Kammeroper im Rathaushof
http://www.rathausoper.de/ Foto: Konstanz-Tourismus
Erfrischend einfach
Giovanni Paisiello (1740 – 1816)
NINA
O sia la pazza per amore - Opera semiseria in zwei Akten
Der Graf wirft ein Auge auf Susanna
Giovanni Paisiello war einer der beliebtesten Komponisten seiner Zeit; er hat über 100 Opern geschrieben, meist Buffen. Gespielt wird er so gut wie nicht mehr; erwähnt wird allerdings noch häufig sein „Barbiere di Siviglia“ (1782 – zu diesem Zeitpunkt höchst aktuell! – UA derBeaumarchais-Vorlage 1775) in den Programmheften der gleichnamigen Rossini-Oper, die dem Paisiello-Werk 1816 den Rang ablief, das nur noch höchst selten auf den Spielplänen erscheint. Seine semiseria Nina wurde zuletzt 2002 an der Oper Zürich in einer etwas aufgeplusterten Version mit Cecilia Bartoli und Jonas Kaufmann aufgeführt; sie eignet sich aber genauso gut für einen kleinen, bescheidenen Rahmen als „Sommeroper“, wie jetzt die Kammeroper in Rathaushof in Konstanz bewies, wo sie mit den ursprünglich gedachten 90 Min. reine Aufführungszeit auskommt. Nina in Konstanz ist die einzige Paisiella-Oper, für welche operbase in der Spielzeit 2013/14 überhaupt eine Aufführung listet.
Die literarische Vorlage der Oper stammt aus Frankreich: Nina, ou La folle par amour von Benoît-Joseph Marsollier des Vivetières. Daraus erstellten Giuseppe Carpani und Giambattista Lorenzi das handlungsarme Libretto: Nina liebt Lindoro und war ihm versprochen. Aber ihr Vater, „Il conte“, hatte im letzten Moment eine „bessere Partie“ für sie ausgemacht, einen reichen Adligen, der Lindoro im Duell tötete, woraufhin die Hochzeit mit dem reichen Adligen platzt, da Nina dem Wahnsinn verfällt, niemanden mehr erkennt und auf einer Parkbank von der Wiederkehr des einstigen Geliebten fantasiert. Diese Vorgeschichte von Verrat und Duell wird prologartig in der ersten Szene der Oper vom Dienstmädchen Susanna erzählt. Lindoro ist natürlich gar nicht tot, sondern nur zur Genesung verreist und kehrt als Hirte verkleidet ins Schloss zurück, wo er vom Grafen und von den Bediensteten erst an der Stimme; dann auch an der Gestalt erkannt wird. Aus wahrer Liebe zu seiner Tochter Nina schließt der Graf Lindoro nun als Schwiegersohn in sein Herz und veranlasst den Diener Giorgio, Nina durch geschickte Ausforschungen von Seele und Erinnerung wieder in die real existierende Welt zurückzuholen, womit die Geschichte in einem freudigen Finale ihr lieto fine findet.
Die buffonesken Elemente der Oper finden sich im Libretto der Oper im Umfeld der Titelfigur: Die Bediensteten, die Landleute, das leichte pastorale Umfeld und ein paar Anzüglichkeiten; musikalisch wird dieser Stilaspekt durch die Ensembles und Chorszenen sowie die gesprochenen Dialoge gefestigt. Die „seria“-Elemente der Oper bestehen in der Darstellung des geläuterten Grafen sowie in der Thematisierung der Umnachtung der Titelfigur Nina. Die Figur einer Geistesabwesenden oder „Verrückten“ findet sich in romantischen italienischen Opern später noch häufiger wieder (z.B. Lucia di Lammermoor oder la sonnambula). Mit Nina wird keine eigenartige exotische Figur vorgezeigt, sondern ein Zustand, mit dem man sich auseinandersetzen muss und der dann durch geschickte Behandlung auch geheilt werden kann.
Paisiello hat die Oper als Auftragswerk für König Ferdinand II von Neapel, einen reaktionären Bourbonenfürsten geschrieben. Der hatte in einer Anwandlung von Sozialromantik eine eine Siedlung für 30 Handwerkerfamilien erbauen lassen, die hier friedlich und in Gleichheit lebend ihrer Beschäftigung nachgehen sollten. Zur Feier dieses Ereignisses (im Schicksalsjahr) 1789 wurde im Schlossgarten seiner Sommerresidenz, dem palazzo reale bei Caserta, Paisiellos Oper uraufgeführt. Somit trägt diese auch Zeichen einer Huldigungsoper. Denn von der Missetat des conte, sein Versprechen gegenüber Lindoro und Nina eitler Macht und schnöden Mammons wegen gebrochen zu haben wird nur im Prolog erzählt. Das Auftreten selbst des conte während der Oper ist durch Liebe und Sorge für seine Tochter und Güte gegenüber seinen Untertanen gekennzeichnet.
Foto: Oliver Hanser
Spiritus rector der Kammeroper im Rathaushof Konstanz ist der Musikpädagoge Peter Bauer, der das Projekt vor über dreißig Jahren initiierte und seither leitet. Die Aufführung von Nina im Konstanzer Rathaushof bringt etwas von der Parkatmosphäre der Uraufführung mit: die Bühne – einfachst mit zwei Bänken ausgestattet - befindet sich vor einer Efeu-bewachsenen Wand, mit der ein Heckentheater der Rokokozeit imaginiert werden kann. (Vielleicht hatte 1789 gar noch ein Vertreter der königlichen Familie mitgespielt?). Zur optischen Auflockerung des Hintergrunds sind vier große Bilderrahmen an der Wand aufgehängt. Davor wird in dem schönen Renaissancehof gezeigt, mit wie wenig eine wirkungsvolle Opernaufführung auskommen kann. Die Auftritte erfolgen aus dem Durchgang zum Rathausgarten oder aus den Rathaustüren; die Beleuchtung besteht nur aus wenigen Scheinwerfern. Der Bühnenaufbau und die einfachen Kostüme stammen von Thomas Ziegler - durchwegs helle zeitlose bis moderne Kostümen mit Kennzeichnung des Standes: Hosenträger für den Diener, eine Schürze für die Magd. Der Rest muss durch die Regie beglaubigt werden, wobei sich die Schweizer Regisseurin Marianne de Pury ganz eng am Text hält. Der besteht in der in Konstanz dargebotenen Version aus deutschen Dialogen und accompagnati und italienisch gesungenen Arien und Ensembles. Wegen der Einfachheit der Handlung und der klaren Regiesprache gibt es keine Probleme mit dem Verständnis des Geschehens.
Es gibt in der Opernliteratur noch ein berühmteres Beispiel, das Paisiello natürlich gekannt haben muss, in welchem ein Graf und eine Bedienstete namens Susanna vorkommen. Die Regie erinnert daran, indem sie auch dem Nina-Grafen eine gewisse Anhänglichkeit zu Ninas Dienstmädchen Susanna zuschreibt. Kernpunkt der Oper ist aber die Wiedererweckungsszene der Nina, in welcher Giorgio Nina erst langsam durch stetes überzeugendes Wiederholen der alten Liebesgeschichte interessiert und ihr dann durch das Vorzeigen der bestickten Weste Lindoros den heilsamen Schock des Wiedererkennens versetzt: Diener Giorgio als Vorreiter von Dr. Freund.
Der zu dieser Premiere bis auf den letzten Platz besetzte Rathaushof hat für eine Freilichtaufführung eine sehr gute Akustik. Es braucht nichts verstärkt zu werden. Da die Sitze weit um die Bühne herumstehen, befindet man auch auf den hintersten der etwa 250 Plätze nicht weit von der Bühne entfernt. An dem recht kühlen Abend begann es leider nach etwa einer halben Stunde Spielzeit zu tröpfeln, so dass das Theater in die „Spiegelhalle“ beim Konstanzer Bahnhof umzog: fünf bis zehn Minuten Fußweg. Dort war die von den Zuschauern teilweise mitgebrachte Biwakausrüstung nicht mehr erforderlich; man saß warm und trocken. Vielleicht sind in dieser Halle mal Spiegel gelagert gewesen und haben so für deren Namen gesorgt. Denn es handelt sich um einen prosaisch nackten Saal mit kleiner Bühne, voraussorgend mit zwei Bänken als notorischem Bühnenbild bestückt; aber der Efeu im Hintergrund ist nun nicht mehr vorhanden. Obwohl die hinteren Plätze nun sehr weit von der Bühne entfernt sind, gibt es auch hier an der Akustik nichts auszusetzen.
Ensemble und Leitungsteam
Peter Bauer hat aus Musikern der näheren und weiteren Umgebung ein etwa zwanzigköpfiges Instrumentalensemble zusam-mengestellt, dessen Stärke und Klang schon deutlich über eine normale „Kammeroper“ hinausgehen. Bauer leitete das musikalische Geschehen selbst und fand für die einfache Musik einen leichten, federnden Klang, der dem meist heiteren Geschehen auf der Bühne gut stand. Sonore Basslinien verdeutlichten die Welt Ninas. Auf einem solchen soliden Bassfundament von zwei Celli und einem Kontrabass baute sich der meist melodieführende präzise musizierende Klangapparat der höheren Streicher auf, überlagert vom farbgebenden und teilweise solo-musizierenden Holzbläsern, wobei diese mehrfach schön zu den Gesangsstimmen aufspielten. Die Instrumentation war vielfach genau den handelnden Personen zugeordnet. Was weniger passte, war das überwiegend zu laute Spiel der Hörner auch da, wo sie mit hintergründigen Haltetönen nur dezent färben sollten, aber dieses Klangideal nicht erreichten; dazu kamen etliche Konzentrationsfehler.
Das überwiegend sehr junge Gesangsensemble wusste durchweg zu gefallen. Besonders positiv fiel die allgemein sehr gute ungezwungene und gut verständliche Deklamation bei den gesprochenen Passagen auf, die man in der Qualität bei Opernhäusern mit ihren international zusammen gewürfelten Ensembles kaum mehr erwarten darf. Selbst bei teilweise bewegtem Spiel hatte man an diesem Sprechtheater seine Freude. Nina, die die ersten zwanzig Minuten teilnahmslos auf ihrer Bank lag (zum hellen Kleid hatte sie noch einen schwarzen Schleier) wurde von Astrid Bohm mit einem tiefgründigen, sinnlich eingedunkelten Sopran bei schöner klarer Führung der Höhen gesungen; gut kontrastierend dazu der bewegliche leichtere silbrige Sopran von Andrea Suter als Susanna. Mit einem kraftvollen, gut fundierten, aber dennoch beweglichen und auch in der Höhe nicht zu hellen Tenor wartete Daniel Lenz als Lindoro auf, der seine Auftrittsarie von hinten die große Halle durchmessend sang. (Wegen der unterschiedlichen Räume musste die Personenführung für die beiden Wetter- bzw. Raumvarianten doppelt einstudiert werden.) Mateo Peñaloza Cecconi setzte seinen markanten Bariton kräftig in der Rolle des Dieners Giorgio ein, und Josef Pepper gab mit weich ansprechendem hell timbrierten Bass einen überzeugenden Conte. Für eine Kammeroper typisch: es gab keinen Chor. Statt die Chorpassagen aber zu streichen, hatte man ein ausgeprochen klangschönes Vokalensemble aus vier Damen (Corinna Miller, Saralinda Bouman, Hannah und Marike Potts) als „Villanelle“ sowie zwei Herren (Roland Caillet-Ménégoz und Lorenzo da Cunzo) zusammen gestellt.
Die Zuschauer waren es am Ende durchaus zufrieden und spendeten reichlich Beifall für die Aufführung. Weitere Aufführungen kommen nun noch am 16., 18. und 20. August.
Manfred Langer, 15.08.2014 Bilder folgen