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LOHENGRIN
Premiere: 20.09.2018
besuchte Aufführung: 23.09.2018
Der Schwanenritter als Friedensfürst
Lieber Opernfreund-Freund,
David Aldens im Juni 2018 mit großem Erfolg am Royal Opera House von Covent Garden gezeigte Lesart des „Lohengrin“-Stoffes ist nun an der Opera Vlaanderen in Gent und Antwerpen zu sehen und damit kehrt die Geschichte des Schwanenritters und der unglücklichen Elsa von Brabant, die Opfer erst eines Machtkampfes und dann ihres mangelnden Vertrauens in den Geliebten wird, nach 14 Jahren wieder einmal an den Ort zurück, an dem das Geschehen der Oper spielt.
Alden sieht in seiner schlüssigen und lebendigen Inszenierung im Titelhelden mehr als eine Lichtgestalt für Elsa, er wird bei ihm zum Hoffnungsträger für ein ganzes Volk, das in einer Atmosphäre der Unterdrückung sein Dasein fristen muss. Die Farbgebung von Uniformen und Flaggen sowie das stetig wiederholte Hochreißen des rechten Armes machen überdeutlich, zu welcher Epoche der Geschichte der Engländer hier die Parallelen zieht. Auf der gelungenen Bühnen von Paul Steinberg wird mittels des ausgetüftelten Lichtes von Adam Silverman von Anfang an Unbehagen erzeugt, auch Elsa ist von Beginn an Opfer und selbst König Heinrich scheint stellenweise zur Marionette des eigenen Regimes verkommen. Von glanzvoller Macht ist hier, wo selbst die Gebäude in Schieflage geraten sind, nichts übrig, die Treue der Gefolgsmänner ist von der Terrorherrschaft erzwungen, die aus überdimensionalen Lautsprechern schallt. In dieser düsteren Welt erscheint Lohengrin unwillkürlich als Heilsbringer, ganz in Weiß gewandet (Kostüme: Gideon Davey), und bleibt doch weniger verklärtes Ideal als echter Mensch, der Gewalt verabscheut und Liebe und Vertrauen sucht. Telramund und Ortrud sind in ihrer Gier nach Macht und nacheinander vereint, auch wenn Ortrud gleich der Lady Macbeth das Feuer in ihrem Mann immer wieder aufs Neue entfacht, sobald der Schwäche zeigt und so sind beide trefflich als Gegenpart zu Lohengrin und Elsa gezeichnet. Die bleibt am Ende in Trostlosigkeit, nicht einmal der wiedergefundene Bruder kann ihr Hoffnung geben.
Schon die ersten Takte der Ouvertüre, die bei geschlossenem Vorhang vor voll besetztem Haus gegeben wird, machen deutlich, dass man die musikalische Leitung in die Hände eines Meisters gelegt hat. Alejo Pérez lotet den „Lohengrin“ auf allen Ebenen aus, ihm gelingt der sphärisch anmutende Beginn ebenso perfekt wie die klanglich wuchtig, fast schroff interpretierten Ausbrüche, so dass auch musikalisch keine Sekunde lang Langeweile entsteht. Dabei unterstützt wird der sympathische Argentinier aber auch von einem weitgehend wunderbaren Ensemble, das er nie überdeckt. Der Heerrufer des Vincenzo Neri kommt optisch abgehalftert daher, trumpft aber mit durchschlagender baritonaler Kraft auf und gehört für mich zu einem der Highlights. Für den erkrankten Thorsten Grümbel war schon bei der Premiere Wilhelm Schwinghammer eingesprungen und lässt seinen feinen Bass erklingen. Zwar hat der junge Sänger bezüglich voluminös-schwarzer Tiefe noch ein wenig Luft nach oben, sein Potenzial ist aber jetzt schon deutlich zu erkennen und ich freue mich darauf, bald mehr von dem aus Niederbayern stammenden Künstler zu hören. Craig Colclough als Telramund gibt ein perfektes Rollenbild des hasserfüllten Grafen. Nuanciert und farbenreich präsentiert er seinen kräftigen Bariton und wird bezüglich der darstellerischen Wucht nur noch von seiner Bühnengattin übertrumpft. Die Schwedin Iréne Theorin hatte ich als von Tilman Knabe 2007 in Essen misshandelte „Turandot“ noch in guter Erinnerung und war gespannt, sie als Ortrud zu erleben. Und was soll ich Ihnen sagen: solch einer Wucht, solch einem Erleben der Figur auf der Bühne habe ich schon lange nicht mehr beiwohnen dürfen. Iréne Theorin IST Ortrud mit jeder Faser, spielt und singt sich die Seele aus dem Leib, streut gespenstische, Unheil verheißende Pianissimi ein und nimmt mit ihrer Wirkung nicht nur die Bühne in Beschlag, sondern auch das ganze Publikum gefangen. Eine wahre Zauberin der gesanglichen Darstellung, die alleine schon den Weg vom Rhein nach Belgien lohnt.
Während der ersten beiden Akte nimmt mich auch Liene Kinča als Elsa gefangen mit ihren fast unwirklich klingenden Pianobögen und ihrem warmem Timbre. Ausgerechnet aber im Schlafgemach scheint sie wie ausgewechselt, wird stimmlich unsauber und erinnert mit fast veristisch erscheinender Singtechnik eher an eine Santuzza. Schade! So kann ich auch zum Schluss recht wenig Mitleid mit ihrer Figur empfinden, die lettische Sopranistin hat mich da irgendwo auf dem Weg zum letzten „Ach!“ verloren. Den serbischen Tenor Zoran Todorovich kennt man sonst als kraftstrotzenden Spinto des italienischen Repertoires, als überwältigenden Otello oder eindrucksvollen Pollione. Als Lohengrin mischt er seinem imposanten Tenor immer wieder zart-süße Farben bei, wie es sich für den Gralsritter gehört. Todorovich ist zu vokaler Zurückhaltung und großer Lyrik fähig und zeigt immens viel Gefühl und so, ganz dem Regieansatz folgend, Lohengrin als Menschen und nicht als verklärtes Ideal.
Das Publikum ist nach fast fünf Stunden (inklusive zweier Pausen) tief ergriffen und bejubelt alle Mitwirkenden samt dem glänzend disponierten Chor unter der Leitung von Jan Schweiger, der die Aufführung mit seiner überwältigen Leistung – stimmlich wie darstellerisch – erst richtig rund macht. Dass der Chor neben Alejo Pérez und Irène Theorin den höchsten Jubel einheimst, ist vielleicht nicht ganz üblich bei einem „Lohengrin“, in diesem Fall aber durchaus gerechtfertigt.
Ihr Jochen Rüth / 25.09.2018
Fotos © Opera Vlaanderen
„Le Duc d’Albe“
Premiere: 6.5.2012 / Wiederaufnahme: 17.11.2017
besuchte Vorstellung: 21.11.2017
Gewaltige Stimmen in erlebenswerter Donizetti-Rarität
Lieber Opernfreund-Freund,
Gaetano Donizetti hatte 1839 die Arbeit an seiner Oper „Le Duc d’Albe“ unterbrochen, unter anderem, um sich auf seinen „Liebestrank“ zu konzentrieren, so dass das Werk bei seinem Tod unvollendet blieb. Beinahe 35 Jahre nach Donizettis Tod wurde es von seinem Schüler Matteo Salvi unter Verwendung der Skizzen des Meisters aus Bergamo fertig gestellt, die Protagonisten Amélia und Marcello genannt (das Libretto von Eugène Scribe war zwischenzeitlich aus Flandern nach Sizilien verlegt und so zur Vorlage von Verdis „Vêspres siciliennes“ geworden) und als dreiaktige italienische Version „Il duca d’Alba“ 1882 uraufgeführt. Erst 130 Jahre später beauftragte die Vlaamse Opera den italienischen Komponisten Giorgio Battistelli mit der Fertigstellung der französischen Version in vier Akten. Herausgekommen ist eine interessante Kombination von Belcantoklang und zeitgenössischer Musik, die, 2012 erstmals gezeigt, in dieser Spielzeit erneut am Opernhaus in Gent zu erleben ist und die ich mir gestern für Sie angesehen habe.
Hélène und Henri kämpfen gemeinsam mit Daniel und anderen Aufständischen gegen die Belagerung Flanderns durch die Spanier. Die haben den Herzog von Alba geschickt, um die Rebellion niederzuschlagen. Als sich herausstellt, dass Henri der Sohn des Herzogs ist, verlangt Hélène von ihm, den Vater zu töten, um seine Liebe zu ihr zu beweisen. Nachdem er sich weigert, versucht sie selbst, den Herzog zu erdolchen, tötet dabei aber ihren Geliebten, der sich schützend vor den Vater wirft.
Battistelli unternimmt gar nicht erst den Versuch, nach Belcanto klingen zu wollen, sondern bleibt bei seiner Vollendung des Donizetti-Fragments seinem Stil ungebrochen treu und ergänzt die Original-Komposition um eine eindringliche Soloszene der Titelfigur im dritten Akt sowie ein fulminantes Finale der Oper. Seltsamerweise aber wirkt Battistellis Musik nicht wie ein Fremdkörper, vielmehr mischen sich Donizettis Melodien mit den musikalischen Brüchen und düsteren Klängen von Giorgio Battistelli und werden so zu einem symbiotischen Kunstwerk, bei dem sich die Stile gegenseitig stützen und in ihrer Wirkung verstärken.
Mit der Regiearbeit der französischsprachigen Uraufführung war 2012 Carlos Wagner betraut worden, der nicht der Versuchung unterliegt, das Werk allzu sehr zu politisieren. Nach Freiheit und Unabhängigkeit strebende Flamen sind uns auch heutzutage nicht ganz fremd, doch der aus Venezuela stammende Regisseur belässt es bei einem eher indifferenten Verlegen der Handlung ins 20. oder 21. Jahrhundert. Die Kreationen des belgischen Modelabels A.F. Vandevorst, in die man die Protagonisten gesteckt hat, sind von schlichter Tristesse beim Volk, beim Herzog von einer Art extravagantem Understatement. Überdimensionale Soldatenfiguren, die dem Land Brobdingnag aus Gullivers Reisen entstammen könnten, sind so allgegenwärtig wie Leid und Tod, scheinen übermächtig und die Revoltierenden unter ihren Stiefeln zu zerdrücken. Auf der bis auf wenige Requisiten leeren Bühne von Alfons Flores, die deutlich durch ein Stahlgerüst in ein „Oben“ und ein „Unten“ geteilt ist, ist eigentlich das durchdachte und fein austarierte Licht von Fabrice Kebour der Inszenator, das die ausgefeilte Personenregie von Carlos Wagner noch verstärkt. Wagner findet starke Bilder, zeichnet den Herzog als machthungrigen Despoten, ganzkörpertätowiert und brutal - und doch um die Liebe seines wiedergefundenen Sohnes buhlend. Dass sich der nicht ganz freiwillig vor seinen Vater wirft, um ihm das Leben zu retten, ist da nur konsequent.
Auch musikalisch wird in Gent mit so manchem Pfund gewuchert. Angefangen beim tadellos singenden und mit feinem Tenor ausgestatteten Chorsolisten Stephan Adriaens über David Shipley, der den Sandoval mit massigem Bariton gekonnt zum gewaltgeilen Handlanger des Herzogs macht, bis hin zu Markus Suihkonen, der mit eindrucksvollem Bass den Revoluzzer Daniel gibt, ist auch die zweite Reihe kraftvoll besetzt. Ania Jeruc verfügt ebenfalls über viel Kraft und zeigt die in der Partie der Hélène auch unumwunden, lässt aber für meinen Geschmack da und dort ein wenig Gefühl vermissen und betont so die kämpferische Seite ihrer Figur über Gebühr. Dazu neigt sie in der Höhe zu einer gewissen Schärfe. Der türkische Bariton Kartal Karagedik war mir in der Vergangenheit schon mehrfach aufgefallen, das Hamburger Ensemblemitglied hatte mich schon als Gérard im „Chénier“, in Puccinis „Fanciulla“ oder in der Wolf-Ferrari-Rarität „I Gioielli della Madonna“ begeistert. Deshalb war ich auf seine Interpretation der Titelfigur besonders gespannt. Mühelos meistert er auch die Herausforderungen des Belcanto, wobei ihm die wohl schwierigste Rolle des Abends zukommt, fallen doch die Battistelli-Ergänzungen vornehmlich in seinen Part. Gerade noch muss er im Belcanto-Style fast vornehm den Despoten geben, um innerhalb von Sekunden die offen zur Schau getragene Brutalität in der Battistelli-Komposition zeigen, ehe er ein paar Takte später wieder Donizetti singt. Dabei zeigt er dermaßen viele Facetten seines zu großem Gefühl wie zu großem Ausbruch fähigen Baritons, dass es eine wahre Freude ist. Das Publikum freilich schnappt sich beim Schlussapplaus der Tenor. Wie kann man aber auch einer so schönen Stimme nicht erliegen, wie sie Enea Scala hat. Voller Gefühl und metallischem Klang, von endlosem Atem und enorm höhensicher, was der Italiener am gestrigen Abend gerne und oft zeigt. Ein uneingeschränktes „Bravissimo“ also den beiden Herren!
Gleiches gilt für das, was aus dem Graben schallt. Donizettis zum Teil extrem pathetische, fast hymnische Partitur ist bei Andriy Yurkevych in den besten Händen. Und doch präsentiert er zusammen mit den Damen und Herren des Symphony Orchestra Opera Vlanderen ebenso überzeugend auch traumhafte Melodienbögen voller Sentiment und furiose Passagen. Der Chor unter der Leitung von Jan Schweiger meistert seinen umfangreichen Part überzeugend in gesanglicher wie darstellerischer Hinsicht.
Kurz, lieber Opernfreund-Freund, lassen Sie sich diese erlebenswerte Produktion nicht entgehen, scheuen Sie die Reise nach Gent nicht. Die Stadt ist auch ohne Oper schon einen Besuch wert, diese Donizetti-Rarität allerdings ist derzeit sicher das Sahnehäubchen.
Die Fotos stammen von Annemie Augustijns.
Ihr Jochen Rüth / 22.11.2017
Erich Wolfgang Korngold
Das Wunder der Heliane
Premiere: 15 September 2017 in Gent
Besuchte Vorstellung: 1. Oktober 2017 in Antwerpen
TRAILER
Während Korngolds „Tote Stadt“ mittlerweile zum festen Repertoire der Opernhäuser gehört, hat es das sieben Jahre später entstandene „Wunder der Heliane“ wesentlich schwieriger. Gerade vier Inszenierungen hat diese Oper nach dem 2. Weltkrieg bisher erlebt. Da ist es erfreulich, dass die Vlaamse Oper diese Rarität auf den Spielplan setzt und auch auf den Prüfstand stellt.
Gleich vorweg: Diese Oper ist nicht durch die Nazis von den deutschen Spielplänen verschwunden. Nach der Hamburger Uraufführung am 7. Oktober 1927, folgten in der gleichen Saison noch neun weitere Inszenierungen. Ab der Spielzeit 1928/29 gab es dann aber keine weiteren Neu-Inszenierungen. Die Ursachen für das Verschwinden des Werkes von den Spielplänen müssen also im Stück begründet liegen.
Die Handlung ist symbolistisch überfrachtet und fast nur mit namenlosen Figuren bevölkert: Ein Fremder wiegelt das Volk gegen den Herrscher auf und wird deswegen inhaftiert. Er wird zum Tode verurteilt, doch als Heliane, die Frau des Herrschers, ihn im Gefängnis besucht, verlieben sich die beiden ineinander. Dafür wird Heliane der Prozess gemacht, in deren Verlauf sich der Fremde selbst tötet. Schließlich erweckt Heliane ihn durch ihre Liebe wieder zum Leben und stürzt so die Macht des Herrschers.
Die „Heliane“-Musik ist wesentlich sperriger als die zur „Toten Stadt“. Echte Ohrwürmer oder musikalische Identifikationspunkte stellen sich hier kaum ein, obwohl Alexander Joel den Abend am Pult des Symfonisch Orkest Opera Vlaanderen farbenprächtig, schattierungsreich und sängerfreundlich leitet. Den ersten Gastdirigenten des Hauses kennt man in Deutschland als Kapellmeister der Deutschen Oper am Rhein, als Brauschweiger Generalmusikdirektor und Dirigent des aktuellen Wiesbadener „Nibelungen-Rings“. Dank solcher Aufführungen wie dem hervorragenden „Heliane“-Dirigat qualifiziert sich Alexander Joel mittlerweile auch für Chefposten an den ganz großen Häusern.
Die Inszenierung von David Bösch versetzt das Stück in eine postapokalyptische Landschaft, die ihm von Christof Hetzer entworfen wurde und die an „Mad Max“ erinnert. Der Herrscher ist hier ein Wüsten-Warlord, der ein Volk von Vertrahlten und Mutanten beherrscht. Richtig glaubhaft wird die symbolistische Geschichte mit ihrem Kampf um Liebe und Herrschaft in diesem Szenario aber nicht. Man muss es ganz klar sagen: David Bösch, von dem in Frankfurt zur Zeit auch Verdis „Trovatore“ zu sehen ist, hat weder als Opern- noch als Schauspielregisseur zu der funkensprühenden Kreativität zurückgefunden, die seine Inszenierungen für das Schauspiel Essen zwischen 2005 und 2010 auszeichneten.
Die Heliane wird von Ausrine Stundyte gesungen, die sich in den letzten Jahren besonders in den Arbeiten Calixto Bieitos hervorgetan hat. Wie alle Akteure ist sie eine intensive Darstellerin, die sich der Regie bedingungslos ausliefert. Mit hellem und dramatischem Sopran singt sie eine intensive Heliane. In der Höhe verliert die Stimme aber an Substanz. An der Darstellung der Figur ist ungewöhnlich, dass Heliane hier keine strahlende Schönheit ist, sondern ebenso heruntergekommen ist, wie die anderen Figuren. Diese Heliane hat fettig-zersaustes Haar und trägt einen schäbigen Mantel.
Die Erlöser-Figur des Fremden singt Ian Storey mit kräftigem Tenor, der jedoch zu sehr im Dauer-Mezzoforte bleibt, ohne die Partie genauer zu differenzieren. Optisch definiert die Regie den fremden vor allem über sein verschwitztes Unterhemd.
Sängerisch und darstellerisch ist Tomas Tomasson als der Herrscher die stärkste Figur. Mit raumgreifendem Organ singt der isländische Helden-Bassbariton ein brutales, aber differenziertes Bild dieser Persönlichkeit. Das Regieteam macht ihn zum glatzköpfigen Gewaltmenschen, der gern zur Pumpgun greift.
Nach dieser Aufführung fragt man sich, warum sich die Vlaamse Opera nicht für Korngolds „Violanta“ entschieden hat. Die wird auch selten gespielt, ist musikalisch und inhaltlich aber ungleich packender. Die nächste Bewährungsprobe für „Das Wunder der Heliane“ ist aber schon in Arbeit. Christof Loy wird das Stück im März 2018 an der Deutschen Oper Berlin inszenieren. Am Pult steht dann Marc Albrecht.
Rudolf Hermes 7.10.2017
© Annemie Augustijns
TRAILER 2
David Boesch und einige Künstler sprechen über diese Produktion
TRAILER 3
Promospot der Opera Vlaanderen
OPERNFREUND CD TIPP
Da die Gesamtaufnahmen zu teilweise wirklich unverschämten Preisen angeboten werden, ist diese mit aktuell 22 Euro bei Amazon noch erschwinglich und wirklich sensationell besetzt. PB
Nikolaj Rimsky-Korsakovs:
Sadko
Premiere: 20 Juni 2017
Besuchte Vorstellung: 24. Juni 2017
Begegnet man den Opern Nikolaj Rimsky-Korsakovs auf der Opernbühne, ist man immer erstaunt, dass Stücke mit solch einer starken Musik in Mitteleuropa ein Schattendasein fristen. So ist es auch beim „Sadko“, der jetzt an der flämischen Oper in Gent als Koproduktion mit der Oper Bratislava herauskam.
Ein Hindernis bei der Verbreitung dieser Opern sind die Libretti, die meist auf russischen Märchen und Sagen beruhen, die dem hiesigen Publikum nicht bekannt sind und über die Regie irgendwie vermittelt werden müssen. In „Sadko“ geht es um einen singenden Kaufmann gleichen Namens, der auf den wirtschaftlichen Aufstieg Nowgorods hofft, von der Öffentlichkeit aber nur verlacht wird. Er erträumt oder erlebt einen Ausflug in die Nixenwelt, wo er mit der Wolchowa, der Tochter des Meer-Zaren anbandelt, obwohl er mit Ljubawa verheiratet ist.
Dank der Hilfe Wolchowas fängt er drei goldene Fische, was sein Ansehen sofort wachsen lässt. Daraufhin rüstet er eine Flotte aus und fährt zwölf Jahre zu See, bis er Wolchowa wieder begegnet, die sich schließlich nach dem Abschied von Sadko in einen Fluss verwandelt, der durch Nowgorod fließt und den Aufstieg der Stadt garantiert.
Regisseur Daniel Kramer versucht die Geschichte in die Gegenwart zu verlegen: Sadko ist bei ihm ein Schnulzensänger, der auf den Feiern der IHK-Nowgorod aufritt und sich dann in eine Phantasiewelt träumt. Das Übergreifen der phantastischen Elemente, wie der Fang der goldenen Fische (hier ein goldener Handschuh) und der finale Flussanschluss Nowgorods machen eine klare Trennung zwischen Traum und Realität aber sehr schwierig, so dass man sich fragt, ob man diese Oper überhaupt abseits vom Märchen erzählen kann.
So nachvollziehbar der Ansatz der Regie ist, so problematisch ist das Bühnenbild von Annette Murschetz. Spielfläche ist nur ein mit Erde bedecktes Rechteck, das an Pina Bausch Version von „Sacre du printemps“ erinnert. Darüber schwebt eine Video-Projektionsfläche. In den Stadtszenen wird der Zuschauer mit einer Fülle an TV-Müll wie „Tom und Jerry“, Fußball und Kriegsbildern bombardiert, um die kaptalistische Ausrichtung der Bevölkerung zu unterstreichen. Dabei hätte man den Videoeinsatz besser nutzen können, um die Szenen stimmungsvoll geographisch zu verorten. Dies gelingt immerhin in den Nixenszenen, die unter großen Mondbildern spielen.
Insgesamt bietet das Stück aber viele Möglichkeiten, um über das Verhältnis von Männern und Frauen oder den Mensch und die Natur nachzudenken, so dass diese Oper für jeden Regisseur eine spannende Herausforderung darstellt. Man kann nur hoffen, dass andere Theater sich auch am „Sadko“ versuchen, denn die Musik ist großartig. Rimsky-Korsakov schreibt schwelgende Natur- und Wassermusiken, die vom Symfonisch Orkest der Opera Vlaanderen unter Dmitri Jurowski mit leuchtenden Farben musiziert werden. Der Gesangspartien strotzen ebenso wie das Orchester vor großartigen Melodien. Die Volkschöre werden vor allem vom Herrenchor der Opera Vlaanderen mit viel Energie geschmettert. Der Damenchor darf als Nixen fast impressionistisch-zarte Töne beisteuern (Chorleitung: Jan Schweiger).
Auch wenn das Regiekonzept insgesamt nicht aufgeht, wird es von den Sängerdarstellern mit viel Energie umgesetzt: Zurab Zurabishvili singt die Titelrolle mit schönem und kraftvollem Tenor. Als Nixe Wolchova glänzt Betsy Horne mit leuchtenden Melodiebögen. Sadkos Ehefrau Ljubawa wird von Victoria Yarovaya mit vollem und weich strömendem Mezzo gesungen. Mit großer Mezzo-Röhre schmettert Raehann Bryce-Davies den Nezjata, eigentlich ein Volksmusikant, der hier zur souligen Nachtklubsängerin wird. Sehr luxuriös sind auch die drei Kaufleute, die im vierten Bild von ihren Heimatländern schwärmen, mit Bass Tijl Faveyts, Tenor Adam Smith und Bariton Pavel Yankovski besetzt.
Während die musikalische Umsetzung fast keine Wünsche offen lässt, bleibt die Regie unter den Möglichkeiten des Werkes. Wer sich selbst ein Bild machen will: Der Genter „Sadko“ ist ab dem 2. Juli 2017 bei www.theoperaplatform/eu zu sehen. Ab Januar 2018 wird die Produktion in Bratislava gespielt.
Rudolf Hermes 26.6.2017
Bilder folgen
ARMIDA
Besuchte Vorstellung: 27. November 2015
Premiere: 19. November 2015
Ritter im Stadion
Die Pariser Regisseurin Mariame Clément kennt man auch von ihren Inszenierungen für deutsche Bühnen, wobei sie sehr unterschiedliche Arbeiten präsentiert: Neben einer stilsicher gelungenen „Figaros Hochzeit“ für Dortmund und Nürnberg, hat sie auch eine uninspiriert planlose „Zauberflöte“ heraus gebracht, die schon in Graz, Köln, Straßburg und Nizza zu sehen war. Auch ihre Genter „Armida“ kann szenisch nicht überzeugen.
Eigentlich hat Clément genug Ideen für vier gute Inszenierungen, nur kann sie sich nicht für eine entscheiden, sodass man sich während der Genter Aufführung, fragt, was die Regisseurin eigentlich sagen möchte? Folgende Konzepte bietet sie an:
- An Elfriede Jelineks „Sportstück“ angelehnt, werden Sport und Krieg in einen Topf geworfen: Die Kreuzritter kommen im klassische Kettenhemd in ein Sportstadion marschiert. Rinaldo verlässt Armida, weil ihm ein Sportpokal versprochen wird.
- Wie in Monty Pythons „Spamelot“ dürfen die klassisch gerüsteten Ritter zu Rossinis fröhlicher Musik auch mal das Tanzbein schwingen. Kreuzritterklamauk!
- Armida und Rinaldo wagen mit ihrer Liebe, ähnlich wie „Tristan und Isolde“, den Ausstieg aus ihren verfeindeten Gesellschaftssystemen und haben eine schöne Szene in einer Waldlandschaft. Doch die böse Gesellschaft dringt in dieses Idyll ein und zerstört die Liebesbeziehung. - Der beste Einfall des Abends, den man gerne konsequent realisiert gesehen hätte.
- Wenn Armida ihren Rinaldo leidenschaftlich auf den Hals küsst, fragt man sich für einen Moment, warum die Regie aus der Zauberin Armida nicht eine Vampirin macht, zumal dieses Genre zeitlos beliebt ist. Die Kreuzritter könnten so zu Vampirjägern werden.
Dass die musikalische Seite des Abends wesentlich erfreulicher ausfällt ist vor allem Alberto Zedda zu verdanken. Der mittlerweile 87-jährige Zedda ist wahrscheinlich der größte lebende Rossini-Spezialist und hat die flämische Oper schon mehrfach mit seinem Dirigat beehrt. Zedda lässt Rossinis Musik leichtfüßig und jugendlich dahin sprudeln, verhehlt nicht, das diese dramatische Oper auch ihre heiteren Momente hat. Gleichzeitig ist er den Sängern ein perfekter Begleiter.
Angeführt wird das Ensemble von Carmen Romeu in der Titelpartie: Sie ist sowohl optisch als auch stimmlich eine schlanke und attraktive Erscheinung, die sich mit Feuer in die Dramatik ihrer Rolle stürzt. Wenn Armida die Kreuzfahrer aufs Kreuz legt, schwingt bei ihr auch immer ein feiner Witz mit.
Während Romeu ihre Partie bereits in Pesaro sang, debütieren die beteiligten Herren allesamt in ihren Rollen: Enea Scala ist der seltene Fall eines Koloratur-Heldentenors: Seine Stimme hat ein kräftiges Fundament, ist schön gefärbt, erreicht die Höhen mühelos und jagt zudem leichtfüßig durch Rossinis Tongirlanden.
In der Doppelrolle als Gernando und Ubaldo ist der amerikanische Tenor Robert McPherson zu erlebe. Seine Stimme gefällt mit ihrem süßlichen Timbre, jedoch hat er manchmal den Tick in einer Koloratur vor jedem Ton ein „H“ einzufügen, was dann eine gesungenes „Ha-ha-ha-ha-ha“ zur Folge hat. Kräftig und markant singt Dario Schmunck den Goffredo und den Carlo.
Nach dieser Aufführung wünscht man sich, diese selten gespielte Oper mal in einer durchdachten Inszenierung zu sehen.
Rudolf Hermes 29.11.15
Fotos von Annemie Augustijns (Vlaamse Opera)
CHOWANSCHTSCHINA
November 2014
Die Besprechung der Produktion befindet sich auf der Seite Antwerpen
TSCHARODEIKA (Die Zauberin)
Vorstellung am 08.11.2011 (Premiere am 30.10.2011)
Martern aller Arten: Ein schlechter Film in dürftiger Regie
Die Vlaamse Opera, die pro Saison sieben Produktionen herausbringt und keine n Repertoirebetrieb hat, spielt die Opern jeweils in Antwerpen und Gent. Welcher Hafer hat wohl die Intendanz bei so begrenzten Möglich-keiten gestochen, im Rahmen ihrer (bislang?) dreiteiligen Tschaikowski- Reihe das fast nie aufgeführte Werk mit seiner opernuntauglichen Drama-turgie auszugraben statt die Pique Dame zu spielen? Darauf gibt es auch eine zynische Antwort: für Pique Dame werden Könner für eine tiefgründige, inspirierte Interpretation benötigt, bei Tscharodeika dagegen kann man weniger Schaden anrichten. Diesen Schaden nahm das Inszenie-rungsteam Tatjana Gürbaca (Regie) und Luc Joosten (Dramaturgie) in Kauf, denn statt die Chance zu ergreifen, an den auch in der Tscharodeika vorhandenen dramaturgischen und musikalischen Vertiefungsmöglichkeiten entlang zu inszenieren, was nur über die Personenzeichnung funktionieren kann, wurde nur an der Oberfläche herumgemurkst und Klamauk erzeugt, wozu auch noch die musikalische Leitung (Dmitri Jurowski) eine Hand lieh.
Copyright alle Bilder: Annemie Augustijns (Vlaamse Opera)
Bei Tscharodeika (deutsch: die Zauberin) handelt es sich um eine Tragödie des Schriftstellers Ippolit Schpaschinski. Peter Tschaikowskis Bruder Modest war darauf aufmerksam geworden und ließ vom gleichen Autor das Libretto zur Oper erstellen. Diese „Tragödie“ hat aber gar keine tragödische Ver- wicklung, sondern besteht aus einer linearen Aneinanderreihung von Hand- lungselementen, in der sich eine politische Geschichte mit einer Beziehungs-klamotte kreuzt, beide in gleicher Weise unglaubwürdig: Natascha ist die bezaubernde Wirtin einer Herberge in Nischni Nowgorod, in der sich zu wilden Feiern und Glückspiel eine buntes Häuflein Menschen versammelt. Die Herberge in ist der Obrigkeit ein Dorn im Auge, da man sich neben den Vergnügungen auch über Unterdrückung und Ausbeutung durch den Statthalter, den Fürsten Nikita, beklagt. „Ich musste an die Situation in Deutschland in den 60er und 70er Jahren denken, in denen die Rote Armee Fraktion für Angst und Schrecken sorgte. Es ging um eine vergleichbare Situation…“ (Tatjana Gürbaca, geb. 1973) Die Männer richten Ihre Hoffnung auf Prinz Juri, Nikitas Sohn, der eine liberalere Auffassung als sein Vater vertritt. Mamirow, Nikitas verklemmter Handlanger, setzt den Fürsten unter Druck, dem Treiben von Natascha und Konsorten ein Ende zu machen und das Gasthaus zu schließen. Er hat dabei aber seine Rechnung ohne die Wirtin gemacht, die Nikita bei einem Besuch des Gasthauses sofort den Kopf verdreht. Mamirov wird vorgeführt, sinnt auf Rache und verrät die vermeintliche Beziehung zwischen dem Fürsten und Nastasia an dessen Frau, die Fürstin Eupraxia, was zur Ehekrise bei dem Fürstenpaar führt. Für Prinz Juri ist das Anlass, sich gegen die politische Herrschaft seines Vaters zu wenden. Es kommt zur Konfrontation zwischen Vater und Sohn, weil der Sohn Moral und Familienehre wieder herstellen und Natascha töten will. Er fällt aber ebenfalls ihrer bezaubernden Art zum Opfer und verliebt sich auf der Stelle in die Frau, die selbst schon lange ein Auge auf ihn geworfen hatte. Natascha und Juri wollen aus Gesellschaft fliehen, aber die Eifersucht der älteren Generation holt beide ein. Nikita ermordet seinen Sohn und seine Gattin, die Fürstin Eupraxia, tötet ihre Rivalin Natascha. Alles ein bisschen übertrieben, oder?
Tatjana Gürbaca hat sich von Klaus Grünberg für das erste Bild in der Herberge, in der die größte Personenzahl auftritt, einen Guckkasten bauen lassen, der die ohnehin schon ziemlich kleine Bühne des Genter Theaters noch einmal um ein Drittel verkleinert. Das ist praktisch gedacht, denn dadurch braucht sie sich bei dieser Chorszene um Bewegungsregie keine Gedanken zu machen: alle, ein Autonomer, ein Maler, ein Nackter, auch ein weißer Bär, hopsen dicht an dicht in diesem Raum auf und nieder oder stehen hinten auf einer tribünenartigen Aufschichtung von umgedrehten Getränkekästen. Der Raum ist mit Graffitis besprüht; sollen ein Malertisch und eine schon neu gestrichene Eingangstür verdeutlichen, dass sich diese Chaoten-Gesellschaft einen renovierten Raum schaffen will. Wer hat ihn denn dann besprüht? Nachdem Natascha den Fürsten eingewickelt hat, endet der erste Aufzug in einem Tanz, bei dem Mamirov die Hosen herunter gezogen werden. Der zweite Akt spielt im Palast des Fürsten. Zuerst tritt seine Frau im kühlen Kostüm einer Quotenvorstandsfrau auf und erteilt ihren Mitarbeiterinnen Anweisungen. Mamirov kommt herbei und verpetzt den Fürsten. Dann wird der Tisch gedeckt: drei Gedecke und ein Stuhl sind vorhanden. Die Atmosphäre ist relativ kühl, zum Essen hat keiner Lust. Die Fürstin macht ihrem Mann eine heftige Szene, wobei sie das Oberteil ihres Kostüms ablegt. Nun geht plötzlich die Hinterwand des Esszimmers zu Bruch und die Getränkekastentribünen mit der Spaßgesellschaft von vorhin werden herein gefahren. Die machen aber gar keinen Spaß, werden aber, obwohl sie ganz schön viele sind, von Mamirov und zwei Hausdienern leicht in Schach gehalten. Die Revoluzzer ihrerseits rufen nun um Hilfe, der böse Mamirov erschießt auch gleich noch einen oder zwei von ihnen, ehe Juri kommt und die Menge beruhigt. Die Fürstin drängt darauf, die „Schlange“ zu eliminieren, die vermeintlich ihre Ehe zerstört hat.
Das soll im dritten Akt passieren, für den auf halber Bühnenhöhe ein kleiner weißer Kasten mit Tisch aufgebaut ist, zu dem man über eine Leiter gelangt. Drinnen ist Natascha; als erster kommt der Fürst, der sie sich nacheinander mit Werben, Geld und Gewalt gefügig machen will, vergeblich. Später kommt der Prinz Juri. Er verfällt der Frau. Das ist die einzige Szene der Oper, die ein wenig Seele vermittelt. Im Übergang zum vierten Aufzug wird pantomimisch eine Zirkusparodie aufgeführt. Nun bekommt auch der Bär aus dem ersten Akt eine Bedeutung. An finsterem Ort haben sich Natascha und Juri zur Flucht verabredet. Leider kommt auch die verkleidete Fürstin an den finsteren Ort, um sich dort von einem Zauberer einen Gifttrunk bereiten zu lassen, mit welchem sie Natascha beseitigt, die dann in einem Kasten noch die zersägte Frau spielt. Mit der gleichen scharfen Waffe ermordet der Fürst, der auch seinen Weg an diesen Ort gefunden hat, seinen Sohn, ehe er in großes Jammern ausbricht, weil er sein Leben verpfuscht hat. (Gewaltige Orchesterschläge!) Dieser letzte Akt besteht nur noch aus Zirkusklamauk, womit die Regie wohl nach einigen ordentlichen Ansätzen in den beiden Mittelakten zu verstehen gibt: die Tiefe dieses Stücks ist die einer Zirkusnummer. Oder sollte es ein Mysterienspiel sein? Die Regisseurin tat mit etlichen Platituden und inkonsistenten „Einfällen“ dem ohnehin schwachen Werk keinen Gefallen; die Charaktere bleiben unverfeinert; es gibt keinen Sympathieträger in der Oper. Dazu wird häufig gegen den Text inszeniert. Was seitens der Dramaturgie schwer verständlich bleibt: es sund acht unerhebliche Nebenrollen besetzt, dafür werden zwei wesentliche Rollen, die miteinander gar nichts zu tun haben und vom Komponisten mit unterschiedlichen Stimmlagen gekennzeichnet sind, in eine zusammen- gefasst: die des käuflichen falschen Mönchs Paisi, der als Hinterträger gebraucht wird, und die des Giftmischers Kudma. Frau Gürbaca, in den Presseunterlagen der Vlaamse Opera schon als Intendantin des Staats-theaters Mainz bezeichnet, bleibt eine schlüssig gezeichnete am Werk orientierte Inszenierung wieder einmal schuldig.
Daran dass die Oper an der Oberfläche bleibt, hat auch musikalische Leitung ihren Anteil. Dmitri Jurowski legt die Partitur bis auf einige wenige Pas- sagen, in denen zarte Klarinettenpassagen an den Onegin erinnern, holzschnittartig in Schwarz-Weiß aus und lässt es für das kleine Theater viel zu sehr krachen. Es herrschen hohles Pathos, dauerndes Getöse und gewaltig lächerliche Orchesterschläge zum Ende der Klamotte, wo gar keine Dramatik mehr angebracht ist: „Wie schön ist doch die Musik - aber wie schön erst, wenn sie vorbei ist!“ Das sauber aufspielende Orchester kann nichts dazu. Bei den kurzen Szenen des kleinen präzise eingesetzten Chors wurde hörbar, dass die Sänger mit der Sprache Probleme hatten.
Für einen Lichtblick hingegen sorgte das von der Vlaamse Opera verpflich- tete hochkarätige internationale Sängerensemble für die Hauptrollen, überwiegend Muttersprachler. Die litauische Sopranistin Ausrine Stundyte sang an diesem Abend die Natascha. Als Wirtin beherrschte sie ihre Gesellschaft in schwarzem Kostüm mit großem Federhut; ihre warme dunkel timbrierte Stimme neigte zu Beginn noch etwas zum Flackern; im lyrischen Gesang kam sie sehr gut rüber. Olga Savova konnte in der Rolle der Fürstin als idealtypisch gelten. Die Nuancen ihres klangschönen Mezzo konnte sie kaum zur Geltung bringen, weil sie das Orchester ankämpfen musste. Das galt vor allem für das große Duett mit dem Fürsten im zweiten Akt, als diese sensible Stelle nur eindimensional im Fortissimo musiziert wurde. Valery Alexejew war hier ebenso betroffen; er hatte aber schon vorher mit seinem runden, eleganten und voluminösen Bariton gefallen. Prinz Juri wurde von Viktor Lutsiuk gegeben, dessen Höhen häufig verzerrt klangen. Taras Shtonda, stimmgewaltig mit kernigem Bass, gab den Mamirov. Nikolai Gassiev musste die Tenorrolle des Paisi und die Baritonpartie des Kudma übernehmen, wobei er – vielleicht situativ bedingt? - als Zauberer in rotem Teufelskostüm viel besser wirkte.
Von einer durchwachsenen Produktion zu sprechen, wäre ein Euphemismus. Zeitverschwendung! In Gent kann man sehr gut Abendessen gehen! Das Publikum spendete neben einigen verhaltenen Buhs für die Regie ordentlich Beifall. Wie fast immer war das Haus voll besetzt: die nicht verkauften Plätze gehen an die Schulen, die im Gegenzug nicht besonders disziplinierte Jugendliche entsenden. Das Stück hat am 16. November in Antwerpen Premiere und wird dann dort noch vier weitere Male bis zum 26. November gegeben. Beim Koproduzenten, dem Theater Erfurt findet die Premiere am 2. Juni 2012 statt.
Manfred Langer