DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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http://www.komische-oper-berlin.de/

         

 

Luigi Nono: INTOLLERANZA 1960

Premiere am 23.9.2022

In Schönheit sterben

 

Als im Jahre 1961 Luigi Nonos Intolleranza 1960 im Teatro La Fenice in seiner Heimatstadt Venedig uraufgeführt wurde, störten Neofaschisten die Vorstellung durch das Werfen von Stinkbomben und riefen während der Folterszenen „Viva la polizia“. Die Kommunistische Partei Italiens, in deren Zentralkomitee der Komponist einige Jahre lang saß, konnte um die 25% aller Wählerstimmen auf sich vereinigen, war die stärkste kommunistische Partei Westeuropas. Ein Jahr nach Nonos Tod 1990 löst sich die Partei auf, eine Nachfolgerin erzielt regelmäßig bei Wahlen weniger als 2 Prozent, während die rechtsextreme Partei Fratelli d’Italia zwei Tage nach der hier besprochenen Aufführung von Nonos Intolleranza wohl als stärkste Partei aus Parlamentswahlen hervorgehen und den ersten weiblichen presidente del consiglio stellen wird. Edelkommunisten nannte man die zahlreichen Künstler, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Marxismus-Leninismus liebäugelten und hofften, er

würde für eine gerechtere Welt sorgen. Wie viele andere wandte sich auch Nono nach dem Einmarsch von Sowjettruppen 1968 in Prag vom Kommunismus sowjetischer Lesart ab, hatte sich bereits zuvor eher in Kuba, China und Peking wertgeschätzt fühlen können als in der SU und der DDR. Als Illusion erwies sich das Streben der Freunde Nono, Abbado und Maderna, Letzterer Dirigent der Uraufführung, durch Konzerte in den Fabriken die Bereitschaft der Arbeiter zum Klassenkampf zu befördern. Oper ist nun einmal eher ein Kunstgenuss, dem sich die Bourgeoisie hingibt.

 

 

Trotz alledem ist Intolleranza 1960 ein hochaktuelles Stück, selbst wenn man es mit umgekehrtem Vorzeichen lesen muss, denn der Held kehrt nicht seiner Heimat den Rücken, um in der Fremde sein Glück zu versuchen, sondern will in diese zurückkehren und ertrinkt dabei in der plötzlich hereinbrechenden Flut, so wie aktuell Flüchtlinge aus Afrika auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer umkommen. Er ist „der Mann, der sich gegen den Zwang der Bedürfnisse erhebt“, der während seiner Reise wohl deswegen auf einen Algerier trifft, weil zur Zeit der Entstehung der Oper der Unabhängigkeitskampf der französischen Kolonie stattfand. Die Idee zum Libretto stammt von Angelo Maria Ripellino. In ihm finden sich dokumentarische und lyrische Texte von Bertolt Brecht, Wladimir Majakowski und Julius Fućik. Seltsam ist, dass ihm dadurch, dass nicht die herrschende Klasse, sondern die Natur den tödlichen Schlag gegen den Helden ausführt, etwas an gesellschaftlicher Brisanz verloren geht, Nonos Intention, „meine Musik dient dem Klassenkampf und provoziert die Bourgeoisie“, nicht optimal verfolgt wird. Dafür wird den ästhetischen Bedürfnissen des Publikums auf phänomenale Art und Weise Rechnung getragen durch eine schillernde Eiswüste (Bühne Marton Āgh), gegen die der Held seinen aussichtslosen Kampf führt.

 

 

Nicht leichtgemacht haben es sich die beiden neuen Intendanten Susanne Moser und Philipp Bröking mit der Wahl ihres Einstandsstücks, einem kommunistischen Mysterienspiel mit teilweise mitreißender Musik, vor allem, was die Chöre betrifft,

und teilweise heutzutage unverdaulichem Text. Die Komische Oper Berlin folgt mit der Inszenierung von Marco Storman den Vorstellungen Nonos, „die klassische Bühnensituation aufzulösen“, indem das Parkett des gesamten Zuschauerraums zur Bühne, diese und die Ränge zum Zuschauerraum werden, das Publikum „Teil des Settings“ wird und Nonos Vorstellungen von Oper als „Symbol, Report und Fantasy“ berücksichtigt werden. Nono lässt seinen Helden und dessen Gefährtin ertrinken, in der Komischen Oper wird der gesamte Zuschauerraum zu einer Eiswüste, umgeben von ebenfalls ganz in Weiß gehaltenen Sitzreihen, deren Besucher sich weiße Tücher wie Riesenlätzchen umbinden müssen, so Teil des Geschehens werdend. Die meisten Zuschauer jedoch sind im Ersten Rang und auf der Bühne untergebracht. Ganz in Weiß ist auch der Chor gekleidet, muss er nicht singen, verhüllt eine Art Imkerschutz die Gesichter (Kostüme Sara Schwartz). Wie Märchenfiguren sind die beiden Frauen gekleidet, die den Weg des Helden begleiten, die eine ganz in bräutliches Weiß, die andere wie eine düstere Königin der Nacht in Schwarz. Nicht nur dadurch wird das Stück dem Zeitlichen, Realen enthoben, auch die Figur Engel der Geschichte, die rezitierend  vom subjektiven Erleben wegführt ins überzeitlich Allgemeingültige, verfremdend und befremdlich durch Anklänge der wunderbaren Ilse Ritter an eine uralt gewordene Lilian Harvey.

 

 

Die Inszenierung vermeidet naturalistische Effekte, bleibt auch bei Folterszenen und denen des massenhaften Ertrinkens dem Stilisieren verpflichtet und dadurch besonders eindrucksvoll. Durchweg hocherfreulich sind die Sängerleistungen mit einem jugendlichen Sean Panikkar als Emigrante, dessen Tenor so frisch ist wie seine optische Erscheinung. Die alte und die neue Gefährtin sind mit Gloria Rehm und Deniz Uzun ebenfalls rollendeckend besetzt. Wieder als unverzichtbare Stütze des Ensembles erweist sich Tom Erik Lie als Algerier, Tijl Faveyts kann mit seiner Darstellung des Gefolterten beeindrucken. Der wahre Star des Abends sind aber einmal mehr die Chorsolisten der Komischen Oper, verstärkt durch den Vocalconsort Berlin. Dem Chorleiter David Cavelius gebührt mindestens ebenso viel Ehre wie dem Dirigenten Gabriel Feltz und dem im Zweiten Rang agierenden Orchester.

 

23.9.2022 / Ingrid Wanja

 

Fotos Barbara Braun

 

 

 

Koskys Abschiedsrevue

Zu lang und zu laut

An Glitter und Glamour hat es nicht gefehlt in Barrie Kosky’s All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue an der Komischen Oper, die der scheidende Intendant dem Haus und seinem Publikum zum Abschied schenkte. Und alle waren sie da – die Mitstreiter der vergangenen zehn Jahre, die vielen seiner Produktionen zum Erfolg verholfen hatten: Dagmar Manzel, Katharine Mehrling, die Geschwister Pfister, Helmut Baumann, Max Hopp..., ergänzt um einige Ensemblemitglieder des Hauses. Am Pult des Orchesters der Komischen Oper Berlin stand der im Genre der Operette und des Musicals erfahrene Dirigent Adam Benzwi, der die vielfältigen Musiktitel mit Schmiss und Schwung, aber wo nötig auch mit Sentiment und Nostalgie präsentierte. Denn das Programm bot in seiner Fülle ganz unterschiedliche Stimmungen – von glamourös und crazy, schrill und schräg bis zu still und berührend, empfindsam und traurig. Zu hören war Musik jüdischer Künstler, die Deutschland nach 1933 verlassen mussten und im New York der 1950er Jahre – in Clubs, Theatern und Studios - ihre nationale Kultur wieder aufleben ließen. Das mit Glühlämpchen eingefasste Bühnenportal bot die passende optische Atmosphäre wie auch mehrere Glitzervorhänge in verschiedenen Farben im Hintergrund der Bühne. Und nicht zuletzt waren es die opulenten, phantasievollen Kostüme von Klaus Bruns, die in ihrer Extravaganz für Effekte sorgten. Selbstverständlich war auch der Choreograf Otto Pichler mit von der Partie, der zu Koskys ständigen Mitarbeitern zählt und an diesem Abend wieder mit flotten Auftritten und verrückten Einlagen für seine sexy Tänzer imponierte.

Als Mizzi Rubenstein eröffnete Ruth Brauer-Kvam in weißer, mit schwarzen Pailletten-Ornamenten verzierter Robe den Abend, begrüßte das Publikum und kündige die nächste Nummer an: Katharine Mehrling. Dagmar Manzel und Christoph Marti als The Bagelman Sisters in Pelzmänteln und Turbanen als exaltiertes Trio. Eine Ikone in der Berliner Unterhaltungsszene ist Helmut Baumann, der mit dem Lied „Bay mir bistu sheyn“ den ersten stillen (und berührenden) Moment einbrachte. Denn die meisten Titel waren von den Sounddesignern Sebastian Lipski und Simon Böttler über Gebühr verstärkt mit dem Ergebnis eines dröhnenden, oft fast schmerzenden Klanges. Als The Beth Shalom Singers kamen auch die Chorsolisten des Hauses (Einstudierung: David Cavelius) zum Einsatz und boten mit Solowjow-Sedois „Moskauer Nächte“(hier als „Bloye nekht fun Tel Aviv“) einen unvergänglichen Evergreen. The Otto Pickle Dancers in schwarz/gelb gestreiften Badehosen, Pfauenfedern und Blumengirlanden boten eine ihrer schrägen Nummern, die von der folgenden noch übertroffen wurde – eine Elvis-Parade mit nicht weniger als vier Doubles des Rockstars, die in dem Herb Albert Medley “A Waste of Money“ mit köstlichen Auftritten für Lachsalven im Publikum sorgten: Ivan Tursic, Peter Renz, Philipp Meierhöfer und hinreißend, weil besonders schräg und überdreht Dagmar Manzel. Danach gab es mit der schlichten Interpretation des Liedes „Ikh bin a mame“ von Helene Schneiderman alias Sylvie Sonitzki im schwarzen Trauerkleid mit Hut und Schleier wieder einen anrührenden Moment, wie es überhaupt ein Pluspunkt der Programmkonzeption war, zwischen glamourösen, komischen und ernsten Titeln zu wechseln und dabei eine Balance zu finden. So präsentierten sich nach dem sensiblen Mutter-Lied mit Ruth Brauer-Kvam und Katherine Mehrling zwei Stimmkanonen als Peggy and Cindy Rosenfeld im Duett „Nu, zog mir shayn ven“. Auch Sigalit Feig als Lola Levenshuss setzte eher auf Lautstärke und brachte sich mit grölendem Vortrag des Musical-Songs „Ikh vel vartn oyf dir“ in die Nähe der Minelli. Den Schluss des ersten Teils gestalteten Alma Sadé und Dominik Köninger aus dem Ensemble des Hauses (A Romantic Couple) mit einem schwelgerischen Operetten-Duett.

Nach der Pause stellte sich das Gefühl von Ermüdung ein, die Titel wirkten im Timing überzogen, manche im Inhalt auch geschmäcklerisch. Der geschätzte Max Hopp hatte einen überlangen Auftritt als Cowboy und musste gar noch jüdische Witze zum Besten geben, die ihren Effekt beim Publikum zumeist verfehlten. Danach konnte Dagmar Manzel als A Mother im schwarzen Taftkleid mit „A brivele der mamen“ mit Schlichtheit und Klarheit anrühren. Nicht enden wollend und im Sound überdreht war das Barry Sisters Medley mit The Barrie Kosky Sisters (Helene Schneiderman, Alma Sadé, Sigalit Feig, Katharine Mehrling, Ruth Brauer-Kvam). Alle Mitwirkenden vereinten sich dann zum großen Show-Finale „Der nayer sher“ und ernteten stürmischen, anhaltenden Applaus. Bejubelt wurde auch Barrie Kosky, der im Publikum saß und künftig für zwei Inszenierungen pro Spielzeit dem Haus als Regisseur erhalten bleibt.

Bernd Hoppe 15. 6. 2022

 

 

FALSTAFF

Premiere am 30. April 2022

Falstaff light

Da gibt es, o Glück, ein Libretto mit gesellschaftskritischem Tiefgang, nämlich mit der Auseinandersetzung zwischen heruntergekommenem, aber noch Ansprüche stellendem Adel und aufstrebendem, aber noch nicht seiner selbst sicherem Bürgertum, und dann wird das Stück in eine Zeit verlegt, in der ein derartiger Konflikt nur noch zu einer Farsa taugt. Da gibt es zudem eine Liebesgeschichte, die auch tragisch mit einer Zwangsheirat enden könnte, und dann möchte die Regie sie in eine Zeit verlegen, in der höchstens noch aus dem tiefen Orient Zugewanderte dieses Problem kennen. So geschehen schon 2001 in Aix en Provence mit Verdis Falstaff in der Regie von Herbert Wernicke, sich wiederholend im Sommer 2021 mit Barrie Koskys Inszenierung des Werks alldort, der diese Produktion nun als seine letzte Premiere als Intendant der Komischen Oper in das Haus in der Behrenstraße brachte, nachdem auch schon Deutsche Oper und Staatsoper klamottige, in der Gegenwart spielende Falstaff-Inszenierungen zu verantworten hatten. Eines allerdings hat die Produktion der Komischen Oper den beiden anderen Berliner Inszenierungen und auch ihrer Vorgängerin in Aix voraus: Sie läßt die Charaktere intakt, vermeidet aber gleichzeitig auch jedes Klischee, insbesondere die besonders beliebten, was die Titelfigur angeht, die oft und gern als dümmlicher Fettsack angesehen und dargestellt wird, selbst wenn sie unüberhörbar und unwidersprochen sich als das Salz in der sonst wohl recht faden Suppe der braven Bürgersleute apostrophiert.

Erstaunlich ist, das Koskys Inszenierung dort am stimmigsten und überzeugendsten erscheint, wo sie zunächst einmal den Eindruck des Dürftigen, Armseligen erweckt, nämlich im Park von Windsor ohne Eiche, ohne Mond, ohne phantasievolle Verkleidung in Elfen, Waldgeister und allerlei Getier, stattdessen einheitlich schwarze Gewänder, aber umso mehr die Stimmung des Unheimlichen, Bedrohlichen vermittelnd, während im ersten Bild eine Art Überinszenierung, wohl auch dem Temperament des Darstellers geschuldet, kaum zulässt, dass eine Phrase schön ausgesungen wird, dass die Musik atmen kann, die überdies streckenweise überlaut aus dem Orchestergraben dröhnt, aus dem man sich unter Ainãrs Rubiķis mehr kammermusikalische Finessen, mehr feinsinnige Agogik erhofft hatte. Auch in der zweiten Szene des zweiten Akts, wenn Alice Falstaff empfängt, scheinen die Unmengen bunter Torten, die hereingetragen werden, eher Selbstzweck als handlungstragend oder – erhellend zu sein, während aus dem Falstaff im Wäschesack anstelle des Korbes sich ein lustiges Spiel entwickeln kann. Aufwändige und zeitraubende Szenenwechsel werden vermieden und nicht vermisst, eine Tapete, deren wildes Muster auch auf dem Ausgehanzug Falstaffs wiederkehrt, weist auf die Nachkriegszeit, ebenso die Kostüme (diese und die Bühne Katrin Lea Tag), die zumindest die Damen nicht entstellen, und vor der Pause ertönt aus dem Off in bestem Italienisch (das bei den Sängern nicht durchweg vergleichbar gut ist) ein Kochrezept nach dem anderen, von stets einem Orgasmus nahe zu sein scheinenden Stimmen vorgetragen, so wie auch Falstaff seine größte Befriedigung nicht aus Alkoholica oder Sex, sondern dem Ausprobieren von Kochrezepten zu ziehen scheint. Berichte aus Aix hatten von einem nackten Hintern bei der Ausübung dieser Tätigkeit zu schreiben gewusst, in Berlin trug der Sänger einen String, was aber trotzdem zu kurzem Raunen im Publikum Anlass gab. Dankbar konnte man dafür sein, dass Handlung und Charaktere weitgehend intakt blieben, es keinen Quickie mit Mrs. Quickly gab und kein kiffendes Liebespaar oder sonstige bereits andernorts erlittene Entgleisungen.

In Aix hatte es ein zumindest teilweise italienisches Ensemble gegeben mit Daniela Barcellona als Quickly und Carmen Giannattasio als Alice. An der Komischen Oper hatte man sich der Verpflichtung von Scott Hendricks für die Titelpartie schon im Vorfeld der Aufführung gerühmt, was sicherlich wegen dessen darstellerischer Wendigkeit, weniger seiner vokalen Meriten wegen verständlich ist. Ganz anders verhielt es sich mit dem zweiten Bariton, Günter Papendell, der einen beeindruckenden Auftritt als Signore Fontana hatte, nachvollziehbar machte, dass er die Kavaliersbaritonpartien zugunsten der des Heldenbaritons aufgeben, in der nächsten Saison den Holländer singen wird. Ivan Turšić und James Kryshak waren die Charaktertenöre Dr. Cajus und Bardolfo, Jens Larsen gab als Pistola etwas weniger seinem Affen Zucker als von ihm gewohnt, Oleksiy Palchykov hatte einen schönen lyrischen Tenor für die einzige Arie des Stücks, dürfte eher als für das italienische noch für das Mozartrepertoire geeignet sein.

Durchweg attraktiv waren die Damen, jugendlich wie ihre Tochter die Alice von Ruzan Mantashyan mit geschmeidigem Sopran, glockenhell als Elfenkönig die Nanetta von Alma Sadé, nicht wie sonst oft hinter diesen beiden zurückstehend Karolina Gumos mit farbigem Mezzosopran als Meg. Wer kennt nicht das orgelnde Reverenza oder povera donna einer Feodora Barbieri und Co.!? Damit konnte sich Agnes Zwierko leider nicht messen, da fehlte einfach das Pastose einer italienischen Altstimme.

Nach der Vorstellung wurden von Noch-Intendant Barrie Kosky und dem Kultursenator Karolina Gumos und Günter Papendell zu Berliner Kammersängern ernannt. Wie bei vielen anderen Veranstaltungen wurde um Spenden für die Ukraine gebeten, für die sich der ukrainische Tenor Oleksiy Palchykov mit bewegten Worten und mit dem Singen eines Volkslieds aus seiner Heimat bedankte. Danach gab es zum ersten Mal nach zweieinhalb Jahren wieder eine Premierenfeier.

Fotos Iko Freese/drama-berlin.de

Ingrid Wanja / 1. Mai 2022

 

 

 

SCHWANDA, DER DUDELSACKPFEIFER

Premiere am 5.3.2022

Rückkehr einer „Volksoper“

Herbert von Karajan soll ein Faible für ihn gehabt haben, nach seiner umjubelten Uraufführung in Prag im Jahre 1927 ging er, einschließlich MET, um die gesamte Opernwelt, es gibt eine leider vergriffene Studioaufnahme unter Heinz Wallberg in Starbesetzung mit Prey, Popp, Jerusalem, und das Instrument, das sogar im Titel seiner Oper vorkommt, erklingt mit keinem einzigen Ton. Die Rede ist von Schwanda, der Dudelsackpfeifer, der in den Zwanzigern und Dreißigern in der Übersetzung von Max Brod über die deutschsprachigen Bühnen zog, nach 1933 nicht mehr in Deutschland aufgeführt werden durfte und dessen Komponist Jaromir Weinberger, weil jüdisch, aus Österreich in die USA flüchten musste und amerikanischer Staatsbürger wurde. Nur noch zu einem gelegentlichen Urlaub kehrte er nach 1945 nach Europa zurück, ehe er sich 1967 in den USA das Leben nahm.

Nach der Staatsoper Dresden in tschechischer Originalsprache ist es die Komische Oper Berlin, die sich des vom Komponisten als „Volksoper“ bezeichneten Werks mit deutschem Text  annimmt, nachdem bereits vor einigen Jahren Frühlingsstürme  in der Regie von Barrie Kosky mit Erfolg aufgeführt wurde, ein Werk, das als „die letzte Operette der Weimarer Repblik“ in die Musikgeschichte eingegangen ist. Der Noch-Intendant hat diesmal seinem Vorgänger Andreas Homoki, augenblicklich an der Zürcher Oper tätig, wo er gerade den Ring einstudiert, überlassen. Vorab kündigte dieser bereits an, dass er in der „Übergangszeit“, also wenn das Haus renoviert wird, erneut an der Komischen Oper inszenieren wird, was allerdings, das ist noch geheim.

Homoki sieht in der in böhmischer Märchenzeit angesiedelten Oper das Drama des in die Welt hinaus Strebenden oder in sie hinaus Getriebenen, so wie es Weinberger selbst erging oder auch des Regisseurs Eltern, die 1956 aus Ungarn fliehen mussten, als die Hölle der Zweite Weltkrieg war oder die Niederschlagung des Ungarnaufstands, die weite Welt aber Amerika. Hätte er mit seinem Regiekonzept noch etwas gewartet, wären ihm viel aktuellere Bezüge eingefallen. So aber trägt er seiner Interpretation mit dem Bug eines Überseedampfers voller fröhlicher Auswanderer und einer Hölle, in der auch Hitler und Stalin schmoren, Rechnung, tritt aber nie mit dem Holzhammer auf, sondern bleibt locker, mit flüssigem Erzählstil nie Langeweile aufkommen lassend und nur sporadisch den Zuschauer dazu anregend, die Hölle mit weiteren Insassen zu bevölkern. Bühnenbildner Paul Zoller ist sparsam mit Dekorationen, lässt durchaus Schwärze und Bühnentechnik sichtbar bleiben, weiß aber in aller Knappheit, so mit einem Baum, mal welk, mal in schöner Blätterpracht, mal mit einer aus dem Schiff sich schwingender Revuetreppe viel passende Atmosphäre zu kreieren, die Kostüme von Klaus Bruns spiegeln die Entstehungszeit des Werks wider. Die Tänzerinnen lassen Revue und Operette, welche durchaus auch in der Musik anklingt, inmitten aller Opernernsthaftigkeit aufblitzen. Da erträgt man sogar die schon allzu oft auf einer Opernbühne aufgetretenen Fluchtkoffer.

Der frisch und glücklich verheiratete Schwanda wird vom Banditen Babinsky dazu überredet, die verzauberte Königin zu befreien, deren vereistes Herz er durch seine Musik wieder erwärmen kann. Als bekannt wird, dass er bereits verheiratet ist, wird er zum Tode verurteilt, fährt aber wegen einer Lüge zur Hölle, ehe das Urteil vollstreckt werden kann. Aus der wird er durch den trickreichen Babinsky befreit und kann zu seiner ihm Angetrauten namens Dorotka zurückkehren. Soweit die böhmische Volkssage.

Die Musik Weinbergers ist eng verflochten mit der böhmischen Volksmusik, weist zudem Verbindungen zu Schreker, Smetana und Strauss auf und ist am mitreißendsten, wenn sie sich tänzerisch gibt, höchst interessant ist die Instrumentierung, was beides Ainãrs Rubiķis am Dirigentenpult wirkungsvoll zu unterstreichen versteht. Besonders in Satans Reich weiß sie höllisch gut und in die Beine fahrend aufzutrumpfen. Wenn man sich in Böhmens Hain und Flur versetzt hört, dann versteht man die Popularität, die das Werk einst genoss, sehr gut.

Ein Glücksfall ist die Besetzung der Titelpartie mit Daniel Schmutzhard, der nicht nur optisch den Allerweltskerl glaubhaft darstellt, sondern auch vokal mit einem sonoren, in der Höhe beinahe mit Tenorglanz ausgestatteten Bariton zu bezaubern vermag. Er hat die Gabe, die Bühne zu beherrschen und das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Darstellerisch ist ihm Tilman Unger als Babinský ein würdiger Partner, stimmlich lässt der Tenor aber fast alle seiner Stimmgattung zugeordneten Tugenden vermissen, wird desto dünner und fahler, je höher er klettern muss. Einen robusten, klaren Sopran setzt Kiandra Howarth für die Dorotka ein, weniger präsent ist die Stimme von Ursula Hesse von den Steinen, die aber optisch allen Anforderungen an die Königin gerecht wird. Sein die Szene dominierendes Selbst ist Jens Larsen als Magier, angemessen verkörpern Johannes Dunz (Richter) und Ivan Turšić (Scharfrichter/ Höllenhauptmann) ihre Partien. Der agilste, witzigste, beinahe sympathische Teufel, den man beinahe liebgewinnen kann, ist Philipp Meierhöfer, der zudem auch noch höchst musikalisch sich seiner Partie annimmt. Immer auf Perfektion in jeder Hinsicht kann man sich beim Chor der Komischen Oper, der sich zu Recht als „Chorsolisten“ (David Cavelius) bezeichnet, verlassen. Ein Abend wie der heutige ist genau die richtige Kost, einmal für gut zwei Stunden das im realen Leben herrschende Elend vergessen zu lassen.

Ingrid Wanja / 5.3.2022

Fotos von Jaro Suffner

 

 

 

Orfeo ed Euridice

Premiere am 23.1.2022

Erste Kritik:

Superstimme in der Plastikhölle

Das größte Problem bei der Inszenierung von Glucks Orfeo ed Euridice für den heutigen Regisseur dürfte das dem erzherzoglichen Geburtstagskind bei der Wiener Uraufführung wie dem königlichen Hochzeitspaar in Parma bei der erneuten Aufführung geschuldete Happy End sein, das die trostlose, aber erhabene Tragik der griechischen Sage zugunsten einer banalen Deus-ex-Machina-Lösung ablöst. In der Deutschen Oper war das in den Achtzigern für Achim Freyer noch kein Problem, er ließ die Gesellschaft um den griechischen Sänger fröhlich singen und tanzen, und die leuchtend roten Hosenträger des Protagonisten sind unvergesslich. Jürgen Flimm in der Staatsoper im Schiller-Theater hingegen ließ trotz des Happy End Trübsinn walten, indem sich Euridice in einem kleinbürgerlichen Haushalt einrichten muss. Keine erstrebenswerte Rückkehr in die Welt der Lebenden, zwar nicht der Tod der Protagonisten, aber der der Liebe. In der Komischen Oper nun beginnt es schon mit spießigem Ehestress, dem sich der Ehemann Orpheus entziehen will und dazu zwar nicht einen ganzen Berg voller Fluchtkoffer wie unlängst das Ring-Personal an der Deutschen Oper braucht, aber immerhin ein stattliches Exemplar, und Schiesser-Feinripp scheint endlich ausgedient zu haben zugunsten von Krankenhaushemdchen, zum Glück hinten nicht offen, und längsgestreiften Schlafanzügen.

Der italienische Regisseur Damiano Michieletto potenziert die bereits durch den Librettisten Calzabigi erfolgte Banalisierung des Mythos noch, indem er nicht eine, sondern gleich vier, nein, zählt man die Asche der Verflossenen in der Urne dazu, fünf Euridici auferstehen und durch ihre Fallsucht die physischen wie psychischen Kräfte des Orpheus herausfordern lässt. Der wird sich hüten, die Reise in die Unterwelt noch einmal anzutreten, sollte Euridice wieder zum Messer und zur Selbstentleibung greifen, wenn er die eheliche Gemeinschaft wieder verlässt. Dass er das vorhat, daran lässt das Schlussbild mit Koffer keinen Zweifel aufkommen, und daran wird auch die optimistischere Darstellung der „Handlung“ im Programmheft nichts ändern, die kühn behauptet: „Orfeo und Euridice sind einander fremd geworden. Es fehlt die Liebe……Die wiedergefundene Lieb hat Orfeo und Euridice wieder vereint“.

Zwischen diesen Eckpfeilern ehelichen Trübsinns hat die Regie faszinierende Bilder von den Furien und den Seligen Geistern geschaffen. Die verdammten Seelen sind in unförmige schwarze Plastikplanen verpackt, aus denen sie sich zum Reigen der Seligen nach und nach befreien, und auch Euridice entsteigt nach beiderseitigem Bemühen von Orpheus und Gattin einem Berg der Plastikfolie, Gestalten der heimischen Fauna (Kostüme Klaus Bruns) tanzen über die Bühne, die Alessandro Carletti in sanfte, wechselnde Pastellfarben taucht und auf die sich Paolo Fantin eine Art Riesenkamin herabsinken und heben lässt, um Requisiten und Personal erscheinen und verschwinden zu lassen. Eine feine Personenregie genießt man dank Michieletto nicht nur bei den variationsreichen Versuchen des Orpheus, den Blick der Gattin zu meiden. Weniger überzeugen können eine Krankenschwester in Kniestrümpfen und ein Polizist, dessen Pistol immerhin Dramatik in das Spiel bringt.

Das Sensationelle ist an diesem Abend aber nicht die Optik, sondern der Genuss, der den Ohren geboten wird, was aber nicht heißen soll, dass die Augen mit den drei jungen, attraktiven Solisten nichts Angenehmes  genießen können. Nie aber hat man eine so vollmundige, so erotisch klingende (Intendant Barrie Kosky nannte es „feucht“), so geschmeidige und farbige, so edel erscheinende Countertenorstimme gehört wie die von Carlo Vistoli, der zudem ungemein virtuos sich in den Verzierungen seiner Da-Capo-Arie tummelte. Dem „Che farò senza Euridice“ vermochte er ganz neue Nuancen zu entlocken, und auch optisch ließ er keinen Wunsch offen.

Nicht nur durch eine schöne Sopranstimme behauptete sich Nadja Mchantaf gegenüber ihren Ebenbildern, einen frischen Amore spielte und sang Claudia Greco aus dem Opernstudio. Der vierte Protagonist ist in diesem Werk der Chor, dessen vielfältige Aufgaben vom Vocalconsort Berlin tadellos in vokaler Frische wie Präzision wahrgenommen werden. Das Orchester der Komischen Oper wird von David Bates zu feurigem, akkuratem, federndem Spiel angehalten und versetzt mit dem ersten Akkord in eine freudige Erwartungshaltung, die im Verlauf des kurzweiligen 90-Minuten-Abends nicht enttäuscht wird.

Das Publikum tobte vor Begeisterung.

Fotos Iko Freese/drama-berlin.de

24.1.22   Ingrid Wanja

 

 

Zweite Kritik:

Selbstmord nach Ehekrise

In Harry Kupfers maßstäblicher Inszenierung von Glucks Orfeo ed Euridice an der Komischen Oper Berlin starb Euridice durch einen Verkehrsunfall – Damiano Michieletto lässt sie in seiner Neuproduktion am selben Haus durch Selbstmord enden. In einem bis auf wenige Stühle leeren, weiß ausgeschlagenen Raum (Bühne: Paolo Fantin) sitzt sie zu Beginn am Tisch mit ihrem Mann - das Paar ist zerstritten und am Ende einer Beziehung. Orfeo im grauen Anzug verlässt den Raum mit einem Koffer, der verzweifelten Euridice reicht Amore ein Messer, mit dem sie sich die Pulsadern öffnet. Seltsamerweise erscheint der Liebesgott hier als Zauberer mit Zylinder und Zauberstab im Frack, der sich beim finalen lieto fine sogar zu einem Strass-glitzernden Revue-Anzug wandelt (Kostüme: Klaus Bruns). Josefine Mindus aus dem Opernstudio des Hauses lässt einen hübschen Sopran hören und bereichert ihre Arie „Gli sguardi trattieni“ mit virtuosen Koloraturen.

Bestimmendes Element der Bühnengestaltung ist ein weißes, quaderförmiges Element, das sich hebt und senkt, dabei immer neue Verwandlungen ermöglicht. So gibt es den Blick frei auf Euridice mit verbundenem Handgelenk im Krankenbett – Krankenschwestern und Insassen des Hospitals in grauen Nachthemden und Schlafanzügen (deren gestreiftes Dekor auch an KZ-Sträflinge erinnert) illustrieren die Krankenhaus-Atmosphäre. Sie zählt, gemeinsam mit der von Altersheimen, zu Michielettos bevorzugten Spielorten, welche ihm zumeist der Bühnenbildner Fantin liefert. Der Vocalconsort Berlin (Einstudierung: David Cavelius) singt das Krankenhauspersonal wie auch später die Furien und Geister mit klangvoller Pracht und agiert mit agilem Spieleinsatz.

Mit Orfeos erschütterndem Klageruf „Euridice“ beginnt der italienische Countertenor Carlo Vistoli seine sensationelle Interpretation der Titelpartie. Die Stimme besitzt enormes Potential, ist kraftvoll und voluminös, durchdringend und mit einem reizvollen sinnlichen Vibrato ausgestattet. Schon in seiner ersten Arie, „Chiamo il mio ben così“, brilliert er im Da capo mit eingelegten Spitzentönen und virtuosen Trillern. Eine Krankenschwester versucht, Orfeo in seinem Schmerz zu beruhigen, doch dieser wandelt sich zu einem bestürzenden Albtraum, was die Inszenierung mehr und mehr in surreale Bilder münden lässt. Da erscheinen Gestalten mit Tierköpfen, drei Tänzerinnen treten als Euridices Doubles auf, und Orfeo empfängt von Amore eine Leier aus Tiergeweih.

Furioses Donnern und Orchesterstürme führen akustisch in die Unterwelt, wo sich in fahlem gelbem Licht (Alessandro Carletti) eine hintere Wand öffnet und schwarz vermummte Furien erscheinen, die Orfeo bedrohlich einkreisen. Wie ein Ertrinkender versucht er, sich aus der Umklammerung der Menge zu retten - ein Bild von archaischer Wucht Für den Reigen der Seligen Geister befreien sich die Furien, scheinbar unter Schmerzen, von ihren schwarzen Stofffetzen wie aus Kokons. Vistoli singt „Che puro ciel“ berührend und wie seine anderen Soli mit originellen Variationen im Da capo. Unter einem Berg des schwarzen Materials findet er Euridice, zuckend im Ausnahmezustand. Nadja Mchantaf singt sie mit herbem, expressivem Sopran, gelegentlich auch mit steifen Tönen. Ihr Duett mit Orfeo „Vieni, appaga il tuo consorte“, ist erfüllt von dramatischer Spannung und geballter Expressivität, ihre Arie „Che fiero momento“ pulsierend und von vehementer Energie. Gewaltiges Donnern begleitet Euridices neuerlichen Tod, Orfeos berühmte Arie „Che farò senza Euridice?“ erklingt hier ohne jedes Pathos, eher wie ein alltäglicher Vorgang mit einem Mann, der Rat und Hilfe bei seinen Mitmenschen sucht. Vistoli formt das Rezitativ in bestürzender Konfusion, die Arie demonstriert einmal mehr das Ausnahmeniveau seiner Gesangskunst.

Danach überstürzen sich die traumatischen Erinnerungen Orfeos – er sieht Euridices Urne, deren Asche die Doubles verstreuen, sieht Euridice im Krankenbett, die unter einem Wasserschwall zu neuem Leben erwacht. Das Schlussbild führt zurück zur Ausgangssituation – wieder ist das Paar am Tisch vereint, wieder sieht man Orfeo mit seinem Koffer, doch diesmal kehrt er zu Euridice zurück. Der Schlusschor „Trionfi Amore!“ feiert die wieder gefundene Liebe. Das Orchester der Komischen Oper Berlin spielt unter Leitung des jungen Dirigenten David Bates, der bei seinem Berlin-Debüt einen glänzenden Eindruck hinterlässt, die Musik mit dramatischem Puls zum Erklingen bringt und sie mit reizvollen Klangwirkungen auffächert. Die Premiere am 23. 1. 2022 wurde vom Publikum enthusiastisch bejubelt.

 

Bernd Hoppe / 24.1.2022

 

Operettenfinale an der Komischen Oper Berlin - Die Blume von Hawaii

Das war ein flotter Jahresausklang in der Behrenstraße am 30. Dezember 2021 mit Paul Abrahams Die Blume von Hawaii und gleichzeitig auch der Abschied von einer Tradition, die Intendant Barrie Kosky begründet hatte: Alljährlich gab es zum Jahresende eine konzertante Operettenaufführung in Kurzfassung mit einem prominenten Moderator. Manche Rarität wurde da zu Tage gefördert, vor allem vom jüdisch-ungarischen Komponisten Abraham, zu dem Kosky eine besondere Affinität hat. Nach Ball im Savoy, Viktoria und ihr Husar, Märchen im Grand Hotel und Roxy und ihr Wunderteam gab es nun sein populärstes Werk. 1931 wurde es in Leipzig uraufgeführt und ist noch heute lebendig dank seiner zahlreichen musikalischen Ohrwürmer. Da kennt man „My little Boy“„Blume von Hawaii“, „Kann nicht küssen ohne Liebe“, „Du traumschöne Perle der Südsee“ und vor allem „Will dir die Welt zu Füßen legen“. Dirigent Koen Schoots hat die Musik in ihrer Vielfalt zwischen Jazz sowie ungarischen, jüdischen und exotischen Einflüssen mit dem Orchester der Komischen Oper Berlin schwelgerisch und leichtfüßig präsentiert.

 

Hauptfigur der Handlung, die Andreja Schneider als Conférencieuse im Frack und Zylinder witzig und flott moderiert, ist Prinzessin Laya, die sich zwischen zwei Eheanwärtern entscheiden muss – dem Prinzen Lilo-Taro, den Tansel Akzeybek singt und dabei Schmelz und Schmalz vermissen lässt. Davon ist bei Johannes Dunz als Kapitän Stone, dem zweiten Hochzeitskandidaten, reichlich zu hören, sein Tenor mit dem schmeichelnden Timbre kann schmachten und becircen, ist einfach prädestiniert für die Operette. Alma Sadé als Laya gefällt mit charmantem Sopran und hat darüber hinaus noch einen hinreißenden Inkognito-Auftritt als Suzanne Provence mut einem Schwips-Couplet. Das Lindenquintett Berlin assistiert als Kellner mit Champagner-Gläsern und einer Dom Perignon-Flasche. Eine Operettendiva mit üppigem Sopran und ebensolcher Erscheinung ist Mirka Wagner als Bessie Worthington, die aus politischen Motiven mit dem Prinzen verheiratet werden soll, was der Gouverneus-Sekretär John Buffy realisieren muss, der allerdings selbst in die Dame verliebt ist. Julin Habermann obliegt die Buffo-Partie des Stückes, die er gekonnt wahrnimmt und seinen Hit „Ich hab ein Diwanpüppchen“ munter präsentiert. Star des Abends ist Jörn-Felix Alt als Joker Jim (Jim Boy), mit dem der Komponist dem jüdischen Jazz-Sänger Al Jolson ein Denkmal gesetzt hatte. Im Smoking mit weißer Nelke im Revers (Kotüme: Katrin Kath-Bösel) singt und tanzt er seine Nummern mit derart frechem Charme und flottem Fuß, dass das Publikum nicht selten in den Rhythmus einstimmt. Bei seinem melancholischen Slow-Fox „Bin nur ein Jimmy“ mit der Zeile „Heimat, wann werd’ ich dich wiedersehn“ wurde auch die Erinnerung an das traurige Schicksal des Emigranten Paul Abraham wach. Mit „My beautiful baby“ zum Happy-End-Finale war die Stimmung im Saal dann aber wieder euphorisch und eingestimmt auf den kommenden Silvesterabend.

 

Bernd Hoppe / 1.1.2022

 

Orpheus in der Unterwelt

Nach Salzburg nun an der Komischen Oper

Bei den Salzburger Festspielen 2019 hatte Barrie Koskys Inszenierung von Offenbachs Orpheus in der Unterwelt/Orphée aux enfers spektakulären Erfolg. Nun kam die Koproduktion mit der Komischen Oper Berlin und der Deutschen Oper am Rhein nach Berlin, wo sie bei der Premiere am 7. 12. 2021 vom Publikum, das entschlossen war, sich unter allen Umständen zu amüsieren, enthusiastisch gefeiert wurde.

 

Ich hatte mit der Inszenierung schon in Salzburg meine Probleme, fand sie fast durchgängig albern, überdreht und schrill. Der Eindruck hat sich in Berlin bestätigt. Grotesk überzeichnet sind die Personen, vor allem die Eurydike, die von Sydney Mancasola gegeben wird. Sie muss sich vor allem mit gespreizten Beinen auf dem Bett rekeln, gelegentlich auch kopulieren, was drastisch dargestellt wird. Im 1. Akt trägt sie eine aufreizende Korsage, im 2. ist sie von Victoria Behr wie ein Revue-Star gekleidet mit Federn, Volants und Putzwerk. Mancasola lässt einen herb getönten Sopran mit greller Höhe hören, der nur in den lyrischen Couplets angenehmer tönt. Ihr Gatte Orpheus ist als Hampelmann dargestellt und scheint in seinem Bewegungsduktus wie aus einem Stummfilm entlehnt. Der Tenor Tansel Akzeybek singt ihn unauffällig.

 

Rufus Didwiszus hat dem grauen Salon mit Kamin und Ehebett im 1. Akt reichlich Patina verpasst, ähnlich der ermüdeten Beziehung des Paares. Beim Auftritt des vierzehnköpfigen Tanzensembles als muntere schwarz-gelb gestreifte Bienen kommt erstmals Stimmung auf, denn Otto Pichlers Choreografie ist wie stets so absurd wie witzig und frivol. Nahe liegend erscheint Pluto in der Verkleidung als Bienenzüchter in Schutzkleidung. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke gibt ihn derart exaltiert schwul, dass man ihm seine Begierde nach Eurydike kaum glauben mag. Gesanglich offenbart er vor allem Probleme im Falsett. Wenn er die Angebetete in die Unterwelt entführt, vollzieht sich auf der Bühne ein fliegender Wechsel zum Olymp, wo die Götter mit ihrer Entourage zu einem Gruppenbild postiert sind. Gesungen wird hier mäßig, begonnen bei Peter Bording als mattem Jupiter über Nadine Weissmann als beleibtem Cupido mit gewöhnungsbedürftiger Stimme und Maria Fiselier als schriller Diana. Auch der sonst so zuverlässige Peter Renz enttäuscht als Merkur mit defizitärem Gesang. Die Chorsolisten der Komischen Oper (Einstudierung: Jean-Christophe Charron) singen zunächst aus den Proszeniumslogen, sind danach aber auf der Bühne, wo sie lautstark kreischen und auch tanzen müssen. Letzteres gelingt ihnen in stupender Perfektion, so dass sich das 1. Finale zu einer mitreißenden Szene gestaltet.

 

Die Aufführung steht und fällt mit der Besetzung des John Styx durch Max Hopp, der schon in Salzburg gefeiert wurde und nun auch an der Komischen Oper für seine singuläre Interpretation Jubelstürme empfängt. In der Produktion wird im französischen Original gesungen, die Dialoge werden dagegen auf Deutsch gesprochen. Und die aller Figuren übernimmt Hopp mit vielfach verstellter Stimme und produziert darüber hinaus noch ein ganzes Vokabular von Geräuschen – ein Auftritt von unnachahmlicher Brillanz. Und der Sängerdarsteller schlägt sich auch achtbar mit dem Vortrag des Couplets „Als ich einst Prinz war von Arkadien“. Eine Überraschung ist die Besetzung der Öffentlichen Meinung mit dem Counter Hagen Matzeit, der den prominenten Star Anne Sofie von Otter, die in Salzburg nicht reüssieren konnte, mühelos übertrifft. Im langen schwarzen Kostüm und mit weißer Perücke erscheint er wie eine strenge Gouvernante, spricht den Prolog in idiomatischem Russisch (was Styx ins Deutsche übersetzt) und singt später mit substanzreicher, auch in der hohen Lage souveräner Stimme.

 

Im 2. Akt sieht man einen geflügelten Teufel auf dem Rad in der Luft reiten und wartet auf den Auftritt von Jupiter in Gestalt einer Fliege. Sein golden schimmernder, heraus hängender und ziemlich kümmerlicher Penis macht ihn zu einer lächerlichen Figur. Pluto erscheint im Silberfummel und bestätigt seine erotische Ambivalenz. Und dann gibt es noch den berühmten Cancan, wo die Röcke der Tänzer und Tänzerinnen mit überdimensionalen Geschlechtsteilen verziert sind – eine der geschmacklichen Entgleisungen der Aufführung. Auch Eurydike trägt nun einen Penis und wird sich künftig ihrem neuen Leben als Bacchantin widmen.

 

Das Orchester der Komischen Oper Berlin animiert Adrien Peruchon zu einem Spiel mit Schmiss und Avec, gemeinsam mit allen Mitwirkenden wird der Dirigent am Ende lautstark akklamiert.

 

Bernd Hoppe, 10.12.2021

 

 

Katja Kabanowa

Premiere am 27.11.2021

2.Vorstellung am 5.12.2021

Ohne Wolga, aber mit Gift

In der Günter-Krämer-Inszenierung an der Deutschen Oper in den Achtzigern war die Wolga nicht nur in der Musik Janáčeks, sondern auch im Bühnengeschehen präsent, Handlungszeit und -ort waren die des vorrevolutionären Russland. Die Kostüme waren an Aussagekraft nicht zu überbieten, so wenn Katja vor der Abreise des Gatten das weiße Jungmädchenkleid zugunsten eines schwarzen Burnus ablegen, die langen blonden Haare verhüllen muss. Während der Schillertheaterzeit der Staatsoper inszenierte Andrea Breth eine „Katja Kabanowa“, in der die Wolga zu Badewanne und Goldfischglas und einem kümmerlichen Rinnsal quer durch das Armeleutequartier geschrumpft, die Kostüme wenig aussagekräftig waren, alles im Irgendwann und Irgendwo des 20. Jahrhunderts zu spielen schien. Nun hat sich auch die Komische Oper des Meisterwerks nach dem Schauspiel von Ostrowski mit dem Titel „Das Gewitter“ angenommen, gesungen wird in tschechischer Sprache, obwohl es eine sehr gute Übersetzung von Max Brod gibt, aber gerade bei Janáček bilden Sprache und Musik eine untrennbare Einheit.

In Jetske Mijnssens Inszenierung ist die Natur, für die die Wolga steht, vollkommen ausgesperrt, statt ihrer beherrscht eine Reihe verschiebbarer, aber völlig gleich aussehender Zimmer mit hohen, verschlossenen Türen die Bühne, werden diese, selten, einmal geöffnet, so wallt nur grauer Nebel von draußen in die mit Tisch und unbequemen Stühlen möblierten Zimmer. In dem von Julia Katharina Berndt entworfenen Ambiente sind Menschen in den Kostümen (Dieuweke van Reij) ungefähr der Sechziger des vergangenen Jahrhunderts mit den Problemen von hundert Jahren davor beschäftigt, und am Ende knien wie beim Schluss von „La Traviata“ zwei Herren an der Leiche der Titelheldin, die nicht in der Wolga die ewige Ruhe suchte, sondern in einem Fläschchen Gift. Vollkommen verändert ist die Figur des Boris, der es eigentlich sehr eilig hatte, das Weite und damit die mit der Liebschaft mit Katharina verbundenen Unwägbarkeiten zu verlassen. Aus der kargen Bitternis des Scheiterns einer romantischen Seele an sich selbst und den Unvollkommenheiten oder Boshaftigkeiten der sie umgebenden Menschen wird eine recht fad-romantische Liebesgeschichte. Auch diese Produktion begeht durch die Zeitversetzung in die Fast-Gegenwart wie so viele andere vorher den Fehler, ihr Personal der Lächerlichkeit oder zumindest des Staunens darüber, warum bei so viel gutem Willen doch alles schief geht, auszusetzen.

 

 

Einmal mehr aber sind es die Sänger, die das Beste aus den hier noch sich in Grenzen haltenden Unzumutbarkeiten der Regie und den Abend zu einem Erfolg machen. Allen voran ist dabei Annette Dasch zu nennen, die die Katherina hingebungsvoll spielt, die wundervoll nuancierend allen Regungen ihres verwirrten Herzens in zu vor allem im Piano zu bewundernden Tönen Ausdruck zu verleihen weiß und die Darstellung und Gesang zu einer vollkommenen Einheit zu formen weiß. Mit der Katja hat die Sängerin wagnerfern eine Paraderolle für sich gefunden. Gleich drei Tenöre erfordert das Werk. Stephan Rügamer war bereits der Tichon an der Staatsoper und beweist, dass sein vielseitig einsetzbarer Tenor nichts von seiner Frische verloren hat. Magnus Vigilius ist der Boris mit verführerisch klingender Stimme, Nikita Voronchenko aus dem Opernstudio der Komischen Oper spielte den jungen Kuligin, dessen Lehrer Kudrjasch war mit Timothy Oliver rollendeckend besetzt.

 

 

Jens Larsen ist einmal mehr sein imponierendes Selbst und impotent ganz sicherlich nicht, was die stimmlichen Kräfte des Dikoj anbelangt. Ungünstig als Schulmädchen kostümiert ist die Varvara von Susan Zarrabi, auch sie aus dem Opernstudio, die einen warmen Mezzosopran für eine Partie einsetzt, die in eine Liebesbeziehung wohl bereits mehr investiert, als ein gemeinsames Picknick zulässt. Und die Auslöserin allen Übels? Doris Lamprecht kann die Eiseskälte der Kabanicha gegenüber der Schwiegertochter eindrucksvoll vermitteln, man hätte ihr im Bemühen um sexuelle Erfüllung auch mehr schauspielerischen Einsatz zugetraut, als unter der Tischdecke sichtbar sein konnte, vokal wurde sie der Partie mehr als nur gerecht. Hatte man zu Beginn des Abends noch eine zu große Lautstärke und Schlagzeuglastigkeit im Orchestergraben befürchten müssen, so gelang es Giedrė Šlekytė zunehmend, das alles, was auf der Bühne an Naturstimmung, an geheimnisvollem Zauber der Wolga fehlte, feinsinnig auszumalen.

 

Fotos Jaro Suffner

6.12.2021   Ingrid Wanja

                      

 

 

ZUM ZWEITEN

Katja Kabanowa

Frauen-Power

Neben Jenufa ist Katja Kabanowa die bekannteste Oper von Leos Janácek. Immer wieder steht sie auf den Spielplänen der Opernhäuser und auch auf allen drei Berliner Bühnen wurde sie gezeigt. An der Komischen Oper ist die packende Inszenierung von Joachim Herz unvergessen, nun folgt ihr Jetske Mijnssen mit einer Neuproduktion, die das intime Kammerspiel favorisiert. Von Julia Katharina Berndt hat sie sich eine nüchterne Bühne aus drei verschiebbaren Räumen mit hohen Holztüren, Heizkörpern und Neonröhren an den Wänden bauen lassen, die eine triste und bedrückende Enge evoziert. Allerdings fehlt der Aufführung mit ihrer monochromen Optik Atmosphäre, auch weil die Natur gänzlich ausgeklammert ist: Keine Wolga nirgends. Sogar Katjas Freitod in den Fluten des Flusses hat die Regisseurin zugunsten des Selbstmordes durch eine Giftampulle geändert. Unter Krämpfen bricht die Titelheldin zuckend zusammen, neben ihrem Geliebten Boris sitzt sie leblos auf dem Boden wie eine Skulptur. Noch stärkere Wirkung hatte das Bild am Ende des 2. Aktes, wenn Katja nach dem Liebeserlebnis mit Boris in der geöffneten Tür im Gegenlicht steht wie eine Priesterin des Glücks. Annette Dasch (von Dieuweke van Reij im Stil der 1960er Jahre kostümiert) nähert sich der Rolle distanziert, vermag es nicht, einen durchgängigen Spannungsbogen zu schaffen. Auch gesanglich bleiben Wünsche offen, vor allem die schmerzend grellen Spitzentöne und die forcierten dramatischen Passagen sind Schwachstellen. Lyrisches Tenorpotential lässt Magnus Vigilius als Boris hören, während von Stephan Rügamer als ihrem Ehemann Tichon auffahrende Charaktertöne kommen. Timothy Oliver als Wanja und Susan Zarrabi als Varvara entsprechen in Stimme und Erscheinung den jungen Liebenden. Das reife Paar geben Jens Larsen als Kaufmann Dikoj mit grobschlächtigem Bass und Doris Lamprecht als Kabanicha mit keifendem Mezzo. Wenn die beiden Alten sich entkleiden und unterm Tisch zu sexuellen Spielen zusammenfinden, streift die Inszenierung die Karikatur.

Auch am Pult des Orchesters der Komischen Oper steht mit Giedre Slekyte eine Frau. Im Vorspiel gelingt ihr noch die Balance zwischen der sehrenden Intensität der Musik und ihrem nervösen rhythmischen Geflecht. Aber schon in der Eingangsszene sind die Sänger vom Orchester überdeckt, und dieser Eindruck manifestiert sich leider im Laufe der Aufführung. Dabei glitzern und flirren die Streicher des Klangkörpers bei den melodischen Inseln, welche der Komponist in das Werk gestreut hat. Aber immer wieder überwiegen die forte-Attacken, die dissonanten Klangblöcke, welche die Sänger in Bedrängnis bringen. Das Publikum der 2. Aufführung am 5.12.2021 applaudierte dennoch allen Mitwirkenden ausnahmslos mit großer Begeisterung.

 

Bernd Hoppe, 6.12.2021 

 

 

                                                

Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny

13.11.2021 (Premiere am 2.10.2021)                                 

Eine an Herz und Nieren gehende Parabel des Untergangs

Nach fünfzehnjähriger Abwesenheit von der Komischen Oper Berlin hat Hausherr Barrie Kosky Kurt Weills Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny unter der musikalischen Leitung des 1978 in Riga geborenen lettischen Generalmusikdirektors Ainārs Rubiķis neu inszeniert. In der heutigen Gesellschaft, die geprägt ist von Vergnügungssucht und Drogen jeder Art, wo nur die Reichen und Schönen die Klatschspalten einer skandalgierigen Presse füllen, wirkt Weills prophetische Endzeitspiel wie eine Apokalypse menschlicher Begierden. Die Bühnenbildner Klaus Grünberg und Anne Kuhn schufen mit Unterstützung von Kostümbildner Klaus Bruns eine schmucklose Mahagonny Welt, welche die individuellen menschlichen Situationen der Protagonisten wie mit dem Skalpell offenlegt. Die Handlung dreht sich um die Gründung einer utopischen Stadt, in der das Glück für alle Begüterten vorhanden ist, weswegen diese unabdingbare Voraussetzung auch zu ihrem Untergang führt.

 

 

Und das alles zart verpackt und wohlig eingebettet in die Weill’schen Evergreens „Denn wie man sich bettet, so liegt man“, „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“ und „The Moon of Alabama“. Fortan spielt Religion keine Rolle mehr. Die drei flüchtigen Gauner Da besiegeln die flüchtigen Gauner Dreieinigkeitsmoses (Jens Larsen ein Hüne mit gewaltigem Bass) und Fatty, der „Prokurist“ (bigott und schmierig: Ivan Turšić) als Rabbiner und Pfarrer verkleidet, mitten in der Wüste ihr utopisches Modell der Stadt Mahagonny, die jegliche Art von Glücksrittern um ihr wohlverdientes Geld bringen soll. Bei diesem Vorhaben werden sie von abgefeimten Witwe Leokadja Begbick (herrlich trashig mit schrillem Mezzo: Nadine Weissmann) angespornt. Diese greift dem Pfarrer gleich völlig ungeniert in seinen Schritt und wirft die Gebetsbücher in einen Müllkübel, worauf sie dem Rabbi die Bejkeles (Schläfenlocken) abschneidet. In Zukunft soll nur mehr das Geld wie ein Fetisch angebetet werden. Bühnenbildner Klaus Grünberg hält sich an Brechts Vorgaben, indem auf der Bühne nur die notwendigsten Requisiten zu sehen sind.

 

 

Zwei hohe mit netzartigen Vorhängen bedeckte Wände schließen die schwarze Spielfläche seitlich ab, wodurch der Eindruck eines klaustrophobischen Raumes entsteht. In diesen Fangnetzen werden sich die Besucher der Stadt aber noch haltlos verstricken. Nach sieben harten Jahren in Alaska suchen Jim Mahoney (stämmig mit volltönender „Röhre“: Allan Clayton) und seine Holzfällerfreunde, ebenso wie die Prostituierte Jenny Hill (zart und zerbrechlich: Nadja Mchantaf) und ihre Mädchen, ihr Glück in Mahagonny. Witwe Begbick verkauft Schnaps aus Wasserspendern und sammelt den Erlös in großen Metallkübeln, während Jenny ihren Rock auf der Suche nach dem meistbietenden Kunden hebt. Jim ist der strengen monotonen Regeln der Begbick überdrüssig geworden und schießt angesichts einer drohenden Sturmkatastrophe in die Menge. Zur Belustigung der Masse uriniert er dann noch auf den am Flügel sitzenden Pianisten und schneidet die Vorhänge der Wände ab. Im zweiten Teil der Oper fallen alle Vorhänge, wodurch sich der Raum mittels zweier Spiegelwände ins Unendliche erweitert und die Menschen sich zu einer bedrohlichen Masse vervielfältigen. Es herrscht Anarchie. Waren die Menschen bislang in Alltagskleidung zu sehen, treten sie nunmehr unisono in glitzernden Pailettenuniformen auf. Lediglich Jim unterwirft sich nicht diesem Diktat und behält seine Holzfällerkleidung an.

 

 

Diese hemmungslose Spaßdiktatur fordert aber auch ihre Opfer. Zunächst verendet Jack O’Brien (drastisch: Philipp Kapeller), der sich maßlos überfressen hat, in den Eingeweiden eines Widders. Dreifaltigkeitsmoses erschlägt Joe im Boxkampf und Jim, der sein Geld auf Joe gesetzt hatte, wird wegen Zechprellerei zunächst brutal geblendet und schließlich zum Tode verurteilt und vom aufgebrachten Mob der Reihe nach erstochen. Unwillkürlich denkt man dabei an den Film „Tod im Orientexpress“. Bei Hausherrn Barrie Kosky tritt nun Gott höchstpersönlich als Deus ex machina in einer seiner unendlichen Erscheinungsformen in Mahagonny auf. Dieses Mal als Äffchen in einem fernbetriebenen Go-Kart. Auf dem Sonnendach kann man in hebräischer Schrift das Siegel der Wahrheit, „Ämät“ (Wahrheit), lesen. Als dann der erste Buchstabe „Aleph“ herabfällt wird daraus das hebräische Wort „Mät“ (Tod), was bedeuten soll, dass der Golem in Gestalt von Mahagonny „vernichtet“ ist. Mit diesem inszenatorischen Trick erspart sich Barrie Kosky das ursprüngliche Finale mit der Stadt in Flammen und der „Feindschaft aller gegen alle“. Über bleibt die Musik. Der in einem regelrechten Ritual getötete Jim Mahoney liegt nun allein auf der Bühne, während der unsichtbar bleibende Chor dazu voller Ironie „Können einem toten Mann nicht helfen“ singt, obwohl seine Mitglieder gerade eben erst einträchtig den Außenseiter Jim Mahoney umgebracht haben.

 

Dieses verlogene Bedauern wird vom Orchester mit Pauken und Trompeten, vom Stil her an Siegfrieds Trauermarsch erinnernd, begleitet. So endet in der Komischen Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“  und das Publikum sieht wieder einmal betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen (Brecht, Der gute Mensch von Sezuan)! Ainārs Rubiķis führt das Orchester der Komischen Oper mitreißend durch Weills genialen musikalischen Stilmix aus Passionsmusik, Chorälen, Jazz, Avantgarde und Evergreens. Der von David Cavelius geleitete Chor der Komischen Oper erweist sich dabei als große Stütze dieser Aufführung und begeistert vor allem in den Choralpassagen. Zu erwähnen sei an dieser Stelle noch, dass sich Brechts mehrfach gesungene Lebensweisheit „Wie man sich bettet, so liegt man, und keiner deckt einen zu“ schon in der ältesten niederdeutschen Sprichwörtersammlung (1515) von Antonius Tunnicius enthalten ist. Die übrigen Freunde von Jim Mahoney sangen und spielten engagiert und gaben ihren Rollen ein eigenständiges Profil. So Tom Eric Lie in der Rolle von Bill, genannt Sparbüchsenbill, Tijl Faveyts als Joe, genannt Alaskawolfjoe und Adrian Kramer als Tobby Higgins.

Frenetischer Applaus eines glücklichen und höchst zufriedenen Publikums bedankte schließlich alle Mitwirkenden. Und völlig zu Recht gab es Bravorufe für Nadja Mchantaf und Allan Clayton, in die der Rezent freudig einstimmte. Bravi!

                                                                           

Harald Lacina, 14.11.2021

Fotocopyright: Iko Freese/drama-berlin.de

 

 

DIE ZAUBERMELODIKA

Besuchte Uraufführung am 24.10.2021

Unterhaltung mit ernstem Themenhintergrund

TRAILER

 
Die Komische Oper in Berlin hat zur Zeit wirklich einen "Run", nach dem ergreifenden "Oedipe", dem beeindruckenden "Mahagonny", jetzt eine wirklich turbulent unterhaltsame Uraufführung einer Kinderoper. Der Komponist Iiro Rantala hatte sich schon im ersten Sinfoniekonzert als Pianist und Komponist beeindruckend vorgestellt, einem Konzert, das an die verrückt komischen Klassikkonzerte eines Gerald Hoffnung erinnerte (wer nicht weiß, was das beeindeutet: da findet sich sicher etwas Schönes bei Youtube!). Rantala kommt musikalisch eher aus dem Jazzbereich, hat aber auch "in Klassisch" studiert, sodaß seine Musik auf gekonnte Art polystilistisch alle Bereiche abdeckt: Klassik, Jazz, Filmmusik und Musical einschließlich einiger "echten" klassischen Zitate, sodaß auch der Kenner als Begleiter der Kinder oder Enkel, Nichten oder Neffen auch viel Spaß daran haben wird, manchmal vielleicht etwas dick und lautstark orchestriert , aber die Komische Oper will für die Kinder alles, was auch das erwachsene Publikum bekommt, die große Bühne, das große Orchester, die echten Ensemblesänger, ein ganz normales Opernwerk mit Pause, lediglich die Dauer soll die Auffassungsgabe der Kinder nicht überschreiten, so dauert das Stück zwei Stunden einschließlich Pause.
 
Die Handlung: eine Fortsetzung der "Zauberflöte" ! Die Vorhandlung der Mozartoper muss man aber nicht kennen, schaden kann es jedoch nicht. Auch das titelgebende Instrument ist nicht so wichtig; wir erinnern uns vielleicht noch aus unserer Kinderzeit: die Melodika, eine Art buntes Blasinstrument mit Tasten, das den Kindern den Zugang zum Musizieren erleichtern soll, irgendwie aber auch ein sehr belächeltes Ding. Also, die Handlung Pamina und Tamino leben zusammen mit  Vater Sarastro im Schloss. Pamina ist angenervt, weil die ganze Hausarbeit, sie ist ja die Frau (!) an ihr hängen bleibt, Tamino interessiert sich für das Drachenzüchten, wovon kleine dampfende Haufen Drachenkacke Zeugnis ablegen. König Sarastro ist zwar gut drauf , aber dement, so steht die Frage nach einem neuen König des Sonne an. Auch an der Königin der Nacht, die mit Monostatos im Waldexil lebt, ist die Zeit nicht spurlos vorüber gegangen, nicht nur die Figur ist abgesackt, sondern auch die Stimmlage; sie singt jetzt Bassbariton mit starkem Damenbart, Stefan Sevenich spielt sich mit Anmut und Grazie in alle Herzen. Ach ja, in Stresssituationen verwandelt sie sich in einen hinreißenden Drachen, der von drei Komparsen bewegt wird. Monostatos wird mit der Zaubermelodika in den Wettbewerb um den Thron geschickt, er ist ein "bad boy", der sich jedoch als sehr empfindsam entpuppt, das spielt Christoph Späth wirklich herrlich versponnen. Außerdem leben im Wald auch noch Papageno und Papagena mit ihren mittlerweile zwanzig Kindern, dem quicklebendig präsenten Kinderchor. Silvia Rena Ziegler und Nikita Vorochenko dürfen in einem Duett erklären, woher die ganzen Kinder kommen. Da sind alle auf der Bühne überhaupt ungeheuer sympathisch: Alma Sadè und Johannes Dunz als Pamina und Tamina, oder der ungeheuer lebenslustige Sarastro vom sonoren Philipp Meierhöfer. Was es nicht gibt sind drei Damen oder Knaben, aber drei skurile Gnome mit sehr haarigen Brüsten, die alles begleiten: ebenso wir alle Beteiligten auch stimmlich klasse, Josefine Mindus, Julia Domke und Susan Zarrabi. Im zweiten Teil kommen dann die Prüfungen, weil Komponist und die Lbrettistin Minna Lindgren Finnen sind, sind es finnische Proben: wer kann am längsten, erstens in der Finnischen Aufgusssauna bleiben, zweitens im Eisloch baden und drittens auf einem Ameisenhaufen sitzen. Sarastro macht aus Spaß alles mit und kann länger, als die Jungen. Doch der Gewinner ist Monostatos, der jedoch, als Pamina traurig ist, ihr die Krone lässt.
 
Alles zusammen ist ungeheuer kurzweilig , weil Friedrich Eggerts variables Bühnenbild auf der Drehbühne und Alfred Mayerhofers zum Teil recht schrille Kostüme eine Augenweide, Koen Schoots mit dem Orchester der Komischen Oper den beschwingten "Soundtrack" liefern, den es auf CD zum Nacherinnern gibt. Alle ziehen wirklich an einem Strang und so kommt eine tolle Kinderoper heraus, die durchaus ernste Themen in sich trägt: Lebensentwürfe, getrennte Eltern, Altersdemenz und das Infragestellen der herkömmlichen Geschlechterrollen, jedoch ohne erhobenen Zeigefinger, sondern ganz spielerisch streifend. Es könnte also also durchaus für kreativen Gesprächsstoff nach der Aufführung sorgen. Mir hat es ganz großartig gefallen und dem kleinen, wie großen Publikum anscheinend auch. Einen Wunsch hätte ich dennoch: ein richtiges Programmheft mit den tollen Bildern für später !
 

Martin Freitag, 3.11.21

Frabenfrohe Bilder stehen uns leider nicht zur Verfügung

 

Brecht/Weill:

Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny

Premiere am 2.10.2021

The Moon of Berlin Mitte

Das berührt mich überhaupt nicht“, meinte meine Nachbarin bereits zur Pause und ahnte nicht, dass sie damit der Aufführung von Brecht/Weills Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny das höchstmögliche Lob ausgesprochen hatte, wollten doch beide nicht „Gefühle wecken, sondern Betrachtungen auslösen“. Einen Herrn im Publikum allerdings regte das blutige Abschlachten nebst Blendung des Jim Mahoney, das diesem anstelle eines Stricks am Galgen zuteil wurde, so sehr auf, dass er ein „brutale Scheiße“ in den Saal rief. Krassester Naturalismus mit viel Erbrochenem und Gepinkeltem, so auf den Pianisten, auch wieder wie bereits beim Oedipe Freude am Wühlen in den Eingeweiden hier eines erlegten Widders stand neben erfreulicher, aber doch aussagekräftiger Dezenz wie das Verlegen der „Liebesakte“ in den unsichtbaren Untergrund, wobei die Brutalität des Geschehens doch deutlich wurde durch die beiden Eimer, die die Kaugummis der Freier aufnehmen und ihnen zum Händewaschen dienen mussten.

 

 

Otto Klemperer hätte sich nicht zu fürchten brauchen. Eindrucksvoll gespielt wie gesungen wurde das Lied von den Kranichen, wenn das Nicht-Liebespaar zu zartesten Tönen fähig ist und doch Melancholie beim „bald“, nämlich der Trennung mitschwingt. Kaum ein Regisseur hätte es wie Barrie Kosky gewagt, Dreieinigkeitsmoses einen Christen bleiben zu lassen, aus Fatty, dem Prokuristen jedoch einen Juden zu machen mit Schläfenlocken und Kippa, die ihm beide jedoch  bereits zu Beginn des Abends abhandenkommen. Gott wird in dieser Produktion zum Roboteräffchen, Mahagonny erfährt nur eine vorübergehende Vernichtung und eine hurtige Wiederauferstehung, was dem Ganzen noch mehr als eine Prise Pessimismus verleiht, und irgendwie fragt sich auch der begeisterungswillige Besucher, ob in Corona-Zeiten etwas die Gemüter Aufhellendes, Hoffnung und Zuversicht Verbreitendes nicht angemessener gewesen wäre.

So aber empfängt den Besucher eine abgrundtiefschwarze Bühne (Klaus Grünberg), später werden viele Spiegel sichtbar, die das Bühnenpersonal quasi verdreifachen, das sich vor der Pause in zeitlose Gewänder gehüllt hat, während es durchweg, abgesehen von Jim, nach der Pause schwarze Glitzerkleidung trägt (Klaus Bruns). Das verstärkt noch einmal den Kontrast zwischen optischer Kälte und hitziger Musik.

 

 

Barrie Kosky erweist sich einmal mehr als exzellent in der Personenführung, sei es der Chor, der beinahe wie ein corps de ballet bewegt wird und der dazu phantastisch singt (Einstudierung David Cavelius), seien es die Solisten, so zum Beispiel der bruchlose Übergang, wenn Freund Bill plötzlich zur seelenlosen, tanzenden Glitzerpuppe wird. Ainãrs Rubiķis hält das Orchester der Komischen Oper zu straffem, elegantem Spiel an, vermag das Sehnsuchtstriefende wie das Knallige der Partitur gleichermaßen hörbar zu machen. Die Zwanziger, ob golden oder nicht, erfahren eine prachtvolle Auferstehung, die Produktion scheint sich in eine Reihe zu stellen mit Fabian und Babylon, allerdings nur akustisch, optisch dominiert Zeitlosigkeit. Und wenn die Choräle, obwohl verfremdet dargeboten, ihre feierlich-besänftigende Wirkung nicht verfehlen, dann sei das dem arg strapazierten Zuschauer vergönnt.

 

 

Nadine Weissmann hat für die Leokadja Begbick viel Erotik in der Singstimme, bleibt aber über weite Strecken unverständlich im gesprochenen Dialog. Phantastisch ist in jeder Hinsicht Allan Clayton mit prachtvollem Tenor und, Brecht mag es wollen oder nicht, durchaus beim Zuschauer Mitleidsgefühle wachrufend. Daneben behaupten kann sich auch der zweite Tenor Ivan Turšić als Fatty. Vorzüglich ist  Tom Erik Lie mit sonorem Bariton als Bill. Ihrem schönen Sopran auch etwas Verruchtheit sowie viel Kindlichkeit unter Verleugnung der Opernsängerin beizumischen gelingt Nadja Mchantaf als Jenny Hill. Jens Larsen gerät streckenweise vokal wie darstellerisch außer Facon als Dreieinigkeitsmoses. Da wäre weniger oft mehr.  Tijl Favetys gibt einen leicht dumpf klingenden Joe, Philipp Kapeller, Allan Clayton und Adrian Kamer ergänzen zufriedenstellend als Jack, Jim und Tobby das Ensemble. Ein schmucker Mann am Klavier ist Xin Tan.

Und was meinte meine Nachbarin noch? „Das erlebe ich jeden Tag in Berlin, dafür muss ich nicht in die Oper gehen.“ 

 

3.10.2021      Ingrid Wanja  

 

Fotos Iko Freese/drama-berlin.de 

 

 

 

 

 

 

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*nichts für sensible Menschen!

 

Die Gräueltaten der Handlung von George Enescus Oedipe stellt Regisseur Evgeny Titov bei seiner Neuinszenierung in der Komischen Oper mit naturalistischer Deutlichkeit und schonungsloser Grausamkeit aus. Rufus Didwiszus schuf dafür einen von Metallplatten eingeschlossenen hohen Raum mit einer quadratischen Vertiefung in der Mitte und einem über der Szene schwebenden, zusammen gefalteten Objekt aus Leuchtstäben, das sich entfalten und schlangengleich winden kann. Hier beobachtet Oedipe in weißer Hose und weißem Hand (Kostüme: Eva Dessecker) seine eigene Geburt, reflektiert fortan sein Schicksal, das nun in aller Tragik ausgebreitet wird. Es ist ein großes Verdienst der Inszenierung, dass sie den Titelhelden in seiner Tragödie packend und eindringlich, dabei sehr berührend zu formen wusste. Die starke Wirkung ist freilich auch dem Interpreten Leigh Melrose zu verdanken, der darstellerisch mit körperlichem Totaleinsatz und gesanglich mit seinem imposanten Bariton von enormer Kraft und fabelhafter Diktion eine Glanzleistung vollbringt. Er trägt den Abend, obwohl auch in den anderen Partien hervorragende Kräfte am Werk sind. Karolina Gumos als Oedipes Mutter und spätere Gattin Jocaste durchmisst mit klangvollem Mezzo eine weite Spanne von Emotionen – von der animalischen Geburt des Sohnes unter Schmerzensschreien über die Trauer nach dem Tod ihres Mannes bis zum Selbstmord, bei dem das Blut wie eine Fontäne an die Wand spritzt.

 

 

Noch brutaler wird der von Oedipe ermordete nackte Laios (Christoph Späth mit reifem Charaktertenor) gezeigt, dem das blutige Gedärm aus dem Leib quillt. Einen schrecklichen Anblick bietet auch Oedipe nach seiner Blendung – die Aufführung fordert bis an die Grenze des Erträglichen.

Ein Ereignis ist Katarina Bradic als La Sphinge – zuerst in weißem, später in leuchtend rotem Anzug, wenn sie Jocaste Oedipe als Braut zuführt. Androgyn wie die Erscheinung ist auch die Stimme – ein voluminös strömender Mezzo mit der Anmutung eines Counters, ausladend in der Tiefe mit heulenden, lallenden, kreischenden Zwischentönen. Prägnante Charakterstudien liefern die Bassisten Jens Larsen als blinder Seher Tirésias mit machtvoll dröhnender Stimme und Vazgen Gazaryan als Le grand prêtre mit markigem Klang. Lyrische Töne bringt Mirka Wagner als Oedipes Tochter Antigone ein. Mit ihr wandert er am Ende bis nach Kolonos, wo er seinen Frieden findet. Mit dem Hemd versucht er die Wand mit allen Spuren rein zu waschen, taumelt wie in Trance mit ausgebreiteten Armen, bis er – scheinbar glückselig – zusammen bricht.

 

 

Die Chorsolisten und der Kinderchor der Komischen Oper Berlin (Einstudierung: David Cavelius/Dagmar Fiebach) sind im 2. Rang postiert und imponieren mit gewaltigem Chorklang. Ainars Rubikis am Pult des Orchesters der Komischen Oper hält die Balance zwischen exzessiven Klangballungen und lyrisch flirrenden Gespinsten. Schwelgerisch blüht das Orchester am Ende bei Oedipes Selbsterkenntnis auf und setzt den hinreißenden Höhepunkt

 

Bernd Hoppe, 9.9.2021

Bilder (c) Komische Oper Berlin

 

 

 

 

Abgespeckt und doch nicht mager

Die Großherzogin von Gerolstein

Zwar beteuerte Barrie Kosky vor Beginn der Premiere von Offenbach Die Großherzogin von Gerolstein, Wut und Zorn über die erneute Schließung aller Theater seinen inzwischen verflogen, aber zumindest etwas Sarkasmus konnte er sich nicht verkneifen, wenn er die Gleichsetzung eines Opernhauses mit einem Nagelstudio anprangerte und süffisant in Aussicht stellte, die Komische Oper zwecks Offenhaltung in eine Synagoge zu verwandeln, „Männer unter und Frauen oben“. Schnell hatte der Intendant auf die strengen Hygieneregeln reagiert, sie perfekt für das Haus umbesetzt, einen neuen Spielplan erstellt, der bisher auch perfekt funktioniert hat und auch die Neuproduktion der Offenbach-Operette ihnen angepasst mit einem auf achtzehn Musiker verkleinerten Orchester, einer Gruppe von nur vier Tänzern und „Abstandskostümen“ zumindest für einige der Mitwirkenden.

Diese waren dann auch das einzige Üppige am Premierenabend am 31.10., phantasievoll entworfen von Klaus Bruns und eine weitere Ausstattung etwa mit einem Bühnenbild oder aufwendigen Requisiten fast überflüssig machend. Nur klitzekleine Stühle oder ein riesiges Sofa durften kurz einmal auf die Bühne. „Den Geist dieses Werkes in der heutigen Zeit zu riechen“, sollte der Verzicht auf musealen Theaterzauber ermöglichen. Lediglich der Lichtregie von Franck Evin war es vergönnt, die kahle schwarze Bühne etwas zu verzaubern.

Und auch in Bezug auf die Besetzung der Titelpartie gab es eine Überraschung mit der Besetzung nicht durch eine altgediente Diva (Dagmar Manzel war es am Deutschen Theater gewesen, Felicity Lott in Paris, auf Leib und Stimmbänder von Hortense Schneider komponiert war sie von Offenbach ), sondern alternierend mit zwei Baritonen des Hauses, am Premierenabend mit dem Norweger Tom Erik Lie. Das rückte das Werk, und das durchaus beabsichtigt, noch stärker in die Nähe von Kabarett und Varieté, ließ auch eher zu, dass weniger eine Anklage gegen die Krieg und seine Verursacher als die resignative Einsicht am Schluss, „wenn man nicht haben kann, was man liebt, muss man lieben, was man hat“ zum Kern des Ganzen wird.

Eingesprungen im Orchestergraben war die junge russische Dirigentin Alevtina Ioffe, die ihre Musiker zu Drive, Härte und Flexibilität antrieb. Für die Choreographie war Damian Czernecki verantwortlich, der drei Tänzer und eine Tänzerin als die für das Haus typischen Irrwische über die Bühne fegen ließ, während die in Fatsuites gewandeten vier Herren aus dem Gesangsensemble sich ausdauernd in Hopserei, mehr war in diesen Kostümen nicht möglich, ergehen mussten. Gegenüber diesen bombigen Herren erschien der Fritz von Ivan Turšić als ein besonders kümmerliches Etwas, nichts von Strahlemann, dem die Herzen von Großherzogin und Wanda einfach zufliegen müssen, und auch vokal ist man eigentlich mehr Schmelz und Schmalz von dieser Lichtgestalt eines Tenorbuffo gewohnt. Jens Larsen hingegen konnte als General Bumm bereits mit seinem Auftrittslied seinem Affen Zucker geben und polterte auch für den Rest des Abends rollengerecht über die Bühne. Auch Tijl Faveyts hatte als Baron Puck seine baritongewaltigen Momente, Christoph Späth komplettierte das Trio als bubihafter Prinz Paul. Christiane Oertel durfte der Sprechrolle des Baron Grog einige queere Soprantöne in den Mund legen. Einen schönen lyrischen Sopran setzte Alma Sadé für die Wanda ein, ausladend war ihr Reifrock und immer wieder die Sicht auf kokette Strumpfbänder und ein weißes Höschen freigebend.

Tom Erik Lie hatte man schon oft am Haus bewundern dürfen, nie aber wie an diesem Abend, als er in rauschhaften Kostümen in allen vokalen Registern schwelgte, sei es eine Lucia-Kadenz oder sei es baritonales Orgeln im Liebesrausch, mal an Zarah Leander erinnernd und doppelt verrucht als ein Mann, der eine Frau darstellt, die einen Frack trägt. Was dieser Sängerschauspieler an diesem Abend bietet, lässt tatsächlich allen Bühnenschnickschnack überflüssig werden.

In wenigen Tagen wird Barrie Kosky unverdrossen den Spielplan für die nächsten Monate vorlegen, und die Großherzogin kann man auf jeden Fall zur Jahreswende wieder erleben.

 

Fotos Monika Rittershaus       

1.11.2020 Ingrid Wanja

 

Beeindruckende Ein-Frau-Show

In seiner letzten Pressekonferenz hatte Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper Berlin, versprochen:“Wie machen weiter“, und in Voraussicht einer längeren Dauer der Einschränkungen durch Corona den gesamten Spielplan für 2020/21 umgestoßen und einen neuen, pandemiegeeigneten konzipiert, zunächst bis zum Ende des Jahres 2020. Nun nach der ersten Premiere der neuen Spielzeit mit zwei Beckett-Einaktern und Schönbergs Pierrot Lunaire, bekräftigte der an diesem Abend als Regisseur Tätige seine Aussage von damals mit einem erneuten: „Wir machen weiter, meine Antwort auf Corona ist Offenbach“, und zwar noch in diesem Monat mit „Die Herzogin von Gerolstein“. Es blieb aber nicht bei dieser trotzigen Kampfansage, Barrie Kosky würdigte auch die Bereitschaft der deutschen Politik, Kultur so zu subventionieren, dass kein einziges Mitglied der Komischen Oper entlassen werden oder in Kurzarbeit gehen musste, woraus die Pflicht erwachse, Kultur anzubieten, denn „Kunst ist immer!“

Eigentlich für einen späteren Zeitraum vorgesehen war Schönbergs Pierrot Lunaire, aber nun bot sich das Stück wegen der kleinen Orchesterbesetzung und als Ein-Mann-Unternehmen oder besser das einer Frau auf der Bühne geradezu an, um, ohne viel über Abstandsregeln nachdenken zu müssen, zur Aufführung zu gelangen. Davor wurden zwei Einakter von Samuel Beckett , Nicht ich und Rockaby geboten, womit auch schon die Entscheidung gefallen war, nicht eine Opernsängerin, sondern eine Schauspielerin, allerdings eine, die sich auch als Diseuse und Operettendiva längst einen Namen gemacht hat, zu engagieren: Dagmar Manzel. Christine Schäfer oder Yvonne Minton haben Pierrot Lunaire gesungen, die Wahl der Komischen Oper kann sich auf eine Aussage Schönbergs aus dem Jahre 1931 berufen:“Pierrot Lunaire ist nicht zu singen. Gesangsmelodien müssen in einer ganz anderen Weise ausgewogen und gedacht werden als Sprechmelodien“.

Für diese Auslegung war La Manzel genau die richtige Besetzung, von Katrin Kath in einen Matrosenanzug, die Einheitskleidung der Jahrhundertwende-Kinder, gesteckt, ein kindlicher Pierrot mit Schmuseteddy , der sich sein weißes Kinderbett erst einmal von der Rückwand der riesigen, schwarzen Bühne an die Rampe schieben muss, um dann mal als kindlich charmanter, mal koboldhafter, mal übermütiger, mal maliziöser Gnom oder Elfe im, um das Bett herum oder sogar unter demselben seine Sehnsüchte, Scherze oder Bosheiten zu äußern oder zu treiben. Auf bewundernswerte Weise unterstützt dabei vom Dirigenten Christoph Breitler, konnte die Schauspielerin dem Anspruch Schönbergs, den Rhythmus „haarscharf“ einzuhalten und zu einem Sprechen anzuhalten, dass „in einer musikalischen Form mitwirkt“, auf bewundernswerte Weise gerecht werden. Im Orchestergraben genossen nach einem halben Jahr quasi Berufsverbots Gabriel Adorjan (Violine), Felix Nickel (Cello), Magdalena Naima Bogner (Flöte), Luise Lieberman (Klarinette) und Frank Schulte (Klavier) ihren ersten Auftritt nach langer Zwangspause.

Zuvor hatte man die beiden Einakter Becketts, die die Sprechkünstlerin Manzel in ganz besonderer Weise forderten, erleben können. In „Nicht ich“ ergießt sich, nachdem ein Luftkampfgeschwader eine Stadt mit einem Bombenteppich belegt zu haben scheint, man meint, Schreie in ihm untergehender Menschen zu hören, ein Redeschwall einer Person, von der nur der grell rot geschminkte Mund zu sehen ist, der, hin und wieder von einer grässlichen Lache unterbrochen, einen nicht zu stoppenden Schwall von Wort- und Satzfetzen in klarer Artikulation von sich gibt, als gelte es, durch dauernde akustische Präsenz das Leben zu retten.

„Rockaby“ erinnert an ein Kinderlied, an ein Lullaby mit grausamem Inhalt, es geht um eine alte Frau, die den Tod durch das Schaukeln ihres Stuhls und unablässiges Reden daran hindern will, sein Handwerk auszuüben, die mit immer schwächer werdendem „Mehr“ Redefluss wie Schaukelbewegung, schon zum Stillstand gebracht, wieder in Bewegung setzt, ehe beide ein endgültiges Ende finden. Wie Dagmar Manzel, scheinbar ohne die Lippen zu bewegen, diesen Kampf um den letzten Lebensfunken gestaltet, ist ganz große Schauspielkunst, ihre Präsenz auf riesiger schwarzer Bühne (Valentin Mattka) enorm. Auch wenn nur jeder sechste Platz im Haus besetzt war, hörte sich der Beifall für alle Mitwirkenden beachtlich an und war Zeuge für das Bedürfnis der Menschen, gerade in schweren Zeiten Kultur zu genießen. 

 

Fotos Monika Rittershaus

1.10.2020 Ingrid Wanja               

 

 

 

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