STADTTHEATER INGOLSTADT
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Das Stadttheater Ingolstadt verfügt in der Hauptspielstätte des 1966 eröffneten Großen Hauses über einen Theatersaal mit 663 Plätzen. Das Theater hat ein eigenes Schauspielensemble und bietet Musiktheater als Gastspiele renommerter Bühnen an.
Gastspiel des Landestheaters Salzburg - musikalisch hochstehend
EUGEN ONEGIN
Besuchte Aufführung: 4. 6. 2014 (Premiere in Ingolstadt: 2. 6. 2014, Premiere am Landestheater Salzburg: 8. 2. 2014)
Musikalisch groß; Inszenierung bieder
Im Februar dieses Jahres war am Landestheater Salzburg eine Neuinszenierung von Tschaikowskys „Eugen Onegin“ herausgekommen. Am 27. 5. ging dort die letzte Vorstellung über die Bühne. Jetzt hatte sich das Theater Ingolstadt die Produktion für drei Aufführungen ausgeliehen und konnte damit bei den zahlreich erschienenen Besuchern einen vollen Erfolg verbuchen. Dieses Haus von mittlerer Größe, in dem in erster Linie Schauspiele auf die Bühne gebracht werden, ist auch operntauglich. In dem Orchestergraben dürften cirka vierzig Musiker Platz finden, und die Akustik ist vorzüglich. Nachhaltig drängte sich einem das Gefühl auf, dass das Haus ursprünglich sogar für Musiktheater konzipiert worden ist. Es wäre schön, in absehbarer Zukunft mehr Opern in Ingolstadt erleben zu können. Der „Onegin“ war jedenfalls sowohl in musikalischer als auch in gesanglicher Hinsicht recht beachtlicher Natur.

Simon Schnorr (Onegin), Zhala Ismailova (Tatjana)
Das Ensemble des Salzburger Landestheaters ist nicht zu verachten. Da konnte so manche Perle nachhaltig auf sich aufmerksam machen. An erster Stelle ist hier Zhala Ismailova zu nennen, deren Tatjana die gesangliche Krone des Abends gebührte. Die junge Sopranistin erwies sich in jeder Beziehung als ideal für diese Rolle. Die Wandlung des verträumten, naiven Mädchens zur gereiften Fürstin hat sie mit viel Empathie trefflich vermittelt. Hervorragend war auch ihre gesangliche Leistung. Ihr Sopran weist eine vorzügliche italienische Fokussierung auf, wird ebenmäßig und geradlinig geführt und blüht zur Höhe hin wunderbar auf. Gutes Differenzierungsvermögen steht ihr in gleichem Maße zur Verfügung wie eine breite Farbpalette. Das mit großer Ausdrucksintensität und sehr nuanciert vorgetragene „Puskaj pogibnu ja“ war der Höhepunkt des Abends. Dieser ausgezeichneten Sängerin steht eine große Karriere bevor. Eine gute Leistung ist auch Simon Schnorr zu bescheinigen, der die verschiedenen Facetten des Onegin - Langeweile, Lebensüberdruss und letztlich Liebesschmerz - recht impulsiv auslebte. Auch gesanglich wusste er trotz der russischen Diktion ausgezeichnet, von was er sang. Die vokale Charakterisierung des jungen Lebemannes, der mit sich und der Welt nicht im Reinen ist, gelang ihm mit vorbildlich gestütztem und sich problemlos durch die verschiedenen Stimmregister bis hin zur sicheren Höhe - am Ende sang er ein imposantes hohes ‚g’ - aufschwingendem lyrischen Bariton bestens. Alexey Birkus war ein noch recht junger Fürst Gremin, dessen Stock entbehrlich gewesen wäre und der das herrliche „Ljubvi vse vozrasty pokorny“ mit tiefgründigem, sauber durchgebildetem Bass recht emotional wiedergab. Sehr auf Amusement aus war Emily Richter in der Rolle der Olga, die sie mit gut sitzendem Mezzosopran auch ansprechend sang. In Nichts nach stand ihr ihre Fachkollegin Frances Pappas, die eine stimmlich wie schauspielerisch tadellose Larina gab. Freude bereitete das Wiedersehen mit Anna Maria Dur, die man noch von ihrer Zeit in Karlsruhe her in bester Erinnerung hat. Mit einfühlsamem Spiel und einer profunden Altstimme erwies sie sich als erstklassige Besetzung für die Filipjewna. Und endlich konnte man mal einen guten Monsieur Triquet erleben: Bei Franz Supper haben wir es nicht mit einem wie sonst meistens dünn und kopfig vokalisierenden Rollenvertreter zu tun, sondern mit einem bestens im Körper und äußerst glanzvoll singenden Tenor. Das war bei Sergey Romanovskys darstellerisch depressivem Lenski insgesamt leider nicht der Fall. Die fast durchweg zu hohe Stütze der Stimme ließen seinen Vortrag über weite Strecken etwas eindimensional erscheinen. Erst beim „Kuda vy udalilis“ gelangen ihm einige besser fundierte Töne. Einen vollklingenden Bass brachte Roland Faust in die Partie des Hauptmanns ein. Solide der Vorsänger von Vesselin Hristov. Rudolf Pscheidl sang den Saretzki sehr maskig.

Franz Supper (Monsieur Triquet), Chor
Stefan Müller dirigierte Tschaikowskys Oper recht zupackend und emotionsgeladen, düster und farbenreich. Wo andere Dirigenten die Dynamik eher zurücknehmen, drehte er das konzentriert und schön aufspielende Mozarteumorchester Salzburg eher noch auf und unterstrich bei den betreffenden Passagen gekonnt die dramatische Seite der Partitur. Aber auch den lyrischen Stellen verlieh er einen berückenden Klang. Herrlich gerieten ihm ferner die schwungvoll dargebotenen Tänze. Den Sängern war er ein umsichtiger Begleiter.

Zhala Ismailova (Tatjana)
Nicht in gleichem Maße beeindruckend war die Inszenierung von André Heller-Lopes, der auch für das Raumkonzept verantwortlich zeigte und dem Karl-Heinz Steck das doch recht konventionelle Bühnenbild realisierte. Wenn der Vorhang sich öffnet, erschließt sich dem Blick ein helles Sommerhaus mit Holzvertäfelungen und einer großen Glastür auf der linken Seite, das doch recht bieder anmutete. Die auf einen Hintergrundprospekt gemalte Blumenpracht streifte in bedenklicher Weise die Grenze zum Kitsch. Schnell merkte man, dass der Regisseur gerne mit Farben spielt. Das merkte man auch an den bunten, von Nicole von Graevenitz entworfenen Frühlingskleidern des Chores. Hier wurde nachhaltig die Puschkin-Zeit abgebildet und regiemäßig dem Begriff der „lyrischen Szenen“ zu starke Beachtung geschenkt. Von den Vorzügen des modernen Musiktheaters scheint Heller-Lopes noch nichts gehört zu haben. Allzu sehr bewegte sich seine Regiearbeit in ausgetretenen traditionellen Pfaden. Insbesondere in den ersten vier Bildern beschränkte er sich praktisch nur auf ein reines Entlanginszenieren am Textbuch, ohne den Inhalt kritisch zu hinterfragen und in einen spannenden psychologischen oder philosophischen Kontext zu betten. Die hier vorgeführte Sommeridylle war nicht gerade aufregend, sodass bis zur Pause das Geschehen auch nur mehr oder minder belanglos und ohne echten Tiefgang dahinfloss.

Simon Schnorr (Onegin)
Erst im zweiten Teil nahm die Inszenierung etwas an Fahrt auf. Die Duell-Szene kann man als durchaus gelungen bezeichnen. Wenn Onegin in trefflicher Anwendung eines Tschechow’schen Elementes während Lenskis Arie, von diesem durch einen transparenten Gaze-Vorhang abgeschirmt, an der Rampe verweilt und voll des schlechten Gewissens dem tragischen Ausgang entgegenbangt, war das recht beeindruckend. Sein Verhalten bereuend, wirft er die Duellpistole von sich. Letztlich bringt er es aber dann doch nicht übers Herz, sich von Lenski töten zu lassen. Er zieht schnell eine kleinen Derringer aus dem Ärmel und erschießt den auf ihn anlegenden Dichter. Nach dem Abgang der Sekundanten breitet er, mit der Leiche allein geblieben, stumm trauernd seinen Mantel über dem toten Freund aus - ein sehr eindringliches Bild, das auch durch die karge Ausleuchtung eine sehr triste, beklemmende Wirkung entfaltete.

Simon Schnorr (Onegin), Chor
Wurde das Geschehen in den vergangenen Akten ganz von der Realität beherrscht, so tritt im letzten Akt eine beeindruckende surreale Seite hinzu. Die üppige Farbenpracht ist einem beklemmenden Schwarz-Weiß- Ambiente gewichen, in dem Gremins Ballgäste seitens der Regie eine durch und durch skurrile und fast geisterhafte Zeichnung erfahren. Onegin nimmt sich in dieser Umgebung, die auch die charismatischer gewordene Tatjana erfasst hat, wie ein Fremdkörper aus. Er hat sich in keiner Weise weiterentwickelt und passt nicht in diese Gesellschaft, das ist klar ersichtlich. Hier liegt ein völlig unterschiedlicher Entwicklungsstand der Beteiligten vor, was durch zeitweiliges Freezen der Personen verdeutlicht werden soll, durch das aber bei der Auslotung der zwischenmenschlichen Beziehungen hier und da Löcher entstehen. Das musste nicht sein, denn auf die Führung von Sängern versteht sich Heller-Lopes gut. Schade, dass er so sehr an überkommenen Konventionen klebt.
Fazit: Eine von der Inszenierung her zwiespältige, von der Musik und den Sängern her absolut zu empfehlende Aufführung.
Ludwig Steinbach, 6. 6. 2014
Die Bilder stammen von Christina Canaval.