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Britten: A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM
Vorstellung am 16. Mai 2022 (Premiere am 11. Mai 2022)
Shakespeare-Glück im Bockenheimer Depot
Als vor einigen Jahren der Frankfurter Intendant Bernd Loebe in einem Interview gefragt wurde, wann denn in der Reihe der musterhaft gelungenen Britten-Produktionen an seinem Haus der Midsummer night’s dream folge, gab er sich skeptisch. Er habe noch keine überzeugende Produktion dieses Werkes gesehen und zweifle an dessen Bühnenwirksamkeit. Womöglich aber finde sich ein Regisseur, der ihn vom Gegenteil überzeuge.
Nachdem wir uns zuletzt die Produktion des Stücks an der Deutschen Oper Berlin angesehen hatten (immerhin in der Regie von Ted Huffman, dem Frankfurt einen fabelhaften Rinaldo verdankt, und der in der kommenden Saison hier eine neue Zauberflöte szenisch verantwortet) hatten auch wir Zweifel. Die radikalen Kürzungen, die Britten in Shakespeares Komödie vorgenommen hatte, erschienen uns recht willkürlich, die Handwerkerszenen wirkten übergewichtig neben den übrigen Erzählsträngen. Trotz der Raffungen durch das Libretto gab es szenische Längen, und die Musik wirkte stellenweise so ausgedünnt, daß die Zuschauer sich im großen Saal des Opernhauses beim Anblick der riesigen Weiten einer nahezu völlig leeren Bühne recht verloren vorkamen.
Es ist daher ein großes Glück, daß Bernd Loebe in Brigitte Fassbaender nun die Regisseurin gefunden hat, die ihn von den Qualitäten dieses Stückes überzeugen konnte. Im Bockenheimer Depot hat sie sich von Christoph Fischer auf beweglichen Bühnenelementen einen Zauberwald in Weiß und Rot bauen lassen, dessen Farben von den phantasievollen Kostümen aufgegriffen werden, welche Anna-Sophie Lienbacher für die Feenwelt ersonnen hat. Die Atmosphäre des Verwunschenen, Geheimnisvollen, die so erzeugt wird, findet ihre Entsprechung in den Streicherglissandi, mit denen Britten den Wald charakterisiert. Hier erweist sich das Bockenheimer Depot einmal mehr als idealer Aufführungsort für Kammeropern. Britten hat seinen Midsummer night’s dream für das Festival in Aldeburgh geschrieben. Der Uraufführungsort faßte nur 300 Zuschauer – genau so viele wie das Bockenheimer Depot. Es entsteht eine Intimität und eine unmittelbare Verbindung zwischen Bühne und Publikum, welche sich auf großen Bühnen nicht einstellen will. Die Feinheiten des schlanken Orchestersatzes, die in einem großen Opernhaus karg und blutleer wirken können, entfalten hier eine besondere Suggestivkraft.
Das Vergnügen an den Rüpelsszenen ist hier so groß und der Zauber der Feenszenen so bestrickend, daß auch die von Britten vorgenommene Szenenauswahl dadurch geradezu zwingend wirkt. Alle Bedenken zur Bühnentauglichkeit des Werkes sind wie weggeblasen. Fassbaender gelingt mit einem Ensemble junger, ungemein spielfreudiger Sänger ein heiter-gelöstes Satyrspiel, das ganz auf Shakespeares gewitzten Text vertraut. Daß dabei die Handwerkerszenen deftiger ausfallen als die Verwirrspiele der sich im Wald verirrenden Liebespaare, ist ganz im Sinne der Vorlage. An einer Stelle steigert Fassbaender den Spaß in Richtung Klamauk: Wo bei Shakespeare der Handwerker Bottom („Zettel“ in der Schlegel-Tieck-Übersetzung) durch Zauber einen Eselskopf erhält, was bei Shakespeare zu Wortspielen mit den Bedeutungen von „Ass“ führt (wörtlich: Esel, übertragen: Dummkopf), nutzt sie mit der auch einem deutschen Publikum geläufigen weiteren Wortbedeutung von „Ass“: Arsch. Und so erscheint Zettel hier tatsächlich als „Arsch mit Ohren“. In den Übertiteln wird „Ass“ dann auch konsequent mit „Arsch“ übersetzt.
Barnaby Rea (Bottom), Theo Lebow (Snout) und Brian Michael Moore (Flute) sowie im Hintergrund Magnús Baldvinsson (Quince)
Aus der Riege der ausnahmslos vorzüglichen Sänger ist besonders das Feen-Herrscherpaar hervorzuheben. Ihm verlangt Britten im Kontrast zum Konversationston der übrigen Partien kunstvolle Melismen und Verzierungen ab. Kateryna Kasper als Tytania kann dabei wieder ihren Ausnahmerang als technisch brillanter Sopran mit blühendem, lyrischem Ton beweisen, dem sie in dieser Partie sehr geschickt auch giftige und zickige Nuancen abzugewinnen weiß. Ihr zur Seite steht mit Cameron Shahbazi ein geradezu idealer Oberon. Der junge Sänger verfügt über einen in allen Lagen runden, weich fließenden und außerordentlich klangschönen Countertenor. Selten hört man in diesem Fach eine Stimme, die derart unangestrengt und selbstverständlich wirkt. Bei Shahbazi klingt nichts nach veredeltem Falsett. Auch sind die typischen Registerbrüche beim Wechsel von hoher und tiefer Lage nicht zu hören. Vielmehr ist ein männlicher Mezzosopran aus einem Guß zu erleben mit einem angenehmen, natürlichen Vibrato und einem wunderbaren, schwebenden Piano, das auch bei hohen Tönen nicht dünn oder scharf klingt. Dieser Waldgeist hat etwas zugleich Verführerisches und Gefährliches, was Shahbazi nicht nur musikalisch, sondern auch mit enormer darstellerischer Präsenz herausarbeitet.
Cameron Shahbazi (Oberon)
Aus der wunderbaren Handwerkertruppe sollen hier nur Barnaby Rea als Bottom und Brian Michael Moore als Flute besonders hervorgehoben werden. Das ehemalige Ensemblemitglied Rea kostet die aufgeblasene Derbheit seiner Figur weidlich aus, daß es eine Lust ist. Moore, der mit seinem attraktiven und technisch vorzüglichen Tenor immer noch auf adäquate Verwendungen im Frankfurter Ensemble warten muß, widmet sich mit Hingabe der Darstellung eines verunsicherten Mauerblümchens und zieht beim ungelenken Geschlechterrollentausch zum Rüpelspiel eine sehenswerte Show ab.
Brian Michael Moore (Flute) und Barnaby Rea (Bottom; liegend)
Wie in allen Aufführungen des Sommernachtstraums kommt dem Waldgeist Puck eine herausragende Rolle als Conférencier und Verwirrung stiftender Kobold zu. Britten hat dessen Textanteil nicht vertont, sondern einer Sprechrolle anvertraut. In Frankfurt ist sie mit dem Schauspieler Frank Albrecht besetzt, der sich mit idiomatischem Englisch vorzüglich in die Sängerschar einfügt und mit markanter Stimme Akzente setzt.
Frank Albrecht (Puck)
Neben dem unter der Leitung von Geoffrey Paterson atmosphärisch aufspielenden Orchester überzeugt besonders der Kinderchor, dem Britten als Elfenvolk eine prominente Rolle zugedacht hat. Klar und sauber werden die Herausforderungen der Partitur von den jugendlichen Sängerinnen und Sängern gemeistert, lebendig und engagiert ist ihr Spiel.
Intendant Loebe hat angedeutet, daß städtische Etatkürzungen künftig zu vermehrten Wiederaufnahmen im Bockenheimer Depot führen könnten. Auf ein Wiedersehen mit dieser Produktion würde ein begeistertes Publikum sich freuen.
Michael Demel / 28. Mai 2022
© Bilder: Monika Rittershaus
AMADIGI
Zweite Vorstellung am 27. September 2021 (Premiere am 25. September 2021)
A Cure for Wellness
Händels frühe Londoner Opern waren Multi-Media-Spektakel, die für das damalige Publikum nicht zuletzt durch ihre Bühneneffekte Anziehungskraft besaßen. Die Gesangspartien wurden für konkrete Sänger-Stars maßgeschneidert, die mit Vokalkunststücken brillieren konnten. Dem Inhalt der Libretti, der Stringenz einer Handlung widmete man geringere Aufmerksamkeit. Die moderne Musiktheaterregie stellt das vor Herausforderungen. Eine bewährte Methode ist es dabei, ein für das heutige Publikum attraktives Setting zu finden, das die Handlung als Rahmen tragen kann und als Spielplatz und Experimentierfeld abwechslungsreich genug ist, um die Zuschauer in der barockoperntypischen Abfolge langer Arien nicht zu ermüden. Das Bockenheimer Depot als offener Raum, der zu kreativen Lösungen jenseits einer Guckkastenbühne geradezu herausfordert, ist ein idealer Ort für solche szenischen Experimente. Sie sind in jüngerer Vergangenheit immer wieder bemerkenswert gut geglückt, zuletzt mit dem Tamerlano des us-amerikanischen Regisseurs R.B. Schlather, dessen brillante Belebung von Cimarosas „L’Italiana in Londra“ gerade am Großen Haus das Premierenpublikum begeistert hat.
Kateryna Kasper (Oriana) und Brenna Hall (Amadigi)
Nun also durfte sich der junge Regisseur Andrea Bernard an Händels Zauberoper Amadigi probieren. Der titelgebende Ritter ist mit dem Prinzen Dardano im Reich der Zauberin Melissa gefangen. Ebenfalls gefangen ist dort die von Amadigi angebetete Oriana. In diese hat sich auch Dardano verliebt. Die Zauberin wiederum hat sich in Amadigi verguckt. Es gibt Flucht- und Rettungsversuche, Verrat und Mißverständnisse, und am Ende sind Dardano und Melissa tot, die beiden Liebenden aber vereint.
Beth Taylor (Dardano)
Das Produktionsteam hat das Bockenheimer Depot in ein Sanatorium verwandelt, in dessen Zentrum ein gekachelter Raum für Wasseranwendungen mit Tretbecken und Duschen steht (Bühnenbild von Alberto Beltrame). Das Publikum wird dahin durch schmale weiße Gänge geleitet. Mitarbeiter in Anstaltskleidung säumen den Weg und halten Wassergläser für eine Trinkkur bereit. Im zentralen Anwendungsraum wabert beim Eintreffen des Publikums Wasserdampf. Aus Lautsprechern hört man mit Surroundeffekt Wasser plätschern und tropfen. Es beginnt zunächst harmlos mit therapeutischen Anwendungen für Amadigi und Dardano. Sie bekommen Blutegel auf die Arme gesetzt und müssen im Becken wassertreten. Bald aber merkt man, daß mit diesem Ort etwas nicht stimmt. Patienten wie Personal wird eine eigenartige grün-blaue Flüssigkeit mit Spritzen verabreicht. In einer Vitrine wird ein seltsam ledriges Präparat ausgestellt, das sich später als Herz der Zauberin entpuppt. Diese tritt als Anstaltsleiterin auf, die offenbar die Insassen nicht nur mit physischer Gewalt, sondern auch mit Magie an diesen seltsamen Ort bindet. Nicht jedes Detail der Inszenierung ist restlos schlüssig. Manches bleibt bis zum Ende rätselhaft, wie etwa die Krähen-Metapher, die in unterschiedlichen Formen immer wieder präsent ist.
Die Regie kann sich bei der szenischen Belebung der Arien auf die engagierten Schauspielleistungen ihrer vier Protagonisten verlassen. Außerdem weidet sie sich an dem durchtrainierten, schlanken Körper des jungen Countertenors Brennan Hall in der Titelrolle.
Seinen nackten Oberkörper darf er ausgiebig präsentieren, schließlich auch nur mit Shorts bekleidet ins Wasserbecken eintauchen, um effektvoll wieder aus ihm emporzuschnellen.
In einer Szene wähnt Oriana ihn tot auf dem Wasser treibend, woraufhin sie ihn an den Beckenrand zieht. Es entsteht das Bild einer Pietà wie in Marmor gehauen. Stimmlich allerdings bleiben bei Hall Wünsche offen. In der Tiefe klingt er blaß, Koloraturen wirken mit starker Aspiration mitunter durchgehechelt. Zudem hat er in punkto Tragfähigkeit und Dynamik das Nachsehen gegenüber den drei übrigen Darstellerinnen.
An vorderster Stelle zu nennen ist Kateryna Kasper in der Partie der Oriana. Die Frankfurter Stammsopranistin befindet sich aktuell auf dem Höhepunkt ihrer stimmlichen Fähigkeiten. Mit einem herrlich runden, honigsüßen Ton umschmeichelt sie ihren Geliebten. Verzierungen, Melismen und Koloraturen werden mit einer staunenswerten Makellosigkeit dargeboten. Sie erscheinen bei der Kasper nicht als Vokalkunststückchen, sondern als selbstverständlicher, ja notwendiger Teil ihrer Gestaltungskunst. Schon diese beglückende Gesangsleistung wäre Grund genug für den Besuch der Produktion.
Elisabeth Reiter als Melissa
Elisabeth Reiter bietet als Zauberin Melissa dazu einen reizvollen Kontrast. Ihr biegsamer Sopran ist nicht minder koloraturensicher. Aber sie mischt ihrer Stimme immer wieder gut dosierte Schärfe bei, schleudert giftig ihre Spitzentöne gegen ihre Widersacher. Die Mezzosopranistin Beth Taylor verleiht dem Dardano mit satter Tiefe und kraftvoller Mittellage ein passend maskulines Timbre.
Das Orchester unter der Leitung von Roland Böer säumt das Ganze in gewohnter Frankfurter Manier mit biegsamem und farbigem Barocksound, der keine Wünsche offenläßt. Gut gelungen ist der differenzierte Einsatz von Harmonieinstrumenten zur Begleitung der Rezitative, wobei besonders der Einsatz eines Orgelpositivs hervorsticht.
Noch nie hat in den vergangenen Jahren eine Barockopern-Produktion am Bockenheimer Depot enttäuscht. Die Vorstellungen sind daher üblicherweise bereits lange vor der Premiere ausverkauft. Durch die kurzfristige Freigabe von ursprünglich aus Corona-Gründen gesperrten Plätzen sind jedoch für die Folgevorstellungen am 1., 3., 4., 6. und 7. Oktober noch Restkarten zu bekommen. Wir empfehlen zuzugreifen.
Michael Demel, 29. September 2021
Photos: Barbara Aumüller
Gioachino Rossini: LA GAZETTA
Nachbericht von der Vorstellung am 4. Februar 2020
Eine glänzend servierte Petitesse
Gleich drei Rossini-Opern finden sich auf der Premierenliste der Oper Frankfurt in der laufenden Spielzeit. Nach dem fulminanten Saisonauftakt mit dem unterschätzten Otello und vor der Premiere von Bianca e Falliero im April im Großen Haus präsentierte man im Bockenheimer Depot als heiteres Intermezzo La gazetta, ein in Vergessenheit geratenes Lustspiel, welches Rossini zwischen den Erfolgen von Il Barbiere di Siviglia und La Cenerentola mit leichter Hand aus größtenteils bereits anderswo verwendetem Material zusammengestellt hatte. Die Handlung ist kaum der Rede wert: Ein neureicher Neapolitaner will seine Tochter per Heiratsannonce unter die Haube bringen. Diese ist aber bereits in festen Händen, was der Vater nicht weiß. Ein Interessent stellt sich ein. Nach einigen genretypischen Verwechslungen und Mißverständnissen löst sich alles im heiteren Finale auf.
Danylo Matviienko (Monsù Traversen), Statistin der Oper Frankfurt, Nina Tarandek (Madama La Rose) und Matthew Swensen (Alberto)
In Frankfurt präsentiert man diese Petitesse als schwungvolle Boulevard-Komödie. Dabei zeigt sich die außerordentliche Leistungsfähigkeit des Hauses am Main, denn man bestreitet die Produktion ausschließlich mit Bordmitteln. Die Besetzung kommt ohne Gastsänger aus, das Orchester wird vom hauseigenen Kapellmeister Simone Di Felice geleitet, die Inszenierung hat Caterina Panti Liberovici übernommen, die an der Oper Frankfurt seit vielen Jahren als Regieassistentin tätig ist. Und die Dame versteht ihr Handwerk. Die Szene hat sie in die 1920er Jahre verlegt. Kostümbildnerin Raphaela Rose hat hier aus dem Vollen schöpfen dürfen und beschwört gekonnt eine Atmosphäre von Great Gatsby bis Babylon Berlin herauf. Das Bühnenbild von Sergio Mariotti zaubert mit wenigen flexibel verschiebbaren Kulissen die verschiedenen Spielorte herbei. Dabei nimmt er Bauelemente des Bockenheimer Depots wie die typisch geformten Eisenpfeiler und Beleuchtungskörper als charmante Liebeserklärung an den Aufführungsort in das Bühnenbild auf. Die gelungene 20er-Jahre-Atmosphäre nutzt die Regisseurin zu Reminiszenzen an berühmte Filmvorbilder. Wenn etwa Mitglieder des Chores als Mafiosi auftreten, die in Instrumentenkoffern ganz sicher keine Geigen und Celli transportieren, dann läßt Billy Wilder von Ferne grüßen (Some like it hot). Und in der Manier des Regie-Altmeisters gelingt es Caterina Panti Liberovici, mit einem sicheren Gespür für Timing eine temporeiche Komödie zu servieren, deren Humor nie in Plattheiten abrutscht.
Martin Georgi (Passepartout; links mit Flasche) und Sebastian Geyer (Don Pomponio Storione)
Ein besonders gelungenes Detail ist der Einsatz von Martin Georgi als Passepartout. Dem Frankfurter Publikum ist Georgi als Statist aus unzähligen Produktionen wohl vertraut. Hier taucht er in jeder Szene in neuer Verkleidung auf: Mal als Nonne, dann als Kellner, besonders komisch als Stubenmädchen. Immer präsentiert er ein würdevoll-ernstes Buster-Keaton-Gesicht und gibt mit seinen stummen Auftritten als lebendiger Running-Gag den Szenen eine besondere Würze.
Mit liebevoller Hingabe präsentieren auch die Musiker dieses Nebenwerk und lassen es im besten Licht erstrahlen. Dadurch, daß das Bockenheimer Depot über keinen Orchestergraben verfügt, hat man einen direkten Blick auf die Instrumentalisten. Dabei kann man sehen, welches Vergnügen ihnen diese Musik bereitet. Oft umspielt die Mienen ein sanftes Lächeln. Aufmerksam hören sie einander zu. Es bereitet Freude, zu sehen, daß auch die Kollegen die gelungenen Instrumentalsoli etwa der Klarinettistin sichtlich genießen. Insgesamt besticht der Orchesterklang zugleich durch Wärme und Lebendigkeit.
Elizabeth Sutphen (Lisetta) und das Vokalensemble
Bei der Sängerbesetzung prunkt die Oper Frankfurt einmal mehr mit der außerordentlichen Qualität des hauseigenen Ensembles. Sebastian Geyer genießt den großen Auftritt in der Buffo-Rolle des Don Pomponio, den er mit seinem kernigen Bariton markant zeichnet. Elisabeth Sutphen, bis vor kurzem noch Mitglied des Opernstudios, brilliert mit glockenhellem Sopran in der weiblichen Hauptrolle seiner Tochter Lisetta. Für ihren Liebhaber Filippo bringt Mikołaj Trąbka einen derart saftigen Bariton ein, daß er damit locker weitaus größere Räume füllen könnte. Die Intimität des Aufführungsorts kommt dagegen Matthew Swensen als Alberto zugute. Sein feiner, heller Tenor bewältigt technisch tadellos auch vertracktere Koloraturanforderungen und kann sich, anders als auf der Bühne des Großen Hauses, stets gut gegen das kammermusikalisch begleitende Orchester durchsetzen. In der ihm zugeordneten Sopranpartie der Doralice steht Angela Vallone der Primadonna Sutphen in nichts nach.
Nina Tarandek (Madama La Rose), Danylo Matviienko (Monsù Traversen), Martin Georgi (Passepartout) und Franz Mayer (Anselmo)
Nina Tarandek hat als Madame La Rose zwar im Wesentlichen nur eine größere Arie zu singen. Diese aber präsentiert sie mit ihrem attraktiven, samtigen und höhensicheren Mezzo als Delikatesse. Für die kleine Rolle des Anselmo hat die Oper Frankfurt Franz Mayer reaktiviert, dem man seinen Ruhestand zwar gönnt, dessen volltönender Baßbariton aber immer noch manch jüngeren Kollegen blaß aussehen läßt. In der Partie des Monsu Traversen schließlich gewinnt man einen kurzen Eindruck vom jugendlich-kernigen Baritonmaterial des Opernstudio-Mitglieds Danylo Matviienko, der neugierig auf größere Rollen macht.
So fügt sich die vorzügliche musikalische Qualität zu der gelungenen Inszenierung und bringt ein Stück aus dem Randrepertoire zum Glänzen.
Michael Demel, 1. März 2020
Bilder: Barbara Aumüller
Georg Friedrich Händel: TAMERLANO
Premiere am 7. November 2019
American Horror Story
Wenn Wochen vor der Premiere schon sämtliche Vorstellungen der kommenden Aufführungsserie restlos ausverkauft sind, dann gibt das Publikum dem Opernhaus eine Carte blanche. So geschieht es seit einigen Spielzeiten regelmäßig, wenn die Oper Frankfurt für das Bockenheimer Depot eine neue Händel-Inszenierung ankündigt. So war es auch jetzt vor der Premiere von Tamerlano. Die Erwartung, wieder etwas Besonderes, Außergewöhnliches zu erleben, wurde nicht enttäuscht. Der zum ersten Mal in Europa inszenierende US-amerikanische Regisseur R. B. Schlather hat sich von seinem Bühnenbildner Paul Steinberg einen nüchternen Raumkomplex in das ehemalige Straßenbahndepot hineinbauen lassen, welcher mit schmucklosen weißen Wänden an ein funktionales Bürogebäude oder an eine sterile Fertigungshalle erinnert. Die Trennung von Bühne und Zuschauerraum ist vollständig aufgehoben. Das gesamte Theatergebäude vom Eingang über das Foyer bis zur eigentlichen Spielstätte wird als Einheit präsentiert. Das Personal von den Kartenkontrolleuren über die Garderobieren bis zu den Mitarbeitern hinter dem Getränkeausschank trägt einheitliche blaue Arbeitskittel mit der Aufschrift „Crew“, so wie das neue Ensemblemitglied Liviu Holender, der mit vollmundigem Bariton als Tamerlanos Handlanger Leone auftritt. Nüchternes, kaltes Licht von Neonröhren beleuchtet unterschiedslos die aufsteigenden Zuschauerränge wie die Spielfläche. So dauert es am Anfang etwas, bis sich die typische Theateratmosphäre einstellt. Im ungedimmten Licht fühlt sich das Publikum beobachtet, ist es selbst Teil der Inszenierung. Die beginnt damit, daß ein als Cowboy verkleideter Mann mittleren Alters einen großen Metallkäfig aufschließt, den im Gänsemarsch die Mitglieder des Orchesters betreten, um darin schließlich eingesperrt zu werden.
Der Cowboy, der mit schlecht sitzender Perücke, aufgeklebtem Schnauzbart, aufgesteckter Nase und häßlicher Brille aussieht wie Groucho Marx, der sich in den Wilden Westen verirrt hat, entpuppt sich als Titelheld. Im ersten Akt gibt er sich als schräger Spaßvogel, knallt zu einer Arie kräftig mit einer Peitsche und verteilt Dosenbier an das Publikum. Die Käfighaltung der Orchestermusiker und das Verschnüren von Gefangenen mit Klebeband erscheinen zunächst als spleenige Scherze. Mehr und mehr kippen die Späße ins Gewalttätige, entledigt sich der Spaßmacher seiner Maskierung, nimmt Perücke, Bart und falsche Nase ab, um in neuer Maske zu erscheinen, dem Batman-Schurken Joker ähnlich geschminkt und damit zur Kenntlichkeit entstellt. Kein Zweifel: wir befinden uns in den Händen eines gefährlichen Irren.
Der Regisseur spielt das Libretto als American Horror Story durch. Die eigentliche Handlung geht so: Der Tatarenfürst Tamerlano hält den von ihm besiegten Osmanenherrscher Bajazet und dessen Tochter Asteria gefangen, die er begehrt, obwohl er der Prinzessin Irene versprochen ist. Sein Verbündeter Andronico soll für ihn um Asterias Hand werben, ist aber selbst in diese verliebt. Asteria, die Andronicos Liebe erwidert, geht zum Schein auf das Werben Tamerlanos ein, nutzt aber die so erreichte Nähe zum Herrscher, um auf diesen einen Giftanschlag zu verüben. Der Anschlag scheitert. Tamerlano schwört Rache, der gedemütigte Bajazet kommt ihm mit seinem Selbstmord zuvor, was wiederum Tamerlano versöhnt.
Es ist ein typisches Barock-Libretto mit verwickelten Liebeshändeln und unglaubwürdigem Lieto fine. Das funktioniert im fiktiven Mittelalter des Originals so gut und schlecht wie in den USA der Gegenwart. Die Methode des Regisseurs ist dabei nicht eine bloße zeitliche Transformation, sondern ein experimentelles Durchspielen der Affekte einer Barockoper vor der Folie heutiger Popularkultur. Die nüchternen Kulissen lassen den Ort des Geschehens unbestimmt. Davor treten die Protagonisten in Kostümen auf, die wie Erinnerungsfetzen aus filmischen Vorbildern wirken. Neben dem Titel-Anti-Helden als Groucho-Marx-Cowboy und Joker sieht man Andronico im dritten Akt in American-Football-Montur, muß Bajazet einen orangefarbenen Dreß tragen (Guantanamo läßt grüßen), hantiert Tamerlano mit einem Baseballschläger herum wie Robert de Niro als Al Capone.
Die Nähe zum Publikum hat den Vorzug, daß man die emotionale Anverwandlung der Figuren durch ihre Darsteller unmittelbar erleben kann. So ist bei Elisabeth Reiter als Asteria echte Zornesröte auf den Wangen zu sehen, blitzt bei Lawrence Zazzo als Tamerlano immer wieder ein erschreckend glaubhafter Wahnsinn in den Gesichtszügen auf. Die Regie entwickelt einen immer stärker werdenden Sog, dem sich das Publikum kaum entziehen kann. Anfangs noch reagiert es amüsiert auf die schrägen Scherze der Titelfigur, dann aber verfolgt es den immer alptraumhafter werdenden Plot mit steigender Gespanntheit, um am Ende schließlich beklommen und mit angehaltenem Atem dem langen Schlußgesang des sterbenden Bajazet zu lauschen.
Diese berührende Abschiedsszene gestaltet der Tenor Yves Saelens mit einer Intensität, die vergessen läßt, daß er in den zwei Akten zuvor zwar als ausdrucksstarker Darsteller szenisch, musikalisch aber lediglich in den Rezitativen überzeugen konnte. In seinen Bravourarien mogelt er sich durch bestenfalls angedeutete Koloraturen und präsentiert einen Stil, den man als Barockversion des berüchtigten „Bayreuth barking“ bezeichnen kann: überbetont artikulierte Konsonanten und aus der Grunddynamik herausfallende Akzente zerreißen allzu oft die Gesangslinie.
Lawrence Zazzo zeigt mit seinem gereiften Countertenor dagegen, daß prägnante Rollenprofilierung nicht zu Lasten einer technisch adäquaten Gesangsleistung gehen muß. Der junge Countertenor Brennan Hall kann sich in der Rolle des Andronico mit sanfterer Färbung gut davon absetzen. Cecelia Hall überzeugt mit ihrem frischen Mezzosopran als Irene. Die phänomenale Elisabeth Reiter aber übertrifft sie alle. Mit der Asteria präsentiert sie sich auf dem Gipfel ihrer Möglichkeiten durch eine staunenswerte Fülle an Klangabstufungen. Mit makelloser Technik präsentiert sie die Koloraturen, schleudert zornige Tonkaskaden gegen ihren Peiniger, erzeugt aber zugleich in ruhigeren Passagen eine ans Herz rührende Innigkeit. Jede Emotion wird musikalisch beglaubigt, jede Phrase mit Ausdruck erfüllt.
Karsten Januschke kann am Pult des Orchesters im Metallkäfig auf die sich von Produktion zu Produktion steigernde Barockkompetenz seiner Musiker bauen. Die historisch informierte Aufführungspraxis haben sie mit einer derartigen Selbstverständlichkeit verinnerlicht, daß der junge Dirigent sich ungewöhnliche Akzentsetzungen, kontrastreiche Dynamikabstufungen und einen sehr flexiblen Umgang mit der Tempogestaltung leisten kann. Das Orchester ist zugleich Impulsgeber wie Echokammer für die von den Sängern durchlebten Affekte.
So fügt sich eine faszinierend unkonventionelle Inszenierung zu einer selbstbewußten musikalischen Gestaltung.
Eine kleine kritische Frage muß sich die Intendanz aber stellen lassen: War nicht abzusehen gewesen, daß die Aufführungsdauer dreieinhalb Stunden erreichen würde, und war es daher nicht ungeschickt, den Vorstellungsbeginn auf 19.30 Uhr festzusetzen, mit dem Ergebnis, daß ein zwar begeistertes, aber erschöpftes Publikum erst weit nach 23 Uhr den Nachhauseweg antreten kann? Es hätte der Konzentration der Zuschauer gutgetan, wenn diese das intensive, dynamisch und agogisch zurückgenommene Ende etwas früher und damit wacher hätten erleben können.
Noch drei Aufführungen sieht der Spielplan vor. Eine Wiederaufnahme ist nicht vorgesehen. Wer nicht auf Restkarten an der Abendkasse spekulieren will, mag sich mit der zweiten Wiederaufnahmeserie von Händels Radamisto am Großen Haus zum Jahreswechsel trösten. Diese ebenfalls sehr gelungene Inszenierung wartet mit ausnahmslos großartigen Gesangsleistungen auf. Karten gibt es dafür noch reichlich.
Michael Demel, 15. November 2019
© der Bilder: Monika Ritterhaus
Gian Carlo Menotti THE MEDIUM
Bruno Maderna SATYRICON
Besuchte Vorstellung. 17. Juni 2019 (Premiere am 15. Juni 2019)
Vergnügliches Opernmuseum
In einem ungewöhnlichen Doppelabend hat die Oper Frankfurt zum Saisonabschluß im Bockenheimer Depot einen Ausflug in die jüngere Musikgeschichte unternommen. Sie hat dabei zwei Werke kombiniert, die typisch für ihre Entstehungszeit sind, über welche aber die Zeit hinweggegangen ist. Da ist zunächst die Kurzoper The Medium des italo-amerikanischen Komponisten Gian Carlo Menotti aus dem Jahr 1946. Menotti hielt zeitlebens nichts von den neutönerischen Experimenten seiner komponierenden Zeitgenossen, sondern blieb wie sein Lebensgefährte Samuel Barber der tradierten Tonalität verpflichtet, die er harmonisch anschärfte und bei Bedarf erweiterte. Das traf den konservativen amerikanischen Zeitgeschmack. The Medium wurde sogar unter der Regie des Komponisten selbst bereits zwei Jahre nach der Uraufführung verfilmt (auf Youtube verfügbar: https://www.youtube.com/watch?v=Ni6Ugouya0o). Tatsächlich fühlt man sich immer wieder an Filmmusiken etwa eines Bernhard Herrmann erinnert.
Meredith Arwady (Madame Flora; in der Bildmitte stehend) und Ensemble
Der Plot handelt von einer Scharlatanin, die Leichtgläubigen in Séancen mit allerhand Budenzauber vorgaukelt, mit Verstorbenen in Kontakt zu stehen. Ihre Tochter und ein stummer Waisenjunge gehen ihr dabei zur Hand. Doch der vorgegaukelte Spuk scheint sich selbständig zu machen. Das Medium sieht sich von Geistern verfolgt. Was als Komödie begonnen hat, endet mit einem tragischen Tod.
Kaspar Glarner hat dazu ein Bühnenbild entworfen, welches nach dem Vorbild der Filmkulisse detailverliebt einen plüschig ausgestatteten und deutlich heruntergekommenen Salon zeigt. Die Regie von Hans Walter Richter entfaltet darin ein handwerklich sauber inszeniertes Kammerspiel, das auf die darstellerischen Stärken einer ausgezeichneten Besetzung bauen kann. Meredith Arwady als Madame Flora, das titelgebende Medium, rockt mit einer umwerfenden Präsenz geradezu die Bühne. Sie hat sich die Figur mit Haut und Haare einverleibt. Sie chargiert in der Séance, daß es eine Freude ist und zeichnet den Weg von der aufkeimenden Furcht hin zum tödlichen, panischen Gewaltausbruch mit unablässiger Intensität. Ihren stimmgewaltigen Alt stellt sie in den Dienst der Darstellung, gewinnt ihm unendlich viele Klangfarben ab und scheut dabei auch keine ordinären Töne. Im stimmlichen Kontrast dazu steht die wunderbare Louise Alder, die sich mit der Rolle der Monica, der Tochter des falschen Mediums, aus dem Ensemble der Oper Frankfurt verabschiedet. Sie adelt die allzu gefälligen Rückbezüge des Komponisten auf volksliedhafte Melodien mit ihrem honigsüßen Sopran.
Eine Entdeckung ist die junge Mezzosopranistin Kelsey Lauritano in der kleinen Nebenrolle der Mrs. Nolan. Ihre Stimme zeichnet sich durch einen samtig-warmen Ton aus. Sie wirkt trotz ihrer jugendlichen Frische bereits so ausgereift, daß man nicht vermuten würde, hier einen Neuankömmling im Opernstudio vor sich zu haben. Die Intendanz sieht jedenfalls großes Potential und weiß die junge Sängerin in der kommenden Spielzeit vielfältig einzusetzen. Besonders auf ihren Auftritt als Fuchs im Schlauen Füchslein darf man sich freuen. Barbara Zechmeister und Dietrich Volle als geistergläubiges Ehepaar runden die ausgezeichnete Sängerbesetzung ab. Besonderen Eindruck macht zudem der junge Schauspieler Marek Löcker, welcher der stummen Rolle des Toby große Eindringlichkeit verleiht.
Satyricon: vorne v.l.n.r. Susanne Gritschneder (Fortunata), Peter Marsh (Trimalchio), im Hintergrund Tänzer
Nach der Pause wird Bruno Madernas revueartiges Saryricon gegeben. Der musikalische und szenische Kontrast zum altmodischen Schauerstück zuvor könnte nicht größer sein. Wo Menotti den Fundus der europäischen Musiktradition kulinarisch-konservativ weiterverwendet, wird er bei Maderna schrill zugespitzt, zerfetzt und persifliert. Mitunter wirkt die Komposition aus den frühen 1970er Jahren wie ein heiter-boshaftes Melodienraten. Maderna selbst hatte scherzhaft gesagt, in der Partitur stamme keine Note von ihm selbst.
Von Gluck über Wagner und Verdi bis Puccini wird die halbe europäische Musikgeschichte durch den Fleischwolf gedreht. Da ertönt das Walhall-Motiv aus dem Rheingold, um die neureiche Protzerei des Emporkömmlings Trimalchio zu karikieren, den Peter Marsh mit schneidend hellem Tenor gibt. Eine Travestie von Bizets Carmen-Habanera wird von Susanne Gritschneder als Fortunata als hinreißendes Chanson serviert. Ambur Braid darf sich als Scintilla nicht bloß einmal mehr an halsbrecherischen Koloraturen beweisen, sondern vollbringt das auch noch mitunter kopfüber zu akrobatischen Kunststückchen. Das gesamte Ensemble hat großen Spaß an der bunten Revue, die kurzweilig am Publikum vorüberzieht. Nelly Danker hat dies im abstrakten Bühnenbild von Kaspar Klarner aber allzu harmlos arrangiert. Ein Fließband im Dauerbetrieb, auf dem unablässig die Bestandteile des Büffets für das Gelage des Trimalchio herbeifahren, um dann am Ende des Fließbandes zu Boden zu stürzen, markiert als überdeutliche Metapher die verschwenderische Dekadenz. Wen kümmert’s? Madernas linke Kapitalismuskritik ist eben auch längst zu einem Museumsstück geworden.
Das Orchester in Kammerbesetzung untermalt beide Teile des Abends stilsicher unter der Leitung der beiden jungen Kapellmeister Nikolai Petersen (Medium) und Simone Di Felice (Satyricon) und erweist einmal mehr seine Flexibilität.
Michael Demel, 25. Juni 2019
Bilder: Barbara Aumüller
RINALDO
Bericht von der Wiederaufnahmepremiere am 12. Januar 2019
Frisch wie am ersten Tag
Wiederaufnahmen im Bockenheimer Depot sind eine Seltenheit. Wer bei den üblicherweise schnell ausverkauften Aufführungsserien in der Nebenspielstätte der Frankfurter Oper keine Karte ergattern kann, versäumt etwas Unwiederbringliches. Wenn nun die gefeierte Produktion von Händels Rinaldo aus dem Jahr 2017 eine zweite Auflage erfährt, dann ist dies ein Geschenk für alle Opernfreunde, die seinerzeit bei der Kartenvergabe das Nachsehen hatten. Inzwischen sind auch dieses Mal wieder sämtliche Vorstellungen ausverkauft. Es lohnt sich aber, sich an der Abendkasse um Restkarten zu bemühen. Denn die Wiederaufnahme präsentiert sich frisch wie am ersten Tag.
Wie auch bei Xerxes, der weiteren Wiederaufnahme in diesem unerklärten kleinen Händel-Festival, ist es vor allem ein Ausnahmekünstler, dem die Produktion auf den Leib geschneidert ist. Am großen Haus ist dies der Dirigent Constantinos Carydis, hier im Bockenheimer Depot der Countertenor Jakub Józef Orliński.
Jakub Józef Orliński (Rinaldo)
Bei der Vorstellung des Spielplans hatte Intendant Bernd Loebe ihn väterlich „unseren Jakub Orliński“ genannt und stolz verkündet, daß dieser neben der Wiederaufnahme auch für den Premierenzyklus von Händels Rodelinda im Mai neben der Countertenor-Legende Andreas Scholl gebucht ist. Die aktuelle Produktion jedenfalls wäre ohne Orliński in der Titelrolle kaum denkbar. Das Regieteam hat nämlich die Doppelbegabung des jungen Ausnahmekünstlers wirkungsvoll eingesetzt: Er ist nicht nur Sänger, sondern professioneller Breakdancer. Schon zur Ouvertüre präsentiert er mit einem weiteren Tänzer einen sehenswerten Schwertkampf in ausgefeilter Choreographie und mit akrobatischen Stunt-Effekten. Immer wieder gibt es im weiteren Verlauf der Handlung solche Momente von Artistik, die aber niemals aufgesetzt wirken. Stimmlich präsentiert der junge Sänger sich erneut mit klarer, gut geführter Counterstimme, die in zurückgenommen Momenten zu berühren und bei Koloraturfeuerwerken in atemberaubendem Tempo zu beeindrucken weiß.
Musikalisch ist die Produktion dem Premierenzyklus ansonsten sogar um einige Nuancen überlegen. Elisabeth Reiters farbiges und vielschichtiges Porträt der Zauberin Armida als der großen Gegenspielerin des Titelhelden präsentiert sich nun noch ausgereifter und noch differenzierter. Die Stimme ist voller und reicher geworden, hat aber ihre Geläufigkeit bei den Koloraturen nicht eingebüßt. Auch Karen Vuong kann ihre gute Leistung aus dem Premierenzyklus wiederholen. Verdienten Szenenapplaus erhält sie nach dem Wunschkonzert-Schlager Lascia ch’io pianga, den sie wieder mit ergreifender Innerlichkeit beginnt, schweben läßt und dann im Wiederholungsteil stilsicher und geschmackvoll ausziert. Julia Dawson überzeugt erneut in der Hosenrolle des Königs Goffredo, der absichtsvoll skurril als Karikatur eines Tattergreises dargestellt wird. Bei ihr wird besonders ohrenfällig, wie eine Stimme in kurzer Zeit reifen kann. Wo sie im Premierenzyklus noch ein wenig zu leichtgewichtig und hell wirkte, ist nun mehr Volumen und Fülle zu hören. Neu besetzt ist Gordon Bintner als Argante, der mit seinem saftigen Bariton die seinerzeitige (gute) Premierenbesetzung stimmlich übertrifft.
Gordon Bintner (Argante) und Elizabeth Reiter (Armida) sowie im Hintergrund Tänzerinnen
Die jungen Sängerinnen und Sänger sehen zudem allesamt blendend aus und bewegen sich auch im Vergleich zu den Profitänzern derart sicher und geschmeidig, daß die Amalgamierung von Musik, Tanz und Spiel ideal gelingt.
Im Hinblick auf die szenische Umsetzung hat sich der Premiereneindruck beim Wiedersehen bestätigt: Das ehemalige Straßenbahndepot an der Bockenheimer Warte scheint Künstler zu außerordentlichen Leistungen und insbesondere Bühnenbildner und Regisseure zu ungewöhnlichen Raumlösungen herauszufordern. Dieses Mal füllt eine riesige, abschüssige Rampe die gesamte Breite zwischen den Stahlsäulen des Saales aus. Sie dehnt sich in die Tiefe des Raumes und bleibt zunächst leer. In dieser riesigen, schwarzen Leere haben Regisseur Ted Huffmann und Choreograph Adam Weinert mit sechs Sängern, acht Tänzern und wenigen sparsam eingesetzten Requisiten ein dichtes und fesselndes Spiel arrangiert, das auch ohne Musik über die gesamte Dauer von drei Stunden das Publikum in seinen Bann ziehen könnte. Die Kostüme der männlichen Figuren sind mit Pluderhose und Wams im 16. Jahrhundert verortet, der Zeit also, in der Torquato Tasso sein Ritterepos La Gerusalemme liberata verfaßte, welches Händels Librettist als Vorlage diente. Auf leerer Bühne werden also nur leicht stilisierte, historisierende Kostümen gezeigt. Auch die zahlreichen Schwertkämpfe werden tatsächlich mit Schwertern durchgeführt.
„Post-post-Moderne“ nennt der Regisseur seinen Inszenierungsstil. Er ist fern von Aktualisierungen, aber auch fern von jeder Imitation barocken Budenzaubers. Es gibt keine Flugmaschinen und Bühneneffekte, die bei der Uraufführung zum spektakulären Erfolg von Händels ersten Oper für das Londoner Publikum wohl nicht unwesentlich beigetragen hatten. In Frankfurt ist die perfekte Choreographie mit ihrem genau kalkulierten Bewegungsvokabular und ihre Verschmelzung mit einer überzeugenden Personenregie das Spektakuläre. „Wie Rauch“ etwa sollen sich die drei Tänzer über die Bühne bewegen, welche als Furien die Zauberin Armida begleiten. So hat es der Choreograph im Begleitheft als Anspruch formuliert, und dieses Versprechen hat er eingelöst.
Abgerundet wird dieser erneut außerordentlich geglückte Abend durch die hohen Qualitäten des Orchesters. In bewährter Weise werden Stammkräfte um Spezialisten für Alte Musik ergänzt. Auf dem Fundament vibratolos und intonationssicher spielender Streicher und einer ebenso konzentrierten wie flexiblen Continuogruppe brillieren charakteristisch gefärbte Holzbläser und knackige Naturtrompeten. Wie schon im Premierenzyklus führt der hauseigene Kapellmeister Simone di Felice, der sich zum Experten für Alte Musik gemausert hat, die hochmotivierten Musiker sicher durch die abwechslungsreiche Partitur.
Michael Demel, 13. Januar 2019
Bilder: Barbara Aumüller
Kritik zur Parallelproduktion von Xerxes am Großen Haus
Steve Reich und Berit Korot
THE CAVE
Vorstellung: 18. 12. 2016
Seit Jahren bringt die Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot Uraufführungen und Opernraritäten sowie Deutsche oder Frankfurter Erstaufführungen, wie kürzlich „The Cave“ von Steve Reich. Das vom Komponisten Multimediales Oratorium in drei Teilen genannte Werk ist eine dokumentarische Video-Oper, in der Steve Reich gemeinsam mit der Videokünstlerin Berit Korot den Spuren der Beziehung zwischen Juden und Muslimen folgt und damit die 4000 Jahre alte biblische Geschichte von Abraham, seinen beiden Frauen Sara und Hagar sowie seinen Söhnen Ismaël und Isaak vergegenwärtigt. Die Uraufführung dieser „Video-Oper“ fand übrigens im Mai 1993 im Rahmen der Wiener Festwochen statt.
Die Handlung in Kurzfassung: Die Höhle Machpela in Hebron – sie ist auch die Höhle des Patriarchen – ist Ruhestätte des Erzvaters Abraham und seiner Nachkommen. Sowohl für Juden wie auch für Muslime hat die Stätte eine enorme religiöse Bedeutung, führen doch beide ihre Abstammung auf Abraham zurück.
Auf fünf großen Videoleinwänden erscheinen die Bildsequenzen von Interviews mit Israelis, Palästinensern und Amerikanern zu fünf Fragen: „Wer war Abraham?“ – „Wer war Sara?“ – „Wer war Hagar?“ – „Wer war Ismaël?“ – „Wer war Isaak?“ Die unterschiedlichen Antworten spiegeln die Sichtweisen der verschiedenen Kulturen wider und entwerfen ein Kaleidoskop an Erinnerungen und Reflexionen. Es ist eine neue Art des Musiktheaters, das Steve Reich mit seiner repetitiven Musik und Berit Korot mit ihren anschaulichen Videos, die auch die karge Landschaft um Hebron und das Gewölbe einer Moschee zeigen, unter der die Höhle von Machpela liegt, geschaffen haben.
Steve Reich (geb. 1936) studierte in Oakland unter anderem bei Darius Milhaud und Lucio Berio Komposition und begann neben dem Studium am San Francisco Tape Music Center zu arbeiten. Im Jahr 1966 gründete er das Ensemble Steve Reich and Musicians und komponierte viele Stücke für diese Gruppe, aber auch für andere Ensembles, in denen er mitspielte. Im Jahr 1976 heiratete er die Videokünstlerin Berit Korot (geb. 1945), mit der er den Sohn Ezra bekam.
Er entdeckte seine jüdische Tradition und besuchte 1977 Israel. Seit den 1970er Jahren ist er international einem breiten Publikum durch seine „Minimal Music“ bekannt. Er wurde 2006 mit dem Praemium Imperiale, dem „Nobelpreis der Künste“ ausgezeichnet, 2007 wurde ihm der Polar-Musikpreis zuerkannt und 2009 bekam er den Pulitzer-Preis verliehen.
Die israelischen, palästinensischen und amerikanischen Interviewpartner waren zum Teil Prominente – Künstler, Archäologen, Professoren, Lyriker –, aber auch Priester, Journalisten, Manager und einfache Arbeiter, also ein Querschnitt durch die Bevölkerung. Ihre Aussagen wurden auf den Video-Leinwänden, wo auch immer wieder Zitate aus dem Alten Testament zu lesen waren, zu Reichs Musik eingespielt. Da sich die Musik oftmals wiederholte, wie es bei den Komponisten der Minimal Music üblich ist, wurden auch die Zitate ausschnittsweise wiederholt, was einen eigenen, „stotternden“ Effekt ergab.
Dazu sang ein vierköpfiges britisches Sängerensemble (mit Wangenmikrophonen): die Sopranistin Joanna L’Estrange, die Mezzosopranistin Micaela Haslam, der Tenor Alastair Putt und der Bariton Tom Bullard. Die bei dieser „Video-Oper“ wichtige Klangregie oblag Norbert Ommer, für das Lichtdesign zeichnete Jürgen Koß verantwortlich.
Das Ensemble Modern, das 1980 gegründet wurde und inzwischen zu den führenden Ensembles für Neue Musik zählt, wurde vom amerikanischen Dirigenten Brad Lubman mit großem Einsatz geleitet.
Das dieser „Video-Oper“ gespannt lauschende Publikum zollte am Schluss allen Mitwirkenden lang anhaltenden Beifall.
Bilder (c) Barbara Aumüller
Udo Pacolt 20.12.2016
Besonderer Dank an unseren Kooperatiojnspartner MERKER-online (Wien)
PS:
Die „Video-Oper“ The Cave wird noch am 20. und 21. Dezember 2016 im Bockenheimer Depot gespielt. Darüber hinaus wird während des „heim:spiele“ genannten Programms des Ensemble Modern noch „Music for 18 Musicians“ von Steve Reich am 25. und 26. Dezember 2016 sowie „Spectacle Spaces“ von Mauricio Kagel und Martin Matalon am 31. Dezember 2016 und am 1., 3., 4., 5. Jänner 2017 aufgeführt.
Benjamin Britten
PAUL BUNYAN
Premiere am 9. Oktober 2016
Exil-Briten auf dem Broadway
„Amerika, das ist die Entwicklung von der Barbarei zur Dekadenz ohne Umweg über die Kultur.“ An diesen giftigen Satz von Clemenceau muß der Dichter W. H. Auden gedacht haben, als er das Libretto zu „Paul Bunyan“ schrieb. Er nahm sich darin eines Mythos an, der amerikatypisch aus einer Holzfällersage durch die Werbeindustrie zum verkaufsfördernden Maskottchen geformt wurde und in den USA große Popularität genießt. Im Grunde handelt es sich um eine amerikanische Schöpfungsgeschichte: Der riesenhafte Holzfäller Paul Bunyan zieht mit seinem blauen (!) Ochsen Babe durch das noch unbesiedelte Nordamerika, rodet die Wälder, läßt seine Axt hinter sich herschleifen, wodurch eine gewaltige Furche entsteht, die man später „Grand Canyon“ nennen wird. Indianische Ureinwohner kommen natürlich nicht vor. Als Gehilfen sammelt Bunyan hergelaufene Holzfäller um sich. Als das Rodungswerk schließlich getan ist, hält er sie dazu an, als Farmer seßhaft zu werden. Er selbst zieht davon.
Ensemble (Holzfäller)
So schlicht können Mythen sein. Und das soll ein abendfüllendes Musiktheaterstück ergeben? Natürlich nicht. Die banale Geschichte ist schnell erzählt. Das unternimmt bei Auden in der Vertonung von Benjamin Britten ein Countrysänger. Sich selbst auf der Gitarre begleitend (in der Frankfurter Aufführung sehr authentisch: Biber Herrmann) handelt der Erzähler die Sage im Balladenton mit leiernden Melodiemustern routiniert ab. Drumherum hat Auden Szenen aus dem Alltag der Holzfäller gruppiert, die insbesondere mit der Eintönigkeit der Mahlzeiten nicht zurechtkommen (täglich Bohnen und Suppe). Paul Bunyans Tochter darf sich in den Koch verlieben, so daß es auch Gelegenheit zu einem schmalzigen Liebesduett gibt. Ein besonders einfältiger Holzfäller legt sich mit dem Riesen an und wird von ihm fürchterlich verprügelt. Als Kontrastfigur stellt Auden der Horde von Waldarbeitern einen Intellektuellen gegenüber, den Bunyan als „Buchhalter“ einstellt: Jonny Inkslinger. Sein Name, „Tintenkleckser“, zeigt bereits die geringe Wertschätzung, die ihm seine bodenständigen Mitmenschen entgegenbringen. Was soll man auch von jemandem halten, der anstatt die Ärmel hochzukrempeln lieber eine Sonate komponieren oder sich mit griechischer Kunst oder spanischer Geschichte beschäftigen würde? Die lose verbundenen Szenen münden in ein Weihnachtsfest, das zu einem rechten Saufgelage wird. Die Pionierarbeit ist getan. Nun beginnt der amerikanische Alltag. Die ehemaligen Holzfäller bestellen ihre Äcker, der einfältigste von ihnen geht zur Regierung nach Washington, der Intellektuelle wird von Hollywood angeworben.
Michael McCown (Johnny Inkslinger; Bildmitte) und Ensemble
All das ist im Kern eine boshaft-ironische Abrechnung mit dem amerikanischen Selbstverständnis, dem der britische Exilant Auden satirisch verpackte Verachtung entgegenbringt. Sein Landsmann Benjamin Britten kam mit der Umgebung seines Gastlandes so wenig zurecht, daß er, zu Kriegsbeginn vor der drohenden Einziehung zum Wehrdienst geflohen, nach kurzem Aufenthalt reumütig in die britische Heimat zurückkehrte. Seine Musik zu Audens Libretto zeigt ein faszinierendes Amalgam aus Personalstil und zeitgenössischen amerikanischen Vorbildern. Es gibt Anklänge an Barbershop-Gesänge, Jazz, Folk. Gershwin und Weill lassen immer wieder grüßen. Über weite Strecken meint man, einem unmittelbaren Vorläufer von Leonard Bernstein zu lauschen. Auch wenn das Ganze unter dem Etikett „Operette“ firmiert, handelt es sich doch um ein Musical, das sich perfekt die Musiksprache des amerikanischen Exils zu eigen macht. Mit seinen wirkungsvollen Chor- und Ensembleszenen und schmissigen Songs hätte das ein Broadway-Hit werden müssen. Wurde es aber nicht. Die Amerikaner müssen gemerkt haben, daß das europäische Autorengespann ihrem Helden und seiner grobkörnigen Lebensphilosophie mit einer Mischung aus Ironie und Distanz gegenüberstehen.
Michael McCown (Johnny Inkslinger) und Ensemble (Holzfäller)
Im Bühnenbild von Johannes Leiacker muß das Land nicht mehr urbar gemacht werden. Es ist zugemüllt mit zerbeulten Riesen-Konservendosen, die natürlich Andy Warhol und seine Pop-Art-Erhöhung von „Campbells“ zitieren. Die Titelfigur tritt nicht in Person auf, sondern ist über der Szene als bartstoppeliger Riesenmund auf Holzgrund präsent. Zur Big-Brother-Haftigkeit dieses Bildes kommt die warme und sich freundlich gebende Sprechstimme von Nathaniel Webster, der man aber ebenso wenig trauen möchte, wie dem Computer HAL in Kubricks „2001“.
Brigitte Fassbaender hat sich dieses Stück für ihre zweite Frankfurter Regiearbeit gewünscht. Sie bezeichnet es als einen „Rohdiamanten“. Den hat sie mit ihrer unaufdringlichen Personenregie und unterstützt von der Choerographin Marie Stockhausen zu einem funkelnden Schmuckstück geschliffen. Der Abfolge von kraftvollen Ensembleauftritten und entspannten Solonummern geht nie der Atem aus. Man wird zwei Stunden lang gut und intelligent unterhalten. Fassbaender steht ein Ensemble aus jungen und ungeheuer engagierten Sängern zur Verfügung. Der Chor rekrutiert sich aus handverlesenen Studenten der Musikhochschulen Frankfurt und Mannheim. In den Solopartien dürfen sich einige Neuzugänge des Frankfurter Opernstudios bewähren. So machen Elizabeth Sutphen als Bunyans Tochter mit glockenreinem Sopran und Mikołaj Trąbka mit gut fokussiertem, angenehm gerundetem Bariton auf sich aufmerksam. Zu den Frankfurter Stammkräften zählt Michael McCown, der sich seit vielen Jahren mit großem Engagement in vielen Nebenrollen als Stütze des Ensembles erwiesen hat, und der nun endlich wieder einmal die Gelegenheit hat, sich in einer tragenden Rolle zu präsentieren. Er liefert ein vorzügliches Porträt des Intellektuellen Inkslinger ab. Sein heller und von Kopfresonanz geprägter Tenor kommt bei Britten ideal zur Geltung. In guter Verfassung zeigt sich erneut auch Michael Porter in der kleinen aber feinen Rolle als Koch und jugendlicher Liebhaber. Große Freude an ihren Rollen als kommentierende, sprechende Tiere haben Julia Dawson und Cecelia Hall mit genußvoll ausgesungenen Katzentönen und Sydney Mancasola als treudoofer Hund Fido.
Mikołaj Trąbka (John Shears), Elizabeth Sutphen (Tiny) und Michael McCown (Johnny Inkslinger) sowie im Hintergrund Sebastian Geyer (Hel Helson)
Das Orchester schließlich unter der souveränen Leitung von Nikolai Petersen hat ein ebenso gutes Gespür für die süffigen Broadway-Töne wie für den harmonisch geschärften Britten-Klang. Obwohl das Orchester links neben der Bühne platziert ist, kommt der Klang auf der Zuschauertribüne direkt, voll, zugleich transparent und gut durchhörbar an.
Allen Beteiligten ist der Spaß an der Sache anzumerken. Ob sich das Stück einen Platz im Repertoire erobern wird, darf man bezweifeln. Man wird es so bald also nicht wieder geboten bekommen, schon gar nicht in einer derart stimmigen Produktion. Ein Besuch der funkensprühenden Frankfurter Aufführungsserie kann daher uneingeschränkt empfohlen werden.
Michael Demel, 15. Oktober 2016
Bilder: Barbara Aumüller
RADAMISTO
Premiere am 3. April 2016
Ein barockes Stimmfest
Die Oper Frankfurt führt ihre unerklärten Händel-Festspiele nach einer Wiederaufnahme des „Giulio Cesare“ mit Counter-Star Andreas Scholl und einem heftig akklamierten szenischen „Messiah“ nun mit einer Neuproduktion des „Radamisto“ im Bockenheimer Depot zu einem triumphalen Abschluß. Händel hatte die Oper als Einstandswerk für die „Royal Academy of Music“ komponiert – eine Aktiengesellschaft. Man wollte mit großen Stimmen Geld verdienen. Und so ätzte eine zeitgenössische Musikzeitschrift: „Während der Probe am vergangenen Freitag gelang es dem Soprankastraten, einen halben Ton höher zu singen als bisher – die Aktien stiegen von 83 ½, als er begann, auf 90, als er aufhörte.“
An der Oper Frankfurt steigen die Opernaktien in der Premiere von Händels Meisterwerk bereits mit dem ersten Ton. Er stammt von Paula Murrihy in der Rolle der von ihrem Gatten verschmähten Polissena. Schon dieser erste Ton ist ein Muster an Gestaltungskunst. Ernst, würdevoll und schmerzhaft zugleich ist in diesem Ton bereits die gesamte Figur enthalten. Der bittersüße Schmelz, den man schon in Murrihys „Dido“ vor einigen Spielzeiten bewundern konnte, ist erneut zu hören. Die Stimme ist seitdem farbiger geworden, aber auch voluminöser. Ihre charakteristischen vibratolosen Tonansätze werden sparsamer und gezielter dosiert, reihen sich ein in eine Fülle präzise den jeweiligen Stimmungen angepaßten Valeurs.
Eine weitere Steigerung erlebt der Aktienkurs mit dem Einsatz von Vince Yi als Fraarte. Man reibt sich die Augen und kann es kaum glauben, daß diese glockenreinen Soprantöne von einem Mann produziert werden. Fasziniert lauscht man den makellosen Koloraturen. Eine solche Mühelosigkeit und Natürlichkeit hat man bei Counter-Stimmen nicht für möglich gehalten.
Artifizieller und dadurch in einem reizvollen Kontrast dazu steht das Timbre von Dmitry Egorov in der Titelpartie. Der Aktienkurs hält seinen hohen Stand, wenn Egorov mit charakteristischem Falsett-Mezzo den oft zaudernden Königssohn zeichnet. Die Stimme tönt angenehm füllig und wird immer wieder mit einem geschmackvollen Vibrato angereichert. Im weiteren Verlauf offenbart der Sänger, daß auch seine Baritonlage ansprechend klingt, wenn er mit verstellter Stimme in der Verkleidung des Dieners Ismeno auftritt.
Zu einem weiteren Höhenflug setzt die Händel-Aktie mit dem Einsatz von Kihwan Sim an, der den Tyrannen Tiridate als Bilderbuch-Schurken gibt: böse, zynisch, roh und brutal. All das wird mit den stimmlichen Mitteln eines Prachtbaritons gezeichnet, der Kraft und Volumen mit schwarzer Tiefe, mühelos ansprechender Höhe und dabei wie selbstverständlich wirkender Geläufigkeit vereint. Nach seinem fabelhaften „Oberto“ zeigt das Ensemblemitglied erneut seine herausragenden Qualitäten.
Gaëlle Arquez gibt die Zenobia, treue Gattin des Radamisto und Objekt der Begierde des Tiridate, mit genau der Verve und der lodernden Glut, die in den beiden vergangenen Spielzeiten bereits ihre umjubelten Auftritte als Medea in Händels „Teseo“ und Nerone in Monteverdis „Incoronazione di Poppea“ ausgezeichnet haben.
Dieses herausragende Spitzenquintett wird ohne Niveauverlust von zwei Sängern ergänzt, die derzeit noch dem Frankfurter Opernstudio angehören, aber eindrücklich unter Beweis stellen, daß es eine Untertreibung wäre, lediglich von „Hoffnungen“ für das jeweilige Stimmfach zu sprechen: Danae Kontora, die mit quirligem Sopran in der Hosenrolle des Tigrane reüssiert, und Thomas Faulkner, der Radamistos Vater Farasmane mit seinem kultivierten Bariton Würde verleiht.
Kurz: Es ist ein Sängerfest zu erleben. Das musikalische Niveau könnte kaum höher sein. Und doch ist all die staunenswerte und wie selbstverständlich präsentierte Vokalakrobatik kein Selbstzweck. Jede Partie ist mit einer genau den Charakter treffenden Stimme besetzt, alle musikalisch souverän beherrschten Mittel münden in eine klangbildnerische Darstellungskunst, die im Spiel der jungen Sänger ihre Entsprechung findet.
Eingangsbild mit dem kompletten Sängerensemble
Das Einheitsbühnenbild besteht aus einer aufsteigenden Holztreppe mit steilen Stufen (Bühnenbild von Karoly Risz). Das muß genügen. Hier zeigt sich die hohe Kunst der Personenführung durch Regisseur Tilmann Köhler. Präzise und mit unaufdringlicher Selbstverständlichkeit wird die Treppe ohne sonstige Kulissenelemente und mit einem Minimum an Requisiten bespielt. Durch die darstellerische Hingabe der Protagonisten gelingt so ein Kammerspiel, das in drei Stunden Dauer nie an Spannung verliert und nirgends durchhängt. Unterstützt wird das durch eine ausgefeilte Lichtregie (Joachim Klein), die auf der kahlen Bühne Räume abzirkelt, mit Farb- und Helligkeitsnuancen die dominierende Treppe vielgestaltig erscheinen läßt und effektvolle Schattenwirkungen erzeugen kann.
Ein auf dem Papier gewohnt barock-verwirrendes Libretto wird mit größtmöglicher Plastizität durch das Herauspräparieren der Personenbeziehungen verständlich gemacht: Königssohn Radamisto ist mit Zenobia glücklich verheiratet, die aber von Tiridate, Herrscher des Nachbarreiches, begehrt wird, der wiederum mit Radamistos Schwester Polissena verehelicht ist. Tiridate zettelt einen Krieg an, um Zenobia zu gewinnen, verwüstet das Herrschaftsgebiet des Radamisto, nimmt dessen Vater Farasmane gefangen, kann auch Zenobia schließlich in seine Gewalt bringen, wird aber zu guter Letzt durch die Treue Polissenas geläutert.
Gaëlle Arquez und Dimitri Egorov
Die privaten Gelüste des Tyrannen bringen Tod und Verwüstung und machen seine Opfer zu heimatlosen Flüchtlingen. Aktuelle Bezüge zu den Bürgerkriegen im Nahen Osten drängen sich auf. So, wie schon im Libretto das Beziehungsgeflecht der Protagonisten vor dem Hintergrund kriegerischer Staatsaktionen ausgebreitet wird, wird die auf individuelle Charakterisierung abzielende Inszenierung von aktuellen Videobildern mit Truppenaufmärschen, zerbombten Städten und Flüchtlingslagern überblendet (Videos von Bibi Abel). Durch Projektion auf die Holztreppe wirken diese Bilder lamellenartig gebrochen und verfremdet. Sie bieten keinen platten Kulissenersatz, sondern dosiert eingesetzte Kommentare. An einer Stelle wird die Überblendung sogar als Mittel von Ironie eingesetzt. Im zweiten Teil verschwören sich Tigrane und Fraarte gegen den Tyrannen Tiridate und rüsten zu dessen blutigem Sturz. Da beide Rollen aber Sopranstimmen anvertraut sind, klingt das geradezu putzig. Diesen Kontrast von niedlicher Hülle und brutalem Inhalt nimmt die dazu verwendete Videoeinblendung auf, die einen Manga-Comic zeigt, in dem ein blutiges Gemetzel von den typischen kindlichen Figuren mit unschuldig-großen Kulleraugen angerichtet wird.
Vince Yi (Fraarte) und Danae Kontora (Tigrane)
So sehr der Regisseur sich klug mit „Einfällen“ zurückhält, so dankbar ist man ihm für den Kontrapunkt, den er zum wie immer haarsträubenden Lieto fine setzt. Nachdem sich Tiridate drei Stunden lang als Tyrann aus dem Musterbuch des machiavellistischen Herrschaftszynismus erwiesen hat, soll er von jetzt auf gleich geläutert sein und unziemlichem sexuellem Begehren wie Machtgier entsagen? Das glaubt kein Mensch. Und so arbeitet sich Tiridate beim laut Libretto optimistischen Finale von hinten nach vorne kehlenschlitzend durch das auf der Treppe versammelte Bühnenpersonal, so daß der jubelnde Schlußchor von Ermordeten geträllert werden muß. Eine boshafte, aber treffende Pointe, die den unglaubwürdigen Schluß durch schwarzen Humor genießbar macht.
Für einen erstklassigen Barocksound auf der Höhe historisch informierter Aufführungspraxis sorgt das Orchester unter der unaufdringlichen Leitung von Simone Di Felice. Die Streicher rekrutieren sich aus der Stammbesetzung. Wie schon im „Giulio Cesare“ und im „Messiah“ bestätigen sie ihre stilistische Vielseitigkeit mit vibratoarmem Spiel und plastisch-beredter Artikulation. Der Klang ist dabei keineswegs anämisch, sondern voll und farbig, aber klar und gut durchhörbar. Adäquat ergänzt wird der Streicherklang von bewährten Spezialisten an barocken Blasinstrumenten mit ihren charakteristischen Klangfarben. Besonders erwähnt werden müssen die schlicht-ergreifende Solo-Oboe, die fabelhaften Naturtrompeten und die beiden Virtuosen an den Naturhörnern.
Paula Murrihy, Kiwan Sim, Gaëlle Arquez, Dimitri Egorov und Thomas Faulkner
Zu berichten ist also von einem restlosen Gelingen in allen Bereichen der Produktion, von überzeugenden Einzelleistungen, die sich zu einem stimmigen Ganzen fügen. Dieses Gelingen ist indes mehr als der Zufall einer glücklichen Fügung. Der Erfolg beruht vielmehr auf dem gezielten Einsatz sorgsam und über Jahre entwickelter Stärken der Frankfurter Oper. Mit Paula Murrihy und Kiwan Sim sind zwei der herausragenden Sänger des Ensembles eingesetzt, die beide dem Opernstudio entstammen und von Intendant Loebe mit sorgsam ausgewählten Einsätzen über Jahre behutsam aufgebaut wurden. Dmitry Egorov konnte sich schon in mehreren Nebenrolleneinsätzen als Gast am Opernhaus bewähren und wird nun völlig zurecht endlich in einer Hauptrolle präsentiert. Gaëlle Arquez begeistert in schöner Regelmäßigkeit einmal pro Jahr in einer Barockproduktion. Konzertmeister Ingo de Haas hat es sich nicht nehmen lassen, das klein besetzte Orchester anzuführen. Simone Di Felice, Solorepetitor des Opernhauses, ist inzwischen in barocker Aufführungspraxis derart sattelfest, daß man auf einen der Stars der Alten-Musik-Szene am Pult ohne Qualitätseinbußen verzichten kann. Die Jugend und Frische von Ensemble und Produktionsteam lenken davon ab, daß dessen Zusammenstellung Ergebnis eines mehrjährigen Reifeprozesses ist. Nicht immer geht die „Methode Loebe“ derart beglückend auf.
Kein Liebhaber barocker Stimmfeste sollte sich diese Produktion entgehen lassen. Karten für die Folgevorstellungen gibt es nur noch vereinzelt. Man kann sein Glück aber an der Abendkasse versuchen. Der Einsatz lohnt sich.
Michael Demel, 5. April 2016
Bilder: Barbara Aumüller
Valentino Fioravanti:
LE CANTATRICI VILLANE
Premierenbericht vom 23. Januar 2016
Eine Leistungsschau der Frankfurter Talentschmiede
Es soll eine von Napoleons Lieblingsopern gewesen sein. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war sie außerordentlich populär. Sogar Goethe inszenierte sie in Weimar. Heute aber sind der Komponist Valentino Fioravanti und sein Erfolgsstück „Le cantatrici villane“ völlig in Vergessenheit geraten. Selbst in Ulrich Schreibers monumentaler Geschichte des Musiktheaters in fünf Bänden taucht der Name des Komponisten bloß ein einziges Mal in einem abfälligen Nebensatz auf, wo er als „längst vergessener Traditionalist“ geschmäht wird. Daß dieses Urteil ungerecht ist, zeigt die jüngste Premiere der Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot. Das 1799 in Neapel uraufgeführte Dramma giocoso steht musikalisch natürlich in der Tradition seiner Zeit, klingt aber gerade in den Ensemble-Nummern schon wie früher Rossini. Was dem Orchestersatz an harmonischer Finesse fehlt, macht er durch farbige Instrumentierung wett. Unter der zupackenden Leitung von Karsten Januschke präsentiert das Frankfurter Opernorchester die Partitur frisch und energiegeladen. Durch geschärfte Akzente entsteht ein unwiderstehlicher rhythmischer Drive. Die Streicher spielen historisierend vibratoarm und sorgen für ein transparentes und doch tongesättigtes Klanggerüst. Die Holzbläser bewältigen ihre mitunter virtuos fordernden Partien (Klarinette! Oboe!) tadellos. Die Hörner setzen präzise Farbakzente. In dieser konzentrierten und doch lockeren Selbstverständlichkeit hätte man den Musikern selbst beim Spielen von Tonleitern gerne eine Weile zugehört.
Karsten Januschke (Musikalische Leitung; mit dem Rücken zum Betrachter) und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester sowie im Hintergrund das Ensemble
Ansteckende Spiellaune herrscht auch auf der Bühne. Der Dirigent Don Bucefalo entdeckt auf dem Lande gleich vier talentierte Sopranstimmen, die er zu Opernstars aufbauen will. Ein vergnüglicher Sängerinnenwettstreit entbrennt. Daß sowohl der Dirigent als auch sein unbegabter, aber finanzkräftiger Gesangsschüler Don Marco sich an je eine der Damen heranwanzen, führt zu amourösen Weiterungen. Für zusätzliche Verwicklungen sorgt der aus dem Krieg heimkehrende, verschollen geglaubte Ehemann ausgerechnet der Sängerin, auf die Don Bucefalo es abgesehen hat. Es ist ein typischer Buffa-Plot, der keinen Anspruch auf Tiefe erhebt. Reizvoll ist der Stoff durch seine Theater-im-Theater-Konstellation. „Spieglein, Spieglein“ hat die Dramaturgin Deborah Einspieler ihren Einführungsessay im Programmheft überschrieben. Die Inszenierung von Caterina Panti Liberovici ist dementsprechend gespickt mit Frankfurter Selbstreferenzen. So sind die großen Vorbilder der angehenden Sängerinnen „La Mahnke“ und „La Murrihy“, die dargestellten Proben dienen einer angeblichen Aufführung im „Bockenheimer Depot“, dessen Eingangsbereich als Projektion im Bühnenbild des zweiten Teils zitiert wird. Bühnenbildner Sergio Mariotti läßt das Stück in einem Zuschauerraum spielen. Anders als im realen Zuschauerraum des Bockenheimer Depots sind die Klappsitze auf der Bühne aber rot. Es soll eben nicht dem Publikum ein Spiegel vorgehalten werden, sondern dem Theaterapparat selbst. Das Produktionsteam übertreibt es dabei nicht mit aufgepfropften Gags, setzt aktualisierende Akzente etwa bei der Übertitelung dezent ein und erzeugt eine spielerische Heiterkeit, die unverkrampft über zwei Stunden Spieldauer trägt.
Michael Porter (Carlino), Jessica Strong (Rosa), Björn Bürger (Don Bucefalo), Thomas Faulkner (Don Marco), Maren Favela (Giannetta) und Karen Vuong (Agata)
Die Sängerbesetzung schöpft aus der staunenswerten Fülle an jungen Talenten des hauseigenen Ensembles und Opernstudios. Im Zentrum steht der wunderbare Björn Bürger, der mit seinem Prachtbariton und großem Spielwitz die Buffopartie des Don Bucefalo zur großen Nummer macht. Den Don Marco gibt Thomas Faulkner schlaksig-tapsig und kann seinen eleganten Baßbariton auch bei solchen Stellen nicht verbergen, wo er gehalten ist, absichtlich falsch zu singen. Es wäre ein Gewinn, wenn er recht bald vom Opernstudio ins feste Ensemble übernommen werden könnte. Diesen Weg ist Michael Porter bereits gegangen, der zuletzt als Steuermann im „Fliegenden Holländer“ auf sich aufmerksam gemacht hat. Hier singt er den eifersüchtigen Ehemann Carlino mit lyrischem Mozarttenor. Da dürften in kommenden Spielzeiten bald der Tamino und der Ferrando anstehen, auf die man sich freuen kann.
Bei den vier Sängerinnen hat der Komponist eine klare Rangstufung vorgenommen. So darf Jessica Strong sich als Rosa in der musikalisch attraktivsten, aber auch virtuosesten Partie präsentieren. Es gelingt ihr mit Leichtigkeit. Ihr enormes Potential zu differenzierter stimmlicher Rollengestaltung kommt aber erst durch einen musikalisch-szenischen Eingriff der Regisseurin zum Vorschein. Im ursprünglichen Libretto soll die Sängerin an einem Probestück nach wenigen Takten scheitern. In der Frankfurter Produktion jedoch wird an dieser Stelle eine originale Gluck-Arie aus der Oper „Ezio“ in voller Länge dargeboten, die im Gegenteil glänzend bewältigt wird. Sie bietet einen ernsten, erfüllten Ruhepol im turbulenten Geschehen. Jessica Strong singt diese Arie in differenzierter Vollendung und wird dabei von Januschke und seinen Musikern auf Händen getragen. Wenn demnächst die Frankfurter Inszenierung von Glucks „Ezio“ wiederaufgenommen werden sollte, dann möchten wir unbedingt „La Strong“ als Fulvia hören und bitte auch Januschke im Orchestergraben erleben.
Björn Bürger (Don Bucefalo), Jessica Strong (Rosa) und Karen Vuong (Agata) sowie Michael Porter (Carlino)und Statisterie der Oper Frankfurt (Carlinos Schatten)
Nach dem Willen der Partitur darf Karen Vuong als Agata nicht die Primadonna sein. Sie verfügt für ihren ebenfalls mit einigen halsbrecherischen Koloraturen gespickten Part über die im Vergleich zur Strong üppigere, auch schwerere Stimme, was einen reizvollen Kontrast ergibt. Den dritten Platz teilen sich Maren Favela als Giannetta und Katharina Ruckgraber als Nunziella, die in ihren kleineren Partien glänzen können.
Musikalisch und szenisch läßt die Produktion ein vergessenes Stück in bestem Licht erscheinen. Diese Ausgrabung sollte nicht nur Musikhistoriker interessieren. Sie bietet rechtzeitig zur Karnevalssaison zwei heitere Stunden guter Unterhaltung verbunden mit einer Leistungsschau der Frankfurter Talentschmiede.
Michael Demel, 25. Januar 2016
Weitere Vorstellungen am 27., 29. und 31. Januar sowie am 4., 6. und 7. Februar.
Bilder: Barbara Aumüller
Monteverdis ernst-heiteres Welttheater...
L’INCORONAZIONE DI POPPEA
Premiere am 20.12. 2014 im Bockenheimer Depot
... ist kein Tempel der Tugend, sondern es siegt das Verruchte – mit himmlischem Gesang
Monteverdi ist zwar nicht der Erfinder der Oper, aber seine drei erhaltenen Opern sind die ältesten, die man auch heute noch mit großer Regelmäßigkeit auf den Spielplänen der Häuser in aller Welt findet. Nun schließt die Oper Frankfurt ihren Monteverdi-Zyklus im Bockenheimer Depot mit acht Aufführungen seines Spätwerks ab, einer der ersten Opern überhaupt, die für ein öffentliches Theater geschrieben wurden. Monteverdi und sein Librettist Francesco Busenello verarbeiten keinen Stoff aus der griechischen Mythologie mehr, sondern wenden sich einem historischen Thema aus dem frühen römischen Kaiserreich zu. Hier gibt es genügend verruchte operntaugliche Gestalten, die noch bis in die jüngste Gegenwart herangezogen wurden (z.B. Detlev Glanert: Caligula – 2006 auch in Frankfurt).
Mit der Anlage der Handlung sind über 100 Jahre Barockoper vorgezeichnet. Es gibt einen wahren historischen Hintergrund, vor welchem sich weniger authentische persönliche Beziehungsgeschichten abspielen. Der Librettist bezog seine historischen Kenntnisse von Tacitus. Die handelnden Figuren zeichnete er, wie sie zum Karneval passten: da wurde es schon früher in Venedig mit der „Moral“ nicht so ernst genommen: jährlicher von der Kirche sanktionierter Freigang. Monteverdis Oper ist ein Welttheater mit Gottheits-Allegorien, mit der „feinen“ Gesellschaft der Herrschenden und dem niederen Volk mit Figuren aus der commedia dell’arte.
Römer bejubeln den Imperator
Die Regisseurin Ute M. Engelhardt, bis vor kurzem noch Regieassistentin am Frankfurter Haus, lässt diese Dreischichtigkeit in der recht einfachen Szenographie von Hulia Müer verdeutlichen. Hinten auf der Bühne befindet sich ein aus dem Lot und dem Leim gegangenes hohes Baugerüst. In diesen „wolkigen Höhen wohnen die Götter“, die sich im Prolog gerade um die Macht über das Schicksal der Menschen streiten. Die sollten ja von den Göttern geleitet und behütet werden, aber Amor obsiegt im Streit, treibt das danach vorgestellte Spiel mit dem doppelten Ehebruch und greift anders als seine Kolleginnen Virtù und Fortuna sogar direkt in die Handlung ein. Aber wehe, wehe, wehe! Wenn ich auf das Ende sehe!
Hinter dem Göttergestell ist ein großer Schirm gespannt, auf welchem zu Beginn der römischen Plebs als Schattenfiguren Nero für panem et circensis zujubelt. Vor dem Gestell spielen abwechselnd die Herrschenden und die Diener. Geeignete Requisiten zur Verdeutlichung des Geschehens werden auf zwei Schlitten von der Seite hereingezogen. Es kommt z.B. ein Modell des Forums mit Triumphbogen herein (als Bett für Poppeas und Nerones Lüderlichkeit hergerichtet) oder ein riesiges Sofa, auf dem die einsame Ottavia die Untreue ihres Mannes beweint; auf einem solchen Sofa kommt man sich nicht automatisch nahe... Der über Anstand und Sitte salbadernde Seneca tritt mit einem vielseitig ausgestatten Bollerwagen auf. Unten liegen Schriftrollen seiner Ergüsse. Oben Nürnberger Trichter (?), mit denen er den skeptischen Untertanen Moral eintrichtern will? Oder handelt es sich um eine kuriose spracherkennende Druckmaschine, die seine Worte gleich auf Papierstreifen ediert, an denen er zum Schluss selber erstickt? Aber dann erweisen sich die Trichter als Füllhörner auf dem zurück gelassenen Wagen, die genügend Stoff für ein rauschendes Völlerei-Gelage beinhalten. So reihen sich 36 Szenen mit teilweise polterndem Wechsel der Bühnenmöblierung; die heiteren Seiten des Geschehens überdecken dessen ernste Aspekte, ein Eindruck der durch Kostümierung und Ausstaffierung des handelnden Personals noch verstärkt wird. Die Personen in ihrem ewig gleichen Geschäft von Niedertracht, Verzweiflung und Triumph steckt die Kostümbildnerin Katharina Tasch in Kostüme zwischen antikisierend, modern und gänzlich verulkt, wozu noch etliche bizarre Masken kommen. Nerone und Poppea treten zu Anfang im Partner-Look auf. Von allem etwas in der Inszenierung. Zu einem geschlossenen Ganzen vermögen sich die überwiegend originellen Einzelbilder indes nicht zu vereinigen. Die Botschaft lautet: jeder treibe es, wie er will; aber im Vorteil sind (vorübergehend) die, die einen Plan haben.
Gaëlle Arquez (Nerone), Naomi O'Connell (Poppea)
Eine Konstante der Inszenierung ist der ewig lamentierende Verlierer und Poppea-Ehemann Ottone. Er verzweifelt am Treiben seiner Frau Poppea mit Nerone, lässt sich von dessen Frau Ottavia zu einem Mordanschlag auf die Edelhure verleiten, für das er die Kleider seiner Anbeterin Drusilla überzieht. Dank des Eingreifens des spielbestimmenden Amore missglückt der Anschlag; alles kommt heraus. Nero verbannt seine Gattin und Ottone, dem Drusilla ins Exil folgt. Ottavia sieht man auf schwankendem Boot im Hintergrund abreisen. Da der Moralapostel Seneca schon verstummt ist, ist der Weg für Poppea und Nerone frei. Er krönt sie zu seiner Frau. Ihr fast bühnenbedeckendes Schleppenkleid gibt beim Weggehen den Blick auf einige abgeschlagene Köpfe frei (sie geht im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen). Zum betörenden Schlussduett Poppeas und Nerones lässt die Regie auf dem rückwärtigen Schirm projizieren, wie Rom später brennen würde, als ob Poppeas Krönung dafür kausal wäre. Wenn man nun historusch auf das Ende sieht: die Hochzeit/Krönung der Poppea fand im Jahre 62 statt; der Brand von Rom ist für das Jahr 64 verbürgt. Die schwangere Poppea starb im Jahr 65 angeblich an einem Fußtritt Neros in den Unterleib. Er überlebte sie nur drei Jahre; er wurde zum Volksfeind erstach sich angesichts seiner drohenden Absetzung 31-jährig im Jahre 68. Dieses Ende hat Amore wohl nicht vorhergesehen, der wie ein Spitzenpolitiker das Volk direkt beglücken wollte.
Alfred Reiter (Seneca)
L‘incoronazione di Poppea war die letzte Oper des fast schon 75-jährigen Komponisten, die in zwei nicht originalen Fassungen überliefert ist. In Frankfurt wird die venezianische Fassung gespielt, Rezitative und Duette sind hingegen aus der neapolitanischen Fassung genommen. In den meisten Monteverdi-Partituren sind nur die Gesangslinien und der Generalbass notiert, dazu die sinfonia und einige Ritornelle mit „vollem“ Ensemble, das hier aus achtzehn spezialisierten Gästen und Mitgliedern des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters mit Originalinstrumenten bestand (Die andere „Hälfte“ spielte im Opernhaus zur gleichen Zeit Bellini). Die Partitur war von Andreas Küppers arrangiert worden. Er saß selbst am Cembalo und bediente auch Orgel und Perkussion. Er hatte bei fast allen Gesangsstücken auf die zusätzliche Notierung der Mittelstimmen verzichtet, so dass die Violinisten und Bläser wenig zu tun hatten und die Sänger durch jeweils charakteristische Kombinationen der Zupf- und Tasteninstrumente und die tiefen Continuo-Streicher begleitet wurden. Das führte bei vielen Gesangspassagen zu einem recht trockenen Klang. Am Pult lieferte an diesem Abend ein weiterer Nachwuchskünstler sein erstes Dirigat ab. Solorepetitor Simone Di Felice hatte die musikalische Leitung des Abends inne, spielte selbst Passagen auf dem zweiten Cembalo und sorgte für die gerade im frühen Barock so wichtige Präzision und Genauigkeit auch im Zusammenspiel zwischen „Graben“ und Bühne. Mehr als rhythmische und harmonische Stütze für die Gesangssolisten enthält die Partitur nicht; erst die späteren reichlicher instrumentierten und voll notierten Partituren des Barock überlassen den Instrumentalisten auch Farben und Affekte. Einige Musiker spielten abwechselnd mehrere Instrumente, wobei die Kombination von Zink, Blockflöte und Gitarre die ungewöhnlichste war.
in blauem Umhang Gaëlle Arquez (Nerone), in blauem Rock Anna Ryberg (Drusilla)
und in schwarzem Samtmantel Francisco Brito (Lucano); Ensemble
Der Besetzungszettel zeigt 25 Rollen auf, die auf 15 Solisten verteilt sind. Von denen sind nur sieben wirkliche Nebenrollen und diese auf drei Solisten verteilt. Bei diesem Auftritt versteht man, warum das Opernhaus Frankfurt am gleichen Abend im Haupthaus nur noch La Sonnambula spielen konnte, für die man nur sieben Solisten braucht... Die Leistungen der Gesangssolisten setzten dem Abend musikalisch die Krone auf. Allen voran, ohne die Mitglieder des Frankfurter Ensembles herabwürdigen zu wollen, zwei Gastsängerinnen. Die französische Mezzosopranistin Gaëlle Arquez ist dem Frankfurter Publikum noch von ihrer fulminanten Medea aus Händels Teseo in Erinnerung. Sie brachte an diesem Abend als Nerone das recitar cantando mit überragender und leicht geschärfter Diktion auf den Punkt und begeisterte mit ihrem sehr hellen, klaren und beweglichen Mezzo in strahlenden Höhen und kräftigen Tiefen. Dazu verkörperte sie den menschenverachtenden Egomanen darstellerisch in idealer Wendigkeit. Das „hohe Paar“ komplettierte als Poppea Naomi O’Connell ein zweiter Mezzosopran mit raffiniert weich ansprechender Stimme, warmem Timbre und verführerischer Geschmeidigkeit. Schauspielerisch machte sie in gefälligen Szenen, die nicht die Grenzen des guten Geschmacks rührten klar, dass es ihre Begabung in horizontaler Tätigkeit ist, die sie für Nerone unwiderstehlich machen.
Naomi O'Connell (Poppea) und William Towers (Ottone)
Claudia Mahnke als Ottavia war die dritte im Bunde starker Mezzosopranistinnen; im Bunde mit den beiden anderen stand sie aber dramaturgisch gar nicht. Vereinsamt auf ihrem langen Sofa ließ sie in ihren Lamenti ihre üppige Stimme leuchten und glühen. William Towers brauchte als Poppeas Mann Ottone für seine Rolle Nuancierungvermögen nicht groß zu bemühen. Gewollt oder ungewollt blieb er eindimensional in seinem Gejammer als geborener Verlierer der Geschichte. Von Drusilla (Anna Ryberg mit etwas ausladendem, nuancierendem Sopran) will er sich nicht trösten lassen. Sehr gut gefiel Alfred Reiter in der Rolle des Seneca als sonorer basso profondo, den er schön strömend und dabei bestens konturierend salbadern ließ. Hans-Jürgen Lazars Amme Arnalta war buffonesk gestaltet; stimmlich brachte Lazar seinen, schlanken Tenor ein. Als der sich im letzten Akt plötzlich hörbar belegte, räusperte es das so nonchalant und professionell weg, als ob es so notiert wäre. Eine prächtige Leistung brachte Elizabeth Reiter, die sich mehrfach zwischen Amore (als plumpe Witzfigur auswattiert) und dem Diener Valletto umziehen musste, den sie mit ihrem quicklebendigen hellen glockenklaren Sopran gestaltete und mit ihrer Wendigkeit spritzig verkörperte. Ein häufiger, verlässlicher Gast in Frankfurt ist der Counter Martin Wölfel, dem die ulkig-steife Rolle der Nutrice anvertraut war, hier im Rollendebut. Mit Francisco Brito kehrte ein früheres Mitglied des Frankfurter Opernstudios zurück und übernahm neben der Rolle des Lucano noch die von Liberto und Littore und gefiel als Tenorbuffo mit bronzener Stimme. --- Mit ihrem hinreißend vorgetragenen traumschönen „Pur ti miro, pur ti godo“ hinterließen Gaëlle Arquez und Naomi O’Connell den letzten musikalischen Eindruck des Abends, und der ist bekanntlich der nachhaltigste. Das klang wie echte Liebe.
Naomi O'Connell (Poppea) und Gaëlle Arquez (Nerone)
Die Aufführungen von Barockopern im Bockenheimer Depot brauchen derzeit nichts weniger als Berichte und Kritiken zur Bekanntmachung und Information. Die vorauseilende Zuwendung des Publikums führte auch in diesem Fall dazu, dass schon Wochen vor dem Premierentag alle acht Aufführungen ausverkauft waren. Hier und da kommt aber ein Platz zurück; schauen Sie bei Interesse mal nach. Außerdem räumt das Theater am Abend immer noch ein oder zwei Dutzend Stühle dazu, damit niemand nach Hause gehen muss. Denn wenn man sich an einer nicht besonders stringenten, teilweise auch beliebigen Regie nicht stört, kann man im Bockenheimer Depot alte Oper vom Feinsten genießen. Das Premierenpublikum war dafür der beste Beweis: sogar in Frankfurt selten, wie konzentriert es war. Es geht ihm um die Musik und nicht ums Gesehenwerden an einem Platz, der „in“ geworden ist.
Manfred Langer, 22.10.2014 Fotos: Monika Rittershaus
Wieder einmal das „Besondere“ im Bockenheimer Depot
ORPHEUS
oder Die wunderbare Beständigkeit der Liebe (Georg Philipp Telemann)
Premiere am 25.05.2014
Polystilistische Oper auf ganz modern und dennoch „werktreu“
Dass Georg Philipp Telemann einer der produktivsten deutschen Komponisten im Bereich der Instrumental- und Kirchenmusik (allein 1750 Kantaten) war, hat ihn als Vielschreiber suspekt gemacht. Nach seinem Tode wurde die Musik des zu seinen Lebzeiten in der ganzen Musikwelt berühmten Komponisten fast vergessen; selbst an der Barockmusik-Renaissance hat er nicht in gleichem Maße teilgenommen wie seine Zeitgenossen Bach und Händel. Als Opernkomponist ist Telemann weniger bekannt, obwohl etwa 50 Werke seiner Feder entstammen, überwiegend komischen Opern, von denen die meisten verloren gegangen sind. Heute begegnet man Telemann auf den Opernbühnen nur noch selten. Da Telemann in seiner Hamburger Zeit auch zum Leiter des Opernhauses am Gänsemarkt bestellt wurde, fand hier sein Opernschaffen seinen Höhepunkt. Das Gänsemarkttheater verfügte über 2.000 Plätze (bei einer Einwohnerzahl von ca. 75.000 für Hamburg zur gleichen Zeit; daraus erhellt, was für eine enorme Bedeutung das Theater hatte). Theater- und Opernstoffe dienten nicht nur der Unterhaltung, sondern auch der Erbauung und Belehrung. Der Alternativtitel von Telemanns Orpheus-Oper lässt dieses Moralisieren und Belehren erahnen. Die Oper wurde 1726 konzertant uraufgeführt; erst 1736 folgte eine szenische Produktion unter dem Titel „Die rachbegierige Liebe oder Orasia, verwitwete Königin in Thracien“. Den Text hatte Telemann selber nach einer französischen Tragödienvorlage verfasst.
Auf der Oberwelt:
im Vordergrund Elizabeth Reiter (Orasia) und Maren Favela (Cephisa; rechts aus dem Bild rennend) sowie im Hintergrund den Konzertchor Darmstadt
Zum bekannten Orpheus-Mythos und den bekannten beteiligten Personen und Göttern ist in Telemannns Orpheus Orasia, die thrazische Königin, als fiktive Person hinzugefügt: Die erweitert die trauliche Zweierbeziehung des liebenden Paares zu einer Dreiecksbeziehung: Orasia betet Orpheus an, wohl wegen seiner musischer Künste. Der will aber nicht von seiner Eurydike lassen. So verhilft Orasia dieser aus Eifersucht zu dem notorischen Schlangenbiss und zum Tod. Als Orpheus allein aus der Unterwelt zurückkehrt (die Geschichte ist bekannt), kommt kein Deus ex machina, um ihm dennoch wieder zu Eurydike zu verhelfen (eine „gottlose“ Geschichte also), sondern die ob seines Missgeschicks zunächst erfreute Orasia begehrt ihn aufs Neue. Da er sie wieder zurückweist, lässt sie ihn aus Rache von Bacchantinnen zerfleischen. (Eine Anlehnung an einen Zweig der Orpheus-Sage, nach welchem er von den Mänaden getötet wurde, die sich an ihm rächen wollten, da er inzwischen homosexuell geworden war.) So geht dieses Spiel also um Liebe, Eifersucht, Rache, doppelten Mord und Moral – Zutaten, aus welchem Opernstoffe geschnitzt werden.
in der Unterwelt:
Dmitry Egorov (Ascalax), Katharina Ruckgaber (Eurydike) und den Konzertchor Darmstadt
Die Inszenierung von Florentine Klepper fasst diese Zutaten zu Recht als zeitlos auf und stellt sie in einen modernen Rahmen. Auf der fast die ganze Breite des Bockenheimer Depots überspannenden Bühne sieht man zuerst eine läppische Spaß- und Feiergesellschaft in einem Salon; die blasierte Hausherrin Orasia hält in der Bussi-Bussi-Gesellschaft Hof; mitgebrachte Geschenke in Glitterkartons reicht sie gelangweilt gleich ans Personal weiter. Ihre Bedienstete Cephisa wird nicht gerade gleichberechtigt behandelt. Orpheus erscheint mit seinem Freund Eurimedes als „kult“voll singender und hüftwackelnder Entertainer. Rechts sieht man einen Hain, aus welchem Eurydike erscheint. Orasia hat eine lebende Schlange und setzt sie entsprechend ihrer Eifersucht zielgerichtet ein. Sollte sie geglaubt habe, dass Orpheus sich nun ihr zuwendet, hat sie sich getäuscht, denn der zieht ab in die Hölle, um seine Geliebte zurückzuholen. Der Feiersalon versinkt „wie durch ein Erdbeben“ (Wagner könnte diese Szene beim Untergang von Klingsors Schloss Modell gestanden haben – oder umgekehrt). Es erklingt ein schauerliche Verwandlungsmusik, und schon ist Orpheus dem Pluto und seinem Gehilfen Ascalax ausgeliefert – in einem finsteren von Stahlstreben gebildeten Raum (Bühnenbild: Adriana Westerbarkey). Auf dem Rückweg verliert Orpheus den Hörkontakt zu Eurydike und dreht sich um; fatale Folgen. Fortsetzung: siehe oben. --- Frau Westerbakey zeichnet auch für die Kostüme mit einer großen, überwiegend funktionalen Spannbreite verantwortlich. Der Schlagersänger mit Jacke über nacktem Oberkörper, die Spaßgesellschaft in bunter Abendrobe, die Bedienstete in schwarzer Servierkleidung; Ascalax als Fantasiefigur mit schwarzen Stacheln auf dem Rücken an Krücken gehend und Pluto auf hoher Leiter mit überlangen Beinen, die leider gelähmt sind: im Hades ist die Welt nicht in Ordnung.
Katharina Ruckgaber (Eurydike)
Die in Frankfurt gegebene Fassung von Telemanns Orpheus basiert auf der von Peter Huth für die Innsbrucker Barockwochen 1994 Jahren für René Jacobs erstellte Rekonstruktion des Werks, ist aber noch weiter bis auf ein Fernsehformat von etwa 100 min gekürzt. Hier liegt vielleicht der einzige anmerkenswerte Nachteil der Produktion. Denn durch die Kürzungen kommt es einig Male zu sehr abrupten Schnitten – ähnlichen wie in filmischen Überblendungen. Ansonsten erlebt man anregendes Musiktheater mit scharfen Charakterzeichnungen sowie kontrastierenden szenischen und musikalischen Ereignissen und Stimmungen. Ganz im Sinne der geistigen Väter de Werks überspannt die Oper dabei ein weites Spektrum vom Komödiantischen zum Tragischen, wobei auch die moralisierenden Einlagen nicht fehlen – zum Teil als Gesellschaftsironie verpackt, hier gutmütig und nicht zu dick aufgetragen. Szenisch ein voller Erfolg.
Elizabeth Reiter (Orasia)
Das lässt sich auch von der musikalischen Seite sagen. Da am Gänsemarkttheater der weltoffenen Freien und Hansestadt Hamburg die italienischen Opern des Telemann-Freundes Händel ebenso aufgeführt wurden wie die französische tragédie lyrique (Telemann verbrachte etliche Zeit auf einer Studienreise in Frankreich) und das deutsche Singspiel sowie Reinhard Keisers gemischte Moral- und Musikspiele, war das Publikum nicht auf eine Stilrichtung festgelegt. Telemann gelang es, in seinen Orpheus gleich vier davon aufzunehmen – je nach Situation. Die affektbezogene Bravourarie wird auf Italienisch gesungen; die düstere tragische Stimmung der Unterwelt mit französisch-sprachigen Chören behandelt ebenso wie ein rührendes Lamento; dazu kommt aus dem deutschen Genre das Lied- und Singspielhafte und davon wieder abgehoben der erbauende protestantische Kantatenton. Damit man dem Ganzen als deutscher Muttersprachler gut folgen kann, sind die Rezitative, ob accompagnato oder secco in deutscher Sprache gestaltet – sowie natürliche alle Erbauungs- und Moraltexte in Richtung des Publikums.
Sebastian Geyer (Orpheus) und Julian Prégardien (Eurimedes)
Vom Frankfurter Opern- und Museumsorchester war eine recht große Streicherdelegation abgestellt, zu der sich zur farblichen Aufmischung nur wenige Holzbläser gesellten; dazu Orgel, Cembalo und Trompete; alles Originalinstrumente der Epoche. Titus Engel hatte die musikalische Leitung des Abends inne, ließ mit großer Präzision aufspielen und brachte einen elastischen, inspirierten Klang zuwege. Besonders beeindruckend war die erste Überleitungsmusik: ein Unbehagen bereitendes, lang gezogenes Crescendo über einem Trinitus, das Orpheus auf dem Weg in die Unterwelt begleitete. Bei der zweiten Überleitungsmusik war ein solch rasendes presto angeschlagen, dass man mit den Musikern fieberte. Da der Frankfurter Opernchor (ebenso wie die andere Hälfte der Streicher) zur gleichen Zeit im Frankfurter Opernhaus bei der Aufführung des Don Giovanni gebraucht wurde, hatte das Opernhaus Frankfurt für die Telemann-Produktion den Konzertchor Darmstadt verpflichtet, ein kleineres, aber durchaus klangstarkes und vor allem klangschönes Ensemble, das von Wolfgang Seeliger einstudiert war. Untypisch für einen Konzertchor trat das Ensemble in verschiedenen Kostümierungen auf und bewältigte mit sichtbarer Spielfreude auch die szenischen Herausforderungen des Opernabends zur vollsten Zufriedenheit. Die Lyra des Orpheus wurde auf der Bühne separat gezeigt, und zwar durchaus originell: Johannes Ölliger, in verschiedenen situationsabhängigen Verkleidungen spielte Gitarre, Theorbe und auch E-Gitarre, deren teuflisch jaulenden Töne natürlich in die Unterweltszene gehörten, dort aber selbst den Barock-Puristen eigentlich nicht stören konnten.
Elizabeth Reiter (Orasia) und Sebastian Geyer (Orpheus)
Alle sieben Gesangssolisten gaben ihr Rollendebüt. Zudem n ihrem Frankfurt-Debüt sang als Eurydike die erst 25-jährige Sopranistin Katharina Ruckgaber und gab sich mit ihrem jugendlichen lyrischen Sopran von feiner, klarer Intonation keine Blöße. Man wird ihren Weg gerne weiter verfolgen. Die größere Frauenrolle ist die der Orasia, die vom Frankfurter Ensemble-Mitglied Elizabeth Reiter verkörpert wurde. Sie begeisterte vor allem in den dramatischen Passagen mit stimmlicher wie szenischer Emotionalität; feiner klarer Barockgesang ist indes ihre Stärke nicht. Maren Favela in der dritten Sopranrolle der Cephisa gefiel mit ihrem samtigen, runden Ton. Sebastian Geyer gab mit leicht kehligem, kraftvollem Bariton einen stimmlich überwältigenden Orpheus. Seinen Freund Eurimedes gestaltete Julian Prégardien mit bronzenem Tenorschmelz. Vuyani Mlinde gab mit stimmgewaltigem Bass den finsteren Pluto, und die zugleich komische und eigenartige Gestalt des Ascalax verkörperte der in Frankfurt schon an vielen Abenden bewährte Dmitry Egorov mit geschmeidigem und sanft ansprechenden Countertenor.
Das Publikum der ausverkauften Premiere feierte diesen wieder einmal besonderen Abend im Depot mit enthusiastischem Applaus für alle Mitwirkenden. Weitere sieben Termine: 27.05.2014 | 29.05.2014 |31.05.2014 | 01.06.2014 |03.06.2014 | 06.06.2014 und am 08.06.2014. Viele Karten gibt es allerdings nicht mehr.
Manfred Langer, 26.05.2014 Fotos: Monika Rittershaus
DIE GESPENSTERSONATE
(Aribert Reimann *1936)
Besuchte Vorstellung: 29. Januar 2014 (Premiere: 26. Januar 2014)
Überzeugende Produktion eines rätselhaften Werks
Student Arkenholz hat das zweite Gesicht: Er sieht die Toten, weiß es aber nicht. Er spricht mit einem verstorbenen Milchmädchen, das für einen ihn beobachtenden Alten nicht sichtbar ist. Der Alte spricht ihn an und stellt sich als „Direktor Hummel“ vor. Er will den Studenten in ein geheimnisvolles Haus einführen und mit einem dort wohnenden jungen Fräulein verkuppeln. Der Student willigt ein. Im Haus finden sie eine skurrile Gesellschaft vor. Als Hausherr fungiert ein „Oberst“, dessen Frau hat sich seit Jahrzehnten in einen Wandschrank verkrochen, wird von allen bloß „die Mumie“ genannt und spricht wie ein Papagei. Zusammen mit einem alten Fräulein und einem Baron versammeln sie sich seit Jahren zu einem immergleichen Ritual, dem „Gespenstersouper“. Dieses Mal aber kommt es bei dem Ritual zur Abrechnung zwischen Direktor, Oberst und Mumie. Der Oberst sei kein Oberst und auch nicht von adeliger Abkunft, verkündet Hummel. Doch auch der Direktor spielt nicht mit offenen Karten. Die Mumie enthüllt, daß er und nicht der Oberst der Vater ihrer Tochter, des jungen Fräuleins, ist. Zudem habe er das Milchmädchen ermordet, um andere Verbrechen zu vertuschen. Sie verurteilt Hummel zum Suizid, den dieser im Wandschrank vollzieht. Derweil hat der Student sich in das „Hyazinthenzimmer“ begeben, in dem das junge Fräulein sich aufhält. Es kommt zur schüchternen Annäherung. Die Köchin des Hauses erscheint. Das Fräulein reagiert mit verängstigter Verzweiflung. Die Köchin sauge „die Lebenskraft“ aus den Bewohnern, doch niemand vermöge es, sie des Hauses zu verweisen. Dann stirbt das Fräulein, plötzlich und ohne erkennbaren Grund. Der Student bleibt allein zurück.
Student Arkenholz (Alexander Mayr) vor dem Unglückshaus]
Sehr verrätselt gibt sich dieses Spätwerk von August Strindberg. Ein wenig Geistergeschichte, ein wenig Gesellschaftssatire, viel dunkler Symbolismus, keine klaren Deutungsebenen. Regisseur Walter Sutcliffe versucht sich in der aktuellen Inszenierung im Bockenheimer Depot daher vernünftiger Weise an keiner Deutung und beschränkt sich darauf, das verwickelte Geschehen klar und flüssig auf der Bühne zu präsentieren. Dazu hat Kaspar Glarner ihm eine schlichte Rampe gebaut. Zwei Zuschauertribünen erheben sich zu beiden Seiten. Auf der ansonsten leeren Rampe bewegt sich im ersten Bild das mannshohe Modell des mysteriösen Hauses, tanzt regelrecht über die Bühne, dreht sich, präsentiert sich, lockt. Im Zwischenspiel zum zweiten Bild teilt das Modell sich in zwei Teile, die sich zur jeweiligen Seite von der Rampe entfernen. Die Statue einer jungen Frau fährt aus dem Bühnenboden empor. Es ist ein Bildnis der Mumie in jungen Jahren. Zum Souper fahren Sessel, ein Sofa und ein Tisch wie von Geisterhand herbei, drehen sich tänzeln, umrunden die Bühne, bilden ein Karussell, auf das die Protagonisten aufsteigen, bis die Endposition der Möbel für das Ritual erreicht ist. Das ist raffiniert ausgedacht und technisch perfekt umgesetzt. Das dritte Bild schließlich präsentiert das Hyazinthenzimmer als kubisches Gerüst, das ebenfalls auf der Rampe frei beweglich ist und zum Ende in immer schnelleren Drehungen um die eigene Achse seinen Charakter als Käfig offenbart. Zum Sterben des Fräuleins breitet sich eine Blutlache aus, die beide Darsteller besudelt. Ob das Fräulein blutet oder das Zimmer, wird nicht klar, und diese Uneindeutigkeit ist wohl auch beabsichtigt.
Arkenholz besucht das „junge Fräulein“ (Barbara Zechmeister) im Hyazinthenzimmer]
Im Programmheft gibt der Komponist Auskunft über seine Herangehensweise: „Man sollte versuchen, sich rasch von der textlichen Vorlage zu entfernen, damit die Musik ihr Eigenleben entfalten kann, also den Text in sich selbst zu Musik werden lassen, nicht die Musik am Text entlang entwickeln. Die Musik hat dann, wenn sie für ein Stück wachgeworden ist, ihr selbständiges Leben; der Text wird sozusagen in sie hineingestellt.“ Man kann sagen, daß Aribert Reimann diesem Anspruch in seiner Vertonung der „Gespenstersonate“ über weite Strecken gerecht geworden ist. Und das ist nicht unproblematisch. Die Aufmerksamkeit des Zuschauers ist so stark auf Text und Bühnengeschehen konzentriert, daß eine vollständig bewußte Wahrnehmung des höchst komplexen Klaggeschehens im Orchestergraben kaum möglich ist. Da die Musik nichts Illustratives hat, keine Assoziationen zu Gewohntem erlaubt, keine Anleihen bei tradierten Chiffren nimmt, liefern die Orchestermusiker alles andere als einen stützenden Soundtrack. Vielmehr wird eine abstrakte Klangfolie mit einem Eigenleben ausgebreitet, vor deren Hintergrund das Bühnengeschehen abläuft. Soweit sich dies ohne Blick in die Partitur sagen läßt, setzt das Kammerensemble mit seinen lediglich 18 Spielern unter der Leitung von Karsten Januschke dies alles mit Präzision und Plastizität um.
Grotesker Auftritt: Die Mumie (Anja Silja) erscheint, beobachtet von den Dienern Bengtsson (Björn Bürger, links) und Johansson (Hans-Jürgen Schöpflin)]
Die Sänger sind als Darsteller stark gefordert. Ohne Ausnahme wissen sie in ihren Rollen zu überzeugen. Allen voran nutzt Dietrich Volle die Gelegenheit, sein schauspielerisches Format als Direktor Hummel zu präsentieren. Ein Kabinettstück liefert Anja Silja als Mumie ab: wunderbar grotesk als gurrende Papageienimitatorin, autoritär und mit kalter Unerbittlichkeit in ihrer Abrechnung mit dem Ex-Geliebten Hummel. Alexander Mayr gibt den Studenten Arkenholz mit überzeugender Naivität und Frische. Schmierig und devot charakterisiert Hans-Jürgen Schöpflin Hummels Diener Johansson, aalglatt und gefährlich Björn Bürger des Obersten Diener Bengtsson. Brian Galliford darf den Oberst als aufgeblasene Witzfigur zeichnen, aus der schnell die Luft herausgelassen wird. Barbara Zechmeister läßt das junge Fräulein nach anfänglichem Lyrik-Liebes-Überschwang im Hyazinthenzimmer anrührend zugrunde gehen.
Starker Darsteller: Dietrich Volle als „Direktor Hummel“]
Die Gesangslinien werden oft durch große Intervallsprünge zerklüftet. Das stellt insbesondere Alexander Mayr vor die große Herausforderung, immer wieder unvermittelt von der Bruststimme für einen einzigen Ton ins Falsett zu wechseln. Er bewältigt das mit virtuos zu nennender Selbstverständlichkeit. Die Abwesenheit gewohnter melodischer Zusammenhänge in den Gesangslinien lenkt das Ohr ganz auf das jeweilige Stimmtimbre. Hier bietet die Oper Frankfurt eine stimmige Besetzung bis in die kleinste Nebenrolle. Exemplarisch sei Stine Marie Fischer als Köchin genannt, die in ihrem kurzen Auftritt im dritten Bild ein gesangliches Glanzlicht mit satt-bedrohlicher Tiefe und autoritärer Höhe setzt.
Diese Produktion der „Gespenstersonate“ ist nicht bloß für Freunde zeitgenössischen Musiktheaters genießbar. Sie schlägt mit eminenten musikalischen und darstellerischen Qualitäten derart in den Bann, daß man bald die Elaboriertheit der Komposition als selbstverständlich hinnimmt und sich nach 90 Minuten Aufführungsdauer wundert, wie schnell doch die Zeit vergangen ist.
Michael Demel, 30.01.2014 Copyright der Bilder: Wolfgang Runkel
Besprechungen älterer Vorstellungen im Bockenheimer Depot befinden sich ohne Bilder im Archiv.