ROYAL OPERA HOUSE Covent Garden

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LES VÊPRES SICILIENNES
25.10.2107
Wiederbelebung gescheitert
Sie ist (und bleibt es auch nach diesem Wiederbelebungsversuch in London - Premiere war 2013) ein Sorgenkind unter Verdis Opernwerken, seine für Paris komponierte Grand Opéra LES VÊPRES SICILIENNES, eine Oper, die trotz all ihre wunderbaren musikalischen Kostbarkeiten den Einzug ins Standardrepertoire nicht geschafft hat. Warum bloss? Sie bietet doch dankbare, anspruchsvolle Rollen für die vier Hauptpartien, grandiose Chortableaus, mitreissende, hochdramatische Aktfinali, aufpeitschende Musik, die bei Verdi oft anzutreffende Verquickung von Politik und persönlichem, krudem Schicksal - Ingredienzien also, die man in den ungleich erfolgreicheren Werken wie TROVATORE, DON CARLO, AIDA oder ERNANI auch findet.

In London nun hat man sich auf die französische Originalfassung besonnen - das Royal Opera House präsentiert eine opulente, herausragend gut besetzte Produktion - und beisst sich trotzdem die Zähne an der langen (Spieldauer mit zwei Pausen: 4 h) Oper aus. Stefan Herheim (Regie), Philipp Fürhofer (Bühne), Gesine Völlm (wunderbar gearbeitete, kostbare Roben für die Damen und treffende Kostüme für das sizilianische Volk und die französische Offiziere und Soldaten aus der Zeit des Second Empire), André de Jong (Choreographie, ganz wichtig in dieser Produktion!) und Andres Poll (exzellente Lichtgestaltung) berufen sich in ihrem Inszenierungsansatz einerseits auf Verdis berühmten Satz - dass es besser sei die Wahrheit zu erfinden als sie zu kopieren - und andererseits auf den Maler Degas, welcher der konstruierten Künstlichkeit der Gefühle auf der Bühne (bei ihm insbesondere des Balletts) in seinen Gemälden Ausdruck verliehen hatte. Herheim und sein Team drehen nun an der Schraube der Künstlichkeit beinahe aller Opern noch eine Windung weiter und versetzen die Handlung in ein der Pariser Oper nachempfundenes Opernhaus. Theater auf dem Theater also, und der Kritiker stöhnt auf, denn diesen Regiekniff hat man langsam sowas von satt.

Allerdings, das muss man dann doch lobend erwähnen, dieses Bühnenbild ist eine Wucht. Da öffnen sich Räume gigantischen Ausmasses, Säle, Spiegel, Wandmalereien, Logen, der Ballettsaal. Für PHANTOM OF THE OPERA wäre es perfekt gewesen. Herheim versuchte während des Vorspiels in einer überrealistischen Pantomine die verzwickte Vorgeschichte zu bebildern. Dabei griff er jedoch zu einem brutalen, naturalistischen Realismus, der zu der angestrebten Offenlegung der Künstlichkeit in krasse Opposition steht. Procida ist bei ihm ein strenger Ballettmeister, Montfort und seine Truppen dringen in den Ballettsaal ein, vergewaltigen die Ballerinen, lassen Sie tanzen, bis sie umkippen, die letzte wird dann von Montfort brutal geschändet, so zeugt er seinen Sohn und die fatale Vater-Sohn Geschichte nimmt ihren Lauf. Procida wird von den Soldaten verstümmelt, in der Folge tritt dann der Ballettmeister mit einer Beinprothese auf, was seine unstillbaren Gefühle der Rache erklären soll. Montfort wird jedoch zunehmend auch von Gewissensqualen heimgesucht, schwarz gewandete, teils schwangere Ballerinen umkreisen ihn, auch der Geist seines Sohnes, den er nie aufwachsen sehen durfte und dem er erst begegnet, als dieser zu seinem Gegenspieler herangereift ist, sucht ihn heim.

Das ist alles von der Personenführung und der Choreografie her sehr geschickt gemacht, zum Teil derart intensiv, dass man das unpassende Setting darob vergisst. Verdis Musik ist ja oft sehr tänzerisch in ihren Begleitfiguren. Dies haben Regisseur und Choreograf quasi eins zu eins umgesetzt und lassen die Sylphiden praktisch unentwegt dazu tanzen. Die vierzehn Ballerinen machen das hervorragend. Der grösste Witz ist jedoch, dass Verdis für diese Oper komponierte Ballettmusik (Die vier Jahreszeiten) komplett gestrichen und trotzdem eine Ballettoper aus dem Drama gemacht wurde. So blieb also diese Sizilianische Vesper szenisch eine eher zwiespältige Angelegenheit - musikalisch jedoch eine restlos begeisternde Sache und ein grandioses Plädoyer für diese Oper. Star des Abends war für mich der Montfort von Michael Volle. Wie er seinen widerstreitenden Gefühlen (Sohnesliebe, brutaler Tyrann) Ausdruck verlieh, war von packender Intensität. Herauszuheben ist auch seine ausgezeichnete Diktion des französischen Textes. Die Stimme strömte mit Kraft, Virilität und - wo geboten - mit Empfindsamkeit. Als sein Sohn Henri durfte man den zur Zeit hochgehandelten Tenor Bryan Hymel erleben. Bruchlos geführt ist sein direkt und sauber ansprechender, heller Tenor. Das Timbre für meinen Geschmack an einigen Stellen etwas zu "quäkig-nasal", aber das ist wie gesagt Geschmackssache, viele hören das komplett anders.

Erwin Schrott gab einen stimmgewaltigen, erbarmungslosen Procida, den er in all seiner unerbittlich auf Rache sinnenden Art überzeugend darstellte. Sensationell für mich war die Helena von Malin Byström: Welch wunderbarer Spinto, herrliche Tiefe, sichere Koloraturen, angenehm bronzen schimmerndes Timbre. Die Partie ist extrem schwierig (viele berühmte Sängerinnen haben nur allzu gerne einen Bogen um diese Rolle gemacht), doch Malin Byström meisterte sowohl die effektvolle Caballetta im Gebet des ersten Aktes als auch den noch schwierigeren Boléro im vierten Akt mit Bravour. In den Duetten, Terzetten, Quartetten und Finali konnte sie zudem mühelos gegen ihre stimmkräftigen Partner bestehen. Aufhorchen unter den guten Sängern der kleineren Partien liessen Simon Shibambu als Béthune und der wunderschöne Tenor von Nico Darmanin als Danieli (dessen Rolle vom Regisseur enorm aufgewertet wurde). Chor (Einstudierung: William Spaulding, der von der Deutschen Oper Berlin ans Royal Opera House gewechselt hat) und das Orchestra of the Royal Opera House unter der präzisen, sehr schön die atmosphärischen Feinheiten von Verdis Partitur akzentuierenden Leitung von Maurizio Benini vermochten zu begeistern.
Bilder (c) Bill Cooper, mit freundlicher Genehmigung RO
Kaspar Sannemann 1.11.2017
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
am 24.2.2015
Eine psychologische Studie

Das war ein besonderer Abend im Royal Opera House Covent Garden. Mit sechs Reprisen war Tim Alberys Inszenierung des „Fliegenden Holländer“ aus dem Jahre 2009, die auch schon einen Preis gewonnen hat, im Februar zum zweiten Mal wieder aufgenommen worden (Regisseur der WA Daniel Dooner). An diesem letzten Abend jedoch wurde die Aufführung landesweit in viele britische Kinos übertragen, und so standen im Zuschauerraum einige große TV-Kameras, welche die Spannung hinsichtlich des kommenden Geschehens noch verstärkten. Spannung und musikalisch erstklassige stürmische Wogen wurden aber auch von Andris Nelsons sowie einer Starbesetzung mit Bryn Terfel als Holländer, der auch 2009 die Premiere gesungen hatte, Adrianne Pieczonka als Senta und Peter Rose als Daland erwartet. Und die Erwartungen wurden in großem Stil bestätigt.

Als würde er mit dem Taktstock persönlich die See vor Sandwike aufwühlen, startet Nelsons in die Ouvertüre, die ungemein packend, spannend und bei aller Dynamik äußerst transparent geriet. Sein emphatisches Dirigat und die hohe musikalische Intensität, der er an diesem Abend dem Orchester des Royal Opera House entlockte, waren besonders aus der 1. Reihe des Parketts im Schatten einer Kamera eindrucksvoll zu verfolgen. Erstklassig die Hornrufe des Holländer-Motivs, dann wie Nadelstiche beim langsamen Erscheinen seines Schiffes die präzisen Streicher. In den Szenen mit den Chören ließ Nelsons dann auch musikalisch die hier angezeigte Ausgelassenheit zu. Im Mittelakt gab es hingehen viel musikalisch-psychologische Feinzeichnung.
Denn die Inszenierung von Albery stellt die scheinbar ausweglose Lage Sentas in der Tristesse einer an jene Billigproduktionshops aus Fernost erinnernden Näherei von T-Shirts in den Vordergrund, in der sie klaustrophobisch gefangen scheint. Sie hat aber immer das Schiffsmodell des Holländers vor Augen - welches die anderen eben nicht sehen. Bereits beim Monolog des Holländers zieht sie langsam mit diesem Schiff, von diesem unbemerkt - und ihn auch nicht bemerkend - über die Bühne. Damit ist die Inszenierung ganz auf die Psychologie der Figur der Senta abgestellt, betont in einer intensiven Personenzeichnung des Holländers aber auch dessen große menschliche Einsamkeit.
Gegen diese Aspekte tritt das Bühnenbild von Michael Levine in seiner in dieser Wagner-Oper ja oft zu beobachtenden navalen Opulenz zurück. Die Norweger bewegen sich auf einer fast die ganze Bühne bedeckenden, an der Seite konvex aufgewölbten Schiffsplanke mit einigen Bullaugen. Hinten eine Leiter, von der aus der Steuermann singt, das Ganze zu Beginn gespenstisch von einigen Scheinwerfern beleuchtet. Das stets zur Stimmung passende Lichtdesign liegt in den Händen von David Finn. Das Holländer-Schiff ist erst gar nicht zusehen, es wird lediglich ein immer größer werdender Schatten sichtbar, der sich langsam über die Norweger-Szenerie legt. Recht traditionall hält man es mit den Anlege-Details. Wie so oft ziehen die Norweger ein dickes Tau mit vereinter Kraft aus dem Bug ihres Schiffes. Dass ein solches auch aus dem Holländer-Schiff kommt, in der Gegenrichtung, wirkt dann doch etwas ernüchternd…

Gut gelöst ist im 1. Akt die Verhandlung Dalands mit dem Holländer, in deren Verlauf dieser ihn langsam aber sicher mit dem Zücken blinkender Ketten zum angestrebten Deal bewegt. Die Nähmaschinenbatterie der Näherinnen kommt im 2. Akt in einem Satz von der Decke herunter und verschwindet später auch wieder dort hin. Im Duett zwischen Holländer und Senta tritt auf der dann leeren Bühne doch etwas Langeweile mit Rampenstehen auf, hier hätte die ansonsten gute Personenregie Alberys intensiver sein können. Vieles wurde aber von den großartigen Sängerdarstellern wieder gut gemacht. Beim Steuermannschor im 3. Akt hebt sich die Schiffsplanke zum Teil und gibt eine vertiefte Spielfläche für die ausgelassenen Norweger mit ein paar alten Sofas frei. Allerdings kommen aus dieser Versenkung später auch die Holländer, die zum Schrecken der Norweger auf ihre Weise Senta für sich zu vereinnahmen suchen. Beide Ensembles, von Renato Balsadonna einstudiert, singen mit durchschlagskräftigen Stimmen und agieren darstellerisch mit großer Intensität. Die Kostüme von Constanze Hoffmann bewegen sich in klassisch biederer Seefahrerästhetik.

Wenn Bryn Terfel, sicher einer der größten Holländer unserer Tage, mit letzter Verzweiflung aus dem Schiff kommt und seinen Monolog beginnt, dann ist er unmittelbar das Zentrum dieser Aufführung. Mit seinem klangvollen Heldenbariton singt er einen durch Mark und Knochen gehenden Monolog, mit authentisch gespielter Verzweiflung in seinen emotionalen Ausbrüchen, aber auch mit herrlichem Legato, wenn er "den gepriesnen Engel Gottes“ fragt. Auch mit seinem fulminant gespielten und gesungenen Finale hinterlässt der Waliser stärksten Eindruck. Adrianne Pieczonka ist ihm ein ebenbürtige Senta, die mit der klangvoll, total höhensicher und wortdeutlich gesungenen Ballade viel Wert auf emotionale Feinzeichnung legt.
Sie singt und spielt die Rolle mit großer Empathie. Im Finale bricht sie mit dem Schiff allein gelassen verzweifelt in der Bühnenmitte zusammen - eine Erlösung gibt es bei Albery nicht. Peter Rose hatte sich als Daland wegen einer Erkältung ansagen lassen, konnte aber mit seiner großen Routine eine dennoch gute stimmliche Leistung bringen - darstellerisch ist ihm der Daland ohnehin auf den Leib geschrieben. Der britische Tenor Ed Lyon debutierte in dieser Serie als Steuermann mit einer eher lyrischen Note, obwohl die Stimme auch eine kräftige tiefere Lage aufweist. Der deutsch-kanadische Tenor Michael König debutierte als Erik ebenfalls in dieser WA, wirkt jedoch allzu bieder und ist vokal nicht sehr flexibel. In der Höhe klingt sein Tenor auch etwas eng. Catherine Wyn-Rogers singt eine gefällige matronenhafte Mary.
Diese WA des „Fliegenden Holländer“ am Royal Opera House lebte in erster Linie von den großen Sängerdarstellern und Andris Jansons am Pult des Orchesters des Royal Opera House. Mit einer solchen Spitzenbesetzung kann man sie sicher wieder sehen.
Klaus Billand, 28.3.2015
Fotos: Clive Barda/ROH