DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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ORW  Opéra Royal de Wallonie

www.operaliege.be/fr

 

 

Farbenfrohes Spektakel
Lakmé in Lüttich

Premiere: 20.09.2022
besuchte Vorstellung: 27.09.2022

 

Lieber Opernfreund-Freund,

nach beinahe 30 Jahren ist derzeit an der Opéra Royal de Wallonie-Liège (ORWL) wieder Leo Delibes‘ Lakmé zu erleben. Das Werk gehört in Frankreich oder Großbritannien zum Standardrepertoire, ist aber auf deutschen Bühnen vergleichsweise selten zu erleben. Deshalb habe ich mich auf den Weg nach Lüttich gemacht, um Ihnen von einer Aufführung berichten zu können.

 

 

Das Haus in Lüttich ist für seine meist traditionelle Lesart der gespielten Werke bekannt und auch Davide Garattini Raimondi schlägt in seiner Interpretation keine revolutionären tiefenpsychologischen Töne an, betont aber den religiösen Aspekt von Lakmés Zerrissenheit sowie den Drang des unterdrückten Volkes nach Befreiung. Wohl deshalb lässt der italienische Regisseur Lakmés Geschichte von Gandhi, der zur Zeit der Handlung 11 Jahre alt war, als eigene Erinnerung erzählen. Garattini Raimondi hatte an der ORWL 2017 schon eine spektakuläre Norma inszeniert; schon damals stand ihm der Bühnenbildner Paolo Vitale zur Seite und hatte die originalgetreue Nachbildung eines römischen Reliefs in sein Bühnenbild realisiert. Und auch in der Lakmé zieht das Duo alle Register der klassischen Ausstattungsoper mit aufwändigen Bühnenaufbauten, überbordender Ornamentik und stringenter Orientierung entlang des Librettos. Hinzu kommt ein exquisites, stimmungsvolles Licht, für das ebenfalls Paolo Vitale verantwortlich zeichnet. Die aufwändigen Kostüme von Giada Masi – landestypische, knallbunte Gewänder für die Inder, zeitgemäße Mode der gehobenen Kreise des ausgehenden 19. Jahrhunderts für die britischen Besatzer – tun ein Übriges, um dem Zuschauer ein komplettes Eintauchen in die fremdartige Welt der Lakmé zu ermöglichen. Warum das Produktionsteam im dritten Akt dann vom Originalplot abweicht, ihn stattdessen in einer grün getünchten Bar nach Vorbild eines Clubs der britischen Upper Class verlegt, erschließt sich kaum, stört aber den gelungenen Gesamteindruck nicht, den die bildgewaltige Inszenierung hinterlässt.

 

 

Leo Delibes würzt seine Komposition mit allerhand Orientalik, die zahlreichen Arien und Couples sprühen vor Melodienreichtum. Mehrere Ballette mit den originellen Choreografien von Barbara Palumbo lockern die Handlung auf, sorgen aber auch dafür, dass der Abend inklusive zweier Pausen rund dreieinhalb Stunden dauert. Und doch kommt dank der reichen Bebilderung, der lebendigen Personenführung und natürlich der Musik keine Sekunde Langeweile auf. Frédéric Chaslin sorgt im Graben für teilweise forsche Tempi, entfaltet die farbenreiche Partitur jedoch mit viel Raffinesse und stellt so gekonnt unter Beweis, dass dieses Werk weit mehr zu bieten hat als Blumenduett und Glöckchenarie. Der Chor hat viel zu tun bei Delibes und überzeugt unter der Leitung von Denis Segond auf ganzer Linie.

 

 

In der Titelrolle glänzt Jodie Devos, trumpft mit einem Höchstmaß an Beweglichkeit in ihren Koloraturen auf und legt doch viel Seele in ihre Interpretation der unglücklich verliebten Bramanentochter. Ihr Gesang packt mich emotional in solchem Maße, dass ich ihr gern verzeihe, dass sie dem Publikum den Spitzenton in ihrer Bravourarie versagt. Der zarte Tenor von Philippe Talbot ist wie gemacht für den Gérald, der nicht die Chuzpe besitzt, sich zu seiner Liebe zu bekennen, und so deren Selbstmord auslöst. Geschmeidige Höhen und ein guter Schuss Emotionen zeichnen den Gesang des Franzosen aus. Lionel Lhote ist ein auch stimmlich durchsetzungsstarker Nilakantha, während Pierre Doyen voller Inbrunst den treuen Frédéric gibt. Aus der Unzahl der kleineren Rollen sticht der junge Pierre Romainville als Hadji mit vielversprechendem Tenor hervor und Sarah Laulan stellt als herrlich schrullig dargestellte Gouvernante Mistress Benson nicht nur ihre Sangesqualitäten, sondern auch ihr komödiantischen Gespür unter Beweis.

 

 

Das Publikum im ausverkauften Haus ist am Ende begeistert, applaudiert frenetisch allen Mitwirkenden. Und auch ich kann Ihnen diese Produktion nur wärmstens ans Herz legen.

 

Ihr Jochen Rüth, 309.22

 

Bilder (c) ORW

 

 

Umtriebiger Bürohengst in Lüttich
Don Giovanni

Wiederaufnahme-Premiere: 13.05.2022

 

Lieber Opernfreund-Freund,

die „Oper aller Opern“ ist derzeit an der Opéra Royal de Wallonie-Liège in Lüttich zu sehen. Jaco van Dormael zeigt eine für dieses Haus ungewöhnlich moderne Lesart und auch das energiegeladene Dirigat von Christophe Rousset haucht der oft gehörten Partitur neues Leben ein.

 

 

Der Belgier Jaco van Dormael ist von Haus aus Filmregisseur und schreibt Drehbücher und das merkt man seiner Interpretation von Mozarts Don Giovanni auch an. Wie ein Filmset kommt die Kulisse daher, die Vincent Lemaire auf die Bühne des Opernhauses in Lüttich gestellt hat. Sie zeigt ein Großraumbüro vor Wolkenkratzerkulisse, auf den zahlreichen Bildschirmen laufen die Aktienkurse. Don Giovanni wird zum Bürohengst, ständig auf der Jagd nach Frauen und dem prallen Leben. Ob das seine Kolleginnen Donna Anna und Donna Elvira sind oder die Raumpflegerin Zerlina ist, ist zweitrangig. Auch dass er dabei über Leichen geht, wird zur Nebensache in der Inszenierung, die bereits 2016 in Lüttich Premiere hatte, ebenso rückt die Botschaft der Oper in den Hintergrund: die letzte Szene, Moral von der G’schicht, ist gestrichen. Stattdessen setzt van Dormael auf vordergründige Bebilderung, bemüht effektvoll Rooftop-Swimmingpool und Spiegel und zeigt Don Giovanni nicht eindimensional als Bösewicht, sondern als genusssüchtigen, koksenden Lebemann, der auch an Nyotaimori, dem Essen von nackten Frauenkörpern, Gefallen findet.

 

 

Gleichermaßen forsch geht Christophe Rousset im Graben die Partitur an, wählt flotte Tempi, die die Musik zwar frisch und lebendig erscheinen lassen, doch mitunter auch für Koordinationsdefizite mit dem Sängerstab sorgen. Den Farbenreichtum von Mozarts Meisterwerk legt er jedoch aufs Vortrefflichste frei mit seinem energischen Dirigat, da mag der eine oder andere Wackler verziehen sein. In der Titelrolle brilliert der aus einer Musikerfamilie stammende Davide Luciano, zeigt den Lustmolch eben nicht nur mit der einen lüsternen Facette, sondern vielmehr die zahlreichen Farben seines eindrucksvollen Baritons. Dabei macht er im Anzug wie im Bademantel (Kostüme: Fernand Ruiz) eine gleichermaßen gute Figur. Laurent Kubla ist ihm als ergebener Leporello ein solider Partner, bleibt im Spiel allerdings recht hölzern. Maria Grazia Schiavo verzaubert mich als Donna Anna mit ihrem betörenden Sopran voll feinster Höhe und geschmeidiger Geläufigkeit; José Maria Lo Monacos Donna Elvira ist optisch wie stimmlich ein gelungener Gegenpart: satt in der Tiefe, voller Furor in ihren Rachegedanken.

 

 

Der feine, kultivierte Tenor von Maxim Mironov ist wie gemacht für Don Ottavio, Shadi Torbey ein toller Komtur mit eindrucksvollem Bass. Überraschung des Abends ist für mich neben dem grandiosen Davide Luciano der Masetto von Pierre Doyen. Der aus Frankreich stammende Bariton singt und spielt die von der Regie als Hausmeister gezeichneten Figur voller Inbrunst und ansteckender Spielfreude, imposantem Volumen und komödiantischem Talent. Dass Sarah Defrise als seine Zerbinetta sehr zum Tremolieren neigt und bisweilen allzu soubrettenartig daherkommt, ist der einzige Wermutstropfen, von dem ich berichten kann. Gefallen hats mir trotzdem – ein unterhaltsamer Opernabend geht nach gut dreieinhalb Stunden unter begeistertem Applaus und vor voll besetztem Haus zu Ende.

Ihr
Jochen Rüth

14.05.22

Die Fotos stammen von J. Berger - © ORW-Liège    

 

 

Wie aus dem Bilderbuch
RIGOLETTO

Premiere: 03.03.2022

 

Lieber Opernfreund-Freund,

seit gestern ist an der Opéra Royal de Wallonie-Liège in Lüttich die Rigoletto-Produktion von John Turturro zu sehen, die bereits 2018 am Teatro Massimo in Palermo Premiere hatte. Der Italo-Amerikaner setzt damit die Opernabende traditioneller Lesart in Lüttich fort und kann sich dabei auf eine exzellente Sängerriege stützen.

 

 

John Turturro wurde vor über 30 Jahren selbst in Cannes als bester Darsteller für die Titelrolle in Barton Fink ausgezeichnet, kommt also vom Film und das merkt man seinem Opernregie-Debut auch an. Nebelschwaden und diffuses Licht von Alessandro Carletti schaffen mystisch-geheimnisvolle Stimmungen in diesem Rigoletto, die traditionellen Kostüme samt turmhoher Perücken, die Marco Piemontese gestaltet hat, sind fürs Auge der Zuschauer gemacht; die Bühnenaufbauten von Francesco Frigeri mit der Außenfassade des herzoglichen Palazzos, die irgendwie schon bessere Zeiten gesehen hat, Gildas erhabenem Schlafgemach und der abgeranzten Kaschemme im letzten Akt sind die passende Kulisse für Turturros Erzählung der Geschichte. An einer psychologischen Deutung ist ihm nicht gelegen, vielmehr nimmt er den Zuschauer mit auf eine Reise in menschliche Abgründe und blättert so im Verlauf der Geschichte eine Seite nach der anderen um.

 

 

Ausdrucksvolle Bilder sind die Stärke dieser Produktion, Turturros Personenführung ist es nicht immer. So sind die eingestreuten Balletteusen zu zahlreich, als dass es auf der Bühne mit komplettem Chor und Solisten nicht bald zu eng würde, doch die Botschaft des Regisseurs kommt trotzdem an: den Verfall der Sitten, der Gesellschaft will er zeigen, der dem kurzen Moment der Lust alles opfert – zuerst den Prunk, zuletzt auch Gilda, die so unschuldige wie unglücklich verliebte Tochter Rigolettos.

 

 

Der aus der Mongolei stammende Amartuvshin Enkhbat ist ein Rigoletto wie aus dem Bilderbuch, vorlaut und frech zu Beginn und wahnhaft verfolgt, spätestens seit der Verfluchung durch Montero, rührt er im zweiten Akt zu Tränen, ehe er im letzten Bild stimmgewaltig den Rächer gibt und an seinem Rachedurst zerbricht. Das passende Gefühl hat Enkhbat immer parat, tobt und wütet stimmgewaltig, um im nächsten Augenblick in Mitleid erregendem Piano um seine Tochter zu bitten. Das ist große Kunst, stimmlich wie darstellerisch.

Enkeleda Kamani ist eine liebreizende Gilda mit feinsten Höhenpiani und lieblichem Timbre und verkörpert überzeugend den Schmerz der unglücklich Verliebten. Iván Ayón Rivas mag man optisch den schurkenhaften Herzog gar nicht abnehmen. Das Spiel des Peruaners besticht durch Nonchalance, der strahlende, in der Höhe bombensichere Tenor glänzt ein ums andere Mal, im Vergleich zu seinen Kollegen bleibt dabei allerdings das Gefühl ein wenig auf der Strecke.

 

 

Sarah Laulan ist eine anbetungswürdig verdorbene Maddalena mit verheißungsvoll lockendem Mezzo, Rubén Amoretti zeigt als ihr Bruder Sparafucile seinen mysteriös klingen Bass. Überhaupt sind auch die kleineren Rollen vom Monterone von Patrick Bolleire, der mit profundem Bariton angsteinflößende Flüche ausstößt, bis zum Pagen von Louise Herman, die der Männerhorde tapfer Paroli bietet, exzellent besetzt. Gesanglich rund macht den Abend der präzise singende, von Denis Segond betreute Chor. Im Graben zeigt Daniel Oren einen espritgeladenen Rigoletto, überrascht immer wieder mit spannenden Tempowechseln und legt viel Seele in sein Dirigat.

Am Ende dieses lohnenden Abends ist die Begeisterung des Publikums völlig verständlich, lange anhaltenden Applaus für alle Beteiligten gibt’s auch von mir – und eine Empfehlung für Sie.

 

Ihr
Jochen Rüth

04.03.2022

Fotos © ORW-Liège – J. Berger

 

 

Puccini: SUOR ANGELICA

Giordano: MESE MARIANO

Premiere am 26.01.2022

Von Müttern, die keine sein durften

Lieber Opernfreund-Freund,

 

eine veritable Rarität gibt es derzeit in Lüttich zu erleben. Dort hat man Puccinis Nonnendrama Suor Angelica den nahezu nie gespielten Mese Mariano seines Landsmannes Umberto Giordano zur Seite gestellt, den man hierzulande eigentlich nur für seinen Andrea Chénier kennt. So ähnlich die beiden Werke in ihren Sujets sind, so unterschiedlich ist ihre musikalische Umsetzung. Und das arbeitet Oksana Lyniv am Pult ganz hervorragend heraus.

 

Marienmonat ist der deutsche Titel von Umberto Giordanos nur rund 40minütigem Einakter, 1910 in Palermo uraufgeführt (also sieben Jahre VOR Puccinis Trittico, aus dem Suor Angelica stammt), 1913 nochmals revidiert, der seither kaum ein Dutzend verbriefter Aufführungen erleben durfte. Die Kurzoper, zu der Salvatore di Giacomo, der Dichter der gleichnamigen Vorlage, auf Giordanos bitten hin das Libretto verfasst hatte, erzählt die Geschichte von Carmela, die Jahre zuvor ledig Mutter und gezwungen wird, das Kind ins Waisenhaus zu geben. Als sie es an Ostern besuchen will, ist es in der Nacht zuvor gestorben. Doch die Nonnen, die die Waisen betreuen, bringen es nicht übers Herz, Carmela die traurige Nachricht zu überbringen. Stattdessen erzählen sie ihr, ihr Sohn müsse mit dem Chor für die Aufführungen im anstehenden Marienmonat proben. So verlässt Carmela enttäuscht das Waisenhaus, ohne das wahre Schicksal ihres Sohnes zu kennen.

 

Im Gegensatz zu Puccini, der in seiner nach der Pause gespielten Suor Angelica von Beginn an auch musikalisch auf eine gewisse Dramatik setzt, zeigt Giordano in seiner Komposition die volle Bandbreite seines kompositorischen Könnens: den Anfang macht ein fröhlicher, fast liedhafter Beginn (herrlich umgesetzt vom von Véronique Tollet betreuten Kinderchor), gefolgt von der dramatischen Erzählung Carmelas. Das sich anschließende melancholische Intermezzo erinnert im Aufbau ein wenig an das Zwischenspiel aus Umberto Giordanos Fedora, ehe zarte lyrische Klänge das kurze Stück ausklingen lassen. Ganz ohne klanglichen Bombast zeichnet Giordano so das Drama, das sich aus der Geschichte selbst ergibt. Ähnlich verfährt das Produktionsteam rund um Lara Sansone. Die Italienerin unternimmt gar nicht den Versuch, das unbekannte Werk umzudeuten, lässt in lieblicher Kulisse mit blauregenbehangener Pergola spielen (Bühne: Francesca Mercurio), was in scharfem Gegensatz zu dem steht, was auf der Bühne passiert – und dem Geschehenen so noch mehr grausame Dramatik verleiht.

 

In Suor Angelica hingegen setzt Sansone verstärkt auf Effekte. Die Bühne verwandelt sich vom Kreuzgang zu Klostergarten und Nonnenzelle und wieder zurück, an Grablichter erinnernde Kerzen verströmen in der Schlussszene spärliches Licht und mit dem Schlussbild, einer Madonnenvision der sterbenden Angelica, schrammt Lara Sansone, die auch Schauspielerin ist, haarscharf am Kitsch vorbei. Ganz und gar nicht kitschig ist die Interpretation Angelicas von Serena Farnocchia, die am gestrigen Abend in beiden Rollen debütiert. Sie legt die Nonne nicht als eingeschüchterte Gestalt an, sondern zeigt sich auch stimmlich streitbar gegenüber der hartherzigen Fürstin. Angelicas Ausbrüche haben bei der Italienerin etwas unglaublich Verzweifeltes, fast Hysterisches; das mag nicht immer sauber ausgesungen sein, ist aber eine umso glaubhaftere Darstellung einer Mutter, die nie eine sein durfte. Ergreifend! Als Carmela in der ersten Hälfte des Abends schlägt Farnocchia zartere Töne an, mischt ihren farbenreichen Sopran mit einer Spur Verzweiflung und ist auch da vollends überzeugend.

 

Gütige Oberin bei Giordano und auch nach Jahren noch in ihrer Hartherzigkeit gefangene Fürstin ist Violeta Urmana, die als Zia Principessa von Teresa Acone in ein golddurchwirktes Gewand mit Mühlsteinkragen gesteckt wird, das an eine Rüstung erinnert. Ihr satter Mezzo braucht ein paar Takte, um warmzulaufen; dann zeigt die Litauerin die volle Bandbreite ihrer Kunst von zart bis hart, legt tiefes Mitgefühl ebenso überzeugend in ihre Stimme, wie bedingungslose Unnachgiebigkeit und Kälte. Der facettenreiche Mezzosopran von Sarah Laulan gefällt mir als Suor Pazienza ebensogut wie als Suora Zelatrice, der von Aurore Bureau ist wie gemacht für die ehrwürdige Contessa bei Giordano oder die Maestra delle Novizie bei Puccini. Die Deutsch-Französin Morgane Heyse als Suor Genoveva begeistert mich regelrecht mit ihrem frechen Sopran und ihrer ansteckenden Spielfreude. Komplettiert wird das ausgezeichnete Ensemble durch die exzellent singenden Chordamen (MdC: Denis Segond).

 

Sie merken, liebe Opernfreund-Freundin, der Abend ist fest in Damenhand. Und das ist auch am Pult nicht anders. Die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv leitet versiert durch den Abend, kitzelt die Farben und Stimmungen aus Giordanos Partitur, verfällt bei Puccini ins typische Schwelgen, ohne ihn weichzuspülen und gibt auch der klanglichen Wucht genügend Raum zur Entfaltung. Der Abend, der die ungleiche und doch ähnliche Geschichte von zwei Frauen erzählt, die die Büßerrolle annehmen, in die die Gesellschaft ihrer Zeit sie zwingt, bewegt zutiefst. Das Publikum ist hörbar ergriffen. Da trifft es sich gut, dass das Theater ab dem Wochenende wieder vor 700 statt vor 200 Zuschauern spielen darf – die Chancen auf ein Ticket für diesen kompakten Doppelabend, Rarität inklusive, sind also gar nicht so schlecht.

 

Ihr
Jochen Rüth

27.01.2022

 

Die Fotos stammen von Jonathan Berger.

 

Der Tradition verpflichtet
Lucia di Lammermoor

Premiere: 19.11.2021
besuchte Vorstellung: 24.11.2021

 

Lieber Opernfreund-Freund,

Donizettis Dauerbrenner Lucia die Lammermoor ist derzeit an der Opéra Royal de Wallonie-Liège in Lüttich zu erleben und dabei in gleich mehrerlei Hinsicht der Tradition verpflichtet. Zum einen besticht die Produktion aus dem Jahr 2015 durch ihre traditionelle Lesart, die Stefano Mazzonis di Pralafera so schätzte, zum zweiten ehrt das Haus den Anfang des Jahres verstorbenen Intendanten durch diese Wiederaufnahme. Zugleich kann sich in bester Primadonnentradition eine Sopranistin, in diesem Fall Zuzana Marková, durch ihre exzeptionelle Darbietung profilieren und den Abend komplett zu dem ihren machen.

 

 

Stefano Mazzonis di Pralaferas Inszenierungen haben nicht selten den Eindruck erweckt, als fänden sie in den Originalkulissen und -kostümen der Uraufführung der jeweiligen Werke statt. Und doch gelang es dem Italiener immer wieder zu beweisen, dass Oper ohne Regietheateransätze alles andere als langweilig sein muss. So verhält es sich auch bei dieser Lucia, die er trotz einiger inszenatorischer Längen im zweiten Akt immer wieder voller Esprit erzählt. Den traditionellen Kostümen verleiht Fernand Ruiz durch moderne Akzente beinahe Aktualität, die wandlungsfähigen Türme, die Jean-Guy Lecat auf die Bühne des Lütticher Opernhauses gestellt hat, genügen als illustrierende Kulisse. Gianni Santucci hat die Inszenierung ganz im Geiste des verstorbenen ehemaligen Hauschefs neu einstudiert und so der Musik Raum gelassen zu wirken, die Seelennöte der Titelheldin akustisch zu bebildern und die Grundlage für ein Belcantofest zu legen.

 

 

Leider zieht Renato Balsadonna im Graben nicht am selben Strang. Routiniert führt er durch die Partitur – und genau das ist das Problem. Die mehr oder weniger heruntergespielte Interpretation steht im krassen Gegensatz zu dem, was das Sängerpersonal leistet und bleibt hinter den Möglichkeiten zurück, die die dezente Bebilderung auf der Bühne der Musik ließe. Da werden der musikalischen Präzision, die einem Metronom gleicht, Leidenschaft und Emotionen geopfert, die doch so zahlreich in der Partitur stecken. Was bleibt ist schöne und doch irgendwie seelenlose Musik. Das ist umso bedauernswerter, da allen voran Zuzana Marková eine äußerst lebendige, in Ansätzen immer wieder neue Interpretation der Titelfigur zum Besten gibt.

 Die gebürtige Tschechin lässt ihre zahlreichen Spitzentöne wie aus dem nichts auftauchen und begeistert mich mit atemberaubenden Koloraturen und sanften Piani. Darüber hinaus besticht sie, und das macht ihre Darbietung so besonders, durch leidenschaftliches, wahrhaft zu Herzen gehendes Spiel. In der großen Wahnsinnsszene (auf der Glasharmonika meisterhaft von Sascha Reckert begleitet), in der man so manche ihrer Kolleginnen die Höchstschwierigkeiten statisch wie auf einem Arienabend präsentieren sieht, spielt sie den Wahn ebenso gut, wie sie ihn in den wahnhaften Koloraturen singt. Brava! Ihr zur Seite steht der französische Tenor Julien Behr , der seinem klangschönen Tenor eine ordentliche Portion Italianitá beimischt und flammende Höhen präsentiert. Seiner leidenschaftlichen Interpretation des Edgardo steht auch Lionel Lhote als Enrico in nichts nach. Furios und glutvoll präsentiert er den machtbesessenen Bruder von Lucia und zeigt die gewaltige Durchschlagskraft seines farbenreichen Baritons. Stimmlich und darstellerisch das komplette Gegenteil ist gestern Abend leider der Raimondo von

Luca dall’Amico. Hölzern und uninspiriert wirkt der Italiener über weite Strecken, lässt sich offensichtlich von seinem italienischen Chef im Graben anstecken, bleibt allzu nüchtern und ist so nicht der verständnisvolle, herzensgute Raimondo, den man sich wünschen würde.

 

 

Lust auf mehr macht hingegen Oreste Cosimo, der in seinem kurzen Auftritt als Arturo einen feinen Tenor voller Strahlkraft hören lässt. Die Damen und Herren des Chores singen coronabedingt mit Maske, das tut aber ihrem leidenschaftlichen Einsatz keinen Abbruch und so haben sie unter der Leitung von Denis Segond merklichen Anteil am Gelingen des gestrigen Abends. Maskiert bleibt auch das Publikum, dessen Impfstatus am Eingang kontrolliert wurde. Aus deutscher Sicht ist ein voll besetzter Zuschauerraum heutzutage schon etwas recht Ungewohntes, doch so entlädt sich die Begeisterung am Ende der Vorstellung natürlich mit voller Wucht; die bei aller Tradition kurzweilige Inszenierung wird ausdauernd bejubelt, mit zahlreichen „Bravi!“ für Zuzana Marková, Julien Behr und Lionel Lhote.

Ihr
Jochen Rüth

25.11.2021

 

Die Fotos stammen von Jonathan Berger.

Peter Tschaikowsky

 

 

Eugen Onegin

Premiere: 22. Oktober 2021

Besuchte Vorstellung: 26. Oktober 2021

 

Normaler Weise muss sich das Publikum an der Opera Royal im belgischen Liege keine große Gedanken über das machen, was auf der Bühne passiert, denn hier bekommt man die Opern so präsentiert, wie sie im Libretto stehen. Bei der Neuproduktion von Tschaikowskys „Eugen Onegin“ versetzt Regisseur Eric Vigie die lyrischen Szenen aber in die Zeit der Oktoberrevolution, was dem Publikum einige ungewöhnliche Ansichten präsentierte.

 

 

Der erste Akt findet weitgehend in dem bekannten ländlichen Idyll statt, man fragt sich lediglich, was die Uniform zu bedeuten hat, die Onegin trägt. Am Ende von Tatjanas Briefszene verkünden Lichtblitze das Nahen der Revolutionstruppen. Im zweiten Akt wird deutlich, dass Onegin Kommunist ist, und sich mehr für die Revolution als für Tatjana interessiert. Das Fest feiern die siegreichen Kommunisten, welche das Landgut beschlagnahmen. Ein deutscher Regisseur hätte Madame Larina, Olga und die Amme Filipyena, die später nicht mehr auftauchen, von den Rotarmisten erschießen lassen, hier will Olga aber sogar mitfeiern.

 

 

Auch Lenski, der hier ein Anhänger des Zaren ist, wird nicht hingerichtet, sondern stirbt im Duell. Im dritten Akt feiert sich die neue kommunistische Führung zwischen Statuen von Lenin und Stalin. Gremin ist ein Parteibonze, Tatjana ist als seine Frau zur Society-Lady der Kommunisten geworden. Die Lesart von Eric Vigie ist spannend, könnte aber noch drastischere Szenen und mehr Konsequenz vertragen.

Ausstatter Gary McCann hat einen weißen Einheitsraum mit einer sich öffnenden Rückwand geschaffen. Wechselnde Schauplätze werden mit Landschaftsbildern, einem Gartenpavillon und den Statuen gestaltet.

 

 

Musikchefin Speranza Scapucci dirigiert eine abwechslungsreiche Aufführung, findet in den vielfältigen Situationen des Stückes immer den richtigen Ton: Die romantischen Szenen sind von einem sehnsuchtsvollen und schwärmerischen Streicherklang geprägt, in den sich weich die Holzbläser mischen. Die großen Chorszenen und Feste tönen mit blechstrotzender Kraft.

Die Besetzung besteht fast durchweg aus Interpreten, die zum ersten Mal in Liege auftreten. Vasily Ladyuk besitzt einen warmen und eleganten Bariton. Den schroffen und abweisenden Charakter Onegins glaubt man ihm aber nicht. Auch wirkt er für den kommunistischen Revolutionär zu freundlich. Mit schönem lyrischen Sopran füllt Ruzan Mantashyan die Rolle der Tatjana aus.

 

 

Den Wandel vom naiv-schwärmerischen jungen Mädchen zu Ehefrau Gremins gestaltet sie überzeugend.

Olga wird von der erst 23-jährigen Maria Barakova mit schönem lyrischen Mezzo gesungen. Margarita Nekrasova als Kinderfrau Filipeyvna sticht im Eröffnungsquartett durch die Härte ihrer Stimme heraus, die Erzählung ihrer Zwangsverheiratung singt sie dann aber sehr eindringlich. Alexey Dolgov gefällt als Lensky mit seinem kultivierten Tenor, man hätte ihm aber noch mehr Farbe und Süße gewünscht. Mit einem monumentalen Bass beeindruckt Ildar Abdrazakov in der Partie des Fürsten Gremin.

Mit dieser Produktion präsentiert sich die Opera Royal einmal mehr auf dem hohen musikalischen Niveau, für das das Haus bekannt ist. Gleichzeitig ist es ungewöhnlich, dass Regisseur Eric Vigie eine eigenständige, aber schlüssige Sichtweise des Werkes präsentiert.

 

Rudolf Hermes, 28.10.21

Bilder (c) J. Berger ORW

 

 

 

 

Giuseppe Verdi

La Forza del Destino

Premiere 16. September 2021

 

Kein deutsches Opernhaus würde auf die Idee kommen, den Beginn einer vierstündigen Oper für 20 Uhr anzusetzen. Nicht so an der Opera Royal im belgischen Liege, wo man Verdis „La Forza del Destino“ ungekürzt spielt und der Schlussakkord erst kurz vor Mitternacht erklingt. Aber auch sonst ist in Liege vieles anders: Zwar gelten auch hier die 3G-Regeln, aber der Zuschauerraum ist voll besetzt und am Platz darf man die Gesichtsmaske abnehmen. Ist das nun das Leben mit Corona, an das man sich gewöhnen muss oder purer Leichtsinn? Viele deutsche Operntouristen sind jedoch vorsichtig und behalten ihre Maske während der Aufführung an.

 

 

Ungewöhnlich ist natürlich auch die Opern-Opulenz, die in Liege geboten wird: Das beginnt bei dem prachtvollen Zuschauerraum und erstreckt sich weiter auf die Bühne, wo Ausstatter Gary McCann Verdis Oper in acht großformatigen Bühnenbildern spielen lässt. Solch eine Pracht bekommt man an deutschen Opernhäusern kaum noch geboten. Das erste Bild spielt in einem holzvertäfelten Rittersaal, der an einen Edgar-Wallace-Film erinnert. Später werden ein prunkvolles Kirchenportal, ein malerischer Dorfplatz, und eine poetisch zerbombte Stadt gezeigt. Was will das Auge mehr?

Eigentlich wollte der im Februar verstorbene Intendant Stefano Mazzonis di Pralafera die Regie übernehmen. Nun hat Choreograph Gianni Santucci die Regie übernommen und setzt dabei das Konzept des verstorbenen Intendanten um. Große Stimmen, schöne Bilder und eine verständlich erzählte Geschichte stehen hier im Zentrum. Eine tiefergehende Psychologisierung, Hinterfragung und Interpretation der Geschichte gibt es nicht.

 

 

Dafür gibt es aber starke Stimmen zu erleben: Maria José Siri singt die Leonore mit großer Stimme, die sie aber sehr differenziert einsetzt. Marcelo Álvarez, der ihren Liebhaber Alvaro singt, verfügt über keinen strahlenden, aber über einen schneidigen und durchsetzungsfähigen Tenor. Er neigt jedoch dazu jede Phrase mit einer Geste zu unterstreichen, was die Figur albern wirken lässt und von seinem Gesang ablenkt. Einen großen und wohlgerundeten Bariton besitzt Simone Piazzola als Leonoras Bruder Don Carlo. Er setzt seine Stimme sehr schattierungsreich ein, klingt mal wie ein finsterer Bösewicht, besitzt aber auch weiche und freundliche Farben.

Auch die Nebenrollen sind treffend besetzt: Michele Pertusi ist ein mächtig orgelnder Padre Guardiano. Nino Surguladze kann als Preziosilla mit ihrem kräftigen Mezzo ein schlagkräftiges „Rataplan“ anstimmen, und Enrico Marabelli zeigt als Frau Melitone einige komödiantische Kabinettstückchen. Jedoch merkt man, dass diese Oper viele Genre–Szenen enthält, welche ohne die Hauptfiguren auskommen und die Handlung nicht voranbringen. Selbst die Szene, in der Leonora mit einem großen Ritual in das Kloster aufgenommen wird, erweist sich, trotz schöner Musik, als inhaltlich überflüssig.

Dirigent der Aufführung ist Renato Palumbo, den man in Deutschland vor allem als unglücklichen Kurz-GMD der Deutschen Oper Berlin kennt (2006-2008). In Liege zeigt er aber, dass ihm Verdi eine Herzensangelegenheit ist. Die Ouvertüre und die großen Chorszenen dirigiert er mit Feuer. Die lyrischen Arien und Szenen kostet er aber auch genüsslich aus.– Insgesamt bietet diese Produktion packende Musik, starke Stimmen und schöne Bilder, hat dabei aber auch einige szenische Längen.

Zwar hat man in Liege mit Stefano Pace bereits einen neuen Intendanten gefunden, doch die gerade beginnende Saison, ist noch von Stefano Mazzonis di Pralafera geplant worden, der die Opera Royal seit 2007 leitete. Der verstorbene Intendant verstand sein Theater immer als „Das nördlichste Opernhaus Italiens“, was sich nicht nur in den traditionellen Inszenierungen zeigt, die hier geboten werden, sondern auch in der Spielplangestaltung. Die Oper begann für Mazzonis mit Mozart und Gluck und endete mit Puccini. Barockes oder Modernes war bei ihm nie oder nur in Ausnahmefällen zu sehen. Stattdessen stand die große italienische Oper im Mittelpunkt. Das ist auch in der aktuellen Saison der Fall, wo es von der Verdi auch noch „Rigoletto“ (ab 3. März 2022) und „Simone Boccanegra“ (ab 17. Juni 2022) geben wird.

 

 

In die Reihe der Raritäten von Rossini, Donizetti und Bellini reiht sich in der kommenden Saison auch Rossinis „Otello“ (ab 19. Dezember 2021) ein. Als selten gespielte Werke stehen Umberto Giordanos „Mese Mariano“, die mit Puccins „Suor Angelica“ kombiniert wird (ab 26. Januar 2022) und „Mignon“ von Ambroise Thomas (ab 1. April 2022) auf dem Spielplan. Die dynamische und international gefragte Chefdirigentin Speranza Scappucci wird in Liege neben Verdis „Simone Boccanegra“ auch Tschaikowskys „Eugen Onegin“ (ab 22. Oktober 2021) und Donizettis „Lucia di Lammermoor“ (ab 19. November 2021) leiten. Bei der Donizetti-Oper handelt es um die Wiederaufnahme einer Inszenierung von Stefano Mazzonis di Pralafera aus dem Jahr 2015.

 

Rudolf Hermes, 20.9.2021

Bilder (c)Fotos © Opéra Royal de Wallonie-Liège

 

 

 

Geburtstagsparty mit Weltstars

La Bohéme

Wiederaufnahmepremiere: 20.09.2020
besuchte Vorstellung: 26.09.2020

 

Lieber Opernfreund-Freund,

den Beginn der Jubiläumsspielzeit 2020 begeht die Opéra Royal de Wallonie-Liège mit einer Reprise der Bohéme-Produktion, die 2016 in Zusammenarbeit mit der Israelischen Oper in Tel Aviv entstanden ist – und wartet dabei mit Weltstar-Beteiligung auf. Angela Gheorghiu ist dabei als Mimì zu erleben, der ebenfalls aus Rumänien stammende Stefan Pop steht ihr als mehr als ebenbürtiger Rodolfo zur Seite.

Vor mehr als 30 Jahren hat Angela Gheorghiu als Mimì ihr Operndebüt gegeben, ist in dieser Rolle 1992 erstmals am ROH in Covent Garden aufgetreten und hat damit ihren Weltruhm begründet. Es mag also vermutet werden, dass die als kapriziös geltende Diva diese Figur wie kaum eine andere kennt – und das spürt man am gestrigen Abend von dem Moment an, an dem sie die Bühne des Opernhauses in Lüttich betritt. Im traditionellen Setting des Hauschefs Stefano Mazzonis di Pralafera legt sie die totkranke Blumenstickerin zu Beginn noch immer lyrisch-verträumt an und präsentiert feinste Höhenpiani, zu denen sie auch im letzten Bild zurückkehrt. Im unteren Register allerdings wird der Klang ihrer Stimme fast kehlig, ihr Gesangsstil verisitischer – und so gelingt es ihr, den dritten Akt vollends zu dem ihren zu machen. Mit immensem Ausdruck macht sie da die Verzweiflung ihrer Figur deutlich, die erkennen muss, dass sie bald sterben wird und ihre Liebe zu Rodolfo ohnehin keine Zukunft hat. Bei dieser Art der Interpretation fällt mir unwillkürlich eine andere großartige Sopranistin aus Rumänien ein, Virginia Zeani, der in den 1960er und 70ern ebenso der Wechsel von der umjubelten Violetta oder Mimì hin zu Charakterrollen des italienischen und französischen Fachs, zu Komponisten wie Menotti, Poulenc oder Zandonai gelang.

Ihr Landsmann Stefan Pop war mir vor ein paar Jahren schon beim Donizetti-Festival in Bergamo aufgefallen und ist auch auf den internationalen Opernbühnen der ersten Klasse kein Unbekannter mehr. Das verdankt er seiner bombensicheren Höhe und dem immensen Glanz, den seine Stimme verströmt, deren Brillanz im oberen Register mich mehr als einmal an den jungen Luciano Pavarotti erinnert. Das immense Gefühl, das der sympathische Tenor über den Graben schickt, ist schlicht als traumhaft zu bezeichnen; zudem spielt er grandios und ist Angela Gheorghiu ein würdiger Partner. Die Musetta von Maria Rey-Joly hat flammend rote Haare und ebenso viel Feuer in der Stimme. Sie ist kokett und frech und bildet stimmlich wie optisch (tolle Kostüme aus der Zeit zwischen den Weltkriegen: Fernand Ruiz) einen Gegenpol zur ruhigen und besonnenen Mimì. Und auch Ionut Pascu zieht als Marcello alle Register, zeigt seinen facettenreichen Bariton und komplettiert so in idealer Weise das Vierergespann.

Neben solch hochkarätigen Bühnenerscheinungen – stimmlich wie darstellerisch – fällt es dem Rest des Ensembles schwer, den eigenen Rollen Profil zu verleihen; hier bleiben Chancen ungenutzt, selbst Collines eher halbherzig vorgetragene Mantelarie hat man Sekunden nach dem provozierten Szenenapplaus schon wieder vergessen. Der Chor (Einstudierung: Denis Segond) singt im zweiten Akt hinter herabgelassenen Prospekten, die den wandelbaren Unterbau der Mansarde, den Carlo Sala gebaut hat, bei offenem Vorhang blitzschnell ins Café Momus verwandeln. So bleibt die Inszenierung von Mazzonis di Pralafera über weite Strecken intim – und erfährt auch in Coronazeiten keine Anpassung. In Belgien gibt es hier ohnehin andere Regularien als hierzulande: das Publikum verfolgt die komplette Vorstellung mit Maske (der Saal kann mit einer Auslastung von rund 60 Prozent besetzt werden), in der verkürzten Pause gibt es keine Bewirtung; dafür sind auf der Bühne keine Mindestabstände einzuhalten, die Darsteller werden jedoch zweimal wöchentlich getestet.

 

Eine Änderung zur Produktion von 2016 gibt es aber dennoch: die Orchestrierung. Man greift hier auf eine von Ricordi veröffentlichte Version von Gerardo Colella für kleines Orchester zurück, die zur Entstehungszeit des Werkes ermöglichen sollte, dass die Bohéme auch an kleinen italienischen Theatern aufgeführt werden konnte. Das klingt anders als gewohnt, gerade die schwelgerischen Pucciniklänge mögen sich mit reduzierter Streicherzahl nicht vollends entwickeln – und doch ist diese Version eine interessante Alternative. Durch die Änderungen treten teilweise einzelne Stimmen deutlicher hervor und ermöglichen so einen anderen Blick auf die Partitur. Der französische Dirigent Frédéric Chaslin gibt in dieser Produktion sein Debüt am Haus und ihm gelingt das Kunststück, den musikalischen Charakter des Werkes auch mit weniger Musikern vollends zu entfalten. Er gibt der Partitur durch teils recht gemäßigte Tempi Zeit, sich zu entwickeln, ist dem Sängerpersonal eine wertvolle Stütze und macht den wunderbaren Abend auch musikalisch rund.

Das Theater, das heuer seinen 200. Geburtstag feiert, ist im Rahmen der derzeitigen Möglichkeiten ausverkauft – und das Publikum ist zu Recht begeistert und applaudiert frenetisch. Eine derart gelungene Geburtstagsparty mit solch wunderbar aufgelegten Gästen würde ich mir auch wünschen.

 

Ihr
Jochen Rüth

27.09.2020

 

Fotos © Opéra Royal de Wallonie-Liège

 

 

 

Giuseppe Verdi

Don Carlos

(fünfaktige französische Fassung)

 

Premiere: 30. Januar 2020

 

Solch ein Ausstattungsspektakel wie bei der Inszenierung von Verdis „Don Carlo“ im belgischen Liege bekommt man in Deutschland höchstens zu sehen, wenn die Opernhäuser in Berlin, Hamburg oder München eine Produktion zeigen, die sich seit 30 oder 40 Jahren im Repertoire befindet. Bühnenbildner Gary Mc Cann, der schon bei „Anna Bolena“ auf optische Überwältigung setzte, führt dieses Konzept nun fort.

Drei verschiebbare Bühnenelemente dienen als Palastfassade, gewendet zeigen sie einen Umgang mit Galerie. Acht verschiedene Bühnenbilder erschafft Mc Cann so und bei jedem Umbau ist man gespannt, wie der nächste Raum, aussehen wird. Im Kloster von San Yuste gibt es zusätzlich eine Statue Karls V. In der Gartenszene stellt der Ausstatter sogar einen großen Brunnen mit echten Fontänen auf die Bühne, und Landschaftsprojektionen sorgen für zusätzliche Atmosphäre.

Im deutschen Sprachraum ist Mc Cann bisher nur durch die Ausstattung für zwei missglückte Produktionen der Wiener Staatsoper („Macbeth“ und „Freischütz“) aufgefallen, aber seine Arbeiten für Liege lassen staunen. In den nächsten Jahren wird Gary Mc Cann vor allem für die niederländische Reisopera tätig sein. Im Kölner Musical Dome ist im März 2020 die von ihm ausgestatte „Saturday Night Fever“-Produktion zu sehen.

Gary Mc Canns Bühnenbilder würden reine starke Regie benötigen, doch Stefano Mazzonis di Pralafera beschränkt sich auf statische Arrangements, bei denen die Sängerinnen und Sänger bequem singen können. Gelegentlich gibt es kleine Regieeinfälle: Wenn König Philipp vor seiner großen Arie noch einen Windhund tätschelt, lenkt das von der Musik ab, weil jeder Zuschauer gespannt ist, wie das Tier reagiert. Wenn Prinzessin Eboli in der gleichen Szene dem König die Kassette mit den Schriftstücken Carlos überreicht und dann in einen langen Kuss mit dem König versinkt, profiliert das die Eboli. Gleichzeitig versäumt es die Regie Eboli aber als Anführerin des Aufstandes in der Gefängnisszene zu zeigen.

Beim Autodafé-Szene verschenkt die Regie den politischen Gehalt der Szene: Die Ketzer, die in großen Käfigen zu ihrer Verbrennung gefahren werden, wirken sehr gelassen. Die flandrischen Gesandten präsentieren sich als brave Untertanen. Wenn der Großinquisitor von zwei Statisten mit Down-Syndrom auf die Bühne geführt wird, muss jeder Zuschauer selbst entscheiden, ob dies eher eine Integration oder Vorführung der beiden Kleindarsteller ist.

In Liege ist erstmals die fünfaktige französische Version des „Don Carlos“, welche Grundlage der Pariser Proben war, zu sehen, was zu einer Spieldauer von vier Stunden und vierzig Minuten führt. Paolo Arrivabeni leitet eine Aufführung, in der das Orchester sehr plastisch erklingt, er entlockt der Partitur aber nicht nur düstere Farben, sondern auch viele aufgehellte lyrische Momente voller Hoffnung.

Den Carlos singt Gregory Kunde mit einem kräftigen und farbenreichen Tenor, der über viele kultivierte Zwischentöne verfügt. Er ist kein jugendlicher Prinz, sondern wirkt optisch eher wie ein Onkel des Königs. Den Philipp singt Ildebrando d´Arcangelo mit mächtigem Bass, der sowohl die bedrohlichen als auch lyrischen Seiten der Rolle lebendig macht. Mit warm strömenden Bariton gestaltete Lionel Lhote den Marquis Posa.

Yolanda Auyanet wird als indisponiert angekündigt, singt aber eine klangvolle und dramatische Königin Elisabeth. In der Rolle der Eboli verfügt Kate Aldrich über einen hellen und klaren Mezzo, der in der Höhe jedoch schneidend wird. Mit dunkler Bassgewalt singt Roberto Scandiuzzi den blinden Großinquisitor.

Die Oper in Liege bietet in der aktuellen Saison noch mehr Verdi: Neben der Mega-Rarität „Alzira“ (ab 17. April) gibt es noch ein Wiedersehen einer „Nabucco“-Inszenierung von 2016 (17. Juni).

 

Rudolf Hermes, 2.2.2020

Bilder (c) ORW

 

 

 

Giacchino Rossini

La Cenerentola

Premiere: 19. September 2014

Wiederaufnahme: 18. Dezember 2019

 

An Jean-Pierre Ponnelles legendärer „Cenerentola“-Inszenierung, die erstmals 1967 in San Francisco herauskam und danach weltweit gespielt wurde, kommt keine Neuproduktion des Werkes vorbei. Das gilt auch für die Inszenierung von Cécile Roussat und Julien Lubek, die im September 2014 erstmal im belgischen Liege gezeigt wurde und dort nun ihre Wiederaufnahme erlebt. Das Regieduo geht zwar teilweise andere Wege als Ponnelle, arbeitet aber mit der gleichen Akribie.

Ist bei Ponnelle das Bühnenbild ein riesiges Puppenhaus, so setzen Cécile Roussat und Julien Lubek auf die Vorzüge einer dreigeteilten Drehbühne. Im Hause Don Magnificos bekommen wir das Schlafzimmer des Hausherren, einen Platz vor dem Haus mit Brunnen und ein marodes Treppenhaus präsentiert. Im Palast Don Ramiro erleben wir als Schauplätze den Thronsaal, den Weinkeller und den Schlossgarten. Das ist eine abwechslungsreiche Ausstattung mit hohem Schauwert, die zudem gute Spielmöglichkeiten bietet.

Das Regieduo lässt den Philosophen Alidoro als Spielleiter, der manchmal in die Handlung eingreift, die Geschichte präsentieren. Sechs magische und akrobatische Begleiterinnen lenken mit ihm das Geschehen. Die Regie setzt zudem auf zauberhafte Theatereffekte und lässt Angelina im Heißluftballon zum Ball des Prinzen fliegen. Ein schöner Einfall ist es, wenn das Essen auf der Tafel des Prinzen lebendig wird und wenn Don Magnifico im Weinkeller des Prinzen unzählige Flaschen aus einer Papierröhre verzaubert. Dieses Regieteam will sein Publikum wirklich verzaubern.

Musikalische Leiterin ist Chefdirigentin Speranza Scapucci. Das Orchester klingt bei ihr ungewöhnlich schlank und leicht. Sie nähert sich Rossini über Mozart und lässt das Orchester flink aufspielen. Dieser klassische Ansatz überrascht zwar, führt aber dazu, dass die Rossini-Crescendi, in denen der Komponist die Verwirrung der Figuren zum Klingen bringt, nicht die dynamische Bandbreite haben, die man sonst gewohnt ist. Den Sängerinnen und Sängern kommt dieser Ansatz sehr entgegen

Die Angelina wird von Karine Deshayes als selbstbewusst-resolute Frau gespielt. Bei ihr fragt man sich, ob sie ihren Willen nicht auch so durchsetzen könnte, ohne zauberische Hilfsmittel Alidoros? Deshayes besitzt einen schönen lyrischen Mezzo und schnurrt die Koloraturen geläufig ab. In den Prestissimo-Abschnitten spricht sie den Text aber mehr, als dass sie ihn singt.

Als Prinz Don Ramiro gibt Levy Sekgapane sein Hausdebüt in Liege. Der junge Tenor aus Südafrika glänzt mit leichter und höhensicherer Stimme, die zudem sehr beweglich ist. Jedoch könnte die schön gefärbte Stimme über mehr Volumen verfügen, um in einem großen Haus wie der Opera Royal aufzutrumpfen.

Ein Erzkomödiant ist Bruno de Simone als Don Magnifico. Mit geschmeidigem Bass jagt er durch die Rolle. Magnifico, seine Töchter und der Kammerdiener Dandini, der von Enrico Marabelli gesungen wird, werden von der Regie und den Kostümen comichaft überzeichnet. Als Schwestern Clorinda und Tisbe bleiben Sarah Defrise und Angélique Noldus stimmlich unauffällig. Diese komödiantischen Figuren bräuchten sängerisch ein stärkeres Profil.

Die Opera Royal bietet eine sehenswerte „Cenerentola“, bei der musikalisch aber noch Luft nach oben ist. - Als nächste Produktion zeigt Liege vom 30. Januar bis zum 14. Februar Giuseppe Verdis „Don Carlos“, und zwar in der selten gespielten fünfaktigen französischen Originalfassung.

 

Rudolf Hermes, 24.12.2019

Bilder (c) Oper Lüttich

 

 

 

Zum Zweiten

Les Pecheurs de Perles

Premiere: 8. November 2019

Besuchte Vorstellung: 12. November 2019

 

Während in den Niederlanden jährlich ein osteuropäisches Opernhaus mit Bizets „Perlenfischer“ auf Tour geht, fristet das Stück in Deutschland ein Schattendasein. So ist in dieser Spielzeit Saarbrücken das einzige deutsche Haus, das diese Oper spielt. Eine Reise ins belgischen Liege kann Abhilfe schaffen, denn dort ist nun Yoshi Oidas Inszenierung aus dem Jahr 2015 als Wiederaufnahme zu sehen.

Der Raum von Tom Schenk ist so abstrakt, dass er mit seiner leeren und nach hinten gewellten Spielfläche für viele anderen Opern genutzt werden könnte. Entscheidend ist die Beleuchtung von Fabrice Kebour, die besonders in den dunklen Blautönen für magische Stimmungen sorgt. Im hellen Scheinwerferlicht wirkt diese leere Fläche aber banal. Da hat man im traditionell orientiertem Lieger Opernhaus schon Produktionen mit mehr Flair gesehen.

Die Regie von Yoshi Oida ist sehr statuarisch. Große darstellerische Aktionen fordert er von seinen Akteuren nicht. Immerhin kommt so die Musik zu ihrem Recht, und die Darsteller können in bequemen Posen singen. Die folkloristisch gemeinten Choreografien, die von sieben Tänzern ausgeführt werden, bleiben Nebensache und schaffen wenig Atmosphäre.

Mit dem 86-jährigen Michel Plasson steht ein großer Kenner der französischen Romantik am Pult des Orchesters der Opera Royal. Plassons betont vor allem die lyrischen Feinheiten der Partitur und zaubert wunderschöne Klangmischungen. In den dramatischen Passagen hätte man sich aber einen handfesteren Zugriff auf die Musik gewünscht.

Für die „Perlenfischer“ werden gerade einmal vier Solisten benötigt. Mit Cyrille Dubois als Nadir ist eine echte Goldkehle zu erleben. Der französische Tenor singt die Partie mit leichter und wunderschön gefärbter Stimme, die über viel Schmelz verfügt. Sein Freund und Rivale Zurga wird von Pierre Doyen interpretiert. Die beiden Sänger harmonisieren im berühmten Duett des ersten Aktes perfekt. Doyens Bariton ist ebenso kernig wie höhensicher.

Annick Massis als von den Freunden umschwärmte Leila hat alle Töne, die eine Sängerin für diese Rolle benötigt. Jedoch klingt ihre Stimme oft unterkühlt und wenig liebreizend. Den Oberpriester Nourabad singt Patrick Delcour mit zuverlässigem Bass.

Als nächste Produktion steht in Liege vom 18. bis 31 Dezember Rossinis „La Cenerentola“ auf dem Spielplan. Den Prinzen Don Ramiro singt dann der südafrikanische Tenor Levy Sekgapane, der 2015 im Krefelder „Barbier von Seviglia“ einen fulminanten Almaviva sang.

 

Rudolf Hermes 18.11.2019

Bilder siehe unten!

 

 


Bizets

cheurs de perles

Premiere: 17.04.2015
besuchte Wiederaufnahme: 08.11.2019

Stimmungsvoll

Lieber Opernfreund-Freund,

Bizets Bühnenwerke hatten neben seinem Gassenhauer Carmen von jeher einen schweren Stand. Über zehn weitere Opern hat der im Alter von nur 36 Jahren verstorbene Komponist hinterlassen und bis heute werden allenfalls seine Perlenfischer aufgeführt. Selbst die galten jahrelang als Rarität, wurden ab und an höchstens konzertant gegeben. Der Blick auf das von Orientalismen durchzogene Werk hat sich aber in den vergangenen Jahren gewandelt: neben kleineren Häusern wie Kaiserslautern, Pforzheim und Zwickau brachten in jüngster Zeit auch das Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen und die Staatsoper Berlin die Pêcheurs de perles auf die Bühne, im kommenden Frühjahr steht eine Neuproduktion im Saarland an. Und auch die europäischen Nachbarn im Benelux haben Gefallen an Carmens „kleiner Schwester“ Leïla gefunden; nachdem FC Bergman in der vergangenen Spielzeit an der Vlaamse Opera mit ihrer Umsetzung ein großer Wurf gelungen ist, hat das Königliche Opernhaus der Wallonie in Lüttich ihre 2015 in Zusammenarbeit mit der Opéra Comique in Paris und der Opéra National de Bordeaux entstandene Produktion am gestrigen Abend vor ausverkauftem Haus wiederbelebt.

Im Gegensatz zur umdeutenden und bildgewaltig daherkommenden flämischen Produktion beschränkt sich die Arbeit des renommierten japanischen Regisseurs Yoshi Oïda im Wesentlichen auf das Spiel mit Stimmungen. Die leere Bühne von Tom Schenk verfügt über eine Rampe, von deren hinteren Ende es ins Meer hinab geht, und ist bis auf wenige Requisiten wie angedeutete Stege, von der Decke hängende Bootsskelette und ein paar aufgestellte Muschelkörbe leer – und doch gelingt es dank des ausgefeilten Lichtkonzeptes von Fabrice Kebour, die Geschichte der Männerfreundschaft zwischen Nadir und Zurga, die sich einst in die gleiche Frau, Leïla, verliebten und um der Freundschaft willen geschworen hatten, auf sie zu verzichten, schlüssig zu erzählen. Als sich die junge Frau, die durch ihren Gesang die Götter milde stimmen soll, als jene Leïla entpuppt, kann Nadir seine Gefühle nicht mehr zurückhalten. Zurga – von Eifersucht zerfressen – lechzt nach Rache und verurteilt beide zum Tode. Als er jedoch erkennt, dass ihm Leïla vor Jahren einmal das Leben gerettet hatte, verhilft er beiden zur Flucht und ermöglicht ihrem Glück eine Zukunft dadurch, dass er selbst allein zurückbleibt.

Die Personenführung von Yoshi Oïda ist alles andere als ausgefeilt, gerade in den Massenszenen wird es oft unübersichtlich, da hier der Chor noch durch dazwischen umherspringende Tänzer ergänzt wird. Und doch gelingen dem Japaner, der 1968 von Jean-Louis Barrault zum Theater der Nationen nach Paris eingeladen worden war und seither dort lebt, gerade in den innigeren Momenten starke Bilder, die er immer wieder durch wie en passant eingefügte Aktionen, wie im Hintergrund ins Meer springende Perlentaucher, belebt. Damit liegt er mit der schon lieb gewonnen Tradition des Hauses auf einer Linie, dessen Produktionen sich in den vergangenen Jahren immer wieder aufs Neue durch eine gekonnte Mischung aus Traditionalismus und lebendigen Ideen ausgezeichnet haben.

Die Figur der Leïla tritt über weite Strecken verschleiert auf, so dass sich die französische Sopranistin Annick Massis oft auf ihre ausdrucksvolle und wandelbare Stimme verlassen muss, um der jungen Frau Leben einzuhauchen und deren Gefühle darzustellen. Das gelingt Annick Massis verzüglich! Sicher hat man die Koloraturen dieser Partie schon raffinierter und leichter gehört und auch eine gewisse Schärfe, die Massis‘ Sopran mittlerweile bisweilen beigemischt wird, ist zu hören. Doch auf der anderen Seite gelingen ihr immer wieder betörende, gleichsam schwebende Höhenpiani; Massis verfügt über eine satte und ausdrucksstarke Mittellage – und darüber hinaus über einen schier endlosen Atem und macht so gehörig Eindruck. Die Leïla hat die renommierte Sopranistin im Laufe ihrer Karriere gern und oft gesungen (es gibt CD & DVD einer Produktion in Venedig aus dem Jahr 2004), schon ganz zu Beginn, Anfang der 1990er Jahre, als sie in dieser Rolle am Théâtre du Capitole in Toulouse reüssieren konnte. Von dort kennt sie sicher auch den Dirigenten des gestrigen Abends, Michel Plasson. Der war in Toulouse von 1968 Theaterchef und dirigierte das dortige Orchester, das zu einem der besten französischen zählt, bis 2003. Im Graben der Opéra Royal de Wallonie-Liège, an der er gestern zum ersten Mal überhaupt die Leitung inne hatte, verströmt er mit den Musikerinnen und Musikern einen wunderbar zarten Klang, wagt allerdings musikalisch-satte Ausbrüche ebenso, wie er den Zeitgeschmack und Stoff geschuldeten orientalischen Anklängen Raum gibt. Dabei vergisst Plasson jedoch das Französische der Partitur nie – sondern entfaltet es vollkommen.

Cyrille Dubois enthält dem Publikum zwar den Spitzenton am Ende des berühmten Je crois entendre encore vor, doch was macht das bei der ansonsten makellosen Interpretation des aus der Normandie stammenden Tenors. Sein weiches und klares Timbre strotzt nur so vor Gefühl und in der Duettszene mit Annick Massis laufen beide zu Höchstform auf. Pierre Doyen als sein Freund und Konkurrent zeigt einen eindrucksvollen, emotionsgeladenen, durchdringenden Bariton und kehrt für seine Interpretation des Zurga in die Stadt zurück, in der er einst studiert hatte, ehe es ihn wie die vorgenannten auf die Bretter der international renommiertesten Bühnen zog. Patrick Delcour gehört seit über 20 Jahren zum festen Sängerstamm der Opéra Royal de Wallonie-Liège und ist ein glaubhaft mahnender Nourabad. Die Einsätze des von Pierre Iodice betreuten Chores sind am gestrigen Abend nicht immer ganz sauber, auch würde den Damen ein wenig frischer stimmlicher Nachwuchs nicht schaden – doch das tut dem Genuss des Abends keinen Abbruch. Das Publikum im voll besetzten Opernhaus von Lüttich ist begeistert und applaudiert frenetisch und lang anhaltend nicht nur der Sängerriege, sondern auch dem Stardirigenten sowie dem Regieteam rund um Yoshi Oïda.

 

Ihr Jochen Rüth 09.11.2019

Fotos © Opéra Royal de Wallonie-Liège

 

 

 

 

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