DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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LA FAVORITA                              

Aufführung am 18.2.22 (Premiere)

 

Der Regisseur Andrea Cigni war bisher in Italiens gehobener Provinz als verlässlicher Handwerker, dem auch gute Einfälle nicht fehlten, bekannt. Und nun das! Donizettis Belcantodrama spielte sich in einem – Anatomiehörsaal ab. Die bemitleidenswerten Sänger wurden wie für eine Autopsie auf einer Liege hereingeschoben; zum Glück schreckte Cigni davor zurück, sie nackt zu zeigen und hatte sie in weiße Tücher gehüllt. Der die Studenten verkörpernde Chor (nicht ganz so sattelfest wie gewohnt) zeigte je nach Szene in einzeln auf Zettel geschriebenen Wörtern wie „Pflicht“, „Liebe“, „Ablehnung“ und Ähnlichem seinen Kommentar. In großen, jeweils mit dem Rollennamen beschrifteten Glaskästen wurden die Kostüme hereingeholt und die Sänger mit Fortschreiten der Handlung damit bekleidet. Der Hörsaal wurde einige Male so verschoben, dass sich eine graue Wand zeigte, vor der sich das Geschehen abspielte. (An die von Alfonso besungenen, prachtvollen Gärten des Alcazar darf man da freilich nicht denken...).

 

 

Unter der Voraussetzung, dass eine Regie nicht viel wert ist, wenn man zuvor die Erläuterungen des Regisseurs lesen muss, habe ich mir diese erst nachher angesehen und erfahren, dass die Gefühle der handelnden Personen gleichsam seziert werden sollten und ihnen die Kostüme angelegt wurden, um zu zeigen, in welche Rollen sie gepresst waren und damit ihre Emotionen unterdrücken mussten. Warum sich Cigni plötzlich kopflastigem Regietheater verpflichtet sah, bleibt sein Geheimnis. Für den Zuschauer blieb nur die Feststellung, dass die Szene (Dario Gessati) langweilig und hässlich war und wieder einmal ein Konzept über eine schon im Ursprung konfuse Handlung gestülpt wurde, ohne dass szenisch mit den Sängern gearbeitet worden wäre. So ergab sich schlimmstes Stehtheater, verschärft durch das An- und Ablegen der Kostüme auch während Nummern, auf welche sich Sänger wie Zuschauer gerne störungsfrei konzentriert hätten.

Gegeben wurde die italienische Fassung, die trotz der Absurdität des Librettos das Werk im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts populär gemacht hat. Seit der Wiederauffindung des französischen Originals von 1840 wird meist der dramaturgisch sinnvolleren französischen Version der Vorzug gegeben.

Auf Grund schwerwiegender Eingriffe von Vertretern sowohl des Vatikans als auch des Hofs war 1860 ein vor Unlogik strotzender Text zusammengestellt worden, in dem der Mönch Baldassare nicht nur der spirituelle, sondern aus einem früheren Leben auch der leibliche Vater Fernandos ist. Zudem hat er eine Tochter (also Fernandos Schwester), welche die Gattin von König Alfonso XI. ist, wovon Fernando offensichtlich keine Ahnung hat. So wurde u.a. vermieden, dass auf der Bühne eine päpstliche Bulle zerrissen wird... Ein Sujet, das mehr als jedes andere eine zumindest für das Auge erfreuliche Umsetzung gebraucht hätte.

Wie so oft in solchen Fällen übertraf die musikalische Umsetzung trotz kleinerer Abstriche bei weitem den von der Bühne kommenden Eindruck. Das Orchestra Filarmonica Italiana zeigte, wie sehr ein Klangkörper der Mittelklasse an einem Dirigenten wachsen kann, dessen guter Draht zu den Musikern durch deren Vertrauen belohnt wird. Matteo Beltrami fand schon ab den ersten Takten der mit spontanem Applaus bedankten Ouvertüre die ideale Balance zwischen dramatischen und lyrischen Momenten und ließ die ganze Bandbreite der Farben von der hitzigen Verfluchung des Königs durch Baldassare bis zum fast entrückten Schlussduett der Liebenden auffächern. Dass dabei die Aufmerksamkeit für die Solisten und ihre Bedürfnisse nie zu kurz kam, versteht sich bei diesem Maestro von selbst.

 

 

Anna Maria Chiuri als Favoritin Leonora ist zwar keine Belcantospezialistin und hatte mit manch höherem Ton dieser nach ihrer ersten Interpretin benannten Falcon-Rolle ihre Schwierigkeiten, aber die stabile Mittellage und vor allem die Expressivität der Rezitative und insgesamt die Intensität machten ihre Interpretation zu einer überzeugenden. In der mit sovracuti gespickten Rolle des Fernando gefiel Celso Albelo mit sicheren Höhen seines angenehm timbrierten Tenors, der allerdings mehrfach nasal klang. Er hätte für seine Auftritte einen richtigen Regisseur gebraucht, wie auch Simone Piazzola, der dem König seinen schönen Bariton, der weiter an Volumen zugelegt zu haben scheint, lieh, aber mit hängenden Schultern und schlurfendem Gang seinem Rang nicht gerecht wurde. Da wäre auch Tommaso Lagattolla gefordert gewesen, der die – mit Ausnahme des absurden Kopfputzes der Damen – an sich hübschen Kostüme entworfen hatte. Einen ausgezeichneten Eindruck hinterließ der Koreaner Simon Lim mit donnerndem Bass als strenger Baldassare. Um ihn endgültig zu beurteilen würde ich ihn gerne in einer Rolle hören, wo auch Weichheit gefragt ist. Vorzüglich war Renata Campanella als Ines mit klarem, leichtem Sopran, und auch Andrea Galli (Tenor) ist für seine überzeugende Gestaltung des heimtückischen Don Gasparo zu loben.

Viel mit Bravos gemischter Beifall des praktisch vollen Hauses für die Sänger und den Dirigenten und ein gerechter, unerwartet heftiger Buhorkan beim Erscheinen des Regisseurs und seines Teams.

 

 

Am 25.2. sah ich mir diese Koproduktion mit Parma im dortigen Teatro Regio nochmals an, um die Publikumsreaktion an anderem Ort zu testen. Da sich der Regisseur und sein Team nicht zeigten, kam es nach Ende der Vorstellung zu keinen Missfallenskundgebungen. Das Orchester wurde von Matteo Beltrami neuerlich zu einer sehr guten Leistung angespornt und spielte wieder mit viel Animo. Celso Albelo klang weniger nasal als in der Woche zuvor und gefiel nicht nur mit mühelosen Spitzentönen, sondern auch mit großer Textdeutlichkeit. Simone Piazzola hatte mit seinem unbequemen Kostüm zu kämpfen, sang sich dann aber frei und war ein stimmlich würdiger König Alfons XI. Sein sehr gutes Niveau hielt Simon Lim (Baldassare), was auch für Renata Campanella und Andrea Galli in den kleineren Rollen gilt. Anna Maria Chiuri konzentrierte sich in der Titelrolle auf Expressivität, denn stimmlich hatte sie zu kämpfen und schaffte das Finale gerade noch. Das Publikum war großzügig genug, auch sie zusammen mit den Kollegen und dem Dirigenten zu feiern.

Begonnen hatte der Abend angesichts der Lage in der Ukraine mit einem Aufruf zum Frieden.

                                                                                                                                Eva Pleus 27.2.22

Bilder: Foto Cravedi

 

 

AROLDO

Premiere am 21.01.22

 

Als Giuseppe Verdis 15. Werk, das zwischen der Entstehung von „Luisa Miller“ und „Rigoletto“ liegt, wurde „Stiffelio“ 1850 in Triest uraufgeführt. Das zeitgenössische Thema vom Pastor, der seiner Gattin schlussendlich ihren Ehebruch vergibt, stieß beim damaligen Publikum nicht auf viel Gegenliebe und verschwand bald vom Spielplan.

 

Als die Leitung des neu errichteten Nuovo Teatro (später Teatro Vittorio Emanuele II) in Rimini 1856 an Verdi mit der Bitte um ein Werk für die Eröffnung des Hauses herantrat, nahm sich der Meister neuerlich „Stiffelio“ vor und beauftragte seinen Textdichter Francesco Maria Piave mit der Änderung des Librettos, um der Prüderie seiner Zeitgenossen zu entgehen. So wurde aus dem Pastor ein irischer Kreuzritter und die Handlung ins 12. Jahrhundert verlegt. Ziemlich phantasielos wurde aus der Ehebrecherin Lina eine Mina, Vater Stankar hieß nun Egberto und was der Äußerlichkeiten mehr sind. Der Text wurde nur in Anpassung an das neue Ambiente variiert. Da es nun keine Vergebung von der Kanzel aus mehr geben konnte, entstand ein vierter Akt, der zeigt, wie sich Aroldo mit seinem Gefährten Briano in ein Dasein als Eremiten zurückgezogen hat. Hier taucht die verstoßene Mina mit ihrem Vater auf; die beiden waren nur knapp einem Schiffbruch entgangen. Der zu Hilfe gerufene Aroldo erkennt seine Frau, will zunächst nichts von Vergebung wissen, verzeiht aber schließlich, als sich Mina wieder auf den Weg machen will und nur hofft, noch vor ihrem Tod diese Verzeihung zu erlangen. In der dramaturgischen Wirkung natürlich kein Vergleich mit der Absolution von der Kanzel aus, aber dafür kommt der Hörer in den Genuss der Musik eines weiter gereiften Verdi (in der Zwischenzeit waren noch „Trovatore“, „Traviata“, „Vêpres siciliennes“ und „Simon Boccanegra“ entstanden).

 

Vor allem der Gewitterchor, während der Nachen Minas und ihres Vaters fast kentert, verweist schon stark auf den Eingangschor in „Otello“. In den vorhergehenden drei Akten, wo vieles musikalisch unverändert bleibt, beeindrucken neu vor allem das große Ensemble am Schluss des 1. Aktes und Minas große Arie, wie die ganze Rolle dramatischer ausfällt als die ihrer Vorgängerin. Jedenfalls kam es 1857 zur Uraufführung in Rimini, und es scheint, dass der Enthusiasmus des Publikums mehr durch Verdis persönliche Anwesenheit als durch das Werk hervorgerufen wurde. 

Das Opernhaus wurde 1943 im Bombenhagel zerstört, aber erst 2018 war seine Wiedererrichtung beendet; es trägt nun den Namen von Amintore Galli (1845-1919), einem Musikjournalisten und Komponisten aus Rimini. Nach verschiedenen Konzerten erfolgte die eigentliche Eröffnung im August 2021 mit „Aroldo“, womit sich der Kreis zur allerersten Eröffnung schließt. Da es sich um eine Koproduktion handelt, ging „Aroldo“ nach Rimini auch nach Ravenna und war nun in Piacenza zu sehen (dann folgt noch Modena).

 

Der bekannte Musikwissenschaftler Emilio Sala erarbeitete mit Edoardo Sanchi, seines Zeichens Bühnenbildner, aber nicht bei dieser Produktion, eine Dramaturgie, die - ausgehend von der Zerstörung des Theaters in Rimini - die Handlung in die Zeiten des Faschismus verlegt. Das beginnt mit einer nicht weiter bezeichneten weiblichen Greisenstimme aus dem Off, die die damaligen Zeiten heraufbeschwört. Videos und Projektionen (Matteo Castiglioni) zeigen Bombenangriffe, Truppen, Flüchtlinge. Die Ausstattung von Giulia Bruschi begnügt sich mit zwei Schreibtischen und ein paar Sesselreihen, während es dem Licht von Nevio Cavina vorbehalten bleibt, Atmosphäre zu schaffen, was gut gelingt. Für die Kostüme waren Raffaella Giraldi und Elisa Serpilli aufgeboten, obwohl es in erster Linie um historische faschistische Uniformen ging. Für Mina gab es ein elegantes Abendkleid, ein Nachtgewand und für den letzten Akt einen Trenchcoat.

 

Auch der Text wurde dieser Dramaturgie angepasst. So wurde in „Sotto il sole di Siria“ Siria zu „Abessinia“ (Anspielung auf den gegen jedes Völkerrecht angezettelten Krieg Italiens gegen Äthiopien 1935/36) oder ein Krieger wurde mit „Camerata“ angesprochen. Von einer eigentlichen Regie war nichts zu sehen, die (mit Ausnahme des Soprans) schauspielerisch unbegabten Sänger standen stocksteif herum, während die Projektionen nur von der Musik ablenkten.

Von den stimmlichen Leistungen ist hingegen viel Gutes zu berichten. So ließ Luciano Ganci in der Titelrolle mit seinem authentischen Tenormaterial und prachtvollem squillo seinen mangelnden schauspielerischen Einsatz gerne vergessen. Die Rolle mit ihren vielen dramatischen Ausbrüchen liegt ihm sehr. Roberta Mantegna war eine furchtlos die exponierten Höhen meisternde Mina mit einem Funken Metall in der Stimme, der gut zu ihrer auch szenisch überzeugenden Interpretation passte. Ihr Vater war bei Vladimir Stoyanov in etwas farblosen, aber sicheren Händen; der Bariton sang seine Arie, wenn Egberto an Selbstmord denkt, sehr anrührend. Der Bass Adriano Gramigni (Briano) scheint über umfangreiches Material zu verfügen, das aber der technischen Verbesserung harrt. Interessant klang der junge Tenor Riccardo Rados in der nicht sehr umfangreichen Rolle des Verführers Godvino. Der zunächst in einigen bühnennahen Logen, dann auch auf der Bühne selbst zu hörende (maskierte) Chor des Hauses unter Corrado Casati machte seine Sache gut, und das 2004 von Riccardo Muti gegründete Orchestra Giovanile Luigi Cherubini folgte aufmerksam der präzisen, aber nicht sehr inspirierten Leitung von Manlio Benzi.

Das Publikum im vielleicht zu einem Drittel gefüllten Haus dankte den Künstlern mit begeistertem Beifall.

 

Eva Pleus / 27.01.22

 

Bilder: Zani-Casadio

 

 

ERNANI                                          

Aufführung am 17.12. (Premiere)

 

Vom supertechnologischen “Macbeth” der Scala zu einer mit den Häusern in Ferrara und Reggio Emilia koproduzierten Inszenierung, die nach den Worten des Regisseurs Gianmaria Aliverta bewusst, um nicht zu sagen, gewollt, auf eine Gestik der Sänger setzte, wie wir sie aus Opernverfilmungen der Fünfzigerjahre des vorigen Jahrhunderts kennen (O-Ton Aliverta: „Bei jedem Spitzenton des Tenors das Schwert hoch“). Da dieser Regisseur für intelligent innovative Inszenierungen bekannt ist, bleibt nur die Annahme, dass er sich einen alten Herzenswunsch erfüllt hat, den es „abzuhaken“ galt (oder er von Intendantenstelle angesichts des in den genannten Städten besonders konservativen Publikum einen diesbezüglichen Wink erhielt). Wie dem auch sei, Aliverta gelang es, die Sänger zu lebendiger szenischer Gestaltung zu führen, darin auch von den historisierenden Kostümen von Sara Marcucci unterstützt.

 

 

Das von ihm gemeinsam mit Alice Benazzi verantwortete Bühnenbild bestand in erster Linie aus Versatzstücken wie einem Himmelbett, einem Tisch für ein Festmahl oder Blumenschmuck für die Hochzeitsfeierlichkeiten im letzten Akt. Ergänzt wurde es von Videoprojektionen (Luca Attili), und angesichts der pandemischen Lage war der (wieder von Corrado Casati  ausgezeichnet einstudierte) Chor des Hauses hinter transparente Vorhänge verbannt, während Figuranten in der Bewegungsregie von Silvia Giordano dessen Aktionen mimten.

Angesichts schmaler Budgets eine insgesamt passable Lösung, umso mehr, als für die vier anspruchsvollen Hauptrollen ausgezeichnete Sänger aufgeboten waren. Die Titelrolle sang Gregory Kunde: Opernliebhaber wissen, dass es sich bei diesem Künstler um ein Phänomen handelt,hat er doch im nicht mehr jugendlichen Alter stimmlich vom koloraturgewandten Rossinihelden zu einem dramatischer Natur gewechselt.

 

 

Auch als Ernani strahlte sein Tenor ohne Abstriche; angesichts der begeisterten Reaktion des Publikums sei ihm verziehen, dass er manchen Spitzenton über die Geschmacksgrenze hinaus lang anhielt. Francesca Dotto, eine Sängerin, die vor allem mit „Traviata“ bekannt wurde, besitzt einen schön timbrierten und technisch gut geführten Sopran. Dass die (gerade bei Elvira stark geforderte) untere Mittellage nicht immer anspricht, teilt sie mit vielen heutigen Kolleginnen ihrer Stimmlage. Insgesamt aber eine gute Leistung, da sie auch um szenisch überzeugende Umsetzung bemüht war. Nicht allzu stark als Persönlichkeit, aber vokal interessant der Silva des Russen Evgeny Stavinsky, der in seiner Diktion mit gut geführtem Bass der slawischen Schule die Ehre erwies. (Das ist natürlich Geschmackssache, aber ich liebe Boris Christoff und den Akzent, den er im Italienischen für Charaktere wie Filippo, Guardiano oder Ramfis einsetzt). Interessant der Fall von Ernesto Petti, hat der 35-jährige Sänger aus Salerno doch vor weniger als fünf Jahren von einem Schattendasein als Tenor ins Baritonfach gewechselt. Mehr als zufriedenstellender Stimmumfang, aber vor allem ein Timbre, das dem Hörer im Ohr bleibt, zeichnen ihn aus. Hinsichtlich Phrasierung ist noch einiges zu tun (es gab abrupte Übergänge in ein fast geflüstertes Piano, offenbar um zu zeigen, dass er das auch kann), aber bei richtiger Führung hat der Künstler (auch ohne das eingelegte hohe „g“ in seiner Arie) Chancen auf eine schöne Karriere. Unter den Comprimari Federica Giansanti (Giovanna), Raffaele Feo (Don Riccardo) und Alessandro Abis (Jago) fiel letzterer mit angenehmem Bass auf.

 

 

Leider war die musikalische Leitung durch Alvise Casellati nicht auf dem Niveau der Sänger. Rechtsanwalt bis 2011, hat er die Dirigentenkarriere seit kurzem eingeschlagen. Um rechtlichen Konsequenzen zu entgehen erwähne ich die politische Stellung seiner Mutter, der er offenbar seine Verpflichtungen als Dirigent verdankt, nicht. Schade.

Das beifallsfreudige Publikum feierte in erster Linie die Sänger.                     

 

Eva Pleus 29.12.21

Bilder: Gianpaolo Parodi

 

 

 

LE CONVENIENZE ED INCONVENIENZE TEATRALI

Vorstellung am 19.11.21 (Premiere)

 

Der für nicht-italienische Ohren monströs klingende Titel (den man ungefähr mit „Vor- und Nachteile des Bühnenlebens“ übersetzen könnte) wird außerhalb Italiens und vor allem nördlich der Alpen meist als „Mamma Agata“ gegeben. Diese für einen Bassbuffo geschriebene Rolle ist die Hauptfigur, um die in Gaetano Donizettis Satire über das Theaterleben alles kreist. Der Komponist war sein eigener Librettist, als er 1827 eine einaktige farsa herausbrachte und auch 1831, als er nach dem überwältigenden Erfolg in Neapel für Mailand einen zweiten Akt anfügte und das gesamte Werk mit dramma giocoso untertitelte. Schade, dass man sich über die den Personen gegebenen Namen nur beim Lesen des Librettos amüsieren kann (ein Beispiel für alle: Der Komponist heißt Biscroma Strappaviscere, also ungefähr „Zweiunddreißigstelnote Tränendrüsendrücker“).

 

 

Das Thema „Theaterleute machen sich über sich selbst lustig“ war schon immer beliebt. Hier nimmt Donizetti die Primadonna, ihren Mann, den Tenor, den Librettisten und den Impresario mit ihren Launen und nervösen Ausbrüchen aufs Korn. Es ist ein Leichtes, die Situation ins Heute zu verlegen, denn die grundsätzliche Lage der Künstler mit ihren Wünschen ist ja unverändert geblieben. Allerdings wären viele Anspielungen für das heutige Publikum unverständlich oder brächten es zumindest nicht zum Lachen. Deshalb hat der Journalist und Autor Alberto Mattioli die gesprochenen Texte überarbeitet und

von Bartoli bis Netrebko die Namen heutiger Stars der E-Musik eingefügt. Ein Beispiel: Bei der Einstudierung müsse man nicht so schrecklich philologisch vorgehen, schließlich dirigiere ja nicht Riccardo Muti... Im gelungenen Bühnenbild von Danilo Coppola (eine triste Probebühne für den ersten Akt, eine gewollt kitschige Umgebung mit einer großen Muschel à la Botticellis „Geburt der Venus“ für den zweiten) führte Renato Bonajuto spritzig und mit sicherer Hand eine Regie, an der sich alle Mitwirkenden mit sichtlichem Vergnügen und Einsatz beteiligten, ohne in die hier an allen Ecken lauernden Möglichkeiten des Chargierens zu verfallen. Unterstützt wurden sie dabei von den eleganten bis hinreißend komischen Kostümen des Artemio Cabassi.

 

 

Unsagbar komisch Marco Filippo Romano als Mamma Agata, die sich zunächst für ihre von der Primadonna in den Schatten gestellte Tochter Luigia ins Zeug wirft, um schließlich die ganze Sache an sich zu reißen und selbst aufzutreten. Niemals aber verfiel der Künstler in reines Geblödel, sondern schenkte auch dem Gesang die nötige Aufmerksamkeit. Giuliana Gianfaldoni (Corilla) gab den Prototyp der hofierten Diva, zeigte aber mit der Hymne der Corinna aus Rossinis „Viaggio a Reims“ auch stimmliche Qualitäten. (Im zweiten Teil können ernste Stücke ad libitum eingefügt werden). Gar köstlich war auch Matteo Desole, der zunächst einen deutschen Tenor mit Sprachschwierigkeiten und prekärer Intonation mimte und später wunderbar ein schwieriges Barockstück präsentierte. Das gilt auch für den Mezzo Silvia Beltrami, die als Mann verkleidet auftrat, um eine Rolle als - Counter zu erringen. Sie sang später mit samtener Stimme eine weitere Barockarie. Quicklebendig und hellstimmig Paola Leoci als Luigia, affektiert donnernd Nicolò Donini (Procolo, Corillas Ehegespons). Den dirigierenden Komponisten gab Andrea Vincenzo Bonsignore immer am Rande einer ne

rvlichen Krise, den Librettisten (hier der Regisseur) mit entsprechend autoritärem Gehabe Stefano Marchisio. Den hier zum Intendanten mutierten Impresario gab Dario Giorgelè zum Schreien komisch in Maske und Habitus von - Dominique Meyer. Als Theaterinspektor ergänzte Juliusz Loranzi. Beschwingt die Leitung des Orchestra Filarmonica Italiana durch Giovanni Di Stefano und zuverlässig der von Corrado Casati einstudierte Chor des Hauses.Viel Gelächter und gute Stimmung sowie stürmischer Applaus.

 

 

Ein Licht auf die allgemeine Lage der Oper in Italien wirft die Tatsache, dass die Intendant in des Hauses Cristina Ferrari angesichts des schleppenden Kartenverkaufs den Einfall hatte, eine populäre Diva der leichten Musik, die inzwischen 81-jährige Iva Zanicchi, zu einem (übrigens geschmackvoll und unaufdringlichen) Kurzauftritt einzuladen, woraufhin der Kartenverkauf gleich anzog... 

                                                                                                           

Eva Pleus 23.11.21

Bilder: Cravedi / Verile

 

 

 

 

 

 

NORMA               

Vorstellung am 22.10.21 (Premiere)

 

Vincenzo Bellinis Meisterwerk steht nicht allzu oft auf den Spielplänen, weil es nicht nur an und für sich schon hervorragender Stilisten und Belcantisten bedarf, sondern für die Titelrolle einer Sopranistin, die in der Lage ist, auch die menschlichen Dimensionen des Schicksals der Druidenpriesterin auszuloten. In Piacenza hatte man auf Angela Meade gesetzt. Man möchte der korpulenten Amerikanerin wünschen, dass ihre Karriere länger dauern möge als die ihrer Soprankolleginnen Alessandra Marc, Jane Eaglen oder Susan Dunn, deren vom Gewicht überbeanspruchte Körper nach wenigen Jahren kein Auftreten mehr möglich machten. Meade sang die mörderische Partie ohne nennenswerte Anstrengung und überzeugte in den lyrischen Stellen („Oh, rimembranze“) ebenso wie in der furiosen Attacke („In mia man alfin tu sei“). Die ganze menschliche Tragödie der Figur vermochte sie nicht aufzuzeigen, was schon bei der fehlenden Mimik begann. Schade, denn rein gesanglich gab es nichts auszusetzen.

 

 

Für diese machtvolle Stimme mit ihrem verführerischen Timbre hätte man sich einen anderen Tenorpartner gewünscht als Stefano La Colla, der zwar unermüdlich Spitzentöne produzierte, aber im Verismo besser aufgehoben ist als bei Bellini, von dem er stilistisch keine Ahnung hatte. Dazu war er nicht immer intonationssicher. Paola Gardina sang mit leichtem Mozartmezzo eine in der Mittellage angenehme Adalgisa, deren dramatischere hohe Töne aber für den Hörer zur Qual wurden. Dazu spielte sie ein verhärmtes Hascherl, das wohl nie Polliones Aufmerksamkeit hätte erregen können. Der in jeder Hinsicht kompletteste Sänger war wiederum Michele Pertusi, der die nicht sehr umfangreiche Rolle von Normas Vater Oroveso mit seiner markanten Interpretation aufwertete und adelte. Stimmlich und szenisch überzeugend fiel der von Didier Pieri interpretierte Flavio, Freund des Pollione, aus. Als Normas Vertraute Clotilde ergänzte Stefania Ferrari.

 

 

Sesto Quatrini am Pult des Orchestra Filarmonica Italiana ließ mit Verve und Brio aufspielen. Gut hielt sich auch der Chor des Hauses in der Einstudierung von Corrado Casati.

Die Koproduktion mit den Häusern von Modena und Parma war 2016 in St. Gallen entstanden und seither in kleineren französischen Häusern zu sehen gewesen. Regisseur Nicola Berloffa verlegte die Handlung (wieder einmal) ins 19. Jahrhundert und zeigte ein Volk nach einer krachenden Niederlage (der Herrenchor bestand durchwegs aus hinkenden Krüppeln). Dennoch träumen sie von Revanche, aufgestachelt von Oroveso. Diese Lösung enthebt die Ausstatter der Peinlichkeit, einen Stamm von „Wilden“ und deren Ambiente illustrieren zu müssen. So zeigt das Bühnenbild von Andrea Belli einen verfallenden Palast bzw. einen kahlen Innenraum; Valeria Donata Bettella ließ sich für die Herren schmucke Uniformen einfallen, für die Damen nichts sehr Kleidsames im Stil von Hausmütterchen.

 

 

Ansonsten ist dem Regisseur neben ungeschickten Auftritten und Abgängen, bei denen man sich fragte, warum die Protagonisten nicht zusammengestoßen waren, nicht viel eingefallen. Um dem 19. Jahrhundert treu zu bleiben, in dem es in Europa keine Todesstrafe auf dem Scheiterhaufen mehr gab, ließ Berloffa Norma und Pollione schlicht enthaupten.

Im ziemlich gut gefüllten Haus gab es am Schluss viel Applaus für einen eher doch zwiespältigen Abend.

                                                                                                            

Eva Pleus 25.10.21

Bilder: Cravedi / Verile

 

 

GIANNI SCHICCHI

Teatro Municipale 22.1. (Streaming)

 

Es gibt verschiedene Lösungen, die die italienischen Opernhäuser für sich gefunden haben, um Opern per Streaming an das musikhungrige Publikum zu bringen. Manches wird konzertant gebracht, andere bieten echte Bühnenproduktionen.

Zu diesen gehört Piacenza, wo Giacomo Puccinis geistreiche Komödie mit ihrem schwarzenHumor von Renato Bonajuto inszeniert wurde. Vor dem Einsetzen der Musik rezitierte zur Einstimmung der Schauspieler Mino Manni die Verse 1-48 aus dem XXX. Gesang des „Inferno“ von Dantes „Göttlicher Komödie“, die der Dichter (dessen 700. Todestag dieses Jahr begangen wird) dem Erbschleicher und Komödianten gewidmet hat, und die ihn denn auch zur ewigen Höllenpein bestimmen.

Szenisch von Danilo Coppola betreut, sah man den großen, getäfelten Saal eines herrschaftlichen Hause, wo in der Höhe Bilder von Florenz projiziert waren, die am Schluss in die Bildnisse von Dante und Puccini übergingen. In diesem Ambiente führte Bonajuto eine lebendige Regie der in die Fünfzigerjahre des vorigen Jahrhunderts verlegten Handlung (wobei besonders auf die gelungenen Kostüme von Artemio Cabassi hingewiesen sei), mit vielen hübschen Details (u.a. findet eine der weiblichen Verwandten auf der Suche nach dem Testament in einer Lade Bargeld, das sie sofort einsteckt, köstlich die Gesten der auf Schicchis erlösende Worte wartenden Beteiligten). Bewundernswert, wie es dem Regisseur gelang, trotz der Einhaltung aller wegen Covid vorgeschriebenen Abstände auf der Bühne die der Handlung entsprechende Turbulenz zu entfachen.

Zu loben war auch die musikalische Umsetzung in einer von dem berühmten Dirigenten und Komponisten Ettore (Héctor) Panizza (1875-1967) erstellten reduzierten Orchesterfassung. Das Orchestra Filarmonica Italiana folgte geschmeidig der Leitung von Massimiliano Stefanelli, der die Modernität von Puccinis Musik mit ihren starken Dissonanzen aufs Beste unterstrich.

Die Titelrolle interpretierte Roberto De Candia weniger schlitzohrig denn als selbstbewussten Proletarier, als der er ja auch von der Verwandtschaft Buoso Donatis angesehen wird. Stimmlich in ausgezeichneter Form, überzeugte er in jeder Phase, ob als zorniger Vater, Ausleger des Testaments oder mit den Verfügungen des scheinbar Sterbenskranken. Giuliana Gianfaldoni war eine angenehm lyrische Lauretta, aber von dem jungen Paar bestach mich besonders Matteo Desole, der das undankbare, schwierige „Firenze è un albero fiorito“ mit scheinbarer Mühelosigkeit sang und überhaupt ein ausgezeichneter Rinuccio war.

In den größeren Nebenrollen überzeugten Valeria Tornatore (Zita) und Mattia Denti (Simone). Den Anderen sei für eine gute Ensembleleistung gedankt (sehr schön gelungen die lyrische Note des Chors der Verwandten bei „Addio Firenze“).

Wieder einmal bedauerte ich vor dem Bildschirm den fehlenden Applaus (man hörte ein wenig Händeklatschen, vermutlich von Mitarbeitern des Hauses, was einen traurigeren Eindruck machte als völlige Stille).                                                                                         

Eva Pleus 24.1.21

Bilder: Gianni Cravedi

 

 

Gala Verdi

mit Francesco Meli und Luca Salsi

Cortile Palazzo Farnese, 4.7.2020

 

Nach der lang anhaltenden Schockstarre wegen Covid-12 beginnen auch in Italien langsam wieder Vorstellungen in kleinerem Rahmen. Am Anfang stand Piacenza, dessen Teatro Municipale im Hof des riesigen (und sehenswerten) Palazzo Farnese ein Konzert mit dem Titel „E quindi uscimmo a riveder le stelle“ ausrichtete. Es handelt sich um den letzten Vers des Inferno aus Dantes „Göttlicher Komödie“ (Und wir gingen hinaus, um die Sterne wiederzusehen) und symbolisierte sehr schön die Hoffnung, dass das Inferno dieser Krankheit enden möge. Die Veranstaltung konnten immerhin rund 300 Zuhörer genießen. Nur jeder dritte Sitzplatz durfte besetzt werden, aber wer seinen Platz eingenommen hatte, durfte die Maske ablegen. Soweit die prosaischen Voraussetzungen des Unternehmens, das auch in Operastreaming gesendet wurde.

Nach den einleitenden Worten der Bürgermeisterin griff Pianist Davide Cavalli in die Tasten und spielte zur Beleuchtung in den Farben der Trikolore die italienische Nationalhymne. Die Bögen der Mauer, vor welcher das Podium aufgebaut war, eigneten sich vorzüglich für die je nach der Stimmung des vorgetragenen Stücks wechselnde Beleuchtung in Rot, Violett oder Blau. Mit „Io l'ho perduta“, dem Freundschaftsduett und Posas Tod war der Beginn „Don Carlo“ gewidmet. Meli schien mir etwas vorsichtig zu beginnen, steigerte sich aber bald, Salsi war von Anfang an mit vielen Farben und Ausdruck präsent.

Cavalli spielte dann Skrjabins Studio op. 2 Nr. 1 Andante (das Programm wurde übrigens auf eine Mauer projiziert, denn es gab nichts Gedrucktes, weil man offenbar fürchtete, die Menschen könnten sich beim Abholen der Unterlagen zu sehr zusammendrängen).

Meli interpretierte dann hinreißend „Ma se m'è forza perderti“ aus dem „Maskenball“. Man konnte mit Riccardo und seinem Verzicht mitleiden und raffinierte Piani genießen (als eines für mehrere sei vor „senza un addio“ erwähnt). Dann folgte mit dem Duett „Invano Alvaro“ aus der „Macht des Schicksals“ ganz großes Theater, auch ohne Kostüme und Bühnenbild. Salsi als unerbittlicher Rächer, Meli als Frieden suchender Mönch gaben alles an Ausdruck und Leidenschaft.

Cavalli am Klavier war ihnen ein ausgezeichneter Partner und zeigte seine Qualität auch bei Liszts Funérailles aus den Harmonies Poètiques et Religieuses.

Danach interpretierte Salsi Jagos „Credo“ mit solcher Bosheit und Süffisanz, dass einem das Fürchten kommen konnte. (Da der Bischof der Stadt in der ersten Reihe saß, entschuldigte er sich bei diesem für den „bösen“ Text - er sei nicht von ihm, sondern von Boito...). Dann mit „Sì, pel ciel“, das den 2. Akt beschließende Duett Otello-Jago, näherte sich Meli seinem Traum, den Mohren zu verkörpern, während Salsi den Schurken stimmkräftig und souverän interpretierte.

Damit war das offizielle Programm zu Ende, aber die beiden setzten nach dem „Otello“ insofern eins drauf, als sie nach diesem dramatischen Ritt zehn Jahre ihrer Karriere zurückschraubten und „All'idea di quel metallo“ aus Rossinis „Barbier“ sangen und sich dabei mindestens so köstlich unterhielten wie das Publikum. Mit Figaros Auftrittsarie (Salsi) und der „Furtiva lagrima“ aus dem „Liebestrank“ (Meli) endete dieses bejubelte Programm, das Ende einer allzu langen Durststrecke und (hoffentlich) der Beginn neuer Opernfreuden.                                      

Eva Pleus 11.7.20

Bild: Mirella Verile

 

 

 

FALSTAFF                                  

Aufführung am 24.1.20 (Premiere)

Überzeugendes Debüt

Eigentlich hatte ich mich, wie viele andere Opernliebhaber auch, gefragt, warum Luca Salsi, dessen Karriere derzeit einen Höhepunkt erreicht hat, bereits die Titelrolle in Verdis letztem Werk verkörpern wollte. Nach dieser Debütvorstellung war klar, warum, denn Salsi hatte nicht nur eine musikalische Interpretation von größter Sorgfalt für alle Zeichen und Vorschriften des Komponisten vorgelegt, sondern auch eine überzeugende Interpretation, in welcher Shakespeares Dickwanst einmal nicht als alter Tölpel jenseits von Gut und Böse gezeigt wird, sondern als Edelmann, der zwar seine finanziellen Probleme hat, aber sozusagen bis „gestern“ auch noch in der Fraktion der Ladykiller ernstzunehmen war. Daher kein billiges Augenzwinkern auf leicht zu erzielende Lacher und eine Interpretation des Monologs zur Eröffnung des 3. Akts, die durchaus als wegweisend gesehen werden darf. Ein geradezu kindliches Erstaunen über das, was ihm widerfahren ist, kennzeichnet seine Worte, die Bitte um „un bicchier di vin caldo“ ist richtiggehend rührend. Dazu kommt als Selbstverständlichkeit, dass unser Bariton an den wenigen Stellen, wo ihn Verdi richtig aufdrehen lässt, natürlich eine Freude war. Es spricht für die Klugheit des Künstlers, die Rolle an kleineren Häusern (es gibt auch Vorstellungen in Modena und Reggio Emilia), aber gleichzeitig in den terre verdiane debütiert zu haben.

Falstaff ist natürlich keine Figur, die sofort unabänderlich vor uns steht. Man darf sich auf weitere Vertiefungen und Nuancen freuen, wenn man noch dazu bedenkt, dass der Regisseur Leonardo Lidi nicht viel zu einer weiteren Charakterisierung beigetragen haben dürfte. Lidi kommt vom Sprechtheater und hatte sich für seine erste Opernregie nicht unbedingt das einfachste Werk ausgesucht. Im Bühnenbild von Emanuele Sinisi, das mit seinen kaum angedeuteten Schauplätzen einmal mehr nachwies, wie schlecht die Finanzlage der italienischen Opernhäuser ist, bediente er sich vierer Mimen, die einerseits eine große Hilfe bei den minimalen Veränderungen der Szene, etwa durch das Verschieben von Bänken, waren, andererseits als zeitweilige Verdopplung der Figuren eher störend wirkten. Ihr großer Auftritt kam allerdings im letzten Bild, als sie die Angriffe auf Falstaff überzeugend mimten, während dieser mit Augenbinde hilflos auf seinem Stuhl saß. Dass die Mimen teilweise mit Röcken als Mägde, teilweise in Strumpfhosen gekleidet waren (Kostüme: Valeria Donata Bettella), mag ein kleiner Hinweis auf Shakespeares Zeiten sein, als alle Frauenrollen von Männern interpretiert wurden. Die Kostüme der Solisten entsprachen dem Geschmack zu Beginn des 17. Jahrhunderts.

Die musikalische Umsetzung litt unter einer unentschlossen klingenden Leitung von Jordi Bernàcer, dem es nicht gelang, dem Orchestra dell'Emilia-Romagna Arturo Toscanini  mehr als korrekte Töne zu entlocken, sodass die vielen Farben der Partitur nicht ausgelotet wurden. Vladimir Stoyanov erwies sich in der Rolle des vermeintlich gehörnten Ford einmal mehr als stimmlich sicher, aber in Hinsicht auf Persönlichkeit schwach. (Kann sich jemand unserer Leser noch erinnern, was Rolando Panerai aus der Figur gemacht hat?). Alice Ford wurde von Serena Gamberoni als pikante junge Ehefrau gezeichnet; ihrer anständigen stimmlichen Leistung fehlte ein wenig Durchschlagskraft. Diese besaß Giuliana Gianfaldoni als ihre Tochter Nannetta, die durch unglückliche Kostümierung und Perücke älter als ihre Mutter aussah, aber schöne, reine Soprantöne hören ließ. Ihr Fenton Marco Ciaponi klang ein wenig über das Fach des lirico-leggero hinausgewachsen, sang aber gut. Sehr amüsant und stimmlich untadelig waren Marcello Nardis (Bardolfo) und Graziano Dallavalle (Pistola).

Entsprechend schneidend klang Luca Casalin als aufgebrachter Dottor Cajus. Rossana Rinaldi tat als Quickly, was sie konnte, aber die tiefen Noten im Altregister standen ihrem Mezzo nicht zur Verfügung. Als Meg fügte sich Florentina Soare gut ins Geschehen. Untadelig wie immer der von Corrado Casati einstudierte Chor des Hauses.

Großer Jubel für alle, triumphaler Beifall für Salsi. 

                          

Eva Pleus 28.1.20

Bilder: Gianni Cravedi und Mirella Verile

 

 


LA FORZA DEL DESTINO                      

Aufführung am 20.1.19 (Premiere am 18.1.)

Sehr beeindruckend

Giuseppe Verdis Oper über die „Macht des Schicksals“ wird nicht allzu oft gegeben, weil einerseits fünf erstklassige Stimmen gebraucht werden, das Werk mit seiner Länge und seinen Szenenwechseln andererseits sehr aufwendig zu inszenieren ist. Umso höher ist es Cristina Ferrari, der tüchtigen künstlerischen Leiterin des Hauses in Piacenza, anzurechnen, mit den gleichfalls in der Region Emilia gelegenen Theatern in Reggio Emilia und Modena eine Koproduktion auf die Beine gestellt zu haben.

Wo das Geld knapp ist, regiert die Phantasie, und so ließ sich Regisseur Italo Nunziata von dem in Italien lebenden finnischen Künstler Hannu Palosuo Gemälde entwerfen, die im Hintergrund die jeweilige Szene kennzeichneten, wie etwa eine Art Luster für das erste Bild und Kreuzigungsansichten für die Klosterszenen. Wo es keine Gemälde gab, genügte ein schlichtes Kreuz von Bühnenbildner Emanuele Sinisi, der auch zeigte, wie vielfältig ein langer Tisch eingesetzt werden kann, diente er doch nicht nur als Schreibtisch im 1. Bild, sondern wurde auf ihm das Essen in der Schenke aufgetragen, der verletzte Alvaro auf ihn gebettet oder er stand Preziosilla für ihre Aufrufe und Melitone für die Essensausgabe zur Verfügung. Sonst genügten ein paar Stühle und Sandsäcke – et voilà! Nicht immer so geglückt waren die Kostüme von Simona Morresi: Die Militärjacke des korpulenten Don Carlo mit einem Gürtel in Form eines schmalen Bandes zusammenzuhalten, war keine gute Idee, ebenso wie sein bürgerliches Outfit beim großen Duett im vorletzten Bild. Und schön anzuschauen, aber eben allzu schön waren die Kostüme des Damenchors, wenn vazierendes oder bettelndes Volk darzustellen war. Der Rest ging in Ordnung, wie auch die Regie von Nunziata, der die Massen geschickt bewegte, die Sänger singen ließ und ein paar gute Ideen hatte, wie etwa den Diebstahl von kirchlichen Paramenten und Kerzenleuchtern seitens der Soldateska, die Melitone bei seiner Predigt wütend wieder an sich riss. Zur Ballettmusik tanzte Preziosilla mit Soldaten, was wesentlich natürlicher wirkte als die üblichen Balletteinlagen. Die Verlegung der Handlung in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte weiter keine Auswirkungen.

Ausgezeichnet war, mit einer Ausnahme, die musikalische Seite: Nach einer schwungvoll musizierten Ouverture erwies sich der junge Francesco Ivan Ciampa als kompetenter Leiter des Orchestra Regionale dell'Emilia-Romagna, der das ohne die oft üblichen Striche aufgeführte Werk immer fest in der Hand hatte und auch gut auf die Sänger achtete. Der Coro del Teatro Municpale di Piacenza unter seinem Leiter Corrado Casati legte neuerlich Zeugnis von seinem vokalen Können und seiner szenischen Beweglichkeit ab.

Anna Pirozzi war mit auch in der Höhe immer besser angebundenem Spintosopran die zurecht gefeierte Leonora. Ein ausgezeichnetes Legato und berückendes Piano vervollständigten den Eindruck, sodass das begeisterte Publikum eine Wiederholung der „Pace“-Arie verlangte und auch erhielt. Wie Pirozzi beging auch Luciano Ganci als Alvaro ein gelungenes Rollendebüt; sein Tenor verfügt nunmehr über einen beeindruckenden squillo, doch protzt der Sänger nicht mit seiner Höhe, sondern ließ uns stets expressiv an Alvaros tragischem Schicksal teilnehmen. Die junge Rumänin Judit Kutasi, an der Scala bisher nur als Madelon und „Elektra“-Magd zu hören gewesen, bestach als Preziosilla mit einem besonders schön timbrierten Mezzo mit strahlender Höhe. Starken Eindruck hinterließ auch der Melitone von Marco Filippo Romano, der - stimmlich souverän - den Mönch nicht verblödelte, sondern eine interessante, frustrierte Figur auf die Bühne stellte. Marko Mimica sang die balsamischen Phrasen des Padre Guardiano schön, auch wenn sein gepflegter Bassbariton in der Tiefe recht schmal klang.

Als Marchese Calatrava klang der Bass von Mattia Denti recht knorrig, was aber zur Figur des unbeugsamen Vaters passte. Aufhorchen ließ Cinzia Chiarini als Curra; Marcello Nardis gab einen nachdrücklichen Trabucco, Juliusz Loranzi einen kraftvollen Alkalden und Chirurgen (die letztgenannten drei Rollen sind durch die strichlose Fassung ja aufgewertet). Einziger, aber leider ausgeprägter Schwachpunkt war der Bulgare Kiril Manolov als szenisch plumper und vokal rauher Don Carlo, dessen Bariton mehrfach zum Gicksen neigte. Für diese schwache Leitung musste er einige Buhs einstecken. Im Ganzen aber eine sehr erfreuliche Produktion, die lebhaft gefeiert wurde.                                                             

Eva Pleus 22.1.19

Bilder: Foto Cravedi

 

 

IL CORSARO                               

Teatro Municipale - Vorstellung am 4.5.18 (Premiere)

Vielversprechende junge Sänger

Wie ich vor kurzem anlässlich einer Besprechung dieses Werks aus Valencia festgestellt habe, gehört es zu den schwächsten Opern des Meisters aus Busseto. An meinem Urteil ändert sich nichts, doch wie anders war dennoch der Eindruck, den diese Produktion (die im Herbst auch in Modena gezeigt wird) in Piacenza hinterließ.

Schon allein die Inszenierung, die 2004 für Parma entstanden war, sprach eine andere Sprache, denn sie verkomplizierte nichts, sondern erzählte die zugegebenermaßen dramaturgisch wenig ergiebige Geschichte linear in einem von Segeln und Schiffstauen dominierten Ambiente (das eindrucksvolle Bühnenbild stammt von Marco Capuana), wobei die Regie von Lamberto Puggelli genussvoll das Aufeinandertreffen von Piraten und Sarazenen zeigt, „choreographiert“ von dem bekannt tüchtigen Fechtmeister Renzo Musumeci Greco. Unterstützt von den kleidsamen bis prachtvollen Kostümen der Vera Marzot und der stimmigen Beleuchtung von Andrea Borelli war es Grazia Pulvirenti, der Witwe des 2013 verstorbenen Puggelli, die auch seine Regieassistentin war, gelungen, das ganze Feuer dieser Inszenierung (die ich 2008 in Busseto gesehen habe) zu erhalten.

Viel feurige Leidenschaft kam allerdings auch aus dem Orchestergraben, wo Matteo Beltrami dem Orchestra Regionale dell'Emilia-Romagna mitreißende Rhythmen entlockte, die keinen Platz ließen für Betrachtungen über eventuelle schwächere musikalische Momente. Auch der Coro del Teatro Municipale di Piacenza unter seinem Leiter Corrado Casati zeichnete sich durch differenzierte Klangfülle aus und verdient höchstes Lob.

Es war ein Abend junger Sänger, von denen vor allem der Titelrollenträger schon mehr als ein Versprechen war, denn der 25-jährige peruanische Tenor Iván Ayón Rivas überzeugte mit besonders schön timbrierten Mitteln, die er auch mit bereits sehr sicherer Technik einsetzte. Er sang die fordernde Rolle scheinbar mühelos, aber angesichts seines jugendlichen Alters sollte er besser noch eine Zeitlang im lyrischen Fach verweilen. Sein temperamentvolles Spiel ergänzte den überaus positiven Eindruck. Sehr interessantes Material brachte auch die 30-jährige Roberta Mantegna für die dramatische Rolle der Gulnara mit. Allerdings muss die Sängerin aus Palermo noch an ihrer Technik feilen, und ihr Einsatz im Juli an der Scala als Zweitbesetzung in Bellinis „Pirata“ erscheint mir verfrüht.

Der 32-jährige Veroneser Simone Piazzola hat einen schön timbrierten Bariton, dessen Volumen sich aber deutlich verringert hat, seitdem der Künstler viele Kilos abgenommen hat. Dieser Umstand lässt an seiner Eignung für größere Häuser zweifeln, aber in dem mittelgroßen Haus in Piacenza sang er einen guten, nachdrücklich klingenden Sultan Seid. Die älteste Künstlerin im Ensemble und die mit der längsten Karriere war die 37-jährige Serena Gamberoni aus Rovereto. Sie sang die unglückliche Medora mit feinem lyrischem Sopran, von dem man sich vielleicht etwas mehr Expressivität gewünscht hätte. Der 27-jährige, in Bukarest geborene, aber in Sizilien aufgewachsene Bass Cristian Saitta machte als Giovanni wieder mit gutem Material auf sich aufmerksam. In den kleinen Tenornebenrollen ergänzten Matteo Mezzaro (Selimo) und Raffaele Feo (Ein Eunuch/Ein Sklave), ersterer verlässlicher als letzterer.

Eine stürmisch bejubelte Aufführung, in der man sich auch über gesanglichen Nachwuchs freuen konnte.                                                                                                  

Eva Pleus 17.5.18

Bilder: Mirella Verile

 

 

 

LA WALLY

Premiere am 17.02.2017

Schneegestöber in der Po-Ebene

Lieber Opernfreund-Freund,

als Opernfan aus Deutschland ist man sich nicht immer bewusst, wie hoch doch die Subventionen sind, die dafür sorgen, dass hierzulande zahlreiche Theater auch kleiner Kommunen über eigene Ensembles verfügen und regelmäßig und kontinuierlich bespielt werden können. In Italien, dem Mutterland der Oper, sieht das anders aus. Die allermeisten Häuser haben einen reinen Stagione-Betrieb, werden also nur für einzelne Produktionen geöffnet, für die ausnahmslos Gastsängerinnen und -sänger engagiert werden und die dann en block in wenigen Aufführungen gezeigt werden. So kommt es, dass in prachtvoll ausgestatteten Theatern, wie dem Teatro Municipale in Piacenza, einer Großstadt mit gut 100.000 Einwohnern, das über 1.100 auf fünf Ränge verteilte Plätze verfügt, in der laufenden Saison nur 16 Mal Musiktheater angeboten wird. Die insgesamt sechs Werke entstehen als Koproduktionen mit anderen Theatern, wohin sie nach höchstens drei Aufführungen weiter wandern. Wer die verpasst hat, hat Pech gehabt, denn so etwas wie Repertoire und damit die Chance, ein Stück in einer anderen Spielzeit noch einmal zu sehen, gibt es nicht. Dieser Art von Theaterbetrieb hat in Italien eine lange Tradition. Piacenza und die unweit gelegenen Theater in Modena und Reggio Emilia stellen seit Jahren gemeinsam Produktionen auf die Beine. Schon 1975, als hier zum letzten Mal Alfredo Catalanis ohnehin recht selten aufgeführte „Wally“ zu sehen war - damals mit der wunderbaren Raina Kabaivanska in der Titelrolle, hatte man sich zusammen getan, um das Stück zu realisieren. Am gestrigen Freitag hatte die Neuproduktion nun also in Piacenza ihre „richtige“ Premiere, auch wenn die Inszenierung bereits am vergangenen Mittwoch in der hier üblichen Vorpremiere für die Schulen gezeigt wurde.

Regisseur Nicola Berloffa ist bei seiner Lesart nicht an einer großartigen psychologischen Interpretation oder gar Umdeutung des in unseren Breitengraden vor allem aus den Geierwally-Heimatfilmen bekannten Geschichte, die auf dem Roman von Wilhelmine von Hillern basiert, gelegen. Und doch gelingen ihm durch Kleinigkeiten eigene Akzente: So ist Wallys Vater Stromminger nicht der Despot, als der er sonst gerne gezeigt wird. Er ist einfach nur so kalt wie die Welt, von der Wally umgeben ist, und die im eisigen Bühnenaufbau von Fabio Cherstich treffend versinnbildlicht wird. Wallys Freund Walter ist nicht der knabenhaft-unschuldige Junge, sondern hat durchaus amouröse Ambitionen und Wally selbst ist aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung und ihres Wesens Außenseiterin, hält beim Fest im zweiten Akt, bei dem sich alles dicht an dicht auf Holzbänken in Afras Wirtshaus drängelt, außerhalb Hof in ihrem Ledersessel. Frei von Lokalkolorit ist die Szenerie also nicht, doch sie wird nicht zum Selbstzweck. Die einfallsreichen Kostüme, die Valeria Donata Bettella geschneidert hat, orientieren sich an der Landhausmode gegen Ende des 19. Jahrhunderts, Pelz, Leder und Loden dominieren und Wallys Auftritt im roten Samtkleid wird zum atemraubenden Wow-Moment. Das stimmungsvolle Licht von Marco Giusti tut ein Übriges dazu, um die Geschichte um Liebe, Eifersucht, Mordkomplott und tragisches Ende schlüssig zu erzählen. Dabei tut Berloffa gut daran, die Lawine nicht zu visualisieren - in der Vergangenheit wirkte das allzu oft unfreiwillig komisch - lässt die Oper aber trotzdem mit einem eindrucksvollen Paukenschlag enden. So gelingt ein werktreuer Abend, der dennoch aufs Trefflichste zu unterhalten vermag.

Bei nahezu allen Sängerinnen und Sängern handelt es sich in dieser Produktion um Rollendebüts. Lediglich Zoran Todorovich hat den Hagenbach schon im vergangenen Jahr in Monte Carlo verkörpert. Da hatte ich auf hohem Niveau gejammert und fehlende Gefühlstiefe bemängelt. Doch davon konnte gestern nicht die Rede sein. Der gebürtige Serbe, der seit Jahren in Deutschland lebt, besticht nicht nur durch bombensichere Spitzentöne, in die er sich mit gewohnter Verve förmlich hineinstürzt, sondern ist auch dermaßen eins mit dem Hagenbach, dass er immer wieder zarte Töne findet und vor allem im vierten Akt sämtliche Facetten zeigt, die diese Mörder-Partie hat. Von der restlichen - nicht weniger überzeugenden - musikalischen Seite wie der umwerfenden Wally-Interpretation von Saioa Hernandez, Serena Gamberonis farbenreichem Mezzo, mit dem sie den Walter gestaltet, Claudio Sguras eindrucksvollem Bartion in der Rolle des hier als intriganten Karrieristen gezeichneten Gellner und der überzeugenden Leistung der anderen Protagonisten berichte ich Ihnen gerne in vierzehn Tagen, wenn ich mir die Derniere der Produktion in Reggio Emilia anschaue, worauf ich mich nach der gestrigen Premiere besonders freue. Bis dahin sind sicher auch die kleinen Unsicherheiten bei den Streichern und im Blech des ansonsten tadellos aufspielenden Orchestra Regionale dell’Emilia Romagna unter der Leitung von Francesco Ivan Ciampa verschwunden, die bestimmt der Nervosität am Premierenabend geschuldet waren. Dem tosenden Schlussapplaus im voll besetzten Haus haben sie zumindest keinen Abbruch getan.

Ihr Jochen Rüth / 18.02.2017

Die Bilder stammen vom Studio Cravedi und wurden von der Fondazione Teatri Piacenza zur Verfügung gestellt.

 

P.S. Kaum zu glauben  - und das im holden Opernland ITALIEN

Dass man sich im 21. Jahrhundert und dem Zeitalter der Smartphones vielleicht daran gewöhnen muss, dass in Lichtpausen zwischen den Akten rasch Fußballergebnisse oder E-Mails gecheckt werden, muss ich wohl hinnehmen. Dass man aber während der laufenden Aufführung nachschaut, was es Neues auf Facebook und in Whatsapp gibt, wie meine ansonsten hinreißende Sitznachbarin auf Platz 121 im Parkett, ist nicht extrem störend, sondern vor allem eine Respektlosigkeit gegenüber den Künstlerinnen und Künstlern, die sich auf der Bühne die Seele aus dem Leib singen und spielen. Schämen Sie sich!

DER OPERNFREUND  | opera@e.mail.de