DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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Opéra Royal de Versailles

Fotos (c) opera-royal / caroline-doutre

www.chateauversailles-spectacles.fr

 

 

DON GIOVANNI

am 21. März 2017

So findet das Werk wieder zurück zu seiner ursprünglichen „Jugend“

Zwei der schönsten Hofopern Europas, das romantische „Schlosstheater“ in Drottningholm und die prächtige „Opéra Royal“ in Versailles, organisieren zusammen einen Mozart/Da Ponte Zyklus, wobei das „ius primae noctis“ nach Stockholm geht, wo die weißen Sommernächte besonders schön sind. Im Winter wird in Versailles nachgespielt, mit gleichem Orchester und (fast) gleicher Besetzung, in einem ähnlichen Haus, das auch zu Mozarts Lebzeiten erbaut wurde. Wen mag es daher wundern, dass unter solchen Bedingungen wirklich hervorragende Vorstellungen entstehen.

Für den Mozart/Da Ponte Zyklus mit Marc Minkowski und seinen Musiciens du Louvre hat der Regisseur Ivan Alexandre ein Einheitsbühnenbild gewählt, das nichts mit dem seiner „Armide“ letzten Herbst in Wien zu tun hat. Im Gegensatz zu dem riesigen „kalten“ Stahlkasten und den modernen Kriegskostümen an der Staatsoper, entwarf der Ausstatter Antoine Fontaine eine kleine „warme“ Holzbühne und „alte“ historische Kostüme. Opernkenner erkennen sofort die Vorlage: die Wanderbühne von Giorgio Strehlers zeitlos schöner Inszenierung von „Arlecchino, Diener zweier Herren“, mit genau der gleichen Rampe und derselben Truhe davor. Diese romantische Wanderbühne passt wunderbar in die alten Schlosstheater und mit ihr können Alexandre und sein Team die Geschichte ohne viel Firlefanz erzählen. Alle Aufmerksamkeit gilt der Musik und der erfreulich jungen Besetzung. So findet das Werk wieder zu seiner ursprünglichen „Jugend“, denn bei der Uraufführung 1787 in Prag war Mozart 31 Jahre alt, Da Ponte 38 und ihr Don Giovanni gerade 21. Minkowski und Alexandre wählten die Prager Fassung mit der Begründung, dass Mozart dort „zum ersten und letzten Mal in seinem Leben genau das tun konnte, was er wollte“. Die Prager Fassung ist auch wesentlich kürzer als die Wiener Fassung aus 1788, die meistens gespielt wird. In unserer letzten Pariser „Don Giovanni“-Rezension gab es zwischen den in Wien zugefügten Arien „il mio tesoro“ von Don Ottavio und „mi tradi “ von Donna Elvira auch noch drei kleine Szenen mit Zerlina, Leporello, Masetto und zwei Bauern, die aus nicht geklärten Gründen in Wien nicht zur Aufführung kamen und danach aus der Partitur verschwanden. Diese wiedergefundenen Szenen sind sicher musikhistorisch interessant, jedoch szenisch oft etwas langwierig.

Nun verlief der Abend ohne jegliche Längen wie im Fluge und war ein volles Vergnügen für Aug und Ohr. Herausragend war das Dirigat von Marc Minkowski, der sich als hervorragender Mozart-Dirigent zeigte: feinfühlig, beschwingt aber doch nie oberflächig. Es ist das dritte Mal, dass wir ihn „Don Giovanni“ dirigieren hören, für unsere Ohren war es noch nie so gut: jugendlich und zugleich mit der nötigen Reife für dieses „dramma giocoso“. Als wir ihn anschließend darauf ansprachen, meinte er auch, dass er sich in diesem Werk noch nie so wohl gefühlt habe wie jetzt. Das lag auch an seinen Musiciens du Louvre: besondere Komplimente für den Konzertmeister Thibault Noally, Francesco Corti am Pianoforte und Florentino Calvo an der Mandoline, der sich mit vier anderen Musikern nicht davor scheute, aus dem Graben auf die Bühne zu klettern. Auch andere Musiker setzten sich während der Vorstellung um, damit zum Beispiel der Cello die Sängerin sehen kann, die er in dieser Szene begleitet. So entstand wirklich gemeinsames Musizieren, so wie wir es schon lange nicht mehr in einer Oper erlebt haben.

Jean-Sébastien Bou war ein eleganter Don Giovanni, so wie wir ihn schon oft gehört haben. Er hatte nur das Pech, neben einem absolut phänomenalen Leporello aufzutreten. Robert Gleadow hatte schon 2013 in der oben erwähnten Vorstellung den Don Giovanni von Markus Werba an die Wand gesungen und stellte diesmal die ganze Besetzung in seinen Schatten. Das lag an seiner betörenden Stimme – für Viele die schönste des Abends – und an seinem wahren „Bühnentier-Temperament“. Auch mit dem Rücken zum Publikum blieb er noch präsenter als alle seine Kollegen.

Der Regisseur nützte diese grenzen- und hemmungslose Spielfreude für eine Katalog-Szene, wie wir sie noch nie gesehen haben: anstatt in ein Buch hat Leporello diesmal die Namen der durch Don Giovanni verführten Frauen auf seine Haut geschrieben. Und da bei 1.800 Damen irgendwann Arme und Beine nicht mehr reichten, durfte sich Elvira auch noch seine gesamte mit Frauennamen vollgeschriebene Hinterseite ansehen. Das gab der oft etwas langen Szene eine unerwartete Erotik – so wie allen seinen folgenden Szenen mit Elvira, die er anscheinend mit viel Vergnügen verführte. Die andere große Sänger-Überraschung des Abends war Callum Thorpe als Masetto. Im Gegensatz zu dem, was heute üblich ist, folgten Minkowski und Alexandre dem, was Mozart bei der Uraufführung gewollt hat: Masetto und der Komtur wurden mit demselben Sänger besetzt. Das wertet die Rolle des Masetto ungemein auf. Von dem etwas dümmlichen Bauernjungen, den Zerlina ohne langes Zögern gerne gegen einen vornehmen Herren eintauschen will, wird ein echter Gegenpol zu Don Giovanni, dem er weder körperlich noch stimmlich unterlegen ist. Das gibt ihrer Konfrontation eine ganz andere Dimension! Natürlich hat ein solcher Bass-Bariton in der Schlussszene ein etwas kleineres Stimmvolumen als „commendatore“ – doch in so einem kleinen Saal (wie übrigens auch bei der Uraufführung) hat das niemand gehört/gestört.

Der Rest der Besetzung war überaus homogen, eben ein aufeinander eingespieltes Ensemble, wo die meisten den gesamten Da Ponte-Zyklus zusammen singen. Ana Maria Labin war dieses Mal Donna Anna, Marie-Adeline Henry Donna Elvira, Chiara Skerath Zerlina, und Fabio Trümpy Don Ottavio. Nächsten Sommer werden sie in Drottningholm in „Cosi fan tutte“ auftreten. Wir sind schon gespannt!

Fotos (c) Mats Bäcker / Drottningholms Slottsteater

Waldemar Kamer (Paris) 25.3.2017

Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online

 

 

HERCULANUM

von Félicien David

Premiere 8. März 2014

„Grosse Oper“ mit Vulkanausbruch

Jedes Jahr präsentiert uns das Palazzetto Bru Zane einen vergessenen französischen Komponisten des neunzehnten Jahrhunderts. Letztes Jahr war es Pierre-Louis Dietsch. Sein Vaisseau Fantôme ou Le Maudit des Mers (1840) wurde zusammen mit Wagners Fliegender Holländer gegeben, wonach das Doppelkonzert weiter nach Wien reiste und als viel gelobte Platte erschien (siehe Merker 6/2013). Dieses Jahr wird Félicien David vorgestellt, drei Jahre älter als Wagner und damals in Paris viel erfolgreicher als er. David (1810-1876) ging in die Musikgeschichte ein als „Erfinder des Orientalismus“, denn er komponierte nach einem längeren Aufenthalt in Ägypten „Orientalische Melodien“ und eine „Sinfonische Ode“ Le Désert, die 1844 in ganz Frankreich gespielt wurde und ihm die Tore der Grand Opéra öffnete. Doch seine großen Opern, wie erfolgreich sie auch waren (Wagner verblasste vor Neid), sind vollkommen vergessen. Das hat primär mit ihrer quasi Unaufführbarkeit zu tun, nicht unbedingt mit ihrem Mangel an musikalischen Qualitäten, wie man es bei dem Meyerbeer-Revival der letzten Jahre beobachten kann. Die großen Opern „funktionieren“ auch heute noch, wenn man sie ohne Umgestaltung und massive Kürzungen in ihrer ursprünglichen Form spielt. Für all dieses bürgt das Palazetto Bru Zane, das auch gleichzeitig die Partitur verlegt (Orchester + Klavierauszug) und die Oper nächstes Jahr als Platte + Buch verlegt. Herculanum war 1859 ein Riesenerfolg an der Pariser Oper (64 Vorstellungen im Gegensatz zu 3 x Tannhäuser). Hector Berlioz schrieb in Le Journal des Débats, man habe noch nie etwas Wunderbareres („rien de plus magnifique“) an der Oper gesehen, und er beschrieb im Detail die Kostüme und die „antiken Waffen“. Der Ausbruch des Vesuvs 79 n. Chr. war ein beliebtes Thema „Grand Opéra“, auch wenn er je nach dem politischen Kontext immer anders interpretiert wurde. In Aubers La Muette de Portici (1828) leitete der Vulkan einen Aufstand der Unterdrückten, und die Oper wurde der Funke, der 1830 die Belgische Revolution auslöste. 1859 wollte man die vielen Revolutionen vergessen, und die französischen Komponisten mussten auf ausdrücklichen Wunsch der Kaiserin das Christentum propagieren. So wurde der Vulkanausbruch interpretiert als eine göttliche Strafe und ein moralischer Sieg der unterdrückten Christen über die degenerierten Römer. Félicien David und sein Librettist Joseph Méry erdachten sich ein Drama in vier Akten mit vier Hauptfiguren: die bildschöne, verruchte, aus Babylon kommende römische Königin Olympia (angelehnt bei Kleopatra und der Bérénice von Racine) und ihr genauso verruchter Halbbruder, der Oberpriester Nicanor (in dessen Gestalt dann Satan höchstpersönlich erscheint). Ihnen stehen gegenüber die auch bildschöne, aber reinen und keuschen christlichen Gefangenen Lilia (weiß wie eine Lilie) und Hélios (schön wie die Sonne). Die Handlung benutzt viele Bausteine, die wir auch aus anderen Opern aus der Zeit kennen. Olympia rettet den zum Tode verurteilten Christen das Leben, weil sie sich in Hélios verliebt, den sie mit einem Zaubertrank gefügig macht. Doch dann bebt die Erde. Nicanor vergisst seine Priesterwürde und will Lilia auf dem Altar vergewaltigen – doch dann wird er durch einen Blitz erschlagen, und Satan bemächtigt sich der jungen Frau. Am Ende vergeht die sündige Stadt Herculaneum in den Lavafluten – und die Christen werden im Himmel durch Gott vereint. Genug Stoff für große Rollen, vor allem für Nicanor/Satan und Olympia, die dem berühmten coloratur-contralto Adéalide Borghi-Mamo in die Kehle geschrieben wurde, eine Stimme mit einem legendären Ambitus.

Nicolas Courjal sang Nicanor als ob es die Rolle seines Lebens wäre. Vor zehn Jahren noch ein junger Sänger an der Pariser Oper, hat Courjal inzwischen eine beachtliche internationale Karriere gestartet und vor allem sein Gesangspotential wunderbar ausgebaut. Nun sind die Arien des Satans auch dankbare Bravourstücke, die wahrscheinlich bald Eingang finden werden in das Konzertrepertoire der Bässe auf Suche nach neuen Rollen. Auf die Olympia von Karine Deshayes waren alle gespannt. Deshayes ist seit einigen Jahren eine der leading Ladies der Pariser Oper und bekam im Merker viele Komplimente für ihre Carmen, ihre Cenerentola etc. Doch nach zwei Wochen im Studio, um Herculanum als Platte aufzunehmen, verlor Deshayes kurz vor der Aufführung in der königlichen Oper gänzlich ihre Stimme. Und bei einem Werk, das seit 1859 nicht mehr gespielt worden ist, war natürlich kein Ersatz zu finden. So sprach sie nur (kaum vernehmbar) ihre Dialoge/Rezitative und wurden alle ihre Arien und Duos übersprungen. Was kann man über eine Carmen schreiben, wenn die Habanera, die Seguidilla und die Kartenarie übersprungen werden. Da können sich alle noch so viel Mühe geben – das Werk fällt auseinander. Véronique Gens sang eine berührende und stimmlich perfekte Lila und Edgaras Montvidas einen strahlenden Hélios. Hervé Niquet, eigentlich mehr aus dem Barock-Repertoire bekannt, zeigte großes Gespür für diese Grand Opéra, mit flexiblen Tempi, worin ihm die Brussels Philharmonic und der Flämische Rundfunkchor mühelos folgten. Doch für einen wirklichen Eindruck dieses Werkes brauchen wir die Platte, die nächsten Frühling zusammen mit dem historischen Material in der sorgfältig editierten Reihe „Opéra Français / French opera“ des Palazetto Bru Zane erscheinen wird. In Abwartung dessen kann man sich Karine Deshayes anhören auf ihrer gerade erschienenen Platte „French romantic cantatas“ mit Wahnsinnszenen aus der gleichen Zeit : die Médée und Circé von Luigi Cherubini und vollkommen unbekannte Arien mit Orchester wie Sémiramis von Charles-Simon Catel, Velléda von Xavier Boisselot oder Ariane von Louis-Ferdinand Hérold. Und wer sich wirklich eine Grand Opéra anhören will, der kann in der oben genannten Opernedition des Palazetto den gerade erschienenen Le Mage (1891) von Massenet entdecken. Es ist wahrscheinlich die größte Oper die Massenet je komponiert hat: fünf Akte, sechs Bühnenbilder, 673 verschiedene Kostüme, Ballette, Kriegszenen, Gefangenchöre, Feuer und einstürzende Tempel und zum Schluss die ersten elektrischen Blitze der Pariser Oper. Doch wahrscheinlich weil das Werk als zu deutsch empfunden wurde (der Magier Zarâstra ähnelte Nietsches Zarathustra und die rituell-religiösen Männerchöre Wagners Parsifal) blieb es nicht auf dem Spielplan und wurde durch die zwanzig anderen Opern Massenets verdrängt. Es ist das allererste Mal, dass Le Mage nun als Platte erscheint.                                                                                

Waldemar Kamer

 

OPERNFREUND PLATTEN/BUCH TIPP

Musikbeispiele zum Reinhören

 

 

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER

an der Opéra Royal de Versailles – 21.5.2013

Wagner mit einem französischen Touch

Wer hätte gedacht, dass gerade ein französischer Dirigent, Marc Minkowski, der Spiritus Rector sein würde von zwei der interessantesten Wiederentdeckungs-Konzerte des Wagnerjahres? Minkowski dirigierte im Januar im Theater an der Wien eine „Wiederholung“ des Konzerts, das Wagner 1863 im selben Saal organisiert hatte. (Der Abend wurde ausführlich im Merker besprochen, danach in Versailles und Grenoble wiederholt und wird am 30. August beim Festival Berlioz in La Côte-Saint-André noch einmal gegeben.) Nun dirigiert er in Versailles (Wien, Grenoble und Barcelona) nicht nur die Pariser Erst-Fassung des Fliegenden Holländers, sondern auch den völlig unbekannten Fliegenden Holländer von Pierre-Louis Dietsch. Denn die Oper von Dietsch hat dem damaligen Pariser Operndirektor – die Götter mögen es ihm verzeihen – besser gefallen als Wagners Werk, von dem er nur das Libretto kaufte. Dieses aufwendige Projekt wurde ermöglicht durch das Palazetto Bru Zane, das seit vielen Jahren als „Centre de musique romantique française“ ganz entscheidende Mithilfe in der Wiederentdeckung der (vergessenen) französischen Musik des neunzehnten Jahrhunderts gewährleistet. In dieser Spielzeit finanziert/koproduziert das Palazetto über zweihundert Konzerte und Opernaufführungen in der ganzen Welt. Die vermögende Gründerin des Palazetto, Dr Nicole Bru, hat in ihrer einzigen kulturellen Stiftung wissenschaftliche Maßstäbe gesetzt. Das Palazetto finanziert Musikwissenschaftler, die in Archiven stöbern, Verleger die gefundenen Partituren zugänglich machen, sowie Konzert- und Opernhäuser, die diese Musik spielen und Plattenfirmen, die Aufnahmen machen (eine Doppel-CD mit beiden Opern wird im Oktober bei dem Label Naïve erscheinen). So kann diese vollkommen unbekannte Partitur, die nie verlegt und seit 1842 auch nirgendwo mehr gespielt wurde, nun der gesamten Musikwelt vorgestellt werden.

Wie er es im Interview erzählt, hatte auch Marc Minkowski, Spezialist für französische Musik, noch nie von Pierre-Louis Dietsch gehört, der 1808 in Dijon geboren wurde und 1865 in Paris verstarb. Dietsch hat keine Karriere als Opernkomponist gemacht, er spielte Fagott, Kontrabass und hauptsächlich Orgel. 1840 wurde sein Bekannter Léon Pillet zum Direktor der Pariser Oper ernannt, der verschiedene Posten umbesetzte. Der einflussreiche Komponist von La Juive Jacques-Fromental Halévy wurde entlassen und an seiner Stelle der unbedeutende Dietsch zum Chordirigenten ernannt. Zwanzig Jahre später wurde Dietsch zum Kapellmeister befördert, um die Pariser Uraufführung von Tannhäuser zu dirigieren, da er diesen „unmöglichen Wagner“ kannte. Denn Richard Wagner hat die Pariser Operndirektion wirklich belagert, so wie man es in seinen vier Pariser Novellen nachlesen kann. Doch die Oper lehnte Wagners Rienzi, Der fliegenden Holländer, Die Bergwerke von Falun und wahrscheinlich auch Die Sarazenin ab. Pillet erkannte jedoch, dass Der fliegenden Holländer ein guter Opern-Stoff sein könnte – nur eben mit Wagners Musik etwas zu gewaltig für einen „lever de rideau“, eine „Vorspeise“ des Opernabends. Er kaufte bei Wagner im Juli 1841 das Libretto für 500 Francs (damals keine unbedeutende Summe) und gab as an Dietsch, mit der Bitte damit eine kurze Oper in einem Akt zu komponieren. Wagner verschwand ein Jahr später nach Dresden, wo er innerhalb weniger Monate gleich zwei Opern aufführen konnte: Rienzi am 20 Oktober 1842 und Der fliegenden Holländer am 2. Januar 1843. Dazwischen gab es noch am 9. November 1842 eine weniger beachtete Première in Paris: Le Vaisseau fantôme ou le Maudit des mers von Dietsch.

Neuerzählte Geschichte und musikalisches Patchwork

Beide Opern erzählen dieselbe uns bekannte Geschichte. Doch Dietsch hat die Handlung von Norwegen nach Shetland verlegt, weil er auch noch Elemente von The Phantom Ship von Frederick Marryat und The Pirate von Walter Scott hinzufügen wollte. Aus Senta wird Minna (ein Seitenhieb auf Frau Wagner?). Aus dem Holländer wird Troïl (ein Erdgeist), der sich aber als „Waldemar aus Schweden“ vorstellt. Aus Daland wird Barlow und aus dem Jäger Eric ein Seemannssohn Magnus (dessen Vater durch den Fliegenden Holländer umgebracht wurde). Der Steuermann heißt Eric, doch er eröffnet die Oper an Land, wo er Senta bittet, ob sie ihm und den Dorfbewohnern „die schaurige Ballade“ vorsingen kann – da sich alle in diesem verlassenen Hafen furchtbar langweilen. Senta wartet seit drei Monaten sehnlichst auf die Rückkehr ihres Jugendfreundes Magnus, der am Ende der zweiten Strophe der Ballade erscheint - und mit ihr brav die dritte Strophe zu Ende singt. Sie erinnern sich an ihre glückliche Jugend „wie Bruder und Schwester“, entschließen sich zu verloben „sobald Vater zurückkommt“ und beten zu Gott dass das auch bald geschehen möge. Doch der Vater erscheint am nächsten Morgen mit einem reichen Kapitän, der ihm das Leben rettete - und dankt heimlich dem Teufel, dass er ihm endlich „die Tür zum Reichtum“ eröffnet habe. Der reiche Kapitän will Minna erst sofort heiraten, bevor er sie gewaltvoll zurückstößt, da er „in Händen des Teufels“ sei und „nur Unglück über sie bringen“ wird. Sie betet erst, um Magnus treu zu bleiben, doch gleich danach auch um „Märtyrerin zu werden um diesen Mann zu erlösen“. Magnus ist inzwischen Priester geworden, um die beiden zu trauen, doch er erkennt vor dem Altar die Hand des Mörders seines Vaters. Er ruft mit dem Chor Gott und Engel um Beistand an, Troïl beschwört den Teufel und die Erdgeister - und die arme Minna wirft sich von dem hohen Felsen vor der Kirche ins Meer. Sie taucht danach im Himmel wieder auf, wo sie den erlösten Holländer an der Hand zu Gottes Thron führt.

Bela Bartok meinte, dass ihm bei Wagner vor allem „das fortwährende Beten auf der Bühne“ störe. Was hätte er wohl zu dieser Oper gesagt, der einzigen eines Mannes, der sonst nur Kirchenmusik komponiert hat? Erstaunlicher Weise ist es gerade das Beten, das man in der Musik am wenigsten hört. Dietsch entwickelt keinen eigenen Stil, auch keine eigene Thematik, sondern serviert uns ein Patchwork von allem, was um 1840 an der Pariser Oper mit Erfolg gespielt wurde. Wir hören Melodien, die wir bei Donizetti und Meyerbeer in ähnlichen Situationen kennen: Vollmond und Stürme aus den Opern nach Walter Scott und im Finale das „Grâce pour Robert“ aus Robert le Diable. Dazu klingen in den lustigen Momenten auch der frühe Offenbach und sogar etwas Tanzmusik an (Marc Minkowski meint, es seien schwedische Volkstänze). Das Ganze ist gefällig und wird hervorragend gespielt. Die Musiciens du Louvre Grenoble sind voll in ihrem Stammrepertoire und zeigen was sie in der letzten Zeit bei Meyerbeer, Halévy und Offenbach gelernt haben. Sie bringen jede Nuance - auch jene die Dietsch gar nicht auskomponiert hat. Die Besetzung wird überstrahlt durch die berührende Minna von Sally Matthews, die in Wien auch schon als Donna Anna und als Sophie aufgetreten ist. Sie weiß ihre Rolle stylsicher zu gestalten, mit genau der richtigen Mischung von Legato in der Mittellage und feinen Stickereien in den Spitzentönen, so wie Joan Sutherland das so unvergesslich bei Meyerbeer konnte. Russel Braun hat viel Gluck gesungen, doch inzwischen auch den Conte di Luna im Trovatore – und so wird aus dem französischen Holländer ein Verdi-Bariton. Bernhard Richter gestaltete Magnus wie ein Mozart-Tenor. Das wäre alles anders gewesen, wenn Eric Cutler, ein Spezialist dieses Repertoires, nicht indisponiert wäre und im letzten Augenblick durch Julien Behr ersetzt wurde, der die Rolle des Eric gerade einige Stunden kannte und für sein mutiges Einspringen mit einem Riesen-Applaus belohnt wurde. Auf der Platte wird man es alles noch besser hören können.

Der Holländer an der Hofoper in Versailles

Nach der Pause gab es dann zum Vergleich Wagners Fliegenden Holländer. Von Vergleich kann eigentlich gar keine Rede sein, denn beim „Prélude“ von Dietsch lauschten wir andächtig nach den verschiedenen Motiven. Bei Wagner hatte man jedoch schon in der Ouvertüre das Gefühl, dass das Theater zu klein sei. Dabei kann man den wunderbaren Saal, in dem der Hofball für die Hochzeit von Marie-Antoinette und Louis XVI gefeiert wurde, wirklich nicht „klein“ nennen. Aber es schien so als ob Wagner alle Reifröcke des Rokoko aufriss, sodass die Fetzen nur so flogen. Wer sich an Minkowskis allerersten Wagner erinnert, Der fliegenden Holländer, 1997 an der Niederländischen Reispopera, der hört wie sehr sein Verständnis für diese Musik gereift ist. Aber er spielt immer noch so schnell und geht oft über die Grenzen seines Orchesters mit historischen Instrumenten hinaus. Er beleuchtet Wagner aus einer für uns ungewohnten Perspektive: er geht von den Frühwerken aus (er dirigierte unlängst die französische Uraufführung der Feen) und von dem unverkennbaren Einfluss der französischen Oper. So spielt er die Pariser Fassung von 1841, die Wagner für das Orchester und die Sänger der Grand Opéra komponiert hat. Die Oper wird also in einem Akt gespielt (der 2¼ Stunden dauert) und Sentas Ballade einen Ton höher gesungen. Denn bei der Uraufführung in Dresden wurde die Ballade für Wilhelmine Schröder-Devrient einen Ton tiefer gelegt (und blieb seitdem so in der Partitur). Einen Ton höher verlangt sie jedoch einen anderen Stimmtypus, dem von Ingela Brimberg, einer hervorragenden Valentine in Les Huguenots von Meyerbeer. Sicher interessant, aber doch etwas gewöhnungsbedürftig für unsere deutsche Ohren. Auch in dieser Besetzung schlugen der Dauerregen und die Kälte einige Löcher. Vincent Le Texier, vor zwanzig Jahren ein wunderbarer Golaud, sprang als Holländer für Eugeny Nikitin ein und überzeugte nicht. So beherrschte der finnische Bassbariton Mika Kares als Donald (Pariserische Version von Daland) die Bühne. Ihm hörte man seine Wagner- und Verdi-Erfahrung sofort an und er entwickelte als Einziger ein wirkliches Rollenprofil. Er war auch der Einzige der seine Rolle auswendig konnte und ein perfektes Deutsch sang. Bernhard Richter war für den erkrankten Eric Cutler als Georg (Shetländische Variante von Eric) eingesprungen, während Julien Behr neben ihm offensichtlich zum ersten Mal in seinem Leben den Steuermann sang. Auch das wird in den Nachfolgekonzerten anders sein und werden wir auf der Platte sicher besser hören können: Wagner mit einem französischen Touch.

Waldemar Kamer (Paris)

 

Opernfreund Platten Tipp

 

 

 

DIE LYRIK UND NICHT DIE LAUTSTÄRKE WAGNERS

Gespräch mit Marc Minkowski über Wagner und Dietsch 

Im Wagnerjahr präsentiert der Dirigent Marc Minkowski auf historischen Instrumenten zweimal den Fliegenden Holländer so wie wir ihn noch nie gehört haben. Erst die verschmähte Pariser Fassung (noch vor der Uraufführung 1843 in Dresden), dann die Oper von Louis Dietsch, die – an Stelle der von Wagner – 1842 in Paris uraufgeführt wurde und dann völlig von der Bildfläche verschwand. Wir sprachen mit Marc Minkowski am Tag nach dem Doppelkonzert in Versailles.

Hatten Sie vor dem Beginn dieses Projektes schon je von Louis Dietsch gehört?

M. M.: Wohl von dem Dirigenten des Tannhäuser 1861 in Paris, aber noch nie von dem Komponisten.

Dabei hat man den Eindruck dass der Komponist wie für Sie geschaffen ist: er bietet ein Patchwork von der Musik, die Sie so gut kennen: von Auber bis Offenbach.

M. M.: Patchwork ist ein guter Ausdruck. Da hören wir Meyerbeer, Verdi, Donizetti und Offenbach, aber auch, meine ich, schwedische Volkmusik mit Strophen die seltsamerweise an Händel erinnern. Andere Motive sind typisch französisch: ein boléro wie in La Juive von Halévy oder Le domino noir von Auber. Und die wunderbare polonaise der Minna (bei Wagner Senta) kommt direkt von Meyerbeer. Dame Joan Sutherland hätte sie sicher sehr gerne gesungen – wenn sie die Partitur gekannt hätte. Die Rolle des Holländers, der bei Dietsch Troïl heißt, erinnert an den König in La Favorite von Donizetti: ein typisch französischer Bariton in vollem Ornat. Doch wenn er mit dem Schicksal hadert, denkt man auch an Graf Luna in Verdis Trovatore. Über den unglücklichen Tenor, Eric bei Wagner und Magnus bei Dietsch, kann man sich nur wundern. Ein französischer Tenor der gleichzeitig Liebhaber und Priester sein will! Meistens ist es doch das eine oder das andere: bei Donizetti verliebt sich der Priester in die Favoritin des Königs und verlässt wegen ihr die Kirche, in der Manon Lescaut von Auber entsagt Des Grieux der Liebe und wird deswegen ein Priester. Aber bei Dietsch verlobt sich Magnus erst mit Minna und wird dann Priester, um sie mit seinem Rivalen zu vermählen... (lacht). Das ist vielleicht doch zu unglaubwürdig.

Es hat Sie aber nicht davon abgehalten, die Oper dirigieren zu wollen?

M. M.: Ich hätte die Oper von Dietsch nie alleine dirigiert. Es ist ein schönes Konzert-Stück, aber als Oper ein all zu bizarres Werk, um sich im Repertoire halten zu können. Ich habe die Oper gewählt als Spiegelbild zur Komposition Wagners und – das kann man nicht laut genug sagen – um die unglaubliche Dummheit der Pariser Oper anzuprangern, die Wagners Fliegenden Holländer geweigert hat. Das ist einer der größten kulturellen Fehler in der französischen Geschichte. Wenn man sich überlegt, was für eine französische Oper aus Wagners Fliegendem Holländer hätte werden können und welchen Einfluss dieses Werk auf die Entwicklung der französischen Oper gehabt hätte. Ich glaube, dann hätte das ganze französische Repertoire anders ausgesehen. Denn Wagners Fliegender Holländer war/ist so grundverschieden von all dem, was man damals in Paris hören konnte – das hätte tiefe Spuren hinterlassen.

Ich dachte die Opéra de Paris hätte nie eine vollständige Partitur von Wagners Fliegenden Holländer in Händen gehabt?

M. M.: Stimmt, aber Wagner lief mit seiner Partitur unter dem Arm durch Paris und hat wo immer er auch konnte jedem aus seinem Werk vorgespielt und vorgesungen. Er hat den Fliegenden Holländer ja für die Pariser Oper konzipiert – auf Französisch. Er berichtet, wie ich meine, in Mein Leben dass er in Meudon drei Teile der Oper auf Französisch geschrieben hat, zumindest die Ballade von Senta und den berühmten Chor der Matrosen.

Und warum nun beide Opern an einem Abend ?

M. M.: Das ist eigentlich ein bisschen unfair für Dietsch, denn nach drei Takten Wagner ist er völlig aus dem Gedächtnis des Zuhörers verschwunden – und das hat er nicht verdient. Er ist ja schließlich auch der Spiegel einer Zeit, zu der es wunderbare Künstler an der Pariser Oper gab, vor allem ganz unglaubliche Sänger. Das war für uns jetzt nicht leicht, denn wegen der hohen Anforderungen, die Dietsch an die Interpreten stellt, konnte man nicht die gleichen Sänger in beiden Opern besetzen, auch wenn es sich theoretisch um die gleichen Rollen mit demselben Stimmtypus handelt. Minna kann leider nicht Senta singen und umgekehrt. Bei Dietsch ist Minna ein Donizetti-Meyerbeer-Sopran mit hellen, leichten Spitzentönen, bei Wagner wird Senta quasi eine Isolde, sicher in der heute gespielten Fassung der Ballade. Denn Wilhelmine Schröder-Devrient ließ bei der Uraufführung in Dresden die Ballade einen Ton tiefer legen – und so kam sie in die Partitur und wird sie bis heute gespielt und gesungen. Aber ich glaube nicht dass dies dem ursprünglichen Rollenprofil Wagners entspricht, denn einen Ton höher ist Senta viel mädchenhafter. Jetzt klingt sie fast wie eine Isolde.

Gibt es noch andere gravierende Unterschiede zwischen der (nie gespielten) Pariser Fassung und der Uraufführung in Dresden?

M. M.: Keine wirklich wesentlichen, außer dass Wagner den Fliegenden Holländer in Paris in einem Akt spielen wollte. Das ist für alle Mitwirkenden natürlich sehr viel anstrengender, aber das ergibt eine dramatische Kontinuität die man nicht erreicht, wenn man vor dem Chor der Spinnerinnen eine Pause einlegt. Wagner hat in Dresden zwei Namen geändert: aus dem schottischen George wurde ein nordischer Erik und aus Donald ein Daland – aber das sind Details. Ein Detail jedoch das mich wirklich fasziniert ist, dass Wagner für Dresden das Ende der Ouvertüre und die Schlussakkorde der Oper geändert hat. Und dafür hat er genau die zwei Harfen eingesetzt die es dort bei Dietsch gibt und bei ihm nicht. Das legt die Vermutung nahe, dass Wagner sich auch bei Dietsch etwas abgeguckt hat...

Sie spielen mit zwei alten Harfen von Erard. Glauben Sie, dass Wagner so besser klingt?

M. M.: Ich habe ein französisches instrumentarium vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts gewählt, weil mein Orchester und ich gerade diese Instrumente sehr gut kennen. Heute assoziieren wir Wagner mit einem „deutschen Sound“, wie man ihn wunderbar hört mit den Berliner und Wiener Philharmonikern, der Dresdener Staatskapelle oder dem Orchester aus Bayreuth. Aber ich glaube, dass der „französische Sound“ hier auch seine Berechtigung hat. Wagner hat ja schließlich den Fliegenden Holländer und den Tannhäuser ganz bewusst für das Orchester der Pariser Oper geschrieben. Und mit einem modernen Orchester hätten wir ein solches Konzert niemals mit den Sängern auf der Bühne geben können – dafür spielen die modernen Instrumente einfach zu laut. Also ich glaube, dass es sich auch in deutschen Landen rechtfertigt, die Jugendwerke Wagners auf Originalinstrumenten zu spielen. Wir suchen ja die Lyrik, die Poetik dieser Musik und nicht ihre... (er sucht einen Begriff) ...Lautstärke.

Herr Minkowski, wir danken für das Gespräch!

 

Waldemar Kamer und Isabelle Kuehl

 

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