BELOGRADCHIK/Bulgarien:
OPERA OF THE PEAKS - NABUCCO und LAKMÉ – 21./22. Juli 2017
Oper in ungewohntem mystischem Ambiente
Die Belogradchik Peaks, also die Felsen von Belogradchik im äußersten Nordwesten Bulgariens, sind turmartige Felsformationen, die sich hier seit dem Perm vor ungefähr 230 Millionen Jahren durch tektonische Bewegungen und anschließende Erosion formten und die verschiedensten Felsfiguren bilden. Man sieht Formationen wie menschliche und tierische Köpfe, die zusammen mit anderen Felsbildern und der insgesamt beeindruckenden Gestaltung der Peaks der gesamten Region einen mystischen Charakter verleihen. Ein ideales Ambiente für die Aufführung von Freilicht-Opern, wie es der Intendant der Sofia Oper und Ballett, Acad. Plamen Kartaloff, mit seiner großen Fantasie für ungewöhnliche Aufführungsorte schnell erkannte und hier vor kurzem ein Sommer-Festival für Oper und Ballett ins Leben rief.
Das vor den Peaks bereits zwischen dem 1. und 3. Jahrhundert unserer Zeitrechnung entstandene kleine Festungsversteck, welches bis ins 15. Jahrhundert unter verschiedenen Herrschern und Besatzern zu einer Festung ausgebaut wurde, bietet dafür den nahezu idealen theatralen Raum. Die Festung Belogradchik wurde zuletzt ab 1805 von französischen Ingenieuren total umgebaut und erweitert. Ihre Arbeit beendeten italienische Schutzanlagespezialisten im Jahre 1837. Zwischen den beiden 12 Meter hohen Festungsmauern ergibt sich vor den Peaks ein Areal, das der Bühne, einem davor liegenden mittelgroßen unüberdachten Orchester sowie einer Tribüne von 650 Zuschauern Platz bietet. Von dieser kann man dem Stück mit großer Nähe und damit einer gewissen Intimität beiwohnen. Eine Verstärkung der Sänger ist deshalb auch nicht erforderlich, die Akustik ist sehr gut.
Das diesjährige Sommer-Festival eröffnete mit „Nabucco“ und brachte des Weiteren die Opern „Lakmé“, „Tosca“, „La Cenerentola“ sowie „Madama Butterfly“ und die Ballettaufführungen „Zorba the Greek“, „Carmen“, „Rhapsody in Blue“ und „Don Quixote“. Vor Beginn der Aufführung von „Nabucco“ hielten der Metropolit der Regionshauptstadt Vidin, der Vize-Kulturminister, der Bürgermeister von Belogradchik sowie Plamen Kartaloff kurze Ansprachen. Die Aufführung war ausverkauft.
Plamen Kartaloff führte in „Nabucco“ Regie und schuf auch das auf hohen Symbolwert aus der Glaubenswelt der Hebräer setzende klassische Bühnenbild. Boryana Angelova kreierte die Bühnenbildelemente. Links und rechts an der Seite der mit einem Aluminiumboden ausgelegten Bühne liegt eine riesige Thora-Rolle, die zwischen ihren beiden Enden den Chor beherbergt. In der hinteren Bühnenmitte sieht man die monumentalen Hände Moses‘ mit der Tafel der Zehn Gebote. Den Vordergrund bilden einige bauliche Elemente des Tempels über einer goldenen Schatztruhe. Für interessante Momente sorgen der Lichtdesigner Emil Dinkov und die Multimedia-Spezialistin Vera Dimitrova. So lassen sie beispielsweise die Peaks selbst zum Götzenbild der Babylonier werden, in rötlichen Farben, die zu einem matten Schimmer verglühen, wenn das Götzenbild im 4. Akt stürzt. Für die überaus klassischen Kostüme aus der Zeit der Handlung zeichnet Tsvetana Petkova-Stoynova verantwortlich. Etwas weniger Konservativismus beim Design hätte hier gut getan. Die Personenregie ist trotz einer gewissen Statik zumal in den Ensembleszenen gut und hebt die Bedeutung der Aktionen der Protagonisten in den entsprechenden Momenten nachvollziehbar hervor. Mit großer Bewegung und guter Choreographie (Riolina Topalova) setzt sich immer wieder der stimmstarke, von Violeta Dimitrova geleitete Chor in Szene. Auch hier geriet der Gefangenenchor zu einem berückenden Moment des Abends. Für anmutige und choreographisch fantasievolle Momente sorgt das Ballett im 3. Akt.
Im Programmheft hebt die Festspielleitung hervor, dass sie zwei internationale Gäste für diese Produktion an den Peaks gewinnen konnte, und zwar Carlos Almaguer aus Mexiko als Nabucco und Roberto Scandiuzzi aus Italien als Zacharias. Beide erfüllten die Erwartungen sowohl stimmlich wie auch darstellerisch vollkommen. Almaguer war mit seinem kräftigen und aussagestarken Bariton ein Respekt gebietender, überaus souveräner Nabucco und konnte auch in den Szenen überzeugen, in denen er dem Wahnsinn verfallen war. Scandiuzzi ließ seinen prachtvollen, samtenen Bass erklingen und legte als Zacharias ebenfalls große Souveränität an den Tag. Auf diesem hohen Niveau konnte aber auch die Abigail von Gabriela Georgieva aus dem Sofioter Ensemble mithalten. Wann immer sie auf der Bühne stand, war sie sofort Zentrum des Geschehens mit ihrer starken Mimik und einem fast als hochdramatisch zu bezeichnenden Sopran mit eindrucksvoller Attacke, der keine Höhe dieser so anspruchsvollen Partie scheute, wobei sie auch in den tiefen Lagen beeindrucken konnte. Ein Höhepunkt der Aufführung war ihr Duett mit Nabucco im 3. Akt. Diletta Scandiuzzi war eine zarte und mit einem sehr klangschönen, aber nicht allzu großen Mezzo singende Fenena und spielte die Rolle mit viel Emphase. Rosen Nenchev war ein noch sehr junger Ismael, mit einer noch nicht ganz für diese Rolle ausgereiften Stimme. Es war aber erklärtes Ziel des Regisseurs, ihn mit dieser Rolle an das größere Verdi-Fach heranzuführen. Darstellerisch machte er seine Sache mit lebhaftem Spiel sehr gut. Dimitar Stanchev als Oberpriester des Baal, Hrisimir Damyanov als Abdallo und Silvana Pravcheva als Anna rundeten mit sowohl stimmlich wie darstellerisch ansprechenden Leistungen das gute Ensemble ab.
Grigor Palikarov dirigierte das Orchester der Sofia Oper und Ballett mit viel Verve und konnte gleich zu Beginn mit einem sauber strukturierten und akzentuierten Vorspiel beeindrucken. Allerdings gerieten im weiteren Verlauf einige Stellen zu laut, insbesondere die großen Tableaus, sodass selbst Sänger wie Scandiuzzi oder Almaguer bisweilen zugedeckt wurden. Man muss allerdings dazu sagen, dass das Orchester fast auf gleicher Höhe wie die Bühne liegt und die Transparenz somit auch aus diesem Grund etwas leiden kann. Vor den mystisch wirkenden Peaks von Belogradchik war dies jedoch eine beeindruckende „Nabucco“-Aufführung in völlig ungewohntem Ambiente.
Tags darauf spielte man „Lakmé“ von Léo Delibes ebenfalls in einer für die Belogradchik Festung angepassten Produktion der Sofia Oper und Ballett. Plamen Kartaloff führte wieder Regie. Für die wiederum klassische und mit einigen wenigen Bühenbildelementen das Brahmanentum andeutende Szenografie zeichnete Miodrag Tabacki verantwortlich. Der Lichtdesigner Sasho Bekafigo bezog diesmal die Peaks nicht so stark ein. Dafür fand er stimmungsvolle farbige Lichtfantasien für das Geschehen auf der Bühne, insbesondere die Chorszenen und großen Tableaus. Die geschmackvollen und in den Massenszenen auf farbige Pastelltöne setzenden Kostüme aus der Zeit der Handlung der Oper wurden von Angelina Atlagic entworfen. Sie zeigen die Engländer in ihren typischen beigen Militäruniformen und die Brahmanen in ihren weiten weißen Gewändern. Ein Trupp der englischen Soldaten hisst oben zwischen den Peaks die englische Nationalflagge als Zeichen der Besatzung.
Tabacki schuf durch die Errichtung eines kleinen und schlichten Brahmanentempels in der Bühnenmitte mit hinabführenden Rampen links, rechts und hinten zwei Spielebenen. Das weitete die darstellerischen Möglichkeiten aus und bot auch mehr Platz für Monologe und Duette sowie die bestens choreografierten (Maya Shopova) Massenszenen, von denen das lebhafte Treiben auf dem Markt zu Beginn des 2. Akts ein Höhepunkt des Abends war. Das Dach dieses kleinen Brahmanentempel wird durch eine Statue des Elephantengottes Ganesh geziert, an dem Lakmé immer wieder betend niederkniet – er ist so etwas wie das spirituelle Zentrum der Bühne. An den Seiten sieht man, vielleicht etwas zu klischeehaft, zwei große Elefantenattrappen. Auf dem Dach des Brahmanentempels findet auch die Verwundung Geralds durch den Brahmanenpriester Nilakantha statt, nachdem Lakmé ihre Glöckchenarie gesungen hat. Nilakantha wird von Peter Naydenov mit einem ausdrucksstarken und klangvollen Bassbariton gesungen. Er spielt die Rolle als sehr Respekt gebietender souveräner Anführer der Brahmanen. Im 3. Akt, in dem ja Lakmé Gerald im Wald gesund zu pflegen versucht, wird der Brahmanentempel und die Rampe davor mit Gerald und Lakmé mit einem Dschungel von Farnen angestrahlt, so dass sich mit wenigen Mitteln die Ästhetik einer Waldszenerie einstellt.
Wir erleben eine viel detailliertere Personenregie als in „Nabucco“. Alle Figuren werden sehr genau im Einklang mit der Musik geführt. So ist die Blumenarie von Lakmé und Mallika im 1. Akt ein echter musikalischer und auch darstellerischer Höhepunkt. Diana Vasileva singt die Lakmé mit einem technisch bestens geführten lyrischen Sopran, der in der Blumenarie gut mit dem klangvollen Mezzo Diana Genova als Mallika harmoniert. Auch die Glöckchenarie im 2. Akt gelingt Vasileva mit viel Liebe zum Detail und Verinnerlichung. Das Duett mit Gerald am Ende des 1. Akts ist ebenfalls zu den besten Momenten der Aufführung zu zählen.
Kartaloff gelingt es überzeugend, den kulturellen Clash zwischen den englischen Besatzern und den Brahmanen darzustellen. Wenn Gerald und Frederick mit ihren drei Begleiterinnen mit den obligaten Sonnenschirmen in den Bereich des Tempels kommen, wirkt das tatsächlich wie eine weitere Okkupation. Das unbeherrschte Benehmen der Engländer steht in starkem Widerspruch zu dem zurückhaltenden Gebaren der Brahmanen. Diese Differenzierung zieht sich dramaturgisch effektvoll durch den ganzen Abend, auch im Verhalten Geralds zu Lakmé. Daniel Ostretsov, der Loge des Sofioter „Ring“, ist ein erstklassiger Gerald mit einem baritonal unterlegten, fast ins Heldische gehenden Tenor mit kraftvoller Höhe. Er agiert auch darstellerisch mit viel Emphase. Atanas Mladenov, der Amfortas des jüngst heraus gekommenen Sofioter „Parsifal“, lässt einmal mehr als Frederick seinen beeindruckenden Bariton mit guter Facettierung und stimmlichem Ausdruck erklingen – ein ganz großes Talent! Elena Stoyanova singt Ellen, die Verlobte Geralds, mit einem klangvollen Sopran. Rose, ihre Cousine, wird von Silvana Pravcheva und Mrs. Bentson von Rumyana Petrova gesungen und ebenso wie Ellen manieriert gespielt. Miroslav Andreev ist ein serviler Hadji. Weiter sind die guten Leistungen, vor allem auch das Piano des von Violeta Dimitrova einstudierten Chores sowie das fantasievolle Ballett hervor zu heben.
Francesco Rosa dirigierte das Orchester der Sofia Oper und Ballett mit großem Einfühlvermögen für die Sänger. Diesmal geriet nichts zu laut, die Harmonie zwischen Bühne und Orchester war nahezu perfekt.
Bilder: Svetoslav Nikolov
Klaus Billand, 2.8.2017
www.klaus-billand.com
WAGNER IN DER HÖHLE
22. Juli 2017
"so schlüpfe mit mir hinein..."
Wohl kein Ort zur Aufführung einer Oper bzw. Veranstaltung eines Opernfestivals ist dem Intendanten der Sofia Oper und Ballett, Acad. Plamen Kartaloff, exotisch genug, um es nicht einmal damit zu versuchen – und er hat dabei stets Erfolg! Nach open air Aufführungen im Schatten der kuppelvergoldeten St. Alexander Nevsky Kathedrale und einem Sommerfestival „Oper im Park“ in Sofia, sowie einer Aufführung seines „Ring des Nibelungen“ 2015 im Festspielhaus Füssen, entdeckte der fantasievolle und umtriebige Opernmann im letzten Jahr die mystische Gegend um die Kleinstadt Belogradchik etwa 180 km nordwestlich von Sofia. Nicht weit von hier bildet die breite und träg dahin fließende Donau die Grenze mit Rumänien. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes eine abgelegene Gegend, dieser Nordwestzipfel Bulgariens. Belogradchik wird von den sog. Belogradchik Peaks überragt, turmartigen Felsformationen, die sich hier seit dem Perm vor ungefähr 230 Millionen Jahren herausbildeten. In der Nähe befinden sich auch einige große Höhlensysteme, darunter die riesige Magura-Höhle mit einer Ausdehnung von 133,5 ha und einer bisher erschlossenen Gesamtlänge von 2.600 Metern bei zehn unterschiedlich großen Sälen von bis zu 50 m Breite und 20 m Höhe. Die Höhle hat sich durch einen unterirdischen Flusslauf infolge einer tektonischen Verschiebung gebildet und ist wegen der Vielzahl ihrer ausdrucksvollen Wandmalereien von etwa 8.000 – 600 v. Chr. eine bedeutende Touristenattraktion.
Sie nun zu einer Attraktion für die Liebhaber des Wagnerschen Oeuvres zu machen konnte wohl nur Plamen Kartaloff einfallen. Wagner open air kombiniert mit underground – wann und wo hat es das schon mal gegeben?! Er nennt den Event „Wagner Magura – Götter, Riesen, Zwerge und Walküren – Höhlenfestivalaufführung in drei Teilen“. Bei 35 Grad C im Schatten werden mitten im Gebüsch die Karten für nur 60 Besucher entwertet, die auf simplen Plastikstühlen vor dem Höhleneingang Platz nehmen. Mehr dürfen aus Erhaltungsgründen nicht hinein, also auch kein Orchester – die Musik kommt aus Lautsprechern. Maestro Kartaloff gibt noch eine Einführung in das auch von ihm inszenierte „Werk“ und dann geht es los: „Das Rheingold“ 2. Bild. Wotan kommt mit Fricka und Freia in den Kostümen (Nikolay Panayotov) des Sofioter „Ring“ (hier bereits mehrmals besprochen) aus dem Nichts hervor und begrüßt den Berg über der Höhle als sein erwünschtes Walhall. Schon treten die Riesen auf den Plan und fordern ihren Sold. Als nichts weiter geht, taucht Loge auf und empfiehlt bekanntlich das Rheingold Alberichs als Alternative zu Freia. Bis dahin schön und gut wie bekannt.
Beim „So schwingen wir uns durch die Schwefelkluft? Dort schlüpfe mit mir hinein!“ steigen Wotan und Loge in die Höhle hinab und alle Zuschauer hinterher. Zu den Tönen der Verwandlungsmusik zwischen dem 2. und 3. Bild, also dem akustischen Abstieg nach Nibelheim, geht es nun optisch und tonal unglaublich authentisch hinab in die großen Säle der Höhle. Gespenstische Beleuchtung. In einem Seitentrakt hämmern einige Nibelungen unablässig das geschürfte Gold. Man meint tatsächlich in Nibelheim zu sein. Allerdings: Wotan und Loge sind verschwunden. Das hat einen Grund: Die Zuschauer werden erst mal in einen speziellen Saal geführt, um die hier besonders zahlreich und dicht aneinander liegenden Wandmalereien zu bewundern. Etwas Tourismus soll ja sein, obwohl zu diesen mythischen Blickfängen immerhin das mystische „Parsifal“-Vorspiel erklingt. Es passt also auch hier der Titel.
Dann aber wird es wirklich Wagnerisch. Wir erleben in einer sehr großen Kaverne unter einem rötlich erleuchteten Felsvorsprung fast das ganze 3. Bild des „Rheingold“, also wie Mime den Tarnhelm hämmert, dieser ihm von Alberich entrissen wird, Wotan und Loge von oben herab steigen und sich mit Alberich einlassen, der nach seinen zwei Verwandlungsversuchen als Kröte gefesselt wird. Intensive Szenen zur „Rheingold“-Musik, die offenbar alle Besucher fesseln. „Das Rheingold“ mit größter Authentizität und Intensität!
Es geht weiter über viele Treppen und enge Gänge, vorbei an Stalagmiten und Stalagtiten, zur langsam erklingenden „Tannhäuser“-Ouvertüre, bis man in einem besonders weit ausladenden und hohen Saal oben ein Geländer erspäht, an dem nun Venus mit großer Emphase das Verlassen ihres Geliebten Tannhäuser im 1. Akt besingt. Kurz darauf erscheint er selbst und singt die Strophen seiner Lossagung bis zu „Mein Heil liegt in Maria!“ Auch diese Szene ist große Oper – im Innern des Venusbergs eben, wie Wagner es wohl erdacht haben mag... Spätestens hier ist zu bemerken, dass die Höhle für die Stimmen eine sehr gute Akustik aufweist. Selbst auf große Distanz kann das Publikum unten auf der gegenüber liegenden Seite viel vom Gesang verstehen. Anders ist es mit der Musik aus den Lautsprechern. Sie klingt bei weitem zu dumpf und intransparent. Hieran müsste man im kommenden Jahr noch arbeiten.
Und was wäre der „Tannhäuser“ ohne den Pilgerchor? Mit kräftigen Stimmen macht dieser sich nun durch die Zuschauerreihen auf den Weg nach Rom – noch direkter ist die stimmliche und dramaturgische Intensität dieses Chores wohl kaum zu erleben. Die Zuschauer wandern hinterher und vernehmen bereits auf dem Weg die Musik aus dem 2. Akt zum „Einzug der Gäste“. Ein großer Saal tut sich vor ihnen auf, und hoch oben auf einem aufsteigenden Weg steht der Damen- und Herrenchor, inbrünstig den Einzug der Gäste singend, sodass der ganze Saal zu einem fantastischen Klangraum mutiert! Das ist der Abschluss zum „unterirdischen“ Wagner in des Wortes völlig konträrer Bedeutung. Alle bewegen sich nun langsam hinauf in das grelle Sonnenlicht am Hinterausgang der Höhle. Dieser gewährt einen großartigen Blick auf den Rabisha See, den größten tektonischen See Bulgariens.
Das ist aber noch keineswegs das Ende der Fantasie von Plamen Kartaloff! Nun erleben wir mit den Göttern das „Rheingold“-Finale als dritten Teil der Show, natürlich ohne das störende Gejammer der Rheintöchter aus des Wassers Tiefe. Stattdessen serviert Loge von einem großen Fass aus den Göttern eine Flasche Sekt aus der Produktion der größten Weinkellerei der Region. Der Winzer ist selbst zugegen. Damit es dem Publikum bei der Verkostung der Weine nicht zu langweilig wird, rollen sodann noch die acht „Walküren“ aus dem Sofioter „Ring“ auf batteriegetriebenen Rollern heran und geben den kompletten Walkürenritt. Es ist das begeisternde Ende eines ungewöhnlichen Wagner-Erlebnisses, das seinesgleichen sichern suchen muss – und wohl nicht finden wird. In die schon seit über 10.000 Jahren in Form der Wandmalereien mit der bildenden Kunst in Kontakt gekommene Magura-Höhle hält nun die „erst“ etwa 400 Jahre alte Oper als Ausdruck der schönen Künste mit Schauspiel, Gesang und Musik Einzug. Das macht sie zum Schauplatz eines Gesamtkunstwerkes im Sinne Richard Wagners, wenn auch mit einer etwas anderen Facettierung.
Der Vollständigkeit halber sollen am Schluss noch die Ausführenden genannt sein. Vorweg sei gesagt, dass alle Sänger und Sängerinnen aus dem mittlerweile beachtlichen Wagner-Ensemble der Sofia Oper und Ballett stammen und auch im „Ring des Nibelungen“ tätig waren. Im „Rheingold“ agierten: Nikolay Petrov als Wotan; Nikolay Pavlov als Loge, Iliya Iliev als Alberich; Krasimir Dinev als Mime; Stefan Vladimirov als Fasolt; Petra Buchkov als Fafner und Silvana Pravcheva als Freia. Die acht Walküren waren: Milena Gyurova als Helmwige; Irina Zhekova als Ortlinde; Lyubov Metodieva als Gerhilde; Ina Petrova als Waltraute; Mariela Alexandrova als Siegrune; Tsveta Sarambelieva als Rossweiße; Margarita Damyanova als Grimgerde und Blagovesta Mekki-Tsvetkova als Schwertleite. Im „Tannhäuser“ sangen Mariana Zvetkova als Venus und Daniel Damyanov als Tannhäuser. Alle sangen sowohl in der Höhle wie im Freien ohne Verstärkung und erreichten gleichwohl eine beachtliche Resonanz! Ein reizvolles und nahezu abenteuerliches Projekt, das beim jetzigen Erfolg im zweiten Jahr in den kommenden Jahren sicher weiter geführt werden wird. Die lange Anfahrt zu „Wagner in the cave“ lohnt sich.
Für Anfang August hat Plamen Kartaloff schon wieder einen neuen Spielort ausgemacht: Auf einem alten, an der Hafenmole des nahen Vidin vertäuten Donaukahn will er Puccinis „Il Tabarro“, also „Der Mantel“ aufführen, dazu „Gianni Schicchi“…
Fotos: Svetoslav Nikolov
Klaus Billand 23.7.2017