REMSCHEID
REMSCHEID die wunderbare Stadt mit der historischen (immer noch) höchsten Eisenbahnbrücke Deutschlands, ist stets einen Besuch im Bergischen Land wert - bitte mit Wuppertal verbinden und mit der älteste Schwebebahn Europas fahren!
www.remscheid.de
http://www.teo-otto-theater.de/microsite/teo-otto-theater/
Der fliegende Holländer
Premiere: 8. September 2017
besuchte Vorstellung: 22. September 2017
(Gastspiel der Oper Detmold)
Das Landestheater Detmold hat in den vergangenen Jahren mehr Wagner-Kompetenz bewiesen, als mache der großen NRW-Bühnen. Nach dem „Ring des Nibelungen“ (2006-2009) brachte das kleine Haus auch noch „Parsifal“, (2012), „Tristan und Isolde“ (2013) sowie „Die Meistersinger von Nürnberg“ (2016) heraus. Zum Beginn seines letzten Amtsjahres bringt Intendant Kay Metzger, der nächste Saison nach Ulm wechselt, „Der fliegende Holländer“ auf die Bühne.
In seiner Inszenierung folgt Metzger einigen Ideen, die schon Harry Kupfer in seiner Bayreuther Inszenierung von 1978 entwickelt hat: Senta ist eine Schwärmerin, die sich den Holländer herbei träumt. Hier ist sie eine Kinogängerin, die täglich eine Aufführung des Filmes „Fluch der Meere“ besucht und für die Titelfigur schwärmt. So spielt die Inszenierung auch in einem von Petra Mollérus entworfenen Kinofoyer, wo mal der Steuermann, mal Mary im Getränkeausschank stehen. Zwar folgt man dieser Aufführung mit großer Spannung und sucht in der sorgfältig gearbeiteten Personenführung andauernd nach Hinweisen, für die Entschlüsselung des Konzeptes, gleichzeitig hat Metzger so viele Einfälle, so dass das eigentliche Konzept überdeckt und noch weiter verrätselt wird.
Die Tatsache, dass hier dauernd von „Klippen“, „Meer“ und „Schiff“ gesungen wird, davon aber nichts zu sehen ist, ist schon verwirrend genug. Metzger scheint aber zudem immer wieder die Perspektive zu wechseln, so dass sich nicht nur Senta diese Geschichte herbei fantasieren könnte, sondern auch Daland oder der Holländer.
Wenn Daland alleine am Tisch sitzt und ein Glas nach dem anderen lehrt, wirkt diese Inszenierung wie eine Alkoholphantasie des Kapitäns und zudem gibt es in den Holländer-Szenen auch noch das Filmplakat vom „Ruf der Heimat“, auf dem Senta zu sehen ist. Ist der Holländer vielleicht auch nur ein Kinobesucher, der von der Hauptdarstellerin dieses Filmes schwärmt. Metzger lässt das Publikum über weite Strecken im Unklaren.
Gesungen wird ordentlich bis hervorragend: Sopranistin Inga-Britt Andersson ist mit heller und kraftvoller Stimme eine selbstbewusste und sehr textverständliche Senta. Derrick Ballard gefällt als Holländer mit seiner knorrigen Bariton. Jedoch klingt die Stimme im Piano manchmal blass. Das könnte daran liegen, dass Ballard neben der Detmolder „Holländer“-Serie, zu der auch Gastspiele von Fulda bis Wolfsburg gehören , auch noch die Titelpartie in Händels „Saul“ am Staatstheater Mainz singt und manchmal täglich zwischen beiden Bühnen und Partien wechselt.
Christoph Stephinger gefällt als Daland mit seinen tiefen und warmen Legato-Bögen. In der Höhe bleicht die Stimme jedoch aus, und in den schnellen Dialogszenen müsste er viel pointierter artikulieren, um eine bessere Textverständlichkeit zu erzielen. Ewandro Stenzowski als Erik singt seine Partie mit dem Schmelz einer Mozart-Stimme, jedoch fehlt ihm die heldentenorale Wucht, die diese Rolle auch benötigt. Treffender ist da der Steuermann mit Stephen Chambers besetzt, der über eine farbenreiche Stimme verfügt. Eine zuverlässige Mary ist Lotte Kortenhaus.
Bei dem Gastspiel des Landestheater Detmold in Remscheid sitzen die Bergischen Symphoniker unter der Leitung ihres GMDs Peter Kuhn im Graben. Im Fortissimo kann das Orchester zwar auftrumpfen, aber im Piano klingen die Streicher brüchig und die rhythmische Koordination der Holzbläser ist nicht die beste.
Szenisch ist dieser Abend deutlich schwächer gelungen als die vorangegangenen Detmolder Wagner-Inszenierungen. Solch eine „um die Ecke“ gedachte Produktion dürfte bei Gastspielen in Häusern, in denen es keine Wagner-Tradition gibt, einige Verwirrung beim Publikum auslösen.
Rudolf Hermes 26.9.2017
Bilder (c) Theater Detmold
WILD GRASS
Beijing Dance Theatre
am 7.3.16
VIDEO
Choreographie: Yuanyuan Wang – Bühne, Licht: Han Jiang - Musik: Su Cong, Biosphene und Kangding Ray, Wang Peng
Auf seiner aktuellen Deutschlandtournee mit dem Programm „Wild Grass“ machte das Beijing Dance Theatre vor wenigen Tagen Station im Remscheider Teo Otto Theater. Auf Texte des chinesischen Nationaldichters Lu Xun (1881– 1936) seiner Sammlung kurzer essayistischer Prosa „Wilde Gräser“ aufgebaut, wurden drei Szenen entwickelt: „Das tote Feuer“ (Musik: Su Cong), „Der Abschied des Schattens“ (Musik: Biosphene und Kangding Ray) und „Tanz des Äußersten“ (Musik: Wang Peng). Die oft alptraumhaften Tableaus, jeweils individuell vertont, ließen den hohen tänzerischen Rang des Ensembles aus 12 Tänzerinnen und Tänzern, seine klassische Ausbildung und die intensive Beschäftigung mit Lu Xun deutlich werden. Daß die getanzten Szenen letztlich Lu Xuns Texte sehr frei interpretieren, mindert nicht die Qualität der Darbietung.
Schwankende Gräser im leichten Wind, sacht fallende Blütenblätter, eine metallisch im Dur-Diskant angeschlagene eintönige Klaviatur, dazu komplexe Formationen - von Liebeswerben, Kampf und Vergehen vor der Kulisse einer harschen Gebirgskette erzählt das Szenario „Das tote Feuer“ - und wirkt wie eine chinesische Antwort auf Strawinskys „Sacre du printemps“.
Eleganz und Schönheit biegsamer Körper im pas de deux und pas de trois zeigt „Der Abschied des Schattens“. Die durchaus humorvolle Kombination von klassischen Tanz, Kontorsion und zeitgenössischem Tanztheater mit clownesken Zügen in Anlehnung an Monty Pythons „Silly Walks“ wäre spaßiger gewesen, hätten nicht enervierend harte Bass-Drumbeats 20 Minuten lang das Trommelfell gefoltert. Sehenswert aber war es allemal, wenn auch einige wenige das wohl nicht so empfanden und nach 25 bzw. 45 Minuten weit vor der Zeit flohen. Sicher hatten sie zuhause Essen auf dem Herd stehen.
Die Welt ein Flokati? „Tanz des Äußersten“ mit berührenden Cello-Passagen im wunderschön traurigen Streichquartett schloß den Zyklus, sich
konsequent dynamisch aufbauend auf einem raffiniert ausgeleuchteten riesigen Hirtenteppich. Auch hier der Vanitas-Gedanke, ein parabelhaftes Bild des endgültigen Vergehens ohne Entkommen. Wie die vorigen Szenen eine tänzerische Perle und ebenso unzweifelhaft wie „Das tote Feuer“ unter dem prägenden Einfluß des von Pina Bausch geschaffenen modernen Tanzes stehend. Nicht allzu dicht an Lu Xuns Text, wie gesagt, jedoch allemal den Applaus wert, den der Abend von den höchstens 100 Zuschauern erhielt, die den Weg ins Theater gefunden hatten. Stehende Ovationen hätte man früher einmal erwähnt, weil sie besonders herausragende Leistungen würdigten. Heute wirkt das inflationär, weil sich die Applaudierenden damit selber feiern und ihn letztlich fast jeder bekommt.
Frank Becker 7.3.16
Bilder (c) BDT
GRAFFITI CLASSICS
27.11.15
Klassik mal ganz anders, nämlich humorvoll
Carl O’Doole (Cathal O’Duill), Kontrabaß, Gesang (Irland) - Sam Kennedy, Viola, Gesang (England) - Sofia Eklund, Violine (Schweden) - Akiko Ishikawa, Violine (Japan) sind derzeit das Quartett „Graffiti Classics“ um Frontmann O´Doole. Die vier servieren mit viel Tempo, Witz und Temperament einen im reinsten Wortsinn bewegten Abend musikalischer Grenzgänge. So sportlich hat man ein klassisch besetztes Streichquartett sich noch nie gesehen.
Oder haben Sie je das Intro zu Beethovens 5. Sinfonie mit dem Publikum zugewandten, geschwenkten Hinterteilen erlebt? Das sah man zum Gaudium des von den skurrilen Ideen des Quartetts begeisterten Publikums gleich nach der pathetischen Eröffnung mit Richard Strauß´ „Also sprach Zarathustra“. Stillstehen mochten diese Musiker bei keinem der Stücke ihres umfangreichen, bunten Repertoires, das gelegentlich sogar artistische Momente hatte.
Der Wechsel des hörbar klassisch ausgebildeten Ensembles zwischen besagter Klassik, Folklore und Popmusik gelingt ebenso wie die flott choreographierten tänzerischen Einlagen der Musiker, bei denen z.B. J.S. Bachs „Air auf der G-Saite“ in seiner englischen Fassung „Air on a G string“ eine gewisse Pikanterie bekommt. Laut O´Doole, dessen Kontrabaß hier ein wenig an den von Pierre Michelot erinnert, hat Bach dadurch seine Schreibblockade überstanden. Und sie spielen es zum Niederknien, bis alle vier am Boden liegen. Zum Aufstehen braucht es dann schon den energischen Maschinenrhythmus von Ravels „Bolero“.
Daß Kennedy und O´Doole auch über beachtliche sangliche Fähigkeiten verfügen, zeigen sie mit einem kleinen Sängerkrieg in dem O´Doole Kennedys im feinsten Knödeltenor interpretierten „O sole mio“ mit Presleys „It´s now or never“ konterkariert. Es wird überhaupt viel gesungen während dieses außergewöhnlichen Streichquartett-Abends – und oft ist es das Publikum, das energisch zum Mittun aufgefordert wird. Johannes Brahms´ „Ungarischer Tanz Nr. 5“, das russische Volkslied „Schwarze Augen“, mit viel Ulk das irische „Danny Boy“, der traditionelle „Drunken Sailor“, Tango, Czardas und Can Can – sie haben alles „drauf“.
Als besondere Delikatessen zeigten sich Ervin T. Rouses „Orange Blossom Special“ und der Fiddle-Song „The Devil Went Down to Georgia“ von der Charlie Daniels Band – das war Country vom Feinsten, das regelrecht in die Beine ging. Und das gezupfte „Harry Lime Theme“ hätte Anton Karas auf seiner Zither kaum besser hinbekommen. Ein ganz köstlicher Abend, den keiner der Zuhörer und –schauer so bald vergessen wird. Also ich könnte gleich wieder…
Frank Becker 10.12.15
Taralina in Waterland
Un après-midi dans la mer
(Ein Nachmittag unter Wasser)
Ballett der Choreografischen Werkstatt Remscheid
Das kleine Mädchen Taralina (Lilly Ringel) steht am Kai des belebten Hafens und träumt sich in die schier unendliche Welt des Meeres, das an die Ufermauer spült. Ein erstes Glanzlicht ist im Eröffnungsbild Michael Kutscha, der sich auf der Gitarre zu einer warmen, klangvollen Ballade begleitet. Die weite See lockt mit ihren Wundern und Rätseln, mit ihren ungezählten geheimnisvollen Wesen und ihrer fast beängstigenden Größe und Tiefe. Doch das Kind widersteht den süßen Verlockungen der Nereiden, ihrem magischen Ruf zu folgen - zu groß scheint ihr die Gefahr, nicht zurückkehren zu können. Kinder haben aber zum Glück noch die Gabe der Phantasie, also träumt sich Taralina in diese Welt unter Wasser, unternimmt eine abenteuer- und bilderreiche Reise nach „Ozeania“, wo sich Korallen und Quallen, Seeschnecken und Königskrabben, Scalare, Seeanemonen und viele andere mehr in ihrer ganzen Farbenpracht zeigen.
Michèle Bialon hat aus dieser an Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ angelehnte Grundidee mit den Elevinnen der Tanzschule Studio B. der Choreografischen Werkstatt Remscheid ein hinreißendes Ballett in 18 Bildern erarbeitet, einen mitreißenden Traum-Ausflug. Schillernd, wimmelnd, elegant gleitend und sanft wogend geben die 13 bezaubernden jungen Damen der Company den Schöpfungen, den Wesen der virtuellen tropischen Gewässer in Solo und Ensemble mit jugendlicher Schönheit Gestalt und Charakter.
Ein roter Reigen von großer Ästhetik begrüßt Taralina in der Wunderwelt, glitzernde Quallen in blau-türkisen Fransenkleidern schweben federleicht durchs Wasser, Krabben zeigen Rhythmus, ein berückender Scalar zeigt mit Tutu und Spitze ebenso hohe Tanzkunst wie das Ensemble im präzise und sehr lebendig mit viel weiblichem Charme getanzten Korallenriffpanorama. Seegras wogt prachtvoll grün glitzernd, akkurat und anmutig zugleich begeistert ein Killifisch-Duo in seiner synchronen Performance. Die unglaublich flinken Szenenübergänge und Kostümwechsel wurden humorvoll von reizvollen Intermezzi zweier „Beobachterinnen“ überbrückt. Als vorletztes Bild und Höhepunkt des wie im Fluge vergangenen Tanz-Nachmittags setzt Michèle Bialon im Tanz der See-Anemonen gekonnt auf die Wirkung des Schattenrisses – bis sich das Bild aus dem Schatten löst und Raum gibt für ein lichtes, begeisterndes Ensemble in rot mit Fächer und Seidenschleiern – eine der schönsten Nummern des Programms.
Möglich wurde das alles nicht zuletzt durch die phantastischen Kostüme und eine grandiose Licht-Regie – beides auch von Michèle Bialon gestaltet. Es war ein im reinen Wortsinn einzigartiges Ballett, denn es wurde/wird leider nicht noch einmal aufgeführt. Der grenzenlose Jubel im ausverkauften Saal sollte die Verantwortlichen überzeugen, eine weitere Aufführung zu planen.
Ein köstliches Programm von hohem ästhetischem Wert – Chapeau!
Frank Becker 23.6.15
Weitere Informationen (es ist kaum nachzuvollziehen, daß man Nutzer ausschließt, die sich nicht der Datenkrake facebook angeschlossen haben): www.studioballerina.de/
credits
Idee, Choreographie, Licht und Kostüme: Michèle Bialon
Realisiert in Zusammenarbeit mit dem Teo Otto Theater
Taralina Company: Paula Alermann, Lea Güldenring, Olga Rosenbohm, Sally Bayomi, Marie Elsner, Fleur Kuhn, Jasmin Fazel, Celine Kerzinger, Julienne, Szlapa, Franziska Meyer, Isabel Schröter, Joelle Wyrwa, Lea Enkhardt, Lilly Ringel – sowie: Josefine Jörgens, Jana Sierla, Olivia Peikert, Linda Petkovic, Chiara Donato, Gianna Princivalli, Maja Prentzel, Shona Gusdorf, Maureen Schwarzendrube, Stella Nippert, Ksenia Vukovic, Lillith Seiffert, Mary Hellbeck, Zâna Princivalli
Gast: Michael Kutscha (Gesang und Gitarre)
CINDERELLA auf Crack
HÖCHSTE ZEIT
Eine Revue von Tilmann von Blomberg, Carsten Gerlitz und Katja Wolff
Erinnern sie sich vielleicht noch an „die Junge“, „die Karrierefrau“, „die Vornehme“ und „die Hausfrau“, die sich in der turbulenten Wechseljahre- Revue „Heiße Zeiten“ am Flughafen kennengelernt haben? Der Erfolg bekommt eine Fortsetzung, denn jetzt will unsere Karrierefrau (Franziska Becker) unter die Haube, weil sie findet, daß es „Höchste Zeit“ ist. Das finden mehr oder auch weniger auch ihre drei Freundinnen, die sie als Brautjungfern eingeladen hat („Jungfern? Ich seh´ hier keine!“). Zum Termin bringt jede ihr Päckchen mit, was zu allerlei Bekenntnissen, Entschlüssen, deftigen Scherzen (Kostprobe: „Moment, ich hab `n´ Frosch im Hals – komisch, als ich ihn vorhin in den Mund genommen habe, war´s noch ein Prinz.“) und vielen situationskomischen Liedern führt. Eine vierköpfige Live-Band und ein sonor sprechender Spiegel (Viktor Neumann) begleiten das archetypisch feminine Quartett bei seinen Auseinandersetzungen mit dem Ehestand und der Tagesform sowie den 20 bissig umgetexteten Songs aus der Pop- und Schlagerliteratur – im Zentrum natürlich die Frau, ihre Bedürfnisse, Problemzonen und Stärken.
In einer Luxussuite des Metropol-Hotels mit atemberaubendem Blick auf die Kulisse von Berlin müssen die drei „Jungfern“ erst mal die stockbesoffene und ein wenig aufgelöste Braut (burlesk und elegant in einem: Franziska Becker) auf Vorderfrau bringen, ihr die Angst vor dem entscheidenden Moment nehmen und gemeinsam versuchen herauszufinden, ob sie nun wirklich in der Nacht vor der Hochzeit mit jemandem guten Sex hatte (nicht mit ihrem Bräutigam!). „Höchste Zeit (The Shoop Shoop Song)“, „Prost (Rum & Coca Cola)“ und „Für immer und ewig (For Once In My Life)“ sind ein guter Einstieg in die Hitparade der witzigen Texte, die Carsten Gerlitz auf die Originale gelegt hat und bei denen vor allem Franziska Becker mit starkem Vortrag glänzt. Nina Stadlmann hat in „Ich will (My Boy Lollipop)“ ein schönes Blechflöten-Solo, Heike Jonka hat u.a. in „Zweisam einsam (The Rose)“ einen starken Auftritt und Angelika Mann rockt zum Vergnügen des Publikums, das zu mehr als 80 % eine fordernde Fassung von Chuck Berrys „Johnny B. Goode“: „Ich will noch mehr“. Sie wird als komödiantisches Zugpferd und Star apostrophiert und bringt sich recht liebenswert auch so ein. Doch zeigt Franziska Becker, deren (u.v.a.) unvergeßliche Lacharie der Maria in „Was ihr wollt“ und ihr prägender Anteil an den „Sekretärinnen“ am einst großen Wuppertaler Schauspiel unvergessen sind, fabelhaft die ganze emotionale und musikalische Palette.
Choreographisch wie musikalisch gelungen sind dank Christopher Tölle und Carsten Gerlitz die Ensemble-Nummern: köstlich und wirklich komisch der Reigen der „Elfen“ (Heinz Erhardt hätte sie als „Zwölfen“ bezeichnet) zu Wagners Hochzeitsmarsch „Treulich geführt“, „Ersatzteillager (Save Your Kisses For Me)“ und „Noch nicht Schicht im Schacht (Girls, Girls, Girls)“ – da passiert auf der Bühne richtig was.
Daß aus der Karrierefrau schließlich doch eine glückliche und bildschöne Braut wird, die „Junge“ einen Antrag macht, der ein „Ja“ zur Folge hat, die „Hausfrau“ den Job als Suppenköchin annimmt und die „Vornehme“ auch vornehm auf ihre verschobene Scheidung wartet (vom weiblichen Publikum sicher nicht ohne Grund bejubelt: „Scheidung betrachte ich als vorzeitige Haftentlassung.“) macht die Sache rund. Ein Stück für Frauen, von denen sich viele 1:1 darin wiederfanden, zeigte eine Umfrage in der Pause - lehrreich aber auch für die Herren, die künftig vielleicht etwas genauer auf die Bedürfnisse ihrer Gattinnen schauen. Das Finale mit „Hallelujah“ und den mitgeschmetterten Zugaben Er gehört zu mir“ und „Celebration“ wurde bestens gelaunt und stehend vom Publikum gefeiert.
27.5.15
Eine Produktion des EURO-STUDIO Landgraf in Zusammenarbeit mit dem Theater am Kurfürstendamm Berlin
Weitere Tourtermine: http://hoechstezeit.landgraf.de/
Vom 16.6.-12.7. en suite im Theater im Rathaus Essen: http://www.theater-im-rathaus.de/TIR_Web/Fsai/This/F028/T0835/F028.htm
RAUSCH DER BILDER UND KLÄNGE
ALICE - ein Ballett frei nach Lewis Carroll
Gauthier Dance Company
am 23. Mai 2015
Eine Produktion von Theaterhaus Stuttgart in Koproduktion mit Les Théâtres de la Ville de Luxembourg und Theater im Pfalzbau, Ludwigshafen - UA 25. Juni 2014
Choreograph Mauro Bigonzetti hat Lewis Carrolls Alice-Erzählungen „Alice im Wunderland“ und „Alice hinter den Spiegeln“ mit dem exzellenten Ensemble der Stuttgarter Gauthier Dance Company zu einem in wahrsten Wortsinn phantastischen Tanzstück verwoben. Unterlegt und begleitet von kraftvoll erdiger Musik aus dem Süden Italiens, spanischen un
d französischen traditionellen Liedern und eigenwilliger Instrumentation (Akkordeon, Tamburin, Cuica, Trommel, Kastagnetten, Harfe, Flöte und Baumarktfagott) öffnet Bigonzetti ein großes erzählerisches Panorama. Dahindurch eilen suchend die doppelte Alice (Anna Süheyla Harms und Garazi Perez Oloriz), treffen das die Geschicke der Phantasie leitende Kaninchen (Rosario Guerra), der ans Morgensternsche Nasobem („Auf seinen Hüten schreitet einher…“) erinnernde sanfte Hutmacher (Florian Lochner) – die herrische Königin (Anneleen Dedroog) und das ganze abgedrehte Personal der Geschichten.
Antongiulio Galeandro, ein kreativer Multiinstrumentalist der Sonderklasse, vertont den Einstieg oder sollte man sagen: den Sturz in die Zauberwelt mit einem traumhaft klopfenden Flötensolo, bevor er an anderen Instrumenten, vor allem am Akkordeon brilliert. Ohne seine Live-Musik und die der Sängerinnen Enza Pagliara, Cristina Vetrone, Enza Prestia und Lorella Monti bliebe es ein immer noch berückendes Ballett-Erlebnis, doch die Unmittelbarkeit der Impressionen ist ihnen geschuldet.
Einher mit den Gänsehaut verursachenden Melodien und rhythmischer Perkussion gehen surreale Video-Projektionen – Illusionen von den beiden scheinbar untrennbar verbundenen Alices durcheilter Räume, sich auflösender Bibliotheken, Tänze unter Wasser, Irrgärten. Modernes Tanztheater mischt sich mit klassischen Elementen, Equilibristik und herrlichen Pas de deux. Coppelia-Zitate sind so unübersehbar und durch eine Lochstreifen-Spieldose unüberhörbar wie Metaphorik und Haar-Symbolik. Die hoch gewachsene Anna Süheyla Harms, eine Schönheit mit langem rotem Haar und ihr zierliches blondes Pendant Garazi Perez Oloriz, die Verkörperung von Wirklichkeit und Traum darstellen, taumeln mit Eleganz und Virtuosität durch die rätselhafte Zwischenwelt, bekommen am Ende als Lohn das magische Buch mit den Spiegeln und des Hutmachers Hut.
Gut zweimal 45 Minuten dauert der wirbelnde Spuk, in denen die Künstler samt und sonders Tanz in höchster Vollendung zeigen, Soli, Pas de deux von großer Delikatesse und Ensemblenummern, in denen sie sich wie ein einziges organisches Gebilde/Wesen bewegen, atmen. Man nimmt unerhört schöne Bilder mit, was das begeisterte Publikum schon zur Pause zu anhaltendem Applaus bewegte, am Ende aber zu wahren Jubelorgien führte, mit denen man die Truppe auch nach einer kleinen Zugabe, einer Teestunde beim „Mad Hatter“, kaum von der Bühne lassen wollte. Ein großer Erfolg auch wieder für das Remscheider Theater und sein erlesenes Ballett-Programm.
Fotos: Regina Brocke
LOS ANGELES GUITAR QUARTET
Schmankerln und Suiten
Konzert am 8.5.15 im Teo Otto Theater
Seit dreißig Jahren gehören die vier amerikanischen Gitarren-Virtuosen und Grammy-Gewinner zum Besten, was man international auf dem Sektor bekommen kann, das Remscheider Theater konnte sie ins Bergische Land holen – Wien, Hamburg und Brüssel sind die weiteren Stationen des Quartetts auf seiner kleinen Europa-Tournee.
Auf dem Programm des Abends standen zwei epische, je ca. 25-minütige Suiten über spanische Themen, arrangiert von William Kanengiser: In „Music from the Time of Cervantes“ illustriert das Quartett die Don Quixote-Geschichte mit Kompositionen spanischer Komponisten des 16. und 17. Jahrhunderts. Sehr filigran, absolut virtuos, aber auch ein wenig l´art pour l´art und für ein spezialisiertes Publikum gemacht. Ähnlich verhielt es sich bei Manuel de Fallas „El Amor Brujo“, einer Zigeuner-Ballade in zwölf Bildern. Perfekt, aber ein wenig selbstverliebt und verkopft.
Daß das Publikum leicht differierende Erwartungen gehabt haben könnte, zeigte sich an den begeisterten Reaktionen auf die populäreren Stücke zu Ende des ersten Teils vor der Pause. Da wurden Ralph Towners „Icarus“, Pat Methenys melancholisches „Letter from Home“ und Gerardo Gienez´ „El baile de Luiz Alonzo“ weit begeisterter aufgenommen. Vor allem aber wurden Baden Powells „Samba Novo“, ein filigraner Saitenwirbel, gut gelaunt und sonnendurchflutet und
Chet Atkins´ Double-Feature „Country Gentleman/Blue Ocean Echo“ regelrecht gefeiert. In dem ebenfalls von W. Kanengiser arrangierten Atkins-Medley zeigte sich mit raffiniert gegebenem Echo-Sound à la Les Paul und Zither-Zitaten nach Anton Karas die ganze Bandbreite der Saitenkunst. Davon hätte es mehr geben dürfen. Ein klangvoller Tribut an die Musik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Alles in allem ein Konzert der Sonderklasse.
Frank Becker 16.5.15
Opernfreund-CD-Tipp
BUNDESJUGENDBALLETT
Tanz-Gala am 6.5.15
Schönheit, Eleganz, Botschaft
Choreographie: Maša Kolar, Pascal Schmidt, John Neumeier, Natalia Horecna
Künstlerischer Leiter: Kevin Haigen
Mit: Giaorgia Giani, Nicolas Gläsmann, Maria del Mar Hernández, Yehor Hordiyenko, Minju Kang, Pascal Schmidt, Teresa Silva Dias, Hélias Tur-Dorvault
Am Keyboard: Aike Errenst
Musik: Aike Errenst, Cole Porter, Georges Krier, Vincent Scotto, Ludwig van Beethoven, Max Richter, Georges Crumb, Kronos Quartett, Arvo Pärt
Acht junge Tänzerinnen und Tänzer zwischen 19 und 22 Jahren und aus acht Nationen bilden in dieser Spielzeit das Ensemble des von John Neumeier geleiteten
Bundesjugendballetts. Mit vier Choreographien trat die Truppe am vergangenen Mittwoch im Remscheider Teo Otto Theater an – und verzauberte das Publikum im leider nur schwach besetzten Saal vom ersten Schritt und Ton an mit tänzerischer Grazie, der Faszination jugendlicher Schönheit, natürlicher Eleganz und aufblitzendem Humor – schließlich mit hoher reifer Dramatik.
Maša Kolars „Französische Chansons“ eröffnete den tänzerischen Reigen in heiterer Stimmung, zeigte durchaus von
Pina Bausch beeinflußte Elemente zeitgenössischen Tanztheaters, verbunden mit populärer Musik bekannter Komponisten und stellte das Ensemble in gelöster, wenn auch virtuoser Performance vor. Augenzwinkernd wird
Cole Porters „Let´s Do It (Let´s Fall in Love)“ als Synonym für das ewige Spiel der Liebe ein- und umgesetzt.
Pascal Schmidt, selbst Ensemblemitglied und erst 22 Jahre alt, hat zur Musik von Aike Errenst, die an den Keyboards begleitete, eine unerhört mitnehmende, rhythmisch gegliederte wuchtige Choreographie entwickelt. Ein faszinierendes Spiel auch mit Licht und Schatten.
Ludwig van Beethovens Streichquartett in B-Dur op. 130 diente John Neumeier zu einer zwar bereits 2012 konzipierten, aber als „Work in Progress“ sich fortentwickelnden Choreographie, die den Irrtum aufgreift, daß tatsächlich Kommunikation und Interaktion stattfinden. Gesten, Körpersprache, Blicke führen die Tänzer zueinander, aneinander vorbei und voneinander weg. Neumeiers klassisch geprägte Handschrift war unverkennbar – das stärkste, mit einer wichtigen Botschaft ausgestattete Stück des ersten Teils dieses kostbaren Abends.
Französische Chansons - Foto © Silvano Ballone |
The Swirl of Snow Remains
Dem erschütternden seelischen Tribut derer, welche die Tragödien des Krieges miterleben mussten, der schmerzlichen Erinnerung von Opfern und Überlebenden gehörte nach einer angemessenen Pause der zweite, noch packendere Teil des Abends.
Natalia Horecna hat den Verlust des Himmels, die sich ankündigende Apokalypse zu Musik von
Max Richter, dem
Kronos Quartet und
Arvo Pärt für ihr Stück „The Swirl of Snow Remains“ in starke, fast Bruegelsche Szenen übersetzt. Vier „schwarze Engel“, von der Verwüstung des Krieges gezeichnet (Minju Kang, Nicolas Gläsmann, Hélias Tur-Dorvault, Pascal Schmidt), verlieren mit ihren Flügeln ihre letzte Unschuld, werden in die Hölle gestürzt. Nun Verkörperung des Bösen im Aufeninanderprallen der geschundenen Körper, rauben Sie in kraftvollen dramatischen Bildern der in weißer Unschuld das düstere Bild durchflatternden, Hoffnung tragenden Seele (Giorgia Giani) auch ihre himmlischen Flügel. Giani verkörpert das angstvolle flügellose Zucken beinahe zu Tränen rührend.Das Leichentuch wirbelnden Schnees scheint alles zu verhüllen. Neue Hoffnung kommt dennoch auf, als ein erst mutloses Kind (Yehor Hordiyenko) der Seele ihre Flügel wiedergibt, der verzweifelt klagenden Mutter (Maria del Mar Hernández) Trost spendet. Die Botschaft kam an. Ein bewegendes Erlebnis für das atemlose Publikum, das die Tänzer begeistert feierte.
The Swirl of Snow Remains - Foto © Silvano Ballone |
Solch rare Tanzabende wie diesen findet man dank der seit Helga Müller-Serre in vielen Jahren bewährten hervorragenden Auswahl seiner Intendanz, jetzt unter Christian Henkelmann, in weiterer Umgebung nur im Remscheider Teo Otto Theater.
Frank Becker 15.5.15