TOKYO - NEUES NATIONALTHEATER
Fotos: Wiki / TNA-HP
2.6.15 - die vierte Vorstellung der WA-Reihe
Premiere war am 6.6.2007
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Auch hier in Tokyo kann man dieses Meisterwerk stilgerecht inszeniert und erstklassig besetzt und gesungen erleben! Das war mein erster Gedanke nach der Vorstellung. Der englische Regisseur Jonathan Miller verlegte die ganze Handlung zwar ins Jahr 1912, in dem vieles in ganz Europa zu schwanken und zu verändern begonnen hat. Er versucht damit die Verwandlung der Zeit spürbar zu machen, und dieser Versuch hatte Dank Isabella Bywater, die vertraute Produktionspartnerin des Regisseurs als Bühnenbildnerin und Kostümbildnerin auch sichtbaren Erfolg, denn auch am Anfang des 20. Jh. gab es solche Herren wie Ochs und Faninal, die nur aus ihren Interessen die Ehe schließen wollten. Miller holt auch viele witzigen Details heraus und das Publikum solche entdecken, etwa mit kleinen Gags mit dem „Paruckl“, das den Baron Ochs auch beim Applaus begleitet. Auch die Beleuchtung von Mutsumi Isono trug zum Erfolg der Produktion wesentlich bei.
Stefan Soltesz ist zweifellos einer der besten Kapellmeister und Musikdirektoren in unserer Zeit und bewies seine Kunst auch hier. Trotzdem musste ich mich fragen, ob diese Wahl in der gesamten Konstellation die beste war. Tokyo Philharmonic Orchestra spielte fein detailliert und technisch hervorragend, aber es fehlte streckenweise die aktive Beteiligung und musikalische Initiativeübernahme des Orchesters, besonders wo es absolut notwendig war. Ich hatte das Gefühl, das Orchester hatte manchmal Schwierigkeit mit dem Maestro, bessergesagt mit dem traditionellen Kapellmeister-Dirigat, das Soltesz logischerweise perfekt besitzt. Für ein Nicht-Opern-Orchester ist es wirklich nicht leicht danach zu spielen, denn in einem Konzert „passiert etwas“ nicht allzu oft. Es sei denn, jeder Musiker kennt das Stück wie im Haus am Ring… Deshalb kam ich auf obige Frage, jedoch gehört sie schon zu den Luxusfragen, denn es lag nicht an jemandem, sondern an der Konstellation, und so einen echten Maestro kann man ja in Tokyo nicht jeden Tag erleben.
Sängerisch hatte das Publikum ein großes Vergnügen, nicht nur weltklassige Gäste, sondern bestens besetzte Sänger auch aus dem eigenem Land kennenzulernen. Die unschlagbare Anne Schwanewilms als Feldmarschallin gab ihr schönstes Legato, wie immer von vorne an bis zum letzten Ton tadellos und mühelos und erfüllte die große Erwartung des Publikums. Jürgen Linn verkörperte den Ochs und ließ wissen, dass dieses Werk eine „Komödie für Musik“ ist. Er sang farbenfroh und ausdruckstark in jeder Stimmlage, was nicht allen gelingt. Für meinen persönlichen Geschmack hätte er die Rolle aber ein wenig derber gestalten können. Als Octavian wirkte Stephanie Atanasov sowohl stimmlich als auch darstellerisch recht jugendlich und frisch. Man kann sich gut vorstellen, dass die Rolle des Octavian ihre Karriere ohnehin begleiten wird. Dasselbe gilt Clemens Unterreiner als Herr von Faninal und Anke Briegel als Sophie. Unterreiner sang diese Rolle bereits u. a. an der Staatsoper Wien, bei den Festspielen Baden-Baden und auch bei der Eröffnung am neuen Linzer Musiktheater und lässt immer wieder merken, was für ein Mensch der Herr von Faninal ist, wenn man ihn auftreten sieht und hört!
Aber nicht nur wegen seiner Wiener Herkunft und hervorragenden Stimme, sondern auch aufgrund seiner darstellerischen Intelligenz, Überlegung und Liebe zu der Rolle. Briegel sang die Sophie mit ihrer hellen, eher metallenen Stimme und spielte auch mit richtigem Charakter, doch nicht nur ein zartes Mädchen. Manchmal vergisst man, dass Sophie die Tochter des Herrn Faninal ist, wenn sie allzu zart und schwach wirkend singt. „wahrhaftig einer andern Freud’ gewärtig.“ So singt sowohl Faninal als auch Sophie (zwar beide zu Octavian), und der Satz war heute von beiden ident. Ist da nicht ein Tropf gutes Blut dabei? Auch deshalb erfreute mich Briegel als ehliche Tochter des wohlgeborenen Herrn von Faninal. Die weiteren Rollen sind von Stammsängern des Theaters besetzt. Allen voran begeisterte Etsuko Kano als Annina rollengerecht mit sichtbarer und hörbarer Freude, derer kurzen Koloraturlauf wie in manchen Inszenierungen die Mitmenschen auf der Bühne mitsummen durften.
Mitsuhiko Ono, der ursprünglich den Haushofmeister bei der Feldmarschallin verkörpern sollte, übernahm kurzfristig den Intriganten Valzacchi problemlos. Hidekazu Tsumaya, der u. a. an der Oper Leipzig und am Deutschen Volkstheater Weimar festengagiert war, war der perfekte Polizeikomissarmit mit seiner Erscheinung und Stimme. Shigeru Kamoshita konnte als der Wirt seinen Charakter-Tenor zeigen und übernahm auch den Haushofmeister bei der Feldmarschallin wegen der kurzfristigen Umbesetzung. Die manchmal wackelnden zwei Minuten brachte der Tenor Satoshi Mizuguchi mit beachtlicher Stimme hinter sich. Misayo Tanaka als Marianne Leitmetzerin, Kota Murakami als der Haushofmeister bei Faninal, Masahiko Hare als Notar, Michiko Sato als Modistin und Joe Tsuchisaki als Tierhändler agierten rollengerecht mit Spielfreude. Auch Yoriko Maekawa, Masayo Kobayashi und Miki Nagasawa als drei adelige Waisen und Mitsuhiro Umehara, Yoshiki Kamatsu, Hiroyuki Tokuyoshi und Masaya Hosooka als vier Lakaien bei der Feldmarschallin konnten ihr Können im kurzen Auftritt zeigen.
Der von Hiroshi Misawa einstudierte Chor des Neuen Nationaltheaters sang diszipliniert und blitzsauber, agierte auch szenisch sehr engagiert. Ebenfalls verdiente der Kinderchor des TOKYO FM unter der Leitung von Keiko Yoneya ein großes Lob.
Die “Staatsoper Tokyo” – New National Theatre Tokyo – präsentiert also nicht nur die traditionellen europäischen großen Opern in internationaler Starbesetzung sondern zeigt auch Opern japanischer Komponisten und hat auch eine eigene Ballett- und Schauspielabteilung. Es schadet also sicherlich nicht, den Spielplan dieses Theaters zu checken, wenn man vorhat, nach Tokyo zu reisen.
Takeshi Moriuchi 3.6.15
(Dank an Merker-online)