THEATER BASEL - MUSIKTHEATER
DER FREISCHÜTZ
Regie: Christoph Marthaler Musikalische Leitung: Titus Engel
Premiere: 15. September 2022
Besuchte Vorstellung: 26. September 2022
Die musikalische Interpretation des «KAMMERORCHESTER BASEL», am Pult Titus Engel kann nur als vorbildlich bezeichnet werden. Engel setzte Violinen mit Darmseiten ein und verwendete ventillose Hörner, so dass der Klang des 19. Jahrhunderts optimal nachempfunden werden konnte. Die Tempi wurden gut gewählt, die Lautstärke war den Sängerinnen und Sängern optimal angepasst, so dass die Solisten und Solistinnen ebenso wie der CHOR THEATER BASEL ihre Rolleninterpretation aussingen/spielen konnten. Insgesamt eine bravouröse Leistung von Orchester und Dirigent.
Die Regiearbeit von Christoph Marthaler wurde in weiten Teilen dem Libretto und der Partitur gerecht. Einzelne Szenen habe ich als zu lang empfunden, so zum Beispiel die Eröffnung-Szene, die Jägerversammlung. Schade ist, dass die Schlüsselszene in der Wolfsschlucht, also das Giessen der Freikugeln, doch sehr spärlich, unspektakulär, der Wichtigkeit des Themas nicht angepasst, in Szene gesetzt ist (Bild). Auch kaum nachvollziehbar sind die spastischen Bewegungen und Krämpfe, die Fallsucht der Protagonistinnen und Protagonisten im eigentlich versöhnlich sein sollenden Schlussbild. Alles in allem eine ordentliche Regiearbeit, welche uns den Freischützen mit seiner Aktualität jedoch nicht näher bringt.
Rolf Romei als Max spielt und singt eine überzeugende Interpretation der Rolle. Seine sängerische Auffassung passte sich dem eher raueren Orchesterklang an und überzeugte durch klare Diktion, saubere Intonation. Dazu kommt bei Romei eine hervorragende Körperarbeit dazu, welche Emotionen verstärken, ja erst verständlich machen. Etwas verunglückt, und dies ist der Regie anzulasten, war die Veränderung bei den Dialogen mit Kaspar, wo er plötzlich naiv, kindlich daherkommt. Dies ist bei einer starken Persönlichkeit, wie Max sonst inszeniert war, nicht nachvollziehbar.
Jochen Schmeckenbecher als Kaspar überzeugte mit seiner Interpretation von Anfang bis Schluss. Seine Diktion und seine Mimik und Gestik liessen an seiner Gottlosigkeit keinen Zweifel aufkommen. Von ihm wurden auch nie Körperverrenkungen und Ähnliches verlangt. Seine Auftritte entsprachen der Rolle und seiner Interpretation des Kaspar.
Eine ansprechende Agathe wurde interpretiert von Nicole Chevalier. Rosemary Hardy als Ännchen war eine Nummer für sich und brillierte durch hohe Schauspielkunst, einwandfreie Diktion und Intonation. Dies gilt in gleichem Masse auch für Frau Chevalier. Gewisse Absonderlichkeiten in der Körpersprache und der Gestik sind der Regie anzulasten und nicht den beiden Protagonistinnen. Ansprechend auch die anderen Rollen besetzt: Als Kuno steht Andrew Murphy auf der Bühne. Den Ottokar interpretiert Karl-Heinz Brandt und als Kilian verspottet Raphael Clamer den Jäger Max (Rolf Romei). Ausgezeichnet interpretiert wird der Eremit/Samiel durch Jasin Rammal-Rykata.
Im Gesamten gesehen und gehört ein zufriedenstellender Freischütz mit den erwähnten Mängeln in der Regie.
Das nicht sehr zahlreich erschienene Publikum belohnte die Arbeit auf der Bühne und im Graben mit dem verdienten Applaus.
Peter Heuberger, 3.10.22
© Ingo Höhn
Monteverdi
Il ritorno di Ulysses in patria
Wo bleibt Odysseus ?
Merkwürdige Basler Inszenierung von Monteverdi
Der Schöpfer der Oper,Claudio Monteverdi ,hätte seine Freude gehabt am Spiel des Barockensembles ‚La Cetra‘: Lebhaft, kundig, differenziert und nuanciert. Auch die Leistung der Sänger hätte ihm gefallen. Ganz besonders die der ‚Penelope‘, der Mezzosopranistin Katarina Bradić, die nicht nur ihre weiche, warme Stimme tadellos führte und modellierte, sondern durch ihre schauspielerische Gestaltung die Stimmungen ihrer Figur von wartend und hoffend, über wütende Gegenwehr gegen die drückenden Avancen ihrer Freier , bis zur Verzweiflung, dass sich offenbar nichts zum Guten wendet, Ausdruck gibt. Katarina Bradic spielt und singt mal subtil, mal fast an Melodramatik grenzend. Sie ist zweifellos ein Höhepunkt der Aufführung. Allerdings fehlt es dieser wirklich an Odysseus.
Dieser, also die Hauptperson des Stücks, um die sich alle dreht, findet hier einfach nicht statt. Weder physisch noch musikalisch. Wahrscheinlich eine der wirkungsvollsten Amputationen der Operngeschichte. Statt dessen hört man, untermalt von elektronischen Klängen, immer wieder Aussagen von Flüchtlingen, alles Männern, die von den Situationen ihrer Heimatländern, Erlebnissen auf der Flucht erzählen und schließlich, diverse Bewertungen ihrer Gastländer abgeben. In der Art von Luftgeistern. Sehen tut man sie erst am Schluss als ‚Männer aus Basel’.
Hat man sich nicht vorher mit der Inszenierung beschäftigt, so schaut man verständnislos um sich um zu verstehen, was diese Einschübe sollen ? Ein wirklicher Verfremdungseffekt allerdings nicht im Brechtschen Sinn stellt sich ein: Hirtenromatik gegen Flüchtlingsrealittät. Was soll nun dies ?
Die Flüchtlingsaussagen auf elektronischer Musik gesprochen, wartete man ab wie die Werbung während eines Lieblingsfilms: ungeduldig, irritiert, leicht gereizt.
Da wird einem der Link zur Gegenwart mit der Keule eingehämmert. Das um Kreativität bemühte Regieteam um den polnischen Regie-Newcomer Krystian Lada zieht den vermeintlichen Link nicht nur an den Haaren, sondern an Schiffstauen herbei.
Zur Erinnerung: Odysseus war kein Flüchtling, sondern ein Fürst und Heimkehrer. In dieser Oper geht es - wie der Titel sagt- um die Rückkehr des Odysseus in sein Land - nach seiner ‚durchaus freiwilligen Teilnahme am trojanischen Krieg. Also um Situationen beim Zurückkommen ins Gewohnte, ins emotional Nahe. Und es geht um eine freiwillige Reise, keine aufgezwungene Flucht vor existentieller Gefahr . Man kann es nicht mal als Umkehr von Odysseus Schicksal sehen. Es ist also schwierig da Parallelen zum Flüchtlingsschicksal zu finden.
Ein geschätzter Kollege pflegte nach einem Film, der ihn nicht überzeugte, mit gefürchtet Stirne und tragender Stimme seufzend zu sagen: ‚Leider ist er missraten‘.
Genau so ist dieser Regieeinfall zu bewerten.
Dabei hat diese Inszenierung durchaus ihre Verdienste. Penelope in eine Box zu schließen, um die herum die Aktionen laufen, machen ihre Isolation, Einsamkeit und auch ihre Hilflosigkeit durchaus spürbar. Das Orchester halb im Graben, halb erhöht in der Tiefe der Bühne schließt die Handlung auf der Bühne wie in einer Klangglocke ein. Auch zeigt die Inszenierung diverse kleine Aktionen der Gestik und Mimik der Darsteller, die oft witzig und amüsant sind und die Aufmerksamkeit des Publikums immer wieder stimulieren. Ein Regiemittel, das der große Schweizer Opern- und Bühnenregisseur Luc Bondyso ausgezeichnet anwandte. Auch Bühnenbild- und Requisiten finden diverse kreative Lösungen. Die Kostüme allerdings machen nicht nur Freude.
Ein Einfall der Kostümbildnerin war es die Götter in Unterhosen zu stecken; solchen wie auf den Wühltischen italienischer Märkte; billige Rippenware, die leicht aus der Form fällt und verfärbt. Keine kleidsamen Kleidungsstücke. Wenn diese dann auf mächtige Leiber mit umfangreichen Schenkeln und ausladenden Gesäßbacken treffen, ist dies etwas problematisch. Sicher kein ästhetisches Erlebnis. Auch wenn die Wirkung beim einen durch ein Bauchkorsett etwas eingedämmt wurde. Natürlich mussten die Götter keine Adonisse sein, doch waren sie so unklug dies den Sterblichen so schmerzlich aufs Auge zu drücken ? Auch diese ‚Götter‘, die in ihrer Zweitbesetzung auch als Freier der Penelope auftraten, wirkten in ihren später getragenen eleganten weißen Anzügen sehenswert.
Die Uraufführung des ‚Il ritorno d'Ulisse in patria‘ ‚fand 1639 während des Karnevals in Venedig statt und wird seitdem immer wieder gerne gespielt, gesehen und gehört. Es ist zu bezweifeln, dass dieser Version der Oper eine ähnlich lange und erfolgreiche Lebensdauer beschieden sein wird.
Nächste Vorstellungen im Theater Basel:
16. & 19.11. und 2.12.2021
Dagmar Wacker, 14.11.21
Photos (c) Judith Schlosser
Zum Zweiten
INTERMEZZO
Oper von Richard Strauss
Regie/Bühnenbild: Herbert Fritsch
Musikalische Leitung: Clemens Hei
Premiere: 22. April 2021
Besuchte Vorstellung: 19. Mai 2021
Kulturaffine Basler hoffen und glauben daran, dass der Titel der ersten Musiktheater-Premiere >INTERMEZZO< nach einem Jahr ohne Theaterbesuche nicht nur ein Zwischenspiel vor weiterem «Lock-down» bedeutet.
Die Komposition wird als >Bürgerliche Komödie mit sinfonischen Zwischenspielen< bezeichnet.
Der Regisseur und Bühnenbildner Herbert Fritsch hat für dieses Werk eindrückliches Bühnenbild geschaffen. er auf den Bildern gezeigte Aufbau ändert sich nicht wesentlich, die Drehbühne hat Hochbetrieb. Auf Requisiten verzichtet Fritsch, seine Sängerinnen und Sänger sollen/müssen durch ihr Spiel, ihre Mimik und Gestik, die üblichen Hilfsmittel ersetzen.
Ich kann diesen Spielansatz sehr gut nachvollziehen, bin aber der Auffassung, dass die Regie zu grossen Wert auf altbekannte Slapsticks legt. Diese wirken in der bürgerlichen Komödie, der achten Oper von Richard Strauss, aufgesetzt und lenken von der Musik ab, dies gilt vor allem für die sinfonischen Zwischenspielen. Dazu kommt, dass der vom Komponisten selbst verfasste Text bei weitem nicht die Aussagekraft erreicht, welche die Libretti des Dichters Hugo von Hoffmannsthal auszeichnen.
Die Personenführung des Regisseurs, er verzichtet auf Requisiten, kann nur als makellos bezeichnet werden. Dabei legt Herbert Fritsch als Schauspieler auch grossen Wert auf die Wort-Verständlichkeit. Und dies ist ihm mit seinem künstlerischen Team auf der Bühne hervorragend gelungen.
Als Hofkapellmeister Robert Storch erleben wir einen ausgezeichneten Günther Papendell. Christine, Frau Storch, wird gesungen und gespielt von Flurina Stucki. Als hervorragender Baron Lummer steht auf der Bühne Michael Laurenz. Alle drei überzeugen innerhalb der Spielanlage durch Gestik, Mimik und Körpersprache. Die Diktion, gesungen und gesprochen, kann als Bespiel für viele Sängerinnen und Sänger gelten.
In weiteren Rollen: Moritz Emil Rehle, Kali Hardwick, Hubert Wild, Jasmin Etezadzadeh, Karl-Heinz Brandt, Andrew Murphy, Mkhanyiseli Mlombi, Ena Pongrac und Raphael Clamer.
Auf hohem Niveau musizierte im Orchestergraben das Sinfonieorchester Basel. Am Pult stand Clemens Heil. Als besonders gelungen habe ich die sinfonischen Zwischenspiele empfunden. Für meinen Geschmack war jedoch auf der Bühne zu viele Aktion, stumme Pantomimen, welch von der Musik ablenkten. Weniger wäre vielleicht mehr.
Das Publikum belohnte die im Ganzen gesehen hervorragende Leistung der Künstler auf, vor, unter und hinter der Bühne mit einem lautstarken Applaus, Soweit 50 Besucher, mehr sind wegen COVID nicht gestattet, lautstark sein können.
Peter Heuberger, Basel
Fotos © Thomas Aurin