herrlichen Tannhäuserklamauk geschrieben, der heute noch Spaß macht und sogar dem Meister selber gefallen haben soll. Die „Meistersinger“ aber, die hat er nicht parodiert. Das holte dann 2009 seine Urenkelin nach. Nein, nicht die vom Nestroy, sondern die vom Wagner selbst. Und sogar noch in Bayreuths Weihestätte. Das Echo war dann auch gewaltig. Die einen sahen des Meisters heiliges Werk besudelt und die anderen wiederum jubelten, dass endlich der braune Sumpf im 3. Akt aufgearbeitet worden sei. Gelacht hat aber wohl keiner. Oder? Sollte womöglich gar das Ganze von der Urenkelin ernst gemeint gewesen sein? Na ja, so lustig war’s auch wirklich nicht. Vieles war einfach plump, so, wenn das neue Schöpfergenie Stolzing wie ein Halbstarker alles und jeden mit Farbe beschmiert. Anderes wiederum war schon sehr an den Haaren herbei gezogen, so, wenn Sachs im 3. Akt plötzlich der altmodisch bewahrende Kunst-Funktionär sein soll und Beckmesser der avantgardistische Neuerer, der ein Event mit 2 Nackten macht, während er sein geklautes Preislied stottert. Na ja, dachte ich, ist ja ganz lustig, das alles mal so zu sehen. Vor allem der Cancan der großköpfigen Geistesgrößen, statt des sonst immer endlosen Einzugs der Handwerksinnungen, war wunderbar. Aber ist das schon eine neue Werksicht? Und eine, die laut Feuilleton auch noch dringend nötig sein soll? Wegen der paar umstrittenen Zeilen in der Schlussansprache? Aber dann die Festwiese: das war schon gekonnt. Und ging auch unter die Haut. Sicher ist damit die umstrittenste aber wohl auch interessanteste Aufnahme des Werkes auf DVDs entstanden. Und unbedingt sehenswert, auch wenn‘s noch so herbei gezogen erscheint. Denn Star ist hier mal nicht der Sachs, sondern der Beckmesser. Zumindest wie ihn Michael Volle so schwergewichtig und großartig singt und spielt. Daneben zu bestehen, hat´s dann natürlich jeder Sachs schwer. Franz Hawlata aber schafft das ganz erstaunlich souverän. Sein Portrait des kettenrauchenden Schusters, ausgerechnet ohne Schuhe, ist einfach überzeugend. Auch die in dieser Deutung unterstellte Wandlung zum routinierten Kunstfunktionär macht er erschreckend nachvollziehbar. Klaus Florian Voigt gefällt mir stimmlich und vom lyrisch schönen Ausdruck her ganz ausgezeichnet, was schadet es, wenn er in den Ensembleszenen zu leise ist. Die anderen, ebenso wie der Dirigent, sind sicher sehr guter Durchschnitt, wie halt in Bayreuth schon länger üblich. So ist diese Inszenierung eine sehr interessante Alternative, und sei‘s nur, um wieder mal zu staunen, dass Wagners Genie nicht unterzukriegen ist. Auch nicht von seiner Urenkelin.

Außerdem ist diese Einspielung halt wirklich die einzige auf DVDs, mit neuem, wenn auch umstrittenen Deutungsansatz. Offensichtlich trauen alle anderen Labels, außer OPUS ARTE, dem Markt wenig Akzeptanz für das Regietheater zu. Die Inszenierung von Stefan Herheim aus Salzburg von 2013 ist zwar recht originell in ihrer Verzwergung der Darsteller vor haushohen Möbeln, aber doch kein neuer Deutungsansatz.

 

5. Coviello Classics COV 81201 DVD/Blu-ray vom Staatstheater Nürnberg 2014

Beckmesser der schöne Mann

Und es gibt sie doch: die Einspielung in moderner Optik und ohne Beschädigung des Werkes durch die Regie. Und besonders erfreulich ist, dass so eine schöne Aufnahme aus einem mittleren, früheren Stadttheater, ganz ohne die hochgejubelte Starelite, entstanden ist. Und so viel Neues bringt. In der Nürnberger Inszenierung von David Mouchtar-Samorai machen Elfen und Faune die manchmal recht rüde Prügel-Szene zum zauberhaftesten Sommernachtstraum. Und das ist nicht an den Haaren herbei gezogen, denn im Wahnmonolog singt Sachs ja in Erinnerung an die Prügelei im 2. Akt doch von einem Kobold! Das durchwegs abstrakt moderne und trotzdem stimmungsvolle Bühnenbild ist ein zweiter Pluspunkt: Endlich mal die Meistersinger nicht in örtlich deutlich festgelegter Nürnberg Kulisse, auch nicht in einer Schuhfabrik, wie neulich in Erfurt, sondern als allgemeingültige Parabel in abstrakter Umgebung. Das öffnet ganz andere Perspektiven auf das Werk, das frei von örtlichen und zeitlichen Festlegungen endlich die Allgemeingültigkeit erfährt, die Wagner ja auch meinte. Denn er wollte ja nicht nur die kulturelle Enge im Mittelalter Nürnbergs anprangern. Der dritte Vorzug, und etwas ganz Besonderes noch dazu, ist, dass hier der Beckmesser mit Jochen Kupfer recht attraktiv besetzt ist, und zwar sowohl stimmlich als auch vom Aussehen, so dass Eva eigentlich ihn erwählen müsste, zumal der Stolzing hier nicht so ganz überzeugt. Der vierte Vorzug ist der Sachs von Albert Pesendorfer, der völlig ohne Pathos einen sympathischen Schuster gibt, der allerdings wie Attila frisiert ist. Der fünfte und nicht geringste ist die musikalische Leitung von Marcus Bosch. Da hörte ich Nuancen, die mir noch nie aufgefallen sind: so zu Beginn der Kirchenszene die Cello- und Oboen-soli. Einfach herrlich.

Die Wahl unter den 5 Einspielungen ist dennoch gar nicht so schwer: wer’s ganz modern haben will, der wird die neuere Bayreuther Einspielung wählen. Und wenn ihm dabei die Poesie des Werkes verloren geht, die ja auch dazugehört, geschieht es ihm recht. Wer das nicht will, kann mit der Nürnberger Aufnahme zwei Fliegen mit einer Klappe treffen: Poesie und recht moderne Optik. Für Romantiker, die träumen und schauen wollen, sind die zwei erstgenannten aus dem älteren Bayreuth und der Met nicht zu toppen. Mir persönlich ist die Berliner Inszenierung mit ihrem herrlich ausbalancierten Mittelweg die sympathischste.

 

Sechsmal „Die Entführung aus dem Serail“

...als ob es 6 verschiedene Opern wären!

ARTHAUS Musik 102310 aus Glyndebourne von 1980

Osmin und die weiße Friedenstaube

Nicht nur weil er großartig singt und spielt steht Osmin (Willard White) im Mittelpunkt dieser klassischen Inszenierung von Peter Wood, er hebt sich vom Ensemble auch ab weil der Sänger ein Farbiger ist. Ein Inszenierungsgag, der heute sicher am Einspruch der Political-Correctness-Hüter scheitern würde, verbieten sie doch sogar, dass der Otello „schwarz“ ist. Und der Osmin ist ja nun auch nicht gerade ein Guter. So unverkrampft wie man damals mit solchen Problemen umging, ist die ganze Inszenierung. Und das hielt sie jung, obwohl sie doch schon 37 Jahre alt ist. Viele wunderschöne Ideen, so zum Beispiel, wenn Konstanze gleich zu Beginn einen jungen Sklaven befreit, der dann später dem lauernden Osmin die Lampe ausbläst. Aber auch der Pedrillo (James Hoback) als witziger Besserwisser mit Brille, der seinem weltfremden Belmonte wohltuend behütet, ist ein herrlich erfundener Typ. Außerdem hat er auch noch ein grandioses Hohes A drauf. Reichlich steif wird die sterile Konstanze (Valerie Masterson) aufgefasst, wie es damals halt üblich war. Keine Idee, dass ihr der Bassa vielleicht gefährlich werden könnte, wie das ja in heutigen Inszenierungen immer wieder zu Recht unterstellt wird. Aber auch keine Idee, dass sich der ebenfalls etwas sehr lahm dargestellte Bassa überhaupt für sie interessieren könnte. Und auch die Blonde (Lillian Watson) wirkt wie ein biederes Hausmütterchen. Das heißt nicht, dass beide Damen nicht trotzdem vorbildlich singen. Ähnliches gilt auch für Ryland Davies als, wie früher halt immer üblich, recht steifer Belmonte. Da grüßt dann doch das Opernmuseum recht deutlich. Für die damalige Zeit typisch ist jedoch das wirklich wunderschöne, opulent türkische Bühnenbild. Die Wahl von Gustav Kuhn am Pult überrascht mich dann aber doch sehr. Denn alles kommt so schwergewichtig daher, und es perlt so gar nichts im Orchester. Da scheint er seinen Wagner ja noch tüchtig im Kopf gehabt zu haben! Seine dramatischen Steigerungen allerdings haben es dann wirklich in sich. Da staunt man schon, was im Mozart alles drin steckt. Die beste Idee hat sich die Regie dann noch für den Schluss aufgehoben, da lässt nämlich der Bassa zum Jubelchor tatsächlich eine echte weiße Taube steigen. Heute für viele als naturalistischer Kitsch unvorstellbar, aber doch ungeheuer eindrucksvoll.

 

ARTHAUS Musik 107109 Maggio Musicale Fiorentino von 2002 als DVD/Blu-ray

Osmin und das Krokodil

Running Gag in dieser wunderschönen und witzigen Inszenierung ist ein riesiges Krokodil, das dem Osmin bei der Verfolgung der Fremden hilft und sich am Schluss sogar auch vor dem Vorhang verbeugen darf. Diese Idee ist allein noch nicht typisch für die Regie von Eike Gramss, denn er bietet auch noch die beste und ausgefeilteste Personenführung aller vier Aufnahmen. Und auch hier ist der Osmin wieder der Star: fast unverzichtbar wieder mal Kurt Rydl, mit dröhnender Bassgewalt und rollentypischem Gehabe, der allerdings dem Temperament seines quicklebendigen Blondchens (überwältigend lebhaft und putzig: Patrizia Ciofi) überhaupt nicht gewachsen ist und zum Pantoffelhelden mutiert. Das ist wunderbar gespielt. Sympathisch der freche Pedrillo Mehrzad Montazeris. Auch das ernste Paar (Eva Mei und Rainer Trost) kommt so locker daher, wie es diese Rollen überhaupt nur zulassen und singen mit etwas dramatischerem Ausdruck als sonst üblich, was der Spannung recht dienlich ist. Und Markus John gibt einen so sensiblen Bassa, der richtig erschrickt, als er der widerspenstigen Konstanze Gewalt androht, und den Rest der langen Marter-Arie mit stummen Demutsgesten um Verzeihung fleht. Das sympathischste und eindrucksvollste aller vier Bassa-Rollenportraits. Blieb zum völlig geglückten Eindruck dieser Aufnahme noch Zubin Mehtas Dirigentenleistung zu loben: man merkt immer wieder mit welcher Begeisterung er bei der Sache ist, und wie der Funke wunderbar auf die ganze Vorstellung überspringt. Ja und dann das Bühnenbild von Christoph Wagenknecht, der mit orientalischen Klischees geradezu genial zu spielen fähig ist, sie ironisch bricht und dennoch für jede Szene die genau richtige Stimmung zaubert. Man wird am DVD Markt keine bessere und werktreuere Einspielung finden. Wer aber eine moderne gebrochene Werksicht will, der wird vielleicht mit einer der beiden nächsten Aufnahmen glücklich werden.

 

ARTHAUS Musik 102 189, Stuttgart von 1998, auch als BlueRay

Osmin der Menschenschlächter

Ein großes weißes Huhn wackelt über die Bühne, viele Kinder, als putzige gelbe Küken verkleidet, um tänzeln es, und ein schaurig gruseliger Tod killt eines nach dem anderen, dazu singt dann das weiße Huhn „Welche Wonne welche Lust…“ und Pedrillo brütet ein Ei aus. Eine der typisch verrätselten Neuenfels Szenen, die zu entschlüsseln allmählich müde macht, weil man ja doch keine Chance hat. Aber dann kommen wieder Momente, bei denen einem beinahe das Herz stillsteht vor Betroffenheit, zum Beispiel beim Duett: „Welch ein Geschick“. Das kann er halt auch. Wenn die Protagonisten und ihre Doubles sich da gegenseitig trösten und stumm umarmen. Da wird es dann sehr sehr still im Theater. So auch bei der Arie „Traurigkeit ward mir zum Lose“, wenn er es in dunkler Finsternis schneien lässt! In jeder anderen Inszenierung singt Konstanze das ganz unpassend in freundlichster heller Umgebung! Aber dann knallt er im nächsten Moment schon wieder einen Gag hin, der das verblüffte Publikum zum Buhen und die Feuilletons zum Jubeln bringt. Langweilig wird es also nie. Und die Überfülle von Einfällen motzt die ja wirklich etwas zähe Geschichte recht wohltuend auf. So, wenn beim Janitscharen Chor eine wilde Meute mit aufgespießten Körperteilen und Kinderleichen auf die Bühne stürmt. Oder wenn der geradezu satanische Osmin mit abgeschlagenen Köpfen jongliert! Sicher, das ist alles ironisch gemeint, denn wie passt dieses Gefolge zum kultivierten Bassa? In dieser Rolle läuft Johannes Terne dem großen Moretti auf der Salzburger Aufnahme wirklich den Rang ab, weil er ganz unmanieriert und natürlich bleibt. Drum hat er auch als einziger kein Double. Alle anderen Figuren werden nämlich fast schizophren vielfältig gedoubelt, was allerdings auch wiederum nicht ohne Reiz ist. Dafür verlieren die Darsteller aber die Chance, Individualcharaktere darzustellen. Persönlichkeit über die Rampe zu bringen schafft eigentlich nur Catherine Naglestad als Konstanze. Sowohl Belmonte als auch Blonde bleiben blasse Klischee-Schemen. Gesanglich sind alle bestimmt überm Durchschnitt, ohne aber irgendwie im Gedächtnis zu bleiben. Dafür steht der Regisseur mit seinen Einfällen zu sehr im Mittelpunkt. Fazit: sicher die spannendste der 6 Inszenierungen, wenn man halt bereit ist, sich auf die Ideen des Regisseurs einzulassen.

 

ARTHAUS Musik 102 183, Salzburger Festspiele von 2013 DVD/Blu-ray

Osmin am Flugplatz

Natürlich lässt solch ein altmodischer Stoff zeitgemäßen Regisseure keine Ruhe, bis sie ihn modernisiert haben. Adrian Marthaler verlegt gleich das Ganze in einen Flugzeughangar. Die Stimmung ist damit natürlich unwiederbringlich gekillt. Und die Logik der Handlung auch, denn der unselige Bassa ist hier ein Star-Modeschöpfer. Wie kann der aber nun gleich 3 Personen entführen und gefangen halten? Und warum gehen die nicht einfach aus dem blöden Flughafen nach Hause? Ende der Oper! Und wieso können Konstanze auch hier noch „Martern aller Arten“ drohen? Als Bassa brilliert Tobias Moretti zwar mit seinem von ihm eigens verfassten Texten, bleibt aber zwangsweise als „Modeschöpfer“ nur ein schlecht gelaunter Papiertiger. Doch das stört wohl niemand, denn eine Handlung findet ja ohnehin nicht statt, weil alle halt irgendwo ihre Arien singen und das Publikum von Ort zu Ort brav hinterher läuft. Die ganz vorne stehen, die dürfen sogar was sehen. Ich staune nur, was sich die Leute für hohe Preise alles bieten lassen. Außerdem sorgt die aufgewendete Riesentechnologie auch noch dafür, dass die Sänger wie aus dem Computer klingen und gar nicht mehr „menschlich“. Die riesigen Lautsprecher erzeugen nämlich einen Retortensound. Eine faire Bewertung ist da nicht möglich, zumal sie auch dauernd über ewig lange Gangways gehen müssen und in akustisch ungeschickter Umgebung stehen. Beim finalen Abflug der ja eigentlich gar nicht zu Befreienden findet schließlich noch eine tolle Modenschau statt, und da jubelt dann das Schickimicki Publikum erst so richtig los. Mein Fall ist dieses von Technik und Flughallen bestimmte Experiment nicht und Mozart rotiert bestimmt in seinem Massengrab.

Also doch wieder die Qual der Wahl? Nein, eigentlich ists ganz einfach: wer Mozarts „Entführung“ pur erleben will, für den ist die Florenzer Aufnahme sicher beglückend. Wer aber eine aufregend unkonventionelle vorzieht, wird bei der Stuttgarter von Neuenfels wirklich voll auf seine Kosten kommen. Am besten legt man sie sich aber beide zu und schaut sie abwechselnd an.

(Anhang: Die Neuenfels Inszenierung ist tatsächlich die einzige akzeptable moderne Alternative auf DVD. Denn die Labels scheinen offenbar fürs Regietheater am Markt kaum Verkaufschancen zu sehen. So wagen von den fast 20 Einspielungen der „Entführung“ ,die ich kenne, nur 3 bis 4 neue Wege. Eine ist von Stefan Herheims, dessen musikuntermalte Bilderflut aus Salzburg von 2006 allerdings mit Mozarts Werk fast wirklich nichts mehr zu tun hat. Seine Bildassoziationen sind auch bei wiederholtem Ansehen für mich recht unverständlich. Da er aber auch noch eine so wichtige Figur wie gerade den Bassa (!) einfach weglässt, kommt der Verdacht auf, dass es ihm wohl gar nicht um Mozarts Ideen von Toleranz und Versöhnung geht, die ja gerade heute wieder so wichtig sind, sondern wohl mehr darum, sich und seine verquere Auffassung zu produzieren. Und Loys 2012 im Liceo veranstaltetes ebenso spartanisches wie emotionsloses Getue in kärgster Umgebung und Staffage gibt mir einfach zu wenig. Dann gleich konzertant!)

 

Fünfmal CARMEN

Vergleichender Rückblick auf fast 40 Jahre Regiegeschichte.

I. als beinahe schon historisches Dokument: ARTHAUS-Musik 109096 von 1978

Gewandet wie ein Großadmiral steht er da, der Placido Domingo, obwohl der Don Jose doch eigentlich ein armer gequälter Hund ist, er aber dominiert mit seiner enormen Bühnenpersönlichkeit das Geschehen und singt wie ein Gott. Nur glaubt ihm keiner, dass er wegen Elena Obrastzova, die ebenso aufgedonnert wie er, gleich einer Großherzogin statuarisch herumsteht, zum Mörder werden würde. Zwar singt sie herrlich, aber erotische Ausstrahlung hat sie nicht einen Funken. Die Bühne wird dauernd von riesigem Menschengewutzel überflutet, das Altmeister Zeffirelli gewohnt genial führt, und zeigt, wie ein Bilderbuchspanien seiner Meinung nach auszusehen hat. Und Carlos Kleiber führt den jungen Hupfern von Dirigenten vor, was aus der Carmen Musik noch alles heraus geholt werden kann, wenn man nur so genial ist wie er. Das Finale erreicht dann auch wirklich die gewaltigen Dimensionen einer großen klassischen Tragödie - nur ist das halt nicht Carmens Welt. Trotzdem oder gerade deshalb: ein ungeheuer eindrucksvolles Dokument einer vergangenen großen Opern Ära.

 

II.  das geht schon richtig unter die Haut und zeigt echte Charakterzeichnung.   ARTHAUS-Musik 100096 von 1991

Was sich in den 13 Jahren, die zwischen den beiden Aufnahmen liegt doch alles bewegt hat ist schon erstaunlich. Der Don Jose wird hier als wirklich geschundene Kreatur gezeigt, als eigentliches Opfer nicht nur des ausgefuchsten Luders Carmen, sondern auch der herrschenden Gesellschaftsschicht. Das ist schon ein ganz moderner Ansatz, der nur im pseudo-spanischen Kulissenzauber leider beinahe erstickt, wenn die beiden Protagonisten nicht so hinreißend agieren würden: vor allem Don Jose Luis Lima, als armer getriebener Hund, singt zwar bei weitem nicht so gut wie der Placido, ist aber eigentlich der überzeugendste Darsteller aller fünf Aufnahmen. Das erotische Feuerwerk der so ungeheuer vielseitigen Maria Ewing (vom Cherubin bis zur Salome ist sie gleichermaßen überzeugend) zündet auch heute noch. Zubin Metha dirigiert routiniert und macht nichts falsch, aber so ganz hingegeben bei der Sache scheint er mit nicht zu sein. Facit: Wegen der beiden Hauptdarsteller auch heute noch packendes Musiktheater vor schöner Spanien-Kulisse.

 

III. sehr traditionelle Opernregie aber in sehr modernem Bühnenbild OPUS ARTE OA 1197D von 2006/2010

Wäre da nicht das so moderne und optisch anspruchsvolle Bühnenbild, könnte man diese Einspielung von der Regie her für gut 20 Jahre älter halten. Francesca Zambello bringt kaum Neues oder gar zeitgemäßes, vor allem das Finale scheitert schon am Kostüm der vornehm in Staatsrobe, mit Cul-de-Paris, gekleideten Carmen und erinnert eher an die Auseinandersetzung einer Großfürstin mit einem renitenten Domestiken als an ein tödliches Liebesdrama. Dabei singen und spielen Christine Rice und Bryan Hymel wirklich sehr packend und überzeugend. Der Menschenauflauf auf der Bühne erreicht vorher fast die Dimensionen des seligen Zefirellis, das ist alles sehr schön, aber was trägt es zum Handlungsablauf bei? Wer opulentes Bühnengeschehen liebt, der kommt allerdings voll auf seine Kosten. Das wirklich künstlerisch wunderbar gelungene leicht abstrakte Bühnenbild mit sehr schönen Lichteffekten hebt die Aufnahme weit aus vielen allen anderen hervor.

 

IV. als fesselnde Revue im Freilichttheater OPO Z56042 von 2013

Also allein schon diese Kulisse im Hafen von Sydney vor der gewaltig lichterfunkelnden Hochhauskulisse überwältigt bis zum Schluss immer wieder. Lenkt aber auch vom eigentlichen Drama zwischen den beiden Hauptakteuren sehr ab. Allein was solls, es ist halt wirklich ein toller Hingucker, der bis zum Schluss immer wieder aufs Neue fasziniert und begeistert. Aber auch sonst wird allerhand geboten: da schweben Panzer und LKWs durch die Luft und ein bunter Chorreigen zeigt, was bei einer Freilichtaufführung alles möglich ist. Das Drama kommt dabei nicht zu kurz, denn dafür sorgen schon die beiden sehr engagierten Hauptdarsteller Rinat Shaham und Dmytro Popov. Vor allem der Tenor wagt als einziger in den 5 Aufnahmen das vorgeschriebene Piano beim „Hohen B“ am Ende der Blumenarie. Respekt, bei diesen riesigen räumlichen Dimensionen. Ob das alles aber bis zum Publikum so gut rüber kommt wie auf der DVD? Für meinem kleinen geschichtlichen Rückblick ist jedenfalls interessant, dass die Regie hier doch viel mehr an intimen Ausdrucksebenen wagt, als das in der Arena von Verona immer geschieht, wo ja viel mehr auf plakative und damit gröbere Effekte gesetzt wird. Es geht aber auch anders, wie man hier sieht. Und das macht diese DVD so spannend: als extravagante farbige Revue zum Thema Freiluft-Carmen.

 

V. mal als Beispiel für bestes modernes Regietheater Cmajor 750208 von 2011/16

Vom skandalumwehten Calixto Bieito hätte ich mir eigentlich eine Horrorinszenierung erwartet. Doch er bietet hier eine wirklich werkgerechte und spannende Regie, die unter die Haut geht. Und sie bringt die Handlung zwingend auf den Pinkt, vermeidet überflüssigen Folklorekitsch wohltuend und zeigt auch noch völlig neue, aufregende Aspekte. Nun hat er mit Beatrice Uria - Monzon aber auch eine Vollblut-Carmen, wie man sie sich nicht besser wünschen kann. Da ist jede Geste, jede Bewegung gelebt, spannend und voller Erotik. Der viel zu kultivierte Roberto Alagna macht seine Sache zwar recht gut, doch passt er zu diesem Naturereignis von Partnerin so gar nicht recht. Erwin Schrott ist nicht der lackierte reich kostümierte Opernstar, sondern ein schmieriger Schiebertyp – einfach großartig! Die Bühne als runde Sandarena konzentriert die Handlung auch optisch stimmungsvoll aufs Wesentliche. Der Chor besteht nicht aus edlen Spanierinnen sondern zeigt wirkliche Menschen, die um ihre Existenz kämpfen.

Vergleicht man diese Aufnahme nun mit der ältesten hier besprochenen, wird überdeutlich, welchen Weg die Opernregie in den fast 40 Jahren, die dazwischen liegen, gegangen ist. Man könnte beinahe meinen, es handele sich um zwei ganz verschiedene Opern.

Welche Aufnahme ich mit auf die berühmte einsame Insel nehmen würde? Sicher diese, weil sie mir bei jedem Mal immer wieder neue Aspekte aufzeigte.

 

Zweimal AIDA

einmal neu und einmal alt, und beide hochinteressant!

Der Regisseur Peter Stein hatte den lobenswerten Plan, endlich mal eine Aida ohne den ägyptischen Kunstgewerbeplunder zu inszenieren. Bei dem Label Cmajor erschien das Ganze 2015 auf DVD. Und ist unter den fast zwei Dutzend Aidas auf DVD die einzige derartige, sieht man mal von Wilsons ebenso kraftloser wie ästhetischer Rumstehgymnastik ab. So erkannte Stein auch richtig, dass Aida kein Massenpompstück ist, sondern ein Kammerspiel für 3 bis 4 Personen. Dazu braucht es natürlich singschauspielerisch begabte sensible Darsteller. Und die hatte er beinahe auch gefunden. Was vor allem die beiden Damen an darstellerischer

Ausdrucksgewalt bieten, verdient alle Bewunderung. Aber nun kommt in der Aida ja auch ein Tenor vor. Und damit beginnt der Ärger. Was um Himmelswillen hat die Verantwortlichen nur bewogen, für solch eine Inszenierung ausgerechnet Fabio Sartori zu wählen? Außer unbeteiligt herumzustehen und völlig gleichgültig zu schauen, hat er doch nur noch seine ungeheure Leibesfülle zu bieten. Manchmal erinnert er mich an den seligen Pavarotti. Aber selbst der war geradezu ein Kammerschauspieler neben diesem Phlegma. So groß ist der Tenormangel doch wirklich nicht, dass sogar die Scala keinen Besseren auftreiben könnte. Selbst die „Holde Aida“ blieb ohne Applaus! Und das in Italien! Umso erstaunlicher dann, was zum Beispiel Anita Rachvelishvili als Amneris in dem herrlichen Duett des 4. Aktes leistet. Sie wuchtet im Alleingang eine solch dramatische Stimmung auf die Bühne, dass man den Dicken an ihrer Seite ganz vergisst. Bewundernswert. Aber auch die aparte Kristin Lewis als Aida füllt ihre beiden Duette im 3. und 4. Akt mit leidenschaftlicher Spannung auf. Und das ohne jede Unterstützung des wieder gleichgültig rumstehenden Tenors. Dass sich seinetwegen gleich zwei Frauen fetzen sollten, ist unvorstellbar. Amonasro (George Gagnize) und Ramfis (Matti Salminen) röhren ihre Partien mit beeindruckender Stimmgewalt, zu mehr waren sie wohl nicht in Stimmung. Zubin Metha zelebriert ungeheuer souverän und routiniert seine wohl hunderttausendste Aidavorstellung. Großartig aber auch die konzentriert stimmungsvollen aber schnörkellosen Bühnenbilder von Ferdinand Wögerbauer.

Außerordentlich ist die Entstehung der zweiten Aufnahme, die nun schon 15 Jahre alt ist und immer noch frisch und jung wirkt: zu einem Workshop hatte Carlo Bergonzi 2001 junge Sänger nach Busetto eingeladen, mit ihnen hart gearbeitet und das tolle Ergebnis der Aufführung zum 100. Todestag Verdis als DVD bei ARTHAUS vorgelegt. Und man kommt aus dem Staunen nicht heraus! Sicher, die Stimmen sind alle noch sehr lyrisch und relativ klein. Doch das störte in dem Theaterchen mit gerade mal 380 Plätzen überhaupt nicht. Aber welche künstlerische Ausdrucksreife wurde da erreicht! Da standen die Jungen den großen Stars kaum nach, und das zeigt wieder einmal, wieviel Marketing bei mancher großen Karriere doch mit im Spiele ist. Nun singen und spielen die 4 aber auch als ob es um ihr Leben ginge, dabei sind sie noch nicht mal 25 Jahre alt. Wie die aparte Adina Aaron als Aida im Nil Akt den Radames einwickelt, das ist in keinem erotischen Kinothriller besser zu sehen. Und dieser Tenor macht auch glaubhaft, dass die Damen sich um ihn streiten. Denn Scott Piper singt nicht nur toll, wenn auch damals noch rein lyrisch, was beim dramatischen Schluss des 3. Aktes schon auffällt. Er spielt auch noch fantastisch und sieht zu allem Überfluss auch noch so aus wie einer, der Frauenherzen reihenweise brechen könnte.

Die damals gerademal 23 !!! Jahre alte Kate Aldrich als Amneris steht den beiden anderen nicht nach an intensivem Spiel. Natürlich hat sie z.B. für den Beginn des 4. Aktes die großen Töne noch nicht, wie sie ihre Kollegin auf der anderen Aufnahme mühelos aus ihrer Kehle holt. Ihr eindrucksvolles Singen reißt trotzdem mit. Kein Wunder, dass sie inzwischen, wie auch die anderen, an den großen Opernhäusern singt und auch auf DVDs und CDs vertreten ist. Erst neulich feierte sie als Carmen mit Jonas Kaufmann in Orange Triumphe. Und aus dem damals noch sehr lyrischen Scott Piper ist jetzt ein eindrucksvoller Otello geworden. Adina Aaron singt ihren Verdi und Puccini überall noch mit derselben erotischen Spannkraft wie damals. Giuseppe Gara hat es dagegen viel schwerer, eine solch komplexe Persönlichkeit wie den Amonasro als junger Sänger darzustellen und zu singen. Da ist die fehlende Heldenbaritonstimme halt durch noch so große Begeisterung nicht zu ersetzen. Massimiliano Stefanelli holt aus dem kleinen, meines Wissens ad hoc zusammengestelltem, Orchester alle Spannung und allen Schönklang heraus, den Verdi braucht. Man meint der Geist des Alten hätte alle an diesem Ort befeuert. Wie groß Zefirellis Verdienst an dem Wunder ist lässt sich schwer feststellen, seine erfahrene Regiehand hat sicher viel geholfen. Aber das Supertalent haben die 4 wohl schon mitgebracht. Wer das unaufdringlich schöne aber völlig traditionell gestaltete Bühnenbild entworfen hat, geht aus dem Cover nicht so klar hervor, die schicken Kostüme sind von Anna Anni.

Schwer ein Facit zu ziehen? Überhaupt nicht! Einfach beide zu kaufen. Es lohnt sich! Denn beide Aufnahmen haben ja ihre Meriten: Wer junge überrumpelnd eindrucksvolle Singschauspieler fern jeder Routine erleben will, wird von der Aufnahme bei ARTHAUS voll begeistert sein. Ich kenne keine, bei der so oft jubelnder Szenenapplaus ertönt. Und so wie der Funke auf das im Theater anwesende Publikum übergesprungen ist, springt er sogar auch noch beim Ansehen der DVD über. Und man fühlt sich wieder so jung und glücklich wie in den ersten seligen Opernjahren, als wir vor Begeisterung und Opernglück bei jedem Theaterbesuch beinahe gestorben sind und uns beim Applaus heiser gebrüllt haben. Bravo!

Die Aufnahme bei Cmajor wäre dagegen völlig konkurrenzlos als einzige, wenn auch nur halbwegs, „moderne“ Inszenierung ohne Ägyptisches Kunstgewerbekolorit. Wenn es halt das schauspielerische Tenorfiasko nicht gäbe. Sie ist dennoch die einzige Lösung auf DVD für alle, die es wenigstens etwas „moderner“ wollen. (An die neueren Aidadeutungen trauen sich die Labels wohl nicht so richtig ran, offenbar zu Recht befürchtend, dass das Aidapublikum auf sein ägyptisches Kolorit halt nicht verzichten will. Da wäre sonst zum Beispiel die in Leipzig 2008 von Peter Konwitschny wieder aufgewärmte uralte Aida von 1997 aus Meinigen/Graz zu nennen. Oder die von Gürbaca aus Zürich oder…oder....                  

 

Zweimal DON GIOVANNI

Gleich zwei Volltreffer

Von manchen der ganz großen Opern gibt es leider noch nicht mal eine einzige DVD-Aufnahme, die man wirklich ehrlichen Herzens empfehlen kann. Vom Don Giovanni habe ich jetzt gleich zwei sehr interessante gefunden, und die Qual der Wahl ist groß.

Wer eine im besten Sinne klassische Inszenierung ohne modernistische Regie-Mätzchen sucht, der wird von der Opus Arte Aufnahme in der geistreichen Regie von Francesca Zambella begeistert sein. Was sie aber von ihrem Titelhelden an körperlicher Agilität verlangt, könnte wohl kein anderer als der akrobatische Simon Keenlyside leisten, der sogar senkrechte Wände im 1. Finale effektvoll hochklettert, und im Schlussbild splitternackt auftritt. Dass er rein stimmlich bei diesem körperlichen Totaleinsatz nicht auch noch eine absolute Bestleistung erbringen kann, ist ganz natürlich. Das gilt auch für seinen charmanten Diener Kyle Ketelsen, der rein darstellerisch zu den allerbesten gehört, die ich je erlebt habe, und meine Erinnerung geht bis zum legendären Erich Kunz zurück. Eric Halverson ist stimmlich ein wirklich bedrohlicher Komtur, doch die Regie unterstützt das Dämonische in der Schlussszene zu wenig, weil er viel zu tief steht, zumindest scheint es auf der DVD so. Ramon Vargas singt herrlich und was verlangt man von dem so unerträglich edlen Don Octavio schon mehr. Bei den 3 Damen wird stimmlich allererste Sahne geboten: Marina Poplavskaya ist eine schönstimmige und wie überall gewohnt sehr strenge und unnahbare Donna Anna, Joyce di Donato verkörpert die dauernd lyrisch gekränkte Elvira und bei beiden verstehe ich eigentlich nicht so ganz, was sie für den Don so reizvoll machen soll. Bei der Zerline Miah Perssons ist das schon eher nachvollziehbar. Aber das ist ja bei allen Inszenierungen so.

Zum Glücksfall wird die Aufnahme aber auch noch durch die mitreißende Art des Dirigierens von Altmeister Charles Mackerras: das blitzt und blinkt und hat doch den großen Atem. Gäbe es die zweite heute zu besprechende Aufnahme nicht, wäre die Wahl ganz leicht: diese und keine andere!

Doch auch die andere Aufnahme besticht gleich mehrfach: Erstens fährt der Regisseur Pier Luigi Rizzi ein großartiges erotisches Feuerwerk auf, das bei der Premiere sogar einigen prüden Puristen schon wieder zu viel war. Doch der Don ist ja nun mal ein leibhaftiges Erotikon, und da wäre es doch völlig unglaubhaft, wenn er nicht auch so richtig zur Sache käme. Dabei beachtet der Regisseur ja ohnehin die feine Ästhetik der Schäferspiele im Rokoko und wird nie ordinär oder gar plump. Geistreich ist das Ende des Don: er wird von vier Nackten zu Tode geliebt. Zweitens ist die Personenführung derart temperamentvoll, dass es schon eine Wonne ist, schmunzelnd und vergnügt zu erleben, wie es zum Beispiel der vor erotischer Ausstrahlung strotzende Ildebrando d’Arcangelo so treibt. Nun singt er ja auch noch beeindruckend großstimmig, wenn auch oft leider etwas zu grob. Sein Schlitzohr von Diener (Andrea Concetti) steht ihm in keiner Weise nach. Die „Registerarie“ gestaltet er sogar zu einer witzigen Lektion in der Verführung einer dann auch gar nicht mal abgeneigten Dame. Diese Elvira ist ein völlig vom Klischee abweichender Typ: temperamentvoll und explosiv. Carmela Remigo macht das ganz großartig und singt dazu auch noch leidenschaftlich. Und auch Donna Anna ist nicht der übliche strenge Nonnentyp, sondern durchaus erotischen Wesens und dem Don in der Anfangsszene recht zugetan, was von der Idee her ja nicht ganz neu ist, aber voll überzeugt. Mit Myrto Papatanasiu wurde auch hier die ideale Besetzung gefunden. Und noch ein kleines Wunder für mich: endlich mal ein Don Octavio der Temperament zeigen darf, Marlin Miller ist dafür der richtige Sänger-Darsteller. Die Zerline von Manuela Bisceglie ist so hinreißend und unwiderstehlich, wie es sich gehört. Und Enrico Iori orgelt seinen Komtur in schönster Bassgewalt, wenn auch sein Nachthemd nicht allzu dämonisch aussieht.

Drittens und letztens befeuert der Dirigent Ricardo Frizza Mozarts Musik so hinreißend, dass die Wahl zwischen den beiden Aufnahmen wirklich schwer fällt. Da gibt es nur eine und noch dazu ganz einfache Lösung: beide kaufen! Denn zusammen ergänzen sie sich zur wirklich idealen Aufnahme.

 

Zweimal Fidelio

einmal von Beethoven und einmal von Klaus Guth

Für die Regie ist „Fidelio“ sicher eine Monsteraufgabe. Schon allein die Dialoge: Welcher Sänger kann sie überzeugend sprechen? Zumal die Texte völlig antiquiert und auch oft unerträglich naiv sind! Klaus Guth fackelte da nicht lang und ließ sie einfach weg. Darüber könnte man noch reden, aber dass dafür ein elektronisches Brummen und Murmeln ertönte, wollte zu Beethovens erhabenen Tönen überhaupt nicht passen, und so entstand beinahe eine neue Oper gleichen Namens. Zumal das Hin und Hergefahre des schwarzen Ungetüms auf der Bühne die Handlung nicht verständlicher machte. Und dann noch die modisch schicke Verdoppelung der Leonore! Mit penetranter Gestik in einer Art Taubstummensprache gab sie weitere Rätsel auf. Das hielt zwar in dauernder Spannung, was das denn nun wohl zu bedeuten habe, ist aber wirklich nichts für Opernneulinge! Dem erfahrenen Kenner jedoch boten sich wirklich interessante Assoziationen mit häufigen Aha-Erlebnissen, auch durch die dauernd wechselnden Schattenprojektionen.

Da Franz Welser-Möst wie immer spannend auf höchstem Niveau musizieren ließ und die Sängerriege optimal spielte und sang war das Ganze dann doch äußerst eindrucksvoll, und machte sogar mich bereit, einige Unsinnigkeiten halt in Gottes Namen zu akzeptieren. Adrianna Pieczonka sang wie um ihr Leben und Tomasz Koniecny bot eine interessante Spielart des Bösen, abseits aller Klischees. Hier passte sein eigenartiges Stimmtimbre auch hervorragend, besser als zum Wotan. Hans-Peter König überzeugte mit seiner herrlichen Stimme, die Regie ließ ihm aber im Habitus eines Großkonsuls mit Spazierstock keine Chance, irgendwie ein glaubwürdiger Kerkermeister zu sein. Ja und Jonas Kaufmann spielte mit Hingabe wieder mal, wie schon in Guths Lohengrin, einen Epileptiker, der zuckend am Boden liegend, Angst vor dem Jubel hat und prompt zum Schluss stirbt, was so gar nicht zur Musik Beethovens passen will.

Da Jonas Kaufmann auch in der 11 Jahre älteren Aufnahme aus Zürich den Florestan singt, sind interessante Vergleiche möglich. Seine Stimme setzt er jetzt total abgedunkelt im Stile des unseligen Mario del Monacos ein, so dass man den Eindruck hat, ein Bariton singe. Zur Klangbalance der Aufführung trägt das nicht unbedingt bei. Bewundernswert aber ist seine Fähigkeit, dennoch herrliche Pianotöne zu erzeugen, was dem Italiener ja nicht gegeben war. Rein stimmlich gefällt mit der frühere Jonas Kaufmann, als er noch wie ein Tenor klang, viel besser. Flimms Inszenierung ist vergleichsweise frei von Regiemätzchen und erzählt das Geschehen gut verständlich und sinnvoll. Jedes Kind könnte da der Handlung folgen, und so sollte es ja auch sein. Trotzdem: spannender, wenn auch häufig recht unverständlich, das sei eingeräumt, ist Guths Inszenierung. Zumal Hornoncourt in großer Ruhe alle Details herausarbeitet, aber nicht gerade mitreißend flott und packend   spielen lässt. Camilla Nielund ist meine Lieblings-Leonore, da bin ich voreingenommen. Alfred Muff ist der denkbar gemütlichste Pizarro, so stellt man sich eigentlich den Rocco vor, der wiederum mit Laszlo Polgar fast zu interessant besetzt ist. Und Günther Groissböck als Ministers ist purer Luxus, eigentlich nicht zu toppen, wenn da die andere Aufnahme nicht Sebastian Holocek aufweisen könnte.

Nun fällt die Wahl zwischen den beiden Fidelios diesmal nicht allzu schwer: wer Beethoven pur will trifft mit der Arthaus DVD wirklich eine hervorragende Wahl. Wer aber Fidelio schon in- und auswendig kennt und sich auch mal über ein Regie Detail aufregen will, den wird die Sony Aufnahme als wirklich spannende Neuschöpfung begeistern.    

 

Zweimal TRISTAN UND ISOLDE

WAGNER: „Waltraud Meier und Isolde“

Drei Aufnahmen des „Tristan“ mit Waltraud Meier gibt es auf DVDs und alle drei kranken letzten Endes an der Regie. Von der Bayreuther sagte sie selbst, dass Heiner Müller weder die Musik noch sein Handwerk verstand und in der Mailänder hat sie ja nun leider diese hässliche Blutspur dauernd entstellend quer im Gesicht. Ich habe überhaupt nichts gegen das sogenannte Regietheater, so lange das Werk im Vordergrund steht und nicht ein Regisseur meint, es besser zu können als ein Jahrtausendgenie wie Richard Wagner. Bei der DVD Aufnahme von 1999 aus München hat nun ein gnädiger Kameramann den Regieunsinn optisch weitgehend ausgespart und dafür Waltraud Meiers geniale Interpretation in den Vordergrund gestellt. Das mag zwar ungerecht den anderen Sängern gegenüber erscheinen, entspricht aber voll der Singularität ihrer Darbietung. Allein schon zu sehen, wie sich das ganze gewaltige Drama in ihrem Gesicht wiederspiegelt, ist den Kauf dieser DVDs wert.

Dabei werden die Regiemätzchen Konwitschnys mit dem albernen weißen Dampfer und den Longdrinks mit bunten Schirmchen dankenswerter Weise ebenso ausgeblendet, wie das knallgelbe Ikea Sofa, das Tristan im 2. Aufzug hinter sich herschleppen muss. Das alles existiert neben dieser Rollenfaszination einfach überhaupt nicht mehr, hat keine Bedeutung. Hier singt und spielt eine Ausnahmesängerin um ihr Leben, um ihre Liebe um ihren Tod. Um einen dabei völlig mitzureißen, dazu müsste sie noch nicht einmal diese großartige Stimme haben. Ihre Ausstrahlung allein genügt schon. Ich gebe ja zu, dass ich von Waltraud Meier fasziniert bin, schon seit ich die blutjunge Sängerin vor vielen Jahren in Würzburg als „Stimme der Mutter“ in Hoffmanns Erzählungen zum ersten Mal erlebte. Das wird eine Weltkarriere, so war mir sofort klar. Umso kritischer höre ich bei ihr aber deshalb immer wieder zu, um einen akzeptablen Rest von Objektivität zu behalten.

Bei den neueren Aufnahmen kommt ihr im mitreißenden Ausdruck höchstens noch Evelyn Herlitzius gleich. Sie wird aber von Katherina Wagners Inszenierung, beinahe in Ihrer Leistung gekillt, so wie alle anderen ja auch, die da mitwirken müssen. Nur Wagners Musik überlebte diesen inszenatorischen Amoklauf knapp.

Umso erfreulicher also, dass es diese Aufnahme noch gibt.

 Es gibt aber noch zwei andere Gründe, um diese Aufnahme gerade jetzt zu besprechen, nämlich weil Waltraud Meier eben ihr 40. Bühnenjubiläum hat und sie die Isolde jetzt ja nicht mehr singen will. Gott sei Dank bleibt sie uns wenigstens auf diese Weise erhalten.

Neben der schon legendären Aufzeichnung aus Bayreuth von 1991 in der wunderschönen Inszenierung von Ponelle ist diese wohl rein optisch die schönste, die es gibt. Alle Ästheten, die von der Schönheit einer Szene gerne überwältigt werden wollen, müssen einfach begeistert sein. Dabei, und das ist wichtig, dient die Schönheit hier voll dem Gesamt-Ausdruck und ist keineswegs langweiliger Selbstzweck. Allein schon um das herrlich tiefe Blau im Bühnenbild des 2. Akts und beim Liebestod zu sehen, würde sich der Kauf lohnen. Der Bühnenbildner Roland Aeschlimann hat da ganz große Maßstäbe gesetzt. Und die riesige bühnenfüllende Spirale als farbig immer wieder neu erstrahlendes

Einheitsbühnenbild realisiert Wagners Ideal-Vorstellung von der Einheit des Raumes ganz wunderbar. Zum Glücksfall aber wird diese Einspielung, weil sie auch noch musikalisch zu den Besten am Markt gehört. Dafür sorgt der Dirigent Jiri Belohlavek ebenso, wie die durchwegs hervorragende Besetzung. Die jugendlich strahlende Nina Stemme begeistert als Isolde ebenso, wie der mit enorm heldischen Material auftrumpfende Robert Gambill als Tristan, der vielleicht nicht die allerschönste Stimme hat, aber sehr ausdrucksvoll singt, was für diese anspruchsvolle Riesenpartie ohnehin wichtiger ist. Boje Skovhus als stimmstark treuer Kurwenal und Rene Pape als verzweifelt klagender, enttäuschter Marke, ergänzen das Meisterquartett, das durch Katarina Karneus zum überzeugenden Solistenquintett wird. Der erfahrene Regisseur Nikolaus Lehnhoff ist bekannt für sein Understatement auf der Bühne, was sich wohltuend von all dem aufgeregten und doch oft nichtssagenden Gehample unterscheidet, das so mancher seiner neumodischen Kollegen von seinen Sängern verlangt. Welcher Regisseur begreift heute wohl überhaupt noch die gigantische Leistung, die allein schon das reine Singen solcher Monsterpartien darstellt?

Die Kassette enthält neben der Gesamtaufnahme, übrigens luxuriös gleich auf 3 DVDs Akte weise verteilt, auch noch eine Zugabe: Richard Trimborns musikwissenschaftliche Darlegungen zum Werk, die auch sehr erfahrenen Zuschauern noch viel Neues bringt!

Vergleicht man diese Einspielung, die immerhin schon aus dem Jahr 2008 stammt, mal nur rein szenisch, mit der neuesten von 2015 aus Bayreuth, beweist sich überdeutlich die alte Binsenweisheit, dass das Neue bei weitem nicht immer das Bessere ist.

DER OPERNFREUND  | opera@e.mail.de