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Klassik Sommer Hamm 2015

Alfred-Fischer-Halle

 

 

Edward Elgar

DER TRAUM DES GERONTIUS

eine ganz große Rarität !

Alfred-Fischer-Halle am 13. Juni 2015

Hamm in Westfalen – ca. 45 km nordöstlich von Dortmund - ist bekannt als Bahnknotenpunkt, besonders für Reisende nach Berlin, auch als Hafen am Ende des Datteln-Hamm-Kanals.

Für anspruchsvolle Musikfreunde findet jährlich der Klassik – Sommer statt.   Neben anderen Aufführungsorten gab es früher in der einstigen Maschinenhalle der Zeche Sachsen – heute Alfred-Fischer-Halle – konzertante Aufführungen von Opern Richard Wagners, in diesem Jahr passend zum Motto „Metamorphosen“ das Oratorium op.38 von Sir Edward Elgar „The Dream of Gerontius“ - der Traum des Gerontius - für Mezzo-Sopran, Tenor, Bass, Chöre und Orchester. Dabei kommt „Traum“, aus dem man ja wieder erwachen sollte, nur im Titel vor. Erzählt wird im ersten Teil Todesangst und Tod eines katholisch-gläubigen alten Menschen (daher Gerontius) , im zweiten Teil die Wanderung seiner Seele geleitet vom Schutzengel vorbei an Dämonen der Hölle und Gottes Gericht ins Fegefeuer mit der berechtigten Hoffnung auf ewiges Leben im Anblick des Herrn – wiederum ganz katholischem Glauben entsprechend. Das verwundert nicht, vertonte doch der Katholik Elgar ein Gedicht von John Henry Kardinal Newman aus dem Jahre 1865 und widmete wie Bach die Partitur AMDG – (Ad maiorem Dei gloriam – zum grösseren Ruhm Gottes). Die ersten Worte des Werkes sind denn auch„Jesu Maria“. Die Uraufführung 1900 in Birmingham unter dem Wagner-Dirigenten Hans Richter war ein Mißerfolg, grossen Erfolg hatte das Werk erst ab 1901 nach einer Aufführung in Düsseldorf in deutscher Übersetzung.

Als Orchester hatte wie in den Vorjahren massgeblichen Anteil an diesem Höhepunkt der Konzertreihe die Nordwestdeutsche Philharmonie unter der Leitung des Chemnitzer GMD Frank Beermann, auch „Ideengeber“ für den Klassik Sommer, wie der Oberbürgermeister in seiner Einleitung betonte.

Unter den Solisten hat natürlich die wichtigste Rolle der Sänger des Gerontius. Niclas Oettermann sang mit helltimbrierten Tenor, wußte in p-Stellen die Stimme zurückzunehmen, forcierte aber bei Spitzentönen. Legato und tenoraler Glanz fehlten manchmal. Sogar auf Latein war kaum ein Vokal klar zu hören, im Englischen noch weniger.

Hingegen beeindruckte Janina Baechle,  langjähriges Mitglied der Wiener Staatsoper, in der Rolle des Engels. Sie meisterte den grossen Stimmumfang der Partie mit angenehmen Timbre von lange gehaltenen recht tiefen Tönen bis zu strahlenden Spitzentönen. Grosse p-Kultur zeigte sie etwa bei „There was a mortal“, wo ein Sterblicher die Wundmale Christi erleidet, und zum Ende, wo sie in einer Art Arie „legatissimo“ und „dolcissimo“, wie Elgar vorschreibt, von der Seele Abschied nimmt schliessend mit einem fast gehauchten aber bis zur 29. Reihe, wo der Verfasser saß, hörbaren „Farewell“ Auch war sie, soweit möglich, textverständlich. Das galt auch für Renatus Mészár in der doppelten Rolle des Priesters im ersten Teil und des Totenengels (Angel of Agony) im zweiten Teil. Lange gehaltene tiefe Basstöne begleitet von Trompeten klangen mächtig in der neunfachen Anrufung Jesu bis hin zum abschliessenden p verheissend den Anblick Gottes – beeindruckend!

Hauptträger des vokalen Geschehens sind die Chöre. Seit mindestens 300 Jahren – 1715 erstmals erwähnt – führen die Kathedralchöre von Gloucester, Worcester und Hereford ein Drei-Chöre-Festival „Three Choirs Festival“ in einer der drei Städte durch, bei dem eine Woche lang jeden Abend ein Chorwerk aufgeführt wird – das sind wohl eher unbezahlte Profis denn Laien! Die unglaubliche Chor- Tradition und -erfahrung der Three Choirs konnte man nun in Hamm erstmals ausserhalb Englands bewundern. Ein kleinerer Chor – Semi-Chorus genannt – etwa der Angehörigen am Krankenbett – sorgte für intimen Chorgesang, auch antiphonal der Gregorianik nachempfunden. Wie bei anderen Komponisten haben Bösewichte manchmal die tollste Musik. Das war hier der Chor, in dem Dämonen Heilige verspotten. In ganz schnellem Tempo geriet der fugierte Teil ganz exakt und das höhnische „Ha ha“ zwischendurch klang „teuflisch“ Weiterer Höhepunkt war der Damenchor solo als Engel. Zum Lob Gottes überwältigte der gesamte Chor die Hörer nach einer durchhörbar vielstimmigen Fuge zur der gewaltigen einstimmigen Steigerung auf die Worte „Praise to the Holiest“ (Lob dem Allerheiligsten) Gegenteilige Wirkung war zu bewundern bei den p als erste des Chors einsetzenden Bässen als „Seelen im Fegefeuer“

Überhaupt schreibt Elgar häufig p mit Steigerung bis hin zum pppp vor, natürlich vor allem für das Orchester. Unter Frank Beermann´s umsichtiger die Dramatik der Handlung heraushebenden Leitung konnte die Musiker der Nordwestdeutschen Philharmonie  einzeln und als Masse ihr Können eindrucksvoll unter Beweis stellen. In Instrumentation, Harmonik und motivischer Verarbeitung – es gibt wiederkehrende Leitmotive – hört man, daß Elgar Wagners Musik, insbesondere den „Parsifal“, gekannt hat, passend für den ausgewiesenen Wagner-Dirigenten Beermann. Beispielhaft seien genannt der Beginn des langsamen Vorspiels „Lento mistico“, wo Klarinetten, Fagotte und Bratschen mit dem „Gerichtsmotiv“ gelungen in die Atmosphäre des Stücks einstimmen, oder später das Englisch Horn mit den Celli oder die rund und ganz weich begleitenden Hörner. Manche orchestrale Nuance mag auch wegen der grossen Entfernung zur Bühne nicht zu hören gewesen sein. Höhepunkt des gesamten Oratoriums ist musikalisch der ganz kurze Augenblick, in dem die Seele Gott erblickt – nach einem strahlenden hohen a auf „alleluja“ des Engels und feierlicher Steigerung des Gerichtsmotivs kam dann nach kurzer Pause der fff-Schlag des gesamten Orchesters - „jedes Instrument mit größter Kraft!“ fordert Elgar. Das gelang erschütternd!

Die Zuhörer in der vollbesetzten Halle waren zum grossen Teil eingeladen von der örtlichen Sparkasse aus Anlaß von deren 175-jährigen Jubiläum. Sie waren etwas zu bedauern, da es keinen Text gab,weder englisch noch deutsch. Zum Lesen der Inhaltsangabe im Programmheft war es zu dunkel und sie konnten dem Geschehen wohl nur eingeschränkt folgen, wenn sie das Stück nicht kannten. Trotzdem folgten sie aufmerksam und es wurde lange Beifall geklatscht und „Bravo“ gerufen, stehend auch wohl deshalb, weil sonst das Podium nicht zu sehen war. Auch freute man sich auf das Essen und Feuerwerk hinterher – nachdem Gerontius vom Fegefeuer zum Anblick Gottes gestrebt war - auch auf Kosten der Sparkasse. Erinnert sei an den Haushofmeister im Vorspiel von„Ariadne auf Naxos“, als der dem Musiklehrer mitteilt. nach der „heroischen Oper“ käme für die „hochansehnlichen Gäste“ die „Vorsetzung einer feierlichen Kollation“ danach „das anbefohlene Feuerwerk“ Nichts Neues unter der Sonne, oder, da es abends war „Nihil novi sub luna!

Sigi Brockmann 15. Juni 2015

Fotos: Aussenansicht Kulturbüro Hamm - Innen Westfälischer Anzeiger Hamm

 

 

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