SYDNEY OPERA HOUSE
AIDA
Opernhaus Sydney Premiere 18.7.2018
Vorstellung besucht am 20.8.2018
Oder die Abschaffung eines Genres
Davide Livermores Produktion von Aida an der Oper in Sydney wurde angepriesen als Erneuerung des Genres und die Zukunft der Oper. Lyndon Terracini, der künstlerische Direktor hat für die nächste Saison bereits drei neue „Multimedia-Inszenierungen“ in Auftrag gegeben.
Was hat es damit auf sich?
Auf riesigen LED Bildschirmen wird hier an Stelle eines Bühnenbildes die Stimmung der Oper projiziert und gleichzeitig das Vorgehen auf der Bühne kommentiert.
Amneris Gefühle werden mit einem überlebensgroßen Pantherkopf dargestellt, während des Triumphmarsches züngelt eine Kobra durch das Geschehen und im dritten Akt wird eine große Mondlandschaft mit Wolken hinter Aida auf die Leinwand geworfen.
Die internationale Kritik überschlägt sich. Dennoch frage ich mich: wieviele dieser Kritiker haben davor tatsächlich mehr als eine Oper im Theater gesehen?
Reduziert man das Dargebotene nämlich auf das was ausserhalb der Bildschirme stattfindet, bleibt nicht mehr viel übrig.
Ein Tenor reckt die Arme, während er verloren an der Rampe steht. Aida und Amneris stehen sich ratlos in ihrem großen Duet gegenüber. Kein Chor auf der Szene im Triumphmarsch. Und wenn der Chor auf der Bühne steht, hebt er alleingelassen die Hände und fuchtelt uninspiriert mit Plastikschwertern. Die Kostüme von Gianluca Falaschi sehen fesch aus. Entbinden aber auch jedweder Interpretation. Aida ist goldbehängt in einer riesigen, eindrucksvollen Robe. Soll das die äthiopische Sklavin sein, die zwischen Pflicht und Liebe entscheiden muss?
Ein Freund von mir nennt es liebevoll seit Jahren „Aushilfskreativität“ und selten hat dieser Begriff für mich so gut gepasst wie hier.
Bis auf sehr schön choreographierte Balette mutet es sich an, man sähe eine konzertante Aida mit überflüssiger Hintergrundprojektion. Was soll man als Mensch dazu sagen, der Oper bereits als Kind geliebt hat, weil Sänger versuchen auf der Bühne durch Schauspiel eine Handlung wiederzugeben? Mich stimmt es traurig. Denn es zeigt, dass die Gattung immer wieder versucht sich selbst abzuschaffen. Warum probt ein Opernhaus sechs Wochen, wenn das Ergebnis im Endeffekt eine Spielerei ist, die jeder 16-Jährige heute in drei Stunden am Computer generieren kann?
Reitende Krieger, Schlangen, aufbrausende Wolken - das alles im Endlosloop.
Ich erinnere mich an eine Pelleas und Melisande Aufführung in Tokio, in der die Darsteller vor ähnlichen Leinwänden standen, in Anzug und Fliege. Hier wurde uns aber nicht vorgegaukelt es mit einer Szene zu tun zu haben. Es wurde im Programm angeboten als: „semikonzertant“.
Wenn die Zukunft der Oper semikonzertant ist, dann sei es so. Aber erlöst mich bitte von hilflosen Chören, alleingelassenen Solisten und toten Gängen auf der Opernbühne. Stellt die Sänger an die Rampe. Nutzt die Zeit, musikalisch zu Proben. Verzichtet bewusst auf die Szene, vielleicht weil es billiger ist, oder vielleicht weil dem Regisseur nichts einfällt. Aber verschaukelt mich nicht mit einer Inszenierung, die keine ist. Für mich zumindest kann kein LED-Bildschirm dieser Welt über fehlendes Handwerk hinwegtäuschen.
Ein kleiner Eklat ist für mich der Austausch des Mezzosoprans. Angekündigt war Clementine Margaine, die jedoch alle Vorstellungen krankheitsbedingt abgesagt hat. Stattdessen sang Elena Gabouri die Amneris. Das wäre alles kein Problem, hätte man eine Ansage gemacht oder es auf einem Besetzungszettel markiert. Hier wurde aber nicht darauf hingewiesen, dass die Besetzung verändert wurde und somit beim Kritiker allgemeine Verwirrung geschafft, die sich erst nach mehreren Nachfragen im Pressebüro lösen ließ - wo sich herausstellte, dass auch der „Messaggiero“ von einem anderen Sänger als auf dem Besetzungszettel vermerkt gesungen wurde.
Alles in allem war es musikalisch aber wesentlich erfreulicher als das szenisch gebotene. Pier Giorgio Morandi dirigiert eine etwas zähe Aida, was man ihm aber nicht zum Vorwurf machen kann, da er die Produktion vom Vorgänger übernommen hat und keine einzelne Orchesterprobe haben konnte. Die großen Tableaus im zweiten Akt zerfallen etwas und die Tempi sind nicht stabil. Dennoch solides Handwerk.
Aida liegt in den Händen von Natalie Aroyan, ein Publikumsliebling in Sydney. Diese ist meiner Meinung nach zu jung für die Partie und ihr fehlt die nötige Tiefe, dennoch liefert sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten ein beachtliches Rollendebüt mit strahlenden Höhen und guter Artikulation. Sehr schön hier auch die sehr akkurate Phrasierung und die dynamische Differenzierung.
Yonghoon Lee singt einen lautstarken Radames, dessen Stilsicherheit grade in der ersten Arie kritisiert werden kann, der aber dank seines verschwenderisch eingesetzten Tenors beim Publikum punktet und mit großem Enthusiasmus keine Wünsche offen lässt. Lange habe ich keinen Tenor mehr gehört, der so frei und rund über den Chor singt.
Die Amneris von Elena Gabouri ist vom Timbre her etwas säuerlich, aber auch hier wird versucht mit großer Differenzierung, tragenden Piani und leuchtenden Spitzentönen ein musikalisches Porträt einer eifersüchtig-Liebenden zu formen.
Amonasro ist der Australier Michael Honeyman, dessen Stimme leider zu lyrisch für die Partie ist.
Ramfis wird gesungen von Roberto Scandiuzzi, dessen schwarze Stimmfarbe die Partie zusätzlich veredelt.
Als Fazit sei zu sagen, dass dem Standard-Touristen in Sydney alles gefallen hat. Hier wird nicht mehr Bravo gerufen sondern gepfiffen und gejohlt. Vielleicht müssen wir aus unserem Elfenbeinturm herauskommen und akzeptieren, dass die intellektuelle Zeit der Oper sein Ende findet. Vielleicht müssen wir akzeptieren, dass wir mit der jahrelangen Dekadenz stückezerstörender Regie ein Publikum gezüchtet haben, welches froh ist einfach nur bunte Wolken auf Kinoleinwänden zu sehen. Vielleicht ist es aber auch die übersensibilisierte, dauerberieselte Gesellschaft, die sich freut, einfach nur bunte Bildchen in Dauerschleife zu sehen. Aida ist hier allerdings bestenfalls Hintergrundgeräusch.
Thomas Pfeiffer 1.9.2018
Bilder (c) Oper Sydney