AMPHITHEATER MIKULOV
Viele sorgenvolle Blicke Richtung Himmel. Foto: Sieglinde Pfabigan
Eröffnungs-Gala der Weinviertler Wagner-Festspiele
am 2.8.2020
Knapp dem Regeneinbruch entkommen, der sich offensichtlich in westlicheren Gefilden Mitteleuropas entladen hatte, konnte dieses höchst originelle Sommer-Festival fast ungestört im Freien stattfinden. Nördlich von Mikulov (einst Nikolsburg), ein paar km von der österreichischen Grenze entfernt, mit Elite-Tours Autobussen bequem von Wien aus (Operngasse 4) erreichbar, konnte man sich an (wenn ich richtig gezählt habe) 22 Opernausschnitten delektieren, dargeboten von 25 mehrheitlich namhaften Solisten, begleitet von einem rund 60-köpfigen Orchester, das sich aus Musikern von Prag, Brünn und Wien zusammensetzte, unter den beiden Dirigenten Matthias Fletzberger und Levente Török.
Das Ambiente ist einladend: ein breites, mit leicht ansteigenden Sitzreihen bequem zu besteigendes Amphitheater (für 2231 Besucher zugelassen, derzeit nur 1000 verkaufbar, und nur 350 Gäste waren diesmal zugegen) mit guter Sicht auf die große, breite Bühne und das davor platzierte Orchester. Zu testen wäre für die Veranstalter nur noch die Positionierung der Solisten in Relation zu den einzelnen Instrumentalgruppen, denn das den Hintergrund der Bühne bildende Gebäude mit Aufenthalts- und Umkleideräumen für die Künstler, reflektiert die Sängerstimmen in unterschiedlicher Weise. Flexibilität wird auch weiterhin ratsam sein, denn die viertelstündigen Begrüßungsreden der Festspielpräsidentin Dr. Eva Walderdorff, des Intendanten Peter Svensson, die sowieso fast wörtlich im Programmheftchen abgedruckt waren, und einer sich dankenswerterweise ganz kurz haltenden Vertreterin der Stadt Poysdorf, hätte die Angst vor dem drohenden Regen vermindern können. Außerdem erhöht bekanntlich der Beginn mit einer effektvollen Musiknummer die Stimmung aller Anwesenden.
Dann zwei inhaltlich gut gewählte Opernausschnitte für den Beginn: die Szene des Tonio aus Leoncavallos „Pagliacci“: „Si può? So può?“ – Ja, wir wollten alle – Gesang hören und Drama erleben. Thomas Johannes Mayer, der offensichtlich seiner wichtigen Position anfangs noch nicht ganz traute, steigerte sich in die unwiderstehlich Publikum und Mitwirkende einladende Aufforderung „Incominciate!“ hinein. Und dann gleich der führende Komponist dieser Sommerspiele: Elisabeths „Dich teure Halle grüß ich wieder“ aus „Tannhäuser“, von Andrea van der Smissen mit hübschem Sopran gesungen, aber etwas unschlüssig, wie sie sich dabei positionieren sollte. Kethy Tavardi-Davis als präzise artikulierende Azucena („Condotta ell‘era ìn ceppi“) agierte da schon trefflicher und Csilla Boross als Leonora konnte in „Pace, pace, mio Dio!“ („La forza del destino“) mit ihrem klangvollem Sopran ebenso wie positionell überzeugen.
Auf heimatlichem Boden fühlte man sich beim Duett Hans – Kezal aus Smetanas „Verkaufter Braut“. Alés Briscein mit hübscher Tenorstimme sang den Text teilweise auf Deutsch, teilweise auf Tschechisch (konnte aber jene Magie, die sich bei meiner Erstbegegnung mit dieser Oper in Linz dank Hans Krotthammers herrlichem Timbre – „Von der Moldau oben, bin ich hergezogen – für ewig ins Gedächtnis geprägt hatte, nicht erneuern). Dass Kurt Rydl, der ganz natürlich mit Wortdeutlichkeit, Mimik und körperlicher Nachhilfe agierende, gewitzte Brautwerber, auch mit seinem senioralen Bass noch große Wirkung erzielt, versteht sich von selber!
Ein überraschendes Einschübsel: der Walkürenritt mit 4 (vier) Sängerinnen, die je 2 Partien sangen. Peter Svensson (den ich seit seiner Studienzeit am Wiener Konservatorium als Nienstedt-Schüler kenne) wollte offenbar alle auftrittsbereiten Künstler unterbringen und hatte mich noch einen Tag zuvor angerufen, ob ich nach Ausfall einer Sopranisten eine eventuelle Einspringerin als Helmwige wüsste (was nicht der Fall war), und entschloss sich wohl im letzten Moment zu dieser Lösung mit den Schlachtjungfrauen, die mit Klavierauszügen auftraten: Marisa Altmann-Althausen, Barbara Pichlbauer, Lisa Maria Pichler und Yvonne Steiner kamen recht gut zurecht, aber für das Orchester war es kein geringes Problem, da koordinierend mitzuhalten. Da ging es schon mal drunter und drüber. Aber es ist halt auch eine wilde Geschichte…
Ein für uns neuer Sänger, Faik Hondozi (auch nicht im Programm angeführt) überraschte mit schlankem lyrischem Tenor in „Ah! Mes amis…“ als hoher-C-fähiger Tonio in Donizettis „La fille de régiment“. Bizets Torero-Lied „Votre toast…“ wurde von Thomas Weinhappel, den ich zwei Tage zuvor in Baden in Lehárs „Blauer Mazur“ als überzeugenden Operettensänger gehört hatte, mit baritonalem Draufgängertum effektvoll präsentiert. Hermine May versicherte uns daraufhin als Carmen mit einiger Raffinesse: „L‘amour est un oiseau rebelle“.
Diese Worte ließen sich aber dann zu aller Schreck auch auf das Wetter beziehen, denn es begannen einige Tropfen vom längst schon dräuenden Himmel zu fallen. Kurzes Zögern seitens der Musiker, dann vom Dirigenten die Erklärung, dass den Streichinstrumenten schon ein paar Regentropfen schaden können, und der Abzug der Künstler ins Haus. Unentschlossenheit und allgemeine Bewegung auch seitens der Besucher. Die wir unter Regengewändern auf unseren Plätzen standhielten, haben vielleicht die mehrfach besungenen Götter darin bestärkt, dass sie uns allen beistehen mögen …
Und in der Tat – die Luft wurde wieder trocken, die Musiker kehrten zurück.
Ins zwischenzeitlich von höherer Seite abgedunkelte Rund passte Rachmaninows „Ves‘ tabar spit“ aus „Aleko“, eindringlich dargebracht von Tomasz Konieczny, ebenso gut wie Don Pizarros von Sebastian Holecek mit dem Vorlesen des für ihn erschreckenden Minister-Briefes vorbereiteter Arie „Ha, welch ein Augenblick“, die der Sänger kraftvoll mit fabelhafter Stimmführung ins Auditorium schleuderte: „Der Sieg ist mein!!!“
Und als Maestro Fletzberger uns befragte, ob wir auf der hier geplanten Pause bestünden oder man weitermachen sollte, war die Antwort einstimmig ein beglücktes „Ja!“
Der nunmehr ruhigen Nacht wurde dreifach gehuldigt. „Wache Wala! Wala! Erwach!“ sang Göttervater Tomasz Konieczny mit der gewohnten Eindringlichkeit. Nur hätte Nadine Weissmann als Wala nicht schon an der Rampe stehen, sondern sich langsam nähern oder von irgendwo erheben sollen. Orchestral war dies sicher eine der besten Nummern des Abends, die unsere Vorfreude auf weitere Wagner-Events bestärkte. Was lag in der Folge näher als die Besingung und instrumentale Begleitung des Abendsterns, den der Intendant der Festspiele Mörbisch, Peter Edelmann, beschwor. Und gleich darauf wiegten sich Andrea van der Smissen, Szilvia Vörös und Thomas Weinhappel sehr harmonisch in Mozarts „Soave sia il vento“ aus „Così fan tutte“.
Sodann wieder ein Sprung ins Diesseits: Hans Sachs (leider nicht auf dem Schusterstuhl) und Beckmesser mit der Laute simpel daneben stehend, pfuschten einander vokal Wagner-gerecht ins Handwerk: Thomas Gazheli und Franz Hawlata duellierten sich vokal und gingen dann freundschaftlich gemeinsam ab.
Weil etwas ganz anderes und aufgrund der geigerischen Virtuosität und Ausdruckskraft von Yury Revich wurde die Carmen-Fantasie zu einem mitreißenden Höhepunkt des Abends. Verdis „O don fatale“, Ebolis Verfluchung ihrer Schönheit, wurde von „unserem“ ungarischen Ensemble-Mitglied Szilvia Vörös in vokaler Vollendung und mit größter Eindringlichkeit dargeboten. Nadine Weissmann hatte es mit der verführerischen Mezzo-Kostbarkeit „Mon coeur s’ouvre a ta voix“ als Camille Saint-Saens‘ Dalila schon wegen des langsameren Tempor nicht ganz so leicht, uns zu bezwingen.
Als Überraschungsgast kündigte Svensson einen gewissen Günther Groissböck an, der dann ja auch in 2 Vorstellungen der König Marke sein wird. Die prächtig gesungene Arie des Gremin aus „Eugen Onegin“ war ein ein weiterer Hinweis darauf, dass wir uns auf slawischem Boden befanden.
Unnötigerweise hat man vor den beiden Schlussnummern mit ihren Knalleffekten Wagners Wesendonck-Lied „Träume“, von der eher schüchtern wirkenden YiPing Li dargebracht, eingeschoben.
Dann trat Peter Svensson in Schmiedekostüm mit entsprechenden Requisiten als Siegfried ins Bühnenzentrum, um Hammer-schwingend sein „Hoho! Hoho! Hohei!“ mit heldentenoraler Lust in den weiten Raum zu schmettern. Mimes Einflüsterungen wurden von orchestraler Seite übernommen. Das finale „So schneidet Siegfrieds Schwert!“ versprach, dass die hiemit neu gegründeten Weinviertler Festspiele mit Recht den Namen Wagner im Titel führen.
Aber noch harrte man einer überraschenden Schlussnummer: Daniela Fally ließ in Leonard Bernsteins „Glitter and be gay“, der Arie der Kunigunde aus „Candide“, dank ihrer virtuosen Gesangskunst, ihrem Höhenzauber und ihrem ganzen persönlichen Charme die Atmosphäre „glitzern“ und uns „fröhlich sein“. Und erbrachte nach den diversen gewaltigen Wagner-Stimmen den Beweis, dass Kraft und Volumen allein nicht den Bühnenerfolg sichern. Das tut doch letztlich immer nur die Bühnenpersönlichkeit.
Das 22-köpfige Ensemble beendete den Abend als Draufgabe mit Verdis „Libiamo!“ aus „La Traviata“. Der Aufforderung zum Trinkvergnügen konnten freilich nur jene Besucher folgen, die nicht den wartenden Bus für die Heimfahrt besteigen mussten. Bereits an der Grenze zu Österreich begann es dann heftig zu regnen.
Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)
Sieglinde Pfabigan, 6.8.2020
P.S. Der Reinerlös des Abends aus dem Kartenverkauf war der Vienna Walhall Academy VW zur Förderung des KünstlerInnen und MusikerInnen-Nachwuchsel ZVR: 1555324622 zugedacht. Bankverbindung: Sparkasse Poysdorf, IBAN: AT862 0246 0000 1066 299, BIC: SPPDAT21. Zahlungszweck: Corona Nothilfe
Weitere Informationen unter coronahilfe@weinviertler-festspiele.com