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Von klassischer Ästhetik
IDOMENEO, Rè di Creta
Premiere am 27.01.2015
Der verstoßene Sohn: die Götter hatten gewarnt
Der 1907 beschlossene Neubau des „Grand théâtre“ de Lille wurde 1914 fertig, als gerade der Erste Weltkrieg ausbrach. Lille wurde von deutschen Truppen erobert; es waren die Deutschen, die das Theater zuerst benutzten. Gut umgegangen – wie mit dem eigenen – sind sie mit dem Bauwerk wohl nicht, denn nach dem „Großen Krieg“ vergingen für Wiederherstellungsarbeiten fast fünf Jahre, bis der Bau 1923 bestimmungsgemäß für die französische Bevölkerung Verwendung fand. Von 1998 bis 2003 wurde das Gebäude erneut total saniert und eröffnete rechtzeitig zum Jahr 2004, als Lille europäische Kulturhauptstadt wurde. Es wird nun mit etwa fünf Opernproduktionen im Jahr wieder regelmäßig bespielt, meist Koproduktionen mit anderen französischen Häusern. Lille, das alte flämische Rijsel hat nach der Aufhübschung zur Kulturhauptstadt mit dem alten schwarzen industriellen Norden nicht mehr viel zu tun und ist jederzeit eine Reise wert. Da sollte man sich als Opernliebhaber jeweils auch informieren, was gerade „à l’affiche“ ist.
Der Stoff von Idomeneo stammt aus der griechischen Mythologie, wurde durch François Fénélon mit dessen Bildungsroman Aventures de Télémaque ab 1688 literarisch in die Neuzeit gebracht und war in dieser Schrift sehr deutlich mit Kritik am absoluten Königtum und seinen Kriegen verbunden, die u.a. auch das französisch-belgische Grenzgebiet verwüsteten. Gleichnishaft wurde dazu Geschichten aus der Antike erzählt, eben auch die von König Idomenée. Dieser Aspekt bleibt in Abate Giambattista Varescos Libretto für Mozarts Oper ausgeblendet. Denn shier handelte es sich um ein Auftragswerk für den bayerischen Herzog und Kurfürsten Karl Theodor, der von solcher Fürstenschelte sicherlich nichts hätte wissen wollen und dem zuliebe die Autoren auch noch ein lieto fine mit deus ex machina einführten. So wurde Idomeneo zu einer Art Huldigungsoper für die Fürstenfamilie. Schon vor Mozart, dessen Werk 1781 in München uraufgeführt wurde, gab es Veroperungen des Stoffs in Frankreich. Mozart, der 1788 selbst ein halbes Jahr in Paris gelebt hatte, nahm in dieses auf der opera seria fußende Werk musikalische und formale Elemente der tragédie lyrique auf, was sich vor allem in großen Chören und auch langen Ballettszenen äußert, die allerdings bei heutigen Aufführungen durchweg weggelassen werden. Ballettmusiken aus Idomeneo findet man aber immer wieder in Konzertprogrammen.
Rachel Frenkel (Idamante)
Es geht um einen Vater-Sohn Konflikt, die mit einer Dreiecksgeschichte verwoben ist. Idomeneo kehrt aus dem trojanischen Krieg zurück und gerät auf See in ein Unwetter. Für den Fall seiner Rettung schwört er Neptun, den ersten Menschen zu opfern, den er in Kreta treffen würde. Das ist „zufällig“ sein Sohn Idamante, der während seiner langen Abwesenheit in Kreta zum Jüngling aufgewachsen ist und von der auf Kreta exilierten Elettra begehrt wird. Idamante indes ist der gefangenen trojanischen Prinzessin Ilia zugetan. Idomeneo will seinen Sohn nicht opfern und will ihn auf Rat seines Ministers Arbace mit Elettra fortschicken. Idamante ist voller Schmerz, dass der wiedergewonnene Vater von ihm nichts wissen will. Neptun mahnt den im Opfern säumigen Idomeneo durch Entsendung eines entsetzlichen Seeungeheuers. In mannhafter Tat erschlägt Idamante das Untier. Eine Stimme von oben befiehlt Idomeneo abzudanken, seinen Sohn zum König machen und ihm Ilia zur Frau geben, nachdem diese sich an Idamantes statt opfern lassen will. - Es gibt aber einen Subtext zu dieser Geschichte: Idamante trifft seinen Sohn als Geliebten der Gefangenen Ilia an, die er als Kriegsbeute aus Troja (mit den anderen Gefangenen) nach Kreta geschickt hat, wohl um sich ihrer dort zu bedienen; denn eine „Frau Idomeneo“ kommt in der Oper nicht vor. Außerdem könnte sein Sohn ihm den Thron streitig machen, Stoff für einen noch heftigeren Vater-Sohn-Konflikt.
Patrizia Ciofi (Elettra)
Nach seiner gelungenen Inszenierung von Händels Agrippina und Cavallis Elena am gleichen Theater 2011 bzw. 2014 führt erneut Regisseur Jean-Yves Ruf in Lille Regie. Er inszeniert im Wesentlichen die Varesco-Geschichte auf einem sehr zurückgenommenen Bühnenbild in klassisch ausgewogener Ästhetik. Wichtig ist ihm die Entwicklung der einzelnen Persönlichkeiten, wobei er nicht den Titelhelden, sondern dessen Sohn Idamante in den Mittelpunkt stellt. Durch die Tötung des Seeungeheuers und seine Opferbereitschaft erfährt er seine Initiation und erhält Ilia zur Frau (wie Siegfried, der den Drachen erschlägt, Brünnhilde gewinnt), die sich ebenfalls opferbereit zeigt und ihre Liebe zu Idamante erst spät offen gesteht. Idomeneo wird hingegen in ein kritisches Licht gerückt. Kaum ist er dem Sturm entronnen, präsentiert er sich schon eitel mit Krone und goldenem Mantel und zeigt, wer der Herr auf Kreta ist. Elettra, die weniger den Menschen Idamante als dessen Funktion Königssohn geliebt hat, verschwindet zum Schluss frustriert von der Szene.
Kresimir Spicer (Idomeneo)
Das Bühnenbild für die Produktion stammt von Laure Pichat und besteht baulich im Wesentlichen nur aus einem freien Raum mit einem angehobenen zentralen Drehteller. Durch die Zurücknahme der optischen Einflüsse gewinnen die Personen entsprechend an Gewicht. Diese - in Form des Chores der Gefangenen Trojaner mit Ilia - sind in der ersten Szene auf dem Kreis zusammengedrängt, der von einem Vorhang aus Textilketten umgeben ist: ein schönes Bild für die Gefangenschaft, aus welcher Idamante die Gesellschaft alsbald befreit. Eine weitere sehr schön gestaltete Szene ist die der befohlenen Abreise Idamantes. Idomeneo zerrt seinen sich wehrenden Sohn auf die inzwischen mit Kisten ausgestattete Bühne; vom Rund in der Mitte werden weiße Segel hochgezogen. Sehr gelungen! Der Kampf gegen das Seeungeheuer wird zu der aufwallenden Musik durch abstrakte Videoprojektionen beglaubigt. Weniger abstrakt und im Gegensatz zum sonstigen Bühnengeschehen recht drastisch wurde ein Kultopfer mit blutendem Fleisch und sogar ein Menschenopfer szenisch thematisiert.
Patrizia Ciofi (Elettra)
Solisten und Chor sind von Claudia Jenatsch in modern anmutende geschmackvolle und fantasiereiche und jeweils auch aussagekräftige Kostüme gekleidet; auch hier klassisch Ilia in Weiß und Elettra in Dunkel. Unter das Volk mischen sich mehr und mehr Gestalten in religiöser Uniormierung. Zeichen für den Machtverlust Idomeneos, der den Göttern nicht gehorchen will; die Inquisition übernimmt... Wie ein religiöses Symbol bestimmt ein großer Baum auf der Bühne den dritten Aufzug; ist das die Weltesche? Die letzten bewegten Szenen spielen sich im Schatten des rot angestrahlten Baums ab. Auch Rufs Personenführung ist klassisch gemessen und von der Ästhetik einer klassischen Tragödie, kontrastierend dazu die Führung des großen Chores mit ihren gekonnten Zusammenballungen. Bei der Bewegungsgestaltung wirkte Caroline Marcadé mit.
Die Oper Lille ist auch der Sitz des profilierten Barockorchesters „Le Concert d’Astrée“, das unter der Leitung seiner dynamischen und temperamentvollen Chefdirigentin Emanuelle Haїm den Abend bestritt. Das Orchester spielte auf Originalinstrumenten perfekt auf. Energiegeladen, plastisch und expressiv erklang die virtuose Ouvertüre, sehr sängerfreundlich erfolgte das Dirigat in überwiegend getragenen Tempi. Kurze emotionale Aufwallungen und energische Einwürfe des Orchesters zum Bühnengeschehen sorgten für Spannung. Im Ganzen lag der Dirigentin an einem ausgewogenen Klangbild ohne Effekthascherei durch Übertreibungen bei den Tempi oder der Dynamik. Dabei differenzierte sie den farbigen Orchestersatz schön aus und machte die inhärenten Strukturen der nicht gerade einfachen Partitur transparent. Der klangstarke Chor war von Xavier Ribes einstudiert und blieb auch bei bewegten Szenen immer präzise in Übereinklang mit dem Graben. Stark auch die Chorsolisten. Nicht zuletzt ist Idomeneo eine Choroper!
Lieto fine unter dem Baum
Das Opernhaus hatte ein Solistenensemble von hohem Niveau zusammengestellt, teilweise ausgewiesene Barock- und Mozartsänger, die meisten noch jung, aber schon international gefragt. Die stimmliche Besetzung im Idomeneo ist merkwürdig: drei Tenöre und drei Soprane; lediglich die göttlich befehlende Stimme (kurzer vierzeiliger Einsatz: Bogdan Taloș) ist ein Bass. In der Titelrolle war Kresimir Spicer besetzt, ein dunkler Tenor mit großer Bühnenpräsenz, der sich stimmlich kraftvoll robust zeigte, aber auch fein ziselierte Diktion entwickeln konnte. Virtuos gestaltete der junge Edgaras Montvidas die Rolle des Arbace mit gut geführtem lyrischen Tenor. Emilio Gonzalez Toro als Gran Sacerdote paarte sein warmes und klares Tenormaterial mit viel Spiellust in der kleinen Rolle.
Rosa Feola als Ilia begeisterte mit warmer Geschmeidigkeit, bestens fokussierten klaren Höhen und einem guten Legato. In der Hosenrolle des Idamante stand Rachel Frenkel ihren Mann, hob sich mit der helleren und etwas härteren Stimme gut ab, gefiel mit schlanken, glasklaren Vokalisen und ausgefeilter Gesangstechnik. Überraschend, weil ungewöhnlich war die Besetzung der Elettra mit Patrizia Ciofi. Ihrem Stimmfach entsprechend intonierte sie ihre Einsätze in den ersten beiden mit samtig ansprechender Stimme und anschmiegsamer Interpretation von hoher Musikalität und teilweise innig. Aber spätestens in Elettras „D’Oreste D’Aiace“ im dritten Akt ist dramatischer Ausbruch, Volumen und auch etwas Schärfe gefragt; das ist nicht ihr Fach!
Das konzentrierte Publikum im vollen Saal des Opernhauses Lille zeigte sich sehr angetan von der Produktion und spendete herzlichen Beifall. Idomeneo kommt noch am 01.02. (16h00), sowie am 03. und 06. 02. (19h30)
Manfred Langer, 31.01.2015 Fotos: Frédéric Iovino
AGRIPPINA
Aufführung 07.11.2011 (Premiere am 08.10.2011 in Dijon)
Feminismus pur: Wer ist das größere Luder: Poppea oder Agrippina ?
Seit Lille, wo sich ein noch lebendiges flandrisches Erbe (Rijsel) mit der Pracht der französischen Belle Époque im versunkenen Industriezeitalter verbindet, 2004 europäische Kulturhauptstadt und wieder aufpoliert wurde, ist diese Stadt unbedingt einen Besuch wert: eigen- und einzigartig! Für dieses Ereignis wurde auch die Oper wieder hergerichtet: ein Prachtbau mit großzügigen Eingangshallen und Foyers sowie einem schönen Saal im italienischen Stil mit guter Akustik. Für deutsche Verhältnisse ist es schwer verständlich, dass das Haus in pro Spielzeit neben dem Ballettprogramm nur vier Opernproduktionen für insgesamt etwa 20 Opernabende herausbringt, und das in der Metropolregion Lille mit 1,1 Millionen Einwohnern! (Oper Frankfurt, vergleichbares Einzugsgebiet: 160 Opernabende). Um die Produktionen zu finanzieren, müssen dann immer noch eine ganze Reihe von Mäzenen, Vereinen und staatlichen Fördertöpfen bearbeitet werden. Die Oper ist auch der Sitz des profilierten Barockorchesters „Le Concert d’Astrée“ unter der Leitung der dynamischen Emanuelle Haїm, was wohl ursächlich dafür ist, dass sich in dieser Spielzeit unter den vier Produktionen gleich zwei Barockopern befinden, beide in Koproduktion mit der Oper Dijon, so auch das frühe Meisterwerk Agrippina des 24-jährigen Händel, das 1709 in Venedig herausgekommen ist.
Die gelungene Inszenierung von Jean-Yves Ruf stellt ganz auf den Antagonismus der beiden weiblichen Hauptfiguren ab, die mit ihrer ruchlosen Zielstrebigkeit alle männlichen Mitspieler mehr oder weniger der Lächerlichkeit preisgeben. Beide Damen erreichen ihr Ziel: die durchtriebene Agrippina kann bei ihrem Mann, dem einfältigen und amtsmüden Kaiser Claudio, durchsetzen, dass ihr naiver Sohn Nerone dessen Kaiserthron erhält, wodurch sie die Strippen zu ziehen gedenkt. Ottone, der siegreiche Held, von Claudio zu seinem Nachfolger bestimmt, will statt des Throns aber lieber die reizende Poppea, die aber auch von Kaiser Claudio begehrt wird. Sie, nicht Ottone, setzt mit ihren Gegenintrigen durch, dass sie zum Schluss zusammen kommen. Dann sind da noch zwei dümmliche Höflinge: Pallante und Narciso, die sich von Agrippina manipulieren lassen und, als sie das merken, sich noch tapsiger benehmen. Einzig Lesbo, der getreue Diener des Claudio, dient als spöttischer, aber ehrlicher Makler und bleibt außerhalb der Kombinen. Claudio ist zuletzt der Verlierer, muss er doch Agrippina behalten.
Laure Pichat hat für die Oper eine Bühne gebaut, die in den ersten Bildern so einfach wie konkret ist: einen relativ kahlen holzvertäfelten Raum. Einzelne Requisiten charakterisieren die Spielorte: ein Sofa im Salon der Agrippina, auf welchem sie ihre Pläne exponiert, im zweiten Bild (öffentlicher Raum) eine Treppe zu einem Thron, auf dem sie erst einmal selber Platz nimmt und im dritten Bild das Gemach der Poppea: ein Bett, auf welchem diese von ihrer Liebe zu Ottone träumt. Dass sie von vielen Männern begehrt wird, erschließt sich aus den vielen Kartengrüßen, die jeweils zusammen mit einem großen Strauß roter Rosen in ihr Gemach getragen werden. Es erscheint auch der hölzerne Claudio: etwas schüchtern bringt er bloß weiße Rosen. Der Triumphmarsch im zweiten Akt wird nur dadurch bebildert, dass Pauken und Trompeten auf der Bühne aufspielen. Danach wird das Bühnenbild zunehmend abstrakt, da verschiedene Räume nur noch durch das Ziehen von kettenartigen grauen Vorhängen geschaffen werden, hinter denen durch Beleuchtungseffekte auch eine konkrete Kulisse sichtbar gemacht werden kann. Dieses Setup wird sehr versatil zum Versteck- und Verwirrspiel der einzelnen Personen genutzt, welches – meisterhaft inszeniert von Poppea - im Stil einer klassischen französischen Komödie zur Auflösung der ganzen Geschichte im letzten Bild führt.
Claudia Jenatsch hat die zeitlos modernen Kostüme für die Produktion entworfen. Die beiden Höflinge sind als komische Figuren in identische schwarze Anzüge mit weißen Gamaschen gekleidet, nur Hemd, Kragen und Krawatte kontrastieren jeweils. Lesbo, ebenfalls in Schwarz, fällt durch seine hochgegelte Frisur auf und ist im Frack ebenfalls clownesk aufgestellt, Nerone in jugendlicher Freizeitkluft, Ottone in Khaki-Uniform und hohen Militärstiefeln. Die tückische Agrippina tritt zuerst in hochgeschlossenem langen schwarzem Kleid auf, während die niedlich-verführerische Poppea sich in Weiß auf ihrem Bett räkelt. Als die Oper zu Ende ist, haben beide ihre Farben getauscht: eine ist wie die andere. Der Depp Claudio ist in einen dunklen Trachtenanzug gekleidet: darunter nur Manschetten, Unterhemd, Chemisette und Hosenträger. Neben dem Sängeroktett hat der Regisseur noch stumme Schauspieler aufgeboten, die das Bild beleben: einen Eunuchen (eine androgyne Gestalt, die Poppea folgt wie die Geschwitz der Lulu, verkörpert von Arnaud Perron), einen Pagen, vor allem aber eine Bestie, ein Tier zwischen Hund und Menschenaffe, ganz virtuos gehopst von Cyril Casmèze, der in Gegenwart der Poppea mit Sprüngen, Gesten und Knurren jeweils darauf hinweist, dass sie wieder anders redet als denkt.
Jean-Yves Ruf findet einen durchgängig ironisch-komödiantischen Inszenierungsstil für diese seine erste Barock-Oper ohne Ulk und Klamauk oder aufgesetzten Jux. Die gut charakterisierten Figuren werden gut geführt. Sie haben darstellerisch und musikalisch noch nicht die Tiefe, die Händel später mit Rodelinda oder Alcina erreichen sollte, und sind auch nicht ganz so klar durchgezeichnet oder in Gut und Böse unterschieden; eigentlich sind sie alle Sympathieträger. Man verliert nie den Handlungsfaden, der der Zeit entsprechend in die Rezitative gelegt ist, und kann dabei den musikalischen Reiz der Arien voll genießen. Viele der musikalischen Ideen in Agrippina stammen aus früheren Werken Händels oder auch von Kollegen. Emanuelle Haїm und ihr „Le Concert d’Astrée“ fassen die Partitur mit sprühender Spielfreude an: das ist Händel, der drei Stunden Wohlgefühl erzeugt, wobei Inspiration und Expressivität vor der ultimativen Präzision kommen: ein kleiner Schuss Unschärfe erhöht die Lebendigkeit und lässt keine Trockenheit aufkommen. Die Tempi sind spritzig.
Für die Aufführungen in Dijon und Lille wurde ein jugendliches, aber hochkarätiges internationales Sängerensemble engagiert, das auf homogen hohem Niveau agierte. Als Agrippina bezauberte die Amerikanerin Alexandra Coku das Publikum mit gut geführtem höhen- und koloraturfestem Sopran und hinreißendem Spiel. Mit der Arie "Pensieri, voi mi tormentate", die etwas aus dem Duktus des Opernkontexts fällt, schafft sie einen gelungenen Abstecher ins Dramatische. Ihre Gegenspielerin Poppea wurde von der erst 30-jährigen bulgarischen Sopranistin Sonya Yoncheva verkörpert, die über einschmeichelnd schönes Stimmmaterial, aber nicht über Transparenz und Klarheit einer Barocksängerin verfügt; dabei besonders reizvoll ihre Bühnenpräsenz. Die Kroatin Renata Pokupic in der Hosenrolle des Nerone überzeugte durch frisches Spiel und ihren schön grundierten Mezzo. Der britische Bass Alastair Miles musste zunächst etwas steif wirken, schöpfte aber im Verlauf das komödiantische Potential der Rolle des Claudius voll aus, auch sängerisch, als er so tat, als könne er einen tiefen Ton nicht erreichen. Sein kräftiger Bass kam immer schön durch. Das Buffopaar Pallante und Narciso wurde mit kernigem tiefen Bariton von Riccardo Novaro (Italien) bzw. von dem französischen Counter Pascal Bertin gesungen, der als Barockspezialist diese Rolle sehr virtuos gestaltete. Die Rolle des Ottone gab der englische Counter Tim Mead mit fein austarierten lyrischen Linien. Für den Lesbo war Jean-Gabriel Saint Martin aufgeboten, ein agiler französischer Bassbariton mit klarer Diktion und schönem Volumen.
Das war schön durchmusizierter Händel vom Feinsten in einer kongenialen Inszenierung. Großer Beifall aus dem voll besetzten Haus. So gut wird man die Agrippina nicht so bald wieder sehen.
Manfred Langer Fotos: © Gilles Abegg