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Stiftung Stadttheater und Konzerthaus Bozen

www.theater-bozen.it/

 

 

 


LA WALLY

Premiere: 21.03.2019
besuchte Aufführung: 23.03.2019

Alpine Verweigerung

Lieber Opernfreund-Freund,

einer der Sehenswürdigkeiten von Bozen ist sicher das Südtiroler Archäologiemuseum, in dem die 1991 in den Ötztaler Alpen gefundene, rund 5250 Jahre alte Mumie des Ötzi zu bestaunen ist. Auf der anderen Seite des genannten Gebirgszuges findet man, nur durch das Timmelsjoch vom südtirolischen Teil getrennt, Sölden – heute trubeliger Wintersportort, vor 150 Jahren eher verschlafenes Alpennest. Vielleicht haben gerade die räumliche Nähe zum Schauplatz der Oper La Wally und die Tatsache, dass man hier die Berge tagtäglich vor Augen hat, dazu geführt, dass sich das Produktionsteam um Nicola Raab dazu entschieden hat, die Szenerie von allem zu befreien, was nur im Entferntesten an Bergwelt, Schnee und Folklorekitsch erinnert, und sich allem Alpinen verweigert.

Lediglich die uniform wirkenden Kostüme von Julia Müer weisen auf die Alpen hin; die Damen sind in schwarze Trachten gewandet, die Männer treten ebenfalls ausschließlich in volkstümlichem Habit in dunklen Farben auf – bis auf den Schwerenöter Hagenbach, der feudalerweise Pelz tragen darf. Überhaupt ist es recht trist auf der nahezu requisitenlosen Bühne von Mirella Weingarten, auf dem zwei riesige, mit engen Treppen und Geländer versehene Bühnenversatzstücke zu sehen sind. Die werden im Laufe des Abends allenthalben verschoben, verengen den Raum, lassen den Protagonisten oft kaum Platz sich zu bewegen und zeigen so, in welch engem Korsett sich Wally, aber auch der von ihr geliebte Hagenbach bewegen. Aber lieben die beiden sich überhaupt? Nicola Raabs Inszenierung zeigt die Titelfigur als einsame Frau in einer emotionslosen und kalten Welt, die keine Nähe erfährt, aber auch kein zulassen kann. Wenn ihr platonische Freund Walter sie trösten will, stößt sie ihn weg, und auch in den nahezu intimen Momenten des Skripts, der Tanz- oder der Kussszene, erweckt das Setting nicht den Eindruck, man würde einer Liebesgeschichte zusehen. Meterweit voneinander entfernt stehen Wally und Hagenbach auch im letzten Bild in dem Moment, in dem sie sich wiedersehen, vermeiden eine Annäherung so vehement, als hätte der andere gerade in ein altes Leberwurstbrot gebissen. Ganz zum Schluss, kurz bevor Hagenbach in der Lawine, die nicht stattfindet, ums Leben kommt und Wally, statt sich ihm verzweifelt in die Tiefe hinterher zu stürzen, einfach stehen bleibt und zu Boden blickt, lässt die Regisseurin dann aber doch zumindest einen einzigen innigen und leidenschaftlichen Kuss zu.

Das ist durchaus ein Ansatz, der plausibel sein kann. Schließlich hat die Romanvorlage von Wilhelmine von Hillern recht wenig mit dem zu tun, was 120 Jahre Heimatfilm aus der Geschichte der Geierwally gemacht haben. Allerdings krankt die Inszenierung an unglaublicher Statik. Die vermeintliche Starre, in der sich die Personen nach dem Regiekonzept befinden, gipfelt in ewigem Herumgestehe. Interaktion findet ganz selten einmal statt, ansonsten erschöpft sich die Personenführung in autistisch wirkendem Insichgekehrtsein aller Figuren. Das hat über weite Strecken etwas von einer konzertanten Aufführung, einzig der Bühnenaufbau ist immer wieder in Bewegung. Nur in wenigen Momenten gelingt ein Spannungsaufbau, meist unterstützt durch das oft geniale Lichtdesign von Clifton Taylor, das gespenstische Schatten wirft, die ein Eigenleben zu haben scheinen. Aber auch da ist nicht nachzuvollziehen, warum gerade der dritte Akt, der des nachts in Wallys Schlafgemach beginnt, in gleißend hellem Licht stattfinden muss.

Absolut perfekt hingegen ist die musikalische Seite des Abends. Das Orchestra Haydn di Bolzano e Trento präsentiert sich in absoluter Topform, ebenso wie das Ensemble Volcale Continuum unter der Leitung von Luigi Azzolini, das den so umfangreichen wie anspruchsvollen Chorpart übernimmt. Arvo Volmer am Pult zeigt Catalanis Komposition in ihrer ganzen Farbenpracht, wechselt gekonnt Tempi und Intensität und vermag selbst ausgesprochenen Kennern des Werkes neue Aspekte der Partitur zu entdecken. Beschwingt und intensiv begleitet er die Sängerinnen und Sänger, und führt sie sicher durch ihre teils höllisch schweren Partien.
Charlotte-Anne Shipley in der Titelrolle ist eine Entdeckung. Mühelos wechselt die Engländerin zwischen betörenden Höhenpiani und energisch satter Mittellage und zeigt ihre Figur mit all ihren Facetten, spielt grandios und ist so wie gemacht für die Darstellung der Wally. Ihr zur Seite steht Ferdinand von Bothmer als Giuseppe Hagenbach, der die Partie mit heldentenoralem Glanz füllt. Zwar fehlt mir an der einen oder anderen Stelle eine Spur Italianitá und dass er sich in der Schlussarie ein wenig schont, verrate ich auch keinem, aber er präsentiert sich höhensicher und mit begeisternder Bühnenpräsenz und meistert die Partie so souverän wie kaum ein anderer Interpret dieser Rolle in den vergangenen Jahren. Ashley David Prewett als sein Gegenspieler Gellner legt seine Partie emotionsgeladen an. Sein wunderbar schmeichelnder Bariton verströmt balsamischen Wohlklang, ist aber auch im dritten Akt zu eindrucksvollen Ausbrüchen in der Lage. Francesca Sortenis Walter begeistert mich durch ein erstaunlich warmes Timbre bei gleichzeitiger scheinbar müheloser Koloraturfähigkeit, während Francesca Sartorato mit ihrem gefühlvollen Mezzo die kurze Partie der Afra ausfüllt. Enrico Marchesini, von Mirella Weingarten genial als Mischung zwsichen blondbezopfter Conchita Wurst und Pippi Langstrumpf gezeichnet, macht nicht nur optisch Eindruck. Sein satter Bass verleiht dieser geheimnisvollen Figur enormes Profil. Alessandro Guerzoni komplettiert das beherzt aufspielende Solistenensemble als alter Stromminger.

Das Publikum im nahezu voll besetzten Stadttheater Bozen ist begeistert von der musikalischen Seite des Abends. Ob alle die Geschichte der Wally verstanden haben, bezweifle ich ein wenig, denn gerade der zweite Teil dieses Abends, der eigentlich nicht uninteressant begonnen hatte, war inszenatorisch doch recht nichts sagend. Diesen Eindruck hat scheinbar auch das Auditorium mit mir geteilt – fast unbemerkt mischt sich Nicola Raab beim Schlussapplaus unter die Künstler. Umso erfreulicher ist es, dass sich die musikalisch Beteiligten unter der Leitung von Arvo Volmer ihr Engagement für das Werk nicht haben nehmen lassen und La Wally at her best präsentieren.

 

Jochen Rüth 24.03.2019

Fotos © Stiftung Haydn / Alessia Santambrogio

 

 

LULU

Aufführung am 15.1.16 (Premiere)          

Das Kreuz mit der Bearbeitung

Im 1999 eröffneten Neubau des Bozener Stadttheaters führt das Haydn-Orchester von Bozen und Trient die regionale Opernsaison durch. Seit diesem Jahr ist der künstlerische Leiter der Österreicher Matthias Losek, der diese Stellung auch beim Festival Wien Modern einnimmt. Unter dem Titel The Irony of Life richtete er eine OPER.A 20.21 genannte Programmierung aus, die mit Ausnahme von „Così fan tutte“ nur Werke des 20. und 21. Jahrhunderts präsentiert, nämlich Beiträge von Barber, Bernstein, Schostakowitschs „Nase“ und als italienische Erstaufführung „Whatever works“ von Manuela Kerer (*1980 in Brixen) und Arturo Fuentes (*1975 in Mexiko), Libretto von Dimitré Dinev.

Diese mutige Entscheidung umfasst auch die Präsentation von Alban Bergs unvollendeter Oper in der Bearbeitung durch Eberhard Kloke, gleichfalls eine Erstaufführung für Italien. Mir war nur bekannt, dass Kloke nach Friedrich Cerha eine weitere Rekonstruktion des unvollendet gebliebenen 3. Akts versucht hatte, die 2010 in Kopenhagen uraufgeführt wurde. Die Darbietung in Bozen stellte hingegen eine Bearbeitung für Kammerorchester vor, die das gesamte Werk umfasst. Hier wurde ziemlich gründlich in die Partitur eingegriffen, immer wieder ertönen gesprochene Passagen aus dem Off, zu denen die Sänger mimen müssen, und das Orchester klingt wirklich reduziert, wenn etwa anstelle der vier Hörner der Originalpartitur nur mehr ein einsames Horn zu hören ist.

Klokes Bearbeitungen von u.a. Mahler, Schubert, Bartók, Schönberg, Strauss und Weill werden von der Universal Edition Wien verlegt. Dass in Bozen die Wahl auf „Lulu“ fiel, hat wohl damit zu tun, dass man das Werk unbedingt bringen wollte, ohne (wie bei „Elektra“) zusätzliche Musiker engagieren zu müssen. Andere plausible Gründe für die Wahl der Bearbeitung, deren Machart sich nicht unbedingt aufdrängt, fallen mir nicht ein.

Die gezeigte Produktion stammt von der Welsh National Opera und deren künstlerischem Leiter David Pountney, der sie 2013 als seinen Einstand in dieser Position inszenierte. Das Bühnenbild von Johan Engels zeigte eine zentrale Wendeltreppe und verschiedene kleinere Versatzstücke, die von viel Phantasie zeugten (so sah man anstelle des Sofas im Heim von Dr. Schön eine Anhäufung runder Objekte, die als Steine ebenso wie als eine Art Polster betrachtet werden konnten). Sehr überzeugend geriet die Behausung von Lulu, Schigolch und Alwa in London, wo mit Hilfe von Plastikplanen tiefes Elend suggeriert wurde. Marie-Jeanne Lecca hatte sich phantasievolle Kostüme einfallen lassen, die für Lulu von großer Eleganz waren. Die im Zirkusprolog gezeigten übergroßen Tiermasken waren in der ersten Szene des 3. Akts erneut zu sehen, und Lulus Opfer wurden nach und nach auf einer Art Fleischerhaken in die Höhe gezogen.

Die Lichtregie von Mark Jonathan erwies sich als große Unterstützung für eine Regie, die nicht immer vom Fleck zu kommen schien. (Auch bleibt es Pountneys Geheimnis, warum Schigolch zu Beginn als Wotan mit Speer und schwarzer Augenbinde auftritt).

Die Titelrolle wurde von der Schwedin Marie Arnet gesungen, die die nötige verführerische Figur mitbrachte, aber als Persönlichkeit nicht stark genug war, um zu faszinieren. Mit Ausnahme einiger gar greller Spitzentöne war die gesangliche Bewältigung achtbar. Ein ausgezeichneter Dr. Schön (und dann Jack the Ripper) war Paul Carey Jones mit prägnanter Gestaltung und Stimme. Als Alwa ließ Johnny van Hal vokales und darstellerisches Profil vermissen. Mit angenehmer Stimme gab Bernd Hofmann einen nicht sehr gefährlichen Schigolch (und den Tierbändiger). Eindringlich fiel hingegen das Porträt aus, das Mark Le Brocq vom Maler und vom Neger lieferte. Als Garderobiere, Gymnasiast und Groom ließ Jurgita Adamonyte aufhorchen. Dem Theaterdirektor und dem Bankier wurde von Duccio Dal Monte Nachdruck verliehen, und Natascha Petrinsky war eine besonders eindringliche Geschwitz. Die kleineren Rollen waren alle adäquat besetzt.

Am Pult des Haydn-Orchesters stand Anthony Negus, wobei ich seine und des Klangkörpers Leistung nicht zu beurteilen wage, einfach weil ich diese Bearbeitung als belastend empfunden habe.

Pountney hatte es sich offenbar lobenswerterweise nicht nehmen lassen, an dieser Wiederaufnahme mitzuarbeiten und dankte zusammen mit seiner Assistentin und dem Ensemble für den ermunternden Applaus des Publikums.   

Eva Pleus 17.1.16

Bilder: Benedetta Pitscheider / Fondazione Haydn-Orchester

 

BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER

Aufführung 26.2.2014                             (Premiere 25.2.2014)

Exzellente Tragikomödie

Auf der Studiobühne des Bozner Stadttheaters war diese Koproduktion mit der Neuen Oper Wien zu sehen, die im September 2013 im Semperdepot ihre Uraufführung erlebt hatte. Der in Prag geborene und in Wien lebende Komponist Simon Vosecek hatte das von Max Frisch in den frühen Fünfzigerjahren geschriebene Stück in den Jahren von 2005 bis 2007 vertont. Diese von dem Schweizer Schriftsteller im Untertitel als „Lehrstück ohne Lehre“ bezeichnete Tragikomödie hatte der Komponist mit einigen wenigen Strichen praktisch wörtlich in das von ihm selbst verfasste Libretto übernommen. Zur Gänze eliminiert hat er nur den moralisierenden Epilog, den Frisch erst später angehängt hatte, um zu erläutern, dass seine Parabel nicht gegen den Kommunismus, sondern gegen den Faschismus gerichtet war. Vosecek zieht es vor, sich nicht festzulegen und beendet das Stück mit Biedermann, der wie zu Beginn friedlich auf dem Sofa sitzt und Zeitung liest, während die Flammen in der Umgebung wüten.

Die zunächst relativ eingängige Musik wird mit Fortschreiten der Handlung, also wenn sich der Ringer Josef Schmitz und der Kellner Wilhelm Eisenring in Biedermanns Haus installieren und durchaus ohne Geheimhaltung Anstalten zu einer Brandstiftung treffen, immer härter, quälender, atonaler, überzeugt aber damit in jedem Moment. Die satirische Einlage, in der Schmitz die Musik des Komturs aus der Friedhofszene in „Don Giovanni“ singt, löst dankenswerterweise ein wenig die fast ins Unerträgliche gestiegene Spannung. Walter Kobéra und sein amadeus ensemble-wien waren für diese Musik gewohnt engagierte Sachwalter und boten eine hinreißende Leistung.

Hinreißend war aber auch das, was Regisseurin Béatrice Lachaussée mit ihrem Team (Bühnenbild: Dominique Wiesbauer, Kostüme: Nele Ellegiers, Lichtdesign: Norbert Chmel) erarbeitet hatte. (Kaum zu glauben, dass dies ihre erste eigenständige Regiearbeit ist). Auf der winzigen Bühne deuteten ein Tisch und ein Sofa ein Wohnzimmer an, darüber war der Dachboden zu sehen, auf dem die Brandstifter nach und nach ihre Benzinfässer horteten. Die Personenführung war fabelhaft, aber es muss auch unterstrichen werden, dass ausnahmslos echte Singschauspieler zu bewundern waren. Als primus inter pares möchte ich Tomasz Pietak nennen, dessen Schmitz wunderbar zwischen Scheinheiligkeit, angeblicher Bescheidenheit und plötzlich losbrechender Arroganz changierte. Als der den Gebildeten gebende Eisenring war ihm Till von Orlowsky ein idealer Partner. Den Biedermann versorgte Stephen Chaundy mit der rechten Mischung aus Überheblichkeit und servilem Getue. Seine Frau Babette wurde von Barbara Zamek-Gliszczynska mit erschreckter Hausfrauenattitüde gegeben. Köstlich in seinem steigenden Unverständnis der Entwicklung der Dinge gegenüber auch das Dienstmädchen Anna von Katharina Tschakert. Begleitet wird die Handlung von drei Feuerwehrmännern in Gestalt von Harald Wurmsdobler, Christian Kotsis und Frédéric Pfalzgraf, die im (auch textlichen) Stil eines antiken Chores die Handlung begleiten, ohne aber gegen die Brandstifter einzugreifen.

Riesenapplaus und Bravorufe für diese so engagierte Produktion, von der man hoffen möchte, dass sie auch in Zukunft in andere Häuser exportiert wird.     Eva Pleus

Eva Pleus 5.3.14

Photocredit: Armin Bardel

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