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WIENER BLUT
Premiere: 26.11. 2014. Besuchte Vorstellung: 15.10. 2021
Was verlangt der Operettenfreund von einer Operettenaufführung? Charme, Poesie (natürlich auch Witz), gute Stimmen und ein ebensolches Orchester sowie eine sog. „ansprechende“ Bühne. Wirklichkeit wurde diese billige Forderung spätestens in jenem Moment, in dem sich Graf und Gräfin Zedlau auf die (Liebes-)Schaukel begaben – und jenes Walzerlied sangen, dass durch den Titel der Operette und des Walzers unsterblich und weltbekannt wurde: „Wiener Blut“. Denn ist es nicht bezaubernd, wie sich der Graf in seine eigene Frau verliebt und der zarte und doch leicht anzügliche Walzertakt den Rhythmus so zum Spiel gibt wie die Schaukel?
Dass man an diesem Abend – wohl auch aufgrund des meist allzu offenen Bühnenbilds – nicht jedes Wort versteht, verschlägt nichts – denn, Hand aufs Herz: wer geht schon aufgrund des Librettos in eine Operette (oder Oper)? Iss eh jedem Tschapperl kloar, was da so abgeht zwischen den Paaren, was indes nicht heißt, dass das Textbuch, das Viktor Léon und Leo Stein kurz vor dem Tod des Komponisten geschrieben haben, dümmer wäre als andere Operettentextbücher. Interessant ist es ja schon deshalb, weil es stilbildend wurde für eine lange Reihe von gleichartigen Werken. Aus diesem Grund tut ein inszenatorischer Eingriff ins Bühnengeschehen Not; die Österreicherin Nicole Claudia Weber erfand, zusammen mit ihren Bühnenbidnern Karl Fehringer und Judith Leikauf und mit der Kostümgestalterin Marie-Luise Walek, eine zwischen dem Wiener Himmel und der Erde vermittelnde neobarocke Architektur, in deren oberem Teil sich zumeist ein Wiener und ein Bayerischer Engel tummeln, das Geschehen stumm kommentieren und gelegentlich sanft eingreifen. Es stört nicht weiter; wenn man sich auf die irdische Szenerie konzentriert, sieht man auf Klimtsche Muster (die Goldene Adele schaut uns an), die verständlich machen, wieso im Vorspiel neben dem Stephansdom das von Friedensreich Hundertwasser ausgestattete Fernkraftwerk als zweites Architektursymbol der Stadt Wien fungiert: hier wie dort beherrscht ein Farbrausch die Fläche, vor dem die Konflikte dieser Partnertauschgeschichte hinweggewalzert werden.
Die Operette sei, so Peter Lund im guten, vom Dramaturgen Daniel C. Schindler gestalteten Programmheft, "ein satirischer Blick auf die Unmöglichkeiten des Daseins, ohne jedes Glücksversprechen oder kitschige Himmelfahrtkommandos, ein Angebot zu lachen, über die eigene Gesellschaft, über die eigenen Sehnsüchte und damit über sich selbst“. Mag sein, dass in Wiener Blut doch ein Glück versprochen wird, das ohne Reu über vergangene Fehler einmal eintreten wird – der Witz besteht darin, dass die zwischenzeitliche Rückkehr des Grafen zu seiner Frau, die er ja nicht grundlos zugunsten einer Geliebten verlassen hat, während er gleichzeitig einer Dritten nachpirscht, nur mit Humor zu nehmen ist. Indem die Textdichter, so der Dramaturg, „ihren Zeitgenossen die Scheinheiligkeit der vormaligen bürgerlichen Sexualmoral zu Beginn des zurückliegenden Jahrhunderts vor Augen führen, halten sie ihnen zugleich einen Spiegel in Bezug auf ihre eigene gegenwärtige Verklemmtheit vor“. Schon recht, aber der Schluss, den die Regie aus dieser Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft zieht, ist augenzwinkernd – und versöhnlich. Così fan tutti – wobei es eher die Kerle, weniger die „süßen Madln“ sind, die sich nicht zähmen lassen. Wie sich in einem 4. Akt die Beziehung zwischen Graf und Gräfin und Diener und Probiermamsell gestalten würde, ist eh hypothetisch; in München aber krönt am Ende das goldene Standbild des Walzerkönigs nach den diversen Verwicklungen und Laubenabenteuern das harmonische Schlussbild. Es scheint eben doch ein „selt‘nes Gut“, dieses Wiener Blut eines Vielvölkerstaats, in dem die sozialen Grenzen durch die erotischen Bedürfnisse ausgeglichen scheinen. Am Anfang tanzen sich doch, vor dem Kunsthimmel und unter den riesigen Tropfen (!) imaginärer Riesenlüster, schon die „richtigen“ Paare in die Arme. Vor dem lieto fine steht schließlich der Auswuchs eines absurden Theaters, in dem das Wechselspiel wie in jedem guten Boulevard fröhliche Urständ feiert und das Ensemble der Stimmen mit dem Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter der guten Leitung von Michael Brandstätter zu schönem Einklang findet.
Dabei wird durchaus nicht klar, wieso sich der Graf, der mit dem Wiener Daniel Prohaska eine gutaussehende Erscheinung gefunden hat, auf Abwege begibt, um eine leicht zickige Franziska Cagliari – Ilia Staple – zu beschlafen, wenn er eine Dame vom Format Alexandra Reinprechts als Frau Gemahlin titulieren darf… die ihrer Rolle mit ihrem damenhaften Sopran und jeder Menge Grazie und Humor Kontur verleiht. Schon wie sich bei ihrem vollkommenen Auftrittslied – Grüß Dich Gott, mein liebes Nesterl – auf der Kommode drapiert, hat Klasse und Souveränität. Kein Wunder, dass Graf Bitowski – eine leicht bizarre, im Rollstuhl fortbewegte, immerzu auf Frauenjagd sich befindliche Figur mit riesigen Greifhänden – auch ihre Arme abbusselt. Eduard Wildner spielt diese grandiose Charge zum Vergnügen der Zuschauer, er macht auch den derben Fiakerkutscher, der im dritten, dem Hietzinger Heurigen-Akt, ein Trinklied beisteuern darf, das sich in der üblichen heiteren Wiener Melancholie ergibt. Grandios auch, in aller klischeehaften Übertreibung, die ein echter österreichischer Jahrgang 1939 dem stets angesäuselten Vater der Cagliari zu geben weiß: Wolfgang Hübsch. Sehr gut auch der gräfliche Diener, also Daniel Gutmann, dessen markanter dunkler Bariton ihn, wie man zu Zeiten des Wiener Bluts geschrieben hätte, zu dem sog. Höheren befähigt, wenn man einmal kurz vergisst, dass Operettesingen eine genau so hohe Kunst ist wie Opernsingen. „Ich nehm‘s mit jedem Ballettmodell auf“, sagt Pepi Pleininger, die Probiermamsell, die Wienerin Julia Sturzlbaum, die die Soubrettenrolle sozusagen werktreu macht: also einfach pfiffig, bis hin zum hysterischen Gezappel, mit dem sie am Ende des ersten Teils ihre Wut über den scheinbar verlorenen Josef herauszetert. Dabei müsste sie doch wissen, dass Josef (öster. „Pepi“) und Pepi so zusammengehören wie Graf und Gräfin. Bleibt der leicht cholerische sächsische und sächselnde, des Wiener Dialekts natürlich unkundige Fürst Ypsheim-Gindelbach, der, das ist so eine Überraschung, wenn er singt, ausgesprochen elegant singt: Alexander Franzen.
Also: Eine sprachlich und musikalisch schwungvolle Wiener Aufführung, mitten in München – genau dies bekam der Münchner Operettenfreund geschenkt.
Frank Piontek, 18.10. 2021
Fotos: ©Christian POGO Zach (Die Fotos zeigen nicht die erwähnten Darsteller)
Non(n)sens
Streaming-Premiere: 31.3.2021
Benefizgala der Ordensschwestern sorgt für gute Laune
Nach wie vor sind die Theater für Zuschauer pandemiebedingt nicht zugänglich, daher verlegte das Münchner Gärtnerplatztheater die Premiere des Musicals Non(n)sens erneut ins Internet und präsentierte am 31.03.2021 die sogenannte „Streaming-Vorpremiere“ via YouTube. Dort ist das Stück von Autor und Komponist Dan Goggin gegen eine freiwillige Spende noch bis Samstag, 03. April um 23.00 Uhr abrufbar, während die Livetermine im April wohl nicht stattfinden können. Das Musical kam 1985 in New York zur Uraufführung und spielte dort neun Jahre am Stück. Auch in Deutschland ist das Werk, welches gerne als Vorläufer des berühmten „Sister Act“ angekündigt wird, regelmäßig auf den Bühnen zu erleben. Dabei geht es um fünf Ordensschwestern, die durch eine glückliche Abwesenheit aus dem Kloster nichts von der Fischsuppe gegessen haben, die 48 ihrer Mitschwestern durch eine Fischvergiftung das Leben kostete. Da allerdings die Beerdigungskosten teuer sind und zudem auch ein neuer großer Flatscreen-TV von der Mutter Oberin eine übergeordnete Priorität zugeordnet wurde, reichte das Geld nicht mehr für alle Bestattungen aus. Kurzerhand wurden die verbleibenden vier Schwestern in die Tiefkühltruhe gepackt und durch eine Benefizveranstaltung soll nun das notwenige Geld gesammelt werden, um auch diese Schwestern würdig beisetzen zu können. An dieser kurzen Beschreibung kann man bereits erahnen, in welche klamaukigen Bahnen der Humor abdriften wird, zumal Schwester Maria Amnesia vor einiger Zeit ihr Gedächtnis verloren hat, nachdem ihr ein Kruzifix auf den Kopf gefallen ist.
Staatsintendant Josef E. Köpplinger inszeniert das Stück selbst und bringt hierbei eine durchaus schmissige Revue auf die Bühne, die mit etwas Münchner Lokalkolorit versetzt in den rund zwei Stunden vor dem Fernseher keine Langeweile aufkommen lässt. Das Bühnenbild und die Kostüme von Judith Leikauf und Karl Fehringer sind dabei durchaus zweckmäßig. Viel mehr als eine kleine Bühne, fünf Nonnenkostüme und ein paar durchaus witzige Requisiten wie einen selbst gebastelten Ständer für ein Kochbuch braucht es hierbei gar nicht. Dass dieser Abend so gut funktioniert, liegt aber vor allem an den fünf Darstellerinnen, die allesamt eine enorme Spielfreude auf die Bühne bringen. Auch wenn man an einigen Stellen das schmerzhafte Gefühl verspürt, dass der ein oder andere Gag live im Publikum noch viel besser gezündet hätte, sorgen Schauspiel und Gesang der Damen für einen unterhaltsamen Theaterabend auf dem heimischen Sofa. Ganz besonders in Erinnerung bleiben Julia Sturzlbaum als Schwester Maria Amnesia und Florine Schnitzel als Schwester Robert Anne, die mit ihrer Rolle als Zweitbesetzung alles andere als zufrieden ist. Als Mutter Oberin kann Dagmar Hellberg ebenso überzeugen wie Tracey Adele Cooper als Schwester Maria Hubert und Frances Lucey als Schwester Maria Leo.
Das Theater am Gärtnerplatz setzt bei der Aufführung auf die deutsche Übersetzung von Markus Weber und Thomas Woitkewitsch in der überarbeiteten Neufassung von Benjamin Baumann. Unter dem Dirigat von „Klosterkantor“ Andreas Partilla spielt die sechsköpfige Band schwungvoll auf und liefert die passende Begleitung für die Darbietungen der fünf Ordensschwestern. Egal ob als heimliche Ballerina oder als Nonne, die das Rampenlicht sucht, eines ist allen Ordensfrauen gemeinsam, die Freude am Leben. Ein netter Regieeinfall im zweiten Akt ist zudem ein eingespieltes Video, welches die Nonnen auf Tour außerhalb der Klostermauern zeigt, einfach himmlisch. Lobenswert auch das eigene Programmheft, das auf der Homepage des Theaters zum Download bereitsteht und in dem neben einigen Informationen zum Stück auch zwei Rezepte aus dem im Stück vorkommenden Kochbuch „Backen mit der B.J.M“ zu finden sind, wobei die B.J.M für die Benedeite Jungfrau Maria steht. Ein interessantes Pausengespräch mit einer wahren Nonne rundet das gelungene Streaming-Gesamtpaket ab. Ein herzliches Dankeschön an das gesamte Team des Theaters am Gärtnerplatz, die diese Produktion in dieser Form ermöglicht haben.
Markus Lamers, 01.04.2021
Fotos: © Marie-Laure Briane
ON THE TOWN
Premiere: 26.4.2019
Besuchte Vorstellung: 4.5.2019
Die „Westside Story“ war nicht Leonard Bernsteins erstes Musical. Noch während des Krieges hatte er, basierend auf dem kurzen Tanzstück „Fancy Free“, einen damaligen Kassenschlager komponiert. Das Ballett fand nämlich eine Fortsetzung am Broadway. Wieder war der schließlich berühmt gewordene Choreograph Jerome Robbins im Boot, der auch das Szenarium zum Ballett geschrieben hatte. Man setzte sich noch einmal zusammen und entwickelte eine längere Variante des Matrosenstoffs: daraus wurde „On the town“, das 1944 in New York herauskam. Wieder wird das New Yorker Vergnügungsleben persifliert, aber was so leichtgewichtig und trivial daherkommt, erweist sich doch gerade in dem, was strenge Kritiker wie Bernsteins Mentor, der Dirigent Sergej Koussevitzky, monierten, als das eigentlich vitale Element: die äußerst unterhaltsame Musik, der die sogenannte „Tiefe“ durchaus nicht abgeht. Nur hat der Komponist sie an der Oberfläche versteckt... Im Übrigen musste sich „On the town“ unter anderem gegen das gleichzeitig angelaufene Musical „Oklahoma!“, einem absoluten Kassenschlager durchsetzen. Auch hier bemerkten die Kritiker das Neue. Gegenüber dem nun schon traditionellen Western-Stil, wie er in früheren Balletten Mode war, repräsentierte Bernsteins und Robbins' Musiktheater einen neuen Stil, eine neue Technik und ein neues Tempo. Man geht nicht zu weit, wenn man diesen „neuen Stil“ auf Bernsteins Vertrautheit mit der Klassik, der Klassischen Moderne und der besseren amerikanischen Unterhaltungsmusik zurück führt. Strawinsky-, Prokofjew- und sogar Kodaly- und Janacek-Anklänge und Gershwin-Rhythmen sind verwandter, als es ein Mann wie Koussevitzky wahrhaben wollte.
Wie schön, dass man Bernsteins frühes Werk wieder einmal auf eine Bühne brachte. In München feiert das Stück gerade Triumphe. Die Geschichte um die drei Matrosen, die sich während eines New Yorker 24-Stunden-Landgangs auf die Suche nach einem „Girl“, konkret: der Miss-U-Bahn des Monats machen (die übrigens damals wirklich gekürt wurde), um schließlich ein kurzes Glück für eine Nacht zu finden, mag Ende des Krieges aktuell gewesen sein; heute faszinieren allein die Musik, die Situationskomik (wenn ein in mühseliger Kleinarbeit rekonstruiertes Dinosaurierskelett dank eines tollpatschigen Matrosen zusammenbricht, haben wir es mit einer typischen Szene aus einer typischen Screwball-Comedy zu tun), die neue, auch klassische Elemente integrierende Choreographie Adam Coopers, die starken Darsteller und Tänzer, die zugleich Darsteller sind, die sich mit Verve in den latenten Unsinn schmeißen. Den Opernfreund und den aficionado des klassischen Musicals, das von Bernstein, Robbins und den beiden kongenialen Librettisten Betty Comden und Adolphe Green neuerfunden wurde, beglückt nicht zuletzt das wunderbare Sentiment. Wenn der liebessehnsüchtige Gabey inmitten der Meute der Großstadt seine Gefühle heraussingt, verstehen wir, wieso auch dieser Song keine Chance hatte, in die Verfilmung des Stücks aufgenommen zu werden.
Und wenn gleichzeitig acht Paare sich zärtlich in ihren Pas de deux' wiegen, kapieren wir, dass das Unterhaltungsstück doch ein wenig mehr ist als eine triviale, zeitbezogene Story von 1944, die die Zuschauer von den Sorgen des Krieges ablenken sollte. Der Regisseur Josef E. Köpplinger, der manchmal – vielleicht ein bisschen zu laut und zu chaotisch, aber so mögen sie sein: die besoffenen Matrosen auf Landgang -, auf Anflüge von Klamauk setzt, aber sonst die Waage zwischen Komödie und Gefühl gut hält, der Regisseur also hat mit einer einzigen Figur und ein paar zeitgenössischen Schwarzweißfilmen etwas Zeitloses in die Inszenierung gebracht: So, wie am Ende sich der wunderbar euphorische Song und Schlager des Musicals, „New York, New York“, mit dem nächsten Landgang der nächsten Matrosen wiederholt, so begegnet wieder die Figur der jungen Frau, die, mit dem Foto ihres Liebsten in der Hand, die neuankommenden Matrosen nach dessen Verbleib fragt.
Ansonsten haben wir es mit einem unkomplizierten, dank der von Rainer Sinell erdachten fantastischen Bühnentechnik mit ihren Projektionen und ihren Prospektverwandlungen mit steilen Ansichten der New Yorker Straßenkulissen (brillant: die U-Bahn-Szenen und die wilde Taxi-Fahrt) und der äußerst „zackigen“ Sänger/Darsteller, hochvirtuosen Abend zu tun, der zweieinhalb Stunden Stimmung macht, mag auch manch Witz, notwendigerweise, etwas verbraucht sein. Nichts gegen die Librettisten: Wenn als eine Art Running Gag eine Sekretärin mit ihrer Freundin, einer anderen Sekretärin, über ihre täglichen Nöten mit ihrem Chef plappert, ist das so witzig wie realistisch. Und wenn, wie in einem klassischen Rondo, eine Horde von Verfolgern der drei Kerle als Szenenbinder mehrmals quasi vor dem Vorhang über die Bühne wetzt, ist das an sich nicht mehr witzig, aber zusammen mit Bernsteins Musik versteht man - den Witz. Die Aufführung muss erst gar nicht so tun, dass es hier – wie gesagt: abgesehen von den wenigen zeitgenössischen Einsprengseln – um irgendwelche „kritischen“ Inhalte geht, wie sie inzwischen in vielen neueren Musicals üblich sind. Sie will (und kann) einfach nur, mit wenigen wenigen Bezügen zur dunklen Vergangenheit, also dem unmittelbaren Kontext der Entstehung des Werks, gut unterhalten; der Neonstreifen, der die Bühne umrahmt, weist schon in die richtige Richtung.
„Politisch korrekt ist es ja in keinem Fall“, meint eine amüsierte Zuschauerin in der Pause. Korrekt! Doch werden alle Witze von Anno Damals durch die musikalische und tänzerische Interpretation geadelt. Neben dem achtfachen Pas de deux gehört die Traumbegegnung zwischen der gesuchten und verehrten Miss U-Bahn, Ivy Smith, und dem Matrosen Gabey, dem lyrischen Tenor unter den drei Sängern, zu den emotionalen Höhepunkten der „Show“. Daniel Prohaska singt ihn, er singt ihn bewegend. Sein Traumgirl ist Julia Klotz, die nicht allein eine Madame de Tourvel zum Bühnenleben zu erwecken vermag (in den „Gefährlichen Liebschaften“ fiel mir diese herausragende Sängerin und Darstellerin zum ersten Mal auf). Großartig ist übrigens auch das „komische Paar“ No. 1: Mit „Carried away“ begegnen sich Chip (Boris Pfeifer) und Hildy Esterhazy (Sigrid Hauser) auf Augen- und Betthöhe: als höchst vitales Paar. Chapeau! Ozzy (Peter Lesiak) und die leicht durchgeknallte, latent nymphomane und nur scheinbar abgeklärte Claire de Loone (Bettina Mönch), die den Mann an sich mit dem Urmenschen vergleicht, um auf den Matrosen an sich zu stoßen, bilden die dritte durchaus tolle Paarbeziehung in diesem Terzett des politisch glücklicherweise unkorrekten Humors. Und wenn Sigrid Hauser „I'm blue“ singt, weiß man, dass am Gärtnerplatztheater nicht allein mehr oder weniger krachlederne Altistinnen, sondern großartige Künstlerinnen ihre Arbeit machen. Der Opernfreund wird spätestens, aber wirklich: allerspätestens, von Bernsteins Genie und der stupenden Qualität des Münchner Ensembles überzeugt, wenn er im zweiten Teil ein U-Bahn-Ensemble serviert bekommt, das sich hinter keinem Opern-Quartett verstecken muss – wohingegen das herzhafte „Do-Re-Do“, mit dem die im Gesangsstudio stehende Miss-U-Bahn alias Julia Klotz brilliert, an den Komponisten und die Librettisten des genialen „Candide“ erinnert, der vor ein paar Jahren am Gärtnerplatz eine erstklassige Interpretation fand.
Bleibt hinzuweisen auf einige weitere bemerkenswerte Darsteller im großen Ensemble: Dagmar Hellberg spielt mehrere „Neben“-Rollen – aber wie sie sie sophisticated spielt (und singt): die süffelnde Gesangslehrerin Madame Dilly, die kubanische Chanteuse Dolores Dolores (auch witzig: der bewusst schematische Umzug durch die New Yorker Clubs und Kneipen) etc. Katharina Lochmann, übrigens auch der Dance Captain der Compagnie, spielt die dauerniesende Lucy Schmeeler (Typ: hässliche Jungfer), die am Ende doch einen abbekommt: den grotesken Richter Pitkin W. Bridgework, der die Seitensprünge seiner angeblich frigiden Angetrauten Claire de Loone (was für ein Name!) immer „versteht“, bevor er endlich ausrastet. Alexander Franzen spielt diese Type so, dass der Zuschauer gar nicht anders kann, als den Unsinn komisch zu finden.
Nicht komisch, sondern vom ersten Takt an elegant, polyrhythmisch perfekt, melodisch einfach nur vollkommen: so agiert das Orchester des Theaters am Gärtnerplatz unter Michael Brandstätter. Voilà, ein Musical. Zugegeben: dramaturgisch eine Art Historienstück, aber mit dauerndem Abend ein immer spaßigeres und zuweilen tiefgehendes, technisch immer virtuoses, musikalisch höchst niveauvolles Vergnügen. Wie gesagt: Wie schön, dass man Bernsteins frühes Werk wieder einmal – und so auf eine Bühne brachte.
Frank Piontek, 6.5.2019
Fotos: ©Marie-Laure Briane
DER TAPFERE SOLDAT
Premiere am 14 Juni 2018
Prächtige Besetzung in netter Operetten-Drollerie
1886 stehen sich Major Alexius Spiridoff (Bulgare) und der Schweizer Söldner (bei den Serben) Bumerli als Hauptmann gegenüber. Spiridoff und seine Reiter können die entscheidende Schlacht für sich entscheiden, weil in Bumerli‘s Kanonen blinde Munition steckt. Er flieht und landet ausgerechnet im Haus von Nadina, der Verlobten seines Gegners. Hier verrät er die wahren Hintergründe der vermeintlichen Heldentat. Am Ende angelt sich Bumerli Nadina und die hübsche Mascha den Spiridoff – und alles löst sich in Wohlgefallen auf.
Dieses Musiktheater basiert auf dem ironischen Theaterstück „Helden“ von Bernard Shaw, in dem auch der Schauder vor falschen Heldenbilder steckt. Demontiert werden diese (Pseudo-) Helden des Krieges in höchst vergnüglicher Weise mit antimilitaristischen, sozialkritischen Pointen, also eine Farce mit tiefgründigem Humor.
Die Inszenierung schuf Peter Konwitschny, dem der Ruf unbequemer polarisierender, Furore schaffender Inszenierungen vorauseilt und der ein „Salto Mortale der Absurdität“ ankündigte, was allerdings vom Rezensenten nicht wahrgenommen. Unbequeme Farce mit tiefgründigem Humor wurde auch nicht geboten.
Unzweifelhaft ist der Abend ist ein temporeiches, sehr unterhaltsames aber doch krudes szenisches Irgendwie. Getragen wird alles von einem hervorragenden Ensemble mit übersprudelnder Spiellaune in außerordentlich guter Personenregie, Körpersprache und Textbehandlung: viel Klamauk, Schenkelklopferhumor, anbiedernde Drollerie, zeitweise artifizieller Blödsinn bis zu dünnbrüstigem Unsinn ohne Tiefgang und großartigem Slapstick insbesondere im dritten Akt.
Über Humor in dieser Weise kann man nicht diskutieren. Im Gegensatz zum Opernfreund-Kritiker waren viele Besucher allerdings amüsiert und bespaßt.
Das Einheitsbühnenbild (Bühne und Kostüme von Johannes Leiackder) erfüllte die Erfordernisse im Wesentlichen mit Pastellfarben und man bot im dritten Bild des Schlafzimmers Skurriles: drei im Boden eingebohrte abgestürzte Flugzeug.
Die historisierenden Kostüme erfüllen Operettenklischees und erwirkten irgendwie den Eindruck gewisser Phantasielosigkeit.
Alle Darsteller waren szenisch und in der Textbehandlung hervorragend. Es war eine Freude eine Besetzung zu erleben, die auch in anspruchsvolleren Partien reüssieren kann. Etwas irritierend der Einsatz von Microports (die synthetisierende akustische Verstärkung von Sprache und Gesang) durchgängig im 1. Akt, die erfreulicherweise später unterblieb.
Hans Gröning als Oberst Kasimir Popoff erfüllt alle Anforderungen; ausgehend von gute Mittellage wirken die Wege in andere Register allerdings noch etwas unausgeformt. Ann-Katrin Naidu (als Aurelia, seine Frau) ist eine ausgesprochen attraktive Bühnenerscheinung. Ihre schöne Stimme klingt unangestrengt durchaus mit der nötigen Noblesse. Nadina, beider Tochter, wurde von Sophie Mitterhuber gesanglich optimal ausgeformt. Hervorzuheben, daß jeder Registerwechsel geschmeidig und dynamisch erfolgte. Wunderbar: es wird nach oben nichts eng und nach unten nichts gedrückt – so soll es sein.
Jasmina Sakr (Mascha, eine junge Verwandte) steht auf gleich hohem Niveau. Kleine nörglerische Einschränkung: beim Wechsel ins hohe Register entsteht eine überflüssige Schärfe, die ggf. durch Training der äußeren Kopf-Resonanzräume aufgehoben wird.
Mit Maximilian Mayer (Major Alexius Spiridoff) haben wir den einen klassischen Operntenor. Leider hat die lyrische Stimmführung etwas verloren. Die Stimme läuft zwar problemlos in allen Registern, der Übergang wird aber zu eng geführt, so dass der Klang etwas gestemmt wirkt. Das kann man verändern. Bumerli (Daniel Prohaska) ist wie erwartet sehr gut besetzt. Für mich wirkt allerdings der Übergang ins höhere Register etwas forciert und nicht optimal dynamisch. Da reduziert sich dann die angenehm breit geführte Stimme aus der Mittellage etwas.
Karl Bernewitz hat den stets zuverlässigern Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz, wie immer, bestens disponiert und auf gleich hohem Niveau spielte das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter der Anthony Bramall auf, wenngleich es mir etwas zu laut erschien (die Sänger wurden teilweise zugedeckt); ansonsten ausgesprochen stimmig, ohne in allzu viel Walzerseligekeit zu verfallen.
Fazit: kein Maßstäbe setzender Abend, aber Unterhaltung, die ihr Publikum findet.
Tim Theo Tinn 16.6.2018
Bilder (c) Christian POGO Zach / GP
PUMUCKL – Das Musical
Uraufführung 19. April 2018
„Hurra, hurra, der Pumuckl ist endlich da“
TRAILER
EINFÜHRUNG
„Hurra, hurra, der Pumuckl ist da“ – nicht im Fernsehen als x-te Wiederholung der schon legendären Kinderserie aus den 80er Jahren „Meister Eder und sein Pumuckl“. Und auch nicht in einer Schreinerwerkstatt in einem münchner Hinterhof treibt der rothaarige Kobold sein Unwesen. Seit gestern hat der sein Quartier am Gärtnerplatz gefunden und begeistert dort jung und alt. Auch der Schreiber dieser Zeilen fühlte sich an diese Abend in seine Jugend versetzt.
Als Auftragswerk des Staatstheaters am Gärtnerplatz haben der Komponist Franz Wittenbrink (Co-Orchesterarrangeur Mathias Weibrich) und die Autorin Anne X. Weber die von Ellis Kaut erfundene Geschichte in Musik gesetzt und den Text für ein passendes Libretto bearbeitet. Das Ergebnis dieser künstlerischen Zusammenarbeit heißt „PUMUCKL – Das Musical“ und erlebte gestern, 19. April 2018, im Gärtnerplatztheater seine Uraufführung.
Wer sich noch an den Fernsehpumuckl erinnern kann, hat sicher auch noch Erinnerungen an die Musik. Und das Pumuckl-Thema zitiert Wittenbrink auch in seinem neuen Musical immer wieder. Auch andere Melodien erkennt der aufmerksame Hörer selbst in ihren Verfremdungen wieder. Zuletzt erklingt sogar ein Kinderlied mit neuem Text. Das Orchester ist dafür zumeist witzig instrumentiert. Eine Zither ist zu hören, dunkles Blech erinnert an Bierzelte (wie ja auch die Partitur hörbar von beinahe echt bayrischer Folklore beeinflusst ist). Dazwischen hört man Anklänge an Bigband Jazz und Discosound. Eine bunte Stilmixtur, die das vom Kobold geschaffene Chaos untermalt und unterstreicht. Stimmfreundlich sind die Gesangspartien komponiert. So gemischt wie die Musikstile sind, ist auch der Sprachklang auf der Bühne; so, wie man auf den Straßen und in den Bierstuben Münchens kaum mehr ein originäres Idiom vernehmen kann, klingt es auch von der Bühne in allen erdenkbaren Sprachfärbungen.
Das Bühnenbild (Karl Fehringer und Judith Leikauf) dominiert eine stilisierte Silhouette von München; die Türme der Frauenkirche und des Rathauses erkennt auch der Gast aus Wien. Die Drehbühne ermöglicht einen schnellen Szenenwechsel von der Straße in die Schreinerei des Meister Eder, in eine Wirtsstube, in ein gräfliches Schloss und so weiter. Dazu passend die Kostüme von Tanja Hofmann; auch sie erinnern an die Fernsehzeit. Bemerkenswert und an dieser Stelle hervorzuheben sind die Leistungen der Bühnentechnik; die Verantwortlichen sollten im Programm eigentlich gemeinsam mit dem Leadingteam angeführt sein.
Aus dem Ensemble ragt naturgemäß der Pumuckl von Banjamin Oeser heraus. Voll Spielfreude und intensiver Beweglichkeit gibt er einen Kobold, der dem gezeichneten Original ein agiles Bühnenleben ermöglicht. Dass er auch singen kann, hat er in diversen Musicalproduktionen schon unter Beweis gestellt.
Kein Wunder, dass an diesem bayrischen Puck auch ein Meister Eder verzweifelt. Ferdinand Dörfler erinnert in dieser Rolle optisch an den unvergessenen Gustl Bayrhammer; die nahezu unlösbare Aufgabe, gegen dessen Mythos anzuspielen, meistert er aber bestmöglich und überzeugend. Hervorheben muss der Premierenbesucher auch den Kinderchor des Staatstheaters am Gärtnerplatz (Einstudierung Verena Sarré) der in diesem Stück sein Können beweisen kann. Gratulation zur nicht nur stimmlichen Qualität dieser junge Menschen.
Pauschal erwähnen möchte ich das übrige Ensemble, aus dem mit Marianne Sägebrecht und Dagmar Hellberg zwei große Künstlerinnen und prominente Namen herausragen und die beiden sind sich auch für relativ kleine Partien nicht zu gut. Aber auch Angelika Sedlmaier, Susanne Seimel, Stefan Bischoff, Ulrike Dostal, Peter Neustifter, Frank Berg, Martin Hausberg, Maximilian Berling, Alexander Bambach, Thomas Hohenberger, Dirk Lüdemann und Stefan Thomas sind in ein pauschales Lob eingeschlossen. Ich hoffe, ich habe keinen der am Besetzungszettel angeführten Namen vergessen.
Andreas Kowalewitz leitete mit hörbarer Freude diese Uraufführung. Etwas weniger laut, jedenfalls an einigen Stellen, hätte diese Freude sicher nicht getrübt.
Fragt sich der Besucher der Uraufführung zu Beginn, ob ein mehr als zwei Stunden dauernder Theaterabend für Kinder nicht zu viel des Guten ist, wird der Beobachter bald eines Besseren belehrt. Begeistert folgen auch die Kleinsten, die das Original sicher nicht kennen, dem munteren Treiben auf der Bühne. Und dass auch nach der Pause kaum freie Plätze zu sehen waren, zeugt von der Qualität des Stückes, der Regie und der Ausstattung.
Bilder (c) Christian POGO Zach
Michael Koling 22.4.2018
Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)
MY FAIR LADY
Premiere am 13. Februar
TRAILER
Der Schreiber dieser Zeilen fährt monatlich aus dem heimatlichen Wien an die Isar, um im Gärtnerplatztheater die eine oder andere Vorstellung zu besuchen. Nicht nur Premieren (schon die zweite Saison leistet sich der Gast aus Wien ein Premierenabo, das übrigens zu einem durchaus brieftaschenfreundlichen Preis angeboten wird) sondern auch „normale“ Aufführungen stehen auf der Besuchsliste. Da die Aufführungen in der Regel mehr als „nur“ gut sind, ist der Beifall der Besucher auch durchaus berechtigt. Ein Jubel wie nach der gestrigen Premiere von „My fair Lady“ ist aber dennoch nur selten zu erleben. Dass sich schon beim ersten Schlussvorhang beinahe das gesamte Publikum zu Standing Ovations erhebt und das gesamte Ensemble, den Chor, das Orchester und das Leadingteam stürmisch bejubelt, ist keinesfalls alltäglich.
Hausherr Josef Ernst Köpplinger hat mit der Stückwahl für den Faschingsdienstag, 13. Februar, auf eine sichere Bank gesetzt, wofür ihm die Zahlenfüchse im Haus sicher dankbar sind, und geht auch mit seiner Regie kein Risiko ein. Er verweigert sich einer krampfhaften Aktualisierung (Stichwort: #metoo), die dem Stück innewohnende Kritik an der Klassengesellschaft Englands vor gut 100 Jahren bleibt auch ohne Holzhammer aktuell. Der immer wieder ins Bayerische übertragene Text (Textfassung von Josef E. Köpplinger und Stefan Bischoff) hält sich an die originale Übersetzung und passt sich lediglich mit Vorsicht der lokalen Sprache an.
Auf der Bühne (Bühnenbild: Rainer Sinell) steht ein beinahe echtes London, die Drehbühne und verschiebbare Portale ermöglichen einen schnellen Szenenwechsel. Einzig vor Ascot, dem letzten Bild vor der Pause, muss der Spielfluss kurz unterbrochen werden. Diesem werktreuen Bühnenbild entsprechen die historisierenden Kostüme von Marie-Luise Walek. Dieses Ambiente nutzt Köpplinger für eine Regie, die treffender und hintergründiger nicht sein könnte. Und was ein besonderer Pluspunkt dieser Produktion ist – das Ballett (Choreografie: Karl Alfred Schreiner) fügt sich bruchlos in die Personenführung ein. Auch bei Musicals keine Selbstverständlichkeit.
Volksoperndirektor Robert Meyer ist ein großartiger Doolittle (und wird vom Premierenpublikum auch entsprechend bejubelt), bühnenpräsent in jeder Phase zeigen Friedrich von Thun (Obert Pickering) und Michael Dangl (Professor Higgins) ihr künstlerisches Können, Maximilian Mayer ist ein rollengerechter Freddy, Dagmar Hellberg gibt ideal die Mrs. Pearce. Eine Idealbesetzung für die Eliza findet sich im Ensemble des Gärnerplatztheater – Nadine Zeitl singt, spielt und tanzt, dass es die reine Freude ist. Und dass Cornelia Froboess für die Mrs. Higgins gewonnen werden konnte, ist – um es bundesdeutsch zuformulieren – das Sahnehäubchen dieser Besetzungsliste. Allen übrigen solistischen Mitwirkenden sei an dieser Stelle ohne einzelne Namensnennung ein pauschales Lob ausgesprochen.
Wie immer singen, spielen und tanzen der Chor (Leitung: FelixMeybier) und das Ballett des Staatstheater am Gärtnerplatz auf hohem Niveau. Andreas Kowalewitz leitet das Orchester des Hauses schwungvoll und stilsicher.
Wollte man, was schwer genug fällt an diesem Abend, einen Schwachpunkt finden, dann ist es die elektronische Verstärkung und Aussteuerung von Orchester und Sängern. Dadurch wird der Klang leider ab und zu etwas zu eindimensional.
Bilder Marie-Laure Briane / GP München
Michael Koling 17.2.2018
Besonderer Dank an unseren Kooperartionspartner MERKER-online Wien.
PRISCILLA – KÖNIGIN DER WÜSTE
Premiere: 14.12.2017. Besuchte Vorstellung: 16.12.2017
Dass irgendwann einer der drei Hauptdarsteller – also der „Ladies“ - im Karaokeverfahren die Traviata mimt, ist ja noch kein Grund, als Opernfreund die Vorstellung des Musicals „Priscilla – Königin der Wüste“ zu besuchen und richtig richtig gut zu finden. Er steckt woanders: in der ungeheuer lustvollen und gelind tiefsinnigen Show, die die Rezensenten zurecht jubeln ließ. Klaus Kalchschmid, der Kollege der SZ, schrieb euphorisch, dass „diese erste Musical-Produktion des Gärtnerplatztheaters in seinem neuen alten Stammhaus das Zeug dazu hat, selbst Kult zu werden“. Recht hat er – denn was im jüngst wiedereröffneten Haus geboten wird, ist allerbeste Unterhaltung.
Es begann, vor gut 20 Jahren, mit einem Film – einem australischen Film, der mit Terence Stamp und Hugo Weaver (dem Elrond der grandiosen „Lord of the Ring“-Verfilmung) edel besetzt war. Priscilla, so heißt keine Frau, oder doch: ein altes Mädchen von Bus. Mit dem nämlich fährt das Terzett der drei „Ladies“ Tick, Bernadette und Adam von der Küste hinein in die Tiefe des Kontinents. Stephen Eliott und Allan Scott haben – nun in der Bühnenversion des Simon Philipps – mit den drei Helden drei charakterlich und sexuell stark unterschiedlich Figuren entworfen: Tick ist oder war einmal bisexuell, nun fährt er, animiert von seiner Exfrau, ins Herz des Kontinents, damit auch zu seinem eigenen, denn in der kleinen Stadt mit dem Casino und seiner Bühne wartet sein achtjähriger Sohn auf ihn, der (noch) nicht weiß, dass Daddy eine Drag Queen ist. Bernadette ist die „gesetztere“ des Trios: ehemals ein Mann, nun, nach einer irreversiblen Operation, eine Frau – und Adam, der jüngste und testosterongesteuertste der drei Queens, ist ein wilder junger Mann, zynisch und unverschämt, humoristisch und showmäßig höchst talentiert, der oft seine Grenzen überschreitet – um mit der tätigen Hilfe der zwei Mitreisenden und -künstler so etwas wie zu sich selbst zu finden.
Im Grunde sind sie, im Hinterland des Riesenlandes, alle auf der Suche nach ihrem Herz – um es am Ende, auf sehr verschiedene Weise, zu finden: Tick trifft seinen Sohn, der – anders, als es der unsichere Vater befürchtet hat, überhaupt nichts dabei findet, dass sich sein Vater in weibliche Klamotten wirft und die künstlichen Wimpern klimpern lässt – Bernadette findet, nach dem Tod ihres Lebensgefährten, eine neue Liebe im ehrlichen Mechaniker Bill, der spät, doch nicht zu spät, im einstigen Mann seine romantische Liebe entdeckt – und Adam erfüllt sich auf der Höhe des Ayers Rock einen Lebenstraum: „Einmal im Fummel am Himmel mit 'nem Pimmel“ Die Szene gehört denn auch, zusammen mit den vielen anderen wunderbaren Showacts, zu den eindrücklichsten Szenen des kurzweiligen Abends.
Mag sein, dass Philipps gegenüber dem schönen Film das psychologische Element verstärkt hat, indem er die Geschichte Ticks ein wenig klarer herausgearbeitet hat; aber schon Hugo Weaving war ein hervorragender Interpret dieser Rolle. Das Bemerkenswerte dieses Stücks, das in München – nach der australischen Premiere im Jahre 2006 – seine heftig bejubelte deutsche Erstaufführung erlebte, besteht darin, dass das soziale Anliegen mit den Unterhaltungseffekten ineins geht. Will sagen: Indem die „Ladies“ eine große Show machen und die Produktion den wunderbar kitschigen, also nicht nur gut gemeinten, sondern auch gut gemachten Flitter krachen lässt, werben sie besser und intensiver um Toleranz für jene Individuen, die für nicht wenige Mitglieder der sog. Bürgerlichen Gesellschaft vermutlich immer noch „abartig“ sind. „Auch bei uns“, sagt der Regisseur Gil Mehmert, „gibt es Ausgrenzung. Um das zu erleben, bräuchten drei Drag Queens nur von München aus hinaus aufs Land fahren.“ Das Musical zeigt, natürlich, einige bedrohliche Situationen, Adam wird fast vergewaltigt, bevor Bernadette den jungen Mann beherzt rettet, die Akzeptanzschwelle auch der freundlichen Dorfbewohner ist nicht gar so niedrig, doch am Ende siegt das einzig Wahre. „Together“, darum geht’s, es scheint das Leitmotiv des Abends zu sein.
Drag Queens pflegen selten selbst zu singen – hier karaokisieren sie nur aus Spaß. Ansonsten bieten Armin Kahl als nüchtern-sensibler Tick, Erwin Windegger als reizend-stilvolle, auch melancholische und gelind bissige Bernadette und Terry Alfaro als ungebändigter Adam guten Gesang, ernstzunehmendes Spiel, das den leicht holzschnitthaften Konventionen des Musicals gehorcht, weil Musical eben nun mal Musical und nicht Schauspiel mit Musik ist, und hinreißende Tanznummern, auch mal eine Tina-Turner-Parodie in herrlichem Fummel (Alfred Mayerhofer). Ihnen zur Seite, manchmal auch ihnen zu Köpfen auf der von Jens Kilian exzellent gebauten Bühne mit seinem offenen Riesenbus, stehen und tanzen die „drei Diven“, die erfreulicherweise nicht wie drei magere Balletttänzerinnen aussehen, sondern – jawoll, meine Herren – sehr gut gebaut sind und ihrerseits eine schöne Show machen. Ein lautes Bravi für Dorina Garuci, Jessica Kessler und Amber Schoop, nicht nur für ihre pinkfarbene Bus-Pinselnummer. Dabei sind die drei Ladies, wenn sie ihre tollen Nummern über die Bühne rocken, selbst höchst überzeugende Diven: Göttinnen des ehrlichen, weil hervorragend gemachten Showbiz. Unglaublich gut: die Shownummer der betont „lasziven“ und herrlich verrückten Philippina Cynthia alias Marides Lazo, die den Auftritt der drei Ladies erfolgreich sabotiert.
Und was singen sie? Nichts „Originales“, oder doch nichts, was eigens für diesen Abend geschrieben worden wäre: Pop- und Disco-Schlager meist der 70er und 80er Jahre, unter denen „I will survive“ aus inhaltlichen und melodischen zweifellos herausragt. Ein Höhepunkt des Films und nun ein Glanzpunkt der Inszenierung: wenn die drei Ladies im staubigsten Outback stranden und vor einer Gruppe von Touristen und mit der Hilfe eines Didgereedoo-Spielers – eines gleichsam „falschen“ Aborigines – eine Karaoke-Version des Schlagers ans Lagerfeuer zaubern, dass auch das Münchner Haus zum Kochen bringt. Wir hören also Songs, die in dieser Choreographie und in den Arrangements von Stephen „Spud“ Murphy und Charlie Hull wie die selbstverständlichen Teile eines integralen Musiktheaterabends wirken – und ihn schließlich zu einem völlig stimmigen machen.
Damit reiht sich „Priscilla“ in die lange Reihe jener populären Opern ein, die als Pasticcios seit jeher zusammengestoppelt wurden. Zum Gelingen des Abends trägt das kleine und sehr feine Orchester unter der Leitung Jeff Frohners bei, auch die Choreographien Melissa Kings, die mit einem Coup de theatre den Abend einläutet: Zu Paul Shaffers „It's raining men“ schweben, das gibt den ersten Szenenbeifall, sieben Jungs vor den drei Diven mit den herrlichen Riesenflügeln von sehr weit oben auf die Bühne, bevor sie sich entblättern und „Miss Verständnis“ (Eric Rentmeister), versehen mit einem echt burlesquen Kopfaufbau, in die Welt des „Cockatoo“-Clubs einführt. Zwischendurch gibt’s „Les Girls“ zu sehen, eine gemischte Truppe, zu der Bernadette einst gehörte (und woran sich Bill noch nach Jahrzehnten erinnert), sehr stilvoll, sehr schick, zu der, auch dies eher nostalgisch als 80er Jahre, Jerome Kerns „A fine romance“ angestimmt wird. Grandios auch die Casinoshow der drei „Ladies“, die wir, pardon, nur von hinten und im Schnelldurchlauf mit blitzschnellen Umzügen sehen: ein einfacher, aber wirksamer Vertauschungstrick. Schließlich aber tanzen die drei Herren als Damen den vorerst letzten Tanz auf dem Ayers Rock. Das Publikum ist aus dem Häuschen und erklatscht sich eine Zugabe. „Mehr Spaß geht nicht“, titelte eine Münchner Zeitung. Der Abend hat auch ernste Aspekte, aber im Grunde stimmt's: selbst wenn man nicht während einer Countrydancenummer auf die Bühne gebeten wird.
Ist das nun Kitsch oder Kult? Mindestens!
Frank Piontek, 19.12. 2017
Fotos: ©Marie-Laure Briane
Gärtnerplatztheater in der Reithalle:
LILIOM von Johanna Doderer
Vorstellung: 6. 11. 2016
Liliom (Daniel Prohaska) genießt es, von den Frauen angehimmelt zu werden (Foto: Thomas Dashuber)
Mit einer interessanten Uraufführung wartete vor wenigen Tagen das Münchner Gärtnerplatztheater in seiner Ausweichspielstätte Reithalle auf: „Liliom“ von Johanna Doderernach dem gleichnamigen Bühnenstück von Ferenc Molnár (Übersetzung: Alfred Polgar). Das Libretto zur Oper verfasste Josef E. Köpplinger, der Direktor des Staatstheaters am Gärtnerplatz, der auch Regie führte.
Die Handlung in Kurzfassung: Ausrufer Liliom ist die Attraktion am Karussell von Frau Muskat. Er ist jung und gutaussehend, jedoch auch grob, ungestüm und polizeibekannt – doch genau das liebt die weibliche Kundschaft an ihm. Auch das junge Dienstmädchen Julie ist von dem Vorstadthallodri angezogen – wie er von ihr. Sosehr sogar, dass er dafür den Verlust seiner wie ihrer Stellung provoziert. Fortan lässt sich Liliom von Julies Tante aushalten, schlägt und schwängert das Mädchen. Von einem falschen Freund zu einem Raubmord überredet, der schief geht, stiehlt sich Liliom durch Selbstmord aus der Verantwortung und landet vor der himmlischen Gerichtsbarkeit. Dort erhält der Reuelose eine letzte Chance, etwas Gutes zu tun.
Angelika Kirchschlager als Frau Muskat und Daniel Prohaska in der Titelrolle (Foto: Thomas Dashuber)
Im reichhaltig illustrierten Programmheft ist ein Artikel von Ferenc Molnár über sein Stück abgedruckt, der äußerst aufschlussreich ist. Daraus ein paar Sätze: „Mein Ziel war es, eine Pester Vorortsgeschichte so primitiv, so naiv auf die Bühne zu bringen, wie sie alte Frauen in der äußeren Josefstadt zu erzählen pflegen. Was hier an symbolischen Gestalten, überirdischen Figuren vorkommt, dahinter wollte ich nicht mehr an Bedeutung verstecken, als ihnen ein bescheidener Strolch gibt, wenn er an sie denkt. – Deshalb ist der himmlische Richter in Liliom ein Polizeiprotokollführer, deshalb erwecken den verstorbenen Schaukelgesellen nicht Engel, sondern die Detektive Gottes zu neuem Leben, deshalb habe ich mich nicht darum gekümmert, ob dieses Stück ein Traumspiel, ein Märchenspiel, ein Feenspiel ist, deshalb beließ ich es in der Ungehobeltheit und einfachen Stetigkeit, die für das heutige, naive Märchen charakteristisch ist, wo man sich sicher keine großen Sorgen darüber macht, warum der Tote auf einmal zu sprechen beginnt.“
Das Ungehobelte der Titelfigur des Stücks arbeitete Josef E. Köpplinger in seiner Inszenierung in der Reithalle recht gut heraus, auch bot die Ersatzspielstätte für ein „Vorstadtdrama“ mit Ringelspiel viele Möglichkeiten, die allerdings nur zum Teil genützt wurden. Ob das Gärtnerplatztheater, in dem „Liliom“ ursprünglich aufgeführt werden sollte, noch in der heurigen Spielzeit bespielbar wird, steht wohl in der Sternen…
Die karge, aber praktikable Bühnenausstattung schuf Rainer Sinell, die teils bunten Kostüme (für die Damen), teils farblosen (für die Herren) entwarf Alfred Mayerhofer. Für die kreativen Lichteffekte sorgte neben dem Regisseur auch Michael Heidinger, für die Videosequenzen waren Meike Ebert und Raphael Kurig zuständig.
Das gesamte Sängerensemble bot vor allem schauspielerisch eindrucksvolle Leistungen, gesanglich zeigte sich wieder das Phänomen, dass die Sängerinnen und Sänger mit Wangenmikrophonen ins Schreien verfallen. Hat die Reithalle tatsächlich eine so schlechte Akustik, dass nur mit Mikroports gesungen werden kann? Obwohl das Orchester hinter der Bühne spielt? Schade, sehr schade…
Der österreichische Tenor Daniel Prohaska schien sich in der Rolle des Liliom wohlzufühlen und bewies auch in den brutalen Szenen sein darstellerisches Können. Ihm in fast allen Szenen ebenbürtig war die stimmlich oft mit schrillen, hohen Tönen geforderte junge französische Sopranistin Camille Schnoor sowohl als Dienstmädchen wie später als Mutter von Luise, die von der weißrussischen Sopranistin Katerina Fridland etwas einfältig dargestellt wurde. Mit ihrer starken Bühnenpräsenz spielte die Mezzosopranistin Angelika Kirchschlager exzellent die Rolle der eifersüchtigen Frau Muskat. Den schmierigen Gauner Ficsur gab überzeugend der kroatische Bariton Matija Meić, Julies Freundin Marie die deutsche Sopranistin Cornelia Zink.
In den vielen Nebenrollen des Stücks zeigte das große Ensemble des Gärtnerplatztheaters sein Können, wie der österreichische Bariton Christoph Filler als Dr. Reich, der deutsche Bass Holger Ohlmann in mehreren kleineren Rollen, der spanische Tenor Juan Carlos Falcón als Linzmann, der deutsche Bass Martin Hausberg als alter Schutzmann und der österreichische Bass Christoph Seidlals Arzt.
Sehr spielfreudig und stimmkräftig agierten der Chor (Einstudierung: Felix Meybier) und der Kinderchor (Einstudierung: Verena Sarré) des Staatstheaters am Gärtnerplatz. Dass das Orchester unter der Leitung des österreichischen Dirigenten Michael Brandstätter unsichtbar im Hintergrund der Reithalle spielte, mag von vielen Besuchern als Nachteil empfunden worden sein, doch brachten die Musiker die zur Handlung der Oper illustrativ wirkende Partitur der Komponistin dennoch gut zur Geltung. Dazu ein Zitat von Johanna Doderer aus dem Programmheft: „Es ist mir wichtig, mit meiner Musik emotional zu berühren, den Hörer abzuholen und zu packen. Meine Kompositionen sollen unmittelbar wirken, ohne dass man sich intellektuell darauf vorbereiten muss. Ich glaube, Musik hat die Kraft, dort anzufangen, wo die Sprache aufhört.“
Szenenfoto mit dem Chor in der Reithalle (Foto: Thomas Dashuber)
Das Publikum belohnte am Schluss der Vorstellung alle Mitwirkenden mit lang anhaltendem Beifall und Daniel Prohaska sowie Camille Schnoor und Angelika Kirchschlager mit vielen Bravorufen. Man darf gespannt sein, welche Opernhäuser das Werk in naher Zukunft auf die Bühne bringen werden. Meines Erachtens sollte die Wiener Volksoper „Liliom“ schon bald aufführen, doch müsste auch Budapest an der Vertonung von Ferenc Molnárs Werk größtes Interesse haben. Wie gesagt, man darf gespannt sein…
Udo Pacolt 9.11.16
Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)
GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN
15.5. 2016
Premiere 22.2.15
Für Musical-, Theater- und Opernfreunde: Eine perfekte Aufführung
Vögeln tun sie schon im Vorspiel. Das heißt: es bleibt nicht beim Vorspiel, auch wenn das Vorspiel eines ist. Es kommt, sozusagen, schon während der Ouvertüre zum Vollzug – immer wieder, denn Sex (nicht Erotik, kaum Liebe) ist das Thema des Stücks. Gefährliche Liebschaften, also das Musical nach dem Roman Liaisons dangereuses des genialen Choderlos de Laclos, geht nicht zimperlich vor.
Der revolutionäre Autor beschrieb ein knappes Jahrzehnt vor jenem Ereignis, das das Vorspiel des Romans schon ahnen ließ (denn soviel seelische Verrohung musste einfach irgendwann im Blutbad der Empörung von 1789 enden), die amoralischen Triebe jener Aristokraten, die keine politische Bedeutung, aber sehr viel Zeit hatten, sich zu „vergnügen“. Gemäß dem anarchischen Motto: Nach uns die Sintflut. Am Ende des Romans (und des berühmten Films mit Glenn Close, John Malkovich und einer entzückend bemitleidenswerten Michelle Pfeiffer) und des Musicals liegen drei Tote auf der Bühne: der Vicomte de Valmont, den es im Duell erwischte, die Präsidentin, Madame de Tourvel, die sich aus Liebeskummer umbrachte, und die Marquise de Merteuil, die im Finale gesellschaftlich geächtet, also ethisch getötet wird. Der Roman schildert noch ihren völligen körperlichen Verfall und ihre Flucht in die Niederlande; das Musical endet mit einem jener grandiosen Tableaus, die die absolut packende Aufführung des Theaters am Gärtnerplatz im Cuviéllestheater neben den Einzelleistungen auszeichnen. Da versucht die raffinierte, aber entlarvte Frau dem Raum zu entkommen, in dem sie so lange die Fäden zog. Am Ende bleibt ihr nur der Gang in das Licht, das hinter der nackten Wand durch die Tür der Hinterbühne fällt. Es wird im Dunkel enden.
Irgendwann fällt auch das Licht der Bühne (die von Michael Heidinger und dem Regisseur Joseph E. Köpplinger erstklassig, also mit punktgenauen Akzenten ausgeleuchtet wird) auf den Scheitel des 1755 gebauten Bühnenbogens. 1755 konnten die Genien noch lächeln. Am Ende des ersten Akts, wenn der siegessichere Vicomte seine Gottähnlichkeit herausposaunt, wird gar das Licht im Zuschauerraum leicht nach oben gedimmt: Così fan tutte, möchte man allen Frauen im ausverkauften Theater zurufen - aber wer wäre schon so dumm, auf einen aalglatten Verführer wie den Vicomte de Valmont hereinzufallen? Auf einen Mann, der, modern gedeutet, unter dem Don-Juan-Syndrom leidet?
Es sind genug. Am Schlimmsten trifft es die Madame de Tourvel, die - aufgrund einer teuflischen Wette – nicht nur dem Vicomte, auch der Marquise zum Opfer fällt. Schwer zu sagen, wer hier mehr Schuld gegenüber der gequälten Frau auf sich geladen hat: die nur scheinbar emanzipierte, doch tief in ihren Abneigungen und ihrer menschenfeindlichen „Vernunft“ befangene Marquise, die nur zum Vicomte ein kaum erklärbares Zutrauen gefunden hat? Oder der Vicomte, der die Frau, die er tief in seinem Innersten im klassisch-romantischen Sinne zu lieben scheint, vor aller Welt entehrt und in den Suizid jagt – wissend, aber auch zugleich unwissend, dass er damit auch sein besseres Ich getötet hat? Laclos hat diese komplizierten und nüchtern problematisierten Beziehungen, die den Roman aus einer Vielzahl amouröser Romane des 18. Jahrhunderts weit herausragen lassen, in 175. Briefen beschrieben. Es ist schon eine Meisterleistung des Autors Wolfgang Adenberg und des Musikers Marc Schubring, die Handlung von 450 Seiten in ein Musical von zwei Stunden 20 Minuten Länge zu pressen, wobei sprachliche Feinheiten natürlich auf der Strecke bleiben müssen, natürlich auch manch psychologische Verästelung. Das Ergebnis aber ist schwer beeindruckend, und dies auch, weil sich die musikalische und dramaturgische Ästhetik dieses Werks auf die Terrains der Oper und der Filmmusik begibt.
Marc Schubring schrieb eine Musik, die einerseits herkömmliche Musical-Muster bedient und andererseits im Orchestersatz an die Klassische Moderne der Wiener Schule erinnert. Die 20 Musiker haben im Graben enorm viel zu tun: sie haben, um es anekdotisch auszudrücken, gemäß der sehr genauen und einfallsreichen Orchestration von Frank Hollmann, viele, doch nicht zu viele Noten zu spielen. Sie bedienen keinen durchschnittlichen Musical-Geschmack – was angesichts des Stoffs auch kaum möglich ist -, sondern setzen auf schroffe Akzente. Wenn der Vicomte der Madame de Tourvel seine „Liebe“ beschwört, dröhnt es dissonant aus dem Graben heraus. Klar – denn diese „Liebe“ steht ja nur in Gänsefüßchen. „Die Musik“, sagt der Komponist, „startet als Parfüm, als Farbe, als etwas Unaufdringliches, sogar Angenehmes, und dieses Angenehme wird langsam zu Gift, wird bissig und aggressiv, bis man zum Schluss gar nicht mehr weiß, ob das Angenehme das Gift oder das Gift das Angenehme ist.“ Dass in dieser Dreieckstragödie und -Schmierenkomödie immer wieder gleiche einfache Motive im Dreivierteltakt oder mit drei Noten, sogar das einfache wie spannungsgeladene „James-Bond-Thema“ erklingt, ist Programm. Man müsste den Posaunisten, das Horn und die Holzbläser nennen, die zusammen mit den Streichern und dem Schlagwerk (in der rechten Proszeniumsloge) unter Andreas Kowalewitz einen ungewöhnlich farbigen Orchesterklang produzieren. Wunderbar das Agnus dei der Nonnen, die angesichts der sterbenden Madame de Tourvel einen schönen geistlichen Gesang anstimmen, zu dem ein zarter Streichersatz, manchmal mit Unterstützung der Holzbläser, erklingt. Der Chor gibt bisweilen auch, wenn's zwischen den Bettdecken richtig „heiß“ wird, seine Kommentare ab: in Form von Vokalisen auf den Vokal „a“, was irgendwo zwischen einem Lust- und einem Schmerzenslaut changiert. Mit einem Wort: einfach intelligent.
Der Zuschauer und -hörer muss sich wirklich nicht darüber wundern, dass diese Produktion gleich fünf Preise einheimste: u.a fürs beste Musical, die beste Musik, die beste Darstellerin – die bezaubernde Julia Klotz als Madame de Tourvel. Es schier unglaublich, mit welcher Sensibilität sie die verführte Unschuld spielt und kraftvoll singt: bis zum totalen und bewegenden Zusammenbruch. „Ich habe stets nur eine innere Wahrheit“ singt sie – aber dies singt sie nicht verschämt, sondern selbstsicher heraus, während gleichzeitig eine weitere Sexszene die Aufmerksamkeit ablenken will: aber es gelingt natürlich nicht. Was für eine einfache wie grandiose Dramaturgie!
Gerade an dieser wichtigen Partie kann man die Dignität dieser Musical-Produktion festmachen, denn im Grunde handelt es sich um ein durchkomponiertes Schauspiel mit opernhaft durchwürzter Musical-Tönung. Als solches aber funktioniert es „nur“, weil alles zusammenstimmt: der Sound, das Drama, die Dialoge, die – pardon – Höhepunkte, die Chorszenen, die Bilder. Nein, man braucht hier keine üppige Pseudo-Rokoko-Ausstattung. Es genügen: eine Brücke mit Rokoko-Bändern, eine fleißig in Einsatz gebrachte Drehbühne, sehr schnelle Wechsel zwischen den Szenen, ein Tisch, manchmal ein Cembalo und, für Cécile de Volanges' Musikstunden, eine Harfe – und ein Deckenspiegel, der uns eine Perspektive auf die Bühne gibt, die die Möglichkeiten der Spiegelung wunderbar nutzt.
Über den Cast ist insgesamt nur eines zu sagen: das Stück wurde perfekt besetzt - von den Hauptrollen über die beiden mittleren weiblichen Partien bis zu den „kleinen“ Rollen. Carin Filipčić ist eine durchaus charismatische Madame de Volanges: eine souveräne Dame der Gesellschaft, bei der nicht nur die Perücke gut sitzt (ein Superlob für die Direktion Kostüm/Maske: Inge Schäffner, auch für den Kostümgestalter Alfred Mayerhofer). Gisela Ehrensperger ist die alte Madame de Rosemonde, die Vertraute der Madame de Volanges, die gar nicht viel tun muss, um zu wirken. Das Ensemble der Damen und Huren (unter ihnen Nazide Aylin als Émile, die Cécile zusammen mit dem Vicomte in die Freuden eines flotten Dreiers einweiht), der wenigen Herren und vielen Kammerdiener (unter ihnen Erwin Windegger als Azolan, Valmontes Diener) und Zofen, wird – gleichsam als weibliches wie aggressives Gegengewicht zur „schwachen“ Madame de Tourvel - dominiert von Anna Montanaro alias Marquise de Merteuil. „Liebe macht uns schwach“, so singt sie in einer wahrhaft „großen Arie“ ihre Philosophie stimmstark und beifalllprovozierend heraus.
Und der Vicomte? Armin Kahl spielt den skrupellosen Verführer so prägnant, dass wir ihn einfach hassen müssen – und wenn er plötzlich umzuschwenken scheint, begreifen wir ihn schon angesichts der bezaubernden Madame de Tourvel so sehr, dass seine wahren Beweggründe spätestens dann, wenn er vor den Forderungen der Merteuil windelweich wird, derart unklar werden, dass die Geheimnisse, die de Laclos seiner Figur mitgab, auch hier nicht gelüftet werden. Der Don-Juan-Typ bleibt eine gespaltene Persönlichkeit. Auch dies macht aus dem Stück ein sehr besonderes und aus der Interpretation durch Armin Kahl eine extrem spannende (und singen kann er wie alle: makellos).
Erstklassig auch die Cécile de Volanges der Anja Haeseli: es hat Klasse, wie sicher die „Kleine“ sich von einer unbefangenen Göre zu einer durchtriebenen Verführerin entwickelt. Den Schaden hat der gute Chevalier de Danceny (gespielt vom guten Florian Peters), der zum Opfer seiner eigenen, angeblich „reinen“ Liebesideologie wird: so viel Naivität muss einfach bestraft werden; kein Wunder, dass am Ende das gleichsam lernfähige Mädchen den reichen Grafen und nicht den armen Schwärmer heiratet (der übrigens – was für ein Witz – in dieser Musiktheaterproduktion ein Musiker ist und zum Opfer der Merteil wird: auch in ihrem Bett).
Und so spielen sie alle ihr Spiel, bis am Ende die Wirklichkeit des Winters in die Welt des Scheins einbricht, dem doch so viele zum Opfer fallen. Es beginnt, wie früher in jeder zweiten Tannhäuser-Inszenierung, am Ende zu schneien, die Präsidentin stirbt – nicht, ohne ihrem seelischen Mörder vergeben zu haben, der Verführer wird erstochen, die Marquise geächtet. Alles gut? Gewiss nicht – aber die bejubelte Produktion zeigt, was ein gutes Musical heute sein kann: ein thematisch anspruchsvolles und musikalisch differenziertes Werk, das die meisten Besucher jubeln lässt. Mit wenigen Ausnahmen: Dass in der Pause ein paar Besucher den Saal verließen, mochte auf die Sex-Szenen zurückgehen. Dass „die Münchner“ so gschamig sind, hätte ich allerdings nicht gedacht. Zu de Laclos' Zeiten wären diese Abgänge vielleicht nicht passiert - nicht einmal im Hoftheater.
Auch wenn damals vermutlich weniger auf der Bühne scheingevögelt wurde als heute.
Ps: Einen guten Eindruck der exzellenten Produktion erhält man mit diesen beiden Trailern: Trailer 1 / Trailer 2
Fotos: Thomas Dashuber
Frank Piontek, 17.5. 2016
LEONARD BERNSTEIN
CANDIDE
Premiere: 17.12. 2015.
Besuchte Vorstellung: 2.1. 2016
Ein Stück für alle, souverän inszeniert
Ouvertüre
„'Candide' verkörpert die Anmut des Geistes, es ist das unübertreffliche Meisterwerk nicht nur eines Menschen, sondern einer bereits tausendjährigen Sprache, die ihren Höhepunkt erreicht hat und nun einige Seiten lang atmet, bevor sie wieder absinkt. 'Candide' zeigt außerdem eine vollendete Unbekümmertheit, jene heitere Unbekümmertheit, die nur in einem Menschen entstehen kann, der sein ganzes Elend verstanden und der vor allem verstanden hat, dass er es nur durch Heiterkeit überwinden kann.“
Was der Voltaire-Biograph Jean Orieux einst in seiner Biographie über den heiteren Dichter und sein satirisches Meisterwerk geschrieben hat, gilt unterm Strich auch für jenes einzigartige Stück, das Leonard Bernstein und seine vielen Librettisten in den 50er Jahren geschrieben haben. Es entstand in unmittelbarem Umkreis von Bernsteins anderem unvergleichlichem Broadway-Stück, das gleichfalls auf einen klassischen Stoff der europäischen Literatur zurückgeht. Wer die glänzende wie ungeheuer kurzweilige Aufführung in der Münchner Reithalle erlebt, die das Gärtnerplatztheater einem begeisterten Publikum kredenzt hat, begreift nicht, wieso die Voltaire-Adaption bei seiner Bostoner Uraufführung im Jahre 1956 nicht ankam. Freilich haben erst die letzten großen Überarbeitungen, denen das Werk wie kaum ein zweites Broadway-Stück unterworfen wurde, und die Texte Stephen Sondheims dem „Candide“ den letzten Schliff verliehen; Bernstein selbst konnte das Werk noch kurz vor seinem Tod in einer wunderbaren Einspielung verewigen (1989, also genau zehn Jahre, nachdem der Autor dieser Zeilen dem Ausnahmemusiker in einer Berliner Autogrammstunde in die Augen schauen durfte, als der ihm mit seiner nikotinverseuchten Stimme verkündete: „Nur Bücher“. Wie gut, dass der Opernfreund damals schon lesen konnte… beispielsweise Bernsteins höchst lesenswerte Lectures über die Musik der Vergangenheit).
Die Münchner Aufführung bietet fast die gesamte Partitur, nur das Duett von Cunigonde und der Old Lady - „We are women“ - fehlt an diesem Abend. In Ausweichquartiere zu gehen
hat noch kaum einem Theater, das gerade renoviert wird, geschadet. Die Reithalle ist der ideale Ort für die irrwitzigen und schnellen Weltreisen des reinen
Toren, seiner geliebten Conigonde, des weisesten aller Philosophen – Pangloss – und all der anderen skurrilen Figuren, die einzig deshalb erfunden wurden, um zu beweisen, dass diese Welt eben nicht die beste aller möglichen Welten ist – und um das Publikum nachhaltig mit einem Witz zu erfreuen, der in einer genialen Mixtur aus Operette, Musical, parodierter Oper und Revue aufs musikalische Theater gebracht wurde. Folgt das Libretto über weite Strecken dem Roman von Voltaire – allerdings mit entscheidenden, vor allem das Finale betreffenden Unterschieden -, so durchläuft die Story in hoher Geschwindigkeit die Zeiten und Kontinente. Der Herausforderung begegnen die Regie (Adam Cooper) und der Bühnenbildner (Rainer Sinell) mit einem offenen Raum, in dem die Treppe inmitten der Zuschauertribüne ebenso für Auftritte (etwa der klerikalen Prozession) genutzt wird wie der Steg, der an der linken Bühnenseite für herausgehobene Positionen sorgt. Es ist schon beeindruckend, wenn der Chor (wahlweise in westfälischen, spanischen oder venezianischen Kostümen) an der Rampe und den beiden Seiten der Spielfläche unisono singt. Das Orchester ist laut genug, um ganz hinten, hinter einer fast undurchsichtigen Wand, die die Welt in einer Ansicht des 18. Jahrhunderts zeigt, platziert zu werden. Marco Comin leitet das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz, dem Spezialisten auch für eine „leichte Muse“, deren Kunstmittel und deren Inspiration gewaltig – und schier amüsant sind.
Doch nicht nur amüsant. Bernsteins Werk schließt, bei allem sarkastisch-ironischem Witz und aller Broadway-Beschwingtheit, bei aller parodistischen Güte und rhythmischen Vertracktheit, auch das völlig klare Sentiment ein. Gideon Poppe ist ein ganz wunderbarer reiner Tor im Biedermann-Kostüm, dem seine melancholischen Nummern bewegend gelingen: „It must be so“ singt er dann, inmitten des Publikums stehend.
Cunegonde ist dagegen ein Püppchen, das sich eher in der beglückend oberflächlichen Welt des Spiels auskennt: großartig, wie Csilla Csövari die Prunknummer der komischen Operette, die die Juwelenarie von Gounods „Faust“ parodiert („Glitter and be gay“), auf die Bretter bringt: nicht als Musicaldarstellerin, sondern als Opernsängerin, der man den Spaß an Bernsteins geistreichen Witzen anhört und -sieht. Auch die Old Lady, die einst von Christa Ludwig gestaltet wurde, ist, sozusagen, in besten Händen, auch mit einer, aber wirklich nur einer prachtvollen Hinterbacke (um mit Voltaire und Bernstein zu reden): Die äußerst vital agierende Dagmar Hellberg ist der Mittelpunkt einer hinreißenden, spanischen Shownummer („I am easily assimilated“). Überhaupt macht die Choreographie immer einen Sinn: wenn der Chor – in seiner neutralen Rolle als bloßer „Chorus“ - in reinweißen Gewändern und Perücken erscheint, werden nicht nur Weisheiten verkündet. Erst durch die Choreographie werden die Bilder lebendig: bis zum bezwingenden Finale, in dem plötzlich alle Beteiligten das Einfachste und Eindrücklichste machen, indem sie ihre Botschaft letzten Endes oratorisch verbreiten: „Make our garden grow“. Und wir verstehen, welchen Sinn die absolut komisch abgehandelten Schlächtereien der letzten drei Stunden hatten.
So glänzend wie Candide und die beiden Frauen, die zugleich Karikaturen, entzückend holzschnitthafte Charaktere und Marionetten ihrer Autoren sind, sind auch die Herrenpartien besetzt. Alexander Franzen führt als Voltaire in den Abend ein und spielt dann, natürlich, den Pangloss, der auch durch eine Syphilis und eine Hinrichtung nicht von seinem Glauben an eine vollkommene Welt abgebracht werden kann. Franzen ist auch der Cacambo, der unseren Helden durch Amerika begleitet, und der Pessimist Martin, dem Bernstein – als Komponist und Textdichter – eine prachtvoll zynische Nummer geschenkt hat: „Words, words, words“. Franzen spielt, wie alle Akteure, mit Tempo, aber nicht überhitzt. Er gibt dem komödiantischen Affen der völligen Übertreibungen Zucker – und singt mit dem Nachdruck eines erfahrenen und vokal gut ausgebildeten Musical-Sängers. Erwin Belakowitsch, dessen Karriere bei den Wiener Sängerknaben begann, ist ein erstklassiger Bariton, der Cunigondes arroganten Bruder Maximilian mit schönstem Ausdruck bringt. Man hört: Bernsteins „Candide“ ist ein Stück für alle – für Opern-, Operetten- und Musical-Aficionados.
An diesem Abend stimmt wirklich alles: die Ausstattung, die auf der quasi leeren Bühne nichts vermissen lässt, das Licht, das Paris in das passende Walzer-Rosa und das Goldland Eldorado in warme Farben taucht, die Darsteller der vielen „kleinen“ Rollen, die, wie Juan Carlos Falcón, mehrmals das Kostüm wechseln müssen und nicht nur als Gouverneur mit einem Namen, „der länger ist als sein Schnurrbart“, präzis und witzig agieren. Der zwergwüchsige Markus Hoffmann überrascht als grotesk maskierter Baron Thunder-ten-Tronck, und Paquette, die entzückende Zofe, an der der größte Philosoph der Welt seine Experimentalphysik praktiziert, wird von Nazide Aylin so charmant gebracht, dass man es bedauert, dass Voltaire und Bernstein ihr keine größere Rolle als die der gelegentlichen Besucherin schenkten – doch erblickt man sie, das ist so der Corpsgeist, oft im Ensemble. Wunderbar auch das Ensemble der Könige (unter ihnen König Herrmann August als Look-alike des „Kinis“), die auf dem Meer beschließen, fortan ein „einfaches Leben“ zu führen – ein Plan, den sie sofort in der venezianischen Spielbank umsetzen, wo der Walzer-Ohrwurm „What's the use“ (über die Nutzlosigkeit, ein Gauner zu sein) mit Schwung gebracht wird.
So erweist sich die satirische und doch bitterernste Operette über die Frage, wie man sich am besten in dieser Welt einzurichten hat, auch als Vehikel für eine kurzweilige und technisch perfekte Bühnenshow voller Tempo, Witz, Charme und, ja, Anmut. Mögen die als Tod maskierten Tänzer auch durchs Autodafé tanzen, und mag der Zuhörer auch die leicht genommene Ironie des Duetts begreifen, in dem Candide und seine Angebetete ihre durchaus unterschiedlichen Auffassungen einer glücklichen Ehe musikalisch so äußern, als gäbe es da keine Unterschiede – am Ende triumphiert doch das Leben. Nicht das scheinbar ideale Leben, das in Eldorado herrscht, in dem arkadische Ballette mit verdammt hübschen Tänzerinnen und Tänzern an der Tagesordnung sind und rote Hammel pfundweise Gold und Diamanten schleppen, auch nicht das Leben im südamerikanischen Urwald, in dem sich die Frauen Affen als Liebhaber nehmen, sondern ein Leben, in dem man kleinere Brötchen bäckt. Der Rest ist nicht Spaß, sondern ein Ernst, der erst vor dem Hintergrund der irrwitzigen und blutigen Späße seine Wirkung zu entfalten vermag.
Starker, zurecht begeisterter Beifall für einen souverän inszenierten und gespielten Abend, der Bernsteins Meisterwerk ins richtige, wenn auch bisweilen leicht neblige Licht setzt.
Fotos (c) Christian Dashuber / Christian POGO Zach
Frank Piontek 4.1.2016
Als Opernfreund-Zugabe und Schmankerl die sensationelle (und hochschwierige !) Top-Arie des Stücks "Glitter an be gay" - absoluter Koloraturwahnsinn als Parodie auf alle Koloraturarien dieser Opern-Welt
Juna Anderson 1989 (Bernstein dirigiert höchstpersönlich)
Broadway 2006
Diana Damrau 2007
Unser Platten-Tipp ist absolut alternativlos !
Herzliche Gratulation zu 150 Jahre Gärtnerplatztheater
LA CENERENTOLA
Premiere: 4.11.2015
Aschenbrödel und Ludwig II
Auf den Tag genau 150 Jahre ist es her, dass das Staatstheater am Gärtnerplatz seine Pforten öffnete. Am 4.11.1865 ging an diesem traditionsträchtigen Haus die erste Aufführung über die Bühne. Seither haben immer wieder mustergültige Vorstellungen Publikum von nah und fern angelockt. Heute ist das Gärtnerplatztheater längst nicht mehr nur das zweite Haus am Platz, sondern eine ernst zu nehmende Konkurrenz zur Bayerischen Staatsoper geworden. In den letzten zehn Jahren hat sich das Niveau dort enorm gesteigert. Sänger aus der ersten Liga werden engagiert und die Opern-Aufführungen erklingen in der Originalsprache, was früher nicht der Fall war. Die Münchner lieben ihr Gärtnerplatztheater zu Recht. Dementsprechend gut besucht war auch die große Festveranstaltung, die am späten Nachmittag rund um den Gärtnerplatz stattfand. Da das Stammhaus immer noch renoviert wird, musste am Abend für die große Fest-Premiere in das bereits oft als Ausweichquartier genutzte Cuvilliéstheater ausgewichen werden, wo im Foyer zahlreiche visuelle Glückwünsche großer Theaterschaffender über einen Bildschirm flimmerten. Diese kamen u. a. auch aus Amerika und Japan - ein deutliches Zeichen dafür, welch großes Ansehen das Staatstheater am Gärtnerplatz doch weltweit genießt.
Dandini, Herrenchor
Um diesen festlichen Anlass angemessen zu begehen, hatte die Theaterleitung als zweite Premiere der aktuellen Saison Rossinis „La Cenerentola“ auf den Spielplan gesetzt und damit in jeder Beziehung einen Volltreffer gelandet. Die Aufführung war in hohem Maße kurzweilig und unterhaltsam und versprühte viel gute Laune. Als Regisseurin konnte die ehemalige Opernsängerin Brigitte Fassbaender gewonnen werden, die am Gärtnerplatztheater vor einigen Jahren bereits den „Don Pasquale“ in Szene gesetzt hatte. Wenn das Publikum den Zuschauerraum betritt, erschließt sich dem Blick ein auf den Vorhang projiziertes, die aufzuführende Oper thematisierendes Kreuzworträtsel, in dem sich neben den Namen einiger Handlungsträger Begriffe wie „Rossini“, „Cenerentola“ und „Trionfo“ finden. Das italienische Wort „Trionfo“ bedeutet im deutschen „Triumph“. Und zu einem solchen gestaltete sich der Abend dann auch. Die Regisseurin hat sich des Werkes mit viel Liebe angenommen und es mit einer munteren Personenregie abwechslungsreich und mit einer heiteren Note versehen auf die Bühne gebracht.
Diana Haller (Angelina), Artur Espiritu (Don Ramiro)
Sie siedelt die märchenhafte Handlung in einer gemäßigten Moderne an, wobei sie auch das 150jährige Jubiläum des Theaters in ihre Inszenierung geschickt einfließen lässt. Das Ganze spielt sich in einem von Dietrich von Grebmer - von ihm stammen auch die herrlichen Kostüme - errichteten bläulichen Kachelraum ab. Links befinden sich ein Tisch und drei Stühle, die augenscheinlich nur für Don Magnifico und seine beiden Töchter bestimmt sind. Für Angelina, die zuerst im rechten Teil der Bühne in der Küche im Kamin kauert, dann für ihre Familie das Frühstück bereitet und nach getaner Arbeit wieder zurückgezogen ein Magazin lesen darf, ist hier kein Platz. Zentrale Elemente des Bühnenbildes bilden zwei riesige Schränke, die vom das Haus in Augenschein nehmenden Chor hereingeschoben werden und denen Clorinda und Tisbe entsteigen. Neben ihrer ursprünglichen Funktion als Aufbewahrungsort für die wunderbaren Kleider der beiden Mädchen kommt den Schränken noch eine weitere Verwendung zu. Mit ihrer Hilfe lassen sich praktikablerweise auch einzelne Räume herstellen. So wird aus ihnen beim ersten Auftritt von Don Magnifico gekonnt ein Badezimmer mit Dusche kreiert, in dem die Töchter ihrem nur mit einem Handtuch um die Hüften auftretenden Vater in den Bademantel helfen - ein recht spaßiges Bild.
Herrenchor
Derartige erheiternde Augenblicke gibt es in der Inszenierung viele. So kann man herzlich lächeln, wenn Don Magnifico im Weinkeller des Prinzen zum Vorstand einer vom Herrenchor gebildeten Schulklasse 7A wird, die den wenig schmeichelhaften Spruch „Der Lehrer ist doof“ an die Tafel geschrieben hat. Zum Schmunzeln war es auch, als sich der Diener Dandini dem zuerst als Chauffeur, dann als Kellner maskierten Königssohn genüsslich über das schlechte Benehmen von Clorinda und Tisbe auslässt. Neben Angelina ist es augenscheinlich Dandini, dem die ganze Liebe von Frau Fassbaender gehört. Kurzerhand steckt sie ihn in die Maske Ludwigs II und lässt ihn vor einem Prospekt von Schloss Neuschwanstein gleichsam dem berühmten, 1865 entstandenen Bild von Ferdinand von Piloty entspringen, das den Märchenkönig als Zwanzigjährigen zeigt - ein überaus ansprechender und stimmiger Regieeinfall, der den Höhepunkt des Abends bildete. Das Ende hat das Regieteam in König Ludwigs berühmte Venusberg-Grotte verlegt, in der Don Ramiro gleich Lohengrin in einem Kahn erscheint. Für die äußerst ansprechende visuelle Gestaltung der Ludwig II-Szenen gebührt Herrn von Grebmer größtes Lob! Und ein herzliches Dankeschön geht an die musikalische Leitung dafür, dass man in dieser Produktion die sonst eigentlich immer gestrichene Arie der Clorinda, die zur Schlussszene gleich ihrer Schwester nicht wirklich reuig im Nonnen-Outfit erscheint, hören konnte.
Mercedes Arcuri (Clorinda), Diana Haller (Angelina), Herrenchor
Nicht nur szenisch, auch musikalisch war die Aufführung vollauf gelungen. Es ist unglaublich, was Dirigent Michael Brandstätter aus dem bestens disponierten und beherzt aufspielenden Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz alles herausholte. Das war eine sehr differenzierte und nuancenreiche Angelegenheit. Aus dem hochliegenden Graben des Cuvilliéstheaters erklang genau die richtige Mischung aus Fetzigkeit und Emotionalität. Der von den Musikern erzeugte lockere, federnde und spritzige Rossini-Ton war genau richtig und unterstrich das Geschehen auf der Bühne aufs Beste.
Diana Haller (Angelina), István Kovács (Alidoro)
Große Freude bereitete auch das aufgebotene Sängerensemble. In der Titelrolle brillierte Diana Haller von der Staatsoper Stuttgart. Für sie war es bereits die zweite Cenerentola-Produktion. Und es war zu konstatieren, dass ihr trefflich fokussierter, tiefgründiger und gefühlvoller, dabei locker und flexibel geführter Mezzosopran seit der Stuttgarter Inszenierung von 2013 noch weiter gereift ist. Ihr zuzuhören, war ein Hochgenuss. Alle Klippen der Partie wurden mit hohem technischem Können gemeistert. Und auch darstellerisch blieben keine Wünsche offen. Neben ihr bewährte sich Arthur Espiritu, der mit in jeder Lage sauber geführtem, gut sitzendem und über eine enorme Höhe verfügendem Tenor einen erstklassigen Don Ramiro sang. Ganz hervorragend stand Vittorio Prato als Dandini das Outfit Ludwigs II. Da war in jedem Augenblick zu spüren, dass er es sehr genoss, einmal den Herren spielen zu dürfen. Auch stimmlich vermochte er mit seinem gut profundierten, flexibel geführten Bariton für sich einzunehmen. Hoch in der Gunst des Auditoriums stand Marco Filippo Romano, der aus dem Don Magnifico mit großem schauspielerischem Können eine köstliche Type machte. Gesungen hat er mit heller, bestens verankerter Bass-Stimme ebenfalls einwandfrei. István Kovács war ein sonor singender Alidoro, der seinem Part auch darstellerisch voll und ganz entsprach. Mit köstlichem, munterem und recht aufgewecktem Spiel rundeten Mercedes Arcuri und Dorothea Spilger in den Rollen von Clorinda und Tisbe das Ensemble ab. Prächtig präsentierte sich der von Felix Meybier einstudierte Herrenchor des Staatstheaters am Gärtnerplatz. Allgemein hervorzuheben ist, dass sich von den Sängern/innen keine(r) in den Vordergrund drängte. Alle pflegten ein großartiges homogenes und von großer Lust geprägtes Zusammenspiel. Bravo!
Fazit: Eine erstklassige Jubiläums-Aufführung, deren Besuch sehr zu empfehlen ist!
Ludwig Steinbach, 5.11.2015
Die Bilder stammen von Christian POGO Zach
Musikalisch und gesanglich gelungener Saisonauftakt
LA SONNAMBULA
Premiere: 8.10.2015
Konventionell-moderne Gratwanderung
In dieser Spielzeit feiert das Staatstheater am Gärtnerplatz sein 150jähriges Bestehen. Das seit Jahren durchweg hohe Niveau, das einem an diesem bemerkenswerten Haus geboten wird, hat es längst zu einem echten Konkurrenten der Bayerischen Staatsoper werden lassen. Schade nur, dass es sein Jubiläum wegen des voraussichtlich noch ein Jahr dauernden Umbaus des Stammhauses in Ausweichspielstätten begehen muss.
Jennifer O’Loughlin (Amina), Chor
In einer solchen fand auch die erste Premiere der aktuellen Saison statt: Für die Neuproduktion von Bellinis „La Sonnambula“, eines der erfolgreichsten Werke des Komponisten, ging man in das dem Bayreuther Festspielhaus nachempfundene Münchner Prinzregententheater. Die Regie lag in den Händen von Michael Sturminger, Bühne und Kostüme besorgten Andreas Donhauser und Renate Martin. Die Inszenierung setzt sich aus einem Gemisch konventioneller und moderner Elemente zusammen, wobei erstere überwiegen. Sie ist zugegebenermaßen sehr schön anzusehen. Sturminger hat das Stück in seinem ursprünglichen Umfeld, den Schweizer Alpen, belassen. Wenn sich der Vorhang öffnet, erschließt sich dem Blick eine prächtige Gebirgslandschaft mit per Projektion abwärts fliessendem Bach und grünen Wiesen. Beim Anblick dieses Panaromas fühlt man sich in ein Gemälde von Spitzweg oder Turner versetzt. Zu Beginn des zweiten Aktes entführt das Regieteam den Zuschauer dann in einen sehr realistisch und lebendig wirkenden Wald mit transparentem Gaze-Vorhang, dessen Bäume sich sanft im lauen Wind wiegen. Es ist ein ausgemachter Naturalismus, der von Sturminger und seinen Bühnenbildnern hier gepflegt wird und in den sich die traditionellen Biedermeier-Kostüme trefflich einfügen. Ein guter Einfall seitens des Regisseurs war es, die Technik der Filmindustrie heranzuziehen und hier und dort mal das Bühnenbild an das Auditorium heranzuzoomen, wodurch der realistische Eindruck noch verstärkt wurde.
Dem Auge wurde hier sehr viel geboten, dem Intellekt weniger. Sturminger hat darauf verzichtet, seiner Deutung eine politische oder - was nahe gelegen hätte - psychologische Richtung zu geben. Er beschränkt sich darauf, brav und letztlich ohne sonderlichen Tiefgang am Libretto entlang zu inszenieren. Das war insgesamt wenig aufregend. Mehr in die moderne Richtung wies ein in die Bühne integrierter verschiebbarer gläserner Raum, der die verschiedenen hausinneren Handlungsorte symbolisierte. In ihm runden einige alte Möbel den Realismus ab. So weit so gut. Aber der Geräuschpegel, der beim Vorschieben dieses Raumes manchmal entstand, war zu laut und störte die Musik etwas. Hier sollte seitens der Technik etwas nachgebessert werden.
Beeindruckend war das letzte Bild, in dem sich das Bühnenbild zu einem Gedankenraum mit glitzernder Spielfläche wandelte, der trefflich die seelischen Befindlichkeiten der handelnden Personen reflektierte. Auf diese Weise wurde am Schluss endlich doch noch eine ansprechende psychologische Komponente in die insgesamt stark der Tradition verpflichtete Produktion eingefügt. Gefällig war auch ein gesellschaftskritischer Aspekt, der doch noch zum Denken anregte: Die Gemeinschaft pflegt eine fragwürdige Doppelmoral, in der die Sitten zu verfallen drohen. Und je abgelegener die Gegend ist, in der das geschieht, desto stärker offenbart sich dieser Punkt. Nur vordergründig sind die Dorfbewohner sittsam. Aminas Sonnambulismus ist für sie letztlich ein willkommenes Alibi, zu der herrschenden Moral innerlich auf Konfrontationskurs zu gehen. Nach außen hin suchen sie indes die Fassade aufrechtzuerhalten. Dem aufmerksamen Zuschauer kann ihr wahres Sinnen und Trachten aber nicht entgehen.
Elvino, Jennifer O’Loughlin (Amina), Maxim Kuzmin-Karavaev (Rodolfo)
Gespielt wurde am Gärtnerplatztheater die ungekürzte Fassung. Und das ganz ausgezeichnet. Was da aus dem Graben tönte, bewegte sich auf höchstem Niveau. Marco Comin und das bestens disponierte Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz bewiesen ein phantastisches Gefühl für die breiten Kantilenen Bellinis, die sie leicht und locker vor den Ohren des Publikums ausbreiteten. Bezeichnend ist es, dass die ausgeprägten Arien musikalisch niemals in Langeweile abdrifteten, sondern stets die Spannung aufrechterhalten blieb, was schon eine ganz große Leistung ist. Darüber hinaus warteten Dirigent und Musiker mit perfekter Italianita und einer stark emotional angehauchten Tongebung auf, die dem Geschehen auf der Bühne aufs Beste entsprach.
Jennifer O’Loughlin (Amina), Chor, Maria Nazarova (Lisa)
Hoch zufrieden sein konnte man mit den Sängern/innen. Hier ist an erster Stelle die wunderbare Jennifer O’ Loughlin zu nennen, die sich für die Amina als allererste Wahl erwies. Diese Rolle ist wie geschaffen für ihren hervorragend fokussierten, warmen und koloraturgewandten Sopran. Sie sang durchweg mit großer Intensität, sehr flexibel und bewältigte die enormen Klippen der Partie mit Bravour. Darstellerisch wirkte sie allerdings manchmal etwas zu naiv. Das ist indes nicht ihr, sondern der Regie anzulasten. An diesem Abend empfahl sie sich für die größten Bühnen. Aufhorchen ließ auch die junge, sehr zierliche Maria Nazarova in der Rolle der Lisa, die keinen Hehl daraus macht, dass sie Amina nicht mag, und sich immer wieder unter die Dörfler flüchtet. Sowohl am Anfang als auch am Ende ist sie ganz allein, was der Rolle eine etwas tragische Komponente verleiht. Stimmlich hatte Frau Nazarova ihre größten Momente im zweiten Akt in der Hochzeitsszene. Hier erwies sich die ungemeine Leuchtkraft ihres bestens sitzenden, durch alle Lagen perfekt geführten Soprans, der für die Zukunft zu großen Hoffnungen berechtigt. Arthur Espiritu wirkte als Elvino zu Beginn noch etwas unruhig, bekam seine offensichtliche Premierennervosität aber schnell in den Griff. Im Folgenden begeisterte er durch frische, klang- und substanzreiche Tongebung sowie fulminante Spitzentöne. Ein noch recht jugendlicher Rodolfo war Maxim Kuzmin-Karavaev, der seinem Part mit bereits voll ausgereiftem, profund und ausdrucksstark klingendem Bass mehr als gerecht wurde. Solides Mezzo-Material brachte Anna Agathonos, die man noch von ihren Pforzheimer Auftritten her in Erinnerung hat, für die Teresa mit. Eine etwas tiefere Gesangsstütze hätte man sich von Martin Hausbergs Alessio gewünscht. Als Notar war Marcus Wandl zu erleben. Wieder einmal hervorragend war der von Felix Meybier sehr gewissenhaft einstudierte Chor und Extrachor des Staatstheaters am Gärtnerplatz.
Fazit: Eine Aufführung, die in erster Linie musikalisch und gesanglich zu begeistern wusste, szenisch aber eher etwas für konventionell eingestellte Gemüter ist.
Ludwig Steinbach, 10.10.2015
Die Photos stammen von Thomas Dashuber
Zum Zweiten
COSI FAN TUTTE
Besuchte Aufführung: 22.6.2015 (Premiere: 13.6.2015)
Ende gut, alles gut
Ein Potpourri aus mehreren Zeitaltern stellt Olivier Tambosis Neuproduktion von Mozarts dritter Da-Ponte-Oper „Cosi fan tutte“ am Staatstheater am Gärtnerplatz in seinem Ausweichquartier des Cuvilliéstheater dar. Da gibt es Zitate sowohl aus dem Barock als auch aus der Moderne. Deutlich wird, dass das Stück zeitloser bzw. ärenübergreifender Natur ist. Die dargestellten Konflikte und Probleme können sich in jeder Zeit zutragen.
Jennifer O’Loughlin (Fiordiligi), Lena Belkina (Dorabella)
Der Bezug zur Gegenwart wird durch das von Bengt Gomér geschaffene Bühnenbild hergestellt. Es besteht aus einem modernen weißen, sterilen und fast leeren Kachelraum mit nur wenigen Requisiten. Diverse kleine Umbauten werden durch eine immer wieder vom Schnürboden heruntergelassene Zwischenwand ermöglicht, auf denen man zwei riesige Schwarz-Weiß-Photos von Fiordiligi und Dorabella erblickt. Die beiden Schwestern sehen sich auffallend ähnlich. In der Tat scheinen sie bei Tambosi Zwillingsschwestern zu sein, wie ihre auch im Folgenden stets identischen Kostüme bezeugen, die der Kreativität Carla Caminatis entsprungen sind. Zu ihrer Ausstattung gehören Reifröcke samt dazugehöriger Barock-Perücke, Hosenanzüge, Bademäntel und einmal sogar nur Handtücher, allesamt in roter Farbe. Ihre Unter- und Hochzeitskleider sind weiß. Auch ihre Haarfarben wechseln manchmal. Meistens sind sie aber rothaarig. Man merkt, die Farbe Rot als Ausdruck des Sinnlich-Erotischen und der Sünde dominiert.
Stefan Cifolelli (Ferrando), Don Alfonso, Matija Meic (Guglielmo)
Indes geht es dem Regisseur nicht um die Zurschaustellung von sündigem Verhalten. Vielmehr setzt er bei Friedrich Nietzsche an und intendiert die Aufzeigung von Menschlichem, Allzumenschlichem. Dies ist dann auch der Inhalt des fragwürdigen Experiments, das hier mit einer insgesamt flüssigen Personenregie und so mancher heitereren Einlage zwar handwerklich solide umgesetzt wurde, sich letztlich aber wenig aufregend vor den Augen des zahlreich erschienenen Publikums abspielte. Dass sich der Abend etwas hinzog und teilweise auch leicht belanglos wirkte, lag in erster Linie daran, dass Tambosi zu nah am Libretto blieb. Nach seiner sensationellen, total gegen den Strich gebürsteten Saarbrückener „Entführung“ vor einigen Jahren hätte man von ihm wahrlich mehr erwartet. Dieses Mal beließ er es bei einer zwar nicht ungefälligen, letztlich aber zu biederen und harmlosen Regiearbeit.
Matija Meic (Guglielmo), Dorabella, Fiordiligi, Stefan Cifolelli (Ferrando)
Was aber nicht heißen soll, dass er sich über das Werk keine Gedanken gemacht hätte. Ein konzeptioneller Ansatzpunkt war schon ersichtlich. Tambosi fasst das Ganze als ausgemachte Farce mit mannigfaltig eingestreuten komödiantischen Effekten auf. Bei ihm steht nicht der tragische Aspekt der Handlung im Vordergrund, sondern der heitere. Es gab Stellen, an denen man durchaus lachen oder zumindest schmunzeln konnte. So wirkten die verkleideten Liebhaber mit ihren Bärten ein wenig wie Groucho Marx, was insbesondere für Guglielmo galt. Köstlich muteten auch Despinas Verkleidungen als Arzt und Notar an, in der sie eine Art gelben Regenmantel trug und ihre Stimme arg verstellte.
Lena Belkina (Dorabella), Guglielmo
Durch die fast gänzliche Aussparung der tragödienhaften Wirkungen des Treubruchs fehlt es der Inszenierung aber etwas an Tiefgang. Eine derartige Herangehensweise, die derzeit fast alle Regisseure, die die „Cosi“ inszenieren, pflegen, hätte sicher eine stärkere Wirkung entfaltet. So blieb es an diesem Abend bei einem Plädoyer Tambosis für die Unzerstörbarkeit von Liebesbeziehungen - ein recht optimistischer Ansatz, der dann auch zu guter Letzt ein Happy End nach sich zog, das in keinster Weise einen bitteren Beigeschmack beinhaltete, wie es heute bei den meisten anderen Inszenierungen der Fall ist. Immerhin haben die Beteiligten im Verlauf des Experiments etwas über sich und ihre jeweiligen Fehler und Schwächen gelernt, was sie befähigt, ihr Glück zu finden. Am Ende finden die ursprünglichen Paare wieder zusammen und es herrscht wieder Friede-Freude-Eierkuchen. Ende gut, alles gut. Damit haben wir es hier mit einer zwar soliden, aber letztlich nur mittelmäßigen Regiearbeit zu tun. Wer das Stück in einer wirklich gelungenen Inszenierung sehen will, sollte nach Stuttgart fahren. An der dortigen Staatsoper läuft derzeit eine zwar ungewöhnliche, aber dennoch ganz ausgezeichnete Produktion der „Cosi“.
Ensemble
Gesanglich sah die Sache schon besser aus. Für die Fiordiligi war Jennifer O’Loughlin an das Gärtnerplatztheater zurückgekehrt. Sie vermochte in erster Linie mit insgesamt gut verankertem, warmem und emotional angehauchtem Sopran und guter Linienführung - toll war diesbezüglich ihr E-Dur-Rondo im zweiten Akt - zu punkten. In der Höhe gerieten ihr aber einige Töne etwas zu spitz. Und die für diese Rolle sehr wichtige Tiefe ist bei Frau O’ Loughlin noch entwicklungsfähig. Bei „Come scoglio“ war sie im unteren Stimmbereich, in dem ihre Stimme erheblich an guter Fokussierung verlor, kaum zu hören. In der Höhe manchmal etwas zu ausladend sang auch Mária Celeng, die im Übrigen in der Rolle der Despina mit ihrem wunderbar italienisch geführten, prägnanten und recht fulminanten Sopran ausgezeichnet abschnitt, und das auch darstellerisch. Schauspielern kann sie, das muss man sagen. Dritte im Bunde der Damen war Lena Belkina, die die Dorabella mit großer Intensität und sattem, tiefgründigem Mezzoklang sang. Bei dem sonor und mit ordentlicher tiefer Stütze singenden Stefan Cifolelli war die Partie des Ferrando in guten Händen. Mit schlanker geschmeidiger, dennoch aber vorbildlich fundierter Tongebung stattete Matija Meic den Guglielmo aus, den er auch überzeugend spielte. Demgegenüber fiel Ralf Lukas als Don Alfonso mit flachem, kein schönes appoggiare la voce aufweisendem Bass-Bariton-Material ein wenig ab. Auf hohem Niveau präsentierte sich der von Felix Meybier einstudierte Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz.
In Bestform zeigten sich Michael Brandstätter und das das sich mächtig und versiert ins Zeug legende Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz. In markantem Duktus, esprit- und temperamentvoll und mit einer prägnanten Diktion und Artikulation der Orchesterstimmen wurde hier Mozart von Feinstem präsentiert. Auch um Transparenz und Farbenreichtum des von Dirigent und Musikern erzeugten differenzierten und nuancenreichen Klangteppichs war es vorzüglich bestellt.
Fazit: Zwar hätte man sich von Tambosi mehr erwartet, aber in gesanglicher und musikalischer Hinsicht war es ein durchaus empfehlenswerter Abend.
Ludwig Steinbach, 23.6.2015
Bilde: Thomas Dashuber
DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL
Besuchte Aufführung: 1.6.2015 (Premiere: 30.1.2014)
Hübsch ansehen, aber harmlos
Aus dem intimen Charakter des Cuvilliéstheater, in dem vergangene Spielzeit die Premiere stattfand, wurde die Wiederaufnahmeserie von Mozarts „Entführung aus dem Serail“ in das Prinzregententheater verlegt. Und erneut stieß die Aufführung bei dem zahlreich erschienenen Publikum auf große Zustimmung. Und das, obwohl diese eher mittelmäßig anmutete.
Daniel Prohaska (Pedrillo), Csilla Csovari (Blonde), Elena Gorshunova (Konstanze), Bernhard Berchtold (Belmonte)
Das lag in erster Linie an der harmlosen, nahe am Libretto bleibenden Inszenierung von Stephanie Mohr, die nicht wirklich aufregend war. Immerhin versteht sich die Regisseurin trefflich auf die Führung von Personen und hatte zudem eine gute Ader für heitere Situationen. Das Stück in einen modernen zeitkritischen Kontext zu stellen und auf seine Bedeutung für die Gegenwart hin zu hinterfragen, war ihre Sache dagegen nicht. Sie ging auf Nummer sicher und näherte sich dem Ganzen von einer traditionellen Warte aus, wobei sie an einigen Stellen gekonnt Tschechow’sche Elemente in ihre Regiearbeit einbrachte. So ließ sie im zweiten Akt den total betrunkenen, eingeschlafenen Osmin während des Quartetts der beiden Liebespaare in einem Sessel über der Szene schweben und auch einmal aufwachen. Was er da kurz sieht, hält er für einen Traum und schläft sofort wieder ein. Auch dem oftmals philosophierenden Bassa Selim ordnete Frau Mohr im dritten Akt diesen Platz in luftigen Höhen zu.
Erwin Windegger (Bassa Selim), Elena Gorshunova (Konstanze)
Das Geschehen dieser „Türkenoper“ weist in der Inszenierung keine örtliche Verankerung auf, sondern spielt sich als Sinnbild des Fremden in einem von Miriam Busch kreierten, exotisch wirkenden Raum mit vom Schnürboden herabhängenden bunten Lampions und einer reflektierenden blechernen Rückwand ab. Dieser stellt in Brecht’scher Manier ein barockes Theater auf dem Theater dar, von dessen Seitenlogen aus das von Alfred Mayerhofer mit Kostümen der Mozart-Zeit ausgestattete Bühnen-Auditorium zu Beginn die Vorstellung verfolgt. Auch im weiteren Verlauf des Abends werden die Logen oftmals in die Aktionen der Protagonisten einbezogen. Unter diesen ist Belmonte neben dem schillernd bunt gekleideten Janitscharenchor der einzige, der der Mozart-Ära entsprungen ist. Die weiteren Handlungsträger muten etwas zeitgenössischer an, wobei sich Konstanze und Blonde noch auf der Grenzlinie befinden. Sehr modern wirken Bassa Selim und Osmin, denen die Regisseurin einen mafiösen Anstrich gibt.
Bernhard Berchtold (Belmonte), Stefan Cerny (Osmin), Daniel Prohaska (Pedrillo)
Der Bassa ist bei Stephanie Mohr ein einsamer Mensch, der den Kontakt und die Auseinandersetzung mit anderen Leuten sucht, letztlich aber scheitern muss. An der Liebe der anderen Handlungsträger kann er nicht teilhaben, was ihn schon mal aus der Haut fahren lässt. Dieser Herrscher ist nicht immer berechenbar. Aber er verzeiht Konstanze die Backpfeife, die sie ihm einmal verpasst. Hier werden die verschiedenen Erscheinungsformen der Liebe beleuchtet, sowohl positive als auch negative. Einfühlsam versucht sich die Regisseurin an einer Neudefinition dieses Begriffs und wirft die Frage auf, was ein Mensch um ihretwillen zu wagen bereit ist. Dieser Ansatz ist zwar durchaus diskutabel, aber er macht die Inszenierung nicht interessanter. Hier haben wir es mehr mit einem Ausstattungsstück als mit spannendem Musiktheater zu tun. Zeitgemäß ist diese eher biedere, geistig-innovativ anspruchslose Produktion wirklich nicht. Um eine in hohem Maße gelungene, aufregende und hochkarätige „Entführung“ zu erleben, fährt man derzeit am besten nach Coburg, an dessen Landestheater ein wahrlich preisverdächtiges Schmuckstück von Inszenierung zu sehen ist.
Ensemble
Lediglich auf durchschnittlichem Niveau bewegten sich auch die sängerischen Leistungen. An erster Stelle ist Elena Gorshunova zu nennen, die als Konstanze alle ihre Kollegen/innen weit hinter sich zurückließ. Diese prachtvolle russische Sopranistin nennt erlesenes, tiefgründiges Stimmmaterial ihr eigen, das eine hervorragende tiefe Fokussierung aufweist, warm und gefühlvoll geführt wird und noch bei den eklatanten, ihr sicher aus der goldenen Kehle strömenden Spitzentönen der Martern-Arie - dem Höhepunkt des Abends - nichts an Glanz einbüßte. Bravo! Neben ihr fiel die Blonde von Csilla Csovari deutlich ab. Darstellerisch mit frischem, munterem Spiel durchaus ansprechend war sie vokal mit ihrem ziemlich dünnen, kein solides tiefes Fundament aufweisenden Sopran nicht in gleichem Maße überzeugend. Einen tief fundierten Stimmklang und ein schönes appoggiare la voce vermisste man auch bei dem allzu flachstimmigen Belmonte von Bernhard Berchtold, den man noch von seiner Zeit in Karlsruhe her nicht gerade in bester Erinnerung hat. Trotz eines manchmal etwas variablen Stimmsitzes war nicht zu überhören, dass sich Daniel Prohaska in der Rolle des Pedrillo seit der Premiere weiterentwickelt hat. Und darstellerisch schnitt der über eine gute schauspielerische Ader verfügende Tenor vorzüglich ab. Von den Herren am meisten zu überzeugen vermochte Stefan Cerny, der einen klangvollen, obertonreichen hellen Bass für den Osmin mitbrachte. Die unterschiedlichen Stimmungen des Bassa Selim wurden von dem Schauspieler Erwin Windegger trefflich ausgelebt. Solide präsentierte sich der von Felix Meybier einstudierte Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz. Indes war beim Janitscharenchor ein doch arg dünnes Chorsolo kaum zu hören.
Am Pult erzeugte Oleg Ptashnikov zusammen mit dem gut gelaunt aufspielenden Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz einen frischen, munteren Klangteppich, dem es sowohl an spritzigen als auch emotionalen Tönen nicht fehlte und der sich zudem durch eine reichhaltige Farbscala auszeichnete.
Ludwig Steinbach, 2.6.2015
Die Bilder stammen von Thomas Dashuber
GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN
Besuchte Aufführung: 24.2.2015
(Premiere der UA: 22.2.2015)
Die Nachfolgerin steht schon bereit
Er war bei seinem Erscheinen im Jahr 1782 ein ausgemachter Skandal: Pierre-Ambroise-Francois Choderlos de Laclos’ skandalöser Briefroman „Les Liaisons dangereuses“, zu Deutsch: „Gefährliche Liebschaften“. Man hatte es damals gar nicht gerne, dass der französische Adel darin so schlecht wegkam. Indes wurde er schon damals von vielen Lesern begierig verschlungen. Auch Marie-Antoinette gehörte dazu. Inzwischen ist das Sujet längst salonfähig geworden. Mehrere Filme - die bekanntesten Verfilmungen dürften die von 1959 mit Jeanne Moreau und Gérard Philippe und die von 1988 mit Glenn Close und John Malkowitsch sein - und eine von Conrad Susa für das Theater Ulm geschriebene Oper zeugen von der großen Beliebtheit, die der Stoff heute genießt.
Nun haben die „Gefährlichen Liebschaften“ auch den Weg auf die Musical-Bühne gefunden. Von Josef E. Köpplinger, dem Intendanten des Staatstheaters am Gärtnerplatz, bei Komponist Marc Schubring und Librettist Wolfgang Adenberg in Auftrag gegeben, erlebten sie in der Ausweichspielstätte des Gärtnerplatztheaters im Cuvilliéstheater jetzt eine fulminante Uraufführung. Diesen gleichermaßen brisanten, obszönen und tragischen Stoff gerade in die Form eines Musicals - sonst eher ein Vehikel für leichte Stoffe - zu kleiden, zeugt von großem Mut der Autoren und Köpplingers, der auch die Regie übernahm. Und die Rechnung ging voll auf. Der Abend geriet zu einem wahren Triumph für alle Beteiligten.
Das Werk weist einen stringenten, kontinuierlich durchgezogenen Spannungsbogen auf, der gesungene und gesprochene Passagen hervorragend zu einem einheitlichen Ganzen von großer Prägnanz vereinigt. Mit exzellentem Gespür für große dramatische Zusammenhänge hat Wolfgang Adenberg das Buch zu dem Musical geschrieben, in dem sich die Spannung immer mehr verdichtet und letztendlich in die Katastrophe mündet. Diese dramatische Steigerung findet auch in Schubrings Musik statt, die von Frank Hollmann superb instrumentiert wurde. Insgesamt recht psychologisch ausgerichtet, bewegt sie sich zu Beginn noch in recht graziös-behaglich, konsonant anmutenden Klängen, wird dann aber zunehmend dissonanter und nimmt immer mehr hitzige und rabiate Töne an. Hier tun sich insbesondere die tiefen Blechbläser hervor. Andererseits sind durchaus auch gefühlvolle Passagen zu bemerken, die von den Streichern oder sogar mit der Stimme der Harfe dargeboten werden. Pathos ist nicht verpönt. Auch gibt es Anklänge an eine Leitmotivtechnik. Die verschiedenen musikalischen Themen werden zunehmend miteinander kombiniert und durcheinander geworfen. Diese Verschlingung der Motive und ihre Weiterführung sind recht reizvoll. Und in der Kunst des Übergangs - um mal ein Zitat von Wagner zu verwenden - erweist sich Schubring als echter Meister. Seine Musik wirkt durchweg wie aus einem Guss.
Hier haben wir es mit einem dicht gewobenen musikalischen Geflecht von stetig zunehmender Eindringlichkeit zu tun, das von Andreas Kowalewitz und dem bestens disponierten Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz rasant und mit großer Verve vor den Ohren des Auditoriums ausgebreitet wurde. Psychologisch einfühlsam setzte der Dirigent verstärkt auf Zwischentöne und erzeugte zusammen mit den Musikern einen beeindruckenden instrumentalen Kontrapunkt zu dem dramatischen Geschehen auf der Bühne. Das Seelenleben der Beteiligten, Intrigen, Heuchelei und Liebe werden im Orchester trefflich reflektiert, was Kowalewitz mit einer überzeugenden Gegenüberstellung von dramatischen und emotional vorgeführten Phrasen noch verstärkte.
Josef. E. Köpplinger hat das Ganze keinem neuen Kontext zugeordnet, wie man vielleicht annehmen könnte, sondern das Geschehen in der dem Cuvilliéstheater hervorragend entsprechenden Rokoko-Zeit belassen, was Alfred Mayerhofer die Gelegenheit gab, die Augen der Zuschauer mit opulenten, bunten Kostüme aus dieser Ära zu erfreuen. Der von Rainer Sinell eingerichtete Bühnenraum wird von einem über der Szene schwebenden Spiegel beherrscht, der sich manchmal auch herabsenken darf. Köpplinger hält dem Publikum so den sprichwörtlichen Spiegel vor, mahnt es eindringlich, mit der Liebe nicht in gleichem Maße gefährlich zu spielen wie es das intrigante Duo Marquise de Merteuil und Vicomte de Valmont tut. Es ist ein abgrundtief böses Spiel, das sie hier mit ihren Opfern Madame de Tourvel und Cécile de Volanges vollführen. Die durchweg dunkle Ausleuchtung des nahezu leeren, von einer Balustrade mit Treppen beherrschten Raumes versinnbildlicht diesen Fakt bestens. In dem düsteren Ambiente setzen Köpplinger und sein Ko-Regisseur und Choreograph Adam Cooper das Geschehen sehr rasant und abwechslungsreich in Szene. Immer stärker nimmt die Inszenierung Fahrt auf, wobei die einzelnen Abschnitte behände ineinander fließen und manchmal auch mehrere Zeitebenen kombiniert werden. So kommt es vor, dass eine Person einen Brief schreibt, während die andere ihn bereits liest. Großes Gewicht misst der Regisseur auch den mannigfaltigen Sexszenen bei, in denen es indes sehr dezent zugeht. Völlig ausziehen muss sich hier niemand. Und wenn beispielsweise Madame de Tourvel oder ihre Zofe mal ihren Busen entblößen, wirkt das sehr gediegen. Das Ende deutet Köpplinger sehr pessimistisch: Cécile steht gleichsam schon bereit, um in wohl nicht allzu ferner Zeit in die Fußstapfen der entlarvten Marquise de Merteuil zu treten. Die Tatsache, dass aus Opfern später oft Täter werden, wird radikal aufgezeigt und gleichzeitig auf die Möglichkeit hingewiesen, dass auch die Marquise einmal ein Opfer war. Das ist der Lauf der Welt, der durch das ständige Rotieren der Drehbühne symbolisiert wird.
Das ein Höchstmaß an darstellerischer Energie in die Aufführung einbringende Musical-Ensemble zeigte sich hoch motiviert und hat die Intentionen Köpplingers perfekt umgesetzt. Anna Montanaro gab eine nicht gerade sympathische, reichlich widerwärtige Marquise de Merteuil, die gesanglich insbesondere mit „Liebe macht uns schwach“ einen nachhaltigen Eindruck hinterließ. Armin Kahl spielte den Beauvivant Valmont zuerst sehr antipathisch, gewann seiner Rolle gegen Ende aber auch etwas sympathischere Züge ab. Wunderbar in der Darstellung und berührend im Gesang präsentierte sich Julia Klotz als Madame de Tourvel. Anja Haeseli gab eine noch recht unbedarfte, ausgesprochen naiv anmutende Cécile, die die Anhänglichkeit des von Florian Peters verkörperten, feschen und akkurat spielenden Chevalier de Danceny glaubhaft machte. Opernhafter als ihre Kollegen/innen sang Gisela Ehrensperger die Madame de Rosemonde. In der Rolle des Comte de Gercourt hinterließ Jörn Linnenbröker einen trefflichen Eindruck. Anna Thorén überzeugte als Joséfine de Fontillac, Madame Gérard und arme Dorfbewohnerin. Nazide Aylin bewährte sich als Prostituierte Emile und als Nonne. Gut gefiel auch Zourvels Zofe Julie von Evita Komp. Als Céciles Zofe Christine und Opernsängerin war Eva Aasgaard zu erleben. Erwin Windegger war seinem Herrn Valmont ein getreuer Diener Azolan. Carin Filipcic schlüpfte in die Partie von Céciles Mutter Madame de Volanges. In kleinen Rollen rundeten Johanna Zett, Carl van Wegberg, Peter Neustifter und Florian Hackspiel das homogene Ensemble ab.
Fazit: Ein grandioser Musical-Abend, dessen Besuch lohnt.
Ludwig Steinbach, 26.2.2015
Die Bilder stammen von Thomas Dashuber
WIENER BLUT
Premiere: 26.11.2014
Liebesverwicklungen und zwei Engel
Ausgesprochen kurzweilig geriet die Neuproduktion von Johann Strauß’ Operette „Wiener Blut“ des Münchner Staatstheaters am Gärtnerplatz im intimen Rahmen des Cuvilliéstheaters. Der lang anhaltende, begeisterte Schlussapplaus des zahlreich erschienenen Publikums zeugte von einem starken Verlangen des Münchner Auditoriums nach Werken der sog. leichten Muse, das an diesem gelungenen Abend voll befriedigt wurde.
Tilmann Unger (Graf Zedlau), Ella Tyran (Franziska Cagliari)
Bei „Wiener Blut“ handelt es sich um eine der besten Operetten des Walzer-Königs, die von ihm indes niemals geschrieben wurde. Das ist nur scheinbar ein Widerspruch, der sich schnell auflöst, wenn man sich die Entstehungsgeschichte des Werkes näher betrachtet. Im Jahre 1899 war der bereits 74jährige Strauß zu müde und gebrechlich, um noch eine weitere Operette zu schreiben, wie es ihm von dem vom Bankrott bedrohten Theaterleiter Franz Jauner angetragen wurde. Schließlich wurde folgender Kompromiss gefunden: Die Librettisten Victor Léon und Leo Stein, die später u. a. das Textbuch zu Lehars „Die lustige Witwe“ verfassten, schufen eine sog. Pasticcio-Operette, indem sie bereits vorhandene Walzer von Strauß mit Texten versahen, das Ganze zu einer einheitlichen Handlung zusammenfügten und daraus schließlich die Partitur erstellten. Dieses Potpourri aus den beliebtesten Strauß-Walzern wie beispielsweise das titelgebende „Wiener Blut“, „An der schönen blauen Donau“, „Geschichten aus dem Wienerwald“ und „Wein, Weib und Gesang“, ist recht ansprechend. Das Stück, dessen Uraufführung Strauß selbst nicht mehr erlebte, weist einen enormen Unterhaltungswert auf.
Jasmina Sakr (Pepi Pleininger), Daniel Prohaska (Josef)
Am großen Erfolg der Operette im Cuvilliéstheater hatten an diesem Abend auch der Erste Kapellmeister des Gärtnerplatztheaters Michael Brandstätter und das gut gelaunte Orchester einen erheblichen Anteil. Allerdings benötigten Dirigent und Musiker eine gewisse Zeit, um in die Gänge zu kommen, waren dann aber voll präsent. Da wurde mit ungeheuerer Verve, ausgelassenem Elan und so großer Fetzigkeit musiziert, dass es eine Freude war zuzuhören. Die 2,5 Stunden Spieldauer vergingen wie im Fluge. Locker, spritzig und voller munterer Ausgelassenheit drang die schwungvolle Musik aus dem kleinen Orchestergraben nach außen und rief bei den Zuschauern ein Höchstmaß an guter Laune und Walzerseligkeit hervor.
Daniel Prohaska (Josef), Ella Tyran (Franziska Cagliari), Tilmann Unger (Graf Zedlau) Jasmina Sakr (Pepi Pleininger), Cornelia Horak (Gräfin Zedlau), Hans Gröning (Fürst Ypsheim-Gindelbach)
Das verdankte sich auch der gelungenen Inszenierung von Nicole Claudia Weber, die am Gärtnerplatztheater zum ersten Mal eine Operette in Szene setzte und dabei zu ganz großer Form auflief. Unterstützung erhielt sie von Karl Fehringer und Judith Leikauf, die für die farbenprächtige, drehbare Bühne verantwortlich zeigten, und Marie-Luise Walek, die die prachtvollen Kostüme schuf. Dass das Ergebnis ein Ausstattungsstück ersten Ranges war, mag bei einer Operette im Gegensatz zur Oper angehen. Zum Erfolg des Abends trug auch die ausgefeilte, muntere Choreographie von Cedric Lee Bradley einen gehörigen Teil bei. Das alles vereinigte sich zu einem trefflich aufeinander abgestimmten, einheitlichen Ganzen, wobei die Musik, die herrlich wienerisch geprägten, viel Wortwitz aufweisenden Dialoge und die gelungenen Tanzeinlagen wunderbar miteinander harmonierten.
Hier MüGPWienerBlut04d – Ella Tyran (Franziska Cagliari), Jasmina Sakr (Pepi Pleininger), Cornelia Horak (Gräfin Zedlau)
Es war schon eine sehr charmante, humorvolle Verwechslungskomödie, voll gepackt mit zündenden Gags, die die Regisseurin da auf die Bühne gebracht hat. Zeitlich hat sie eine kleine Umdeutung vorgenommen. Sie lässt die Handlung nicht zur Zeit des Wiener Kongresses spielen, sondern hat sie in die Entstehungszeit des Werkes verlegt und zudem mit einer kleinen Vorgeschichte garniert: Ein Wiener und ein Bayerischer Engel sind es, die die amorösen Verwicklungen auf einer Wiener Promenade erst in Gang setzen. Die zufällig des Weges kommende Demoiselle Cagliari wird von Amor mit einem Liebespfeil getroffen, sodass sie sich augenblicklich in den mit seiner Frau ebenfalls herumspazierenden Grafen Zedlau verlieben muss. Im Folgenden sind die beiden Himmelswesen ständig präsent und beobachten rege, wie sich die Situation entwickelt. Augenzwinkernd gönnt Frau Weber auch einem berühmten Sohn der Stadt Wien einen Auftritt: Sigmund Freud, der sich im Ball-Bild eifrig auffällige Verhaltensmuster so mancher vornehmen Dame notiert. Einfach köstlich gelingt der Regisseurin die Zeichnung des Grafen Bitowski, der trotz seines fortgeschrittenen Alters und seiner Gebundenheit an den Rollstuhl ein ausgemachter Hallodri und Weiberheld ist. Leerläufe gab es an diesem temporeichen Abend nicht. Ständig war auf der Bühne etwas los. Da wurde mit enormem Elan und großer Fetzigkeit agiert und mit so manchem komödiantischem Knalleffekt aufgewartet. Dabei drängte sich keiner der Mitwirkenden in den Vordergrund. Sämtliche Sänger/innen ordneten sich einem harmonischen Ensemblegedanken unter, wodurch das Zusammenspiel nur noch lustvoller und aufgedrehter wurde.
Jasmina Sakr (Pepi Pleininger), Tilmann Unger (Graf Zedlau)
Auf insgesamt hohem Niveau bewegten sich die gesanglichen Leistungen. Schon von seinem eleganten äußeren Erscheinungsbild her war Tilman Unger eine Idealbesetzung für den Grafen Zedlau, den er sehr charmant spielte. Aber auch stimmlich vermochte er zu begeistern. Hier haben wir es mit keinem dünnen Operettentenor zu tun, sondern mit einem versierten, frisch und kraftvoll singenden Opernsänger, der bereits deutlich in das dramatische Fach weist. Freude bereitete das Wiedersehen mit Ella Tyran die mit der Partie der Demoiselle Cagliari an ihr altes Stammhaus zurückkehrte und zu Recht ganz hoch in der Publikumsgunst stand. Sie verfügt über eine ausgezeichnete schauspielerische Ader, die sie voll zum Einsatz brachte. Ihr resolutes Spiel ergab gepaart mit einem exquisiten Wiener Akzent und einem prächtigen, voll und rund klingenden Sopran italienischer Schulung ein eindrucksvolles Rollenportrait. Darstellerisch einfach herrlich und vokal mit ihrem bestens sitzenden Sopran ebenfalls tadellos präsentierte sich Jasmina Sakr als sehr selbstbewusste, manchmal etwas quirlige Pepi Pleininger. Neben ihr lief der Josef von Daniel Prohaska zu großer Form auf. Sein Tenor hat sich weiterentwickelt, ist fülliger geworden und sitzt über weite Strecken nun schön im Körper. Indes ging sein aparter Wiener Akzent insbesondere in der Mittellage manchmal auf Kosten der tiefen Gesangsstütze. Eine gute Leistung erbrachte Hans Gröning, der einem noch aus Pforzheim in guter Erinnerung ist. Er erwies sich in jeder Beziehung als erste Wahl für den Fürsten Ypsheim-Gindelbach. Darstellerisch sehr rege, war er auch stimmlich mit seinem sonoren Bariton sehr überzeugend. Das hohe Niveau ihrer Mitstreiter konnte Cornelia Horaks sehr maskig klingende Gräfin Zedlau zumindest vokal nicht halten. Aus dem Grafen Bitowski machte Harald Hofbauer, der auch den Fiakerkutscher spielte, ein echtes Kabinettstückchen. Ebenfalls dem Sprechtheater entstammte der genüsslich grantelnde Wolfgang Hübsch als Kagler. Ferner waren Anna Katharina Fleck (Kellnerin Mitzi), Tom O’ Malley (Kellner Schurli), Christian Weindl (Kellner 2), Alexander Wertmann (Bayerischer Engel) und Veran Lovric (Wiener Engel) zu erleben. Eine gute Leistung erbrachte auch der von Felix Schuler-Meybier einstudierte Chor.
Fazit: Ein temporeicher, spritziger und vergnüglicher Abend, dessen Besuch durchaus zu empfehlen ist.
Ludwig Steinbach, 28.11.2014 Die Bilder stammen von Christian Zach
Beklemmend
PETER GRIMES
Premiere: 21.10.2014 im Prinzregententheater
Die Gesellschaft und der Außenseiter
Mit etwas Verspätung lieferte nun auch das Staatstheater am Gärtnerplatz seinen Beitrag zum Britten-Jahr 2013. Mit der Neuproduktion des „Peter Grimes“ im Prinzregententheater, einer seiner Ausweichspielstätten, konnte es zum Saisonauftakt einen in jeder Beziehung sensationellen Erfolg für sich verbuchen. Was an diesem gelungenen Abend über die Bühne ging, war atmosphärisch dicht gedrängtes, packendes und eindringliches Musiktheater auf hohem Niveau, mit dem das Gärtnerplatztheater wieder mal nachhaltig unter Beweis stellte, dass es längst nicht mehr nur das zweite Haus am Platz ist, sondern eine ernstzunehmende Konkurrenz zur Bayerischen Staatsoper darstellt. Das Prinzregententheater erwies sich dabei als idealer Spielort für das Werk.
Gerhard Siegel (Peter Grimes), Rafael Schütz (Boy)
Britten hatte seinen am 7. 6. 1945 im Sadler’s Wells Theatre, London uraufgeführten Opernerstling „Peter Grimes“ in den Jahren des Zweiten Weltkrieges, zuerst in New-York, später in England, geschrieben, wobei er George Crabbes Erzählung „The Borough“ als Ausgangspunkt nahm. Geschildert wird die Geschichte des Fischers Grimes, der wegen Mordes an seinem Lehrjungen William Spode, der auf See unter nicht geklärten Umständen ums Leben kam, angeklagt, aber mangels an Beweisen freigesprochen wird. Trotz nicht erwiesener Schuld verfällt Grimes der gesellschaftlichen Ächtung. Die Bewohner von Borough wenden sich von ihm ab und lassen ihn zu einem Außenseiter werden. Nur die verwitwete Lehrerin Ellen Orford und der ehemalige Kapitän Balstrode halten zu ihm. Als ein weiterer Lehrjunge von Grimes Spuren von Misshandlungen aufweist und ebenfalls umkommt, ist der Zorn der aufgebrachten Menge nicht mehr zu bändigen. Grimes bleibt auf Anraten seiner Freunde nur der Selbstmord. Es ist eine harte, bedrückende Geschichte, mit der Britten und sein Librettist Montagu Slater aufwarten, dabei aber gegenüber dem Original eine Umdeutung vornehmen. Bei Crabbe ist der Protagonist ein brutaler Wüstling, der seine jungen Lehrlinge so lange misshandelt, bis sie sterben. Der Tötungs-Aspekt ist bei Britten zumindest zweifelhaft. Ob Grimes sich des Mordes schuldig gemacht hat, bleibt in der Schwebe. Eher nicht. Komponist und Textdichter kommt es vielmehr darauf an, an der Figur des Peter Grimes aufzuzeigen, wie ein vielleicht zu Unrecht Verdächtigter von der ihn umgebenden Gesellschaft immer mehr ins Abseits gedrängt, ausgegrenzt und schließlich in den Freitod getrieben wird. Es findet eine Gewichtsverlagerung von individueller zu kollektiver Verantwortung statt. Das Ganze mutiert zu einer beklemmenden Gesellschafstragödie.
Edith Haller (Ellen Orford), Gerhard Siegel (Peter Grimes)
Hier setzt auch Balázs Kovalik mit seiner überzeugenden, handwerklich hervorragend gearbeiteten Inszenierung an. Er stellt Grimes als Täter und Opfer dar und zeigt ihn als pädophilen, der Gewalt durchaus nicht abgeneigten Rohling. Gleichzeitig liefert er in einem orchestralen Zwischenspiel des zweiten Aktes in psychologisch einfühlsamer Weise aber auch die Ursache für sein rabiates Wesen: Grimes litt in seiner Kindheit selbst unter brutalen Übergriffen seines Vaters. Die vielen Prügel, die er von ihm bezogen hat, dürften seinen Charakter nachhaltig geprägt haben. Gegenüber der lynchbereiten Hetzmasse, die von Mari Benedek mit transparenten Wettermänteln ausgestattet wurde, hat er keine Chance. Bei der Zeichnung der Dorfgemeinschaft setzt der Regisseur gekonnt auf Reduktion. Er verordnet ihr teilweise stilisierte Bewegungsmuster, lässt sie aber auch öfters lediglich herumstehen und wie einen altgriechischen Chor das Geschehen kalt und nüchtern analysieren. Fast hat es den Anschein, als ob Kovalik damit jedweder Emotion einen Riegel vorschieben wolle. Das Gegenteil ist indes der Fall. Die gesellschaftskritische Aussage des Stückes wird durch diese Vorgehensweise der Regie noch verstärkt. Nachhaltig geht Kovalik auf Distanz zu einem Kollektiv, das das einzelne Individuum aufgrund eines bloßen Verdachtes gnadenlos malträtiert und seelische an die Stelle von körperlicher Gewalt treten lässt, was mindestens genauso schlimm ist. Das wird insbesondere in der Szene offenkundig, in der die gegen Grimes opponierenden Bürger auf einmal, anstatt ihn physisch anzugreifen, im militanten Gleichschritt die Bühne verlassen. Wenn der Regisseur dem Chor gleichzeitig leichte Züge eines NS-Mobs verleiht, ist das durchaus stimmig. Toleranz wird in dem kleinen Fischerdorf Borough genauso klein geschrieben wie unter den bornierten braunen Machthabern. Kovaliks Plädoyer für Liberalität und Menschlichkeit auch gegenüber fragwürdigen Zeitgenossen wird deutlich. Ob seine Aufforderung, mit den Randfiguren unserer modernen Gesellschaft tolerant umzugehen, Gehör finden wird?
Gerhard Siegel (Peter Grimes), Edith Haller (Ellen Orford)
Insgesamt setzt er bei seiner textnahen Regiearbeit nicht auf die Holzhammermethode, was sicher auch eine Möglichkeit gewesen wäre, sondern gibt dezenten Andeutungen den Vorzug. Der Regisseur bevormundet das Publikum nicht, sondern gibt ihm viel Freiraum für eigene Assoziationen. Vielfach wird ein Aspekt nur kurz berührt und es dem Zuschauer überlassen, den aufgeworfenen Gedanken weiterzuspinnen oder auch nicht. Dass Vieles nicht konkret ausgesprochen, sondern nur als Option in den Raum gestellt wird, gibt der Inszenierung einen recht subtilen Anstrich. Zum größten Teil setzt Kovalik auf eine ausgefeilte, stringente Personenregie, vertraut andererseits aber auch oft nur auf die Wirksamkeit des Raumes. Csaba Antal hat ihm einen Stahlcontainer auf die Bühne gestellt, der im Lauf des Abends mannigfaltigen Wandlungen unterworfen ist. Er stellt gleichermaßen eine Lagerhalle dar wie auch den Pub und die Kirche. Nicht immer geht es dabei konkret zu. Es ist eine eindrucksvolle Gratwanderung zwischen Wirklichkeit und Surrealität, die hier vollzogen wird. Zwei Kranstege schweben wiederholt rechts und links in luftiger Höhe herein, um den Beteiligten als zusätzliche, im wahrsten Sinn des Wortes abgehobene Spielfläche zu dienen. Ein ebenfalls in der Luft schwebendes Segel aus Plastikfolie, das manchmal in heftige Wallungen gerät, kann man rein äußerlich als Manifestation des wild bewegten Meeres ansehen. Gleichzeitig symbolisiert es aber von der seelischen Warte aus die immensen Gefühlsstürme der Handlungsträger. Einmal hüllt es Grimes ein und schützt ihn so vor dem Hass seiner Mitmenschen, wenn auch nicht allzu lange. Eine gelungene Symbolik. Hier zeigt sich, dass es Kovalik und seinem Bühnenbildner um eine Interpretation von innen heraus geht. Auf letztlich belanglose Äußerlichkeiten legen sie keinen Wert und legen den Focus gekonnt auf die Psyche der Figuren und die zwischenmenschlichen Beziehungen. Gerade dadurch erlangt die Produktion auch eine immense innere Spannung und trifft den Kern der tragischen Handlung punktgenau. Die ästhetische variable Beleuchtung von Michael Heidinger tut ein Übriges, um den Gesamteindruck der Produktion vortrefflich wirken zu lassen. Allgemein ist zu konstatieren, dass dem Regieteam durchweg erstklassige szenische und bildnerische Lösungen in einem modernen Ambiente gelungen sind, an deren Ende die Erlösung steht: Gemeinsam sehen Grimes und sein Lehrjunge in ihrem stilisierten weißen Segelboot bereitwillig dem Tod entgegen.
Gerhard Siegel (Peter Grimes), Rafael Schütz (Boy)
Bis auf wenige leichte Wackelkontakte, die wohl der Premierennervösität zu verdanken sind, spielte auch das Orchester unter Marco Comin exzellent. Da wurde mit einer enormen Intensität und Ausdrucksdichte musiziert. Es war eine harte, schroffe Sichtweise, die der Dirigent da an den Tag legte, gleichzeitig aber auch die Einflüsse Debussys und Verdis auf die Partitur betonte. Daraus resultierte ein spannungsgeladener, vielschichtiger und farbenreicher, insgesamt dunkel getönter Klangteppich von großer Brillanz.
Edith Haller (Ellen Orford), Ashley Holland (Balstrode)
Und was für ein prächtiges Sängerensemble hatte das Gärtnerplatztheater auch dieses Mal wieder aufgeboten. Da hatte so mancher Staatsopernniveau. Das begann schon bei Gerhard Siegel, der bereits rein darstellerisch eine hervorragende Besetzung für den Peter Grimes abgab. Fast schon manisch muteten seine immer von neuem gestarteten Versuche an, die Gesellschaft von seiner Unschuld am Tod des Jungen zu überzeugen. Das Getriebene und Zwanghafte des zweifelhaften Titelhelden wurde von ihm trefflich vermittelt, auch gesanglich. Er verfügt über einen gut sitzenden, kräftigen Tenor, mit dem er sowohl die dramatischen Passagen der Partie als auch deren mehr lyrische Ergüsse aufs Beste bewältigte. Sein wunderbar feinfühlig und verhalten gesungenes „Now the Great Bear and Pleiades“ war ein Höhepunkt des Abends. Edith Haller machte die große Zuneigung der Ellen Orford zu dem Verfolgten schauspielerisch mehr als glaubhaft. Auch stimmlich vermochte sie mit ihrem klaren, höhensicheren und bestens fokussierten jugendlich-dramatischen Sopran, der zu vielfältigen Nuancen und Schattierungen fähig ist und sehr emotional geführt wurde, zu begeistern. Kein Wunder, dass sie am Ende den meisten Applaus erntete. Ein äußerlich unbeteiligter und das Geschehen eher analytisch beobachtender als aktiv eingreifender Kapitän Balstrode war der markant singende Ashley Holland. Tadelloses, gut gestütztes Bassmaterial brachte Holger Ohlmann für den Ned Keane mit. Übertroffen wurde er von dem mit hoher klangvoller Sonorität seines Basses singenden István Kovács in der Rolle des Swallow. Eine hübsch anzusehende und mit tiefgründigem, sauber verankertem Mezzosopran auch hochkarätig singende Mrs. Sedley war Ann-Katrin Naidu. Snejinka Avramova vermochte als Wirtin Auntie mit trefflicher Stimmführung und prägnantem Spiel ebenfalls für sich einzunehmen. Von ihren Nichten gefiel Elaine Ortiz-Arandes besser als die nicht sonderlich gut im Körper singende Frances Lucey. Letzteres gilt in gleicher Weise für den dünnstimmigen Bob Foles von Juan Carlos Falcon. Solide waren Martin Hausberg (Fuhrmann Hobson), Stefan Thomas (Reverend Adams) und Enrico Sartori (Dr. Crabbe). Ein Extralob gebührt dem jungen Rafael Schütz in der stummen Rolle von Grimes’ Lehrbuben Boy (John). Auf hohem Niveau bewegte sich der von Jörn Hinnerk Andresen hervorragend einstudierte Chor.
Fazit: Nach der „Aida“ in der vergangenen Saison ist dem Gärtnerplatztheater auch jetzt wieder eine in jeder Beziehung gelungene Produktion gelungen, die ihm als Aushängeschild dienen kann und deren Besuch sehr zu empfehlen ist. Herzliche Gratulation an die Theaterleitung zu diesem fulminanten Start in die neue Spielzeit.
Ludwig Steinbach, 23. 10. 2014
Die Bilder stammen von Thomas Dashuber
Mit mitreißendem Schwung
DIE ZIRKUSPRINZESSIN
Besuchte Aufführung: 21. 9. 2014 (Premiere: 19. 7. 2014) im Zirkus Krone
Fulminantes Zirkus-Operetten-Gemisch
Es war ein großer Wunsch von Emmerich Kalman, seine Operette „Die Zirkusprinzessin“ einmal in einem Zirkus aufgeführt zu sehen. Jetzt ist sein Wunsch posthum in Erfüllung gegangen: Der berühmte Münchner Circus Krone diente dem z. Z. wegen der Renovierung seines Stammhauses auf Ausweichspielstätten angewiesenen Gärtnerplatztheater als passendes Ambiente für seine bereits im Juli aus der Taufe gehobene Neuproduktion von Kalmans Operette. Im Jahre 1926 in Wien sehr erfolgreich uraufgeführt, konnte sie sich auf den Spielplänen der Theater nicht gut behaupten. Es mag an dem übermäßigen Erfolg der „Csardasfürstin“ und der ebenfalls begeisterten Aufnahme der „Gräfin Mariza“ durch das Publikum gelegen haben, dass die „Zirkusprinzessin“ sich bisher auf den Bühnen nicht durchsetzen konnte. Ein weiterer Grund dafür liegt sicher in der fragwürdigen Dramaturgie des Stückes begründet. Allzu vordergründig bedienen sich Kalman und seine beiden Librettisten Julius Brammer und Alfred Grünwald bei anderen Werken des Genres. Man nehme einen gehörigen Schuss „Lustige Witwe“, eine leichte Prise „Gräfin Mariza“ und als Hauptzutat den „Bettelstudenten“, rühre das Ganze einige Male tüchtig um und verlege es in die Manege. Als Ergebnis kommt dann die „Zirkusprinzessin“ heraus - nicht gerade originell dieses Verfahren. Indes war die Aufführung des Staatstheaters am Gärtnerplatz in hohem Maße geeignet, das Werk zu rehabilitieren.
Daniel Prohaska (Mr. X), Alexandra Reinprecht (Fürstin Fedora)
Szenisch war es ein sehr gelungener Abend. Der regieführende Staatsintendant Josef E. Köpplinger, von dem auch die neue Textfassung stammte, zeigte sich ganz in seinem Element und wartete mit einer derart ausgelassenen und regelrecht funkensprühenden Inszenierung auf, dass der Abend wie im Fluge verging. Er und sein Bühnenbildner Rainer Snell wussten die äußeren Gegebenheiten des Circus Krone optimal zu nutzen und dabei ein gelungenes Gemisch aus Operettenseligkeit und heiterem Zirkustreiben zu erzeugen. Dabei bezog der Regisseur in Brecht’scher Manier gekonnt auch den Zuschauerraum in seine Deutung mit ein. Noch vor dem eigentlichen Beginn des Stückes ließ er eine vom Ballett verkörperte Clownsmannschaft sich zwischen und in den Besucherreihen austoben. Da gab es bereits im Vorfeld einige köstliche, manchmal aber auch bewusst missglückt anmutende Einlagen. Die Spaßmacher sind auch im Folgenden sehr präsent. Nachdem während der Ouvertüre aus einer geöffneten Zirkuskiste ein roter Luftballon in Herzform - ein Symbol für die Liebe - emporgestiegen ist, der dann über der Szene schweben bleibt, geht es erst so richtig los. Praktisch den ganzen Abend über fegen die weiblichen und männlichen, von Marie-Luise Walek prächtig eingekleideten Clowns in den fulminanten Choreographien von Karl Alfred Schreiner durch den Raum und bieten so manche ausgesprochen heitere Einlage. Manchmal sitzen sie aber auch am Rand der Manege und beobachten still das Geschehen zwischen den Handlungsträgern. An solchen Stellen weist Köpplinger ihnen gleichsam die Funktion eines antiken griechischen Chores zu, dessen Aufgabe in erster Linie im Kommentieren der Handlung bestand. Und immer wieder kommt es auch zu akrobatischen Kunststücken. Nichts weniger als in höchstem Maße atemberaubend ist beispielsweise das akrobatische Bravourstück, das die beiden Artistinnen Stina Kopra und Lotta Paavilainen während der Umbaupause zum dritten Akt vorführen. Und auch die Jongleur-Einlagen von Thomas Dietz sind bewundernswert. Diese Operettenproduktion ist schon eine halbe Zirkusvorstellung, die aufgrund ihrer Fetzigkeit und munteren Ausgelassenheit noch lange in Erinnerung bleiben wird.
Ensemble, Ballett, Chor
Köpplinger nimmt sich aber auch der verschiedenen Personen mit großer Liebe an. Er führt sie sehr ausgefeilt, locker und abwechslungsreich. Leerläufe traten an keiner Stelle auf, alles wirkte wie aus einem Guss. Dabei gelang dem Regisseur eine gelungene Gratwanderung zwischen heiteren und sentimentalen Momenten, die er gekonnt zu einem Ausgleich führte. Im Lauf des gelungenen Abends wandelt sich das von roten, blauen und gelben Lichterketten beleuchtete Manegenrund zu einer Eisfläche, auf der die Handlungsträger in eleganten Schlitten hereingefahren werden. Es wird Schlittschuh gelaufen, auch mal ausgerutscht. Ein Schneemann tritt ebenfalls auf. Zahlreiche vergnügliche Einzelheiten und eine liebevolle Detailarbeit fügen sich mit den hervorragenden darstellerischen Leistungen zu einem beeindruckenden Ganzen zusammen. Das Ensemble geht mit ungeheurer Spiellust ans Werk und setzt die Anweisungen des Regisseurs temporeich und energiegeladen um.
Daniel Prohaska (Mr. X), Alexandra Reinprecht (Fürstin Fedora)
Die Titelfigur Fürstin Fedora Palinska entspricht ganz dem Vorstellungsbild einer eleganten Operettendiva. Mr. X erscheint in der Gewandung Zorros. Viel herzliche Komik verströmt das Buffopaar Toni Schlumberger und Mabel Gibson. Es spricht für Köpplinger, dass er neben den Hauptpersonen auch den Nebenrollen viel Aufmerksamkeit schenkt. Das merkt man insbesondere im dritten Akt, in dem Wien durch den Stephans-Dom und das Riesenrad symbolisiert wird. Die Szene zwischen der Hotelbesitzerin Carla Schlumberger und dem alten Oberkellner Pelikan, der sich als der wahre Vater Tonis erweist, gerät zu einem echten Kabinettstückchen. Herzlich angenommen hat sich der Regisseur auch dem alten Zirkusdirektor Stanislawski und seiner Frau Wanja. Ihm sind alle Figuren gleichwertig. Nicht zuletzt diesem Aspekt dürfte es zu verdanken sein, dass an diesem Abend im Circus Krone eine sehr gute Atmosphäre herrschte.
Nadine Zeintl (Mabel Gibson), Otto Jaus (Toni Schlumberger)
Von den Darstellern ist an erster Stelle Alexandra Reinprecht zu nennen, die man noch aus Stuttgart in guter Erinnerung hat. Sie erwies sich als Idealbesetzung für die Fürstin Fedora. Sowohl von ihrem intensiven, aufgedrehten Spiel als auch von ihrer beeindruckenden gesanglichen Leistung her - sie verfügt über einen gut fokussierten, vollen Sopran mit ansprechender Höhe - vermochte sie trefflich zu überzeugen. Neben ihr fiel Daniel Prohaska in der Rolle des Mr. X ab. In der Mittellage klang sein Tenor recht deklamatorisch. Erst zur Höhe hin blühte die Stimme auf und ließ insbesondere bei seinem durchaus ansprechend gesungenen C-Dur-Lied „Zwei Märchenaugen“ - bei dessen c-Moll-Einleitung „Wieder hinaus ins strahlende Licht“ erweist er sich als Bruder im Geiste von Leoncavallos Canio - auch einige im Körper verankerte Töne hören, was insgesamt aber nicht so oft der Fall war. Sehr dünnstimmig präsentierte sich Otto Jaus in der Rolle des Toni Schlumberger. Schauspielerisch liefen er und die mit solide fokussiertem, dunkel timbriertem Sopran singende Nadine Zeintl als Mabel Gibson zu ganz großer Form auf. Das waren schon zwei enorme Energiebündel, die da über die Bühne fegten und mit liebenswerter Komik die Herzen des Publikums im Sturm eroberten. Der Schauspieler Erwin Windegger, an dessen Cervantes/Don Quichotte man sich noch gerne erinnert, gab einen knorrigen, nicht gerade sympathischen Prinzen Sergius Wladimir. Als dessen Adjutant Baron Peter Brusowsky mit Mooshammer-Schosshündchen war Frank Berg zu erleben. Bei der resoluten Carla Schlumberger von Sigrid Hauser, die musicalmäßig sang, wurden Erinnerungen an ihre Weißes-Rössl-Wirtin wach. An ihrer Seite mimte der Wiener Volksoperndirektor Robert Meyer einen liebenswerten, ein wenig Hans Moser nachempfundenen Pelikan. Franz Wyzner gab mit Schauspielstimme einen darstellerisch sehr präsenten Zirkusdirektor Stanislawski, dem die schauspielerisch ebenfalls ansprechende Gisela Ehrensperger als seine Ehefrau Wanja rein stimmlich überlegen war. In dem jungen Alexander Wertmann hatte der Piccolo einen guten Vertreter. Simon Heinle gab ordentlich den Rittmeister Graf Saskusin. Als Leutnant von Petrowitsch war Matthias Schlüter zu erleben. Fritz Graas (Frantischek, Portier), Jan Alexander Naujoks (Fedja, Billeteur/Kellner) und Ulrike Dostal (Mascha) rundeten das Ensemble ab.
Daniel Prohaska (Mr. X), Alexandra Reinprecht (Fürstin Fedora), Ballett
Karsten Januschke am Pult animierte das im Hintergrund positionierte Orchester zu einem stets präsenten, differenzierten, gleichermaßen spritzigen wie auch emotional aufgeladenen Spiel. Alle Musiker kamen mit den durch ihre ungewöhnliche Platzierung bedingten Schwierigkeiten bestens zurecht.
Fazit: Eine in szenischer Hinsicht sehr empfehlenswerte Aufführung, die durchaus geeignet ist, Kalmans Operette zu rehabilitieren. Wie die Inszenierung an der koproduzierenden Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf ausfällt, bleibt abzuwarten.
Ludwig Steinbach, 24. 9. 2014 Die Bilder stammen von Thomas Dashuber
Bravorufe im Prinzregententheater
AIDA
Premiere: 18. 6. 2014 und B-Premiere: 20. 6. 2014
Alptraum vom Bürgerkrieg
Zu einer absoluten Sternstunde anspruchsvollen modernen Musiktheaters geriet die Premiere von Verdis „Aida“ im Prinzregententheater. Diese in jeder Beziehung gelungene Produktion gehört mit zum Besten, was die Rezeptionsgeschichte des Werkes zu bieten hat, und ist der klischeehaften und belanglosen Inszenierung von Christof Nel an der Bayerischen Staatsoper deutlich überlegen. Es wurde Außerordentliches geleistet und dem begeisterten, am Ende mit herzlichem Applaus und starken Bravorufen nicht geizenden Publikum ein Opernabend geboten, der vor atemberaubender Spannung fast überkochte und sich auch musikalisch und gesanglich auf hohem Niveau bewegte. Dass das Gärtnerplatztheater längst nicht mehr nur das zweite Haus am Platz ist, hat man ja schon lange gewusst. Es hat sich in den vergangenen Jahren zu einer echten, ernstzunehmenden Alternative zum Nationaltheater entwickelt. Hier wird mit großer Gewissenhaftigkeit und Akribie gearbeitet und die dabei erzielten künstlerischen Ergebnisse sind enorm.
Ensemble A-Premiere
Mit dieser phänomenalen „Aida“, hat sich das Staatstheater am Gärtnerplatz zum ersten Mal in die Gefilde des modernen Regietheaters vorgewagt und damit den größten Erfolg seit Jahren für sich verbuchen können. Das ist indes nicht allzu überraschend, wenn ein so versierter Regisseur wie Torsten Fischer am Regiepult Platz nimmt. Hier haben wir es mit einem ausgemachten Theatertier zu tun, dessen hohe technische und innovative Fähigkeiten nicht hoch genug zu loben sind. Dass wirklich an keiner Stelle irgendwie geartete Leerläufe auftraten, liegt in erster Linie an Fischers meisterhaftem Umgang mit den Sängern, die er abwechslungsreich und sehr stringent zu führen versteht. Die zwischenmenschlichen Beziehungen werden von ihm mit größtmöglicher Genauigkeit und sehr differenziert herausgearbeitet. Hierzu tragen auch die vielfach angewendeten Tschechow’schen Elemente einen gehörigen Teil bei. Dass die handelnden Personen einfach nur für sich singen, kommt praktisch gar nicht vor. Fast ständig treten sie bei ihren Arien in Interaktionen zu anderen Personen, für die Verdi an der betreffenden Stelle ursprünglich gar keinen Auftritt vorgesehen hat. So singt Radames bei „Celeste Aida“ unter ständiger Beobachtung von Ramphis und der einen schicken weißen Hosenanzug tragenden Amneris Aida an. Diese wiederum kommuniziert bei „Ritorna Vincitor“ nicht nur mit ihm, sondern auch mit dem König. Bei der Nilarie im dritten Akt sucht sie verzweifelt Rat der bei der Sacerdotessa Thermouthis, die von Fischer ungemein aufgewertet und ständig in das Geschehen mit eingeflochten wird. Zahlreiche Zwiegespräche werden von anderen Handlungsträgern beobachtet, wodurch die szenische Spannung gesteigert wird. Der Regisseur versteht es zudem ausgezeichnet, das Innenleben der Protagonisten in eine ausdrucksstarke Körpersprache zu übersetzen, und wartete darüber hinaus mit einer fulminanten Lenkung von Chor und Statisterie auf, die er immer wieder zu höchst expressiven Bildern zusammenführte.
Monika Bohinec (Amneris), Sae Kyung Rim (Aida)
Bei Fischer verkommt Verdis Oper nicht zum traditionellen, pompösen Ausstattungsstück. Vielmehr transferiert er es geschickt in die Gegenwart. Allgemeingültigen, zeitlosen Aspekten des Werkes wie Liebe, Eifersucht und die Sinnlosigkeit von Kriegen wird durch ein abstraktes Bühnenbild Rechung getragen. Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos, die auch für die zeitgenössischen Kostüme verantwortlich zeigten, haben ihm einen silbern schimmernden, leeren und kargen Gedankenraum auf die Bühne des Prinzregententheaters gestellt. Die reflektierenden Aluminiumwände sind als Spiegel der Seelen der Beteiligten zu begreifen. Diesen Raum kann man sowohl als Machtzentrale des ägyptischen Staates, als auch - mit Blick auf den im Zentrum des Saales befindlichen Gitterboden - als Gefängnis deuten. An äußerem Prunk ist dem Regisseur nichts gelegen. Ihm kommt es vielmehr auf die nachhaltige Herausstellung der vielfältigen Emotionen und Konflikte an, wobei er auch der psychologischen Komponente hohes Gewicht beimisst. Er erzählt das Ganze aus der Perspektive von Aida. Noch vor Einsetzen der Musik tritt sie bei totaler Verdunkelung in schwarzer Burka vor den Vorhang und vollführt ein Ritual. Solche wird es im Lauf der Aufführung noch oft geben. Unmittelbar danach erscheinen auf einer hinter ihr aufragenden Papiergardine riesige Männersilhouetten. Eine Faust durchreißt den Vorhang und zieht die äthiopische Prinzessin unbarmherzig hinein in das tragische Geschehen, das sie im Folgenden als tödlichen Alptraum erlebt.
Tamara Haskin (Aida), Angus Wood (Radames)
Neben der psychologischen enthält die Inszenierung auch eine überzeugende politische Komponente. Die Burka der Protagonistin weist nach Nahost. Im Übrigen sind die Kostüme bürgerlich-europäischer Natur. Die Männer tragen dunkle Geschäftskluft, die Frauen lange blaue Umhänge. Dabei wird die Unterscheidung zwischen den verfeindeten Ländern Ägypten und Äthiopien nicht haarscharf durchgezogen. Das soll wohl auf einen Bürgerkrieg innerhalb desselben Staates hindeuten. Es ist naheliegend, dass Fischer eine Abbildung der derzeitigen Verhältnisse in der Ukraine intendiert, was seiner Regiearbeit eine beklemmende Aktualität verleiht. Der Triumphmarsch, während dessen Verlauf einer der Gefangenen ein Attentat auf den traumatisierten Radames verübt, wird unter diesen Voraussetzungen in sein Gegenteil verkehrt und erscheint als trauriger Ausdruck eines bitteren Bruderzwistes. Nicht so sehr äußere Gefahren sind es, die nach Fischers Ansicht einen Staat gefährden, sondern innere Instabilität. Wo die Führungsspitze versagt, sind revolutionären Umbrüchen Tür und Tor geöffnet. Demgemäß wird der im ersten Akt auf einem schmalen Vorsprung sitzende Pharao als äußerst schwacher Herrscher vorgeführt.
Diese ein wenig an Neuenfels’ Bayreuther Deutung von Wagners Heinrich der Vogler erinnernde Sicht des Regisseurs macht aus dem König eine regelrechte Abziehfigur, eine Karikatur ersten Grades, die nicht ernst zu nehmen ist. Er lehnt es ab, selbst aktiv zu werden und beobachtet das Geschehen lieber von seiner übergeordneten Warte bzw. von der Seite aus. Er ist nurmehr eine Marionette in der Hand des im schicken dunkelblauen Anzug mit Hemd und Krawatte auftretenden Ramphis, dem seine Sonnenbrille einen mafiösen Anstrich verleiht. Der Pate hat sich nach Ägypten verirrt. Gekonnt wird von Fisher hier eine ganz und gar weltlich orientierte politische Priesterschaft vorgeführt, dessen Anführer als spiritus rector die Fäden sicher in der Hand hält und am Ende den Pharao mit einer ursprünglich Radames gehörenden Kalaschnikow kurzerhand liquidiert. Hier wird vom Regisseur treffend das Problem einer anrüchigen Staatskirche aufgeworfen, die gerne auch mal Vetternwirtschaft treibt. Jedenfalls erscheint die Berufung von Radames zum Heerführer als abgekartetes Spiel zwischen Ramphis und Amneris, in dem deren Vertrauten Thermouthis, die auch in naher Beziehung zu dem grausamen Oberpriester steht, eine Schlüsselrolle zukommt. Ihr Gewand weist sie als Landsmännin von Aida aus, die sich im Gegensatz zu dieser mit dem fragwürdigen ägyptischen Staatssystem bestens arrangiert hat und ihm nun bereitwillig dient. Am eindrucksvollsten ist Fischer die Gerichtsszene gelungen. Die Bühnentiefe reicht bis zur hinteren Brandschutzwand, vor der die Priester auf Stühlen nebeneinander sitzen, etwas weiter vorne rechts Ramphis. Vorne, abgesondert, allein und mit dem Rücken zum Auditorium steht Radames, dem die mit dem Mut der Verzweiflung gegen die Priester aufbegehrende Amneris nicht mehr helfen kann - ein ungeheuer unter die Haut gehendes Bild. Radames und Aida sterben am Ende einen symbolischen Tod: Eine über ihnen befindliche Brücke senkt sich immer mehr auf sie herab und begräbt sie zu guter Letzt unter sich. Das alles war hervorragend durchacht und bravourös umgesetzt.
Alaine Ortiz Arandes (Sacerdotessa), Sergii Magera (Ramphis)
Es zeugt auch in sängerischer Hinsicht von dem hohen Standard des Gärtnerplatztheaters, dass es in der Lage ist, die Hauptpartien gleich doppelt und fast gleichermaßen hochkarätig zu besetzen. In der Titelrolle hatte Sae Kyung Rim bei der A-Premiere die Zuschauer schnell auf ihrer Seite. Mit ihrem bestens italienisch geschulten Sopran, der über großes Differenzierungsvermögen, eine hohe Nuancenvielfalt und viele Farben verfügt, zog sie alle Facetten ihrer anspruchsvollen Partie, die sie auch überzeugend darstellte. In puncto glutvoller Emotionalität ihres Spiels war ihr Tamara Haskin, die die Partie bei der B-Premiere sang, überlegen. Vokal erreichte Frau Haskin jedoch nicht das hohe Niveau ihrer Kollegin. Ihr kraftvoller Sopran ist recht eindimensional, wird praktisch nur laut geführt und weist zur orgelnden Tiefe hin einen unschönen Registerbruch auf. Als Radames bewährte sich am 18. 6. Gaston Rivero, der seinem Part mit hingebungsvoller stimmlicher Emphase Herr wurde und am Schluss von „Celeste Aida“ auf dem hohen ‚b’ zu einem selten gehörten, zarten Pianissimo fähig war. Um dieses machte Angus Wood (20. 6.) zwar einen Bogen, konnte insgesamt aber mit seinem gut italienisch durchgebildeten, prägnanten und höhensicherem Spinto-Tenor ebenfalls gut überzeugen. Sowohl Monika Bohinec (18. 6.) als auch Dubravka Musovic (20. 6.) stürzten sich mit großer Intensität in die Rolle der Amneris und wurden der Königstochter beide mit volltönenden, runden Mezzospranen voll und ganz gerecht. Francesco Landolfi gab den Amonasro als ausgeprägten Machtpolitiker, dem er auch stimmlich mit seinem robusten, trefflich gestützten Bariton gut entsprach. Sergii Magera sang einen kernigen Ramfis, dem er darstellerisch ein passend unsympathisches Profil zu geben wusste. Elaine Ortiz Arandes gab mit solidem Sopran eine ansprechende Sacerdotessa Thermouthis, die sie auch energisch spielte. Rein äußerlich wurde Holger Ohlmann (18. 6.) der karikativen Anlage des Königs besser gerecht als Martin Hausberg (20. 6.). Gesungen haben aber beide vortrefflich. Etwas dünn klang Stefan Thomas’ Bote. Auf hohem Niveau bewegte sich der von Jörn Hinnerk Andresen bestens einstudierte Chor und Extrachor.
Gaston Rivero (Radames), Chor
Am Pult erzeugte GMD Marco Comin mit dem Orchester einen von schöner Italianità geprägten, feurigen und ausdrucksstarken Klangteppich. Da ging es im Graben insbesondere bei den Massenszenen hoch her. Andererseits entlockte der Dirigent den Musikern aber auch feine kammermusikalisch angehauchte Töne und ansprechende Piani. Leider patzte bei der B-Premiere ausgerechnet beim Triumphmarsch einmal eine Solo-Trompete. Das sollte nicht sein.
Fazit: Diese bestens gelungene Aufführung stellt einen absoluten Glanzpunkt im Repertoire des Gärtnerplatztheaters dar, dem an dieser Stelle eine herzliche Gratulation auszusprechen ist. Der Besuch der „Aida“ wird jedem Opernfreund ans Herz gelegt!
Ludwig Steinbach, 23. 6. 2014 Die Bilder stammen von Christian Zach.
DAS STAATSTHEATER AM GÄRTNERPLATZ GRATULIERT
RICHARD STRAUSS
zum 150. Geburtstag
Dem Passanten, der derzeit durch Münchens Innenstadt streift, kann es leicht passieren, dass er auf einmal mit ihm gänzlich ungewohnten Tönen konfrontiert wird. Und das insbesondere, wenn er gerade zur vollen Stunde an einen der zahlreichen Plätze der bayerischen Metropole kommt. Es sind Ausschnitte aus dem „Rosenkavalier“, der „Ariadne auf Naxos“, dem „Don Juan“, dem „Till Eulenspiegel“, der „Alpensymphonie“ und „Also sprach Zarathustra“, die da so plötzlich sein dankbares Ohr beglücken. Schöpfer dieser herrlichen musikalischen Ergüsse ist Richard Strauss, einer der berühmtesten Söhne der Stadt, dessen Geburtstag sich am 11. 6. 2014 zum 150. Male jährt. Auf diese Art und Weise wird der Jubilar, dessen Beziehung zu München indes nicht immer ungetrübt war, von seiner Geburtsstadt geehrt. An 15 Plätzen sind Klangboxen aufgebaut, die im Stundentakt neben Opernbegeisterten auch die Menschen, deren Sache klassische Musik sonst nicht so sehr ist, mit einem wunderbaren Potpourri aus Stücken des Garmischer Meisters erfreuen.
Initiator dieser doch recht außergewöhnlichen Ehrung von Richard Strauss ist Josef E. Köpplinger, Staatsintendant des Gärtnerplatztheaters, der auf diese Weise „in ehrlichem Andenken an einen der größten Komponisten und einen meiner Lieblingskomponisten“ diesem zur 150. Wiederkehr seines Wiegenfestes herzlich gratuliert. Die aus einem „ganz spontanen Einfall“ (Köpplinger) heraus geborene Ehrung, von der nach Bekunden des Staatsintendanten auch der damalige Münchner Oberbürgermeister Ude begeistert war, sollte dazu dienen, „diesen großen Komponisten der ganzen Münchner Bevölkerung nahezubringen“ (Köpplinger). Ein wunderbarer Einfall, kann man da nur sagen, der die Herzen sämtlicher Strauss-Anhänger höher schlagen lässt.
An der feierlichen Eröffnung am Münchner Richard-Strauss-Brunnen in der Kaufinger Strasse am Morgen des 27. 5. 2014 nahmen neben Köpplinger auch der Enkel des Jubilars Christian Strauss, der Kulturreferent der Landeshautstadt München Dr. Hans-Georg Küppers und Ministerialdirigent Toni Schmid teil. In den von Köpplinger, Küppers und Schmid nacheinander gehaltenen Ansprachen - Christian Strauss hielt sich diskret im Hintergrund - offenbarte sich nachhaltig die große Liebe der Redner zu Richard Strauss. Man merkte: Die Ehrung des Komponisten war ihnen allen eine Herzensangelegenheit. In ihrer Liebe zu Strauss waren sich die drei Laudatoren einig. Da verwundert es auch nicht weiter, dass die Zusammenarbeit aller Beteiligten bei der Realisierung des Projekts von großer Harmonie geprägt war. Das Gärtnerplatztheater, das Land Bayern und die Stadt München hatten alles getan, um Köpplingers großartige Idee Realität werden zu lassen. Dieser betonte bei seiner Ansprache dann auch die tolle Zusammenarbeit zwischen dem Land und dem Kulturamt der Stadt und resümierte: „Dr. Küppers hat uns großartig unterstützt“. Auch der Kulturreferent bestätigte die „wunderschöne Zusammenarbeit von Stadt und Land“ bei dieser doch recht „ungewöhnlichen Ehrung“ des Komponisten, die die Menschen dazu verleiten sollte „anzuhalten, in sich zu gehen und ein Stück Musik mitzunehmen“. „Musik ist eine Weltsprache, alles Trennende möge verschwinden“, betonte Köpplinger und lobte das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz, das unter der Leitung von Chefdirigent Marco Comin zusätzlich zu seinen schon nicht
gerade wenigen Aufgaben die bereits genannten Ausschnitte aus den Werken von Richard Strauss hochkarätig und „in ganz präziser Arbeit“ eingespielt habe. Das kann man nur bestätigen. Als er schließlich den Knopf der Klangbox drückte, ergoss sich Strauss’ herrliche Musik mit großem Glanz über den ganzen Platz.
Diesen erhabenen Augenblick kann man an verschiedenen Plätzen Münchens noch cirka zwei Wochen immer zu Stundenbeginn neu erleben. Es ist Dr. Küppers nur zuzustimmen, wenn er von einer „tragfähigen Idee“ spricht. Sie ist in hohem Maße geeignet, Strauss der Münchner Bevölkerung näherzubringen, wobei indes nicht beabsichtig war, die Leute ins Konzert zu locken. „Das ist nicht unsere Erwartungshaltung“ betonte der Kulturreferent und führte weiter aus, dass es bei diesem Unternehmen darum gehe, „etwas Ungewöhnliches in den öffentlichen Raum zu bringen“ und die Münchner mit einer Musik zu konfrontieren, die „uns vielleicht auch berührt“. Wenn man an den Tagen danach zur angegebenen Zeit diverse Orte in München ansteuerte, konnte man sich davon überzeugen, dass diese Intention voll aufgegangen ist. Da sah man oft Menschen jeden Alters, die stehenblieben und andächtig den Klängen lauschten, die da aus den aufgestellten Klangboxen schallten. Ein schöneres Geburtstagsgeschenk für Richard Strauss kann es nicht geben, auch nicht die im Herbst am Gärtnerplatztheater erfolgende Neuproduktion seines Balletts „Schlagobers“. Staatsintendant Köpplinger ist ein großes Lob dafür auszusprechen, dass er sein Vorhaben unbeirrt und mit ungemindertem Einsatz durchgezogen und damit ganz München eine enorme musikalische Freude gemacht hat. Er hatte eine wunderbare Vision, die nun Wirklichkeit geworden ist. Erstaunlich ist nur, dass die Bayerische Staatsoper nicht auf dieselbe Idee gekommen ist. Immerhin ist sie Strauss und seinem Werk in weit größerem Maße verbunden als das Gärtnerplatztheater. Umso bewundernswerter muss da erscheinen, was dessen Staatsintendant hier auf so phänomenale Weise verwirklicht hat. An seine Adresse geht ein herzliches Dankeschön!
Ludwig Steinbach, 2. 6. 2014 Die Bilder stammen von Christian Zach
DON PASQUALE
Besuchte Aufführung: 31. 3. 2014 im Cuvilliés-Theater (Premiere: 25. 10. 2012)
Komödie mit bitterbösem Unterton
Sie war ein Publikumsrenner in der vergangenen Saison: Brigitte Fassbaenders im Bühnenbild und den Kostümen von Bettina Munzer spielende Neuinszenierung von Donizettis „Don Pasquale“. Aufgrund des großen Erfolges der Produktion hat sich die Leitung des Staatstheaters am Gärtnerplatz entschlossen, sie in dieser Spielzeit erneut dem Publikum zu präsentieren. In finanzieller Hinsicht war das sicher eine gute Entscheidung, denn das Cuvilliéstheater, das dem Gärtnerplatztheater während der Sanierung des Haupthauses dieses Mal als Ausweichquartier diente, war brechend voll. Und der große Schlussapplaus nach Verklingen der letzten Töne legt die Vermutung nahe, dass das Stück in München auch bei den kommenden Aufführungen hohe Besucherzahlen aufweisen wird.
Anja-Nina Bahrmann (Norina)
Die Begeisterung des Publikums war insoweit nachzuvollziehen, als Frau Fassbaender eine kurzweilige und lebendige Regiearbeit gelungen ist, die zudem recht fetzig ausfiel. Auf die Führung von Personen versteht sich die ehemalige Sängerin, die am benachbarten Nationaltheater einst große Erfolge feierte, gut. Das kann man nicht bestreiten. Indes setzt sie mit ihrer Deutung von Donizettis Oper zu sehr auf pure Unterhaltung und bleibt eine zeitgemäße Hinterfragung des Inhalts und des Subtextes des Librettos schuldig. Langweilig wird es bei ihr zwar an keiner Stelle, dem neugierigen Intellekt bietet sie aber gar nichts. Sie versucht dem Ganzen ein modernes Ambiente überzustülpen, bleibt in diesem aber erzkonservativ. Insgesamt fiel ihre Herangehensweise an das Stück reichlich harmlos und bieder aus. Dieser betuliche Eindruck wurde durch den über der Szene schwebenden Amor, der die Unterwerfung sämtlicher Beteiligter unter das hohe Prinzip der Liebe versinnbildlichen sollte, nur noch verstärkt. Das wirkte schon etwas kitschig.
Anja-Nina Bahrmann (Norina), Marco Filippo Romano (Don Pasquale)
Immerhin entkleidet die Regisseurin die Personen ihrer Herkunft aus der commedia dell’ arte und macht aus ihnen glaubwürdige Charaktere. Diese werden von ihr zum großen Teil aber nicht gerade sympathisch vorgeführt. Vielmehr kehrt sie die negativen Seiten der Handlungsträger nachhaltig heraus und macht aus der Handlung eine bitterböse Komödie. Nun, dieser Ansatzpunkt ist nicht mehr neu. Das haben vor ihr schon andere Regisseure so gemacht. Teilweise hätte sie bei ihrer Interpretation etwas prägnanter vorgehen können. Insbesondere ihre negative Zeichnung der Norina blieb etwas an der Oberfläche und im gut gemeinten Ansatz stecken. Dieser an sich hochinteressante Ansatzpunkt wurde beispielsweise 2010 in Coburg von Werner Pichler sehr viel überzeugender umgesetzt. Gelungener fiel dagegen Frau Fassbaenders Zeichnung des Dr. Malatesta aus. Sie macht aus ihm einen Zahnarzt, sadistischen Strippenzieher und gewissenlosen Nutznießer, der die Fäden geschickt zu ziehen weiß und sich als spiritus rector des Ganzen erweist. Gnadenlos ist der zwar geizige, aber dennoch sympathische, joviale Lebemann Don Pasquale seinen Machenschaften und Intrigen ausgesetzt, so dass man schließlich Mitleid mit dem doch arg gebeutelten Titelhelden bekommt. Köstlich war der von Anfang an total betrunkene Notar, aus dem Brigitte Fassbaender kurzerhand eine junge Frau gemacht hat. Insgesamt war ihre Inszenierung nett und sicher eine gute Feierabendentspannung. Spannendes Musiktheater mit einer zeitgemäßen tiefschürfenden Aussage stellte sie aber nicht dar.
Ute Walther (Notar), Marco Filippo Romano (Don Pasquale), Dr. Malatesta, Anja-Nina Bahrmann (Norina)
Hervorragend war es um die musikalische Seite der Aufführung bestellt. Michael Brandstätter und das gut gelaunt aufspielende Orchester verstanden sich trefflich darauf, gute Rossini-Laune zu verbreiten. Der von ihnen erzeugte Klangteppich atmete federnde Leichtigkeit, Lockerheit, Spritzigkeit und ausgelassenen Esprit, ganz so wie es bei dieser komischen Oper sein muss.
In größtenteils neuer Besetzung präsentierte sich das insgesamt hervorragend disponierte Sängerensemble. Allen voran begeisterte Marco Filippo Romano in der Titelpartie. Hier haben wir es mit einer ungemein wohlklingenden, sonoren und farbenreichen, dabei flexiblen und wendigen Bassstimme bester italienischer Schulung zu tun, die mit den famosen darstellerischen Fähigkeiten ihres Trägers eine hervorragende Symbiose einging. Insgesamt gelang Romano ein sehr überzeugendes Rollenportrait, so dass der große Zuspruch seitens des Publikums nur zu verständlich war. Gleichermaßen hoch in der Gunst der Zuschauer stand Anja-Nina Bahrmann, die bereits bei der Premiere 2012 die Norina gesungen hatte. Auch heuer gab sie die Partie wieder als ganz ausgekochtes Luder, dessen böse Aktionen man erneut mit Vergnügen verfolgte. Auch gesanglich wurde sie ihrem Part mit in allen Lagen sauber durchgebildetem, ebenfalls bestens italienisch fokussiertem Sopran voll gerecht. Einen trefflichen Eindruck hinterließ auch Vittorio Prato, der in der Rolle des Dr. Malatesta gänzlich aufging. Er hat den Ansatzpunkt der Regie gut verinnerlicht und schauspielerisch mit großem Können umgesetzt. Gesanglich blieben bei seinem vorbildlich gestützten, kraftvollen Bariton ebenfalls keine Wünsche offen. Das hohe vokale Niveau seiner Mitstreiter vermochte Adrian Strooper als Ernesto nicht zu erreichen. Sein dünner, überhaupt nicht im Körper verankerter Tenor war nicht gerade ansprechender Natur. Auch der Notar von Ute Walther konnte nur äußerlich überzeugen. Rein stimmlich war ihre Darbietung mehr Sprechen auf den Tönen als Singen. Bestens präsentierte sich der von Jörn Hinnerk Andresen gewissenhaft einstudierte Chor.
Fazit: Eine gelungene Aufführung für Publikum, das Ablenkung vom Alltag sucht,
Ludwig Steinbach, 2. 4. 2014 Die Bilder stammen von Christian Zach.
König Renés Abend
JOLANTA
Konzertante Aufführung am 17.02.14 in der Kongresshalle (Premiere: 15. 02. 12)
Tolle Sängerleistungen
Zu einem vollen Erfolg geriet die in der russischen Originalsprache - danke schön! - dargebotene Aufführung von Tschaikowskis letzter Oper „Jolanta“ am Staatstheater am Gärtnerplatz. Als Ausweichspielstätte diente diesmal die Alte Kongresshalle. Es geht um die Königstochter Jolanta, die seit ihrer Geburt blind ist und diesen Zustand demgemäß als ganz natürlich empfindet. Die Liebe zu dem Grafen de Vaudémont lässt in ihr den Wunsch aufkeimen, das Augenlicht zu erlangen - ein Wunsch, der am Ende auch in Erfüllung geht. Mit diesem symbolisch und psychologisch vielschichtigen Stück hätten gute Regisseure wohl einiges anfangen können.
Marco Comin
Da das Werk aber konzertant dargeboten wurde, lenkte nichts von der herrlichen Musik ab, die sich mit der des zeitgleich entstandenen „Nussknackers „ durchaus messen kann. Die Oper weist hohe Qualitäten auf, denen man sich nur schwer entziehen kann. In der Emotionalität der Lyrismen war Tschaikowski immer groß. Nicht anders verhält es sich hier. Enorm ist auch die Kraft der musikalischen Steigerungen, die am Ende in eine gewaltige Schlussapotheose münden und von Marco Comin und dem prachtvoll aufspielenden Orchester mit äußester Fulminanz und Majestät zu Gehör gebracht wurden. Bei diesem schon oft bewährten Dirigenten war Tschaikowskys Letztling in besten Händen. Er entfaltete zusammen mit den Musikern einen Klangrausch voller Üppigkeit und berauschendem Melos, der einen ganz in seinen Bann zog. Comin zeigte sich als Meister von Klangfarben, gefühlvollen Lyrismen und verstand sich zudem trefflich darauf, Spannung zu erzeugen. Das war eine ganz große Leistung. Das Gärtnerplatztheater kann stolz darauf sein, diesen famosen Dirigenten unter Vertrag zu haben.
Schlussapplaus
Insgesamt sehr gut schnitten auch die Sänger ab. In der Titelpartie war Liana Aleksanyan zu erleben, deren Stuttgarter Luisa Miller man noch in bester Erinnerung hat und die auch an diesem Abend mit ihrem innigen, emotional angehauchten und eine gute Focussierung aufweisenden Sopran der Jolanta ein glaubhaftes stimmliches Profil zu geben vermochte. Ebenfalls aus seiner Zeit in Stuttgart und Mannheim bekannt war Felipe Rojas Velozo, der mit ansprechendem, gut verankertem Tenor, den er ebenmäßig zu führen verstand, einen überzeugenden Grafen Vaudémont sang. In der Rolle seines Freundes, des burgundischen Herzogs Robert, bewährte sich mit prägnantem Bariton Gennadii Vashchenko. Holger Ohlmann war ein tiefgründig singender Pförtner Bertram. Immer noch über beträchtliche Mezzoreserven verfügte Snejinka Avramova in der Rolle von Bertrams Frau und Jolantas Amme Martha. Bei Elaine Ortiz Arandes und Ann-Katrin Naidu waren die Freundinnen der Prinzessin Brigitta und Laura in guten Händen. Boris Grappe, den man ebenfalls aus seiner Zeit am Nationaltheater Mannheim noch kannte, sang den maurischen Arzt Ibn-Hakia in der Mittellage ordentlich, ging aber in der Höhe oft vom Körper weg, woraus in dieser Lage ein flacher, halsiger Stimmklang resultierte. Eine tiefere Stütze hätte auch dem dünnen Tenor von Juan Carlos Falcóns Almerich gutgetan.
Sergey Kovnir als König René
Zu guter Letzt ist noch Sergey Kovnir zu nennen, der als König René alle seine Kollegen/innen weit hinter sich ließ. Dieser geniale, äußersten Wohlklang verströmende Sänger, dem wohl die ganz große Karriere bevorsteht, vermochte in jeder Beziehung zu begeistern. Selten hat man eine so prachtvolle Bassstimme wie die seine gehört. Sonor und balsamisch, dabei ausdrucksstark, phantastisch focussiert und wunderbar auf Linie sang er sich bis in die höchsten Höhen des Sängerolymps vor. Ihn möchte man gerne öfters am Gärtnerplatz hören. Vorzüglich präsentierte sich der von Jörn Hinnerk Andresen einstudierte Chor.
Ludwig Steinbach, 19. 2. 2014 Fotos: Christian Zach
DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL
Premiere: 30. 1. 2014
Exotische Belanglosigkeit
Zu einer ziemlich harmlosen Angelegenheit geriet die Premiere von „ Die Entführung aus dem Serail“ am Staatstheater am Gärtnerplatz. Da das Stammhaus noch immer renoviert wird, ging die Aufführung im Cuvilliéstheater über die Bühne. Der intime Charakter dieses kleinen Hauses passte trefflich zu dem Charakter von Mozarts Singspiel, das in der Inszenierung von Stephanie Mohr eine wenig aufregende Umsetzung erfuhr. Spannendes, aufwühlendes Musiktheater mit neuen Deutungsmustern, wie man es bei diesem Stück in der letzten Zeit insbesondere in Heidelberg und Saarbrücken erlebt hatte, scheint ihre Sache nicht zu sein. Sie ging auf Nummer sicher.
Raphael von Bergen (Bassa Selim), Jennifer O’Loughlin (Konstanze),
Von der Personenregie her war ihre Arbeit allerdings durchaus beachtlich. Sie versteht mit Sängern umzugehen und sie solide zu führen. Auch ließ sie hier und da einen gehörigen Schuss Komik einfließen. Die zugegebenermaßen manchmal durchaus vergnüglichen Einlagen trugen viel zum Erfolg der Produktion bei dem zahlreich erschienenen Publikum bei. Auch wartete sie gekonnt mit Tschechow’schen Elementen auf. So ließ sie den von Pedrillo betrunken gemachten und darob eingeschlafenen Osmin in der Folge während des Quartetts der beiden Paare in einem Sessel in luftiger Höhe schweben und ihn auch mal aufwachen. Seine Wahrnehmung wohl für einen Traum haltend, schlief er aber gleich wieder ein. Dasselbe Verfahren wendet sie im dritten Akt bei Bassa Selim an, um dessen im wahrsten Sinn des Wortes übergeordnete Stellung zu betonen. Er ist ein echter Herrscher, der sowohl harte als auch milde und humane Seiten aufweist und noch relativ jung ist - eine ernstzunehmende Konkurrenz für Belmonte. Dieser Ansatzpunkt ist indes nicht mehr neu.
Auch sonst bewegt sich Frau Mohr mit ihrer Sichtweise in ausgetretenen Gefilden. Einige von ihr aufgeworfene Gedanken zu dem Stück hat man bei anderen Regisseuren schon ähnlich gesehen. So bereits den Ausgangspunkt ihrer Konzeption von Mozarts Türkenoper. Der Handlungsort Türkei erfährt in ihrer Interpretation keine örtliche Verankerung, sondern wird als Sinnbild des Fremden in einen von Miriam Busch entworfenen, ausgesprochen exotisch anmutenden Raum mit von der Decke herabhängenden Lampen und mit einer spiegelartigen blechernen Rückwand verlegt. Dieser stellt ein Theater auf dem Theater - Bertolt Brecht lässt grüßen - der Mozart-Ära dar, von dessen Seitenlogen die von Alfred Mayerhofer barockmäßig eingekleideten Bühnen-Zuschauer zu Beginn die Vorstellung verfolgen. Die Logen werden auch im weiteren Verlauf des Abends immer wieder in die Aktionen der Handlungsträger einbezogen. Bis auf den ebenfalls der Zeit des Komponisten entsprungenen Belmonte und den in bunt schillernde Gewänder gekleideten Janitscharenchor sind die Protagonisten etwas moderner gezeichnet. Die Damen bewegen sich dabei noch im Grenzbereich. Ausgesprochen zeitgenössisch erscheinen dagegen Osmin und der Bassa, denen die Regisseurin einen etwas mafiösen Anstrich gibt. Letzterer erscheint hier als letztlich einsamer Mensch, der eine Auseinandersetzung mit anderen Menschen sucht, diese aber nicht zu finden vermag.
Der geistige Gehalt, den Stephanie Mohr ihrer Produktion angedeihen lässt, entspricht ansonsten ganz der Dramaturgie des Singspiels. Beleuchtet werden die verschiedenen Erscheinungsformen der Liebe, sowohl positive als auch negative. Eine neue Definition dieses Gefühls wird gesucht und gefragt, was ein Mensch ihretwillen zu wagen bereit ist. Das ist zwar ein praktikabler Ansatzpunkt, nur wird die Inszenierung dadurch nicht interessanter. Insgesamt hat die Regisseurin aus dem Werk ein Ausstattungsstück gemacht und ziemlich geradlinig am Textbuch entlang inszeniert, ohne dessen gesellschaftspolitisch durchaus brisanten Subtext auf unsere Zeit hin zu hinterfragen. Behaglichkeit und sanfte Unterhaltung ohne sonderlichen Tiefgang waren angesagt, was den Abend in szenischer Hinsicht entbehrlich machte. Diese doch recht belanglose Produktion wird die Rezeptionsgeschichte des Werkes nicht voranbringen. Eine derartige Inszenierung ist einfach nicht mehr zeitgemäß.
Nicht durchweg überzeugend waren die gesanglichen Leistungen. Am besten vermochte noch Jennifer O’ Loughlin zu gefallen, die man noch von ihrer Semele her in guter Erinnerung hat. Schon darstellerisch entsprach sie der Konstanze mit intensivem, emotionalem Spiel voll und ganz. Auch stimmlich war sie der schwierigen Partie mit ihrem gut sitzenden, sauber geführten, flexiblen und koloraturgewandten Sopran hervorragend gewachsen. Die perfekt gesungene Martern-Arie, den Höhepunkt der Aufführung, versah sie darüber hinaus noch mit einem gehörigen Schuss Dramatik. Hier wurde ganz offensichtlich, dass ihr der Bassa nicht gleichgültig ist. Sie mag ihn wirklich. Neben ihr war es insbesondere noch Patrick Simper, der als Osmin mit seinem sonoren, farbenreichen Bass italienischer Schulung, der sowohl in der Höhe als auch in der extremen Tiefe gleichermaßen gut ansprach, einen gefälligen Eindruck hinterließ. Auch im Spiel war er überzeugend. Gut ausgeprägt waren auch die darstellerischen Fähigkeiten von Csilla Csováris Blonde. Vokal bedarf ihr Sopran noch etwas mehr an Reifung. Er hätte an manchen Stellen etwas runder klingen können. Das gilt auch für den Pedrillo von Daniel Prohaska, dessen Tenor recht variabel verankert ist. Am besten gefiel er mit seiner Arie „Frisch zum Kampfe“, die er kraftvoll und recht solide zum Besten gab. Das Ständchen im dritten Akt ließ es dagegen an einer guten stimmlichen Focussierung fehlen. Mal sang er mit ordentlicher tiefer Stütze, an anderer Stelle wieder flach. Nicht zu gefallen vermochte der Belmonte von Dean Power, dessen Tenor durchweg sehr dünn und kopfig klang und ihm zudem bereits bei seiner ersten Arie einmal wegbrach, was nicht gerade von einer soliden Technik zeugt. Ein von seinen Temperamenten her vielschichtiger Bassa Selim war der Schauspieler Raphael von Bergen.
Eine hervorragende Leistung erbrachte Marco Comin am Pult. Zusammen mit dem trefflich aufgelegten und lustvoll aufspielenden Orchester erzeugte er in zügigen Tempi einen frischen und farbenreichen, dabei intensiven und prägnanten Mozart-Klang, der sich zudem durch markante Akzente auszeichnete.
Ludwig Steinbach, 1. 2. 2014 Die Bilder stammen von Thomas Dashuber.
SEMELE
Premiere: 24. 10. 2013
Emanzipation und Aufklärung
Mit einer Neuproduktion von Händels „Semele“ in der englischen Originalsprache präsentierte das Staatstheater am Gärtnerplatz im Cuvilliéstheater, einer seiner Ausweichspielstätten, nun endlich wieder einmal eine Oper. Eine Oper? Das ist nicht so ganz richtig, andererseits aber auch nicht gänzlich falsch. Bei seiner Uraufführung am 10. 2. 1744 im Londoner Theater Royal Covent Garden wurde das Werk dem Publikum noch als „in der Art eines Oratoriums“ offeriert und in konzertanter Form dargeboten. Es ist nicht auszuschließen, dass der Haller Komponist mit dieser nicht ganz eindeutigen Bezeichnung seiner Komposition den Zweck verfolgte, den seit Heinrich VIII von der Katholischen Kirche entfremdeten Engländern diese Form der Musik wieder etwas näherzubringen, was ihm mit seinen vorangegangenen Oratorien „Israel in Egypt“, „Der Messias“ und „Samson“ bereits trefflich gelungen war. Indes ist der Charakter des „Semele“- Stoffes, den Händel der griechischen Mythologie entnommen hat, der Oper näher als dem Oratorium. Die dramatische Handlung steht im Vordergrund, nicht religiöse Reflexionen. Darüber hinaus wäre für ein Oratorium auch ein biblischer Inhalt erforderlich gewesen. Hier haben wir es aber mit der griechischen Götterwelt zu tun. Die Bezeichnung der „Semele“ als Oper ist mithin durchaus berechtigt.
Jennifer O’ Loughlin (Semele), Ferdinand von Bothmer (Jupiter)
Die Art wie Karoline Gruber an Händels Werk herangeht, ist jedenfalls sehr opernhaft. Diese Regisseurin versteht ihr Handwerk, das muss man sagen. Sie führt die Personen logisch und abwechslungsreich und wartet auch mit ästhetisch schönen Bildern auf, die ihr Roy Spahn auf die Bühne gestellt hat. Diese sind sehr konventioneller Natur und weisen manchmal einen leichten Hang zum Kitschigen auf, so beispielsweise bei den Wölkchen im Olymp, der sich hier ironischerweise direkt über den Dächern Münchens und seiner Frauenkirche befindet und von den Einwohnern der Stadt problemlos in Ballons erreicht werden kann. Andererseits können die dargebotenen visuellen Eindrucke auch recht beeindruckender Natur sein, so wenn das rote Kleid Junos eine riesenhafte Vergrößerung erfährt und auf ihren Flügeln Filmprojektionen ablaufen, die auf recht vergnügliche Weise Semeles behagliches Leben in Jupiters von wallenden Tüchern eingenommenen Palast zeigen. Dabei versteht Frau Gruber die Götter- und die Menschenwelt gekonnt voneinander abzugrenzen. Das Reich von König Cadmus mit seiner Kassettenwand und seinem von Magali Gerberon modern und elegant eingekleideten Hofstaat erschließt sich dem Zuschauer in kargen, kalten Grau-Tönen. Sobald es aber in die himmlischen Sphären von Jupiters Götterreich geht, herrscht behagliche Wärme vermittelnde bunte Vielfalt vor. Die Eindrücke, die sich dem Auge bieten, sind schon recht mannigfaltiger Natur. Sie schließen sowohl romantische als auch skurrile und humoristische Elemente ein, wobei zeitweilig sogar die Grenze zum Surrealen leicht gestreift wird.
Ferdinand von Bothmer (Jupiter), Jennifer O’ Loughlin (Semele), Ann-Katrin Naidu (Ino)
Es ist ein gefälliger äußerer Rahmen, den das Regieteam da auf die Bühne gestellt hat. Dieser will aber auch innovativ gefüllt sein. Und das gelingt Frau Gruber vorzüglich. Das geistige Gewand, das die dem Ganzen überstreift, ist sehr überzeugend. Sie siedelt die Oper rein äußerlich im Zeitalter des ausgehenden 19. Jahrhunderts an, dessen Denkweise sie indes mit derjenigen des Barock identifiziert. Ausgangspunkt ihrer Interpretation ist die Erkenntnis, dass Frauen in beiden Epochen praktisch überhaupt keine Rechte hatten und nachhaltig der Willkür der Männer ausgeliefert waren. In einer solchen Situation befindet sich auch Semele, die auf Befehl ihres Vaters den ungeliebten böotischen Prinzen Athamas heiraten soll. Die zu Beginn stattfindende Massenhochzeit belegt, dass sie nicht die einzige Frau ist, die aus Gründen der Staatsraison einen Mann heiraten soll, der ihr nicht behagt. Das war in Königsfamilien indes schon immer so, sei es nun zur Zeit Händels, im Kaiserreich oder schon bei Alexander dem Großen, der diesen Brauch im Jahre 324 v. Chr. in Susa ins Leben rief. Liebe hat bei solchen Vermählungen nie eine Rolle gespielt. Derartige übergeordnete staatliche Interessen, die echte Zuneigung und individuelle Interessen stets außen vor lassen, findet Semele äußerst fragwürdig. Sie ist mit sich und ihrer Situation unzufrieden, leidet unter Minderwertigkeitskomplexen und sehnt sich danach, der sie einengenden patriarchalisch geprägten Gesellschaft zu entkommen. Sie möchte nicht ihr Leben lang unter der Knute der Männer stehen, was durch eine Reihe Alter Egos der Königstochter in psychologisch einfühlsamer Weise versinnbildlicht wird. In ihrer Not sehnt sie sich Jupiter herbei. Sie „erfindet“ den göttlichen Befreier gleichsam, um von ihm entführt zu werden und auf diese Weise ihre Unabhängigkeit wiederzuerlangen. Hier lässt die Interpretation der Regisseurin deutliche Bezüge zu gängigen Interpretationsmustern von Wagners „Lohengrin“ erkennen. Diese Parallele ist schon vom Wesensgehalt beider Werke her ganz offensichtlich. Elsa und Semele sind gleichsam Schwestern im Geist. Auch zu Strauss „Salome“ gibt es Anklänge. Als symbolisches Zeichen für den ausgeprägten Wunsch der thebanischen Prinzessin nach Freiheit schweben manchmal Schmetterlinge über die Bühne. Diese symbolisieren neben der befreiten Seele aber auch Semeles Verlangen nach der ihr als Mensch nicht zustehenden Unsterblichkeit - eine Hybris, an der sie letzten Endes zugrunde gehen muss. Ihren Tod in den auf ihr weißes Gewand projizierten Flammen begreift Karoline Gruber aber nicht so sehr als tatsächliches, sondern vielmehr als inneres Geschehen, nämlich als das Erlöschen einer Idee.
Jennifer O’ Loughlin (Semele), Adrineh Simonian (Juno), Statisterie
Diese besteht in der Emanzipation der Frau - die Frauenbewegung nahm in der hier dargestellten Wilhelminischen Ära ihren Anfang - und in der Rezeption von Gedankengut der Aufklärung. Hier schlägt die Regisseurin geschickt eine Brücke zur Moderne. Mit den Mitteln des Theaters auf dem Theater wartet sie mit einer ausgeprägten Gesellschaftskritik auf und beleuchtet rigoros den Konflikt zwischen - weiblichem - Individuum und Gemeinschaft. Dabei stellt sie das Nichtfunktionieren der Familie, der Keimzelle der Gesellschaft, als Ursache für kollektive Übel dar. Hier geht es aber nicht nur um die Emanzipation der Frau, sondern allgemein um die Ablegung gesellschaftlicher Bande, das Recht auf persönliche Handlungsfreiheit und um die Gewinnung von Selbstbewusstsein. Insbesondere letzterem Aspekt misst Frau Gruber zentrale Relevanz zu. Das noch zu Barockzeiten vorherrschende Motto, das jeder Mensch seine vorgegebene Bestimmung habe, der er nicht entkommen kann, lehnt sie kategorisch ab und geht gegen jede Form von Fremdbestimmung auf die Barrikaden. Als Mittel dazu dienen ihr die Werte der Aufklärung. Ein Ziel dieser auf Vernunft und Rationalität beruhenden, dem Barock nachfolgenden Epoche war, wie es Dorinda Outram einmal formulierte, „das Individuum von den Fesseln der Tradition oder der willkürlichen Autorität zu befreien“ Um nichts anderes geht es hier, nämlich um das Entkommen des Menschen aus seiner Unmündigkeit, was in etwa auch der Gedankenwelt eines Kant entspricht. Hier erhält die Inszenierung nicht nur einen philosophischen, sondern zudem auch einen gehörigen revolutionären Anstrich. „Sprengt eure Ketten“ lautet die Botschaft der klugen Regisseurin. Mit radikaler, unerbittlicher Konsequenz stellt sie die Option des Aufbegehrens gegen jede Art von Unterdrückung in den Raum, auch wenn man gleich Semele dabei verbrennen und zum Märtyrer werden sollte. Um Freiheit und Unabhängigkeit zu gewinnen, muss man etwas wagen. Verzicht auf das Wagnis bedeutet in gleicher Weise Tod. Hierin ist Karoline Gruber sich mit Max Frischs Stiller einig - genau wie darin, dass Stillstand Rückschritt bedeutet. Damit wäre der Gesellschaft jegliche Entwicklungsmöglichkeit genommen. Und das darf nicht sein. Wie der Einzelne mit seiner wiedergewonnenen Unabhängigkeit umgeht, bleibt ihm selber überlassen. Wichtig ist lediglich, dass er die Möglichkeit dazu bekommt. Das alles wurde von der Regisseurin, die sich gut auf sozialkritische Themen zu verstehen scheint, logisch und verständlich umgesetzt.
Jennifer O’ Loughlin (Semele), Holger Ohlmann (Cadmus)
Dass Marco Comin Händels Oper ein ganz besonderes Anliegen ist, war nicht zu überhören. Der junge Dirigent legte sein ganzes Herzblut in die Musik, die er zusammen mit dem sehr versiert aufspielenden Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz mit hohem emotionalem Ausdruck, sehr leidenschaftlich und intensiv vorwärtsdrängend vor den Ohren des begeisterten Publikums ausbreitete, dass dann beim Schlussapplaus mit herzlichem Beifall auch nicht geizte.
Jennifer O’Loughlin (Semele), Chor
Auch gesanglich konnte man voll zufrieden sein. Jennifer O’ Loughlin war eine darstellerisch glaubhafte Semele, die ihre Rolle mit insgesamt gut verankertem, farbigem Sopran, der ihr nur bei den eklatanten Spitzentönen der Partie dann und wann etwas aus der Focussierung rutschte, auch ansprechend sang. Eine Luxusbesetzung für den Jupiter war Ferdinand von Bothmer. Es ist schon erstaunlich, wie perfekt sich der junge Tenor, der auch schon bei Wagner und Verdi angelangt ist, sich in den Stil Händels einzufügen verstand und seinem bestens gestützten, sonoren Tenor, der bereits deutlich zum jugendlich dramatischen Fach tendiert, auch die für den Göttervater erforderliche Geläufigkeit und Flexibilität abzutrotzen wusste. Ebenfalls hervorragend schnitt Ann-Katrin Naidu ab, die einen tiefsinnigen und emotional eingefärbten, bestens fundierten Mezzosopran für die Ino mitbrachte. Die Juno als rasante Eifersuchtsfurie gab mit entsprechend kräftiger Tongebung Adrineh Simonian. Gut schnitt auch die über gefälliges Sopranmaterial verfügende Elaine Ortiz Arandes in der Rolle der Iris ab. Einen gut durchgebildeten Bass brachte Holger Ohlmann für den Cadmus mit. Solide István Kovács’ mit Scherenhänden ausgestatteter Gott des Schlafes Somnus. Nicht mein Favorit war Franco Fagioli, der in der Partie des Athamus bei den tiefen Tönen seinen Countertenor oft nicht in der Fistelstimme - das macht das unnatürlich Klingende dieser Stimmgattung für mich aus - halten konnte und in das Brustregister rutschte. Als Apollo war Juan Carlos Falcón zu erleben. Gut gefiel der von Jörn Hinnerk Andresen trefflich vorbereitete Chor.
Ludwig Steinbach, 28. 10. 2013 Die Bilder stammen von Thomas Dashuber.
DER MANN VON LA MANCHA
Premiere: 2. 10. 2013
Plädoyer für Menschlichkeit
Eine szenische Sternstunde in Sachen Musical stellte Josef E. Köpplingers Neuinszenierung von Dale Wassermans, Mitch Leighs und Joe Darions Erfolgsmusical „Der Mann von La Mancha“ dar, mit dem das Staatstheater am Gärtnerplatz im Ausweichquartier der Reithalle in die neue Saison startete. Dieses auf dem berühmen Roman von Miguel de Cervantes beruhende Stück traf im Jahr seiner Uraufführung 1965 im ANTA Washington Square Theater in New York den Nerv der Zeit. In einer von Arbeitslosigkeit und Angst vor einem erneuten Krieg geprägten amerikanischen Welt war Gewalt an der Tagesordnung. Der Traum von Martin Luther King fand auf der Musicalbühne in dem Traum von La Mancha als Plädoyer für Mitleid und Toleranz seinen beredten Ausdruck
Hier setzt auch Köpplingers Inszenierung an, die er zusammen mit seiner Co-Regisseurin Nicole Claudia Weber entwickelte. Mit Blick auf die Tatsache, dass Themen wie Brutalität und Intoleranz damals wie heute das Dasein der Menschen geprägt haben und leider immer noch prägen, lässt er das Werk auf mehreren Zeitebenen spielen: zur Zeit von Cervantes um 1590, in den 1960er Jahren, in denen die Komposition geschaffen wurde, und in der Gegenwart. Er macht aus dem Musical kein Ausstattungsstück, sondern wartet mit einer den tieferen Sinn des Stückes unterstreichenden Kargheit auf. Dabei weiß er den Raum der nüchternen Reithalle, in deren reflektierendem Boden sich die Darsteller oft spiegeln - gekonnt hält der Regisseur hier auch dem modernen Publikum den Spiegel vor - trefflich zu nutzen. Thomas Stingl hat ihm eine quadratische Spielfläche zwischen zwei Zuschauertribünen auf die Bühne gestellt, die die Darsteller den ganzen, ohne Pause durchgespielten zweistündigen Abend nie verlassen, was zu einer stark erhöhten Präsenz der Schauspieler und zu einer großen inneren Spannung führt. Zum letzteren tragen indes auch die von Köpplinger trefflich herausgearbeiteten zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen den von Bettina Breitenecker zeitgenössisch eingekleideten Häftlingen einen gehörigen Tei bei.
Nicht mit Opfern der spanischen Inquisition haben wir es hier zu tun, sondern mit aus den unterschiedlichsten Gründen festgehaltenen Gefangenen der Jetztzeit, deren Nerven angesichts der Übergriffe der immer wieder die Bühne stürmenden, schwarz gewandeten und mit Strumpfmasken versehenen Sturmtruppen bis zum Zerreißen gespannt sind, und die oftmals unkontrolliert aufeinander losgehen. Dies geschieht vereinzelt bereits während die Zuschauer ihre Plätze einnehmen. Mörder und Räuber sind in gleichem Maße darunter wie Asylanten und politisch Verfolgte. Zu letzteren gehört auch Cervantes, der zusammen mit seinem Diener in einer riesigen Kiste die gesamte Ausstattung zu seinem Theater auf dem Theater „Der Mann von La Mancha“ mit sich herumträgt. Er führt es zum Zwecke seiner Verteidigung als humanistisches Lehrstück zusammen mit seinen Leidensgenossen auf. Dabei werden aus einer Leiter und mehreren Balken nacheinander eine Windmühle, die Schenke, die Kirche und so manch anderes improvisiert.
Der Dichter ist zunächst noch genauso ein Außenseiter wie der Don Quichotte seines Stückes, vermag seine Mitgefangenen aber immer mehr von seinen humanen Wertvorstelllungen zu überzeugen. Deutlich wird, dass wer nicht mit dem Strom schwimmt, schnell in diese unrühmliche Rolle gedrängt wird, obwohl er eigentlich viel normaler ist als die anderen. Für Köpplinger ist der Held nicht verrückt, sondern nur ein Mensch mit einem Übermaß an Phantasie, die nur harmloser Natur ist, die aber die der Handlung immanente Gesellschaftskritik aufs Beste zum Ausdruck bringt. Narren sagen bekanntlich die Wahrheit. Und die steht bei dem größten Kritiker seiner Zeit Don Quichotte an oberster Stelle. In seinem Plädoyer für Menschlichkeit erweist er sich als der einzige wahre Edelmann. Da kann, wie eine These des Werkes besagt, die Therapie sehr viel schlimmer sein als die Krankheit. Braucht man erstere überhaupt? Der Schluss sagt dazu eindeutig nein. Insgesamt ist Köpplinger eine in ihrer sozialen Stringenz sehr stimmige, eindringliche und atmosphärisch dichte Inszenierung gelungen, die ihm alle Ehre macht.
Andreas Kowalewitz und das gut gelaunte Orchester präsentierten die Musik in all ihrer Schlichtheit mit großer Verve und unter Betonung des Folklorecharakters der Partitur, wobei der ständig präsenten Gitarre eine herausragende Rolle zufiel.
Auch die fast durchweg eingesetzten Musical-Sänger - Opernstimmen vernahm man wenig - vermochten gut zu überzeugen. Bei Erwin Windegger war die Doppelrolle des Cervantes/Don Quichotte in besten Händen. Er stattete sie sowohl darstellerisch wie auch gesanglich mit großer Menschlichkeit und Wärme aus. Insgesamt gelang ihm ein sehr ausgewogenes, sympathisches Rollenportrait. Dass ihm das Herz von Aldonza langsam, dafür aber umso sicherer zufloss, war nur zu verständlich. Und die von ihm immer nur Dulcinea genannte Lebedame war bei der recht herb und ordinär, am Ende aber umso gefühlvoller spielenden Carin Filipcic ebenfalls trefflich aufgehoben. Peter Lesiak vermittelte glaubhaft die Anhänglichkeit von Diener Sancho an seinen Herrn. Ein gut singender, schauspielerisch imposanter Gegenspieler von Cervantes war der dem Opernensemble entstammende Martin Hausberg als Gouverneur und Gastwirt. Großes Charisma und imposantes Auftreten zeichneten den Herzog und Dr. Carrasco von Frank Berg aus. Gegenüber dem ihn in seiner Verfolgung des Ritters von der traurigen Gestalt begleitenden Jesper Tydén in der Partie des Padre hatte er die Oberhand. Eine anrührende Antonia war die etwas mehr in Richtung Operngesang gehende Katja Reichert. Nachdrücklich wusste sich Marika Lichter als Gastwirtsfrau Maria ins rechte Licht zu setzen. Weniger auffällig war Snejinka Avramovas Haushälterin. Das Dienstmädchen Femina gab Frances Lucey. In den Rollen von Maultiertreibern und Mauren rundeten Maurice Klemm (er spielte auch den Barbier), Hannes Muik, Christopf Graf, Peter Neustifter, Alexander Moitzi und Florian Peters sowie Pál Szepesi und Nicola Gravante als köstlich anzusehende Reittiere das homogene Ensemble ab, dem auch noch Peter Windhofers Hauptmann angehörte.
Ludwig Steinbach, 7. 10. 2013 Die Bilder stammen von Thomas Dashuber.
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