DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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Die Schönste von New York, konzertant

Premiere am 26. Mai 2022

Super-Rarität

 

Das Theater für Niedersachsen (TfN) und sein musikalischer Leiter Florian Ziemen sind immer wieder für eine Überraschung gut. So war es auch gestern mit der Ausgrabung eines munteren Stückes aus der Anfangszeit der Operette: „Die Schönste von New York“ (The belle of New York) des heute weitgehend unbekannten deutsch-amerikanischen Dirigenten und Komponisten Gustave Adolph Kerker (1857-1923). Aufgewachsen als Kind einer Musikerfamilie in Herford begann er schon früh mit dem Cellospiel; als er 10 Jahre alt war, emigrierte die Familie nach Louisville/Kentucky. Hier setzte er seine musikalischen Studien mit Komponieren und Dirigieren fort und brachte es schließlich 1888 zum musikalischen Leiter des Casino Theatre am Broadway, damals eine wichtige Bühne. Bis 1912 komponierte er insgesamt 29 Musical/Operetten, die zumeist auch am Broadway mit mehr als 100 Vorstellungen uraufgeführt wurden. Dagegen blieb „The Belle of New York“ hier mit 64 Aufführungen nur ein Achtungserfolg; der Durchbruch kam erst in London am Shaftesbury Theatre mit 697 Vorstellungen! Viele Bühnen in Europa und Amerika brachten das Stück in den folgenden Jahren heraus. „Die Schönste…“ wurde so zum Inbegriff der amerikanischen „musical comedy“.

 

Julian Rohde/Robyn Allegra Parton/Uwe Tobias Hieronimi

 

Am TfN hatte man sich für eine konzertante Aufführung in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln (Textfassung: Beka Savic-Förster) entschieden, um diese Musical Comedy mit den Texten von Hugh Morton (editiert von Dario Salvi) bekannt zu machen. So beschränkte man sich auf typisierende Kostüme (Marlee van Goor), flotte Tanzeinlagen und schauspielerische Effekte des Ensembles; wer für die wunderbare Einstudierung mit Nonsense und Slapstick verantwortlich war, blieb leider im Programm unerwähnt!

Florian Ziemen leitete den Abend mit gewohntem Schwung, und das kleine, begeistert mitgehende Orchester gab auf all seine Zeichen wirklich das Beste. Viel Drive und mehrere Walzer gingen auch den Zuschauern in die Beine. Der fast drei Stunden währende Abend verging wie im Fluge. Die leicht eingängigen Melodien Kerkers überzeugten das Publikum, das erfolgreich noch eine Zugabe „herausklatschte“.

 

 

Zur Handlung: Ichabod Bronson ein gestrenger Vater vom Lande überrascht seinen gerade 21 Jahre alt gewordenen Sohn Harry in New York just in dem Moment, als dieser kurz vor seiner (von ihm nicht unbedingt beabsichtigten) Hochzeit mit der „Operetten-Diva“ Cora Angelique steht, sich gerade in ein hübsches Zimmermädchen Fifi Fricot verliebt hat und von einer „Ehemaligen“ Kissie Fitzgarter mit zwei Freunden bedrängt wird. Das missfällt dem Vater und er enterbt den Sohn mit dem Hinweis, dass er sein Erbe der ersten vorbeikommenden Person vermachen wird. Das ist ausgerechnet die schöne Violet Gray von der Heilsarmee, die Harry kurz vorher im Vorübergehen gesehen und deren Anblick ihn wie ein Blitz getroffen hatte. Diese herzensgute Violet, die sich auch noch als Tochter von Ichabods altem Freund herausstellt, findet es ungerecht, das Geld zu nehmen und versucht sich aus diesem Dilemma zu lösen. Nach turbulenten Verwicklungen kommt es natürlich zum Happy End. In diese irrwitzige Handlung noch neu die Figur Karl von Pumpernick – Florian Ziemen – einzuführen als mordlustigen Verfolger eines Mr.Bronson war dann fast des Guten zuviel.

Von den Ausführenden sind zunächst Uwe Tobias Hieronimi (Ichabod), der seine große Bühnenpräsenz und schlank geführte Stimme unter Beweis stellen konnte, und Julian Rohde (Harry) zu nennen, der in dem turbulenten Spiel die Wandlung vom Filou zum braven Mann klarstimmig glaubhaft machen konnte. Die brave Violet erfüllte Robyn Allegra Parton mit viel Charme im Kampf gegen das weltliche Lotterleben und wunderbar frei schwingendem Sopran in allen Lagen. Neele Kramer gab die Operetten-Diva Cora mit großer Geste und als verlassene Braut mit in ihrem Zorn passend keifigen Tönen. Als anhängliche Fifi machte Kathrin Finja Meier gute Figur mit bestens durchgebildetem Sopran. Teilweise urkomisch und tänzerisch hinreissend gefiel die quirlige Lara Hofmann in einer Doppelrolle. Der wunderbare Bariton von Eddie Mofokeng (Blinky) kam bei dem Song „She is the Belle of New York“ am Besten zur Geltung. Ebenso gut gespielt und gesungen haben Felix Mischitz (Kenneth), William Baugh (Billy/Twiddles) und last not least die witzigen „portugiesischen Zwillinge“ Johannes Osenberg und Daniel Wernecke. Dazu kam der sauber einstudierte Chor des TfN, der die Solo-Songs meist aufgriff und vervollständigte (Achim Falkenhausen).

Es war eine rundum gelungene Ensemble-Leistung, die das Publikum lautstark honorierte. Es ist schon schade, dass es insgesamt nur 2 konzertante Vorstellungen davon gibt (heute ist schon die zweite!).

 

Bilder: © Tim Müller

Marion Eckels 27.05.2022

 

 

 

 

 

 



SAISONVORSCHAU 2022/2023

OPER/OPERETTE:
Hamlet („Ambleto“ – Oper von Francesco Gasparini) – Deutsche Erstaufführung am 3. September 2022 (Dirigent: Florian Ziemen, Inszenierung: Amy Stebbins)


Die Perlen der Cleopatra (Operette von Oscar Straus ) – Premiere am 15. Oktober  2022 (Dirigent: Florian Ziemen, Inszenierung: Oliver Graf)


Alice im Wunderland (Familienoper von Pierangelo Valtinoni) - Deutsche Erstaufführung am 3. Dezember 2022 (Dirigent: Achim Falkenhausen, Inszenierung: Clara Kalus)


Gegen die Wand (Oper von Ludger Vollmer) – Premiere am 25. März 2023 (Dirigent: Sergei Kisilev, Inszenierung: Beka Savic-Förster)


Erwin und Elmire (Singspiel von Anna Amalia von Braunschweig-Wolfenbüttel mit einem Libretto von Johann Wolfgang von Goethe) - Premiere der konzertanten Aufführung am 6. Mai 2023 (Dirigent: Florian Ziemen)

WIEDERAUFNAHMEN:
Carmen, Die Fledermaus

MUSICAL:
Knockin‘ on Heaven’s Door – das Rock’n‘ Road-Musical (Musik von Alex Geringas und Joachim Schlüter) – Premiere am 24. September 2022 (Dirigent: Andreas Unsicker, Inszenierung: Hanna Müller)


Sofies Welt (Familienmusical nach Jostein Gaarder, Musik von Gisle Kverndokk) –  
Premiere am 19. November 2022 (Dirigent: Andreas Unsicker, Inszenierung und Choreografie: Pascale-Sabine Chevroton)


Wie man Karriere macht, ohne sich anzustrengen („How tu succeed in business without really trying“ – Musical von Frank Loesser) – Premiere am 14. Januar 2023 (Dirigent: Florian Ziemen, Inszenierung: Matthias von Stegmann)


Stella – Das blonde Gespenst vom Kurfürstendamm (Ein deutsches Singspiel von Wolfgang Böhmer) – Premiere am 25. Februar 2023 (Dirigent: Andreas Unsicker, Inszenierung: Asli Kislal)


Goodbye, Norma Jeane – Die letzte Nacht im Leben von Marilyn Monroe (Buch von Allard Blom, Musik von Sam Verhoeven) – Premiere am 4. März 2023 (Dirigent: Andreas Unsicker, Inszenierung: Markus Dinhobl)


Pop Punk High(School) (Punk-Rock Highschool-Musical von Ben Lapidus) – Europäische Erstaufführung am 15. April 2023 (Dirigent: Andreas Unsicker, Inszenierung: Oliver Pauli)

WIEDERAUFNAHMEN:
The Kraut - Ein Marlene-Dietrich-Abend, Green Day’s American Idiot

TANZ:
Hamlet (Tanztheater nach Shakespeare) – Premieren in Nienburg und Hildesheim am 10. und 18. September 2022 (Choreografie: Yamila Khodr)

Gerhard Eckels, 16. März 2021

 

 

Aladin und die Wunderlampe

Premiere am 19. Februar 2022

Märchenoper

 

Mit Nino Rotas Märchenoper hat Hildesheim wieder etwas Besonderes auf die Bühne gebracht. 1968 in Neapel uraufgeführt, hat das Werk einen etwas steinigen Weg genommen, denn es taucht nur sehr selten in Spielplänen auf. Dabei ist Rotas durch Spielfilme („Der Pate“/„Tod auf dem Nil“/„La dolce vita“) bekannt plakative Musik auch hier wunderbar illustrierend. Da wird mit Pauken und Blech gezaubert, mit Flöten und lieblichem Chorgesang kontrastreich gespielt.

Für die Regie hatte man sich Petra Müller (Spielleiterin an der Staatsoper Hamburg) geholt, die mit Hilfe von Sandra Linde (Bühne und Kostüme) eine lebhafte Inszenierung des bekannten Märchens aus „1001 Nacht“ schuf. Mit wenigen, orientalisch anmutenden Versatzstücken aus dem Schnürboden und leichten, auf Rollen laufenden Accessoires wie Steine, Palmen oder Prunkbett im Schloss ließen sich die jeweiligen Handlungsorte zügig verändern. Die teils schlichten, teils prächtigen Kostüme waren passend dazu eine Augenweide.

 

 

Die musikalische Seite lag in Händen des erfahrenen Dirigenten und Chordirektors Achim Falkenhausen, der die Kontraste in Rotas spannender Musik, die nur wenige Anklänge an Orient enthält, mit dem Orchester deutlich herausarbeitete und mit klarer Zeichengebung Bühne und Graben zu einer Einheit verschmelzen ließ. Man merkte von der Eröffnungsszene mit dem sauber intonierenden Kinderchor an, dass es allen Beteiligten Spaß machte. Als Titelheld war Yohan Kim ein agiler Aladin, der seine kräftige Tenorstimme machtvoll einsetzte; er sollte aber auch seinen leiseren Tönen mehr vertrauen. Im Spiel machte er die Entwicklung vom lockeren Jugendlichen bis zum ernsthaft Liebenden deutlich. Neele Kramer gefiel darstellerisch als Schneiderwitwe, die für ihren Sohn sogar den König mutig um die Hand seiner Tochter bittet, ebenso wie sängerisch durch ausdrucksstarke Interpretation der Partie. Eindrucksvolle Akzente setzte Robyn Allegra Parton als Prinzessin Badr-al-Budúr mit facettenreichem Sopran, der der anspruchsvollen Partie voll gerecht wurde. Ihr Liebesduett mit Aladin war ein Höhepunkt des Abends. Ihren dem Reichtum ergebenen Vater (Sultan) erfüllte Uwe Tobias Hieronimi mit klangvollen Basstönen und ausgezeichneter Darstellung. Musikalisch sehr gut gelungen war das Quartett dieser vier Solisten. Der Zauberer aus Maghreb wurde von Eddie Mofokeng wenig furchteinflößend dargestellt; seinen schönen

Bariton präsentierte er am Besten mit dem hoffnungsvollen „Magische Lampe, bald bist du mein“. Leider wurde er sonst leicht vom Orchester übertönt.

 

 

In weiteren Rollen erlebte man Marco Simonelli als Goldschmied, Julian Rohde, Chun Ding und Stephan Freiberger als muntere Freunde Aladins sowie Kathelijne Wagner als braves Dienstmädchen und vor allem Jesper Mikkelsen in der Doppelrolle als Lampen-/Ringgeist, der wunderbar kostümiert allen Wünschen nachkam. Dazu waren Chor und Jugendchor des TfN lebhaft beteiligt und erfüllten ihren Part mit ausgewogenem Klang.

Das Publikum dankte allen Mitwirkenden einschließlich Regieteam mit starkem Applaus am Premierenabend.

Aber: Da es ein Märchen aus Arabien war, wurden die Obertitel in arabischen Schriftzeichen angezeigt. Man konnte zwar aus der Musik entnehmen, worum es ging, aber von den Chören und Gesangssolisten war trotz deutscher Sprache nicht viel zu verstehen. Grundsätzlich ist es gut, auch für Obertitel neue Wege zu gehen, aber vielleicht könnte man doch links Arabisch und rechts Deutsch eingeben? Das würde vielen Zuschauern sicher weiterhelfen.

 

 

Bilder: © Falk von Traubenberg

Marion Eckels 20. Oktober 2022

Weitere Vorstellungen in Hildesheim: 26.2.; 04./15.3.; 02./05.05.; 19.06. u.a.

 

 

 

 

 

 

 

DIE FLEDERMAUS

Besuchte Vorstellung am 10. Dezember 2021

Premiere am 4. Dezember 2021

Unterhaltsamer Spaß

Nele Kramer/Zachary Wilson/Chor

 

Die unumstrittene Königin der Operette mit ihren unsterblichen Melodien („Glücklich ist, wer vergisst“, „Trinke, Liebchen, trinke schnell“ oder „Brüderlein und Schwesterlein“) ist wieder ins TfN (Theater für Niedersachsen) eingezogen, und das mit musikalischem Elan und großer Spielfreude des gesamten Ensembles. Es begann mit der vom gut aufgelegten Orchester mit Schwung präsentierten Ouvertüre, zu deren zweitem Teil die muntere Kammerzofe Adele ihren Pflichten nachkam, indem sie im Takt der spritzigen Musik Staub wedelte. Hildesheims GMD Florian Ziemen hatte maßgeblichen Anteil daran, dass bereits von Anfang an sozusagen der Champagner moussierte und neben dem auch nötigen Sentiment meist ein flottes, vorwärts drängendes Tempo angeschlagen wurde. Auch Regisseur Matthias von Stegmann hatte das letztlich lustige Verwirrspiel temporeich inszeniert, was streckenweise allerdings auch in Albernheiten über die Stränge schlug. So waren beispielsweise die auf einer Rolle aus der Aktentasche des Rechtsanwalts Dr. Blind (Max Albrecht Müller) herausgezogenen Schriftsätze ebenso wenig so richtig lustig wie das ständige Schwellen-Gestolpere des Sliwowitz-verliebten Gefängniswärters Frosch (Martin Schwartengräber). Positiv fielen in der fast durchgehend plausiblen Personenführung die vielen choreographischen Anteile für Solisten und Chor auf. All das passte gut in das praktikable, flink veränderbare Bühnenbild von Simon Lima Holdsworth, die auch für die fantasiereichen, vor allem für die Choristen geradezu surrealen Kostüme verantwortlich war.

 

Julian Rohde/Julia Borchert/Uwe Tobias Hieronimi

 

Wie immer in Hildesheim gab es solide bis beachtliche sängerische Leistungen: Da ist zunächst der sonst im italienischen Baritonfach erfolgreiche Zachary Wilson als Gabriel von Eisenstein zu nennen. Der Amerikaner spielte den feierlustigen Rentier mit Verve; dabei hatte sein markanter, äußerst flexibler Bariton mit den Höhen der Partie (eigentlich ist Eisenstein Tenor) nie Probleme. Die düpierte und sich an ihrem Ehemann rächende Rosalinde war der Wagner-erprobten Julia Borchert anvertraut. Sie beeindruckte erneut durch intonationsreines Singen und sichere Führung ihres abgerundeten, farbenreichen Soprans. Ein Glanzpunkt der Vorstellung war der souverän dargebotene Csárdás „Klänge der Heimat“ mit seinen ungarischen Rhythmen.

 

Nele Kramer/Eddie Mofokeng

 

Dass Robyn Allegra Parton als Adele nie soubrettig klang – wie in dieser Rolle sonst leider oft zu hören – war im Grunde selbstverständlich, hatte sie doch schon als Violetta starken Eindruck hinterlassen. Hier spielte die britische Sängerin ihre Koloraturfähigkeit und Höhensicherheit aus und gefiel ebenso durch ihre muntere Darstellung. Ihre beiden Solo-Szenen „Mein Herr Marquis“ und das witzig aufgelockerte „Spiel ich die Unschuld vom Lande“ gelangen mit Bravour. Mit seinem sympathischen, weichen Bariton nahm der Südafrikaner Eddie Mofokeng als Dr. Falke, dem Drahtzieher der ganzen Geschichte, der „Rache einer Fledermaus“, für sich ein.

 

Julia Borchert/Zachary Wilson/Uwe Tobias Hieronimi/Robyn Allegra Parton/Nele Kramer

 

Neele Kramer überzeugte einmal mehr mit angemessener Darstellung und gewohnt kultivierter Führung ihres prächtigen Mezzosoprans als gelangweilter Prinz Orlofsky, der hier als Prinzessin auftrat, was im Verlauf des Abends jedoch überhaupt nicht weiter ausgespielt wurde. Mit seiner ausgeprägten Bühnenpräsenz und stimmlich erstaunlich lockerem „Mein schönes, großes Vogelhaus…“ gab Uwe Tobias Hieronimi den Gefängnisdirektor Frank, während Julian Rohde mit kleinem, aber feinen Tenor Rosalindes Liebhaber Alfred war; als Adeles Schwester Ida ergänzte die junge Sopranistin Sophia Revilla. Zum Erfolg der Produktion trug ganz entscheidend auch der von Achim Falkenhausen einstudierte Chor des TfN bei, der erneut durch Klangausgewogenheit Eindruck machte.

Insgesamt war es ein Operettenabend, der gute Unterhaltung bot und damit einfach Spaß machte, was das begeisterte Publikum mit Szenenapplaus und starkem, lang anhaltendem Schlussbeifall für alle Mitwirkenden honorierte.

 

Fotos: © Jochen Quast

Gerhard Eckels 11. Dezember 2021

 

Nächste Vorstellungen: 18.,29.12.2021+25.1.2022 u.a.

 

 

Pacini

MEDEA

Besuchte Vorstellung am 9. Oktober 2021

Premiere und deutsche Erstaufführung am 2. Oktober 2021

Mega-Rarität

 

Dem Hildesheimer GMD Florian Ziemen ist es erneut gelungen, eine vergessene oder hierzulande unbekannte Oper erfolgreich zu präsentieren. Nach Mercadantes „I briganti“ (Die Räuber) in der vorigen Saison gab es wieder das besondere Unternehmen einer Trilogie über den Medea-Stoff: Der Oper „Medea“ von Giovanni Pacini folgten die Tragödie von Pierre Corneille und ein Tanztheaterstück des Donlon Dance Collective.

Pacini, der insgesamt 98 Opern schrieb, gilt unter den vielen italienischen Opernkomponisten, die zur Zeit Rossinis, Donizettis, Bellinis und des jungen Verdi tätig waren, als einer der bedeutendsten. Sein ganz großes Vorbild war Rossini, dessen Koloraturfertigkeit und die beliebten Crescendi er noch zu übertreffen suchte. In seiner späteren Schaffenszeit, in die auch die Belcanto-Oper Medea fällt (Uraufführung 1843 in Palermo), hat er sich bemüht, mit vielfältigen Modulationen und verstärkter Chromatik auch die Klangfülle Bellinis zu erreichen. Benedetto Castiglia verfasste das Libretto nach den Dramen von Euripides und Pierre Corneille, nach dem Medea, Tochter des Königs Aietes von Kolchis, sich in den Argonauten-Anführer Giasone verliebt, für diesen ihre Heimat aufgibt und ihren Bruder tötet. Sie zieht mit ihm nach Korinth, wo beide eine Familie gründen und zwei Kinder bekommen. Doch das Glück währt nicht lange, da Giasone die Tochter König Creontes, Creusa, heiraten möchte und die Scheidung fordert. Medeas unerträglicher Schmerz dürstet nach Rache, so dass sie sich schließlich nicht anders zu helfen weiß, ihre beiden Kinder und im Affekt auch Creusa tötet, bevor sie Selbstmord begeht.

 

 

Robyn Allegra Parton/Yohan Kim

 

Die Inszenierung dieser grausamen Geschichte aus der griechischen Mythologie war Beka Savić anvertraut, der es gelang, Bewegung in diese statischen Nummern zu bringen. Allerdings wurde nicht klar, warum bei den Priesterszenen doppelköpfige Masken getragen wurden und warum Oberpriester Calcante etwas ins Taufwasser der Kinder kippte, so dass sie nach ihrem gewaltsamen Tod in dem Becken nur noch als Gerippe auftauchten. Ein für die gesamte Trilogie übergreifendes Bühnenbild und Kostüme steuerte Anna Siegrot bei; ein wie ein Behelfsübergang wirkender hölzerner Bau bot die Gelegenheit, die Akteure immer wieder neu zu positionieren, was auf Dauer aber doch etwas eintönig war. Dagegen wurden zwei verschiedene durchsichtige Vorhänge zu häufig hin und her geschoben, um das Geschehen aufzulockern. Da hätte man sich eine Art Thing-Platz besser vorstellen können. Die Kostüme blieben dunkel, der Thematik des Stückes verhaftet; lediglich Creusa war klischeehaft in Weiß, Medea in etwas wärmere Brauntöne gekleidet.

 

 

Zachary Wilson/Robyn Allegra Parton/Yohan Kim

 

Florian Ziemen animierte das Orchester des TfN mit deutlicher Zeichengebung und frischem Schwung zu bestem Musizieren. Kleine Unsicherheiten der Bühnenmusik trübten den guten Gesamteindruck keineswegs. Beim ersten Auftritt Creontes hätte ich mir noch ein wenig mehr Zurückhaltung des Orchesters zugunsten der Tiefen des Baritons gewünscht. Von den Sängern ist zunächst die Engländerin Robyn Allegra Parton in der Titelrolle zu nennen, die rundum überzeugte: Sie bewies mit gut durchgebildetem, blitzsauberem Sopran, dass sie flüssige Koloraturen ebenso beherrscht wie glitzernde Staccati, zarte piano-Einsätze in der Höhe und wie herausgeschleuderte Rachetöne. Dazu spielte sie äußerst ausdrucksstark, machte alle Schattierungen der Eifersucht, Zweifel, Liebe und Wut deutlich. Yohan Kim war ein robuster Giasone, dessen rau timbrierter Tenor aber auch zu weicheren Tönen fähig war, sobald er immer wieder unter Schuldgefühlen gegenüber Medea litt. Als Creonte erfreute Zachary Wilson mit wohlklingendem Bariton, dem es auch nicht an stimmlicher Attacke mangelte; lediglich im Terzett mit Giasone und Medea hatte er leider keine Chance mehr gegen die durchschlagenden hohen Stimmen. Uwe Tobias Hieronimi als Calcante, Neele Kramer in der Doppelrolle Cassandra/Creusa und Steffi Fischer als Dienerin Licisca sowie Julian Rohde als Lisimaco (neue Rolle?) ergänzten das Ensemble rollengerecht.

Vier Damen und sechs Herren des Opernchores des TfN entwickelten in der Einstudierung von Achim Falkenhausen erstaunlich homogenen Klang, bravo!

Das Publikum dankte allen Akteuren mit begeistertem, langanhaltendem Applaus.

 

Bilder: © Tim Müller

Marion Eckels 10. Oktober 2021

 

Weitere Vorstellungen:23.,31.10.,14.11.,8.,22.12.2021 u.a.

 

SAISONVORSCHAU 2021/2022

OPER/OPERETTE:

Medea (Melodramma tragico von Giovanni Pacini)

Deutsche Erstaufführung am 2. Oktober 2021

(Dirigent: Florian Ziemen, Inszenierung: Beka Savic)

 

Die Fledermaus

Premiere am 4. Dezember 2021

(Dirigent: Florian Ziemen, Inszenierung: Matthias von Stegmann)

 

Aladin und die Wunderlampe (Märchenoper von Nino Rota)

Premiere am 19. Februar 2022

(Dirigent: Achim Falkenhausen, Inszenierung: Petra Müller)

 

Carmen

Premiere am 2. April 2022

(Dirigent: Sergei Kiselev, Inszenierung: N.N.)

 

Wenn der Postmann zweimal klingelt (Oper von Stephen Thomas)

Europäische Erstaufführung am 14. Mai 2022

(Dirigent: Sergei Kisilev, Inszenierung: Oliver Graf)

 

Die Schönste von New York (Operette von Gustave Adolph Kerker)

Premiere der konzertanten Aufführung am 13. Mai 2021

(Dirigent: Florian Ziemen)

WIEDERAUFNAHMEN:

La Traviata

Winterreise

 

MUSICAL:

Kinky Boots – ziemlich scharfe Stiefel (Musical von Cyndi Lauper)

Premiere am 12. September 2021

(Inszenierung: Lilo Wanders, Dirigent: Andreas Unsicker)

 

Pumuckl (Familienmusical von Franz Wittenbrink)

Premiere am 30. Oktober 2021

(Inszenierung: Oliver Pauli, Dirigent: Andreas Unsicker)

 

Flammen (Musicalthriller von Stephen Dolginoff)

Premiere am 10. Februar 2022

(Inszenierung: Pascale-Sabine Chevroton, Dirigent: Andreas Unsicker)

 

Green Day´s American Idiot (Punk-Rock-Musical mit Musik von Green Day)

Premiere am 16. April 2022

(Inszenierung: Oliver Pauli, Dirigent: Andreas Unsicker)

WIEDERAUFNAHMEN:

The Toxic Avenger (Pop-Rock-Musical von Joe DiPietro und David Bryan)

The Kraut - Ein Marlene-Dietrich-Abend

Sarg niemals nie ("Ein Musical zum Totlachen")

 

Gerhard Eckels 30. Juni 2021

 

 

LA TRAVIATA

Premiere am 5. Juni 2021

Endlich live

Robyn Allegra Parton

 

Mit dem überaus beliebten Publikumsrenner La Traviata ist das Theater für Niedersachsen (tfn) nach langer Pause wieder in den Live-Modus eingestiegen. Allerdings so richtig live war es dann doch noch nicht: Zwar gab es jetzt anders als bei Mercadantes „I briganti“, der letzten Musiktheater-Produktion im September 2020, keine Fassung für verkleinertes Orchester, aber dennoch konnte „La Traviata“ in der bereits im Herbst 2020 beginnenden Probenzeit unter den geltenden Bedingungen nicht so wie früher vor der Pandemie üblich verwirklicht werden. Deshalb wurden in einem Tonstudio Aufnahmen von Orchester und Chor gemacht, die auf besondere Weise in die Neuinszenierung eingebracht wurden. Sie wurden nicht einfach abgespielt, sondern waren Teil der Produktion, indem vor Beginn und auch zwischendurch optische Mitschnitte von der Probenarbeit zu sehen waren. Akustisch passten die von Hildesheims GMD Florian Ziemen erstellten Aufnahmen der Orchesterbegleitung und der Chorszenen (Einstudierung: Achim Falkenhausen) mit den nun wirklich live singenden und agierenden Solisten dank der äußerst präzisen Zeichengebung des griechischen Studienleiters Panagiotis Papadopoulos erstaunlich gut zusammen. Allerdings wirkte es in den großen Szenen manchmal doch etwas steril, weil die Tempi natürlich durch die vorproduzierten Aufnahmen, die übrigens teilweise zu leise klangen, eben vorgegeben und damit unveränderbar waren. Dies mag auch der Grund dafür gewesen sein, dass an vielen Stellen der versierte Solorepetitor Demian Ewig am Klavier zum Einsatz kam. Denn man hatte nicht den Eindruck, dass dies aus inszenatorischen Gründen erfolgte, sondern vor allem dann, wenn es um musikalisch heiklere Stellen ging, an denen eine individuelle Begleitung der Sängerinnen und Sänger nötig war.

 

 

 

Zachary Bruce Wilson/Yohan Kim

 

Ungewöhnlich war, dass nicht wie inzwischen allerorts üblich im italienischen Original gesungen wurde, sondern in der Fassung der deutschen Erstaufführung in Hamburg 1857, für die die Sängerin der Titelpartie Natalie von Grünhof die deutsche Übersetzung des Librettos erstellt hatte. Die Protagonisten hatten damit jedoch keine Probleme, wie überhaupt durchweg auf ansprechendem Niveau gesungen wurde. Da ist an erster Stelle Robyn Allegra Parton als Violetta zu nennen, die wie schon bei den „Briganti“ positiven Eindruck hinterließ. Wie die britische Sängerin die widerstreitenden Gefühle der todkranken Liebenden eindringlich zu gestalten wusste, gefiel trotz der nicht durchweg einsichtigen Personenregie. Ihr ausdrucksstarker Sopran erwies sich im ersten Akt als koloratur- und höhensicher, ließ im zweiten mit warmen Farben ausgestattete lyrische Töne hören und hatte besonders im Schluss-Akt schöne Piani. Dass sie öfter dazu neigt, die Töne besonders in der Mittellage von unten anzuschleifen, kann sie sich wohl noch abgewöhnen. Yohan Kim war in der Gestaltung des in Violetta ernsthaft verliebten Alfred ein wenig blass, während er seine kräftige Stimme mit dem nötigen tenoralen Strahl versah und eindrucksvoll bewies, dass er mit den Höhen der Partie keinerlei Probleme hat. Der US-Amerikaner Zachary Bruce Wilson gab den in alten Konventionen verhafteten Vater Germont, der von der Regie her nur wenig erkennen lassen durfte, wie sehr ihn Violettas Einstellung beeindruckte. Mit seinem markanten Bariton gelang es ihm, die vielen Legato-Bögen seiner Partie eindrucksvoll auszusingen. Im Übrigen erwies sich die Solidität des Hildesheimer Opernensembles: Stimmstark gab Neele Kramer die feierfreudige Flora Bervoix sowie die um Violetta besorgte Annina. Sicher und ohne Fehl erwiesen sich Julian Rohde als Gaston, Eddie Mofokeng als Baron Douphal, Jesper Mikkelsen als d’Obigny und Uwe Tobias Hieronimi als Doktor Grenvil.

 

 

 

Zachary Bruce Wilson/Robyn Allegra Parton/Neele Kramer/Yohan Kim/Eddie Mofokeng

 

Die Neuinszenierung der serbischen Regisseurin Beka Savic in der Ausstattung von Telse Hand war aus verschiedenen Gründen reichlich gewöhnungsbedürftig. Das mit einer großen zweiflügeligen Tür und großen grauen Quadern einfach gestaltete Bühnenbild war gut bespielbar. Merkwürdig war dagegen die Kleidung der Protagonisten, die Kostüme mit gleichem, etwas exotisch anmutendem Muster trugen. Vater Germont sah mit seinem schmalen Zylinder eher wie ein Zauberer aus dem Märchen aus. Dass Flora einen Kopfschmuck aus Sektkelchen trug, sollte wohl darauf hindeuten, dass mit dieser Kostümierung die Spaßgesellschaft gemeint war, aus der Violetta ausbrechen will. Alfred trug durchgehend einen bunten einteiligen Hosenanzug, vielleicht weil ihm der Ausstieg nicht gelungen ist, was zum Schluss der Oper nun überhaupt nicht passte. Am Anfang der Oper sah man zur wunderbaren Sphärenmusik des Vorspiels Violetta in einem eleganten Ballkleid, die offenbar in Erinnerungen auf die vergangene Zeit zurückblickt, indem sie einen Brief liest, wahrscheinlich den von Vater Germont, mit dem die Rückkehr Alfreds angekündigt wird. Sobald die Musik zum Auftakt von Violettas Fest im 1.Akt erklingt, zieht sie einen Umhang im beschriebenen Muster an – und die schicksalhaften Begegnungen können beginnen. Wenn das Folgende alles Violettas Erinnerungen sein sollen, war der Schluss mit Krankenlager und Tod unbefriedigend und inkonsequent. Denn in den letzten Szenen sang sie mal aus dem Off, mal aber auf der Bühne. Dass sich Violetta und Alfred beim wunderschönen, aber tieftraurigen Schlussduett nicht umarmen dürfen, ist Corona geschuldet. Dass aber Violettas Leiche bei Alfreds Rückkehr auf einem der Quader unter weißen Tüchern quasi aufgebahrt ist, entsprach in keiner Weise dem Libretto und damit dem zu singenden Text, den man in den Obertiteln gut verfolgen konnte. Besonders ärgerlich war, dass Alfred in dem Augenblick mit dem Rücken zum Publikum am Boden vor der „Leiche“ kniete, als Violetta ihm ihre über den Tod hinausgehende Liebe erklärte, indem sie – jedenfalls nach dem Libretto – ihm ihr Medaillon gibt, dass er an eine künftige Liebe weitergeben soll.  

Fazit: Schön, dass die Theater wieder vor Publikum spielen dürfen und dass man Sängerinnen und Sänger live erleben kann, auch wenn die hier angebotene inszenatorische Lösung nicht überzeugte.

 

Bilder: © Jochen Quast

 

Gerhard Eckels 6. Juni 2021

 

 

I BRIGANTI

Premiere am 12. September 2020

Düsteres Drama in der Pandemie

Der Opernkomponist Saverio Mercadante (1795-1870) ist wohl nur eingefleischten Opernkennern bekannt; denn seine zwischen den Jahren 1819 und 1856 entstandenen 57 Werke für das Musiktheater haben ihn alle nicht überlebt, wenn man von Wiederbelebungsversuchen von „Il Giuramento“, „I due Figaro“ oder „La Vestale“ ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts absieht.  Umso mehr überrascht das „Räuber-Projekt“, das sich das Theater für Niedersachsen (TfN) zur Eröffnung der Spielzeit nach dem Corona-Lockdown vorgenommen hat. Die Trilogie beginnt mit Mercadantes Fassung des Schiller-Dramas, am folgenden Tag gibt es das „Original“, und nach einer Woche hat die Interpretation des Donlon Dance Collective Premiere, alles übrigens mit demselben recht düsteren Bühnenbild von Belén Montoliú.

Mercadante ist ein Vertreter der italienischen Reformbewegung, die die Oper von überkommenen Gebräuchen entschlacken wollte; so führte er 1838 in einem Brief an seinen und Bellinis Freund Francesco Florino aus, dass er dem Opernbetrieb „triviale Kabaletten“, die übertriebenen „Crescendi“ und die vielen Wiederholungen austreiben wolle. Außerdem wolle er, ohne die Belcanto-Oper abzuschaffen, u.a. „ein reiches Orchester ohne Überdeckung des Gesangs“ und die „Kürzung der solistischen Passagen in Ensemblestücken, während deren die anderen Darsteller gezwungen sind, auf Kosten der Handlung steif herumzustehen.“ Die Entstehung der „Briganti“ geht immerhin auf Gioachino Rossini zurück, der als Theaterdirektor in Paris Mercadante mit einer neuen Oper beauftragte, der sich seinerseits das italienische Libretto von Jacopo Crescini schreiben ließ. Die Uraufführung  im März 1836 im Pariser Théâtre Italien hatte nur mäßigen Erfolg, so dass die Sängerbesetzung kurz danach abreiste und das Stück bereits Anfang Juli desselben Jahres im Londoner King’s Theatre aufführte. Es folgten weitere Vorstellungen in Venedig sowie in den folgenden Jahren in Mailand, Cagliari, Lissabon, Neapel, Madrid, auf Malta und in Korfu, bis sie wie Mercadantes anderen Opern in Vergessenheit geriet.  In Deutschland wurde „I briganti“ erst 2012 beim Rossini-Festival in Bad Wildbad wieder aufgeführt, sodass die Oper auch aus Anlass des 150. Todestags des Komponisten nun am TfN  zum zweiten Mal hierzulande zu erleben ist.

Zachary Bruce Wilson/Robyn Allegra Parton

 

Die Handlung der Oper in drei Akten mit vier Bildern setzt erst im vierten Akt des Schiller-Dramas mit dem Wiedereintreffen Ermanos (Karl Moor) im heimatlichen Schloss ein. Nach dem Schein-Begräbnis des alten Grafen Massimiliano (der alte Moor) wirbt Corrado (Franz) vergeblich um Amelia, die den tot geglaubten Ermano liebt. Das zweite Bild schildert die Rückkehr Ermanos und das Zusammentreffen mit Amelia. Weiter geht es im Lager der Räuber: Nach einem Trinkgelage wird der vermeintlich tote alte Graf befreit, und es kommt zum Wiedersehen mit dem Sohn. Der dritte Akt spielt wieder im Schloss: Corrado erhält seine Schlussarie, bevor er sich in den tödlichen Kampf stürzt. Anschließend sehen sich der alte Graf und Amelia wieder; Ermano kommt dazu, den die Räuber auffordern, zu ihnen zurückzukehren. Ermano, der ihnen Treue geschworen hat, folgt ihnen und verlässt den Vater und seine große Liebe Amelia.

Das Bühnenbild besteht aus einem großen ineinander verschachtelten „Klettergerüst“, das in vier Teile auseinander und variabel aufgestellt werden kann, was meist auf offener Bühne durch in medizinische Schutzanzüge gekleidete Bühnentechniker geschieht (Aha, Corona-Gefahr!). Die abstrakten Bilder (also kein Schloss, kein Wald usw.) ermöglichen, die Beziehungen der handelnden Personen näher herauszuarbeiten, was dem Regisseur Manuel Schmitt auch gelingt. Dabei gibt es entgegen dem Text Corona-bedingt keine Umarmungen, kein Anfassen, sondern unnatürlich distanzierte Begegnungen, bei denen „spannende neue Ästhetiken“ entstehen, wie der Regisseur im Programmheft meint. Dazu soll wohl auch gehören, dass die Protagonisten oft sozusagen aus der Handlung heraustreten und sich nebeneinander an die Rampe stellen. Fast alle Handlungsträger tragen zeitlose, schwarze Kleidung, auch von Belén Montoliú entworfen; Ausnahme ist der in blau-gelb gekleidete, junge Schiller (Torben Kirchner), den der Regisseur durch fast alle Szenen wuseln lässt, indem er Texte (der „Räuber“?) schreibt oder das Geschehen staunend betrachtet. Die Räuberbande ist nicht zu sehen (nur aus dem Off zu hören), für sie treten in historischen Kostümen Figuren aus Schillers Dramen auf, wie beispielsweise die Jungfrau von Orleans, Maria Stuart, Luise aus „Kabale und Liebe“ oder Wilhelm Tell. Außerdem ist befremdlich, dass Ermano am Schluss weder sich noch Amelia, dafür aber Schiller ersticht. Man muss nicht alles verstehen!

Neele Kramer/Robyn Allegra Parton/Zachary Bruce Wilson/Julian Rohde/Yohan Kim

 

Nun zur musikalischen Verwirklichung der Belcanto-Oper: Wegen der Abstandsvorschriften auch im Graben war es nötig, die Zahl der Orchestermitglieder von rund 45 auf etwa die Hälfte zu reduzieren. GMD Florian Ziemen hat selbst eine Fassung für ein kleineres Ensemble von 21 Musikern geschaffen; dadurch ist ein dem musikalischen Original erstaunlich nahe gekommenes Klangbild entstanden. Am Premierenabend sorgte die präzise, stets vorwärts drängende Leitung des GMD für einen trotz der kleineren Besetzung kompakten und zugleich differenzierten Klang, zu dem die zahlreichen, ausgezeichneten Instrumenten-Soli gekonnt beitrugen. Die Sängerbesetzung ist bei den hohen Anforderungen, die Mercadante an das stimmtechnische Vermögen der Protagonisten stellt, alles andere als leicht. Er hatte für dieselben vier Sänger geschrieben, die 1835 Bellinis „Puritani“ aus der Taufe gehoben hatten, dabei der damals berühmte Tenor Giovanni Rubini, mit dem Mercadante befreundet war. Wie es der Mercadante-Spezialist Michael Wittmann ausgedrückt hat, „kannte Mercadante deren stimmliche Möglichkeiten ganz genau, und die Partitur erweckt den Anschein, als ob er seinen besonderen Ehrgeiz daran gesetzt hätte, den Sängern best- und schwerstmöglich in die Kehlen zu schreiben.“

Neele Kramer/Robyn Allegra Parton

 

Daran die Leistungen am Premierenabend zu messen, wäre ungerecht, aber das Ensemble hatte beachtlich hohes Niveau. Da ist zunächst die britische Sopranistin Robyn Allegra Parton als Amelia zu nennen. Sie stellte glaubhaft die unter den widrigen Umständen leidende Frau dar; dass sie zu Corrados Arien im Gerüst herum klettern musste, ist ihr nicht anzulasten. Sie führte ihren tragfähigen Sopran gut abgerundet durch alle Lagen und gefiel durch klare Koloraturgeläufigkeit sowie sichere Höhen; besonders gelungen waren die schön ausgesungenen Lyrismen im 3.Akt. Ihr „Gegenspieler“ Corrado war bei dem US-Amerikaner Zachary Bruce Wilson gut aufgehoben; in seiner Darstellung war Corrado weniger schurkischer Bösewicht als heftig unter Amelias Ablehnung leidender Mann. Der Sänger verfügt über einen markanten Bariton, den er schön auf Linie führte, der in den nicht wenigen Koloraturen sicher war und der durchgehend mit starkem Ausdruck imponierte. Für den jungen Koreaner Yohan Kim war es nun alles andere als leicht, mit der technisch schwierigsten Partie der Oper fertig zu werden; er sang zu eindimensional, indem er bei durchgehender Lautstärke kaum differenzierte. Da die extremen Höhen meist gelangen, teilweise aber nur mit merkwürdiger Kopfstimme, muss man leider feststellen, dass er sich hörbar angestrengt durch seine Partie kämpfte.

Uwe Tobias Hieronimi/Yohan Kim

 

Der in Hildesheim in vielen unterschiedlichen Bariton- und Bass-Partien bewährte Uwe Tobias Hieronimi gab den „alten Moor“, hier Massimiliano. Inzwischen weist seine Stimme so starkes Tremolo auf, dass sie einfach nicht belkantistisch klingt, wobei die Stimmführung sonst über jeden Zweifel erhaben ist. In den kleineren Partien ergänzten ohne Fehl Neele Kramer als Amelias Vertraute Teresa, der Südafrikaner Eddie Mofokeng als treuer, für Massimiliano sorgender Bertrando und Julian Rohde als Ermanos Freund Rollero.

Der Chor, meist aus dem Off singend, wenn man von einer Szene absieht, in der einige Choristinnen ebenfalls in medizinischer Schutzkleidung auftraten, entwickelte unter dem im Bühnenhintergrund wirkenden Chordirektor Achim Falkenhausen die in Hildesheim gewohnte ausgewogene Klangpracht.

Insgesamt hat das TfN in diesen schwierigen Zeiten eine tolle Leistung vollbracht, was Intendant Oliver Graf nach dem begeisterten Schlussapplaus dankend hervorhob.

 

Bilder: © Marie Liebig

Gerhard Eckels 13. September 2020

 

Weitere Vorstellungen: 26.9.,9.+17.10.2020

 

 

SAISONVORSCHAU 2020/2021

Die Durchführung der in der Zeitplanung mutigen, nachstehend aufgeführten Premieren des tfn für die nächste Spielzeit hängt natürlich davon ab, was ab wann überhaupt wieder möglich sein wird. Bis heute (14. Mai 2020) hat es die Politik in Niedersachsen nicht geschafft, Entscheidungen zu Theater-Aufführungen und Konzerten zu treffen. Ähnlich wie bei der Öffnung der Kirchen ab 10. Mai sollten doch zumindest kleinere Formate unter den nötigen hygienischen Auflagen für Ausführende und Zuschauer erlaubt werden; so müssen sich alle Beteiligten weiter in Geduld üben. Wie der neue Intendant des tfn Oliver Graf während der Pressekonferenz betonte, ist die Spielzeitvorschau unter den genannten Vorbehalten zu betrachten; für die Termine zu Beginn der Spielzeit gebe es nötigenfalls einen „Plan B“ für kleinere Formate.

Gerhard Eckels 14. Mai 2020

 

OPER/OPERETTE:

Die Räuber (I Briganti) Melodramma serio von Saverio Mercadante

Premiere am 12. September 2020

(Dirigent: Florian Ziemen, Inszenierung: Manuel Schmitt)

 

La Traviata – Premiere am 8. November 2020

Dirigent: Florian Ziemen, Inszenierung: Ayla Yeginer)

 

Die Fledermaus – Premiere am 19. Dezember 2020

(Dirigent: Florian Ziemen, Inszenierung: Matthias von Stegmann)

 

Aladin und die Wunderlampe (Märchenoper von Nino Rota)

Premiere am 27. Februar 2021

(Dirigent: Achim Falkenhausen, Inszenierung: Dominik Wilgenbus

 

Gegen die Wand (Duvara Karşi) Oper von Ludger Vollmer

nach dem Film von Fatih Akin – Premiere am 17. April 2021

(Dirigent: Sergei Kiselev, Inszenierung: Beka Savic)

 

Die Schönste von New York (The Belle of New York)

Operette von Gustave Adolph Kerker – Premiere der konzertanten

Aufführung am 13. Mai 2021 (Dirigent: Florian Ziemen)

MUSICAL:

The Kraut - Ein Marlene-Dietrich-Abend (Solo-Musical von Dirk Heidicke)

Premiere am 20. September 2020

(Inszenierung: Oliver Graf, Dirigent: Andreas Unsicker/Tammo Johannes Krüger)

 

The Toxic Avenger – Der Rächer der Verstrahlten (Pop-Rock-Musical von

Joe DiPietro und David Bryan) – Premiere am 10. Oktober 2020

(Inszenierung: Oliver Pauli, Dirigent: Andreas Unsicker)

 

Sarg niemals nie (Ein Musical zum Totlachen von Dominik Wagner/Jörn-Felix Alt und Christoph Reuter/Cristin Claas) – Premiere am 6. Dezember 2020

(Inszenierung: Markus Dinhobl, Dirigent: Stefan Wurz)

 

Sofies Welt (Familienmusical von Øystein Wiik und von Gisle Kverndokk)

Premiere am 7. Februar 2021 – (Inszenierung und Choreographie: Pascale-Sabine Chevroton, Dirigent: Andreas Unsicker)

 

Green Day´s American Idiot (Punk-Rock-Musical mit Musik von Green Day)

Premiere am 27. März 2021 (Inszenierung: Oliver Pauli, Choreographie: Farid Halim,

Dirigent: Andreas Unsicker)

 

TANZ:

Die Räuber (Tanztheater nach dem Drama von Friedrich Schiller von Marguerite Donlon in Zusammenarbeit mit dem Donlon Dance Collective – Uraufführung)

Premiere am 19. September 2020 (Choreographie: Marguerite Donlon)

 

 

The Producers

Premiere am 1. Februar 2020

Aus einem Guss

Elisabeth Köstner/Charlotte Katzer/Lucille-Mareen Mayr/Sandra Pangl

Craig Simmons‘ Einstudierung des polit-satirischen Mel-Brooks-Musicals in der Originalregie und -choreographie von Susan Stroman zündete in Hildesheim wie eine Rakete! Vom ersten Ton an zog die flotte Musik, die Achim Falkenhausen aus dem Orchester des TfN mit sicherem Gespür für den Broadway-Sound herausholte, in Verbindung mit vielseitiger Choreographie und phantastischen darstellerischen Leistungen des gesamten Ensembles (einschließlich des Opernchores) die Zuschauer in ihren Bann.

Dieses Stück, hier in der deutschen Fassung von Nina Schneider, zieht sich durch das ganze Leben des Komikers, Schauspielers und Regisseurs Mel Brooks, der als amerikanischer Soldat deutsch-russischer Abstammung von 1944 bis 1946 in Deutschland stationiert war. Sein erster Film, in dem er viele eigene Erlebnisse verarbeitete, entstand 1968 unter dem Titel The Producers, da man damals Frühling für Hitler für nicht passend hielt. Aber erst gut dreißig Jahre später entschied er sich, aus dem Stoff ein Musical zu machen. Hier bot sich die Gelegenheit für Brooks, sich auch als Komponist und Librettist zu beweisen. Nur zwei Titel übernahm er aus dem Film (Frühling für Hitler und Knackis mit Herz), schrieb 16 neue Songs, veränderte Anfang und Ende sowie einige andere Szenen. Die Premiere am 19.April 2001 war ein Bombenerfolg, der sechs Jahre andauerte und noch im ersten Jahr mit 12 Tony Awards ausgezeichnet wurde. Auf diesem Musical basiert die erneute Verfilmung von 2005.

Lisa-Maria Hörl/Alexander Prosek/Gerald Michel

Zum Inhalt: Produzent Max Bialystock steht nach einem weiteren Flop vor finanziellem Ruin. Er wittert Morgenluft, als sein Buchprüfer Leo Bloom nebenbei bemerkt, dass man mit einem richtig guten Flop eventuell mehr Geld verdienen könnte als mit einem Erfolg. Gemeinsam wollen sie nun dies Ziel erreichen und suchen nach Geldgebern, möglichst schlechtem Stück (Franz Liebkind), Regisseur (Roger de Bries) und Schauspielern. Der Weg dahin bietet reichlich Gelegenheit für urkomische, aber auch deftige Nummern. Letztlich stellen sich jedoch anstelle des erhofften Flops und Lebensabends in Rio noch kurzfristig Hindernisse in den Weg, die sich zwar überwinden lassen, aber dummerweise zu einem Riesenerfolg führen.

Hannes Neumaier (Ausstattung) sorgte mit schlichten Bühnenbildern dafür, dass die Story in hohem Tempo ablaufen konnte; mit Sofa, Tisch und Dachschräge wurde das Produktionsbüro gekennzeichnet, einfache Rollpulte für die Buchprüfer oder die Gerichtsszene reichten völlig aus. Etwas aufwendiger war die Empfangshalle des „Starregisseurs“ Roger gestaltet. Indem einige Übergänge vor dem Vorhang gespielt wurden, ergaben sich so keine Pausen und die Spannung wurde durchgehalten.

Gerald Michel/Alexander Prosek/Jens Krause/Nicolo Soller

Von den Akteuren ist zuallererst Alexander Prosek zu nennen, der den stets zwischen Euphorie (Max Bialysstock gibt niemals auf) und Untergangsstimmung (Verrat) schwankenden Max hervorragend darstellte. Wie er zur Aufbesserung seines Budgets die mit Schecks wedelnden alten Damen beglückte, oder alle, die eigentlich nicht wollen, irgendwie durch eindringliche Reden für seine Ziele überzeugte und einspannte, das hatte großes Format. Das gilt auch für Gerald Michel als Leo, der in seinem erbärmlichen Buchprüferleben heimlich davon träumt, einmal ein Producer zu sein; dabei kann dieser noch nicht mal auf das Schmusetuch seiner Kindheit verzichten! Michel spielte all diese Nuancen gut aus. Mit den entscheidenden Gemeinsam und Warum ging’s nicht schief seien nur zwei von sechs wunderbaren gemeinsamen Songs erwähnt. Als naive Blondine Ulla (schwedische Schauspielerin) im Marilyn-Monroe-Look, die Max und Leo zunächst nur sprachlos anstarrten, machte Lisa Maria Hörl beste Figur (Was du hast, das zeig‘ auch“); ihre Malaktion zur Büroverschönerung mit dem Versuch, Leo zu verführen war urkomisch (Charme). Als schlechtester Librettist und Ex-Nazi Franz Liebkind chargierte Johannes Osenberg mit Im alten Bayernland; seine weißen, mittanzenden Tauben im Käfig beherrschten sogar den Hitlergruß. Einen Höhepunkt setzte Jens Krause als exaltierter, tuntiger Regisseur Roger de Bries, der zunächst mit Abendkleid und High-Heels Furore machte (Mach es warm), später als kurzfristig eingesprungener Hitler-Darsteller („Heil mir selbst“). Als Rogers Produktionsassistent „Carmen“ erwies sich Nicolo Soller als ideale Besetzung.

 

Und so könnte man die große Besetzung weiter auflisten, aber nicht hoch genug zu loben ist die gesamte Ensemble-Leistung mit ihren tollen choreographischen Einlagen (Bart de Clercq), wie z.B. gleich die Eröffnung mit Es ist soweit von den flotten Platzanweiserinnen (Charlotte Katzer, Elisabeth Köstner, Lucille-Mareen Mayr, Sandra Pangl), die Step-Nummer der Nazis, der „Tanz“ der alten Damen mit festen Gehhilfen (Aber dann kam Bialy) oder das Casting für das geplante Stück. Da gab es keine Ausfälle oder Längen, alles wirkte wie aus einem Guss.

Dementsprechend reagierte das enthusiasmierte Publikum zum Schluss mit spontanen standing ovations.

Hingehen – Anschauen!

 

Fotos: © Ludwig Olah

Marion Eckels 02.02.2020

 

Weitere Vorstellungen in Hildesheim: 3., 24.2., 2.3., 25.4., 1.5., 1.7. und an anderen Spielorten

 

 

Company

Besuchte Vorstellung: 6.1.2020 (Premiere: 14.12.2019)

Episoden-Musical

Unter Einfluss der 68er Jahre entwickelten Stephen Sondheim (Musik und Gesangstexte) und Harold Prince (Regie) gemeinsam mit dem Librettisten George Furth ein neues, eher Revue-artiges Konzept für das Musical, das 1970 erfolgreich am Broadway uraufgeführt wurde. Aus Furth‘ geplanten sieben Einaktern wurden kürzere Episoden über das Eheleben im Allgemeinen und Besonderen, angereichert durch kommentierende Songs. In Hildesheim hatte nun Werner Bauer die spannungsreiche Inszenierung der teils turbulenten Szenen übernommen. Im schlichten Bühnenbild von Esther Bätschmann führte er die Darsteller überzeugend und mit deutlicher Zeichnung der unterschiedlichen Charaktere, wozu ihm ein spielfreudiges Ensemble zur Verfügung stand. Bätschmann hatte durch die schlichte Drehtür in der hinteren Mitte schnelle Ortswechsel und Auftrittsmöglichkeiten geschaffen; wenige Sessel und eine Bar-Theke auf Rollen taten das Ihre dazu.

Zum Inhalt: Fünf Paare und drei Freundinnen bereiten eine Überraschungsparty für ihren Junggesellen-Freund Robert vor, den sie unbedingt unter die Haube bringen wollen, da man angeblich allein nicht glücklich leben kann. In weiteren kurzen Szenen jeweils mit nur einem Paar erkennt Robert, dass das Eheleben und der Alltag wohl doch nicht immer das Gelbe vom Ei sind, oder braucht man das eben auch dazu? Auf jeden Fall weigert er sich, die Kerzen am Kuchen auszupusten und sich etwas zu wünschen, das auf jeden Fall in Erfüllung gehen würde. Dieses Motiv taucht mehrfach auf, so dass dem Stoff ein gewisser zeitlicher Fortgang gegeben ist, ohne dass die Auftritte immer in derselben Reihenfolge erfolgen müssen.

Jens Krause/Bettina Meske/Fin Holzwart

Im Einzelnen lernten wir zunächst Sarah (Mary C.Bernet) und Harry (Gerald Michel) kennen, die Alkohol- und Diät-Probleme von sich wiesen und sich vor Robert gegenseitig mit ihren Fähigkeiten im Karate übertreffen wollten; beim witzigen Kampf geriet dieser schließlich noch direkt zwischen die Fronten und ging mit zu Boden. Das war rein darstellerisch einer der Höhepunkte des Abends. Musikalisches Fazit: „In einer glücklichen Ehe macht man alles zu zweit!“ Susan (Lisa Maria Hörl) und Peter (Johannes Osenberg) schocken Robert durch ihre fröhliche Ansage: „Du sollst es zuerst erfahren, wir lassen uns scheiden“. Ebenso gut gelaunt erklären sie ihm später, dass sie nun geschieden genauso zusammenleben als Familie wie vorher, nur glücklicher. Bei Jenny (Sandra Pangl) und David (Alexander Prosek) liegt das Problem darin, dass sie „spießig“ gegen das Kiffen ist, während er gerne noch an solchen „jugendlichen Späßen“ festhält. Schwierig wurde es für Amy (Elisabeth Köstner) und Paul (Nicolo Soller) erst am Hochzeitstag, als die Braut entschied, lieber nicht zu heiraten. Herrlich waren ihre langen Tiraden zur Begründung dieses Entschlusses – leider viel zu schnell herunter gerattert, um verstanden zu werden. Schließlich gab es noch Joanne (Bettina Meske) und Larry (Jens Krause); sie, zum 3.Mal verheiratet und sowohl Alkohol als auch Nikotin sehr zugetan, er von großer Sanftmut, wie er sie zum Schluss liebevoll an die Hand nimmt und nach Hause geht. Mit klarer Stimme bringt sie den Song Auf all die gnädigen Frauen und erklärt fast verbittert „Wir leben in der Generationenkluft, zu alt für die Jungen und zu jung für die Alten“.

Das hatte Format.

Neben den Freunden und den durch sie gemachten Erfahrungen wendet sich Robert immer wieder seinen Freundinnen zu, ohne sich jedoch für eine entscheiden zu können. Die drei Damen umgarnten ihn mit Du treibst einen glatt zum Wahnsinn. Da gab es die Stewardess April (Florentine Kühne), mit der er immerhin mal im Bett landete – trotz ihres naiven Geplappers nebenher. Auch mit Kathy (Jasmin Eberl) wurde es nichts, da sie sich früher nie über ihre Hoffnungen und Wünsche ausgetauscht hatten. Bliebe noch Marta (Charlotte Katzer), die mit ihrem klar gesungenen Lied erfreute, dass New York eine Stadt ist für Menschen, die mitten drin sein wollen: Und wieder kommen Hundert aus der U-Bahn herauf.

Fin Holzwart spielte den Junggesellen Robert mit jugendlicher Ausstrahlung. Von den vielen Überraschungen in den Beziehungen seiner Freunde wurde er glaubhaft hin und her gerissen. Erst sang er zuversichtlich über Frauen Irgendwer wartet, später hoffnungsvoll Lebendig zu sein mit dem Wunsch nach „jemand, der mich dazu bringt lebendig zu sein, der spürt, was in mir steckt, der mir etwas gibt, das mich stärker macht, der mich wirklich liebt!“ Es blieb offen, welchen Wunsch er hatte, als er zum Schluss doch noch die Geburtstagskerzen auspustete.

Nicht zu vergessen ist die Band, die offenbar versteckt hinten auf der Bühne saß und mit viel Schwung unter der engagierten Leitung von Andreas Unsicker die Musik zum Klingen brachte. An einigen Stellen, als Sprechtext mit Musik unterlegt war, spielte die Band zu laut. Insgesamt war der Abend eine tolle Ensemble-Leistung, wobei Herz an Herz nach der Pause mit turbulenter Akrobatik besonders gelungen war.

Das begeisterte Publikum bedachte alle Mitwirkenden mit starkem Applaus.

 

Fotos: © Jochen Quast

Marion Eckels 07.01.2020

 

Weitere Vorstellungen in Hildesheim:

07., 18.02., 01., 07., 23. und 27.03.2020; weitere Termine an anderen Spielorten

 

 

 

TRISTAN UND ISOLDE

Premiere am 16. November 2019

Mutiger Kraftakt

Julia Borchert/Hugo Mallet

Nach umfangreichen Umbauten im Stadttheater (Neue Klimatechnik, Schallsegel zur Verbesserung der Akustik, Erneuerung der Bestuhlung und neue Studiobühne) wagte es nun das Theater für Niedersachsen (TfN), mit Richard Wagners großem Liebesdrama wiederzueröffnen. Bei der Größe des Orchesters mit nur 30 Planstellen kam ich mit einer ziemlich großen Portion Skepsis nach Hildesheim, ob das Haus den mutigen Kraftakt wohl bewältigen würde. Im Ergebnis kann man bestätigen, dass dies in eindrucksvoller Weise gelungen ist. Im Programmheft wies der GMD und Operndirektor des Hauses Florian Ziemen darauf hin, dass man mit 23 Aushilfsmusikern die Originalversion spielen könne. Davon konnte man sich sogleich bei dem Vorspiel überzeugen, das fein differenzierend ausmusiziert wurde. Hier und über den ganzen Abend hinweg war das Orchester des TfN in allen Instrumentengruppen hörbar gut vorbereitet, was sich auch in den vielen glänzenden Soli zeigte. Als Beispiel dafür sei nur das ergreifende Englischhorn-Solo im 3. Aufzug genannt. Souverän führte Florian Ziemen mit teilweise zügigen Tempi, aber auch die schwelgerischen Passagen auskostend durch die ungemein vielschichtige Partitur. Außerdem zeigte sich, dass die früher manchmal reichlich knallige Akustik des Hauses deutlich verbessert wurde. Die teilweise vorgenommene Abdeckung des Grabens half überdies den Sängerinnen und Sängern auf der Bühne, mit ihren Stimmen durchzukommen, sodass eine gute Mischung mit dem Orchesterklang gelang.

Jesper Mikkelsen/Chun Ding/Levente György/Neele Kramer

Alle Sängerinnen und Sänger hatten am Premierenabend Rollendebüts, angefangen mit Julia Borchert als Isolde. Nach ihrer fulminanten „Walküren“-Brünnhilde im Vorjahr in Magdeburg hatte man doch einige Erwartungen an sie, die sie vollauf erfüllte. Erneut imponierte ihr durchgehend intonationsreines und textverständliches Singen, in dieser problematischen Partie mit ihren großen Intervall-Sprüngen und der vielfach hohen Tessitura keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Dazu kamen die glaubwürdige Darstellung und die leuchtenden Farben ihres Soprans bis hin zum ergreifenden, in zartestem Pianissimo beginnenden und wunderbar dahin strömenden „Liebestod“. Gegen diese Isolde hatte es der Tristan von Hugo Mallet nicht leicht; der britische Sänger verfügt über einen Tenor, der vor allem in den vielen ruhigeren Phasen überzeugte. In den dramatischen Passagen, vor allem in den gefürchteten fieberhaften Ausbrüchen des 3. Aufzugs fehlte manches an Durchschlagskraft. Neele Kramer gab eine treusorgende Brangäne, die stimmlich zu Anfang recht unruhig wirkte. Erst im Laufe des ersten Aufzug gelangte sie mit ihrem tragfähigen gut durchgebildeten Mezzosopran zu deutlich ruhigerer Stimmführung, was sich sehr positiv in den weich ausgesungenen Wachrufen des 2. Aufzugs zeigte.

Hugo Mallet/Julia Borchert

Eine glatte Enttäuschung war der sonst in vielen Einsätzen so bewährte Uwe Tobias Hieronimi, der sich mit der Bass-Partie des Königs Marke stimmlich schwer tat, obwohl er in letzter Zeit vermehrt im Bass-Fach eingesetzt wurde. Vor allem störte das viel zu starke Tremolo, das die große, von Selbstmitleid triefende Klage des Königs erheblich beeinträchtigte. Dagegen kam der rumänische Bassbariton Levente György als knorriger, Tristan treu ergebener Kurwenal mit der für ihn doch reichlich hoch liegenden Bariton-Partie erstaunlich gut zurecht. Der intrigante Melot war bei Roman Tsotsalas gut aufgehoben, während Julian Rohde schönstimmig einen zappeligen Hirt gab. Solide Leistungen erbrachten die Chorsolisten Chun Ding (Junger Seemann) und Jesper Mikkelsen (Steuermann). Seine wenigen Aufgaben erfüllte der von Achim Falkenhausen einstudierte Herren- und Extrachor des TfN stimmkräftig.

Levente György/Julian Rohde/Uwe Tobias Hieronimi/Julia Borchert/Neele Kramer

Und die Regie? Die Inszenierung von Tobias Heyder in der Ausstattung von Pascal Seibicke passte sich den Ausmaßen der kleinen Bühne geschickt an. Im 1. Aufzug blickte man in die Kajüte von Isolde und Brangäne, wo sich zu Anfang beim Lied des jungen Seemanns auch Tristan aufhielt, der von Isolde umarmt wird. Dafür, dass sich Tristan dort aufhielt, gibt es im Libretto allerdings keine Anhaltspunkte. Der 2. Aufzug spielte überraschenderweise in einer Seemannskneipe, wo das Liebespaar nicht allein für sich war; drei weitere Paare schmusten dort herum. Geradezu albern war es dann, wenn Isolde „die Leuchte löscht“, indem sie bei drei der sechs großen Lampen die Glühbirnen leicht herausdrehte. Schließlich war Spielort im letzten Aufzug offenbar der Hafen von Kareol, weil Tristan auf großen Stoffballen oder Ähnlichem lag und ansonsten Schiffstaue zu sehen waren. Sei’s drum – den Sängerinnen und Sängern wurde nichts abverlangt, was das Singen beeinträchtigen könnte. Positiv fiel besonders die dichte Atmosphäre im 1. Aufzug auf, vor allem bei der spannend inszenierten Auseinandersetzung der beiden Frauen – hier fand überzeugende Personenführung statt.

Wie immer in Hildesheim war das Publikum hellauf begeistert und bedankte sich bei allen Beteiligten mit starkem, lang anhaltendem Beifall.

 

Bilder: © T.Behind-Photographics

Gerhard Eckels 17. November 2019

 

Weitere Vorstellungen: 24.11.+7.,22.12.2019 + öfter in 2020

 

 

 

 

 

Halle 39

Im Weißen Rössl

Besuchte Vorstellung am 2.Oktober 2019

Premiere am 19.September 2019

Riesenspaß

Während der noch bis November dauernden Renovierungsarbeiten des Stadttheaters ist das Ensemble in die Hildesheimer Allzweck-Halle 39 ausgewichen. Das erwies sich für die Revue-Operette als genialer Einfall.

Das 1930 in Berlin uraufgeführte „Singspiel“ basiert auf dem gleichnamigen Lustspiel von Oscar Blumenthal und Gustav Kadelburg, das Hans Müller und Erik Charell mit Musik von Ralph Benatzky sowie musikalischen Einlagen von Bruno Granichstaedten, Robert Gilbert und Robert Stolz mit dem Schwung der 20er Jahre auf die Bühne stellten. Charrell brachte dabei seine Erfahrungen aus amerikanischer Arbeit an Revuen ein, die er als Tänzer auf einer Tournee gemacht hatte. 1936 wurde das sehr erfolgreiche Stück vor allem wegen der jüdischen Autoren als „entartet“ in Deutschland verboten. Nachdem auch noch das Notenmaterial der Uraufführung durch einen Brand vernichtet worden war, entstand ein seit den 50er Jahren aufgeführtes Arrangement, das nicht mehr so fetzig und bissig wie das Original war. Daher begann die Suche nach historischem Orchester-Material, die schließlich Anfang 2009 mit dem Fund in Zagreb belohnt wurde. Die Noten stimmen mit dem Klavierauszug von 1930 überein, die bis dahin gekürzten Tanzszenen sind vollständig enthalten, und sogar Noten für die Bühnenmusik (u.a. Jazzband, Zither und Blaskapelle) waren dabei. Bereits im Juni desselben Jahres hatte eine modernisierte, spielbare Fassung in Dresden „Ur-Aufführung“, die seitdem von mehreren Häusern nachgespielt wurde, nun auch in Hildesheim mit leicht aktualisierten kleinen Seitenhieben wie z.B. zur Deutschen Bahn oder „Fridays for Future“.

Nicolo Soller/andere Josepha/Uwe Tobias Hieronimi

Erik Petersen nutzte die Halle für seine flotte, teilweise geradezu rasante Inszenierung des Spiels zweier Bewerber um eine Frau voll aus. Man hatte Klapp-Tische und -Stühle wie in einem Festzelt mit breiten Gängen aufgestellt, durch die die Chormassen, eine Blaskapelle oder Mitwirkende auf Fahrrädern singend auftraten. Überdimensionale Postkarten vom Wolfgangsee und Umgebung bildeten die herrliche Kulisse der Bühne und die Seitenverkleidung des Saales (Hannes Neumaier). Durch minimale Verschiebungen eines Teils der rückwärtigen Kulisse entstanden plakative neue Szenarien wie ein Kuhstall oder ein Freibad. Knallbunte Kostüme, hauptsächlich im Trachtenlook (Kristopher Kempf), belebten die Bilder, die bei den Finali gefühlt gut 150 bis 200 Personen vereinigten. Da tummelten sich neben Solisten, Chor, stark erweitertem Extrachor, Jugendchor, Kinderchor und Statisterie Artistinnen der ARS SALTANDI Dance & Drama School, Feuerwehrkapellen oder Spielzüge der Stadt und des Landkreises (an diesem Abend das auch in der Pause frisch aufspielende Blasorchester Nordstemmen von 1883 e.V.). Hervorzuheben ist die Mitwirkung jeweils eines Special Guests, eines Lokalpolitikers (diesmal der stellvertretende Bürgermeister des Hildesheimer Bezirks Stadtmitte/Neustadt Nikolaus Schramm), der maßgeblich an der Planung des Empfangs für den Kaiser beteiligt war. Ein Extra-Lob gilt auch der Choreographie von Ludwig Mond, der nicht nur kleine Tanzeinlagen, sondern auch die größeren Szenen ausgesprochen vielgestaltig eingerichtet hatte.

andere Ottilie/Julian Rohde

Die Philharmonie des Theaters für Niedersachsen (TfN) zeigte sich unter der souveränen Leitung von Achim Falkenhausen seinen vielfältigen Aufgaben bestens gewachsen. Die ungewohnten Klänge einschließlich Kuhglocken und Zitherspiel eroberten das Publikum ebenso wie die süffigen Begleitungen der vielen bekannten Melodien und Tänze wie Walzer, Marsch oder Foxtrott. Eine gelungene Zwischenmusik verjazzte Kinderlieder wie „Kommt ein Vogel geflogen“ oder „Kuckuck, Kuckuck ruft’s aus dem Wald“; auch Schuhplattler und Jodler waren den Musikern nicht fremd. Neele Kramer war eine fesche Wirtin Josepha, die mit ihrem kräftigen, runden Mezzosopran die Ensembles überstrahlte. Als ihr Verehrer, der Zahlkellner Leopold, spielte, tanzte und sang sich Gerald Michel sofort in die Herzen des Publikums. Beide träumten einen ähnlichen Traum mit „Es muss was Wunderbares sein“. Leopolds Gegenspieler Dr.Siedler war Julian Rohde, der mit hellem Tenor und auch tänzerisch überzeugte.

Sandra Pangl/Johannes Osenberg/Nicolo Soller

Im Hildesheimer Ensemble ist Uwe Tobias Hieronimi eine sichere Bank; als Urberliner Wilhelm Giesecke machte er beste Figur und zog die Lacher stets auf seine Seite. Als seine Tochter Ottilie blieb Antonia Radneva daneben ein wenig blass, gefiel aber mit ihrem kultivierten Sopran in der lustigen Szene mit Julian Rohde im Kuhstall sowie mit „Die ganze Welt ist himmelblau“. Mit herrlich stolzgeschwellter Brust stellte sich Johannes Osenberg als Sigismund Sülzheimer mit seinem „Was kann der Sigismund dafür..“ in Positur; mit Sandra Pangl als Klärchen gipfelte beider Glück im witzig ausgespielten, frivolen Lied „Und als der Herrgott Mai gemacht“. Ihren sparsamen Vater Prof.Dr.Hinzelmann gab Jens Krause mit gewohnter Bühnenpräsenz; höchst amüsant war auch sein Auftritt im Dirndl als Beisitzerin im Empfangskomitee. Als Kaiser Franz Josef war wieder einmal Piet Bruninx zu erleben, der seine Stimme erstaunlich frisch gehalten hat („‘s ist einmal im Leben so“). Als Kathi/Zenzi (singende Radlerin) ergänzte Elisabeth Köstner das engagierte Ensemble passend. Und dann gab es da noch Nicolo Soller, der als Piccolo alles wusste, alles hörte, frech und ironisch kommentierte und dabei äußerst lebhaft agierte – toll!

Man wurde während des unterhaltsamen, nie langweiligen, knapp 3 ½-stündigen Events am Tisch kulinarisch landesüblich versorgt, u.a. mit Laugen-Backwaren, Wurstsalat und Bratensemmeln. Das Publikum zeigte seine Freude an dem Riesenspaß durch begeistertes, rhythmisches Mitklatschen und lang anhaltenden Schlussapplaus.

 

Fotos: © T.Behind-Photographics

Marion Eckels 3. Oktober 2019

Weitere Vorstellungen: 4., 5., 6., 17., 18., 19.10.2019

 

 

 

DIE PRINZESSIN VON TRAPEZUNT

Besuchte Aufführung am 31.05.19 (Premiere am 03.03.19)

Der wahre Offenbach

Es gibt so selten die Vorstellungen, die einen Kritiker rundherum glücklich machen, in Hildesheim gibt es zum Offenbach-Jubiläum mit "Die Prinzessin von Trapezunt" eine Rarität zu erleben, die in ihrer quirligen Art dem nahekommt, was man sich unter einer Offenbachiade vorstellen könnte. 1869 in Baden-Baden uraufgeführt und im gleichen Jahre in Paris, wahrscheinlich viel aufwendiger umgearbeitet, war sie zu Zeiten ein großer Erfolg, der um die ganze Welt herum aufgeführt wurde. Selbst ein Offenbach-Kenner und Liebhaber wie Karl Kraus hielt sie für eines der besten Werke des Komponisten. Das Stück führt uns zunächst in das Schaustellermilieu eines Jahrmarktes, wo ein Wachsfigurenkabinett unter seinen Attraktionen unter anderem eine "Prinzessin von Trapezunt" ausstellt. Beim Abstauben der Figuren säbelt die Tochter des Hauses ihr die Nase ab und muss aus Strafe, sich selbst an ihre Stelle begeben. Ein vorbeikommender Prinz verliebt sich in die Figur und zahlt aus Geldmangel mit einem Lotterielos. Der Hauptgewinn: ein echtes Schloss, wird der Schaustellerfamilie zugesprochen.

Im zweiten Akt mopst sich die Gesellschaft in ihrer Pseudoaristokratie, bis jener Prinz mit seinem dünkelhaften Fürstenvater vorbeikommt, im dritten Akt findet sich alles ins Lot, weil man dem Fürsten nachweisen kann selbst als Prinz so gehandelt zu haben (siehe "Csardasfürstin"). Das klingt vielleicht gar nicht so aufregend, ist aber durch das Libretto und Offenbachs geniale Musik wirklich sehr lustig und unterhaltsam. Zwei Nummern haben es mir besonders angetan: der melancholisch verschattete Abschied der Truppe vom Jahrmarkt und das saukomische Zahnschmerz-Ensemble.

Wie wir durch viele Offenbach-Aufführungen erfahren mussten, gehört eine gelungene dieser Art zu den schwierigen Unternehmungen des Musiktheaters. Mit Adam Benzwi und Max Hopp hatte man sich in Hildesheim zwei Könner geangelt. Das Team nahm sich das Original, welches jetzt in der quellenkritischen Edition Keck erhältlich ist, gründlich vor und erarbeitete sich mit dem Ensemble diese effektvolle Version. Der Dirigent Adam Benzwi dünnte die Orchestrierung fein aus, ganz im Sinne Offenbachs, dem die Textverständlichkeit immer ein Nonplusultra war, trotzdem klingt die Orchestrierung sehr farbig. Der Dirigent hat in diesem Fall auch den Klavierpart zu übernehmen, eine Erfahrung, die Benzwi an der Komischen Oper Berlin mit den Zwanziger-Jahre-Operetten von Abraham und Oscar Straus erlebt hatte. Am Aufführungsabend hatte Sergei Kiselev die Leitung übernommen und führte die TfN-Philharmonie grandios durch den fast improvisiert scheinenden Abend.

Max Hopp hat mit der "Trapezunt", so glaube ich, seine erste Musiktheaterregie hingelegt, und dann gleich das Schwierigste: Respekt ! Denn er hat sich nicht verhoben. Als Regisseur hat er spürbar mitgenommen, was er als Darsteller an der Komischen Oper gelernt hat. Es gibt drei wesentliche Dinge, für die er sich in dieser Aufführung entschieden hat: Erstens in seiner Überarbeitung die deutsche Übersetzung von Julius Hopp und Harald Kunz zu spielen, was hervorragend klingt, musikalisch sanglich und nie einer geschmacklichen Linie abweicht. Zweitens eine chorlose Fassung zu spielen, denn ich nehme an, die große Pariser Version, wird mit Chor gewesen sein. Die wichtigen Chorstellen werden dann ins Ensemble übersetzt, was in Hildesheim ganz hervorragend geklappt hat. Dann die damals sehr weitschweifigen Dialoge zu straffen und durch Einführung eines Conferenciers handlungsspezifisch zusammenzufassen, auch hier walten Geschmack und Anmut.

Jetzt zum Ensemble: ich möchte eigentlich gar niemanden einzeln herausstellen, denn hier ist wirklich das Ensemble Trumpf. Da ist jeder an seiner Stelle, jede Rolle mit Herzblut erarbeitet, jeder Darsteller `d accord mit seiner Partie. Es wird gesungen, gespielt, getanzt, gegröhlt, gefistelt, alle Lautäußerungen werden herangezogen, wenn es dienlich ist. Meike Hartmann, Neele Kramer, Antonia Radneva, Uwe Tobias-Hieronimi, Julian Rohde, Dieter Wahlbuhl, Levente György und Jan-Philipp Rekeszus, ihr macht das alles ganz grandios, ihr alle zusammen. Die gar nicht so auffällige Ausstattung von Caroline Rössle Harper ist dabei einfach nur aufführungsrelevant und lässt das Augenmerk auf dem Wesentlichen: den Darstellern. Bei denen habe ich jetzt doch einen noch ausgelassen, nicht weil er besser oder schlechter wäre, sondern weil er doch so speziell ist: Paul Hentze als Conferencier, denn er spricht, singt und spielt nicht nur mit den anderen, sondern auch mit seinen Puppen, ein skurriler Höhepunkt die Drei-in-Eins-Puppe der Hofschranzen/ Diener. Wenn dann in einer Umbaupause auch noch Jaques Offenbach auftritt (Extralob für die Puppe von Erik Raskopf) und über "Das" philosophiert, was uns Theater sein kann und manchmal auch ist, das hat mich berührt.

Ein Abend, der besonderen Klasse; nicht nur ich habe viel gelacht und mich großartig amüsiert, was sich im langen, herzlichen und stehenden Applaus des Auditoriums zeigte. Schade, das Hildesheim für mich so weit ist, denn ich hätte diese wunderbare Aufführung gerne mindestens noch einmal angesehen. Für alle, die es noch nicht geschafft haben, sich das herrliche Spektakel anzusehen, es gibt nächste Spielzeit noch einige (wenige) Vorstellungen.

 

Martin Freitag 11.6.2019

Bilder sihe Erstbesprechung weiter unten

 

 

SAISONVORSCHAU 2019 / 20

Im Weißen Rössl – Premiere in Halle 39 am 20.9.2019

(Dirigent: Achim Falkenhausen, Inszenierung: Erik Petersen)

Tristan und Isolde – Premiere und

Wiedereröffnung des Theaters Hildesheim am 16.11.2019

(Dirigent: Florian Ziemen, Inszenierung: Tobias Heyder)

 Der hochmütige, gestürzte und wieder erhabene Croesus (Reinhard Keiser) Premiere am 14.3.2020)

(Dirigent: Florian Ziemen, Inszenierung und Choreografie: Siegrid T‘Hooft)

Wir gratulieren (Weinberg)/Gianni Schicchi – Premiere am 2.5.2020

(Dirigent: Segej Kiselev, Inszenierung: Hans Walter Richter)

 

Die Prinzessin von Trapezunt – Wiederaufnahme am 10.12.2019                      

Die Hochzeit des Figaro – Wiederaufnahme am 8.1.2020

Das Tagebuch der Anne Frank – Wiederaufnahme am 15.1.2020

 

MUSICAL

Company (Sondheim/Furth) – Premiere am 14.12.2019

(Inszenierung: Werner Bauer, Dirigent: Andreas Unsicker)

The Producers (Musicalsatire von Mel Brooks) – Premiere am 1.2.2020

(Inszenierung: Craig Simmons, Dirigent: Andreas Unsicker)

Rent (Rockmusical von Jonathan Larson) – Premiere am 19.4.2019

(Inszenierung: Bart de Clercq, Dirigent: Andreas Unsicker)

 

 Elternabend – Wiederaufnahme am 22.11.2019

 

Elternabend

Premiere am 11. Mai 2019

Bitterböse Satire

Bereits am 21.November 2003 hatte das Musical des erfolgreichen Teams Peter Lund (Text) und Thomas Zaufke (Musik) seine Uraufführung in der Neuköllner Oper Berlin. Jetzt gab es eine umjubelte Premiere des „Elternabends“ am TfN (Theater für Niedersachsen) in Hildesheim. Hier geht es um den Abend eines von Eltern betriebenen Schülerladens mit Kindern etwa im Alter von sechs bis zehn Jahren in gut bürgerlicher Gegend (Berlin-Friedenau), wo sich Eltern mit sehr unterschiedlichem Hintergrund treffen, um sich mit dem neuen Erzieher Dennis über ihre Kinder auszutauschen. Der Leiter der Musical-Abteilung des TfN Craig Simmons hat selbst die Regie übernommen und einen quirligen Abend mit viel Tiefgang auf die Bühne gezaubert. Dazu hatte Hannes Neumaier ein herrliches Lego-Bühnenbild gebaut, auf dem sich im Hintergrund die fünfköpfige Band verbarg, die unter der engagierten Leitung von Andreas Unsicker flotte und besinnliche Rhythmen und Songs beisteuerte, leider manchmal zu laut, so dass einige Textstellen im musikalischen Rausch untergingen. Hervorragend war die Choreografie von Dominik Büttner, der mit den sieben Protagonisten köstliche, lebendige Szenen bescherte.

Gerald Michel/Johannes Osenberg/Lisa Maria Hörl/Sandra Pangl/Elisabeth Köstner

Zum Inhalt: Zunächst bereiteten der junge Erzieher Dennis und Irene (Meret-Claudelles Mutter) den Raum mit Sitzkissen und Getränken vor, wobei gleich klar wurde: Irene hat das Sagen. Nach und nach trafen Vera und Gerd (die Eltern von Sarah und Phillip), die Mütter Anouschka (Maria) und Gabi (Emma) sowie der Vater Kurt (Kevin) ein. Und dann begann eine typische, teilweise bitterböse Hick-Hack-Konversation mit scharfer, spitzer Zunge, die jeder, der Kinder hat, sicher schon einmal live erlebt hat. Hier wurde das Ganze natürlich überspitzt dargestellt, alle Klischees und Vorurteile wurden bedient, was beim Streit des Ehepaares eskalierte und deutlich Grenzen überschritt. Diese Momente wurden entspannt durch lockere Sprüche oder eindringliche Songs, die den Druck wieder ein wenig herausnahmen. Insgesamt ging es um Rauchen in Räumen mit Kindern, Lügen, Mobbing, einen kleinen Erpresser-Ring im Hort, Diebstahl, ADHS und Ritalin sowie – ganz aktuell – Homosexualität und Missbrauch. Hier blieb einem doch das Lachen im Hals stecken. Dennis‘ theoretischen pädagogischen Ansätze gingen meist im Anklage-Feuer der Eltern unter, und er selbst drohte, zum Spiel- und Punching-Ball der Eltern zu werden. Es war – wie meist in der Realität auch –, man ging auseinander mit dem Ergebnis, die entdeckten Mängel nicht weiter zu verfolgen, sondern unter den Teppich zu kehren nach dem Motto: „Morgen wird alles besser“.

Sandra Pangl/Lisa Maria Hörl/Marysol Ximénez-Carrillo

Johannes Osenberg gelang eine prägnante Darstellung des soften Erziehers Dennis, der sich als schwul outet im Laufe des Abends und am liebsten mit den Kindern singt; seine pädagogischen Ansätze weichen sehr von den Erwartungen der Eltern ab.

Die verschiedenen Elternteile waren typgerecht besetzt: Die Vorsitzende des Schülerladens Irene, eine wohlhabende Hausfrau, die sich viel mit Fundraising und Hilfsorganisationen beschäftigt, war Lisa Maria Hörl. Mit satter Stimme überzeugt sie besonders mit dem Song „Kinder beschützen“ und ist immer um Ausgleichen der Gemüter bemüht; umso mehr traf es einen, als sie im Zorn gesteht: „Meret war schon immer ein unsympathisches Kind“. Dennoch geht ihr späterer Bodenkampf mit Vera fast über Satire hinaus. Als ihre angeblich beste Freundin und starke Gegenspielerin Vera verteidigte Marysol Ximénez-Carrillo energisch ihre Sprösslinge wie eine Löwin, überzeugt davon, dass ADHS keine Krankheit und Ritalin quasi als Nahrungsergänzungsmittel zu betrachten sei; zu liebevolleren Tönen fand sie erst in „Du riechst so gut“, nachdem sie ihren Mann zuvor heftig gemaßregelt hatte. Gerald Michel als erfolgreicher Geschäftsmann Gerd machte seinem Unmut darüber mit dem ungestümen „Rauchen verboten“ trefflich Luft. Zugleich witzig und nachdenklich waren Szene und Gespräch über Homosexualität in der Jungen-Toilette von Dennis und Gerd mit „Wie sag ich‘s meinem Kinde“.

 

Die allein erziehende Mutter Anouschka, die Schweres mitgemacht hatte („Wie lange hält ein Mensch das aus…“), hielt sich Elisabeth Köstner sehr im Hintergrund, trat aber entschieden auf, wenn es um Ehrlichkeit ging. Ihre Tochter Maria als Neue in der Kindergruppe wurde nicht akzeptiert und damit in die Außenseiterrolle gedrängt, die zuvor Kevin, Kurts Sohn, innehatte. Der von seiner Frau verlassene, zurückhaltende Kurt, war bei dem ungemein beweglichen Alexander Prosek bestens aufgehoben. Als Maria und Kevin rührten die beiden mit „Willst Du mit mir spielen?“ direkt an.

Mit Sandra Pangl war die Naive, Gabi mit langem Blondhaar, ideal besetzt, die mit ihren schlichten Fragen und Bemerkungen die Lacher immer auf ihrer Seite hatte. Glanzpunkt der satirischen Revue war „Der Homosexuelle an sich“, als die Männer zum Gesang der Damen drei unterschiedliche Schwulen-Typen präsentierten.

Das Premierenpublikum war begeistert und dankte allen Mitwirkenden mit lang anhaltendem Applaus.

 

Fotos: © Falk von Traubenberg

Marion Eckels 12.05.2019

 

Weitere Vorstellungen: 13., 18., 26.05. und 07.06. in Hildesheim, 29.05. in Langenhagen

 

 

 

TOD IN VENEDIG

Premiere am 20. April 2019

Eindringlich

Relativ selten findet sich Benjamin Brittens letzte Oper „Death in Venice“ auf den Spielplänen; umso verdienstvoller ist es, dass Hildesheims GMD Florian Ziemen jetzt das vielschichtige, in mehrfacher Hinsicht interessante Werk aufführen ließ. Der alternde, von einer  Schaffenskrise heimgesuchte Schriftsteller Gustav von Aschenbach trifft auf einem Münchener Friedhof einen Fremden, der ihm zu einer Reise nach Venedig rät. Dort begegnet ihm immer wieder eine Gegenfigur, als geschminkter alter Geck auf dem nach Venedig übersetzenden Boot (erst jetzt erklingt die Ouvertüre), als alter Gondoliere, der ihn zu seinem Hotel rudert und ihm wie der Unterwelt-Fährmann Charon vorkommt, als schleimiger Hotelmanager, als aufdringlicher Friseur, der ihm vom Gerücht des Ausbruchs der Cholera berichtet, sowie als Straßensänger, in dessen Umfeld das Gerücht bestätigt wird. Entscheidend für Aschenbach ist die Begegnung mit dem schönen polnischen Jüngling Tadzio, den er in seinen Tagträumen am Strand beobachtet. In Tadzios Sieg bei einem spielerischen Fünfkampf bewundert er den verkörperten Triumph apollinischer Schönheit. Alle Warnzeichen der aufkeimenden Cholera ignorierend verfolgt er wie besessen Tadzio und seine Familie durch das Labyrinth der venezianischen Gassen. In einem Reisebüro erfährt Aschenbach vom Ausbruch der Cholera und erhält die dringende Warnung, sofort abzureisen. Er gibt sich Phantasien darüber hin, wie es sei, wenn nur noch er und Tadzio lebend übrigblieben. In einem weiteren Traum wird Aschenbach Zeuge eines Streits zwischen Apollo und Dionysos über die Herrschaft von schöner Ordnung oder Rausch und Chaos, wobei Apollo unterliegt. Am letzten Tag vor der Abreise der polnischen Familie beobachtet Aschenbach von seinem Strandstuhl aus zum letzten Mal das Spiel der Knaben am Strand, das darin endet, dass Tadzio niedergerungen und gedemütigt wird. Aschenbach will ihm zu Hilfe eilen, aber ihm fehlen die Kräfte. Von der Cholera infiziert, sieht er sterbend den Knaben, der wie ein Todesbote ihm zu folgen zuwinkt.

Olv Grolle/Hans-Jürgen Schöpflin

Das Libretto von Myfanwy Piper beruht auf der 1912 veröffentlichten gleichnamigen Novelle von Thomas Mann, in der er tatsächlich Erlebtes von einer Venedigreise, die er mit seiner Frau Katia und seinem Bruder Heinrich 1911 unternommen hatte, verarbeitet hat. Benjamin Britten war schon lange ein glühender Verehrer dieser Novelle, als er 1971 die Arbeit zu seiner wohl persönlichsten Oper begann. Mit ihr hat er eines seiner dichtesten und dramaturgisch innovativsten Werke geschaffen, dessen Klangwelt die Faszination des Todes und der Krankheit sowie Obsession und sogar Ekstase umfasst. Sie hat auch einige lautmalerische und volkstümliche Akzente, wenn das Gedränge in Venedig, die Rufe der Gondolieri oder auch die zunächst unbekümmerte Lebensfreude am Strand zum Ausdruck kommt. Die Uraufführung am 16. Juni 1973 beim Aldeburgh Festival musste ohne den schwerkranken Komponisten stattfinden; die Rolle des Gustav von Aschenbach wurde für seinen Lebenspartner Peter Pears zu einem triumphalen Erfolg.

Hans-Jürgen Schöpflin/Chor

Die in jeder Phase eindringliche Neuinszenierung von Felix Seiler beließ es wohltuend beim in Novelle und Libretto vorgegebenen Zeitrahmen zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Durch immer wieder veränderte, schlichte Holzaufbauten und ganz wenige Requisiten wurde äußerst geschickt ein schneller, reibungsloser Wechsel der zahlreichen Szenen erreicht – meist in sonnendurchfluteter Helligkeit (Ausstattung: Hannes Neumaier). So konzentrierte sich die Inszenierung auf die in der Oper entscheidenden inneren Vorgänge des Venedig-Besuchers. Für die Bewegung im touristisch überlaufenen Venedig, das Gedränge in seinen Straßen und die Lebendigkeit am Strand sorgte vor allem der ungemein lebhaft agierende Opernchor mit einer Fülle von Einzelfiguren (ich habe 18 Chorsolisten im Programmheft gezählt, die mindestens 23 Personen darstellten), insgesamt das Verdienst des noch jungen Regisseurs. Dazu kamen einige Statisten und der nicht weniger lebendig auftretende Jugendchor des Theaters. Dabei hatten die sängerischen Leistungen aller Choristen hohes Niveau, was bei den verlangten Bewegungsabläufen überhaupt nicht selbstverständlich ist (Choreinstudierung: Achim Falkenhausen).

Uwe Tobias Hieronimi/Julian Rohde/Hans-Jürgen Schöpflin

Hans-Jürgen Schöpflin verkörperte Gustav von Aschenbach, inzwischen eine Paraderolle des erfahrenen Sängers. Er musste während der ganzen Oper auf der Bühne präsent sein – und das gelang ihm in imponierender Nachdrücklichkeit. Wie er mit nicht nachlassender Intensität die schwankenden Gefühle des alternden Mannes darzustellen wusste und zugleich seinen flexiblen Tenor stets intonationssicher durch die kräftezehrende Partie führte, das war eine tolle Leistung. Dabei war er in den lyrischen Passagen ebenso überzeugend wie in den dramatischen Ausbrüchen. Seinen geheimnisvollen Gegenspieler, hier teilweise auch schweigendes Alter Ego, gab Uwe Tobias Hieronimi, der durch variantenreiches Spiel überraschte, ob nun als mysteriöser Gondoliere, eitler Hotelmanager, teuflischer Straßensänger oder geschwätziger Friseur. Seinen in allen Lagen ausdrucksstarken Bassbariton setzte er wirkungsvoll ein, auch mit witzigen Falsett-Passagen. Ausgesprochen stimmschön ließ Tobias Hechler als Apollo seinen Counter strömen; mit frischem Tenor gefiel Julian Rohde als Hotelportier, während Jesper Mikkelsen sicher den Clerk im englischen Reisebüro gab; der polnische Jüngling Tadzio war Olv Grolle.

Die musikalische Gesamtleitung hatte Achim Falkenhausen, der den großen Apparat souverän im Griff hatte, wobei besonders positiv auffiel, wie gut alle Gruppen des Orchesters mit den hohen instrumentalen Anforderungen der Partitur zurecht kamen.

Das Premierenpublikum war vollauf begeistert und spendete reichlichen, lang anhaltenden Beifall für alle Mitwirkenden.

 

Bilder: © Falk von Traubenberg

Gerhard Eckels 22. April 2019

 

Weitere Vorstellungen: 26.4.+4.,6.,14.,30.5.+3.6.2019(Hildesheim)+30.4.2019 (Gütersloh)

 

 

 

 

Jaques Offenbach

DIE PRINZESSIN VON TRAPEZUNT

Premiere am 3. März 2019

Rarität als flotte Revue

Katharina Schutza/Meike Hartmann/Levente György/Jan-Philipp Rekeszus/Neele Kramer

Die Operette „Die Prinzessin von Trapezunt“ galt zu Lebzeiten Jacques Offenbachs als eines seiner populärsten Werke. Die Uraufführung fand im Sommer 1869 in Baden-Baden durch sein eigenes Pariser Ensemble des am Champs d’Élisée gelegenen Théatre des Bouffes-Parisiens statt. Nach Aufführungen einer überarbeiteten und auf drei Akte erweiterten Fassung an den Bouffes-Parisiens und  Wiederaufnahmen in den 1870er-Jahren am Théâtre des Varietes erzielte es auch international große Erfolge. So wurde es in Brüssel, London, Madrid, Kopenhagen, Stockholm, Prag, Berlin und sogar in Rio de Janeiro und New York nachgespielt, bis es zu Beginn des 20. Jahrhunderts fast völlig in der Versenkung verschwand. Vereinzelt wurde die „Prinzessin“ in letzter Zeit wieder aufgeführt, so z.B. 1975 in Braunschweig oder 2015 am Uraufführungsort Baden-Baden. Nun hat der rührige GMD des Theaters für Niedersachsen (TfN) Florian Ziemen das Werk zum 200. Geburtstag des Komponisten erneut hervorgeholt. Der Schauspieler Max Hopp, in den letzten Jahren mit Oscar Straus’ Operette „Eine Frau, die weiß, was sie will!“, „My Fair Lady“ und „Anatevka“ an der Komischen Oper Berlin erfolgreich, gab mit dieser Produktion sein Regiedebüt. Er hatte den Text modernisiert und einen Conférencier dazu erfunden, um Szenen und Abläufe zusammenzufassen. Die Dialoge hatte er teils neu geschrieben und auch welche von Karl Kraus übernommen, der um 1930 Offenbach-Lesungen mit Klavierbegleitung veranstaltete.

 

Das besonders als Puppenspieler hervorgetretene, junge Allround-Talent

Paul Hentze leitete die Revue-artige Fassung als Conférencier ein und trat zwischendurch immer wieder auf, wobei er u.a. einen ganzen Jägerchor gestaltete, mit Jacques Offenbach als Puppe während des Umbaus vom 1. zum 2. Akt etwas langatmig Nachdenkliches zum Betrieb eines Theaters äußerte oder – ein gelungenes Kabinettstückchen – drei Pagen als Museumswärter bei den Wachsfiguren präsentierte.

 

In der Ausstattung von Caroline Rössle-Harper, die ein einfaches, praktikables Bühnenbild geschaffen hatte, trat das Ensemble in äußerst fantasievollen, detailverliebten Kostümen derart spielfreudig und lebhaft auf, dass es eine wahre Wonne war: Zu Anfang lernen wir die Schausteller-Familie kennen, angeführt vom in sein Wachsfigurenkabinett geradezu verliebten Oberhaupt Cabriolo (bassgewaltig Levente György). Seine Schwester Paola (mit großer Stimme und temperamentvollem Spiel Katharina Schutza) hat große Sorgen, als spätes Mädchen zu versauern. Seiner Tochter Zanetta (klarstimmig Meike Hartmann) passiert das Missgeschick, dass sie beim Abstauben der Wachsfiguren versehentlich der „Prinzessin von Trapezunt“ die Nase abbricht. Daraufhin nimmt sie selbst in deren Kostüm den Platz der Wachsfiguren-Prinzessin ein. Die andere Tochter, die liebeshungrige Regina, ist bei Neele Kramer und ihrem charaktervollen Mezzo gut aufgehoben. Zunächst ohne Aussicht auf Erfolg seiner Bemühungen um Regina ist der als Clown auftretende Tremolino (der Schauspieler Jan Rekeszus kann sich auch in den Gesangsensembles erstaunlich gut behaupten).

Katharina Schutza/Dieter Wahlbuhl/Meike Hartmann/Julian Rohde/Jan-Philipp Rekeszus/Neele Kramer/Levente György

Nun tritt Prinz Raphael auf, dargestellt von Julian Rohde, der trotz angesagter Erkältung einen tragfähigen Tenor erkennen lässt. Der Prinz entkommt seinem Aufpasser und Erzieher Sparadrap (Schauspieler Dieter Wahlbuhl, dem eine komische Figur gelingt) und besucht das Wachsfigurenkabinett, wo er sich in die „Prinzessin von Trapezunt“ verliebt, ohne zu merken, dass er in Wahrheit Zanetta anhimmelt. Er bezahlt den Eintritt ins Kabinett mit einem Lotterie-Los, auf das bei der späteren Ziehung der Hauptgewinn fällt, ein veritables Schloss, in das die Gaukler-Familie freudig einzieht.

Nach dem Szenenwechsel zur Terrassenseite des Schlosses erleben wir auch den Vater des Prinzen, Fürst Kasimir, dem zwei satirische Politik-Couplets in den Mund gelegt sind, von denen es in der „Prinzessin“ nur wenige gibt. Uwe Tobias Hieronimi, Hildesheimer Publikumsliebling,  präsentiert sie teilweise urkomisch.

Levente György/Meike Hartmann/Neele Kramer/Uwe Tobias Hieronimi/Katharina Schutza/Jan-Philipp Rekeszus

Diese Handlung, die sich am Schluss natürlich in ein fröhliches Happyend auflöst, indem sich alle Paare endgültig finden, geht durchgehend spritzig und witzig voran. Sie schrammt auch manchmal hart am Klamauk vorbei, kehrt aber immer wieder zur flotten Revue zurück und gefällt dem in Hildesheim besonders begeisterungsfähigen Publikum. Der große Erfolg der Operette lag natürlich ganz wesentlich an der vielschichtigen Musik Offenbachs, die nicht nur wie der wirbelige Can-Can im 3.Akt Stimmung macht, sondern auch wie im Liebesduett Zanetta/Raphael besinnlich zur Ruhe kommt. Die Erarbeitung der Neufassung und die musikalische Einstudierung lag in den Händen von Adam Benzwi, der bereits mit mehreren Operettenproduktionen ebenfalls an der Berliner Komischen Oper erfolgreich war. Er sorgte mit präziser Leitung des nicht immer fehlerfreien Orchesters zu stets vorwärtsdrängendem Schwung.

Das Premierenpublikum jubelte zu Recht und bedankte sich mit starkem, lang anhaltendem Beifall und standing ovations bei allen Mitwirkenden.

 

Fotos: © Jochen Quast

Gerhard Eckels 4. März 2019

Weitere Vorstellungen: 5.,9.,31.3.+8.12.,16.,20.5.2019 u.a.

 

 

ORPHEUS

oder die wunderbare Beständigkeit der Liebe

Besuchte Aufführung am 27.12.18

(Premiere am 02.12.17)

Orpheus`Abgesang

Meistens schreiben wie Kritiker doch eher über Premieren oder zumindest kurz darauf, doch manchmal möchte man etwas sehen, und schafft, und schafft, und schafft es nicht. Doch die letzte Aufführung von Telemanns Orpheus-Vertonung habe ich noch am kurzen Wickel erwischt, uff! Alle Theatermenschen wissen, wie schwer es ist gerade die Vorstellungen an Feiertagen oder zwischen den Jahren zu füllen, um so deutlicher ist das Symbol eines sehr gut verkauften Hauses gerade bei einer recht unbekannten Barockoper. Dann kommt noch so ein Kritikerschnösel aus der Hauptstadt angereist, der Alte Musik nur mit den Spitzen des speziellen "Business" erlebt, um sich etwas in der Provinz anzuschauen. Natürlich darf man ein Stadttheater nicht mit den Gesangssternen vergleichen, zumal unsere Stadttheater mit teilweise recht gebeutelten Etats und daher sehr kleinen, zusammengesparten Ensembles arbeiten. In Hildesheim singen dieselben Sänger Tschaikowsky, Donizetti, Paul Abraham und eben auch Telemann, da gibt es kein "Spezialisten", dem einen liegt das Romantische eher, der andere ist nicht unbedingt ein begnadeter Koloraturensänger. So findet es sich auch an diesem Abend. Doch alle Darsteller haben ihr Herzblut gegeben, deswegen möchte ich diesmal keinen Sänger speziell nennen, nicht weil einzelne schlecht gesungen hätten, sondern, weil der Gesamteindruck insgesamt ein harmonischer war. Deshalb gab es am Ende einen begeisterten Applaus und "Standing Ovations" die wirklich aus dem Herzen der Zuschauer kamen, das war deutlich zu spüren.

Was auch deutlich an der geschmackvollen Inszenierung von Sigrid T`Hooft lag, die Belgierin ist eine Spezialistin für Barocke Aufführungstradition, aber klug genug von einer puristischen Praxis abzusehen und mit den gegebenen Möglichkeiten zu arbeiten, um einen gelungenen und unterhaltsamen (!) Theaterabend zu kreiren. Die Ausstattung von Stephan Dietrich mischt Barockes mit vereinfachtem Postmodernen. Der Höllenakt erinnert durchaus an romantische tschechische Märchenopern. Doch fügt sich das Amalgam zu einem geschmackvollem Ganzen, das vor allem das Ohr auf die abwechslungsreiche Musik Telemanns mit ihren deutschen, italienischen und französischen Einflüssen (,die sich auch sprachlich verfolgen lassen,) lenken.

Der musikalische Motor der ganzen Aufführung sitzt im Orchestergraben: Florian Ziemen ist seit letzter GMD des TfN und hat sich mit der TfN-Philharmonie der barocken Spielweise sorgfältig angenähert, es scheint den Musikern ein echtes Herzensbedürfnis und einzelnen Solisten die Möglichkeit zu brillieren, es macht wirklich Freude da zuzuhören, eine Freude, die sich auf das ganze Auditorium überträgt. Eine Qualität, die nicht Perfektion gerieren will, sondern von Innen kommt. Am Ende kann man nur noch sagen: Danke für den schönen Theaterabend. Lang lebe das Stadttheater!

 

Martin Freitag 31.12.2018

Fotos: siehe Premierenbesprechung 2017

 

 

DIE PANTÖFFELCHEN

Premiere am 9. Dezember 2018

Muntere Rarität

Wie der Hildesheimer GMD Florian Ziemen in einem Interview erwähnte, sieht er das TfN im Vergleich zu den größeren Häusern der Region unbedingt als eine Ergänzung. Wir müssen Stücke bringen, die nicht gerade in der Nähe laufen, also auch seltene Stücke und solche, die per se interessant sind. So hat er sich in dieser Saison für „Die Pantöffelchen“ von Pjotr I. Tschaikowsky entschieden, die in Deutschland erstmals 1932 in Mannheim und danach in Köln gespielt wurden. Ursprünglich als vierte Oper mit dem Titel „Wakula der Schmied“ in St.Petersburg 1876 uraufgeführt, war sie zunächst ein Erfolg, gefiel aber dem Komponisten selbst nicht, so dass er sie 1885 mit neuem Schaffensdrang umarbeitete und in „Tscherewitschki“ („Die Pantöffelchen“) umbenannte. Für das auf dem ukrainischen Volksmärchen „Die Nacht vor Weihnachten“ von Nikolai W. Gogol basierende Libretto von Jakow Polonsky wählte man am TfN eine anonyme deutsche Übersetzung von ca.1898 mit deutschen Übertiteln.

Peter Kubik/Neele Kramer 

Die märchenhafte Geschichte spielt in einem kleinen ukrainischen Dorf, in dem der Schmied Wakula die Tochter Oxana des alten Kosaken Tschub liebt; diese weiß nicht so recht, was sie will, und stellt schließlich Wakula in Aussicht, ihn zu heiraten unter der Bedingung, dass er ihr solche Pantöffelchen bringt, wie die Zarin sie trägt. Darum ranken sich nun die dörflichen Geschichten von Wakulas Mutter Solocha, die von vielen für eine Hexe gehalten wird, und um den Teufel, der sie heftig umwirbt, wie auch Tschub, der Dorfschulze Pan Golowa und der Schulmeister Panass. Nur mit einer List gelingt es Wakula, den Teufel als Helfershelfer für sein eigentlich unlösbares Problem einzuspannen, die Pantöffelchen noch in derselben Nacht am Hof in St.Petersburg zu gewinnen. Nach der Rückkehr der Beiden ins Dorf, wo Solocha und Oxana um Wakula trauern und sich schreckliche Vorwürfe machen, ihn so schlecht behandelt zu haben, löst sich alles in eitel Freud und Wonne auf. Auch der Pantöffelchen hätte es nicht mehr bedurft, da Oxana inzwischen erkannt hatte, dass auch sie Wakula liebt.

Ktja Bördner/Peter Kubik

Die Regie dieser Rarität war der jungen Anna Katharina Bernreitner anvertraut, die die Sänger lebendig führte, was in der herrlichen Schneeballschlacht der Dörfler gipfelte. Die Regisseurin setzte für die Ausstattung zu Recht auf Hannah Rosa Oellinger und Manfred Rainer, mit denen sie seit 2015 regelmäßig zusammen arbeitet. Das schlichte und einfache Bühnenbild überzeugte völlig: Die Idee, die Häuser des Dorfes wie eine russische Puppe auseinandernehmen und aufstellen, sowie entscheidende Eingänge wie ein Potemkinsches Haus aus dem Boden aufziehen zu lassen, war einfach super. Wunderbar war auch die weiße Welt der Hofschranzen und Gäste in St.Petersburg. Es ist immer wieder überraschend, wie effektvoll man mit einfachsten Mitteln arbeiten kann. Die passend phantasievollen Kostüme rundeten den äußerst positiven Eindruck ab. Für die flotte, vielfältige Choreographie der Tänze zeichnete Natascha Flindt verantwortlich.

Neele Kramer/Katja Bördner

Die musikalische Leitung des Abends lag in den versierten Händen Florian Ziemens, der das differenziert und schwelgerisch aufspielende Orchester zu Höchstleistungen animierte. Da kam die russische Seele ebenso zum Tragen wie Anklänge an schlichte Volkslieder und flotte Tänze. Bei den beiden Gästen des Abends gab für Wolfgang Schwaninger als Wakula vorher die Ansage einer Indisposition, so dass man nur sein munteres Spiel und die Ausdauer bewundern konnte, mit der er sich durch die Partie quälte. (Warum hat man nicht die Alternativbesetzung genommen, die im Programmheft stand?) Für die Oxana hätte man sich stimmlich eine jüngere Protagonistin gewünscht mit etwas mehr Schmelz; Katja Bördner erfüllte die hohen Ansprüche der Rolle mit sauberem, leicht schneidendem Sopran und intensiver Darstellung. Ein besonders gelungener musikalischer Höhepunkt war das schöne Duett mit Neele Kramer, die einmal mehr ihren durch alle Lagen ausgeglichenen, warm strömenden Mezzo als Solocha präsentierte. Sie und Peter Kubik mit klarem, flexiblem Bariton als Teufel agierten als „Buffo-Paar“, das dem bunten Treiben immer wieder Zunder gab.

 

Wolfgang Schwaninger/Katja Bördner/Opernchor

Von den drei Verehrern Solochas gefiel der runde Bass von Uwe Tobias Hieronimi als Tschub am Besten; Julian Rohde als klarsstimmiger Schulmeister Panass und Levente György als poltriger Dorfschulze Golowa ergänzten das lebendige Trio mit den treffenden Pelzen und Tierkopf-Bedeckungen. Letzterer machte auch als Durchlaucht im 3.Akt gute Figur (wie ebenso Jesper Mikkelsen als Zeremonienmeister). Chor und Mitglieder des Extrachors des TfN sangen die teils volksliedhaften, teils schmissigen Chöre mit sichtbarem Engagement, bestens einstudiert von Achim Falkenhausen.

Das begeisterte Publikum feierte alle Künstler bei der Premiere mit lang anhaltendem Applaus.

 

Fotos © Falk von Traubenberg

Marion Eckels 10. Dezember 2018

 

Weitere Vorstellungen:

Hildesheim: 11./23./29.12. und wieder ab Januar 2019

Nienburg: 13.12.; Wolfenbüttel: 16.12.

 

DIE HOCHZEIT DES FIGARO

Besuchte Vorstellung am 24. September 2018

Premiere am 15. September 2018

Deutsches Singspiel

Neele Kramer/Julian Rohde/Martin Berner/Peter Kubik/Meike Hartmann/Chor

Im Spielplan des TfN (Theater für Niedersachsen) gibt es im Musiktheater immer wieder Überraschungen, vor allem seit Florian Ziemen hier als Generalmusikdirektor und Operndirektor verantwortlich ist. Nun ist ja „Figaros Hochzeit“ nicht wirklich eine Überraschung, aber die Fassung, die sie in Hildesheim aufführen, ist tatsächlich eine Rarität. Bei der Uraufführung 1786 in Wien hatte die wirbelige Oper bekanntlich nur mäßigen Erfolg; erst nach den Prager Aufführungen in der Saison 1786/87 wurde sie bejubelt. Im deutschsprachigen Raum trat die Oper ihren ganz großen Siegeszug mit deutscher Übersetzung und mit gesprochenen Dialogen anstelle der Rezitative an. In diesen Fassungen wurde sie bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts auch in Wien gespielt, und Mozart selbst erlebte seinen „Figaro“ als deutsches Singspiel 1790 in Mannheim.

Zuvor hatte die Wandertruppe Großmann erstmalig im Mai 1788 in Lübeck „Die Hochzeit des Figaro“ in einer Übersetzung des durch seine Schrift „Vom Umgang mit Menschen“ berühmt gewordenen Adolph Freiherr Knigge auf die Bühne gebracht. Diese Übertragung des italienischen Originals wurde die in der Folgezeit wohl am häufigsten gespielte Fassung von Mozarts Oper. Ernsthaft konkurrieren konnte damit nur die Version von Goethes Schwager Christian August Vulpius, die auch Ende des 18. Jahrhunderts erstmals in Frankfurt zur Aufführung gekommen ist und deren Dialoge die einzigen heute noch erhaltenen Sprechtexte aus dieser Zeit sind.

Isabell Bringmann/anderer Bartolo/Julian Rohde/Peter Kube/Meike Hartmann

In Hildesheim ist nun die Oper mit Knigges Gesangstexten und Vulpius’ Dialogen als deutsches Singspiel zu erleben. Regisseur Wolfgang Nägele ließ sich in seinem Konzept davon inspirieren, dass die im 19. Jahrhundert durchs Land ziehenden Wandertruppen ähnlich der italienischen Commedia dell’arte hauptsächlich pure Unterhaltung eines eher einfachen Publikums bezweckten. So sah man am Ende der flott servierten Ouvertüre auf ein graues, schrankähnliches Gebilde mit Klappen und Türen, die sich öffneten und schlossen und den Blick in kleine Räume mit Blümchen-Tapete freigaben. In und natürlich besonders vor dem großen „Schrank“, der sich im 2.Akt zu einem veritablen Zimmer öffnete, gab es nun durchweg munteres Spiel aller Beteiligten, deren Kostümierung teilweise der Commedia dell’arte entlehnt waren. So trugen nur die Nebenfiguren knallbunte Kostüme und auch Masken, während Graf und Gräfin sowie Susanna und Figaro eher zeitlos gekleidet waren, wenn man von der merkwürdigen überdimensionalen „Halskrause“ um Susannas Taille einmal absieht (Ausstattung: Hannah König).

In der Personenführung gab es einige überflüssige Albernheiten wie das Auseinandernehmen von Schaufensterpuppen während der Verkleidung Cherubinos und in der großen Arie des Grafen im 3.Akt; dazu zählt auch der Beginn der Gerichtsszene, wenn alle außer dem Grafen und Figaro wie Marionetten aufgehängt sind. Zu einem unverständlichen Bruch kam es, als sich im letzten Teil des 4. Aktes alle – gekleidet in dunkelgraue (Susanna und Figaro in weiße) Regenschutzkleidung von Kapuze bis zu Gummistiefeln – am Meeresstrand oder in anderer unwirtlicher Gegend wiederfanden – genau war das nicht zu lokalisieren. Auch das finale, fröhliche Herumhopsen aller in moderner Freizeit-Kleidung passte irgendwie nicht zum vorangegangenen Geschehen.

Nun aber zu der Singspiel-Fassung: Die Texte waren teilweise gewöhnungsbedürftig, jedenfalls wenn man die seit 1895 gebräuchliche Übersetzung von Hermann Levi noch im Ohr hat – zur guten Verständlichkeit des quirligen, sich immer wieder verändernden Intrigenspiels trugen die deutschen Texte allemal bei.

Martin Berner/Antonia Radneva

Musikalisch stand die Vorstellung unter keinem günstigen Stern: Es begann mit der Ansage, dass für den erkrankten Sänger des Bartolo und Antonio Levente György auftrat. Da er als Alternativbesetzung für Figaro vorgesehen war, kannte er sich in der Inszenierung aus, sang aber mit seinem raumgreifenden Bass Bartolos Arie auf Italienisch und zog sich bei den Dialogen mit Spickzetteln geschickt aus der Affäre. Schon bei ihrer Auftrittsarie war durch einige Unsicherheiten spürbar, dass Antonia Radneva als Gräfin offenbar indisponiert war; ganz deutlich wurde es dann, als sie in der Folgezeit in den Schon-Modus ging, häufig oktavierte und in den großen Ensembles gar nicht mehr mitsang. Prompt wurde vor Beginn des 2. Teils bekannt gegeben, dass bei der sympathischen Sopranistin eine Erkältung noch nicht völlig ausgeheilt war und deshalb die Arie im 3.Akt entfallen müsse. Isabell Bringmann, früher im jugendlich-dramatischen Fach in Hildesheim gefeiert, die eine witzige Marzelline gab, sang nun zusätzlich die übrigen wichtigen Passagen der Gräfin von der Bühnenseite aus – insgesamt eine tolle Ensemble-Leistung!

Meike Hartmann/Peter Kubik

Als quicklebendige Susanna (in den Sprechtexten Susanne) gefiel Meike Hartmann, die mit ihrem klaren Sopran besonders die „Rosen-Arie“ einfühlsam ausdeutete. Ihr Figaro war mit viel Spielwitz Peter Kubik, der seinen prägnanten Bariton differenziert und effektvoll einsetzte. Seinem Gegenpart Graf Almaviva gab Martin Berner Gewicht; während er im ersten Teil stimmlich noch allzu viel polterte, fand sein angenehm timbrierter Bariton später in der großen Arie und in der lyrischen Bitte um Verzeihung zu deutlich abgerundeteren Melodiebögen. Als draller Cherubino erfreute mit schönem Mezzo-Timbre Neele Kramer, während das neue Ensemble-Mitglied Julian Rohde sicher als Basilio und Don Curzio auftrat; Vanessa Peschel als blutjunge Barbarina (= Bärbchen) beklagte mit Naturstimme den Verlust der „kleinen Nadel“.  Seine wenigen Aufgaben erfüllte der von Achim Falkenhausen einstudierte Opernchor des TfN klangvoll. Am Pult des gut disponierten Orchesters des TfN stand Sergei Kiselev, der mit zupackendem Dirigat für stets vorwärtsdrängenden Schwung sorgte.

Das Publikum feierte alle Beteiligten mit begeistertem Applaus.

Bilder © Jochen Quast

Gerhard Eckels 25. September 2018

 

Weitere Vorstellungen: 29.9. (Luckenwalde)+12.,30.10.+10.11.2018(Hildesheim) +21.10.(Wolfenbüttel) u.a.

 

 

 

 

 

Die Brücken am Fluss

(The Bridges of Madison County)

 

Premiere am 8. September 2018

Großes Format

Gerald Michel/Marysol Ximénez-Carillo

1992 wurde der Roman „The Bridges of Madison County“ („Die Brücken am Fluss“) von Robert James Waller veröffentlicht, den Clint Eastwood 1995 verfilmte mit sich selbst und Meryl Streep in den Hauptrollen. Erst 2013 adaptierte Marsha Norman die Geschichte für das Musical, zu dem Jason Robert Brown die Musik, Gesangstexte und Orchestrierung beitrug und das 2014 erstmals am Broadway lief. Am 18. März 2017 erlebte es in Trier seine deutsche Erstaufführung in der Übersetzung von Wolfgang Adenberg, die auch in Hildesheim verwendet wurde. Die Geschichte handelt von der jungen Neapolitanerin Francesca, die 1946 mit dem US-Soldaten Richard „Bud“ Johnson auf seine Farm nach Iowa ging und dort 20 Jahre lang eine „normale“ Ehe mit den Kindern Michael und Carolyn führte. Als der Vater nun mit den Teenagern für 4 Tage zu einer Landwirtschaftsmesse unterwegs ist, bleibt Francesca allein zuhause. Da taucht der Fotograf Robert Kincaid auf der Suche nach einer der sieben Brücken auf, die er für das Magazin „National Geographic“ ablichten soll. Francesca hilft ihm gerne und entdeckt im Gespräch, wie sehr ihr solche Freiheit fehlt, die Robert hat. Bleibt es am ersten Abend noch beim Essen, obwohl bereits erste Anzeichen von gegenseitiger Zuneigung zu erkennen sind, gehen am nächsten Tag die Gefühle mit beiden durch. Francesca steht nun vor der Entscheidung, ihrer großen Liebe zu folgen oder sich für ihre Familie einzusetzen. Letztendlich bleibt sie bei ihrer Familie, weil sie sich einerseits wirklich geliebt weiß, aber andererseits nicht die lange Gemeinsamkeit einfach wegschieben kann und vor allem ihre Kinder, aber auch ihren Mann in gewisser Weise liebt. Wie sich später zeigt, hat sich das Leben beider Protagonisten nach der Episode entscheidend verändert.

Marysol Ximénez-Carrillo/Alexander Prosek

Das Musical-Team des TfN (Theater für Niedersachsen) bewies zum Saison-Auftakt einmal mehr seine Ausnahmestellung auf diesem Gebiet in der Region. Dem Regisseur und Team-Leiter Craig Simmons und der Ausstatterin Esther Bätschmann ist es gelungen, mit wenig Aufwand eindrucksvolle Bilder und Szenen zu schaffen, die sich ins Gedächtnis brannten. Die wenigen Versatzstücke für die Küche, das Auto, Zäune und die Brücke liefen auf Rollen oder kamen vom Schnürboden; alles lief wie geschmiert und sich reibungslos aus einzelnen Situationen folgerichtig ergebend ab, wobei alle Akteure auch gleichzeitig als „Kulissenschieber“ tätig waren.

Der Hintergrund deutete in vielen Farbschattierungen die endlose Weite des Landes und Himmels zur jeweiligen Tageszeit an bis zum schlichtem Sternenhimmel in der Bett-Szene. Dabei ließ Simmons die Darsteller ohne Übertreibungen lebensecht agieren und sorgte dafür, dass drohende kitschige Momente immer durch lockere Einschübe elegant aufgefangen wurden. Die für Francesca und Robert so wichtige Entscheidung trieb er spannend voran, bis sie endgültig fiel und Francesca zu ihrer Familie zurückging. Das hatte großes Format.

Störend an der ganzen Vorstellung war nur die viel zu laut eingestellte Verstärkungstechnik, so dass man, wenn alle 10 Mitwirkenden sangen, nichts mehr richtig verstehen konnte und der Text an einigen Stellen verzerrt klang.

Elisabeth Köstner/Gerald Michel

Die kleine Band unter der bewährten Leitung von Andreas Unsicker gab bei den Soli und Untermalungen der Songs ihr Bestes; die gefällige Musik von Jason Robert Brown enthielt neben sehnsuchtsvollen Motiven auch Anklänge an Country-Music und Jazzelemente. Aber wirklich mitgerissen hat die Darstellung der Protagonisten: Da ist zuerst Marysol Ximénez-Carrillo zu nennen, die ein überzeugendes Bild der sich in die Rolle der Farmersfrau eingerichteten Vierzigerin Francesca gab, die – ohne es selbst zu wissen – nach irgendetwas Neuem sucht in der Eintönigkeit des Alltags. Da war zunächst echte Freude über die Frage des Fremden nach der Brücke, dem sie ihr Hilfsbereitschaft fast zu stark aufzudrücken schien. Ihre inneren Gedanken im weiteren Verlauf (z.B. „Wie nennt man einen Mann wie ihn?“) unterstrich sie treffend in Gestik und Mimik. Mit klarer, heller Musicalstimme trug sie ihre Songs eindringlich vor, in denen sie sich dem Fotografen (und dem Zuschauer) immer mehr öffnete, bis Robert sie vor die Entscheidung stellte, ihn zu begleiten oder bei ihrer Familie zu bleiben – eine tolle Leistung! Gerald Michel als Robert Kincaid gelang es ebenso gut, die Wandlung eines nur die Freiheit und die Fotografie liebenden Mannes zu der Erkenntnis glaubhaft zu machen, dass alle Reisen und Reportagen über die weite Welt („Die eingerahmte Welt“) eine echte Liebesbeziehung nicht ersetzen können. Francescas natürliche Art bezauberte ihn, so dass auch er plötzlich nie gekannte Gefühle entwickelte und annahm. Im Spiel der beiden wirkte alles harmonisch und richtig.

Gerald Michel/Johannes Osenberg/Marysol Ximénez-Carrillo/Sandra Pangl/Alexander Prosek

Als einerseits umsorgender Ehemann Bud Johnson, andererseits polternder, strenger Vater war Alexander Prosek optimal eingesetzt. Mit rauer Stimme stellte er klar das schlichte, gutmütige Wesen eines Farmers heraus, der seine Frau nicht ganz versteht. Johannes Osenberg und Sandra Pangl spielten typgerecht die munteren Teenager, die sich nicht an die Farm ketten lassen wollen. In jeweils mehreren Rollen traten Elisabeth Köstner (u.a. als Roberts Ex-Frau Marian mit „‘ne and’re Welt“), Katharina Schutza als köstliche, teils neugierige, teils neidische Nachbarin Marge mit Jens Krause als beschwichtigendem Ehemann Charlie, Lisa Maria Hörl als sauber intonierende Country Sängerin und Jürgen Brehm als junger Bud auf. Sie alle bildeten die schützende Hülle, die Francesca dort umgab, wo man auf nachbarschaftliche Freundlichkeit und Hilfe angewiesen war („Du bist nie allein“).

Das zu Recht begeisterte Publikum spendete allen Mitwirkenden lang anhaltenden Applaus.

Fotos: © Jochen Quast

Marion Eckels 09.09.2018

 

Weitere Vorstellungen:

17.+29.9.; 1., 11.+25.11; 5.+21.12.2018 und 16.3./19.4.2019 (Hildesheim) sowie an anderen Orten

 

 

 

 

SAISONVORSCHAU 2018 / 19

OPER/OPERETTE

 

Die Hochzeit des Figaro (Deutsche Singspielfassung aus dem 18. Jahrhundert) – Premiere am 15.9.2018

(Dirigent: Florian Ziemen, Inszenierung: Wolfgang Nägele)

Die Pantöffelchen (Tschaikowsky) – Premiere am 9.12.18

(Dirigent: Florian Ziemen, Inszenierung: Anna Katharina Bernreitner)

Die Prinzessin von Trapezunt (Offenbach) Premiere am 3.3.2019)

(Dirigent: Adam Benzwi/Sergei Kiselev, Inszenierung: Max Hopp)

Tod in Venedig – Premiere am 20.4.2019

(Dirigent: Achim Falkenhausen, Inszenierung: Felix Seiler)

 

Das Tagebuch der Anne Frank – Wiederaufnahme am 6.10.2018                      

Die Blume von Hawaii – Wiederaufnahme am 14.10.2018

Orpheus (Telemann) – Wiederaufnahme am 28.10.2018

 

MUSICAL

 

Die Brücken am Fluss (Musical von Jason Robert Brown und Marsha Norman)

 – Premiere am 8.9.2018

(Inszenierung: Craig Simmons, Dirigent: Andreas Unsicker)

Die Addams Family (Musical von Andrew Lippa, Marshall Brickman und Rick Elice)

– Premiere am 3.11.2018

(Inszenierung: April Hailer, Dirigent: Andreas Unsicker)

Jasper in Deadland (Musical von Ryan Scott Oliver und Hunter Forster)

Premiere am 20.1.2019

(Inszenierung: Bart de Clercq, Dirigent: Andreas Unsicker)

Elternabend (Musical von Thomas Zaufke und Peter Lund) – Premiere am 11.5.2019

(Inszenierung: Craig Simmons, Dirigent: Andreas Unsicker)

 

DIE BLUME VON HAWAII

Besuchte Vorstellung am 12. Mai 2018

Premiere am 5. Mai 2018

Flotte unterhaltsame Revue

Das ausgesprochen vielseitige Programm in der ersten Spielzeit des neuen GMD am Theater für Niedersachsen (TfN) Florian Ziemen wurde nun durch die Operette „Die Blume von Hawaii“ von Paul Abraham abgeschlossen, die nach der Leipziger Uraufführung 1931 schnell populär wurde. Sie hat eine typisch verwickelte Operetten-Handlung, die sich natürlich in einem Happyend auflöst – hier mit sage und schreibe vier glücklichen Paaren. Sie spielt kurz vor Beginn des 20. Jahrhunderts, nachdem die amerikanische Armee Hawaii besetzt und einen Gouverneur eingesetzt hat. Neben diesem und seinem Sekretär John Buffy sind Hauptakteure die zunächst incognito als Jazz-Sängerin auftretende hawaiianische Prinzessin Laya, der ihr seit Kinderzeiten versprochene Prinz Lilo-Taro, die schöne Insulanerin Raka, der amerikanische Kapitän Harald Stone, die kesse Gouverneursnichte Bessie Worthington sowie die beiden Jazz-Sänger Jim Boy und Susanne Provence. Es entwickelt sich ein turbulentes, temporeiches Spiel um das Finden der „wahren Liebe“, die Zukunft Hawaiis und die Freuden des mondänen Lebens in Honolulu und Monte Carlo.  

Anfang der 1920er-Jahre kam der neuartige Jazz über den Ozean nach Europa und krempelte die so genannte „leichte Muse“ völlig um. Ungekrönter König dieser letzten, wilden Operettenzeit in Berlin – die mit dem Nationalsozialismus ihr jähes Ende fand – war der ungarische Exilant Paul Abraham. Bis in die 1970er-Jahre gab es auch durch Verfilmungen geglättete, musikalisch weich gespülte Fassungen, die schließlich insgesamt als zu süßlich und seicht empfunden wurden, sodass   Operetten aus den 1920er- und 30er-Jahren aus den Spielplänen fast völlig verschwanden. Das ist in letzter Zeit anders geworden: So wurde aus Tonaufnahmen und anderen originalen Unterlagen rekonstruiert, dass Abraham eine so genannte „Zentralpartitur“ verwendete, nach der man wie improvisiert einzelne Instrumente oder Gruppen hervortreten und wieder verschwinden lassen kann. In Hildesheim gab es eine Fassung, die nach Ziemens Worten „die Flexibilität einer Zentralpartitur nachzuahmen versucht“. Man habe in einem spannenden Prozess bis in die letzten Proben hinein im Sinne dieser originalen improvisatorischen Musizierweise bestimmte Nummern mal so oder mal anders klingen lassen, um so die „richtige“ Version zu finden.

Meike Hartmann/Ziad Nehme/Levente György

Das Ergebnis dieser Arbeit konnte sich hören lassen: Von der Ouvertüre an kam aus dem Graben ein auf Betreiben von Florian Ziemen stets vorwärtsdrängender Drive mit zwischendurch schrägen Jazz-Tönen – alles typisch für die vielschichtige Partitur Abrahams. Dieser instrumentale Schwung war für alle Akteure auf der Bühne so ansteckend, dass die vielen bekannten Songs und Duette wie eine flotte Revue serviert wurden. Das schloss sentimentale Zwischentöne nicht aus – im Gegenteil, sie gehören natürlich auch zu einer anständigen Operette. Allerdings gab es in den beiden ersten Akten manche Längen wie den merkwürdigen „Kampf“ der großen, von Choristen wie ostasiatische Drachen auf Stangen getragenen Tiere (Schlange und Bär) oder den Frauenchor, in dem Urwaldtiere, vor allem Affen nachgeahmt werden. Die Sprechtexte im 3. Akt zur Auflösung der Konflikte und zum Finden der vier Paare waren ebenfalls reichlich langatmig. Aber sei’s drum, die Rekonstruktion und Wiederbelebung der Operette hat sich gelohnt, man hatte insgesamt auf der Bühne und im Publikum viel Spaß.

 

Das lag natürlich auch an der geschickten, das Tempo immer wieder forcierenden Regie von Tamara Heimbrock und der abwechslungsreichen Choreografie von Jaume Costa I Guerrero . Bühne und Kostüme von Julie Weideli

wiesen in die Entstehungszeit und huldigten dem damals aufkommenden Tonfilm, indem der erste Akt vor einem Filmpalast, der zweite in dessen großzügigem Foyer spielte. 

 

Bild rechts:

Uwe Tobias Hieronimi/Antonia Radneva

Eine besondere Überraschung war es, dass man die sonst der ernsten Oper zugeneigten Sängerinnen und Sängern choreografisch geradezu wirbelig erleben konnte, spürbar das Verdienst des jungen Leitungsteams. Mit klarstimmigem Sopran und charmanter Ausstrahlung begeisterte Meike Hartmann in der Doppelrolle der hawaiianischen Prinzessin Laya und der Jazzsängerin Susanne Provence als Marlene-Dietrich-Verschnitt. Ihr Prinz Lilo-Taro war der fesche Ziad Nehme, dessen Tenor leider so gar keinen Glanz verbreiten wollte (war er indisponiert?). Ungeahnten Spielwitz zeigte Uwe Tobias Hieronimi, der den Jazzsänger Jim Boy als tuntigenTravestiten gab und am Schluss im Song „Bin nur ein Jonny, zieh durch die Welt“ nachdenkliche Akzente setzte. Seine in Hawaii heimlich geehelichte Raka war mit charaktervollem Sopran Antonia Radneva.

Neele Kramer/Aljoscha Lennert

Als dralle Bessie Worthington trat Neele Kramer auf, deren munteres Spiel, tänzerisches Talent und stimmlich ansprechendes Vermögen einmal mehr erfreute. Witzig und hellstimmig gab Aljoscha Lennert den Bessie zugetanen Gouverneurssekretär John Buffy. Peter Kubiks schön geführter Bariton gefiel ebenso wie seine Darstellung des letztlich unglücklich in die Prinzessin verliebten Kapitäns Harald Stone, der sich am Schluss allerdings mit der echten Jazzsängerin Susanne Provence mehr als nur zufrieden gab. In kleineren Rollen ergänzten sicher Levente György, Jesper Mikkelsen, Harald Sträwe und Daniel Käsmann. Auch der Chor in der bewährten Einstudierung von Achim Falkenhausen fiel erneut durch ausgewogenen Klang und diesmal besonders durch große Spielfreude auf.

Das Publikum im ausverkauften Haus bedankte sich bei allen Akteuren, auch bei den mit dem GMD auf die Bühne strömenden Orchestermusikern, mit starkem, lang anhaltendem Applaus.

Fotos: © Falk von Traubenberg

Gerhard Eckels 13. Mai 2018

Weitere Vorstellungen: 27.5.+18.6.2018 und in der Spielzeit 2018/19

 

 

 

Zum Dritten

ADELIA

Premiere: 10.03.2018

besuchte Aufführung: 10.04.2018

Hinreißende Belcanto-Rarität im modernen Gewand

Lieber Opernfreund-Freund,

wenn man eine derartige Rarität ausgräbt, wie es das TfN in Hildesheim mit der deutschen Erstaufführung von Donizettis „Adelia“ mehr als 175 nach deren Uraufführung getan hat, ist man in Erkältungszeiten gelegentlich in Bedrängnis. Niemand hat die betreffenden Partien in seinem Repertoire und so ist ein Oliveriero in „Adelia“ im Vergleich zu einem Mario in der „Tosca“ nahezu nicht notzubesetzen. Dass es trotzdem gelingt, ist dem beherzten Einspringen des australisch-irischen Tenors Garrie Davislim zu verdanken, der gestern die genannte Partie von der Seite sang und zusammen mit dem spielenden Haus-Bariton Peter Kubik die Aufführung rettete.

 

„Adelia? - nie gehört....“ So ging es auch mir, lieber Opernfreund-Freund, als ich im vergangenen Frühjahr die Spielzeitpläne des Theaters in Händen hielt - Grund genug, den Weg nach Hildesheim nicht zu scheuen, um mir diese Ausgrabung für Sie anzusehen. Das 1841 in Rom uraufgeführte Werk konnte erst auf die Bühne gebracht werden - Verdis spätere Ehefrau Giuseppina Strepponi sang dabei die Titelrolle, nachdem sich Gaetano Donizetti und seine Librettisten Felice Romani und Girolamo Maria Marini zu einem Happyend durchgerungen hatten, denn der Stoff war für damalige Verhältnisse heikel. Der so braven wie bürgerlichen Adelia wird nämlich fälschlicherweise ein voreheliches Verhältnis unterstellt zum Edelmann Oliveriero unterstellt, das ihr Vater Arnoldo mit der angeordneten Eheschließung der beiden zu heilen sucht. Die muss der Herzog Carlo widerwillig genehmigen, hatte er doch Arnoldo für dessen Tapferkeit die Erfüllung eines Wunsches versprochen. Doch der Herzog will die Ehe nicht hinnehmen und plant direkt nach deren Schließung die Hinrichtung Olivieros. Als Adelia das erfährt, verweigert sie die Ehe, um das Unheil abzuwenden. Oliviero denkt, sie liebt ihn nicht mehr, und erst, nachdem Arnoldo und damit auch seine Tochter in den Adelsstand erhoben wurden, steht einer gemeinsamen Zukunft nichts mehr im Wege. Die Partitur, die der Meister aus Bergamo dazu ersonnen hat, hat es ebenfalls in sich und weist zahlreiche Parallelen zu seinem Gassenhauer „Lucia di Lammermoor“ auf, beispielsweise ein Sextett zum Ende des ersten Aktes und eine Art Wahnsinnsszene der Titelheldin am Ende. Und doch ist das Werk kein billiger Abklatsch eines Kassenschlagers, sondern voller eigener Charakteristik, beeindruckenden Chorszenen, himmlischer Kantilenen und natürlich halsbrecherischen Koloraturen.

Dass die durchaus früher wieder auf die Opernbühne gehören als in 175 Jahren beweist das flotte Dirigat von Achim Falkenhausen am Pult des Orchesters des TfN, der schon mit atemberaubendem Tempo in den Abend startet und bis zum Ende genügend „Druck auf dem Kessel“ hält, um die wunderbare Partitur in all ihrer Pracht zu Gehör zu bringen. Dass er da und dort die Sänger ein wenig übertüncht, mag an der ungebremsten Begeisterung für das Werk liegen und sei verziehen.

Dass der Abend so wunderbar gelingt liegt gleichermaßen an der durchdachten und einfühlsamen Regie von Guillermo Amaya. Der gebürtige Spanier nähert sich dem Stoff  behutsam und holt ihn gekonnt in eine Art zeitloses Jetzt. Auf der modern gestalteten Bühne von Hannes Neumeier dominiert das Weiß, Designermöbel und klare Linien ohne Schnickschnack ersetzen barock anmutenden Prunk und lassen ihn keinen Moment vermissen. Lediglich die schwarz-weißen Kostüme von Franziska Müller, die bedeutungsschwanger mit roten Akzenten spielen, weisen die eine oder andere Historisierung auf. Überhaupt sind Symbole in Amayas Inszenierung klug gesetzt. Der Chor erscheint als Hüter von Zucht, Gesetz und Ordnung und auch Adelia trägt zu Anfang eine so kunstvoll wie streng wirkende Zopffrisur. Im Laufe des Abends, in dem die Figur zusehends die Fassung verliert, löst sich die Haarpracht aber immer mehr, zur Finalszene erscheint Adelia mit offenem Haar. Außerdem beweist die Regie Mut und folgt nicht dem von der Zensur verordneten Happyend, das das Libretto ohnehin in nur wenigen Sätzen recht unglaubwürdig und im Hau-Ruck-Verfahren vollzieht, sondern stellt die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft als Adelias Wahnvorstellung dar. Überhaupt ist das schwache Skript die Achillesferse des Werkes, zu wenig Entwicklung lassen Romani und Marini die Figuren durchlaufen, zu scherenschnittartig bleibt die Zeichnung der Motive, so dass da nur der ewige Opern-Dreiklang aus Macht, Ehre und Liebe bleibt. Das aber tut der gelungenen szenischen Umsetzung und dem klanglichen Genuss keinen Abbruch.

Kim Lillian Strebel ist als Adelia eine echte Entdeckung. Die Britin verfügt über einen ausdrucksstarken, farbenreichen und kräftigen Sopran und spielt einfach hinreißend. Nur da und dort hätte ich mir ein wenig mehr Mut zum Piano gewünscht. Garrie Davislim ersetzt den erkrankten Konstantinos Klironomos nahezu ohne hörbare Schwierigkeiten. Sein feiner Tenor voller Strahl- und Ausdruckskraft macht sogar den Umstand vergessen, dass er den Oliviero nicht selbst spielt, das übernimmt sein Sängerkollege Peter Kubik vorzüglich. Andrei Yvan zeigt als Arnoldo hörbar gerne die Facetten seines Bariton, der über ebenso viel Kraft wie Gefühl verfügt, dafür gestaltet der Bass Uwe Tobias Hieronimi den Herzog Carlo im Dschingis-Khan-Outfit recht eindimensional. Neele Kramer ist mit warmem Mezzo eine gefällige Odetta und Aljoscha Lennert kann als Comino ebenfalls überzeugen. Schier grandios ist die Leistung der Damen und Herren des Opern- und Extrachores des TfN zu nennen. Achim Falkenhausen hat hier die Einstudierung übernommen und die Sängerinnen und Sänger gekonnt zu einer Einheit geformt. Im Graben hält er gestern versiert die Fäden zusammen und garantiert so einen rundum gelungenen Abend.

Mit dieser Ausgrabung ist dem TfN ein echter Coup gelungen und das goutiert auch das zahlreich erschienene Publikum mit lang anhaltendem und begeisterten Applaus für alle Beteiligten. Auch ich habe den Weg nach Hildesheim nicht bereut und kann Ihnen diese Rarität uneingeschränkt ans Herz legen. Den tausendjährigen Rosenstock schaue ich mir dann gerne bei meinem nächsten Besuch an.

Ihr Jochen Rüth 12.4.2018

Bilder siehe unten + Premierenbesprechung

 

ADELIA

Besuchte Vorstellung am 10. April 2018

Premiere und Deutsche Erstaufführung am 10. März 2018

Belcanto-Schatz

Da hat ja das Theater für Niedersachsen (TfN) durch seinen neuen, innovativen GMD Florian Ziemen einen echten Theater-Coup gelandet! Wer kennt schon Donizettis Oper, bzw. richtig bezeichnet sein „Melodramma serio“ „Adelia“? Aber es hat sich gelohnt, diese Rarität ans Licht zu heben, enthält sie doch solistisch und vor allem in den Ensembles bestes, herrliches Belcanto zu einem typischen Libretto jener Zeit von Felice Romani und Girolamo Maria Marini. „Adelia“ entstand 1840/41, als sich Donizetti immer noch bemühte, in Paris Fuß zu fassen. Sie beendete eine Serie von französischen Opern wie „La Fille du Régiment“ oder „La Favorite“; nach ihr gab es noch neben vergessenen Werken „Linda di Chamonix“ und den unverwüstlichen „Don Pasquale“. Zwischen diesen Meisterwerken kann sich „Adelia“ durchaus hören lassen, obwohl Donizetti bereits durch seine venerische Krankheit beeinträchtigt war.

 

Zum Inhalt: Der junge Adlige Oliviero und die bürgerliche Adelia lieben sich; dafür, dass Oliviero sie verführt haben soll, wird er von ihrem Vater, dem Kriegshelden Arnoldo, beim Herzog verklagt. Dieser verurteilt Oliviero zum Tode. Arnoldo wird jedoch durch die Klagen seiner Tochter erweicht und bittet daher, dass die Familienehre stattdessen durch die Heirat der jungen Liebenden wiederhergestellt wird. Der Herzog willigt ein, plant aber die Hinrichtung nach vollzogener Hochzeit; als Adelia dies erfährt, verweigert sie den Gang zur Kirche. Vater Arnoldo, dem seine Ehre über alles geht, besteht auf der Eheschließung. Im originalen Libretto löst Adelia den Konflikt durch Selbstmord; in Rom drängte die päpstliche Zensur auf ein „lieto fine“: Der Herzog ändert seine Meinung, die Liebenden heiraten und alles ist gut.

 

In Hildesheim gibt es eine Zwischenlösung: Es klingt das ursprüngliche Finale an, indem das Schlussduett des Liebespaars gestrichen ist, am Ende die Bühne im Dunkel versinkt und nur noch Adelia in grellem Licht dem Wahnsinn verfällt. Aus der Finsternis hört man die frohe Botschaft, dass nun doch geheiratet werden kann, und entsprechenden Jubel; beides erreicht die umnachtete Braut nicht mehr.

Dies schwächt die Unglaubwürdigkeit der Story, die durch den nachträglichen Eingriff der Zensur noch unglaubwürdiger geworden war, etwas ab, ohne den Inhalt wesentlich zu verfälschen. Überhaupt zeichnen sich die Regiearbeiten von Guillermo Amaya dadurch aus, dass er ohne unnötige Aktualisierungen oder andere sonst übliche Regie-Mätzchen auskommt, wenn man von den sinnfreien, überzeichnet wirkenden Aktionen der Choristen zur Ouvertüre und zum ersten Chor einmal absieht. Alles spielte sich in einer schwarz-weißen, sehr nüchternen, aber gut bespielbaren Szenerie ab (Bühnenbild: Hannes Neumaier). Allein die historisierenden Kostüme mit Farbtupfern (z.B. rote Socken der Damen) von Franziska Müller deuteten darauf hin, dass die Geschichte eben in früheren Zeiten spielt. Die schlüssige Inszenierung arbeitete die kontrastreichen Beziehungen der Hauptfiguren zueinander, die alle vom strengen Sittengesetz des Herzogs Carlo betroffen sind, und vor allem die spannungsgeladene Vater-Tochter-Beziehung sorgfältig heraus, wobei das Verhältnis der Liebenden zueinander etwas blass blieb, was auch daran lag, dass wie in der Premiere der Sänger des Oliviero ausgefallen war und doppelt ersetzt werden musste. 

 

 

Kim Lillian Streibel/Neele Kramer

Besonders die extremen Gefühlsänderungen der Titelfigur wurden nachdrücklich durch die junge Britin Kim-Lillian Strebel gestaltet. Dazu kam eine bereits geradezu souveräne Führung ihres farbenreichen Soprans, mit der sie die unterschiedlichen Seelenzustände ausdrucksstark zur Geltung brachte. Weiterhin begeisterten die Höhensicherheit und die in jeder Phase reine Intonation, sowohl im wunderbaren Legato-Singen als auch in den geläufigen Koloraturen. Der rumänische Bass Andrei Yvan stellte nachvollziehbar heraus, wie sehr Adelias Vater Arnoldo stur auf die Familienehre bedacht war. Die Stärken seiner Stimme liegen offenbar in guter Tiefe und weicher Mittellage, während die Höhen teilweise ein wenig forciert klangen. Garrie Davislim sang den Oliviero von der Seite, während der Bariton des Hauses Peter Kubik mehr oder weniger auf der Bühne agierte, was im Grunde nur ein Herumstehen war, letztlich eine hinzunehmende Beeinträchtigung der Gesamtdarstellung. Der australisch-irische Sänger gefiel durch angenehme Phrasierung und verbreitete den nötigen tenoralen Glanz. Als Herzog Carlo trat mit reichlich unruhiger Stimmführung Uwe Tobias Hieronimi auf; Adelias Vertraute Odetta war bei Neele Kramer und ihrem charaktervollen Mezzo gut aufgehoben; Aljoscha Lennert ergänzte als Comino, Olivieros Freund.

Chordirektor Achim Falkenhausen sorgte am Pult des aufmerksamen Orchesters für flottes Musizieren, wenn er es auch einige Male zu sehr lärmen ließ. Das gilt auch für Chor und Extrachor, die anders als sonst gewohnt reichlich undifferenziert und leider auch nicht immer ausgewogen (einzelne hervorstechende Tenöre!!) klangen.

Das Publikum zeigte sich begeistert und belohnte alle Mitwirkenden mit starkem, lang anhaltendem Applaus.

Das Theater in Niedersachsen (TfN) und seinem GMD Florian Ziemen ist es zu verdanken, dass mit „Adelia“ ein wahrer Belcanto-Schatz gehoben ist, von dem man sich dringend wünscht, dass er auch an anderen Bühnen aufgeführt wird.

Bilder: © Falk von Traubenberg (Weitere Bilder siehe unten Premieren-Besprechung)

Gerhard Eckels 11. April 2018

 

Weitere Vorstellungen: 19.,26.4.+7.,13.,25.5.+1.6.2018 u.a.

 

 

 

Erwin Kannes – Trost der Frauen oder Letterland

Premiere am 25. März 2018

Flotte Revue

Das erfolgreiche Team Peter Lund (Text) und Thomas Zaufke (Musik) brachte als dritte gemeinsame Arbeit am 21. Juni 2005 das witzige Musical in der Neuköllner Oper Berlin auf die Bühne, das auf Shakespeares „Die Lustigen Weiber aus Windsor“ basiert. In Hildesheim nahm sich Werner Bauer des den Alltag der „grünen“ Witwen ironisierenden Stoffes mit einer erfrischend munteren Neuinszenierung an. Er bewies seine Kunst der geschickten Personenführung, indem er die Protagonisten auf mehreren Spielebenen im Einheitsbühnenbild mit ausgeklügelter Lichtregie ohne Umbaupausen lebhaft agieren ließ. Dazu hatte ihm Bettina Köpp die entsprechenden Häuser der drei Freundinnen Flut, Reich und Schnell mit einfachsten Mitteln angedeutet und die Akteure mit passenden Frisuren und farbenfroher Kleidung der 60er Jahre versehen. Dazu steuerte Annika Dickel mitreißende Choreographien bei.

Alexander Prosek

Mit einem gelungenen Anfang steht und fällt der Erfolg einer Musical-Inszenierung: Hier zündete der schwungvolle Ensemble-Auftritt mit dem Lied über das Land, wo keiner weint, wo Tag und Nacht die Sonne scheintsofort und riss die Zuschauer zu spontanem Applaus hin. Mit dem eigenen Musical-Team des TfN (Theater für Niedersachsen) standen Bauer hervorragende Spezialisten zur Verfügung: Der vorgebliche Frieden der Vorstadtsiedlung wurde durch den prollig-schmierigen Erwin Kannes gestört: Als Falstaff-Figur wunderbar eingesetzt entsprach Alexander Prosek dem unappetitlichen „Frauenversteher“ Erwin Kannes ideal, der trotz allem eine gewisse Ausstrahlung hat, die ihm die Frauen in die Arme treibt: Er kann nämlich tanzen! Die von Erwin umworbenen Damen, nachdem er schon die halbe Vorortsiedlung beglückt hatte, waren Marysol Ximénez-Carrillo als Frau Flut (glückliche Mutter von Zwillingen) und Franziska Becker als Frau Reich, die jeweils einen obzönen Brief von ihm erhalten haben („Ich weiß, was Du brauchst“), während die Dritte im Bunde, Elisabeth Köstner als Kimberley Schnell, ohne Brief auch empört war, so dass sie einen Racheplan schmiedeten, den Melanie Flut ausführen sollte. Beim ersten Treffen verunsicherte Erwin sie jedoch schon bald durch seinen Auftritt mit „Tanzen Sie einen Tango mit mir“; das Unternehmen „Rache“ scheiterte aber schnell an der Rückkehr ihres Mannes, dessen Eifersucht durch das komische Gebaren der Frauen angefacht wurde; nebenbei wurde Erwin statt im Wäschekorb in die Themse in einem Wäschesack zur Reinigung geschafft. Auch Kimberley Schnell als liebeshungrige Anwältin erliegt dem tanzenden Erwin („Tanzen Sie einen Walzer mit mir“), als sie den zweiten Anlauf zur Rache der Frauen einfädelte, der ebenfalls missglückte; diesmal entkam Erwin als muslimische Putzfrau mit Kopftuch vermummt, ein Ereignis für sich, das aber in der heutigen Zeit etwas zwiespältige Gefühle aufkommen lässt. Jens Krause überzeugte als wütender Flut ebenso, wie als überforderter Familienvater, der sich schließlich noch von der angeblich „besten“ Freundin seiner Frau verführen lässt.

Franziska Becker/Marysol Ximénez-Carillo/Elisabeth Köstner

Das junge Paar, dass sich erst allmählich findet, spielten Kara Kemeny als anfangs sehr zurückhaltende Anna Reich und Tim Müller als verschlossener Karl-Heinz Bürger, der noch nicht weiß, wie er mit Mädchen umgehen soll („Und plötzlich verschwinden die Sterne“). Ein weiteres junges Paar, das auch erst auf Umwegen zusammenkommt, waren die stimmstarke Valentina Inzko Fink als blondes Dummchen Sandy Deutschmann und Jürgen Brehm als sie schon lange liebender Einfaltspinsel Oliver Konnopke („Zweite Wahl“).

Das Stück gipfelt, nachdem bei nahezu allen Akteuren einige Briefe für ein Treffen mit dem oder der jeweils Liebsten in Erwins Party-Keller eingetroffen waren, im Aufeinandertreffen aller im dezenten Halbdunkel eines Swinger-Clubs und endet mit einem gemeinsamen, in barocker Manier vorgetragenen Lob auf die körperliche Liebe.

Entscheidenden Anteil am erfolgreichen Abend hatte Andreas Unsicker,

der vom Keyboard der versierten 6-Mann-Kapelle aus die Sänger und Musiker sicher durch die schmissigen und romantischen Melodien führte.

Das Premierenpublikum sparte nicht an Applaus für das gesamte Ensemble und das Regieteam des überaus unterhaltsamen Abends und feierte alle Beteiligten lange mit standing ovations. Es lohnte sich einmal mehr, nach Hildesheim zu fahren.

Fotos: © Benjamin Westhoff

Marion Eckels 26.03.2018

 

Weitere Vorstellungen:

11.04./14.04./21.05./9.06./14.06.2018 und an anderen Orten

 

 

ADELIA

oder die Tochter des Bogenschützen

Besuchte Premiere und Deutsche Erstaufführung am 10.03.18

Unbekannte Belkanto-Perle gehoben

"Adelia oder die Tochter des Bogenschützen" von Gaetano Donizetti, na, wer kennt diesen Titel? Die meisten Leser wohl nicht, selbst bei Freunden des Belkanto-Meisters aus Bergamo findet sich oft ein "weißer Fleck". Dem kann jetzt am Stadttheater Hildesheim, oder vielmehr am Theater für Niedersachsen abgeholfen werden. Dabei ist die Oper die Nummer 64 im Schaffen des Komponisten, glaube ich jedenfalls, und immerhin nach Meisterwerken wie "La Favorite" und "La Fille de Regiment" entstanden, also auf der Höhe seines Könnens. Nach dem Erleben kann ich sagen , böse Umstände müssen den Erfolg verhindert haben. Die Oper klingt einfach prachtvoll, die Melodien sind inspiriert und mitreißend, bestes Sängerfutter. Das Libretto funktioniert besser als manch`andere Belkantohandlung und bietet spannende psychologische Situationen, unter den Librettisten findet sich immerhin Felice Romani !

Die Handlung ist relativ geradlinig: die Bürgerliche Adelia und der Adelige Oliviero haben miteinander ein Liebesverhältnis, daraufhin steht die Todesstrafe. Als Vater Arnoldo, ein kriegerischer Bogenschütze zurückkehrt, erzählt ihm der Chor davon, auch der Herzog Carlo, dessen Günstling Oliviero ist, dringt auf Einhaltung der Gesetze. Während also von den Sängern der Bassbariton immer nur auf die Ehre des Vaters erpicht ist, gilt für den Bass der unsägliche Standesdünkel des Adels. Doch der Vater läßt sich erweichen und erfordert als Gnade, die er für seine stattlichen Dienste hält, die Hochzeit des ungleichen Paares. Es könnte jetzt ein glückliches Ende geben, doch der Fürst läßt für gleich nach der Feier ein Blutgerüst aufbauen. Nachdem Adelia diese Tücke gesteckt wurde, versucht sie ihre eigene Ehe zu verhindern, in kurzer Zeit gibt es ein auf und ab der schrecklichsten psychischen Situationen für die Titelheldin, die sie schier in den Wahnsinn und Suizid treiben, letzteres verhindert allein die römische Zensur von 1841, so daß es ein kurzes etwas aufgepfropftes "lieto fine" gibt.

Guillermo Amaya inszeniert die Erstaufführung ohne große Schnörkel gerade nach dem Libretto und es gelingt ihm ein echtes Psychodrama auf die Bühne zu stellen, die Personen- und Chorführung weist eine wirklich hohe Spannungsdichte auf, das Bühnenbild von Hannes Neumaier wirkt in seiner sehr sachlichen Kühle dabei etwas unspezifisch, dafür sind die historisierenden Kostüme von Franziska Müller gut anzusehen und charakterisieren gut das etwas puritanische Milieu und die frühere Zeit der Handlung. Manchem Musiktheaterenthusiasten mag das vielleicht etwas bieder anmuten, es erfüllt jedoch gut seinen Zweck und läßt einen die unbekannte Oper bestens aufnehmen und beurteilen.

Nachdem man in Hildesheim sorgfältigerweise, bei so einer Rarität, die Hauptpartien, bis auf den Tenor, doppelt besetzten konnte, was passiert nach der Generalprobe natürlich, na, fragen sie Herrn Murphy: richtig ! Der Tenor wird krank. Innerhalb kürzester Zeit hat Garrie Davislim vom Staatstheater Darmstadt versucht vom Bühnenrand möglichst guten musikalischen Ersatz zu bieten, ganz großen Dank und Respekt für diese schwierige Leistung, die er mit seinem sehr angenehmen "tenore di grazia" durchaus schon mit mancher Feinheit des Vortrags zu würzen wußte. Der Regisseur übernahm für die Szene die nötigen Aufgaben und sorgte für einen reibungslosen Ablauf auf der Bühne.

Kim-Lillian Strebel nahm in der Titelrolle der Adelia mit sehr starker Präsenz für sich ein und wußte das Publikum ordentlich anzurühren, wenngleich ihre vokalen Vorzüge nicht in den virtuosen Koloraturen mit einer leicht verhärteten Höhe lagen, sondern in einer warmen fraulichen Tiefe und Mittellage und eben berührender Empathie des Ausdrucks, doch das macht das eigentlich Wesentliche von Belkanto-Gesang aus. Andrei Yvan beeindruckt als Vater Arnoldo, trotz leicht belegter Höhe, durch herrliche Legato-Kultur. Eine Vater-Tochter-Konstellation, wie später bei Verdi so typisch wird. Hildesheimer Bass-Urgestein Uwe Tobias Hieronimi stellt einen stattlichen Fürsten Carlo auf die Bretter. Als Comino lässt Aljoscha Lennert mit wackerem Tenor aufhorchen, Neele Kramer sekundiert die Odetta ohne aus der Nebenrolle eine Nebenrolle zu machen.

Die vierte Hauptrolle der Oper liegt bei der Chorpartie, die wahrlich keine kleine ist; die Opern- und Extrachor unter Achim Falkenhausen meistert seine reichen Aufgaben mit hervorragender vokaler wie szenischer Präsenz. Besonders die wunderbare Introduktion zum ersten Akt, auch in der experimentellen Anlage des Komponisten, hat mich nachhaltig beeindruckt. GMD Florian Ziemen weiß, wie italienische Oper geht und heizt mit Verve und ordentlich Belkanto-Feuer durch die Oper, das es einfach Freude macht. Das Orchester folgt mit einigen Feinheiten und großer Präzision. Die zweieinviertel Stunden vergehen wie im Fluge und das begeisterte Publikum feiert alle Beteiligten und auch die unbekannte Oper mit tosendem Schlussapplaus. Natürlich ist das Theater Hildesheim keine Mailänder Scala, doch so wird tolles Musiktheater gemacht: ein Triumph der "Provinz", die gar nicht provinziell ist. Allen Opern- und Belkantofreunden sein eine Fahrt nach Hildesheim ans Herz gelegt, schon mindestens allein des Werkes wegen, dem man gerne wieder auf den Spielplänen begegnen möchte: das TfN hat einen echten Coup geliefert!

Martin Freitag 15.3.2018

Fotos (c) Falk von Traubenberg

 

 

AB IN DEN WALD

Premiere am 05. Januar 2017

Märchen-Collage

Nach großem Erfolg in New York 1987 gelangte das Musical “Into the Woods” von Stephen Sondheim (Musik und Liedtexte) und James Lapine (Buch) erst 28 Jahre nach der Deutschen Erstaufführung in Heilbronn nach Hildesheim. Craig Simmons hatte es übernommen, die Inszenierung und Choreographie der Original-Broadwayproduktion von Lapine auf die Bühne zu bringen, und das mit riesigem Erfolg. Esther Bätschmann sorgte für die passende Ausstattung mit wenigen treffenden Versatzteilen, schmalen grünen und braunen Hängern als Wald und hübschen, teils schrill plakativen Kostümen. Es wurde durchgängig die deutsche Fassung von Michael Kunze geboten, wobei manche Songs durchaus im englischen Original verständlich gewesen wären.

Franziska Becker/Alexander Prosek

Die turbulente Geschichte bezieht ihren Witz aus der Verbindung verschiedener Grimmscher und anderer Märchen, die durch eine dazu erfundene Rahmenhandlung von einem kinderlosen Bäckerpaar, auf dem ein Fluch der nachbarlichen Hexe lastet, verbunden werden. Dabei sind u.a. Hans („im Glück“), Rotkäppchen und Aschenputtel. Um den Fluch zu lösen, muss der Bäcker vier Dinge für den Hexentrank herbeischaffen: Eine milchweiße Kuh, ein rotes Mäntlein, kornfarbenes Haar und einen goldenen Schuh. Ein Erzähler (Jens Krause) beginnt, mit „Es war einmal in einem fernen Königreich“ in den munteren Abend einzuführen. Alle Märchenfiguren, die nun auftreten, haben eigene sehnsüchtige Wünsche und treffen auf der Suche nach deren Erfüllung „im Wald“ zusammen; dabei entstehen witzige und brenzlige Situationen, wobei jedoch nur ein Riese im Laufe des Gefechts sein Leben lassen muss, bis sich alles positiv löst und auch die Hexe in eine schöne junge Frau verwandelt wird.

Da gibt es aber noch den 2. Teil; ein Jahr später stellt sich die Lage ganz anders dar:

Die Witwe des getöteten Riesen will sich für den Tod ihres Mannes rächen und verlangt die Herausgabe des Mörders. Nun bricht zwischen den bisher offenbar friedlich zusammen lebenden Parteien ein heftiger Streit aus, in dem sie sich gegenseitig beschuldigen (Ensemble: „Du bist schuld“). Dabei werden die unterschiedlichen Charaktere deutlich und dass längst nicht alle so glücklich sind, wie sie vorgeben. Bei der Suche nach Hans, der den Riesen aus Versehen getötet hatte, stellt sich im Wald heraus, dass Aschenputtel von ihrem Prinzen mehrmals betrogen worden ist, dass er die Bäckersfrau verführt hat und schon nach Dornröschen schmachtet. Sein Bruder hat übrigens nach Rapunzel nun Schneewittchen im Auge. Schließlich bleiben nur noch Hans, Rotkäppchen, Aschenputtel und der Bäcker mit seinem Kind übrig, um den moralisierenden Schluss zu ziehen „Niemand ist allein“.

Achim Falkenhausen leitete das Orchester des TfN mit viel Schwung, der sich auf das gesamte Ensemble übertrug, das zu Höchstform auflief. Außer der häufig wiederholten Titelmelodie „Ab in den Wald“ blieben nur wenige Songs haften. Aus dem ausgesprochen spielfreudigen Ensemble seien einige Einzelleistungen hervorgehoben: Da gab es Franziska Becker, die darstellerisch und gesanglich als furchterregende Hexe ebenso wie als erlöstes, attraktives Glamour-Girl begeisterte. Das sympathische Bäckerpaar waren Alexander Prosek und Valentina Inzko Fink, die mit „Nur zu zweit“ eine ihrer Streitigkeiten beendeten.

Ein besonderes Highlight war der Auftritt von Tim Müller als Wolf mit „Hallo, kleine Frau“, der auch als Aschenputtels Prinz gute Figur machte. Er und Peter Kubik als köstlich ironisierende Prinzenbrüder rissen das Publikum mit „Liebesqual“ zu Beifallsstürmen hin. Ein quirliges Rotkäppchen war Sandra Pangl, deren nachdenkliches „Ich weiß jetzt mehr“ anrührend gelang. Als liebenswertes Aschenputtel gefiel die schönstimmige Elisabeth Köstner.

Das Publikum dankte der nicht hoch genug einzuschätzenden Ensembleleistung aller mit stehenden Ovationen und lang anhaltendem Applaus.

Fotos: © J.Quast

Marion Eckels 21.01.2018

Weitere Vorstellungen: 23.01, 11./28.02./12.03. und an anderen Orten

 

 

ORPHEUS oder

DIE WUNDERBARE BESTÄNDIGKEIT DER LIEBE

Premiere am 2. Dezember 2017

Barocke Pracht

Siri Karoline Thornhill/Choristinnen

Lange gab es in Hildesheim keine barocke Oper mehr, was den neuen GMD Florian Ziemen veranlasst hatte, alle Akteure des Hauses dazu zu bringen, sich auf die Aufführung von Telemanns „Orpheus“ in historischer Manier auf allen Ebenen, im Orchestergraben sowie auf und hinter der Bühne, einzulassen. Der große Erfolg der umjubelten Premiere gab ihm Recht, allen war ein besonderes, hochinteressantes Projekt gelungen.

Die Geschichte um den Sänger Orpheus haben die Komponisten seit der Renaissance immer wieder fasziniert. Auch Georg Philipp Telemann hat in einer seiner rund 50 Opern diesen mythologischen Stoff aufgegriffen. Das Handlungstableau ist neben anderen um Orpheus‘ Freund Eurimedes und die Figur der thrakischen Königin Orasia erweitert, die ebenfalls in den Sänger verliebt ist und Eurydikes Tod durch einen Schlangenbiss einfädelt. In Hildesheim, wo Telemann von 1697 bis 1701 das Gymnasium Andreanum besucht hat, hatte „Orpheus“ nun passend zum 250. Todestag des früher von manchen als „Vielschreiber“ denunzierten Komponisten Premiere.

Die 1726 in Hamburg uraufgeführte Komposition überrascht zunächst durch eine für die Barockzeit ungewöhnliche Lockerheit, indem Rezitative, Arien, Tanz- und Chorstücke nahtlos ineinander übergehen. Außerdem führt Telemann verschiedene nationale Musikstile zusammen, wenn er bei innerer Verzweiflung eine französische Air, bei Rache-Gedanken eine italienische Aria oder, wenn es um die Liebe geht, eine deutsche Arie singen lässt. In der Person der hinzugefügten Orasia kulminiert dies auf besondere Weise: Voller Emphase singt sie von ihrer Liebe zu Orpheus („Lieben und nicht geliebet seyn“) und beschließt in einer rasanten Rache-Arie Eurydikes Tod („Sù, mio core, à la vendetta“). Zu den fremdsprachlichen Arien gab es augenunfreundliche Obertitel, die jedenfalls bei den Sängerinnen durchgängig nötig gewesen wären.

Mit der belgischen Regisseurin und Choreografin Sigrid T’Hooft hatte das Theater für Niedersachsen (TfN) eine Barock-Spezialistin engagiert, die für historische Aufführungspraxis bekannt ist, die in Hildesheim überaus deutlich wurde. Ausstatter Stephan Dietrich hatte einen typisch barocken Bühnenraum geschaffen, in dem die prächtig kostümierten Sägerinnen und Sänger mit heute nicht mehr gebräuchlichem Gestus agierten, wobei der Text detailliert auf dazu gehörende Gesten umgelegt wurde. Das geschah so konsequent, dass jeder Realismus entsprechend der barocken Aufführungspraxis vermieden wurde, um alles sehr künstlich und „schön“ wirken zu lassen. Die Kostüm- und Maskenabteilung des TfN hatte ganze Arbeit geleistet: So waren die Kleidung sowie die Hochfrisuren und Kopfaufbauten der Königin Orasia und des Pluto schöne Beispiele ausladender Üppigkeit und barocker Prachtentfaltung. Vor allem in der Unterwelt schlug die Fantasie des Kostümbildners Purzelbäume, indem die Furien als Traumfiguren und abenteuerlich maskierte Fabeltiere auftraten.

 

Auch aus dem hochgefahrenen Orchestergraben hörte man Historisches: Für die Streicher waren extra Barockbögen angeschafft worden, und mit Hilfe von spezialisierten Gästen (Flöten, Laute und Cembalo) gelang unter der inspirierenden Leitung von Florian Ziemen ein jederzeit gut durchhörbarer Klang. Dabei wurden mit nie nachlassendem Vorwärtsdrängen die dramatischen Effekte ebenso wirksam herausgearbeitet wie schönes Innehalten bei den nicht wenigen lyrischen Passagen. Mit der barocken Singweise kam das Opernensemble weitgehend gut zurecht. Die Titelfigur war Peter Kubik anvertraut, der mit seinem in allen Lagen durchgebildeten lyrischen Bariton besonders in den vielen genüsslich ausgesungenen Kantilenen positiven Eindruck hinterließ. Für die virtuose Partie der Orasia war die englisch-norwegische Sopranistin

Siri Karoline Thornhill engagiert, die ihre Bravour-Arien mit gestochen klaren Koloraturen und genau getroffenen schwierigen Intervallen gut bewältigte.

 

Levente György gefiel mit den Herrscher der Unterwelt Pluto ironisierender Bühnenpräsenz, wenn auch der barocke Ziergesang mit seinem voluminösen Bass nicht seine Sache war. Als Eurydike fiel Meike Hartmann durch schlanken, blitzsauberen Sopran auf. Den Freund des Orpheus Eurimedes gab Konstantinos Klironomos mit frischem, charaktervollem Tenor. Witzig war das Outfit von Neele Kramer als schuppiger Höllenhund Ascalax, eigentlich Diener des Pluto, die erneut mit ihrem farbenreichen Mezzo gefiel, während der kultivierte Sopran von Antonia Radneva gut zur Hofdame Ismene passte.

Peter Kubik/Steffi Fischer/Konstantinos Klimonoros/Choristinnen

Neben den eleganten Tänzerinnen Annika Dickel und Sabrina Hauser erwiesen sich Steffi Fischer (Cephise), Karin Schibli (Priesterin), Daniel Käsmann (Ein Geist) und Stephan Freiberger (Echo) als tüchtige Chorsolisten. Die sechs Choristinnen nahmen durch ausgewogenen Klang für sich ein, während der Gesamtchor (Achim Falkenhausen) diesmal allzu männerstimmenlastig war.

Lang anhaltender, jubelnder Applaus und „standing ovations“ des begeisterten Premierenpublikums belohnte das mutige Projekt.

 

Bilder: © Falk von Traubenberg

Gerhard Eckels 3.Dezember 2017

 

Weitere Vorstellungen: 5.,9.,25.12.2017 + 16.,25.1.2018 u.a.

 

 

AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY

Besuchte Vorstellung am 28. Oktober 2017

Premiere am 23. September 2017

Geglückter Einstand

Nicht mit einer populären Oper hat der neue GMD des Theaters für Niedersachsen Florian Ziemen seine erste Spielzeit eröffnet, sondern mit der immer noch hochaktuellen Geschichte von Bertolt Brecht und Kurt Weill mit seiner eigenwilligen, teilweise jazzigen Musik und den bekannten Songs „Oh Moon of Alabama“ oder „Denn wie man sich bettet, so liegt man“ – ein mutiger, aber geglückter Einstand. 

Das flüchtige Ganoventrio Leokadja Begbick, der Prokurist Fatty und Dreieinigkeitsmoses gründen in einsamer Gegend eine Stadt, die sie Mahagonny („Netzestadt“) nennen; in diesem Netz wollen sie Goldgräber und Glückssucher fangen, die ihr Geld ausgeben sollen. Die Stadt blüht auf und zieht neben Jenny und sechs weiteren leichten Mädchen auch vier Holzfäller an: Jim Mahoney, Jakob Schmidt, Alaskawolfjoe und Sparbüchsenbill sind nach sieben Jahren Alaska auf der Suche nach Vergnügen. Es hat sich herumgesprochen, dass hier in Mahagonny aber auch alles für Geld zu haben ist. Eine Zeit lang geht das gut, doch dann bleiben die Gäste weg. Als die Vernichtung durch einen Taifun droht, richten sich alle nach Jims neuer Losung „Du darfst! - alles ist erlaubt“. Doch der Sturm verschont die Stadt, die nun erst so richtig aufblüht: Fressen, Lieben, Saufen und Prügeln. Jim setzt sein letztes Geld auf den Sieg von Joe im Boxkampf gegen Dreieinigkeitsmoses, der jedoch für Joe tödlich endet; außerdem lädt Jim alle Männer zu einem Saufgelage ein, das er letztlich nicht bezahlen kann – das schwerste Verbrechen in Mahagonny. Vor Gericht, dem die Begbick vorsitzt, kann sich der Mörder Tobby Higgins durch Bestechung freikaufen, Jim dagegen wird wegen Zechprellerei zum Tode verurteilt und gehängt. Das zügellose Leben in der Stadt steigert sich immer mehr, bis es selbst Gottvater, gespielt von Dreieinigkeitsmoses, zu bunt wird. Er will die Bewohner in die Hölle schicken, doch sie weigern sich ganz einfach. Brennend versinkt Mahagonny in Schutt und Asche.

Uwe Tobias Hieronimi/Neele Kramer/Christoph Waltle

Diese „bitterböse Analyse der Wirklichkeit des Kapitalismus“ (Ulrich Schreiber) von so bedrückender Aktualität hat in Hildesheim der 84-jährige Hans Hollmann neu inszeniert. Dazu hatte die Ausstatterin Romina Kaap eine überdimensionale Kommode erstellt, vor und neben der sich das Geschehen meist abspielte. Darüber schwebte ein Bilderrahmen mit einer weißen Totenmaske. Hier oben gab es dann zum Finale ein paar kleine Flammen – ein bisschen dürftig für den Untergang einer ganzen Stadt. Ihre ganze überbordende Fantasie hatte die Ausstatterin allerdings in grelle, knallbunte Kostüme gesteckt, in denen sich das überaus spielfreudige Ensemble und die Choristen auf der sonst eher leeren Bühne tummelte. Das war überhaupt das Auffälligste dieser Inszenierung, wie lebendig alle agierten. Der österreichische Altmeister der Regie hat hier erneut bewiesen, wie ausgezeichnet er Darsteller zu bewegen weiß.

Dabei gelang es allen, bei der lebendigen Spielweise auch noch prächtig zu singen und die hohen Anforderungen, die der Komponist an sie stellt, mit Sprechgesang, aber auch mit ausladenden Kantilenen gut zu erfüllen. Einziger Wermutstropfen in diesem Zusammenhang war die schlechte Textverständlichkeit, was wohl auch der dicken, bläserlastigen Instrumentierung geschuldet war.

Da war zunächst das Gaunertrio, angeführt von Leokadja Begbick, die mit

Neele Kramer erstklassig besetzt war; die junge Sängerin versah die „Chefin“ der Truppe mit einem gehörigen Schuss Sex-Appeal und ihrem in allen Lagen gut ansprechenden Mezzosopran. Ihr zur Seite profilierten sich tenoral sicher Christoph Waltle als Fatty, der Prokurist, und der stimmkräftige Uwe Tobias Hieronimi als skurriler Dreieinigkeitsmoses. Meike Hartmann punktete als Jenny Hill mit dem bekanntesten Song des Werkes, dem sehnsuchtsvollen „Oh Moon of Alabama“, den sechs Chordamen ebenso innig begleiteten. Das sentimentale Liebesduett präsentierte sie ausgesprochen schönstimmig gemeinsam mit Hans-Jürgen Schöpflin (Jim Mahoney), der im Übrigen mit kraftvollem Tenor beeindruckte.

 

Neele Kramer/Aljoscha Lennert/Meike Hartmann/Hans-Jürgen Schöpflin/Levente György/Peter Kubik

Seine Holzfäller-Kumpel waren mit polterndem Bass Levente György (Sparbüchsenbill), mit gepflegtem Bariton Peter Kubik (Alaskawolfjoe) und mit vielseitigem Tenor Aljoscha Lennert (Jakob Schmidt), der auch den Mörder Tobby Higgins gab.

Schließlich waren ebenfalls mit auffallender Spielfreude die Mitglieder des Opernchors, des Extra- und Jugendchors bei der Sache, ohne dass die Klangausgewogenheit der unterschiedlichen Chöre darunter litt (Einstudierung: Achim Falkenhausen). Den Ausdrucksreichtum dieser doch sehr speziellen Oper brachte der neue musikalische Leiter des TfN Florian Ziemen mit sicherer Hand zur Geltung. Ob es die technisch nicht einfache Fuge beim Nahen des Taifuns, die sechs konzertierenden Blasinstrumente beim Liebesduett oder die ausladenden Chorszenen waren, er sorgte am Pult des an diesem Abend sehr gut disponierten Orchesters mit präziser Zeichengebung und nie nachlassender Energie dafür, dass sich der typische Weill’sche Sound in ansprechender Weise entfalten konnte.

Starker, begeisterter Beifall des Publikums belohnte alle Mitwirkenden. 

Bilder: © Isabel Winarsch

Gerhard Eckels 29.10.2017

 

Weitere Vorstellungen: 3.,10.11.+11.12.2017 + 19.11.2017 (in Wolfenbüttel)

 

 

 

 

SAISONVORSCHAU 2017 / 18

OPER/OPERETTE:

Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny – Premiere 23.9.2017

(Dirigent: Florian Ziemen, Inszenierung: Hans Hollmann)

Orpheus oder die wunderbare Beständigkeit der Liebe (Telemann)

– Premiere 2.12.17

(Dirigent: Florian Ziemen, Inszenierung: Sigrid T’Hooft)

Adelia (Donizetti) Deutsche Erstaufführung am 10.3.2018)

(Dirigent: Florian Ziemen, Inszenierung: Guillermo Amaya)

Das Tagebuch der Anne Frank (Gregori Frid) – Premiere am 28.3.2018

(Dirigent: Sergei Kiselev, Inszenierung: Thomas Barthol)

Die Blume von Hawaii (Paul Abraham) – Premiere 5.5.2018

(Dirigent: Florian Ziemen/Gabriel Venzago, Inszenierung: Hans Walter Richter)

 

WIEDERAUFNAHMEN:

Der Freischütz – Wiederaufnahme am 3.10.2017                       

Der Zigeunerbaron – Wiederaufnahme am 8.10.2017

Die verkaufte Braut – Wiederaufnahme am 22.10.2017

 

MUSICAL:

Love Story (Musical von Howard Goodall und Stephen Clark)

 – Premiere 20.8.2017

(Inszenierung: Jörg Gade, Dirigent: Andreas Unsicker)

Frühlings Erwachen (Musical von Duncan Sheik und Stephen Sater)

– Premiere 7.10.2017

(Inszenierung: Craig Simmons, Dirigent: Andreas Unsicker)

Ab in den Wald (Musical von Stephen Sondheim und James Lapine)

– Premiere 20.1.2018

(Dirigent: Achim Falkenhausen, Inszenierung: Craig Simmons,)

Erwin Kannes – Trost der Frauen (Letterland) (Musical von Peter Lund und Thomas Zaufke) – Premiere 5.1.2017

(Dirigent: Andreas Unsicker)

 

DOKTOR FAUST

Besuchte Vorstellung am 26. April 2017

Premiere am 15. April 2017

Atmosphärisch dicht

Albrecht Pöhl

Mit der selten gespielten Busoni-Oper verabschiedet sich GMD Werner Seitzer, der jahrzehntelang Garant war für hohes musikalisches Niveau am kleinen Stadttheater Hildesheim, seit geraumer Zeit „Theater für Niedersachsen“ (TfN). Zugleich ist die Produktion wegen des vertonten Streits der Theologie-Studenten über Luthers Lehre in Wittenberg ein Beitrag des Theaters zum 500-jährigen Reformationsjubiläum. Der 1866 geborene Deutsch-Italiener Ferruccio Busoni hatte sich bei seinem unvollendet gebliebenen musikdramatischen Hauptwerk für den Faust des mittelalterlichen Puppenspiels entschieden; jede Nähe zu Goethe vermied er aus großem Respekt gegenüber dem Dichterfürsten. Philipp Jarnach vollendete die nach Busonis Vorwort zur Partitur „an das alte Mysterium anknüpfendende“ Oper, die am 21. Mai 1925 in Dresden uraufgeführt wurde. Anders als derzeit in Dresden wählte man in Hildesheim diese von Jarnach ergänzte und vollendete Fassung.

Die Verwirklichung der „Faust“-Oper von Busoni ist wegen des schnellen Wechsels ihrer sehr unterschiedlichen, fast ohne Bezug zueinander stehenden Szenen und der hohen musikalischen Anforderungen für jedes Haus eine ungemein anspruchsvolle Aufgabe. Auch für die Zuschauer ist sie aus diesen Gründen ziemlich schwere Kost, so dass in der besuchten Vorstellung nicht alle bis zum Schluss durchgehalten haben.

In Hildesheim ist Uwe Schwarz eine atmosphärisch dichte Inszenierung gelungen, wohl auch deshalb, weil sich der Ausstatter Philippe Miesch auf wenige, den jeweiligen Spielort kennzeichnende Elemente im grauen Einheitsbühnenbild beschränkt hat, das allerdings mit raffinierter Beleuchtung und Projektionen gefüllt wird.

 


Zu Beginn beschwört der Gelehrte und Alchimist Doktor Faust mit Hilfe eines magischen Buches, das ihm drei geheimnisvolle Studenten aus Krakau übergeben haben, sechs Geister; der sechste ist niemand anderes als Mephisto, der für seine Dienste zur Bedingung macht, dass Faust ihm nach seinem Tod dient, was dieser ablehnt. Da ihn aber Gläubiger und andere von ihm betrogene Menschen bedrohen, beauftragt Faust Mephisto, diese zu töten, was weitreichende Folgen hat, denn damit ist der Pakt geschlossen; das mit Blut unterzeichnete Schriftstück dient Mephisto nur als Sicherheit. Ironischerweise erklingen zum Teufelspakt von draußen ein „Gloria“ und ein österliches „Alleluja“. In einer Kapelle bittet ein Soldat in mittelalterlicher Ritterrüstung Gott um Hilfe zur Rache für den Tod seiner Schwester, die Faust verlassen hat. Mephisto schafft ihn aus dem Weg, indem er arrangiert, dass dieser von einem Soldatentrupp erschlagen wird. Erneuter Szenenwechsel: Am Hof von Parma hilft Mephisto Faust, die junge Herzogin zu verzaubern und sie ihrem Gatten vor der Hochzeitsnacht zu entführen. Zurück in Wittenberg erlebt der in einer Kneipe (hier eher ein Hörsaal) mit katholischen und lutherischen Studenten diskutierende Faust, wie Mephisto, als Kurier auftretend, sein Parma-Abenteuer in Bänkelmanier vorträgt und ihm ein totes Kind, eine Strohpuppe, als letzten Gruß der Herzogin vor die Füße wirft. Aus der Asche der verbrennenden Puppe beschwört Mephisto die schöne Helena herauf. Faust gerät fasziniert in Ekstase, erkennt sich aber als „weiser Narr“, als sich die Frauenfigur als Trugbild entpuppt. Die drei Krakauer Studenten fordern ihr Buch zurück; doch Faust hat es inzwischen vernichtet, worauf ihm die drei den nahen Tod verkünden. Die Schlussszene spielt nachts auf einer verschneiten Straße: Eine Bettlerin, in der Faust die Herzogin zu erkennen glaubt, gibt ihm ihr neugeborenes Kind. Er sucht in der Kirche Zuflucht und sinkt vor einem Kruzifix nieder, doch Mephisto verwandelt den Gekreuzigten in Helena. Mit letzter Kraft führt Faust eine fantastische Beschwörungszeremonie durch, mit der er erreichen will, dass seinem sterbenden Kind das gelingen möge, was ihm nicht vergönnt war. Zum zweiten Ruf des als Nachtwächter verkleideten Mephisto stirbt Faust, und aus dem Kind entsteigt ein Jüngling mit grünendem Zweig, Fausts „ewiger“ Wille, der zu neuem Leben erstanden ist. Der Schluss in Hildesheim ist überraschend; denn als Mephisto den Leichnam mit der lapidaren Frage „Sollte dieser Mann verunglückt sein?“ wegschaffen will, bäumt sich Faust auf und zieht Mephisto zu sich herab.

 

 Antonia Radneva/Albrecht Pöhl/Konstantinos Klironomos/Statistin

Die verschiedenen Szenen in „Doktor Faust“ werden auch musikalisch jeweils sehr unterschiedlich gestaltet: So gibt es beim Teufelspakt kunstvoll polyphone Osterklänge mit Orgel und Glockengeläut, während sich am Hof zu Parma eine geradezu barocke Tanz-Suite entwickelt. In Wittenberg fließen das katholische Te Deum und der protestantische Luther-Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ in einer Fuge zusammen. All dies passt zu Busonis im Vorwort zu „Doktor Faust“ erläuterter Auffassung, dass „die Oper alle Mittel und Formen … vereint in sich birgt, sie gestattet und sie fordert.“

Dass das Geschehen um Faust und Mephistopheles insgesamt so intensiv und packend war, lag ganz wesentlich an der ausgezeichneten Gestaltung durch die mit kluger Personenregie geführten Protagonisten. Wie Albrecht Pöhl den Faust als zunächst überheblichen „Alleskönner“ darstellte, der am Schluss daran verzweifelt, dass er wie alle Menschen vergänglich ist, das hatte in starker Eindringlichkeit darstellerisch hohes Niveau. Dazu kam die glänzende stimmliche Bewältigung des alles andere als einfachen Parts. Gerade Faust hat häufig gegen den dicht instrumentierten Orchesterklang anzusingen, was dem Bariton mit abgerundeter, volltimbrierter Stimme durchgehend gut gelang. Sein Gegenspieler Mephistopheles war Hans-Jürgen Schöpflin anvertraut, der den Teufel mit der nötigen Dämonie versah und der seinen teilweise passend schneidend scharfen Tenor differenziert einzusetzen wusste. In bewährter Manier war Uwe Tobias Hieronimi Fausts Famulus Wagner, später Universitätsrektor, und der komische Zeremonienmeister am Hof zu Parma. Hier war man dankbar über den Auftritt von Antonia Radneva als Herzogin, ein Lichtblick in der männerlastigen Oper, die endlich etwas lyrischere Passagen hören ließ. Dabei imponierte sie durch Höhen- und Intonationssicherheit ihres klaren Soprans. In weiteren kleineren Partien waren jeweils in verschiedenen Rollen Konstantinos Klironomos mit feiner Tenor-Lyrik zu erleben, Peter Kubik mit charaktervollem Bariton u.a. als des Mädchens Bruder, Aljoscha Lennert und Levente György u.a. als stimmkräftige Studenten aus Krakau und in Wittenberg, sowie Piet Bruninx (u.a. Theologe) und Jan Kristof Schliep (u.a. ein Leutnant).

Hans-Jürgen Schöpflin/Choristen

Am Pult des gut disponierten Orchesters sorgte Werner Seitzer dafür, dass die verschiedenen Facetten der variantenreichen Partitur sinnfällig ausgedeutet wurden. Wie so oft in Hildesheim entwickelten Opernchor, Extrachor und Studierende der Musikhochschule Hannover in der Einstudierung von Achim Falkenhausen prächtigen, ausgewogenen Chorklang.
Das Publikum war zu Recht sehr angetan und spendete lang anhaltenden Beifall für alle Beteiligten.

Gerhard Eckels 27.4.2017

Bilder: Jochen Quast

Weitere Vorstellungen: 14.,25.,30.5.+5.,9.6.2017

 

 

 

DER FREISCHÜTZ

Premiere am 18. Februar 2017

Buntes Märchen

Daniel Käsmann/Konstantinos Klironomos/Gotthard Hauschild

Der französische Regisseur Dominik Wilgenbus hält den „Freischütz“ für eine Sage mit märchenhaften Elementen; er meint, dass man die Personen der Oper, für die Glaube und Aberglaube ganz real seien, durchaus ernst nehmen sollte. Und das tut er dann auch in der Hildesheimer Neuinszenierung, wenn er die Geschichte des Kampfes von Gut und Böse um die Liebenden Agathe und Max einfach nacherzählt. Dabei versieht er sie mit deutlich märchenhaften Zügen durch übertrieben bunte, klischeehafte Kostüme mit phantasievollen Kopfbedeckungen (Hannes Neumaier), die Aufwertung des teuflischen Samiel (darstellerisch agil und prägnant deklamierend Gotthard Hauschild) und sparsame Verwendung von Handpuppen. Die Beziehungen der handelnden Personen sind sorgfältig herausgearbeitet worden, sodass sie alle auf der schlichten Holzbühne, auf die nur wenige Versatzstücke zur Kennzeichnung des jeweiligen Spielortes angebracht sind, durchweg glaubhaft agieren können (Bühne: Jörg Zysik). So gelingt auch die „Wolfsschlucht“ mit viel Zauber, geisterhaften Erscheinungen und trefflichen Klangeffekten überzeugend.

Gotthard Hauschild/Konstantinos Klironomos/Uwe Tobias Hieronimi

Die musikalische Leitung lag in den bewährten Händen von Werner Seitzer, der zum Ende der Spielzeit seine jahrzehntelange Tätigkeit am Theater für Niedersachsen (TfN) beendet. Er hielt den ganzen Apparat souverän zusammen und trieb die tüchtigen Instrumentalisten im Graben erfolgreich an, schwungvoll und weitgehend präzise zu musizieren. Die Intonationssicherheit der Hörner, die in der berühmten Ouvertüre beeindruckte, ließ im Laufe des Abends leider nach. Sängerisch gab es am Premierenabend Solides: Der Tenor des Hauses Konstantinos Klironomos ließ sich als indisponiert ansagen und beschränkte sich als Max auf das Spiel und die gesprochenen Dialoge. Von der Seite sang Chris Lysack die lyrischen Teile der anspruchsvollen Zwischenpartie wie im Oratorium, die dramatische Attacke blieb unterbelichtet. Schon durch das dämonische Äußere wurde deutlich, dass Kaspar der Gegenspieler von Max ist. Die Rolle des Bösewichts war Uwe Tobias Hieronimi anvertraut, der mit kräftiger, wenn auch eindimensionaler Stimme aufwartete, mit der er die Koloraturen im Trinklied verwischte und sich in den Höhen ins Rufen rettete.

Uwe Tobias Hieronimi/Konstantinos Klironomos

Aus dem Ensemble ragten die Sängerinnen von Agathe und Ännchen deutlich heraus: Mit lebhafter Darstellung des Ännchen, einer Art Schutzengel für die leidende Agathe, gefiel Dominika Kocis, die ihren schönstimmigen, niemals soubrettigen Sopran blitzsauber durch ihre Arien führte (ein Sonderlob für die ausgezeichnete Solo-Bratsche in der Ballade vom Kettenhund!). Johanna Winkel als Agathe (im reichlich unvorteilhaften Kleid) imponierte mit fein ausgesungenen Melodiebögen und sicheren Höhen; im anrührend dargebotenen „Gebet“ ließ sie sich auch durch zahlreiche Publikums-Huster nicht irritieren.

Johanna Winkel/Dominika Kocis/Konstantinos Klironomos

Peter Kubiks prägnanter, sicher geführter Bariton passte gut zum Fürsten Ottokar; mit dröhnendem Bass überzeugte Levente György als Eremit. Jeweils klarstimmig ergänzten Peter Frank als Kuno und Daniel Käsmann als Kilian. Auffallend sauber gesungen wurde der „Jungfernkranz“ von sechs jungen Damen des Jugendchors des TfN, die Achim Falkenhausen ebenso wie den klangvollen Opern- und Extrachor gut vorbereitet hatte.

Das Premierenpublikum war zu Recht hellauf begeistert und spendete lang anhaltenden Beifall für alle Beteiligten.

Gerhard Eckels 19.2.2017

Bilder (c) Benjamin Westhoff

Weitere Vorstellungen: 25.2.+2.,12.3.+17.4.+5.,12.5.+2.6.2017

 

 

 

CLOSER THAN EVER

Unfassbar nah

Premiere am 05. Januar 2017

Song-Collage

Das „Musical“ „Unfassbar nah“ (im Original „Closer Than Ever“) wurde 1989 am Off-Broadway-Theater Cherry Lane erfolgreich uraufgeführt. Das eher als Revue oder Song-Collage zu bezeichnende Stück erhielt nach einem Jahr den Outer Critics Circle Award und ging auf Erfolgstour in Amerika, u.a. in New York, Washington D.C. und Chicago. 2006 gelangte es nach London und hatte 2010 in Hamburg Deutschland-Premiere in der deutschen Übersetzung von Nina Schneider. Der Textdichter Richard Maltby Jr. und der Komponist David Shire kannten sich schon zu Studienzeiten und hatten schon in den 70er Jahren gemeinsam einige Musicals und Revuen geschrieben, aus denen der eine oder andere Song hier mit eingebaut werden konnte. „Unfassbar nah“ unterscheidet sich jedoch von einem „normalen“ Musical dadurch, dass es eine lose Zusammenstellung von kurzen Szenen aus dem menschlichen Alltag ist. So hörte man in der Pause von einer enttäuschten Dame: „Das ist ja gar keine richtige Geschichte!“

Jürgen Brehm/Jens Krause/Teresa Scherhag/Sandra Pangl

Das Autorenteam griff auf die teils amüsanten, teils traurigen Lebenserfahrungen von Freunden und Bekannten sowie ihre eigenen zurück. Sie wagten den Schritt durch Türen, hinter denen sich meist im Verborgenen die ganz trivialen Freuden oder Probleme des Alltags abspielen, und präsentierten einen bunten Bogen von Liebe, Leid, Wut und Eifersucht, wobei sich bei den Protagonisten Fragen ergeben wie: Wer bleibt heute bei dem Baby? Wie gehe ich mit Liebeskummer um? Wie erreiche ich meine Idealfigur? Quintessenz des Ganzen ist, dass das Leben mit dem Alter besser wird, man näher zusammenrückt. David Shire unterstützte die unterschiedlichen Themen durch passende musikalische Stile von Disco-Sound über Fandango und Jazz bis zur Musical-Ballade.

Andreas Unsicker/Jens Krause/Teresa Scherhag/Jürgen Brehm

Lars Linnhoff war die Inszenierung dieser abwechslungsreichen Song-Collage anvertraut, der die vier Protagonisten lebendig auf der Vorbühne bzw. dem verdeckten Orchestergraben agieren ließ. Dort hatte Hannes Neumaier mit verschiedenen Höhenstufen eine leicht bespielbare Fläche geschaffen, die auch den direkten Kontakt zum Publikum ermöglichte. An Klavier und Elektronik leitete Andreas Unsicker umsichtig den Abend, teilweise unterstützt von E-Bass, Gitarre, Klarinette und Saxophon, Instrumente, die die Darsteller der Musical-Truppe gut beherrschten. Jürgen Brehm, Jens Krause, Sandra Pangl und Teresa Scherhag schlüpften in die unterschiedlichen Figuren und Charaktere der kleinen Szenen. Nach dem Eröffnungslied „Türen“, das die vielen Varianten einmal vorweg zusammenfasste, waren weitere Bonbons des 1.Teils „Sie liebt mich nicht“ (Brehm/Scherhag), „Ein Rendezvous“ nach Speed-Dating-Art, die erotische „Frau Spatz“ (S.Pangl), „Drei Freunde“ und „Einer der Guten“ (J.Krause).

Sandra Pangl/Jürgen Brehm/Teresa Scherhag

Die herrlichen Turnübungen der vier zur Eröffnung des 2.Teiles machten dem Titel „Es ist das Beste“ alle Ehre. Das ebenfalls erfolgreiche „Ein etwas anderes Hochzeitslied“ (Pangl/Krause) nach dem Motto ‚Du bist meine erste zweite Frau‘ basiert auf der zweiten Ehe des Textdichters. Besonders eindringlich gelangen „Der Marsch der Zeit“, aus dem man nie ausbricht, und schließlich „Immer noch näher“ mit der Aussage, dass gemeinsames Überwinden von Schwierigkeiten mehr Nähe schafft. 

Die Hildesheimer Musical-Compagnie zeigte einen ausgezeichneten Bilderbogen menschlicher Schwächen und Stärken, der vom Publikum zu Recht mit lang anhaltendem Beifall bedacht wurde.

Marion Eckels 06.01.2017

Bilder (c) TfN /  Clemens Heidrich

Weitere Vorstellungen: 7./12./20./28.1. und 1./7.4.2017 und an anderen Orten

 

OPERNFREUND-CD-TIPP

 

 

 

 

DER ZIGEUNERBARON

Premiere am 3. Dezember 2016

Unterhaltung pur

Die nach der „Fledermaus“ am häufigsten aufgeführte Operette von Johann Strauß ist „Der Zigeunerbaron“, die 1885 wenige Tage vor dessen 60.Geburtstag in Wien ihre Uraufführung erlebte. Das Theater für Niedersachsen Hildesheim hatte nun den Mut, die märchenhafte Story um den aus dem Exil heimgekehrten Sándor Barinkay, das bei der Zigeunerin Cipra als Tochter aufgewachsene Fürstenkind und den stets auf seinen Vorteil bedachten Schweinezüchter Zsupán mit allen daraus resultierenden Verwicklungen und Klischees gegenüber den Zigeunern einfach so zu erzählen, wie sie von Komponist und Librettist gedacht war, ohne der Versuchung einer modernen Anpassung nachzugeben.

Der Regisseur Frank-Bernd Gottschalk hatte die Einrichtung des Textes von Ignaz Schnitzer selbst neu gefasst. Seine Personenführung zeichnete sich durch feine Zeichnung einzelner Charaktere und gelungener Massenszenen aus; lediglich zu der Erwartung der Kriegsheimkehrer zu Beginn des Schlussaktes wirkte das Herumtanzen einzelner Chordamen einfallslos. Die Ausstattung lag in Händen von Michael Goden, der die einzelnen Spielorte mit einfachen Kulissen treffend zeichnete und insgesamt hübsche Kostüme entwarf; die Überzeichnung des Zsupán mit den orangen Haaren fiel dabei nicht weiter ins Gewicht. Eine witzige Idee war es, Graf Homonay in Johann-Strauß-Maske auftreten zu lassen.

Als der von Homonay nach 20 Jahren aus dem Exil zurückgeholte Sándor Barinkay kam Konstantinos Klironomos passend draufgängerisch daher; sein zunächst frivoles Werben sowohl um Zsupáns Tochter Arsena als auch um Czipras Ziehtochter Saffi hätte in der Entwicklung zur wahren Liebe noch intensiver gestaltet werden können. Stimmlich setzte er sich mit leichtem Tenor vor allem in den Höhen sicher durch, während seine Mittellage im 1.Akt blass blieb. Uwe Tobias Hieronimi als Conte Carnero lieferte mit rundem Bass eine köstliche Studie des blasierten königlichen Kommissärs, der fast in Ohnmacht fällt, als er in Mirabella, der Erzieherin Arsenas, seine Frau erkennt und von seinem Sohn Ottokar erfährt. Als schlitzohriger Kálmán Zsupán hatte Levente György die Lacher stets auf seiner Seite und überzeugte auch gesanglich. Mit munterem Spiel und feinem, lockerem Koloratursopran erfreute Martina Nawrath als Arsena, die heimlich Mirabellas Sohn Ottokar liebt. Neele Kramer als Mirabella, die ihrerseits dem Zsupán sehr zugetan ist, wusste ihren weichen Mezzosopran bestens in Szene zu setzen. Auch Aljoscha Lennert als verliebter Ottokar passte gut in das solide Ensemble.

Die (eigentlich!) alte Zigeunerin Czipra, eine schillernde Figur, wurde gelungen von Sandra Fechner verkörpert, die einen gleichmäßig durch alle Lagen geführten, satten Mezzo mit guter Höhe ihr Eigen nennt. Sie sorgte stets durch rechtzeitiges Eingreifen dafür, dass alles wie nach Vorsehung läuft, oder nach eigener Beobachtung und Erfahrung? Ihre Ziehtochter Saffi, wie sich letztendlich rausstellt ein Fürstenkind, wurde von Arantza Ezenarro lebendig dargestellt, die mit rundem ausdrucksvollen Sopran und sauberen Spitzentönen begeisterte. Last not least sei Peter Kubik als eleganter Graf Peter Homonay erwähnt, dessen warmen, auch in der Höhe freien Bariton man gern länger gehört hätte.

Michael Farbacher, Stephan Freiberger und Harald Strawe ergänzten.

Die musikalische Leitung, zu der diesmal auch die Einstudierung des sicher und ausgewogen klangvollen Chores mit Extrachor gehörte, lag bei  Achim Falkenhausen in kompetenten Händen, der durch straffe Zeichengebung Bühne und Graben erfolgreich durch alle szenischen Turbulenzen führte. Dabei kamen auch die besinnlicheren Teile nicht zu kurz; er ließ mit dem frisch musizierenden Orchester den Sängern immer genug Raum zu eigener Gestaltung. Die vielen bekannten Melodien wie die flotten Walzer „Ja, das alles auf Ehr“ oder „So voll Fröhlichkeit“, das sentimentale „Wer uns getraut“ oder das humorvolle „Ja, das Schreiben und das Lesen…“ wurden vom Publikum dankbar aufgenommen.

Frenetischer Beifall und standing ovations waren der Lohn für alle Aktiven dieser gelungenen Premiere.

Marion Eckels 1.5.2016

Bilder: Falk von Traubenberg

Weitere Vorstellungen: 6.,10.,28.,31.12.2016 + 13.,25.1.2017 …

 

 

 

 

CABARET

Premiere am 15. Oktober 2016

Solide

Alexander Prosek/Ensemble 

Nach zwei Voraufführungen in Nienburg erlebte man gestern in Hildesheim die erfolgreiche Premiere eines der bekanntesten Musicals, die zeitgeschichtlich ernsthafte Themen mit tragischem Einschlag behandeln. Die zum Jahreswechsel 1930 vor dem Hintergrund der Wende von der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus spielende Story geht zurück auf tatsächliche Ereignisse, die der englische Schriftsteller Christopher Isherwood damals in Berlin erlebte. Wolfgang Hofmann hatte die solide Inszenierung übernommen, ohne sich zu dazu hinreißen zu lassen, durchaus mögliche Aktualisierungen auf die heutige Zeit einzubauen. Mit der zu langen Vorstellung der fünf Kit-Kat-Girls and Boys lief es zunächst etwas zäh an, nahm dann aber wegen der guten Schauspielkunst der Musicaltruppe Hildesheims an Dichte zu und fesselte am Ende. Dazu hatte Esther Bätschmann verschiedene Spielorte auf einer doppelten Drehbühne aufgebaut, die Hofmanns Vorstellung von enger Verzahnung der gesprochenen Texte (Handlung) und Songs (Kommentar) durch nahtlose Szenenwechsel unterstrich. Leider blieben einige Szenen im Kit-Kat-Club blass, bzw. wurden verschenkt, da es z.B. kein Publikum gab, das etwas Club-Atmosphäre hätte schaffen können. Besonders gelungen und eindringlich war das große Finale, in dem jeder Einzelne nochmal einen wichtigen Satz seines Textes wiederholte.

Tim Müller/Judith Bloch

Die teils elegischen, teils zündenden Melodien John Kanders wurden durch die Band unter der Leitung von Andreas Unsicker trotz der ungewohnten Positionierung auf einer Empore an der Hinterbühne sicher präsentiert. Judith Bloch nahm als naive, aber sympathische Clubsängerin Sally Bowles für sich ein; mit ihrer voll timbrierten Stimme überzeugte sie speziell in „Mein Herr“, „Maybe this Time“ und „Cabaret“. Der amerikanische Schriftsteller Clifford Bradshaw wurde von Tim Müller glaubhaft verkörpert, dem der Wandel vom Schock nach der Eröffnung von Sallys Schwangerschaft bis hin zum planenden Familienvater gut gelang.

Jens Krause/Annagerlinde Dodenhoff

Eine Paraderolle für Annagerlinde Dodenhoff ist Fräulein Schneider: Wie die erfahrene Schauspielerin ihre Texte auskostete und mit gut kalkulierten Verzögerungen oder kleinen Pausen rüberbrachte, das hatte Format. Anrührend war die zögerliche Annäherung der ältlichen Jungfer und des jüdischen Obsthändlers Schultz, die doch wegen des weiter aufkommenden Nationalsozialismus zum Scheitern verurteilt ist. Jens Krause als ständig verdrängender und abwiegelnder Herr Schultz löste das Unheil mit seinem eigentlich zur fröhlichen Unterhaltung der Verlobungsgäste prägnant vorgetragenen Song „Miesnick“ selbst aus. Sein Abschied von der Pension Schneider ging zu Herzen.

Die Zeichen der Zeit dagegen erkannt haben Ernst Ludwig und Fräulein Kost. Als Nazi mit Hakenkreuzbinde tratt Björn Schäffer resolut auf und scheute sich später nicht, den Freund Bradshaw niederzuschlagen (im leeren Club!). Annika Dickel, die auch für die teils akrobatische Choreographie verantwortlich war, hatte mit ihren vielen Vettern und Matrosen die Lacher stets auf ihrer Seite. Gemeinsam präsentierten sie klarstimmig das völkische „Der morgige Tag ist mein“. Als wendiger Conférencier bot Alexander Prosek schönstimmig die Songs dar: „Säht ihr sie mit meinen Augen“ mit der quirligen Äffin gefiel besonders neben den bekannten wie „Money, Money“ und „Willkommen...“

Das Publikum dankte allen Akteuren auf und hinter der Bühne mit lang anhaltendem, begeistertem Applaus.

Marion Eckels 16.10.2016

Bilder: Falk von Traubenberg

Weitere Vorstellungen: 17.,21.,27.,30.10.+16.11.+2.,13.12. 2016 u.a.

 

 

DIE VERKAUFTE BRAUT

Premiere am 30. April 2016

Unterhaltsam

 

Das TfN (Theater für Niedersachsen) hat in Hildesheim wieder einmal deutlich gemacht, worauf die Erfolgsgeschichte des Unternehmens beruht, nämlich auf „Theater für alle“! Es gibt keine ärgerlich verkopften Umdeutungen oder rabiate Verlegungen in aktuelles Zeitgeschehen, für die man erst langatmige Erklärungen (oft vergeblich) im Programmheft lesen muss; die Geschichten werden einfach so erzählt, wie sie vom Librettisten und Komponisten zur damaligen Zeit gedacht waren. Friedrich Smetanas „Verkaufte Braut“ wird hier in einer merkwürdigen deutschen Mischfassung geboten, deren Urheber leider nicht erwähnt werden. In zeitlosen Kostümen wurde vor einer bühnenbreiten Wirtshaus-Fassade mit vorgebauter Biergartenterrasse agiert, die die ohnehin kleine Spielfläche zunächst noch einzuengen schien (Ausstattung: Philippe Miesch). Sie eröffnete allerdings mit vielen Türen mannigfaltige Auftrittsmöglichkeiten und –varianten, die auch schnelle Chorauftritte erlaubten. Das nutzte der Hildesheimer Oberspielleiter Guillermo Amaya mit intelligenter, stringenter Personenführung, um ein sehr lebendiges Bild dörflichen Treibens zu zeigen. Soloszenen wurden gekonnt unauffällig belebt, z.B. durch lautlos abräumende Kellnerinnen oder einzeln vorbeikommende Gäste.

Arantza Ezenarro/Konstantinos Klironomos

Die musikalische Leitung hatte Werner Seitzer, der das Orchester zu Höchstleistungen animierte. Von der von den Streichern besonders exakt gespielten Ouvertüre bis zum mitreißenden Furiant gingen die Musiker engagiert mit, was beim Applaus mit vielen Bravos quittiert wurde. Chor, Extra- und Kinderchor tummelten sich munter zur Kirchweih und sangen frisch, sauber und klangvoll; die Tenöre stachen allerdings etwas zu sehr hervor (Einstudierung: Achim Falkenhausen). Dazu wurden die Choristen auch noch tänzerisch gefordert, was sie mit Bravour absolvierten (Tänze: Natascha Flindt).

Arantza Ezenarros/Jan Kristof Schliep

In der Titelrolle durchlebte Arantza Ezenarro als attraktive Marie alle Facetten der jungen Liebe, die große Enttäuschung durch den vermeintlichen Verrat ihres Liebsten und schließlich die wundersame Lösung seines Verhaltens. Mit klarem Sopran, blitzsauberen Spitzentönen und ruhig ausgesungenen Bögen breitete sie ihre ganze Gefühlspalette aus. Ihr geliebter Hans – der listig die vom Heiratsvermittler angestrebte Verbindung Maries mit dem Sohn des Micha hintertreibt, in dem er Kezal seine Braut für 300 Gulden verkauft, ohne zu offenbaren, dass er selbst Michas verschollener erstgeborener Sohn ist – wurde von Konstantinos Klironomos lebensnah gespielt. Zu Beginn setzte er seinen strahlkräftigen Tenor noch etwas hart ein, überzeugte aber schnell, als er im Duett mit Marie auch zu zarteren Tönen fand. Den zweiten Sohn Michas, Wenzel, – der von den Eltern eigentlich vorgesehene Ehemann für Marie – spielte Jan Kristof Schliep glaubhaft als sympathischen, nur mit einem Sprachfehler behafteten jungen Mann, der bislang von seiner Mutter in engem Umfeld dem wahren Leben gegenüber total abgeschirmt war. Kein Wunder, dass er, nun allein im Nachbardorf, zuerst der Kellnerin Marie und dann der Tänzerin Esmeralda total verfällt. Sein runder Tenor mit ausgeglichener Stimmführung passte sehr gut zu dieser Rolle. (Schliep war auch als Berater mit verantwortlich für die tolle Zirkuseinlage der Jugendlichen, da er selbst mit 14 Jahren die Jonglage erlernte und als 17-Jähriger in Hannover in dieser Oper als Artist und Feuerspucker auf der Bühne stand!) Der eigentliche Drahtzieher Kezal blieb in der Darstellung Levente Györgys ohne Ausstrahlung und auch stimmlich blass; er erfreute aber durch beste Intonation in allen Lagen.

 


Die gesamte Ensembleleistung wurde von Uwe Tobias Hieronimi (Kruschina) und Neele Kramer (Ludmila) als Maries Eltern, Tilman Birschel (Tobias Micha) und Theresa Hoffmann (Háta) als Hans‘ und   Wenzels Eltern, Anton Kuhn (Zirkusdirektor), Martina Nawrath (Esmeralda) sowie

Daniel Chopov (Ein „Indianer“) erfreulich gut abgerundet.

 

Die Hildesheimer Zuschauer feierten alle Mitwirkenden frenetisch und mit stehenden Ovationen; es war wirklich ein unterhaltsamer Opernabend, der Spaß gemacht hat.

Marion Eckels 1.5.2016

Bilder: Jochen Quast

Weitere Vorstellungen: 4.,11.5.+4.,11.,24.6.2016

 

 

FRA DIAVOLO

Premiere am 13.Februar 2016

Munterer Spaß

Kramer, Hieronimi, Nawrath,Klironomos,György,Herrenchor

Daniel Francois Esprit Aubers Opéra comique kann man so gut wie überhaupt nicht mehr erleben; in den letzten Jahren gab es sie nur ganz vereinzelt. Dabei entzückt die leichtfüßige, frische Musik Aubers, in der viele Melodien Ohrwurmcharakter haben, wie die zündende Ouvertüre, Zerlines Fra-Diavolo-Romanze „Erblickt auf Felsenhöhen“, ihre Arie in ihrer Schlafkammer (nach Ulrich Schreiber „wohl die erste Striptease-Arie der Operngeschichte“), spritzige, abwechslungsreiche Ensembles oder die Bravour-Arie des Titelhelden, die berühmte Tenöre wie Tito Schipa oder Nicolai Gedda veranlasst hat, sich der doch harmlosen Oper anzunehmen. Das Stück spielt in Italien nahe der Stadt Terracina zwischen Rom und Neapel. Der legendäre Fra Diavolo („Bruder Teufel“) ist historisch verbürgt: Er hieß eigentlich Michele Pezza und war ursprünglich Mönch. Er schloss sich jedoch einer Bande von Straßenräubern an, wurde deren Anführer und sogar ein Freiheitskämpfer gegen die napoleonischen Besatzer. In der beliebtesten Oper von Auber ist davon ein fast schon liebenswerter Ganove übrig geblieben, der kühl kalkulierend, aber auch mit Witz und Charme seine naiven Opfer übertölpelt. Allerdings versetzt er mit seinen Raubüberfällen die ganze Gegend in Angst und Schrecken. Zugleich lässt er alle Frauenherzen höher schlagen, obwohl niemand weiß, wie er eigentlich genau aussieht. Man hat sogar ein Lied auf ihn gedichtet, das die Gastwirtstochter Zerline dem fremden Marquis vorsingt, niemand anderer als Fra Diavolo selbst. Weitere Übernachtungsgäste sind Lord und Lady Kookburn, die gerade erst von der Bande des Fra Diavolo ausgeraubt wurden. Zerline liebt den Offizier Lorenzo, der den Auftrag hat, den Räuberhauptmann gefangen zu nehmen. Die Handlung kulminiert in Zerlinas Kammer, wo sie von den Räubern beim Zubettgehen heimlich beobachtet wird. Für den Schluss gibt es unterschiedliche Lösungen: Sicher ist, dass Fra Diavolo festgesetzt wird; Scribes Libretto lässt keine Zweifel daran, dass der Räuberhauptmann auf der Flucht erschossen wird. Zwei Jahre nach der Pariser Uraufführung 1830 haben Auber und Scribe ihn entfliehen lassen.

Rivera, Hieronimi, Kramer, Nawrath, Kubik, Schliep, Klironomos

In Hildesheim hat man sich in der munteren Inszenierung von Guillermo Amaya für das ursprüngliche blutige Ende entschieden, was zu der auch durch die neuen Dialogtexte des Regisseurs teilweise ins Groteske gesteigerten Produktion nicht passen will. Nach der vom gut disponierten Orchester unter dem sicheren, stets vorwärts drängenden Dirigat von Achim Falkenhausen flott servierten Ouvertüre sah man auf eine Ansammlung von Bretterverschlägen (Ausstattung: Jörg Zysik) – ein bisschen mehr Atmosphäre hätte das italienische Berggasthaus schon verdient. In diesem billigen Ambiente spielte und sang das Hildesheimer Ensemble ausgesprochen munter und setzte die Pointen so punktgenau, dass es eine Freude war.

Jan Christof Schliep, Antonio Rivera, Peter Kubik

Begleitet von seinen übertrieben dümmlich gezeichneten Kumpanen Giacomo (Peter Kubik) und Beppo (Jan Kristof Schliep) erlebte man als einzigen Gast den mexikanischen Tenor Antonio Rivera als selbstverliebten Titelheld, der aus purer Berechnung die Damen heftig irritierte. Er ließ eine wandlungsfähige, flexible Stimme hören, mit der er auch die gefürchteten Höhen der Partie gut bewältigte. Damit hatte in dem Wettstreit mit hohen C‘s sein tenoraler Widerpart Konstantinos Klironomos, der den eifersüchtigen Lorenzo gab, mit seiner charakteristischen Stimme ebenfalls keine Probleme.

Eine quirlige, liebeshungrige Zerline war Martina Nawrath, die einmal mehr durch die höhensichere, blitzsaubere Führung ihres klaren Soprans begeisterte. Neele Kramer gefiel mit ausdrucksstarkem Mezzo; sie war eine ansehnliche Pamela, die ebenfalls erotischen Abenteuern mit dem als charmanter Marquis auftretenden Räuberhauptmann nicht abgeneigt war. Uwe Tobias Hieronimi lieferte als urkomischer Lord Kookburn ein gestalterisches Kabinettstück ab, wozu sein prägnanter Bariton bestens passte. Ohne Fehl ergänzte bassgrundig Levente György als Gastwirt Matteo. Opernchor und Mitglieder des Extrachors, wobei die Herren nicht als schmucke Carabinieri, sondern eher als heruntergekommene Landwehr daher kamen, entwickelten in der Einstudierung des Dirigenten prächtigen Chorklang.  

Gerhard Eckels 15.2.2016

Bilder: Falk von Traubenberg

Weitere Vorstellungen: 24.2.+11.,19.3.+11.4.2016 u.a.

 

 

 

 

Leider schon eine Rarität

BOCCACCIO

Besuchte Aufführung am 14. September 2015 (Premiere am 12.Setember 2015)

Turbulent

Wenn man von den Publikumsrennern „Die Fledermaus“ oder „Die lustige Witwe“ mal absieht, findet man hierzulande in den Musiktheater-Spielplänen kaum noch Operetten. Besonders solche Werke dieses Genres, die nicht Johann Strauß oder Franz Lehár komponiert haben, kann man nur noch ganz vereinzelt erleben. Da ist es höchst erfreulich, dass das TfN (Theater für Niedersachsen) nun „Boccaccio“, die erfolgreichste Operette von Franz von Suppé, dem Mitbegründer der „Goldenen Wiener Operette“, herausgebracht hat. Der italienische Dichter Giovanni Boccaccio aus dem 14. Jahrhundert gilt mit seinem „Decamerone“ als der Erfinder der erotischen Literatur Europas. In der Operette dient er als Titelfigur der turbulenten Handlung dazu, einer moralisch verlogenen Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. Dazu komponierte Suppé eine in hohem Maße eingängige, melodienreiche Musik, die neben bekannten Nummern wie „Hab‘ ich nur deine Liebe“ oder “Florenz hat schöne Frauen“ gekonnte Ensembles und zahlreiche, vergnügliche Couplets enthält.

Zum Inhalt: Im Florenz des Jahres 1331 sind die Männer in heller Aufregung, weil der berühmt-berüchtigte Dichter Boccaccio in der Stadt weilt und mit seiner freizügigen Literatur die Ehefrauen angeblich zur Untreue aufstachelt. Allerdings ist das, was er über die Florentiner Frauen schreibt, nicht ganz falsch. Die Männer wollen sich am Dichter rächen, doch erwischen sie dabei den Falschen. Boccaccio liebt Fiametta, die Ziehtochter des Gewürzkrämers Lambertuccio, in Wahrheit die leibliche Tochter des Herzogs von Florenz. Beide wissen lange nicht, wer der andere wirklich ist. Außerdem hat der Herzog als Fiamettas Gatten den Prinzen von Palermo auserwählt, der sich inkognito in Florenz aufhält und mit Isabella, der rassigen Frau des stets angesäuselten Fassbinders Lotteringhi, anbandelt. Natürlich gibt es nach einigen Verwicklungen für Boccaccio und Fiametta ein Happy End.

Mit der Neuinszenierung von „Boccaccio“ ist dem Oberspielleiter des TfN Guillermo Amaya trotz der Beibehaltung manch etwas altbackener Texte ein kurzweiliges Stück Musiktheater gelungen, an dem man einfach seinen Spaß hatte. Da sieht man nach der vom Orchester unter der Leitung von Florian Ziemen ausgesprochen schwungvoll musizierten Ouvertüre auf eine überdimensionale Schreibtischplatte vor der bekannten Silhouette von Florenz (Bühnenbild: Hannes Neumaier). Aus dem Off bekennt Boccaccio, dass er seine Geschichten nicht erfunden, sondern selbst erlebt hat – sogleich konnte das muntere Treiben beginnen: Die Schreibtischplatte wurde zum Spielort, wo Bücher Podeste und Rampen bildeten, eine Topfpflanze zum Olivenbaum mutierte oder ein Tintenfass das vom Fassbinder zu reparierende Weinfass darstellte.

Mitten in Florenz hörten dessen mittelalterlich und farbenfroh gekleideten Bewohner (Kostüme: Elisabeth Benning), wie die neuesten Novellen Boccaccios angepriesen wurden. Der Barbier Scalza (mit polterndem Bass Levente György), der Fassbinder Lotteringhi (stimmkräftig Jan Kristof Schliep) und der abergläubische Lambertuccio (vollstimmig und witzig Uwe Tobias Hieronimi, auch in dem, von ihm selbst getexteten Couplet) suchen Boccaccio, um ihn zu verprügeln, erwischen aber mit dem Prinzen Pietro von Palermo (mit kernigem Bariton munter im Spiel Peter Kubik) prompt den Falschen. Die Frauen Beatrice (schlankstimmig Antonia Radneva), Isabella (attraktiv und mit charaktervollem Mezzo Neele Kramer) und die ältere, dennoch Liebesabenteuern nicht abgeneigte Peronella (mit abgerundetem Alt Theresa Hoffmann) versuchen erfolgreich, ihren Ehemännern die Seitensprünge zu verheimlichen. Dabei werden sie auch von Boccaccio, dem Prinzen und dem Studenten Leonetto (Manuel Oswald) unterstützt. Sie gaukeln ihnen vor, man könne von einem Zauberbaum aus erotische Szenen sehen, in Wahrheit ihre Ehefrauen im Techtelmechtel – eine auf eine Novelle Boccaccios zurückgehende Szene.

Martina Nawrath/Dirk Konnerth

Mit ansteckender Spielfreude waren alle Beteiligten bei der Sache. Außerdem wurden durchweg ansprechende Gesangsleistungen erbracht. Hier sind allen voran Dirk Konnerth (Boccaccio) mit markantem Tenor und die klarstimmige, blitzsauber singende Martina Nawrath als entzückende Fiametta zu nennen, die u.a. mit dem berühmten, passenderweise italienisch gesungenen Duett „Mia bella fiorentina“ begeisterten. Der Opernchor und aus dem Jugendchor des TfN ansehnliche junge Damen als mit Degen ausgestattete Studenten waren ebenfalls mit agilem Spiel dabei und füllten die Chor-Szenen und die Akt-Finali mit ausgewogenem, prächtigen Klang (Einstudierung: Achim Falkenhausen).

Das Publikum war sehr angetan und spendete reichlich Applaus.

Gerhard Eckels 15. September 2015

 

Fotos: Jochen Quast

 

Weitere Vorstellungen: 1.,7.,17.10.+17.11.+13.12.2015 in Hildesheim (weitere Termine in anderen Orten)

 

 

SAISONVORSCHAU 2015 / 16

Boccaccio (Franz von Suppé) – Premiere 12.9.2015

(Dirigent: Florian Ziemen, Inszenierung: Guillermo Amaya)

Madame Butterfly Premiere am 31.10.2015

(Dirigent: Werner Seitzer, Inszenierung: Frank Van Laecke)

Fra Diavolo (Auber) – Premiere am 13.2.2016

(Dirigent: Achim Falkenhausen, Inszenierung: Guillermo Amaya)

Die verkaufte Braut – Premiere 30.4.2016

(Dirigent: Werner Seitzer, Inszenierung: Guillermo Amaya)

 

Fidelio – Wiederaufnahme am 3.10.2015

Der Vetter aus Dingsda – Wiederaufnahme am 9.10.2015

Der Barbier von Sevilla – Wiederaufnahme am 23.11.2015

Die Zauberflöte – Wiederaufnahme am 15.12.2015   

 

MUSICAL

Blues Brothers – Premiere 18.10.2015

(Inszenierung: Katja Buhl, Dirigent: Andreas Unsicker)

Dracula (Frank Wildhorn/Don Black/Christopher Hampton) – Premiere am 12.12.2015 (Inszenierung: Craig Simmons)

Tot, aber glücklich – Lucky Stiff (Lynn Ahrens/Stephen Flaherty) – Premiere am 3.5.2016 (Dirigent: Andreas Unsicker)

 

Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs (David Yazbek/Jeffrey Lane)

Wiederaufnahme am 20.9.2015

 

 

 

GESPRÄCHE DER KARMELITERINNEN

Besuchte Aufführung am 28. April 2015 (Premiere am 21. März 2015)

Beklemmend

Chor/Martina Nawrath/Antonia Radneva

Als Beitrag zum Jubiläum 1200 Jahre Bistum Hildesheim hat sich das TfN (Theater für Niedersachsen) an Poulencs Oper gewagt, die neben Debussys „Pelléas et Mélisande“ zu den bedeutendsten französischen Opern des 20. Jahrhunderts zählt. Obwohl Poulenc einen eher spröden Stoff, den Kontrast zwischen Religion und Revolution, gewählt hat, ist es ihm wohl auch wegen durchweg tonaler Musiksprache gelungen, das Werk zu einem Welterfolg zu machen, das seit der Uraufführung 1957 an der Mailänder Scala kontinuierlich  im Repertoire der Opernhäuser erscheint. Die Handlung geht zurück auf eine historisch verbürgte Episode aus den Schreckensjahren der Französischen Revolution. Im Zuge eines Dekrets zur Aufhebung aller Klöster legten die Karmeliterinnen einen Märtyrereid ab und stiegen singend aufs Schafott.

Das Libretto zu „Gespräche der Karmeliterinnen“ schrieb sich Poulenc selbst und nahm sich dazu des 1947/48 entstandenen gleichnamigen Bühnenwerks von Georges Bernanos an, das seinerseits auf die Novelle „Die Letzte am Schafott“ von Gertrud von le Fort (1876-1971) aus dem Jahr 1931 zurückgeht, ein weiterer Bezug zu Hildesheim, wo die Dichterin von 1888 bis 1897 lebte. Diese fand übrigens Aufzeichnungen der Mutter Maria von der Menschwerdung, die sich dem Märtyrertod ihrer Glaubensschwestern entzogen hatte.

Zum Inhalt der Oper: Die ängstliche Adelstochter Blanche de la Force, eine Erfindung von le Fort, wird durch die ersten Volkstumulte der französischen Revolution zusätzlich verschreckt; um innere Ruhe zu finden, tritt sie in den Orden der Karmeliterinnen im Kloster von Compiègne ein. Als die politische Situation eskaliert, und die Nonnen das Kloster räumen sollen, beschließen sie, den Märtyrertod zu sterben. Blanche hingegen flieht. Doch als sie von der bevorstehenden Hinrichtung ihrer Schwestern erfährt, eilt sie zum Richtplatz und geht gemeinsam singend mit ihnen in den Tod.

Unabhängig davon, wie man dem christlichen Glauben gegenüber steht, kann man sich von dem Schicksal der Karmeliterinnen ergreifen lassen, so dicht und intensiv spricht die Oper unmittelbar an. Und dies geschah auch in Hildesheim in eindrucksvoller Weise, was sicher auch an der einfühlsamen deutschen Übersetzung des Librettos vom dortigen Musik-Chef Werner Seitzer lag. Das tragische Geschehen spielte sich auf einer Einheitsbühne mit schlichten dunklen Holzwänden ab, auf der wenige Requisiten den jeweiligen Handlungsort kennzeichneten. Der hellbraune Habit und die farbenreichen Kostüme des Volkes waren historisch passend (Ausstattung: Philippe Miesch). Die Inszenierung von Eike Gramss beeindruckte vor allem durch die ausgezeichnete Personenführung, was die Intensität noch erhöhte. Da die Wirkung des „Salve Regina“ in der Schlussszene mit den Schlägen des Orchesters keiner Verstärkung durch optische Mittel bedarf, hatte man hier eine relativ schlichte, aber dennoch höchst beklemmende Darstellung gewählt: Eine Karmeliterin in weißem Unterkleid nach der anderen stürzte zu Boden, wenn das Geräusch des fallenden Guillotine-Messers zu hören war. Ganz am Schluss ging die hintere Wand hoch und gab den Blick ins Helle frei – ein kleiner Hoffungsschein auf die Glaubenserfüllung der Nonnen?

Martina Nawrath/Antonia Radneva

Wie der Titel der Oper verdeutlicht, lebt sie von den Dialogen der Handelnden, besonders der uniform gekleideten Nonnen, die ihre Individualität nur durch ihre Stimmen zum Ausdruck bringen können. Und das gelang in Hildesheim vortrefflich: Antonia Radneva ließ die Ängstlichkeit und Nachdenklichkeit der Blanche glaubhaft deutlich werden; ihren klaren Sopran führte sie intonationsrein durch alle Lagen. Ergreifend waren die letzten Worte der alten Priorin an Blanche, ihr qualvolles Sterben, als sie den Arzt Javelinot (Michael Farbacher) – vergeblich – um schmerzlindernde Mittel bittet, und schließlich ihre Vorhersage des Untergangs des Klosters. Das alles gestaltete Christiane Oertel als Gast von der Berliner Komischen Oper mit kraftvollem Mezzo ungemein eindringlich – ein ganz starker Auftritt. Besonders positiv fiel die junge Mezzosopranistin Neele Kramer auf, die die stimmlich und darstellerisch anspruchsvolle Partie der Mutter Maria in deren fürsorglicher Unerbittlichkeit aufs beste bewältigte. Isabell Bringmann als neue Priorin sang mit ausgeglichener Linienführung besonders stimmschön; so gaben ihre letzten Worte vor der Hinrichtung, wenn sie an Jesu Todesangst in Gethsemane erinnerte, starken Trost. Stilsicher und mit sauberer Stimmführung machte Martina Nawrath die Fröhlichkeit und Lebenslust der Schwester Constance deutlich. Seinen Tenor setzte Konstantinos Klironomos als der um seine Schwester Blanche aufrichtig besorgte Chevalier differenziert ein. In den zahlreichen Nebenrollen bewährte sich das solide Hildesheimer Ensemble einschließlich einiger Chorsolisten.

Neele Kramer/Antonia Radneva 

Werner Seitzer sorgte am Pult des gut disponierten Orchesters für schillernde Farbigkeit und die stets durchschimmernde Härte der Musik, die das unausweichliche Schicksal der Karmeliterinnen lange vor seinem Eintreten hörbar werden lässt. Chor und Extrachor (Achim Falkenhausen) gefielen wieder durch gute Ausgewogenheit.


Im recht gut besuchten Haus gab es lang anhaltenden, begeisterten Applaus.

Gerhard Eckels 29. April 2015

Fotos: Andreas Hartmann

 

 

 

OTELLO DARF NICHT PLATZEN

Premiere am 7. Februar 2015

Turbulenter Spaß

Mit dem gut ausgebildeten und spielfreudigen Musical-Ensemble hat das TfN (Theater für Niedersachsen) eine besonders erfolgreiche Compagnie. Die bunte Verwechslungskomödie des Amerikaners Ken Ludwig (Uraufführung 1986 in London) wurde von Peter Sham und Brad Carroll zu einem mitreißenden Musical umgestaltet. Nach einer Voraufführung beim Utah Festival 2010 wurde es 2011 in London uraufgeführt. Die deutsche Erstaufführung fand 2013 in Leipzig statt; von dort hatte man sich das ebenso hübsche wie praktische Bühnenbild von Norbert Bellen geliehen, in dem Jörg Gade die Protagonisten und Choristen turbulent und ideenreich durch das Geschehen in Cleveland im Jahre 1934 führte. Unterstützt wurde das durch die lebendige Choreografie von Janne Geest; die prächtigen Kostüme steuerte Esther Bätschmann bei.

Alexander Prosek/Tim Müller

Im Stück geht es u.a. darum, den Fortbestand des Opernhauses von Cleveland zu retten, das es 1934 allerdings noch gar nicht gab. Dafür ist zu einem Gala-Abend der Startenor „Il Stupendo“ Tito Merelli eingeladen, der aber zu spät kommt, darüber hinaus auch noch seine eifersüchtige Frau Maria mitbringt; zudem ist er durch zu viele Pillen zum Relaxen und gegen Schmerzen außer Gefecht gesetzt. Da bleibt dem Operndirektor Saunders nichts anderes übrig, als seinen persönlichen Assistenten und „Fußabtreter“ Max, der auch Gesangsambitionen hegt, als Otello einspringen zu lassen, der dabei überraschend reüssiert. Schwierig wird es, als der wieder erwachte Merelli als zweiter Otello durch die Szenen springt. Die Damen, die Merelli sowieso immer zu Füßen liegen, in diesem Fall besonders des Direktors Tochter Maggie, seine Sopranistin Diana Divane und seine drei Exfrauen, meinen jeweils immer den echten gesehen oder mit ihm geflirtet zu haben.

Ensemble/Jens Krause/Tim Müller  

Die musikalische Leitung und Choreinstudierung lag bei Achim Falkenhausen in besten Händen: Temporeich und zündend ließ er die gut eingängigen Melodien vom ersten Ton der Ouvertüre an musizieren; das Orchester des TfN wuchs dabei über sich selbst hinaus. Jens Krause war ein köstlich schlitzohriger Henry Saunders, der schließlich noch als dritter „Otello“ die Turbulenz auf die Spitze trieb. Als Max gelang Tim Müller die Entwicklung des stets zurückhaltenden, leicht verklemmten Assistenten zum selbstbewusst einspringenden Sänger sehr gut; sein aufbauender Song „Sei du Selbst…“ half ihm auch bei dem Werben um seine geliebte Maggie (munter Magdalene Orzol), die ihrerseits eigentlich erst mit dem Gaststar eine Nacht verbringen will und das auch deutlich macht. Alexander Prosek als Tito Merelli bediente alle Tenorklischees, zunächst als Pavarotti-Verschnitt mit weißem Schal und Taschentuch; ein Höhepunkt seiner Darstellung war das Duett à la Rossini mit Max. Den temperamentvollen Eifersuchtsausbrüchen seiner Ehefrau Maria (herrlich überdreht Sandra Pangl) stand er meist hilflos gegenüber. An Merelli als Karriereförderer interessiert, umwarb die Operndiva Diana (mit witzigem Opernarien-Medley Caroline Zins) ihn mit allen ihr zu Gebote stehenden Tricks.

Magdalene Orzol/Tim Müller/Alexander Prosek/Caroline Zins

Das Ensemble ergänzten passend Jürgen Brehm als steppender Inspizient Bernie, Björn Schäffer als Liftboy und Polizist sowie Tanja Westphal, Judith Bloch und Annika Dickel als die drei Exfrauen von Saunders, die – urkomisch und stets gleich kostümiert – die Opernsponsoren vertraten. Der Opernchor des TfN ließ seiner Spiel- und Singfreude ebenfalls wieder engagiert freien Lauf und trug zu der hervorragenden Ensembleleistung stark bei. Begeisterter Applaus und Standing Ovations beendeten einen puren Unterhaltungsabend, der sicher ein Renner der Saison wird. 

Marion Eckels 8.2.2015 

Bilder: Andreas Hartmann

 

Weitere Vorstellungen: 12.,18.,21.2.; 7.,10.,15.3. 2015 u.a.

 

 

 

 

Besuchte Aufführung am 8. Dezember 2014 (Premiere am 17. Mai 2014; Wiederaufnahme am 20. November 2014 in Nienburg)

Im Spanien nachnapoleonischer Zeit - stimmig

Beethovens einzige Oper mit der immer wieder hoffnungsfroh stimmenden idealistischen Utopie der Befreiung von Willkür und Gewaltherrschaft braucht keine vordergründige Aktualisierung, wie man im TfN (Theater für Niedersachsen) eindrucksvoll erleben konnte. Die Inszenierung des jungen spanischen Regisseurs Guillermo Amaya lässt die Story im politisch bewegten, nachnapoleonischen Spanien der frühen 1820er-Jahre spielen. Dabei wird sie szenisch im Lichte Francisco de Goyas betrachtet, indem an einige Radierungen des spanischen Malers aus dem 1808 bis 1814 entstandenen Zyklus „Die Schrecken des Krieges“ angeknüpft wird. Sie erscheinen zur Ouvertüre auf einem Zwischenvorhang und später zeitweise auf der Hinterwand des sonst kahlen Gefängnishofes (Ausstattung: Hannes Neumaier). Zu Don Pizarros Auftritt wird eines der berühmten Gemälde Goyas, „Die Erschießung der Aufständischen am 3. Mai 1808 in Madrid“, nachgestellt und damit sinnfällig die Beziehung zum Inhalt der Befreiungsoper hergestellt. Die einleuchtende Idee des Inszenierungskonzepts ist es, über die Darstellung eines einzelnen Opfers von Gewaltherrschaft hinaus die Entlassung aller Insassen des Staatsgefängnisses plausibel zu machen. Dazu bediente man sich der Neufassung der Sprechtexte von Friedrich Dieckmann, in der vor allem am Anfang bei etwas langatmig geratenen Gesprächen zwischen Rocco und Fidelio/Leonore die politischen Hintergründe verdeutlicht werden. Mit seinen Texten stieß Dieckmann übrigens auf unwilligen Widerstand der SED-Behörden, die 1970 ein Spielverbot durchsetzten. Erst jetzt wurde die dem Duktus der gesungenen Texte angepasste und dezent modernisierte Fassung im TfN uraufgeführt.

In der besuchten Vorstellung beeindruckte die durchweg gut gelungene, stimmige Personenregie, sei es in der engen Wohnküche Roccos, sei es im Gefängnishof, in dem allerdings die verschiedenen Hubpodeste allzu oft rauf- und runtergefahren wurden. Musikalisch war der Abend im Ganzen zufriedenstellend: Chordirektor Achim Falkenhausen hatte Chor und Extrachor sorgfältig vorbereitet, die den ausgewogen gesungenen Gefangenenchor ergreifend gestalteten und in den mitreißenden Jubelchören des Finales Klangpracht entwickelten. Als musikalischer Leiter des Abends wählte er zügige Tempi, denen das gut disponierte Orchester des TfN weitgehend sicher folgte. Von den insgesamt soliden Solisten ist zunächst Mareike Bielenberg in der Titelrolle zu nennen. Sie gefiel mit gleichmäßig und sauber durch alle Lagen geführtem Sopran und glaubwürdiger Darstellung. Die junge Sängerin wird jedoch aufpassen müssen, sich mit solchen Partien dramatischen Zuschnitts nicht zu schnell verheizen zu lassen. Als Florestan setzte Barry Coleman seinen durchschlagskräftigen, dunkel timbrierten Tenor mit inzwischen gewachsener Strahlkraft ein. Der unterwürfige Rocco war bei Levente György und seinem kernigen Bass gut aufgehoben.

Enttäuschend war der Auftritt von Uwe Tobias Hieronimi als Don Pizarro; der verdiente Sänger verkörperte den „bösen“ Gouverneur glaubhaft, war aber stimmlich in keiner Weise überzeugend. Mit der hochdramatischen Partie schien sein charakteristischer Bariton, der eher im lyrischen Bereich zuhause ist, glatt überfordert. Das merkte man an der ziemlich ungefähren Tongebung und daran, dass er sich allzu oft in Sprechgesang flüchtete. Eine reizende Marzelline war Antonia Radneva, die erneut mit ihrem abgerundeten, intonationssicheren Sopran zu gefallen wusste. Mit sympathischer Ausstrahlung und charaktervollem Bariton nahm Peter Kubik als rettender Minister Don Fernando für sich ein, während Jan Kristof Schliep sicher einen etwas ältlichen Jaquino gab.

Das Publikum spendete lang anhaltenden, begeisterten Applaus.

Gerhard Eckels 10.12.2014                                     Fotos: Dirk Opitz

 

 

VICTOR/VICTORIA

Vorstellung am 13. November 2014           (Premiere am 17.Oktober 2014)

Spannungsarm 

Bereits in den 30er Jahren gab es einen deutschen UFA-Film, in dem eine Frau vorgibt, ein Mann zu sein, der vorgibt, eine Frau zu sein; diesen entdeckte der amerikanische Regisseur Edward Blake etwa 1980. In Zusammenarbeit mit dem Komponisten von Film-Musiken Henry Mancini entstand zwei Jahre später mit Julie Andrews in der Titelrolle eine Neuverfilmung, die einen Oscar für die beste Original-Film-Musik gewann. Weitere 13 Jahre später eroberte die Story als Musical-Komödie die Broadway-Bühnen, in der die im Nachtclub gescheiterte Sängerin Victoria, die sich auf den genialen Einfall ihres Freundes Toddy als Mann ausgibt, nun als Transvestit Triumphe feiert, wieder mit Julie Andrews in der Hauptrolle.

Caroline Zins/Ensemble

In Hildesheim war nun Katja Buhl für die Inszenierung und Choreograhie der Verwicklungen zuständig, die sich daraus ergeben, dass sich Victoria und King Marchand, ein Gangster-Boss, ineinander verlieben, was bei dem Macho eine starke Verstörung seiner Gefühlswelt auslöst. Er kann nicht glauben, dass er in einen Mann verliebt ist. Problematisch waren dabei die vielen Szenenwechsel, die zu bewältigen waren. Zwar hatten Steffen Lebjedzinski und Anne-Katrin Gendolla versucht, das Bühnenbild so zu gestalten, dass es relativ schnell geändert werden konnte, aber die Liebe zum Detail erwies sich als so zeitaufwändig, dass jedes Mal die Spannung beim Zuschauer abfiel und bei der nächsten Szene neu aufgebaut werden musste. Das konnten weder die musikalische Untermalung noch der offene Umbau verhindern. An manchen Stellen hätte auch eine textliche Straffung gutgetan. Die Szenen waren in sich recht stimmig, optische Höhepunkte waren jeweils die Auftritte im Nachtclub. Da bewies Katja Buhl ihre choreographischen Fähigkeiten bei spanischen und Tango-Rhythmen; die passenden Kostüme kreierte Eva-Maria Huke.

Caroline Zins/Jens Krause

Eine Big Band, ergänzt von E-Gitarren und Klavier, spielte unter der Leitung von Andreas Unsicker munter auf. Mancinis vom Jazz geprägte Musik wurde gut dargeboten, wenn auch kein so wirklich zündendes Stück dabei war. Die Musical-Truppe des TfN schlug sich wieder einmal achtbar. Caroline Zins war eine entzückende Victoria/Victor, die mit ihrer Stimmlage entsprechend variierte. Besonders eindringlich waren die Szenen, wenn sie merkt, dass sie selbst als Victor dem Bewunderer King Marchand verfällt, aber doch noch nicht sagen kann, dass sie eine Frau ist; ihr Tango mit seiner Ex-Freundin Norma war Klasse. Überzeugend spielte Tim Müller diesen an sich und seiner Natur zweifelnden King, der schließlich alle Vorurteile über Bord wirft und einfach einen Menschen liebt („Es ist mir völlig egal, ob du ein Mann bist“). Köstlich überdreht kam Norma (Annika Dickel) auf ihrer ständigen Vorteilssuche daher, ein sehr belebendes Element der Aufführung. Als bekennender Homosexueller Toddy war Jens Krause großartig. Ein Knüller war am Schluss seine Übernahme der Rolle von Victor im Club; da konnte er zeigen, was auch an tänzerischem Potential in ihm steckt. Hervorzuheben bleibt noch Alexander Prosek als kräftiger Squash Bernstein (Kings Bodyguard), der sich gegen Ende auch als homosexuell outet. Die übrigen Mitwirkenden rundeten das stimmige Ensemble passend ab.

Tim Müller/Annika Dickel/Caroline Zins

Die Vorstellung am 13.11. war recht gut besucht, das Publikum ging aber erst zögerlich mit, ehe es sich zu Zwischen- und freundlichem Endapplaus entschloss.

Marion Eckels 14.11.2014                          Bilder: Andreas Hartmann           

Weitere Vorstellungen: 5./17./31.12. u.a.                                                        

 

 

 

DIE ZAUBERFLÖTE

Premiere am 13. September 2014

Utopisches Happyend

Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie einen „Die Zauberflöte“ in seinen Bann zu schlagen vermag, auch wenn man die Märchenoper schon x-mal gesehen hat. Es liegt neben der genialen Musik Mozarts wohl an der gelungenen Mischung der humanistischen Ideale mit der kreatürlichen Menschlichkeit der Hanswurst-Ebene. Diese Faszination tritt allerdings nur ein, wenn die Inszenierung stimmt – und das kann man Regisseur Volker Vogel und seinem Ausstatter Norbert Bellen ohne weiteres bescheinigen. Da wurde nichts verfremdet oder gar in konkrete Zeiten verlegt; die Geschichte vom Liebespaar, dem so manche Prüfungen auferlegt sind (die gibt es im richtigen Leben ja schließlich auch), wurde wie ein Märchen erzählt, so wie es sich die Autoren gedacht hatten. Hier kam sogar noch etwas hinzu: Am Schluss gab es die Aussöhnung aller einschließlich der Königin der Nacht, ihrer drei Damen und Monostatos, die in den Schlusschor mit einstimmen – eine freundliche Utopie.

Das praktikable Bühnenbild ermöglichte schnelle Wechsel vom märchenhaften Zauberwald zur durch ein paar Säulen und Palmen angedeuteten Welt der „Eingeweihten“ und zurück. Dass die Welt Sarastros vom Gedankengut der Freimaurer geprägt ist, wurde sinnfällig dadurch angedeutet, dass die Herren zu ihren Versammlungen typische Freimaurer-Schürzen trugen. Überraschend war der Anfang der Oper, wenn der Prinz gleich von mehreren Schlangen verfolgt wird, die sich als die drei Damen herausstellten, die mit schlangenhaften Handschuhen und Kopfmasken kostümiert waren. Ebenso merkwürdig wirkten drei Fabelwesen, die sich im Zeitlupentempo zur Flöten-Arie Taminos bewegten. Schließlich hat sich mir nicht recht erschlossen, warum Tamino einige Federn an seiner Anzugjacke trug – dem Vogelmenschen entwachsen? Sei’s drum – es muss einem ja nicht alles gefallen. Dass Papageno und Papagena vielleicht doch keine Menschen, sondern Vögel sind, wurde von der Regie besonders ausgespielt, indem sie als Alte verkleidet einen ziemlich grässlichen Vogelkopf trug und später eine Reihe großer Eier erfolgreich ausbrütete – ein gelungener Gag. Weiteren Szenenapplaus erhielten Monostatos sowie die Herren von Chor und Extrachor für ihre urkomischen tänzerischen Bemühungen zu „Das klinget so herrlich, das klinget so schön…“

Am Pult des aufmerksamen, nicht durchweg intonationsreinen Orchesters stand wieder der erfahrene Werner Seitzer, der ein ausgesprochen feines Gespür für die richtigen Tempi hatte. Von den zahlreichen Sängerinnen und Sängern soll zuerst Martina Nawrath als Königin der Nacht genannt werden. Bereits deren erster Auftritt entsprach mit den großen nachtblauen Schärpen und der überdimensionalen Mondsichel im Hintergrund dem märchenhaften Grundduktus der Inszenierung. Wie die Koloratursopranistin den lyrischen Teil von „O, zittre nicht, mein lieber Sohn“ einfühlsam zu gestalten wusste, hatte bereits hohes Niveau, das sich im wunderbar sauber gesungenen Koloraturteil und in der Rache-Arie sogar noch steigerte. Ihr stand Daniel Eggert als jugendlicher, aber dennoch würdevoller Sarastro in nichts nach; er führte seinen gepflegten, sonoren Bass sicher durch alle Lagen.

Antonia Radneva (Pamina) wusste mit ihrem schlanken Sopran durchweg zu gefallen. Die todtraurige Arie „Ach, ich fühl’s“ gestaltete sie anrührend; dabei wurde Paminas Leiden überdeutlich, als sie zu der Frage „Fühlst du nicht der Liebe Sehnen?“ Tamino direkt durchschüttelte. Konstantinos Klironomos überzeugte durch glaubwürdige Darstellung des edlen Märchenprinzen. Sein in der Mittellage kraftvoll-männlicher Tenor knödelte im forte allzu sehr; die Höhen mussten zu sehr erkämpft werden und blieben ohne Strahlkraft. Ein sehr munterer Papageno war Peter Kubik, der das Publikum mit seinem lebhaften Spiel schnell auf seine Seite zog, wozu auch sein runder, manchmal geradezu samtiger Bariton beitrug. Seine entzückende Papagena war stimmschön Julia Bachmann.

Dass Monostatos „77 Sohlenstreich‘“ erhalten hat, spielte Jan Kristof Schliep jammernd aus; sein charakteristischer Tenor passte gut zur Rolle. Stimmlich etwas unausgeglichen präsentierten sich die drei Damen Mareike Bielenberg, Neele Kramer und Christina Baader. Wieder einmal reichlich undifferenziert sang Levente György den Sprecher, während Daniel Käsmann und Uwe Tobias Hieronimi die kleineren Rollen der Priester ohne Fehl erledigten. Von den beiden Geharnischten Manuel Oswald und Piet Bruninx drängte sich letzterer stimmlich allzu sehr in den Vordergrund. Schön, dass die drei Knaben nicht von Sängerinnen, sondern erstaunlich sauber von Mitgliedern des Knabenchores Hildesheim und des Kinderchors des TfN gesungen wurden. Schließlich seien noch Chor und Extrachor genannt, die in der Einstudierung von Achim Falkenhausen ihre Aufgaben klangausgewogen („O Isis und Osiris“) und stimmkräftig erfüllten.

Das Premierenpublikum war zu Recht begeistert und zeigte dies durch lang anhaltenden, sich teilweise zu Ovationen steigernden Applaus.

Gerhard Eckels 14.09.2014                          Fotos:  Jochen Quast

Weitere Vorstellungen: 20.09.,3.+22.10.,12.,19.+25.12.2014

 

 

 

PETER GRIMES

Besuchte Vorstellung am 22.11.13              (Premiere am 9.11.13.)

Beispielhaft

Es gibt im Leben die glücklichen Fälle, so das Erlebnis am 22.11.1913 nicht nur den Cäcilientag (Schutzpatronin der Musiker), sondern auch den 100. Geburtstag von Benjamin Britten am Stadttheater Hildesheim mit einer berührenden Aufführung von dessen Oper "Peter Grimes" begehen zu können. Wahrlich kein kleines Stück für ein Theater dieser Größe, doch in Hildesheim hat man auch schon hervorragend solche Brocken wie "Aida" oder "Meistersinger" gestemmt, nachdem die alten Jubilare mit Neuproduktionen von "Holländer" und "Falstaff" abgefeiert wurden, jetzt also der junge Komponistenspund. In diesem Zusammenhang konnte man übrigens auch Brittens Kinderoper "Noah" in Zusammenarbeit mit der Musikschule und im Orchesterkonzert das Requiem erleben, ein imposantes Programm. Doch zurück zum Grimes: der belgische Regisseur Frank van Laecke  legt gleich bei seinem Debut am TfN einen beeindruckenden Einstand vor. Laecke läßt, im wahrsten Sinne des Wortes, die Kirche im Dorf und inszeniert einen nahezu klassischen "Peter Grimes". Schon die Ausstattung von Philippe Miesch besticht durch Schlichtheit und trotzdem optische Opulenz, schwarzdunkle Backsteinmauern können die Szene einengen, wie auch auf verschiedene Arten öffnen, ein abstrakter Hintergrund suggeriert die Elemente Wind und Wasser und mittels viel Bühnennebel und einer sehr ausgefeilten Beleuchtung werden die unterschiedlichen Szenen in sehr atmosphärische Bilder gesetzt. Die Menschen des Fischerdorfes tragen zeitlose, berufbedingte Kleidung, die mit Dreckspritzern die Einfachheit dieser geschlossenen Gesellschaft wiederspiegelt, wenige Abweichungen in den Kostümen weisen treffend auf die einzelnen Charaktere. Realismus der schonungslosen Art ist angesagt und immer wieder wird der einzelne Mensch gegen die Dorfgemeinschaft gestellt.

Mit Hans-Jürgen Schöpflin konnte ein ausgewiefter Britteninterpret gewonnen werden, man erinnert sich an den feingeistigen Aschenbach aus dem "Tod in Venedig", hier jedoch ein ganz anderer Charakter, der ohne Rücksicht auf die Stimme ausgelotet wird, ein Grimes der unsympathischen Art, flankiert von seinen Todesengel, den toten Lehrbuben, die auch an das Kind "Peter" erinnern, das der verhärtete Mann einmal war. Besonders schön klingen bei Schöpflin die lyrischen Momente, die "Plejadenarie", die Vision vom besseren Leben und das in den Wahnsinn abgleitende Ende. Ihm zur Seite ein Prachtkerl von Bassbariton, Albrecht Pöhl als Kapitän Balstrode, besser kann man diese Rolle nicht gestalten; und die lieblichstimmige Ellen Orford von Isabell Brinkmann, die in ihrer traurigen Resignation schon ein ganz eigenes Drama bietet. Das große Ensemble steht Kopf an Kopf mit den drei Protagonisten: der saftige Mezzo von Christina Baader als Tantjen (Auntie), die armen Luder Regine Sturm und Stephanie Lönne als Nichten, selten sieht man das so trostlos gespielt. Shauna Elkin-Held als Mrs. Sedley mit ausdrucksvollem Mezzo Opfer und Täter zugleich. Uwe Tobias Hieronimi mit fanatischem Tenor als Prediger Swallow, der intrgante Bob Boles von Jan Kristof Schliep, Pastor Adams von Konstantinos Klironomos, Peter Frank als Ned Keene und nicht zuletzt das Hildesheimer Urgestein Piet Bruninx als Jim Hobson, sie alle haben ihren nicht geringen Anteil am geschlossenen Erfolg dieser Aufführung.

Dazu kommt der wirklich groß besetzte Chor und Jugendchor des TfN, klangvoll in der Massierung, dabei jeder ein Darsteller eines einzelnen Charakters innerhalb der Gruppe, grandios. Ebenso großartig spielt das Orchester unter Leif Klinkhardt auf, eigentlich staunt man ob der Perfektion, die man an solch kleinem Haus gar nicht vermutet. Klinkhardt weiß genau um die Tiefen und Untiefen von Brittens Partitur, da findet alles seinen rechten Platz, das Leise, das Verträumte, das Elementare. Die Kammermusik und das große Sinfonische, es ist halt auch fantastische Musik. Da würde sich mancher Kinofilm solch einen spannenden "Soundtrack" wünschen, zumal so spannungsgeladen gespielt. Einziges Manko ist die zeitweise Textunverständlichkeit, gerade wo die Aufführung doch in deutscher Neuübersetzung des hauseigenen Gmd Werner Seitzer stattfindet. Nichts ist eben perfekt.

Doch die Aufführung als solche ist aus einem Guss, deshalb ein mehr als warmherziger, sehr ausgiebiger Schlussapplaus im gut besuchten Haus. Für Britten ein echtes Geburtstaggeschenk.

Martin Freitag 28.11.13                               

Bilder siehe Erstbesprechung

                                                                         

 

 

PETER GRIMES

Premiere am 9. November 2013

Dicht und schlüssig 

Während Benjamin Brittens Zeit in Amerika ab 1939 festigte sich einerseits die Partnerschaft mit dem jungen Tenor Peter Pears, andererseits errang er mit seinen Kompositionen neben vielen Erfolgen aber gerade mit seinem ersten Bühnenwerk, der Schuloperette „Paul Bunyan“ (1941), auch Fehlschläge. Nach kompositorischen Krisenzeiten und Depressionen fand er zu einem Stoff, der ihn zu seinem ersten Meisterwerk inspirierte, Gedichte von George Crabbe, der aus derselben Gegend stammte wie er. Im Gegensatz zu der im Crabbe-Text stärker herausgestellten kriminellen Energie des Peter Grimes, wird in dem Libretto von Montagu Slater vorwiegend auf dessen Außenseiterstellung verwiesen, der selber nie Liebe erfahren hat und sie daher auch nicht weitergeben kann. Hier steht Peter Grimes zwischen dem übermächtigen, bedrohlichen Meer, aus dem er seinen Lebensunterhalt zieht, und der Kleinstadt mit ihren Ritualen der Zugehörigkeit und gnadenloser Ausgrenzung alles Fremden, schließlich zwischen den aus der Ferne tönenden Rufen der Dorfbewohner und dem einsamen Nebelhornklang in einem desolaten Universum. Die Uraufführung dieser Fischeroper an der Küste Suffolks fand am 7. Juni 1945 in London statt.

Durch seine schlichte, raue Lebensweise wird Peter Grimes nach dem Tod seines ersten Schiffsjungen zum leichten Opfer der Verleumdung und Lügen der Dorfbewohner. Obwohl im Prolog der Richter ihn davon freispricht und einen Unfall anerkennt, will die Menge das nicht wahrhaben; es brodelt weiter im Dorf. Außer dem alten Kapitän Balstrode und dem Apotheker Keene will keiner Grimes helfen, als er mit schwerem Fang heimkommt. Keene verhilft ihm sogar zu einem neuen Schiffsjungen. Und dann gibt es da die verwitwete Lehrerin Ellen Orford, mit der sich Grimes eine Zukunft vorstellen kann, aber erst wenn er genug mit seinem Fang verdient hat, um durch Reichtum die lügnerischen Stimmen des Volkes verstummen zu lassen. Diese Zuversicht treibt ihn zunächst voran, bis er durch ein weiteres echtes Unglück auch den zweiten Jungen verliert: Gerade als sich eine Abordnung der Dorfbewohner Grimes‘ Haus nähert, schickt er ihn über die Klippen zum Strand; auf dem Weg herunter zum Boot stürzt der Junge tödlich ab. Grimes, der schon nach dem Tod des ersten Jungen Wahnvorstellungen hatte, verfällt nun noch mehr dem Wahnsinn und folgt schließlich dem Rat von Balstrode und Ellen, aufs Meer zu fahren und das Boot weit draußen zu versenken, um so dem ihn nun schon heftig suchenden Mob zu entgehen, der ihn lynchen will.

Albrecht Pöhl/Hans-Jürgen Schöpflin

Regisseur Frank Van Laecke gelingt mit Hilfe seines Ausstatters Philippe Miesch eine dichte schlüssige Inszenierung dieses Stoffes mit eindringlichen Bildern. Leicht verschiebbare Zwischenwände, die den jeweiligen Handlungsort vom Gerichtssaal über den freien Platz am Hafen mit weitem Meerblick bis zum Pub großzügig wirken lassen, geben Raum für die vielen Akteure. Spezielle Requisiten sind hier Stühle: Die Dorfbewohner bringen sich ihre Stühle jeweils selbst mit und ordnen sich locker zu Zuhörern oder Pub-Gästen. Ca. 50 Sängerinnen und Sänger (Opernchor und Jugendchor des TfN) tummeln sich so neben 12 Solisten auf der kleinen Bühne und schaffen von Beginn an eine Spannung von „Hat er nun oder hat er nicht …“, die durch das ganze Stück anhält. Sehr geschickt wurden auch die Zwischenspiele inszeniert, ohne den Faden abreißen zu lassen. Es wurde in einer neuen deutschen Übersetzung des Hildesheimer GMD Werner Seitzer weitgehend verständlich gesungen.

Isabel Bringmann/Hans-Jürgen Schöpflin

Leif Klinkhardt war der musikalische Leiter des Abends, der das aufmerksame Orchester zu differenziertem Musizieren antrieb, den aufpeitschenden Sturm und die Hetzchöre engagiert darzubieten, aber auch die leiseren Phasen in den wenigen Momenten echter Gefühle auszukosten. In der Titelrolle erlebte man eine ausgefeilte Darstellung von Hans-Jürgen Schöpflin, der seinen kräftigen Tenor als raubeiniger, brutaler Fischer entsprechend einsetzte, aber auch mit weich strahlenden Tönen aufwartete, wenn er von seinen Träumen sprach oder in dem kurzen Moment, wenn er den Jungen fast zärtlich ansang. Immer wieder folgten kurze Momente der Hilflosigkeit, wenn er zu erkennen schien, dass er z.B. Ellen zu hart angefasst hatte. Diese wurde von Isabell Bringmann ausgezeichnet gespielt, anrührend in ihrer Fürsorge um den Jungen und ebenso stets zaghaft um die Liebe Peters bemüht, den sie auch bei grober Zurückweisung nicht hilflos sich selbst überlassen wollte. Sängerisch konnte sie die unterschiedlichen Facetten mit sauberem, klarem Sopran ausdrücken; schwierige Tonsprünge in den Linien meisterte sie gekonnt. Leider war gerade bei ihr das Orchester, insbesondere die Bläser, manchmal zu laut. Albrecht Pöhl machte als Kapitän Balstrode gute Figur, der sich als einziger in dem kleinen Ort immer Respekt zu verschaffen wusste. Mit seinem durch alle Lagen gut durchgebildeten Bariton mit abgerundeter Höhe verstand er, sich stets Gehör zu verschaffen.

Die übrigen vielen Rollen waren typgerecht und solide besetzt: Da waren Christina Baader, Regine Sturm und Stephanie Lönne (Tantjen und Nichten), die sich gelungen mit Ellen zu einem Quartett in bester Richard-Strauss-Manier vereinten. Jan Kristof Schliep (Bob Boles), Uwe Tobias Hieronimi (Swallow), Konstantinos Klironomos (Pastor Adams), Peter Frank (Ned Keene), Piet Bruninx (Jim Hobson) und last not least Shauna Elkin-Held (Mrs. Sedley) als überall Mord und Totschlag witternde Miss Marple des Ortes boten eine rundum zufriedenstellende Ensembleleistung. Die Chöre (Achim Falkenhausen) entwickelten durch die vielen jungen Stimmen einen besonders frischen, auch teilweise geifernden Klang bei Klatsch, Lästerei und aufrührerischer Verfolgung. Das Premierenpublikum war begeistert. Zwei vereinzelte, völlig überflüssige Buh-Rufer wurden sofort übertönt.

Marion Eckels 13.11.2013                                         Fotos: Andreas Hartmann

Weitere Vorstellungen: 22.11. + 21.12.2013

 

 

 

FALSTAFF

Besuchte Vorstellung am 24. September 2013       (Premiere am 22. 09. 2013)

Munterer Spaß

Verdis spätes Meisterwerk kann man jetzt in einer wirbeligen Inszenierung des TfN (Theater für Niedersachsen) in Hildesheim, Hannover und anderen Spielorten in der Region erleben. Regisseur Ansgar Weigner hatte eine Fülle von putzigen Ideen und ironisierte die flotten Intrigen der Windsor-Weiber mit Slapstick-Einlagen. Man hatte sich für die deutsche Übersetzung von Hans Swarowsky entschieden, sodass die Späßchen des Stücks besser als im allerdings einfacher singbaren Original zu verstehen waren. Für das gut zu bespielende Einheitsbühnenbild in offenem Fachwerk und die typgerechte, biedermeierliche Kostümierung war Eckhard Reschat verantwortlich. Der erfahrene Hildesheimer GMD Werner Seitzer sorgte am Pult des aufmerksamen Orchesters dafür, dass auch bei den komplizierten Ensembles alles zusammen blieb und dass die geniale Partitur mehr als nur angemessen erklang. Mit viel Spielfreude waren Sängerinnen, Sänger sowie der sichere Chor (Achim Falkenhausen) bei der Sache.

In der Paraderolle des Falstaff  trat Levente György auf, dessen reichlich eindimensional wirkender Bassbariton zwar sehr textverständlich war, aber in den vielen Höhen Schwächen aufwies. Mit tragfähigem Sopran und die anderen im Intrigenspiel antreibend überzeugte Maribeth Diggle als Alice Ford, unterstützt von der altjüngferlichen Meg Page, die die junge Neele Kramer mit charaktervollem Mezzosopran gab. Einmal nicht als Matrone war Mrs. Quickly zu erleben, sondern Christina Baader verlieh ihr mit ihrem abgerundeten, in der Tiefe satten Mezzo und munterem Spiel eine ganze Menge Attraktivität. Nanetta als kurzsichtiges Dummchen war Regine Sturm , deren klarer Sopran die Ensembles überstrahlte.

Ihr geliebter Fenton war mit feinem, aber kleinem Tenor Konstantinos Klironomos. Albrecht Pöhl überraschte durch temperamentvolle Gestaltung und ausgesprochen differenzierende Führung seines farbenreichen Baritons als eifersüchtiger Ford.

Levente György/Albrecht Pöhl

In den kleineren Partien fügten sich passend Hans-Jürgen Schöpflin als ältlicher Dr. Cajus sowie die witzig chargierenden Bardolph und Pistol von Jan Kristof Schliep und Nicolas Kröger ein.

Gerhard Eckels                                              Bilder: Andreas Hartmann

 

 

 

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