Lisztfestival Raiding – Malin Hartelius, Edgar Unterkirchner, Eduard Kutrowatz
24. März 2017
Lieder, Arien, Songs – I dreamed a dream
Es war eines dieser Konzerte, die man mit einem glückseligeln Lächeln verlässt und sich denkt „alles ist gut“! Der holzdominierte puristische Konzertsaal in der burgenländischen Liszt-Gemeinde Raiding passte perfekt zu einem höchst eigenwillig zusammengestellten Programm der Sopranistin Malin Hartelius. „Hausherr“ Eduard Kutrowatz, der die einst im Ensemble der Wiener Staatsoper engagiert gewesene bildhübsche Schwedin am Steinway-Flügel begleitete, erläuterte eingangs die Entstehungsgeschichte des Programmes, das unter dem Motto „I dreamed a dream“ stand – er und Hartelius sowie der Saxofonist Edgar Unterkirchner fanden in Salzburg bei einem Benefizkonzert zusammen, das fertige hochinteressante Produkt wurde beim dritten Konzert des heurigen Lisztfestivals von einem beinahe ausverkauften Haus lautstark bejubelt.
Dabei hatten die Besucher fast zwei Stunden lang eher nur sanfte und verinnerlichte Musik zu hören bekommen, in der heutigen Zeit nicht unbedingt ein Garant für plakativen Erfolg. Im ersten Block bewies Hartelius mit sechs Schubert-Liedern, wie fein und wortdeutlich diese Kleinode gesungen werden können. Der silbrig-schimmernde und eng geführte Sopran zeigte trotz einer schon länger andauernden Karriere keine Abnützungserscheinungen, Kutrowatz begleitete sie außerdem mit Stil und Anmut. Das 1814 entstandene „Gretchen am Spinnrade“ ragte dabei als absoluter Höhepunkt heraus.
Nicht ganz so gelungen wirkten die folgenden „Liszt-Reflections“ - eine Uraufführung, die von Unterkirchner (am Altsaxofon) und Kutrowatz extra für Raiding zusammengestellt wurde. Mit drei Liszt-Liedern (von denen die „Lorelei“ besonders hervorgehoben werden muss, da Hartelius mit der eindringlichen Interpretation der Schlusszeile „Das hat mit ihrem Singen die Lorelei getan“ ein Ausrufezeichen setzte) ging es dann in die Pause.
So richtig zum Motto des Abends passend folgte eine Wiegenlied-Trilogie (Brahms, Schubert und Reger), die bruchlos in ein wunderschönes schwedisches Volkslied überging – vom Altsaxofon mit jazzigen Einwürfen begleitet, stilistisch Jan Garbarek angenähert.
Die vom schwedischen König mit dem Orden für Wissenschaft und Kunst ausgezeichnete Sopranistin Hartelius holte mit „O mio babbino caro“ und dem Ave Maria aus Verdis „Othello“ die große Opernbühne ins tiefe Burgenland. Bei den beiden letzten Stücken des Programmes merkte man deutlich, dass Hartelius vor ihrer Opernkarriere eigentlich Pop-Sängerin werden wollte und das Gesangsstudium nur begann, um sich ihre Stimme nicht zu ruinieren.
Denn nur wenige klassische Sänger können Nummern wie „I dreamed a dream“ aus „Les miserables“ oder Gershwins „Summertime“ so jazzig phrasierend interpretieren wie sie. Unterkirchner griff da auch noch zum Tenor-Sax und man spürte, dass Crossover allen Vorurteilen zum Trotz durchaus Interessantes entstehen lässt. Mit den Zugaben „You are the promised kiss of springtime“ und „Can’t help lovin dat man“ wurden die Zuseher in die burgenländische und pannonische Weite entlassen und selten fühlte sich eine Heimfahrt so endorphin-durchflutet an wie diesmal. Kleiner Tipp zum Schluss: Das Konzert wird am 2. Mai um 10.05 im österreichischen Radiosender Ö1 ausgestrahlt.
Bilder (c) Foto Donauer, Ferry Bielsen, Clausdia Prieler
Ernst Kopica 25.3.2017
ORPHEUS UND EURYDIKE
GLUCK in der schwülstig-romantischen Fassung von FRANZ LISZT
mit der überragenden ELISABETH KULMAN
14.Juni 2014 beim LISZT-FESTIVAL RAIDING
Franz Liszt wurde 1811 im kleinen Dorf Raiding/Doborján geboren. Der Ort gehörte damals zu Ungarn. Mit Ende des Ersten Weltkriegs wurde nach zähen Verhandlungen Deutsch-Westungarn Österreich zugesprochen, aber es dauerte noch bis 1921, bis das österreichische Bundesland Burgenland entstand. Und in diesem Bundesland liegt der heutige Festspielort Raiding; auf der Homepage des Festivals ist zu lesen:
„Unter dem Motto „Liszten in Raiding“ startete am 15. Oktober 2006 eines der wohl aufregendsten Kulturprojekte: Direkt neben dem Geburtshaus von Franz Liszt erfolgte im Rahmen des Liszt Festival Raiding 2006 die Eröffnung eines neuen Konzerthauses, das als Zentrum der internationalen Franz Liszt-Pflege und als Ausgangspunkt für eines der führenden Festivals auf dem Gebiet der klassischen Musik etabliert wurde, welches Franz Liszt und dem Virtuosentum gewidmet ist. Den Festivalbesuchern soll hier die Möglichkeit geboten werden, die Musik von Franz Liszt u.a. Komponisten mit den besten Interpreten der Welt am Geburtsort dieses großartigen Künstlers zu erleben. Der neue Konzertsaal des Franz Liszt Konzerthauses fasst ca. 600 Sitzplätze, wobei das Klavier-, Vokal- und Orchesterwerk von Franz Liszt in den Mittelpunkt der Programmatik gestellt wird. Die Architektur stammt vom niederländischen Atelier Kempe Thill, das bei einem internationalen Architektenwettbewerb aus 150 Teilnehmern ausgewählt wurde. Die akustische Beratung wurde vom europäischen „Akustikpapst“ Prof. Karlheinz Müller aus München übernommen. Das Festival ist mit Auftritten internationaler Stars sowie der Pianisten-Elite ein Zentrum des Virtuosentums und somit Bühne für die besten Musiker im internationalen Konzertbetrieb.“ Fotos des Liszt-Hauses und des Konzertsaales finden sich hier .
Seit 2009 leiten die Pianistenbrüder Eduard und Johannes Kutrowatz das Festival und sorgen stets für interessante Programmzusammenstellungen mit internationalen Künstlerpersönlichkeiten. In diesem Jahr wird aus Anlass des 300.Geburtstags von Christoph Willibald Gluck dessen „Orpheus und Eurydike“ aufgeführt – und zwar in jener (deutschen) Fassung, die Franz Liszt für Weimar geschaffen hatte. Und so soll erstmals für den „Opernfreund“ aus Raiding berichtet werden.
Der Dirigent der Aufführung ist Martin Haselböck, der mit seiner Orchester Wiener Akademie in Raiding die Aufführung sämtlicher Orchesterwerke von Liszt auf Originalinstrumenten sowie deren Gesamteinspielung auf CD voraussichtlich heuer im Oktober abschließen wird. Zu der Liszt-Fassung des Gluckschen Orfeo sagt er im lesenswerten Interview im Festivalmagazin : „Anfang und Schluss sind nicht Gluck, sondern purer Liszt“. Auch zur Frage der benutzten Origalinstrument aus der Liszt-Zeit gibt es in diesem Interview interessante Informationen
Martin Haselböck betritt das Podium und entschuldigt in seinen einführenden Worten ein Versäumnis in den Ankündigungen und im Programmheft: selbstverständlich gibt es auch in der Liszt-Version einen Chor – diesen Part hat der Wiener „Chorus sine nomine“ übernommen. Wer ihn allerdings für diesen Abend einstudiert hat, wird nicht gesagt – ich gehe davon, es wird wohl sein ständiger Leiter Hiemetsberger gewesen sein. Aber bevor der (im Gegensatz zum Orchester klein besetzte) Chor auf der Empore oberhalb des Konzertpodiums erscheint, erklingt das eigens für die Weimarer Aufführungsserie im Jahre 1854 von Franz Liszt komponierte „Orchester-Vorspiel“ – ein etwa langatmiges und pompöses Stück mit großen Harfen-, Geigen- und Violoncellosoli. Diese Musik hat sich in den Weimarer Archiven erhalten und ist wohl seit 1854 nie mehr aufgeführt worden. Dem Liszt-begeisterten Martin Haselböck ist es zu danken, dass sie nun erstmals wieder hervorgeholt wurde und man erleben kann, wie sich Liszt in romantischem Überschwang dem Orpheus-Mythos annäherte – dick besetzt mit vier Kontrabässen, vier Hörnern, Trompeten, Posaunen und großem Paukenwirbel. Ich meine allerdings, dass dieses Stück (zu Recht) wieder in der Vergessenheit verschwinden wird – für unser heutiges Empfinden wohl kein geeigneter Einstieg in die klare Musikwelt des Christoph Willibald Gluck. Auch die orchestrale Begleitung der Chorsätze wurde von Liszt bearbeitet und verstärkt – dadurch hatte der an sich sehr klar und durchsichtig artikulierende Chor an den Fortestellen durchaus Probleme, sich gegen das Orchester durchzusetzen. Aber all diese Einwände sind vergessen, sobald die ans Herz greifenden Eurydike-Rufe von Elisabeth Kulman erklingen - zuerst hinter der Bühne, dann tritt die Kulman in rotem Hosenanzug auf – in großem Ernst, ganz die überzeugende Verkörperung des thrakischen Sängers (und so ganz ohne jegliche divenhafte Eitelkeit!)
Und ab diesem Zeitpunkt ist man gebannt: die Liszt’sche Instrumentation tritt in den Hintergrund. Elisabeth Kulman überzeugt mit ihrer prachtvollem Mezzostimme einfach restlos, jede Phrase – ob im Rezitativ oder in den Arien, ob in lyrischen Pianopassagen oder in dramatischen Ausbrüchen – ist perfekt und plastisch durchgestaltet. Es gibt kein Forcieren, es gibt kein falsches Sentiment – da sitzt jede kleine Bewegung, jeder Blick. Die Stimme strömt ungemein ausgeglichen in allen Lagen – dazu kommt eine exzellente, nie manirierte Wortdeutlichkeit. Und selbst wenn sie nichts zu singen hat, sondern nur konzentriert auf ihrem Stuhl sitzt, ist sie der unbestrittene Mittelpunkt des Geschehens – sie garantiert durch ihre Intensität, dass man auch in einer konzertanten Aufführung großes Musiktheater erlebt. Kulman sang den Orfeo/Orpheus bereits in zwei ganz unterschiedlichen Interpretationsansätzen: 2005 und 2008 an der Opéra National de Paris unter Thomas Hengelbrock und 2010 bei den Salzburger Festspielen unter Ricardo Muti. Vergleiche sind unnötig, ja sinnlos – an diesem Abend in Raiding w a r Kulman Orpheus – nur das zählt.
Neben ihr hatte es der Amor von Christina Stegmaier schwer – aber nach einem etwas verwaschenen Rezitativ zeigte sie in den lyrischen Phrasen dann doch schöne Ansätze. Sehr klug und durchaus bildhaft war im dritten Aufzug der Auftritt Eurydikes gelöst. Sie stand zentral auf der Empore oberhalb des Konzertpodiums – gleichsam unerreichbar für Orpheus. Eva Liebau war eine ausgezeichnete Besetzung – sie artikulierte äußerst wortdeutlich und plastisch und war Elisabeth Kulman eine gleichwertige Partnerin – ein größeres Kompliment kann man kaum machen. Den beiden gelang auch ihr Duett sehr schön und ausgewogen, obwohl sie so weit von einander getrennt standen. Nach dem Tode von Eurydike erlebte dann das geradezu atemlos lauschende Publikum wohl den absoluten Höhepunkt des Abends: wie Elisabeth Kulman die „Ach ich habe sie verloren“-Arie und die verzweifelten Rezitative gestaltete, das war unüberbietbar.
Da störte auch nicht die darauf folgende pathetische Schlussmusik. Franz Liszt wollte nämlich kein lieto fine, sondern er wollte das Stück tragisch enden lassen – und so komponierte er eigene Schlussmusik, von der ich überzeugt bin, dass es zwar aus historischen Gründen interessant ist, sie einmal gehört zu haben, dass sie aber ebenso wie Vorspiel und die gesamte Liszt’sche Orchesterbearbeitung wohl kaum wieder aufgeführt werden wird. Die gesamte Aufführung wurde offenbar mitgeschnitten – ob dieser Mitschnitt trotz der herausragenden Elisabeth Kulman und der sehr guten Eva Liebau eine CD-Veröffentlichung rechtfertigt, bezweifle ich: im Orchester gab es leider doch allzu viele Ungenauigkeiten und ein zu wenig differenziertes Klangbild.
Am spendete das Publikum reichen Beifall.
Hermann Becke, 15.Juni 2014
Aufführungsfotos: Wiener Akademie, © Jeffrey T. Skrob, Schweiz
Hinweise:
Leider findet sich im Programmheft kein Hinweis auf die beiden brandneuen CDs von Elisabeth Kulman – das sei hier nachgeholt:
- Da ist zunächst die CD „Wer wagt mich zu höhnen“ in Zusammenarbeit mit dem Ensemble Amarcord Wien – unbedingt anhören!
- Und dann die CD frauen.leben.liebe mit dem Raiding-Intendanten Eduard Kutrowatz am Flügel –dazu ein TV-Bericht vom Vortag der Orpheus-Premiere und ein CD-Ausschnitt
Auch auf die CD-Aufnahmen der Liszt-Orchesterwerke mit dem Orchester Wiener Akademie unter Martin Haselböck sei ausdrücklich hingewiesen.
Und zuletzt sei unbedingt ein Besuch des Geburtshauses von Franz Liszt empfohlen – das lässt sich zusätzlich ideal mit der Verkostung prächtiger Rotweine im Blaufränkischland verbinden…..!