SIE GLÄNZTE ALS ELENA IM MAINZER „MEFISTOFELE“ - INTERVIEW MIT
AISTE MIKNYTE
privat, Copyright: David Newton
OF: Liebe Frau Miknyte, heute Abend waren Sie am Staatstheater Mainz als Elena in der Derniere von Boitos „Mefistofele“ zu erleben. Sie hatten bereits die Premiere im vergangenen Herbst als Einspringerin gesungen. Wie genau ist dieses Engagement damals zustande gekommen?
M: Das Ganze hat eine kleine Vorgeschichte: Ich habe im Juni 2013 am Staatstheater Mainz die Premiere von Verdis „Macbeth“ besucht. Bei diesem Anlass hat mich die Operndirektorin Tatjana Gürbaca gesehen und sich an mein Vorsingen in Mainz etwas über ein Jahr zuvor erinnert. Sie rief mich am nächsten Tag an und fragte, ob ich die Elena für Mainz einstudieren könnte, da nicht sicher war, ob die für diese Partie ursprünglich vorgesehene, aber damals bereits erkrankte Ruth Staffa rechtzeitig bis zur Premiere wieder genesen sein würde. Das habe ich dann auch getan. Meine Verpflichtung als Elena kam dann auch ganz spontan zustande. Als ich gerade in Litauen mit meinem Freund zusammen Ferien machte, kam auf einmal ein Anruf von Frau Gürbaca mit der Anfrage, ob ich nicht am Abend um 18 Uhr zur Probe kommen könnte. Da ich ja zu diesem Zeitpunkt gerade in Litauen war, musste ich das verneinen, erklärte mich aber bereit, am nächsten Morgen auf den Proben zu erscheinen. Mein Freund hat mich dann nach Mainz gefahren. Nachdem wir die ganze Nacht auf der Autobahn verbrachten, hatte ich dann morgens um 10 Uhr meine erste Elena-Probe.
OF: Ruth Staffa ist auch nach ihrer Genesung nicht mehr in die Produktion eingestiegen. War von Anfang an geplant, dass Sie alle Vorstellungen des „Mefistofele“ übernehmen würden oder hat sich das erst im Lauf der Zeit ergeben?
M: Nachdem ich die Elena zwei Tage lang geprobt hatte, wurde ich gefragt, ob ich alle Aufführungen übernehmen könnte. Darüber war ich sehr glücklich und habe selbstverständlich Ja gesagt.
OF: Haben Sie sich unter der musikalischen Leitung von GMD Hermann Bäumer wohl gefühlt? Dirigiert er sängerfreundlich?
M: Ich habe mich unter seiner Leitung ausgesprochen gut gefühlt. Und heute nach der letzten Vorstellung habe ich ihm auch noch einmal gesagt, wie toll ich es fand, unter ihm zu singen.
OF: Wie war die Zusammenarbeit mit Regisseur Lorenzo Fioroni?
M: Insgesamt auch sehr schön. Am Anfang war ich etwas irritiert von seiner Auffassung der Elena. Ich dachte, ich würde eine schöne Frau mit hübschen Kleidern und einer tollen Frisur singen. Und dann hat er mich auf einmal mit seinem Verständnis der Figur als einer alten Frau mit grauen Haaren und vielen Falten konfrontiert. Da war ich zuerst schon ein wenig enttäuscht. Nachdem mir aber klar geworden war, dass sein Konzept von Elena durchaus logisch und auch interessant war, habe ich es sehr genossen, sie als alte Frau zu spielen.
Hier Bild 3cc - als Elena im Mainzer „Mefistofele“, Copyright: Martina Pipprich
OF: Indem Fioroni die Elena als ältliche und nicht gerade schöne Fremdenführerin einer Schar von aufgeblasenen, bornierten Griechenlandreisenden darstellte, hat er die Figur schon ganz schön gegen den Strich gebürstet. Was für einen Zweck verfolgte er damit? Wollte er auf diese Weise vielleicht den alten hellenistischen Jugend- und Schönheitswahn ad absurdum führen?
M: Ich denke, genau das war seine Intention. Im Gegensatz zum Anfang, wo noch alles schön ist und einen großen Glanz entfaltet, sind am Ende alle Personen alt und sterben. Das ist wie im echten Leben. Und gerade das macht für mich den großen Reiz dieser Idee aus.
OF: Wie stehen Sie allgemein solchen Demontagen von Opernfiguren gegenüber? Sind derartige Verfremdungen legitim?
M: Eigentlich liebe ich klassische Auffassungen. Wenn ich aber verstehe, was die Regie mit solchen Verfremdungen sagen möchte und das Ganze wie bei Fioronis Inszenierung des „Mefistofele“ logisch und gut durchdacht ist, habe ich keine Probleme damit. Wenn die Sache einen Sinn ergibt und vom Regisseur auch konsequent durchgezogen wird, halte ich derartige Vorgehensweisen schon für legitim.
OF: Darf ein Regisseur Ihrer Ansicht nach Alles?
M: Jedenfalls darf er viel.
OF: Gibt es für Sie eine persönliche Grenze, wo Sie zu einer Regieanweisung auch mal Nein sagen?
M: Wie gesagt, wenn ich den Eindruck gewinne, dass die Regie logisch und verständlich ist, bin ich für alles aufgeschlossen. In diesem Fall gibt es für mich keine Grenzen. Dann mache ich so gut wie alles.
OF: Welche Eigenschaften machen Ihrer Ansicht nach einen guten Regisseur aus?
M: Er muss seinen Stanislawski kennen, dessen Arbeitsmethoden für Schauspieler auch für mich eine Vorbildfunktion haben. Darüber hinaus ist es unbedingt erforderlich, dass er das Stück, das er inszeniert, auch versteht. Er muss viel über das jeweilige Werk lesen und auch dessen Vorgeschichte kennen. Zudem hat er sich auch Gedanken über die Sänger zu machen und sich zu fragen, ob diese bei bestimmten Regieeinfällen überhaupt noch singen können. In Litauen beispielsweise musste eine Sängerin in einer Inszenierung einmal eine ganze Arie im kalten Wasser singen. Und da besteht natürlich die große Gefahr, dass man sich erkältet. Davon war diese Kollegin natürlich nicht gerade begeistert. Und bestimmte Bewegungen kann man zwar von einem Schauspieler, nicht aber in gleichem Maße von einem Sänger erwarten. Auch darüber sollte er sich im Klaren sein.
Hier Bild 2b – als Elena im Mainzer „Mefistofele“, Copyright: Martina Pipprich.
OF: Brauchen Sie, wenn Sie auf der Bühne stehen, eine intensive und stringente Personenregie oder ziehen Sie pures Rampensingen vor?
M: Ich liebe eine stark ausgeprägte Personenregie, weil ich nicht nur Sängerin, sondern auch Schauspielerin bin. Das macht eine Produktion ja erst interessant. Ich mag Action auf der Bühne. Und wenn die Regie gut ist und mit den anderen Komponenten der Aufführung eine gelungene Symbiose eingeht, singt man auch gleich viel besser.
OF: Haben Sie auch eine abgeschlossene Schauspielausbildung?
M: Nein. Aber im Rahmen meiner Ausbildung zur Sängerin hatte ich an der Universität in Litauen auch fünfmal pro Woche Schauspielunterricht. Zwei Schauspieler haben uns an einem Tag mal anderthalb, am nächsten dann drei Stunden unterrichtet. Bei ihnen konnte ich schauspielmäßig sehr viel lernen. Der Unterricht war schon sehr viel intensiver als es in Deutschland der Fall ist.
OF: Welchen Inszenierungsstil bevorzugen Sie: den modernen oder den konventionellen?
M: Beide haben ihre Berechtigung. Wenn ich als Zuschauerin in die Oper gehe, ziehe ich konventionelle Regiearbeiten vor. Ich liebe schöne Bühnenbilder und Kostüme und möchte mich dabei entspannen. Wenn ich dagegen selber an einer Inszenierung beteiligt bin, kommt es - das sagte ich ja bereits - darauf an, ob mir das Regiekonzept stimmig erscheint. Wenn das der Fall ist, kann ich mich genauso gut für eine moderne Deutung begeistern.
OF: Außer der Elena haben Sie auch schon einige andere Rollen erfolgreich gesungen, so Mimi, Lauretta, Tatiana, Donna Elvira, Contessa, Elvira, Erste Dame und Virtu. Welche davon war Ihnen die liebste?
M: Selbstverständlich die Tatiana. Diese Rolle liebe ich sehr. Ich habe sie mir zusammen mit dem Regisseur Eike Gramss erarbeitet, dessen Regie ganz toll war, aber auch vom Gesanglichen her ist sie mein absoluter Favorit.
Hier Bild8hh - als Tatiana in „Eugen Onegin“ im Mozarteum Salzburg, Copyright: Mozarteum Salzburg
OF: Welche Partien stehen auf Ihrer Wunschliste?
M: Insbesondere dramatische Rollen wie Tosca, Lady Macbeth und alle Wagner-Rollen für Sopran. Da vor allem Venus und Elisabeth, aber auch Brünnhilde. Bei Strauss würde mich die Salome reizen. Diese Partie möchte ich in einigen Jahren unbedingt singen.
OF: In was für neuen Rollen und wo wird man Sie demnächst erleben können?
M: Im Augenblick bereite ich Puccinis Suor Angelica vor, die mir gut in der Stimme liegt und die ich in diesem Jahr an der Kammeroper Vilnius singen werde. Ich bin schon sehr gespannt auf dieses Debüt.
OF: Wie gehen Sie vor, wenn Sie eine Partie einstudieren?
M: Zuerst sehe ich mir allein den Klavierauszug an und lerne die Noten. Später arbeite ich mit meiner Mutter, der litauischen Sängerin Inesa Linaburgyte, an der Rolle. Sie war über zehn Jahre lang ein dramatischer Mezzosopran und singt inzwischen auch so anspruchsvolle Sopranpartien wie Turandot und Tosca. Sie unterstützt mich immer sehr beim Einstudieren und gibt mir wertvolle Tips. Zum Schluss gehe ich mit der Rolle dann zum Korrepetitor.
OF: Befürworten Sie bei Aufführungen die Originalsprache des jeweiligen Werkes oder ziehen Sie eine Übersetzung vor?
M: Ich bin schon vom Stilistischen her prinzipiell für die ursprüngliche Diktion. Nur wenn man eine Oper in der Sprache singt, für die sie geschrieben wurde, können Sprache und Musik eine Einheit bilden. Und das ist bei Übersetzungen eben so gut wie nie der Fall.
OF: Betrachtet man sich Ihre Repertoireliste, merkt man in der Tat, dass Sie fast alle ihre Partien und Arien in der originalen Diktion singen. Eine Ausnahme stellt Marenkas „Ten lasky sen“ aus Smetanas „Verkauften Braut“ dar, das Sie nicht in Tschechisch, sondern in Deutsch gesungen haben. Warum haben Sie das getan?
M: Meine damalige Salzburger Professorin wollte es so. Sie hat mir die Noten mit dem deutschen Text - der tschechische stand da gar nicht darunter - gegeben und mich gebeten, die Arie zu lernen. Ich habe mir damals nichts weiter dabei gedacht und habe ihrem Wunsch entsprochen.
OF: Ich sehe Ihre Zukunft stark im italienischen Fach. Würden Sie mir da zustimmen?
M: Unbedingt. Ich liebe die Rollen von Verdi und Puccini, aber auch die von Wagner und Tschaikowsky.
OF: Ihr Sopran ist aber auch herrlicher italienischer Natur, sitzt wunderbar im Körper und weist ein tolles appoggiare la voce auf. Wer hat Ihnen diese vorbildliche Technik vermittelt? Wo haben Sie studiert?
M: Ich habe zuerst in Litauen an der Universität studiert. In meinem dritten Studienjahr kam ich mit dem europäischen Austauschprogramm Erasmus nach Salzburg. Da bin ich dann auch geblieben und habe im Salzburger Mozarteum meinen Bachelor und Master im Fach Gesang mit Auszeichnung gemacht. Meine Gesangspädagogin dort war KS Prof. Lilian Sukis.
Als Tatiana in „Eugen Onegin“ am Mozarteum Salzburg, Copyright: Mozarteum Salzburg
OF: Was, denken Sie, zeichnet den italienischen Gesangsstil vor allen anderen Techniken aus?
M: Es geht alles zusammen. Der ganze Körper ist involviert. Man hat nicht das Gefühl, dass beim Singen etwas passieren und man etwas machen muss, sondern es fließt alles schön auf einer Linie dahin. Körper, Kopf und Resonanzapparat sind perfekt aufeinander abgestimmt.
OF: Stimmt es, dass Sänger, deren Stimme italienischer Natur ist, länger singen als solche, bei denen das nicht der Fall ist?
M: Die italienische Technik ist die gesündeste Art, lange zu singen. Dafür gibt es viele Beispiele. So hat Pavarotti bis zu seinem Tod gesungen und auch Domingo und Montserrat Caballe singen trotz ihres vorgeschrittenen Alters immer noch. Andere Sänger, die weniger gut focussierte Stimmen hatten, waren dagegen mit 50 am Ende. Diese Frage lässt sich deshalb mit einem eindeutigen Ja beantworten.
OF: Welche Komponisten mögen Sie besonders? Und warum?
M: Wenn ich singe, Puccini. Und zwar aufgrund seiner großen Emotionalität und weil er das Veristische in der Musik sehr gut ausgedrückt hat. Wenn ich dagegen als Zuschauerin in die Oper gehe, möchte ich Wagner hören. Diese Grandezza und Weite in seiner Musik begeistern mich ungemein.
OF: Sie haben schon mehrere Preise gewonnen. Bereits 1999 erhielten Sie den 1. Preis und 2001 den dritten Preis im Kammermusik-Wettbewerb „Beatrice Grinceviciute“ für junge Talente in Vinius. Im Sommer 2007 gewannen Sie beim internationalen Gesangswettbewerb auf Schloss Laubach in drei verschiedenen Durchgängen jeweils den Publikumspreis. Was bedeuten Ihnen diese Auszeichnungen?
M: Sie geben mir die Bestätigung, dass ich mich stimmlich auf dem richtigen Weg befinde. Und das ist ein schönes Gefühl. Zudem sind Wettbewerbe hilfreich für meine weitere Laufbahn. Auch kann man dabei gut Erfahrungen sammeln. Und wenn ich aufgrund eines solchen Wettbewerbs irgendwo eine tolle Partie bekomme, ist das für mich die schönste Auszeichnung. Allerdings sind Preise nicht das wichtigste. Meine Mutter hat nie irgendeinen Wettbewerb gewonnen, aber dennoch eine große Karriere gemacht und ist in Litauen ein Star.
Konzert in der Vilnius Kammer Oper, Copyright: Ramunas Danisevicius
OF: Wie würden Sie Ihr Selbstverständnis als Sängerin formulieren?
M: Singen ist für mich viel Arbeit, viel Disziplin und Glaube. Ich muss in mir das Bedürfnis spüren, zu singen. Und das tue ich nicht nur mit der Stimme, sondern auch mit der Seele. Außerdem erfordert mein Beruf ein großes Maas an Idealismus und Liebe zum Gesang.
OF: Herzlichen Dank für das Interview.
M: Vielen Dank auch Ihnen.
Ludwig Steinbach, 26. 2. 2014