HENRY MASON
In Linz begann’s
Die Kinderoper „Fatima oder von den mutigen Kindern“ der österreichischen Komponistin Johanna Doderer, ein Auftragswerk der Wiener Staatsoper, wird von Henry Mason inszeniert. Der Oberösterreicher mit britischen Wurzeln (oder auch der Linzer Brite, wie immer man ihn nennen mag), ist als Regisseur, Autor, Bearbeiter, Projekte-Macher vielfältig unterwegs. Und immer wieder arbeitet er für Kinder – wie auch in der Staatsoper.
Herr Mason, Opern für Kinder sind für Sie absolut nichts Neues?
Vor elf Jahren habe ich ein Kinderopern-Auftragswerk in der Volksoper inszeniert, damals war es „Die feuerrote Friederike“ von Elisabeth Naske nach Christine Nöstlinger. An vielen musikalischen Fassungen von klassischen Stoffen war ich beteiligt. Für „Fatima oder von den mutigen Kindern“ hat Johanna Doderer eine Erzählung des syrisch-deutschen Schriftstellers Rafik Schami gewählt, die René Zisterer in ein Libretto für etwa eine Stunde gebracht hat. Der Vorteil bei einer Uraufführung besteht darin, dass man die Autoren und Komponisten bei der Hand hat. So beginnt beispielsweise die Geschichte damit, dass der junge Hassan erzählt, wie arm die Familie ist und dass er weggehen muss, um ihnen Brot zu verschaffen. Die Titelheldin Fatima taucht erst in der vierten Szene auf. Das habe ich dahingehend verändert, dass ich sie gleich zu Beginn stumm einführe, indem sie es ist, der ihr Bruder Hassan das Leid klagt. Auch ist das Libretto manchmal so „schnell“, dass ich als Regisseur für manche Übergänge noch ein bisschen Zeit brauche. Und da war es überhaupt kein Problem, Johanna Doderer hier und da um ein paar Takte mehr zu bitten.
Die Geschichte vom bösen Schlossherrn, der die Träume der Kinder „frisst“, stammt von einem Autor aus dem Nahen Osten, aber es wird bei Ihnen keinerlei Assoziationen von „1001 Nacht“ geben?
Rafik Schami ist ein in Deutschland lebender Dichter von heute, und die Geschichte hat einfach zu viele Elemente unserer Zeit und auch unserer Tradition – nicht nur, weil Hassan und Fatima Geschwister sind und sie ihn rettet wie in „Hänsel und Gretel“, und weil es eine Tür gibt, die man nicht öffnen darf wie bei „Blaubart“. Es geht auch um die doppelte Armut von Kindern, die materielle, aber auch jene, dass man ihnen ihre Träume stiehlt – das heißt, ihre Zukunft, aber auch die Freude am Leben, die Phantasie. In diesem Stück sind viele Metaphern für Probleme enthalten, die uns und die Kinder heute betreffen.
Wird das nicht zu ernsthaft für Kinder?
Die Musik ist sehr schön und fast romantisch, und es wird allerlei Bühnenzauber entfesselt mit Tieren, die von Puppen verkörpert werden, und einem Bewegungschor. Ich liebe es, mit den Mitteln des „armen Theaters“ zu arbeiten, die die Phantasie des Publikums in Bewegung setzen, so dass die Abenteuer im Kopf entstehen, und ich hoffe, es gibt genug zu sehen und auch nachzudenken für Kinder.
Sie haben immer wieder und besonders viel Theater für Kinder gemacht?
Das kam ungeplant in einer Karriere, die jetzt schon länger dauert, weil ich bereits mit 23 einen „Figaro“ inszeniert habe – das war sehr früh, zu früh. Aber es hat sich seit den Anfängen in Linz, wo mein Bruder und ich aufwuchsen, wirklich eines aus dem anderen ergeben. Auch die Arbeit für Jugendliche, etwa als mir Rainer Mennicken das u\hof: Theater für junges Publikum anvertraut hat, woran ich besonders gern zurückdenke. Und drei Jahre lang war ich Oberspielleiter und stellvertretender künstlerischer Leiter am Theater der Jugend in Wien, mit vielen Inszenierungen dort. Aber ich habe dann doch beschlossen, lieber frei zu arbeiten, weil es erhebliche Zwänge mit sich bringt, in einem Betrieb zu stehen.
Herr Mason, Ihre Karriere hat zuletzt einen mächtigen Aufschwung genommen, 2014 und 2015 Inszenierungen bei den Salzburger Festspielen, Ihr geliebter Shakespeare mit „Sommernachtstraum“ und „Komödie der Irrungen“, dann mit großem Erfolg in der Volksoper „Der Zauberer von Oz“ – und jetzt die Wiener Staatsoper…
Ja, weiter kann man es in Österreich nicht bringen, nicht wahr? Das ist auch der Grund, warum ich jetzt persönlich innehalte möchte, wenn ich in dieser Spielzeit noch zwei vorbereitete Projekte gemacht habe: Zuerst im Theater der Jugend in Wien ein eigenes Stück, „Die automatische Prinzessin“, das nun wirklich nach Motiven von 1001 Nacht gestaltet ist, und dann noch einen Ayckbourn in Klagenfurt. Und dann möchte ich mich einmal vom Theaterbetrieb zurückziehen, der eigentlich eine einzige Reihe von Kompromissen ist – was Zeit, Geld, Raum, Menschen vorgeben, die unendlich komplizierten Vorarbeiten für meine oft doch sehr komplizierten Inszenierungen: Da muss man aufpassen, dass die Kreativität nicht in der notwendigen, aber letztlich auch langweiligen Logistik untergeht. Und darum will ich pausieren, im übertragenen Sinn gesagt: Den Acker einmal brachliegen lassen. Zwei Jahre nach Linz zurückkehren, nicht am Theater arbeiten – und sehen, was geschieht.
Aber doch nicht, um gar nichts zu tun? Wollen Sie nicht ein Buch über Ihren Lebensbegleiter Shakespeare schreiben, den Sie so oft inszeniert und auch bearbeitet haben?
Shakespeare ist das ultimative Vorbild fürs Theatermachen, so, wie er in seinen Stücken Welten erschafft – und das im Grunde auf leerer Bühne. Die Auseinandersetzung mit Shakespeare ist eine persönliche Geschichte unendlicher Interpretation. Ich weiß nicht, ob ich ein Buch über ihn schreiben will. Ich möchte einmal nicht wissen, was vor mir liegt, will mich überraschen lassen, ob über das hinaus, was ich kann und gemacht habe, noch etwas stattfindet.
Das Interview führte Renate Wagner
20.11.15