Foto: Barbara Zeininger
Von der Osteria in die Scala
Ambrogio Maestri gilt als „der“ Falstaff unserer Tage, und so ist es selbstverständlich, dass die Wiener Staatsoper ihn als Titelhelden für die Neuinszenierung von Verdis letzter Oper verpflichtete. Er wird im Rahmen dieser Serie den dicken Ritter, der für ihn so wichtig ist, zum 250. Mal in seiner Karriere singen
Renate Wagner hat mit ihm gesprochen
Herr Maestri, als ich vor ziemlich genau drei Jahren für „die Met im Kino“ war und Sie als Falstaff sah, hieß es, Sie sängen die Rolle an diesem Abend zum 200. Male. Wenn Sie nun am 4. Dezember in dieser Rolle in Wien Premiere haben, welche „Nummer“ trägt Falstaff dann in Ihrer Buchhaltung? Und welchen Rang nimmt er unter den von Ihnen gesungenen Rollen ein?
Es wird bei der Premiere die Nr. 248 sein, die dritte Vorstellung ist dann mit Nr. 250 wieder ein kleines Jubiläum, das heißt, ich habe die Rolle dann in den letzten drei Jahren weitere 50male gesungen. An sich singe ich zwischen 60 und 65 Abenden pro Jahr, davon entfallen sicher 20 auf Falstaff, der Rest auf mein übriges Repertoire.
Schlägt man Sie in Wikipedia nach, lautet bereits der zweite Satz, Sie seien weltweit bekannt für Ihre Darstellung des Falstaff, kurz: „der“ Falstaff unserer Tage. Freut Sie das oder halten Sie das für „Typecast“ und Reduzierung ihrer Gesamtpersönlichkeit als Sänger?
Natürlich freut es mich, wie sonst! Wer hört nicht gerne, dass er der Inbegriff einer Rolle ist! Und ich habe sie in den letzten 15 Jahren, seit meinem Debut, in der ganzen Welt verkörpert.
Dieses Debut fand ja nun unglaublicherweise gleich an der Mailänder Scala unter Riccardo Muti statt, Regisseur war Giorgio Strehler, Sie waren 31 Jahre alt – wie war das möglich?
Ich bin in Pavia geboren, aber meine Mutter hatte in Mailand gleich neben der Scala ein Restaurant, und da saß ich am Klavier und sang. Und die Leute der Scala und das Publikum kamen zu uns, und mancher sagte, das sei ja besser als das, was er gestern in der Oper gehört hätte… Und eines Tages meinte Riccardo Muti, ich müsse doch den Falstaff studieren, und ich tat es unter seiner Anleitung volle elf Monate lang. Und da war auch noch eine Assistentin von Giorgio Strehler, die mir so vieles beibrachte, was ich als unbeleckter Anfänger natürlich nicht wissen konnte – zum Beispiel, dass ein alter Mann wie Falstaff nicht hochhüpft, sondern sich erst einmal mit den Armen am Tisch abstemmt, bevor er sich erhebt… Und Giorgio Strehler hatte einen Blick auf alle Details der Rolle. Und dann stand ich, behütet von Muti und Strehler, 2001 erstmals als Falstaff auf der Bühne der Mailänder Scala.
Sie sind also von der Osteria direkt in die Scala und von dort in die Welt?
Man könnte es so sagen.
Es muss sich schnell herumgesprochen haben, dass es hier einen neuen, besonderen Falstaff gibt, denn Ioan Holender ließ Sie schon im September 2004 in dieser Rolle an der Wiener Staatsoper debutieren. Haben Sie daran noch Erinnerungen?
Und wie! Fabio Luisi dirigierte, aber ich musste ohne weitere Orchesterprobe in den Abend hineinspringen. Es war diese Marelli-Inszenierung, wo man mich in einen Kasten steckte, in den ich kaum hineinpasste, und ich weiß noch, dass Elina Garanca als Meg Page mit allen Kräften schob und schob, bis ich endlich drinnen war…
Herr Maestri, ich habe eine schier unglaubliche Liste von Opernhäusern, an denen Sie den Sir John Falstaff gesungen haben – abgesehen von Mailand und Wien, Met und Covent Garden. In Tokio und in Buenos Aires und Sao Paulo, in Paris, Amsterdam, Zürich und Luzern, in München und bei den Salzburger Festspielen, in Florenz und zuletzt, bevor Sie nach Wien kamen, noch in Budapest – das kann doch nicht immer derselbe Falstaff sein? Allein, wenn ich denke, wie Robert Carsen das Geschehen an der Met in die Fünfziger Jahre versetzt hat oder Michieletto bei den Salzburger Festspielen in eine Art Casa Verdi, ein Altersheim, das erfordert doch von Ihnen immer einen ganz anderen Zugang zur Rolle?
Also gerade diese beiden Inszenierungen von Carsen und Michieletto habe ich als Neuproduktionen in langen Proben erarbeitet, da trifft man die Rolle und die Inszenierung wie alte Bekannte. Wenn man sonst in eine fremde Aufführung hineingeht, spielt man natürlich seinen eigenen Falstaff. Idealerweise erarbeitet man eine neue Sicht – wie hier in Wien.
Falstaff in New York (links) und Wien (Fotos: Met / Wiener Staatsoper)
Nun ist ja endlich die Frage nach der Wiener Neuinszenierung unter David McVicar fällig. Stimmt es, dass er das heutzutage kaum Gewagte tun wird und eine Inszenierung im historischen Milieu der Shakespeare-Zeit auf die Bühne bringen?
Ja, in wunderschönen Bühnenbildern und Kostümen, aber darum geht es nicht allein. Ich war in Aufführungen in historischem Ambiente, und sie waren einfach uninteressant. Diese ist wirklich intelligent und findet auch neue Lösungen. In diesen sechs Probenwochen in Wien habe ich in der Arbeit mit McVicar und Mehta so viel gelernt wie seit Muti / Strehler nicht mehr. „Falstaff“ ist ja keine Buffa, „Falstaff“ ist zumindest ein semi-ernstes Werk und der Falstaff, auch wenn er ein Spitzbube ist, doch eine schwere, seriöse Rolle, sicherlich kein Clown: Dieser Falstaff meint, was er sagt und tut. Man muss bedenken, wie gut allein das Libretto von Arrigo Boito ist, wie viel also vom Text ausgeht. Das alles muss man vermitteln, auch wenn wir das Publikum ehrlich unterhalten wollen. Ich fühle mich in dieser Wiener Inszenierung sehr wohl. Und wenn man mit den Wiener Philharmonikern arbeiten darf…
Die Rolle, die Sie neben dem Falstaff am häufigsten singen, scheint diametral entgegengesetzt – Puccinis rabenschwarzer Bösewicht in „Tosca“, der Scarpia. Wie geht man innerlich in eine solche Figur hinein?
Erstens trägt einen schon die Musik hinein, zweitens basiert auch diese Rolle, wie der Falstaff, auf dem Text. Außerdem ist dieser Scarpia durchaus kein grober Bösewicht, man muss nur die Anweisungen lesen, die Puccini dem Bariton Edoardo Camera, dem ersten Interpreten der Rolle, gegeben hat. Das soll ein großer Herr sein, ein Barone, ja, man kann sogar für möglich halten, dass Tosca ein kleinwenig von ihm fasziniert ist…
Kann man davon ausgehen, dass Sie den Hintergrund jeder Rolle, die Sie verkörpern, so genau ausloten?
Absolut, ich stelle zu jeder genaue Hintergrundrecherchen an.
Ihr derzeitiges Repertoire umfasst außer dem Falstaff einige heitere Rollen – den Dulcamara, den Don Pasquale, den Fra Melitone. Daneben viel „großer“ Verdi – Rigoletto, Simon Boccanegra, Nabucco, Amonasro, Germont, Jago. Und noch einiges Veristische – Alfio und Tonio, der Gerard in „Andrea Chenier“. Das klingt nach einem ziemlich kompletten Repertoire. Gibt es noch Rollen, die Sie sich wünschen?
O ja, ich werde im „Trittico“ die Rollen in „Tabarro“ und den Gianni Schicchi in München machen, und ich freue mich auf den Barnaba in „La Gioconda“.
Als Sie auf so unkonventionelle Weise in die Rolle des Opernsängers hineingewachsen sind, hatten Sie eine Ahnung, wie schwer der Beruf ist? Und wie bewältigt man ihn eigentlich?
Ich frage mich auch manchmal, woher man die Kraft nimmt, das zu schaffen, aber man wird natürlich von der Freude getragen, die man daran hat. Ein Freund sagte mir einmal, wenn er gute Arbeit geleistet hätte, bekäme er nur Geld dafür. Ein Opernsänger bekommt auch den Applaus, und das ist unendlich wichtig. Ich bin sehr glücklich – es ist der schönste Beruf der Welt, auch wenn man jeden Tag, wenn man auf die Bühne geht, hundert Prozent von sich geben muss.
Zum Schluß wollen wir natürlich wissen, ob es weitere Wiener Pläne gibt?
O ja, ich komme für Falstaff wieder, und ich werde in Wien auch wieder Dulcamara, Scarpia und, erstmals in der Staatsoper, den Gerard in „Andrea Chenier“ singen. Ich habe Glück, Direktor Meyer will mir wohl.
Herzlichen Dank für dieses Gespräch und Hals- und Beinbruch für den neuen Wiener Falstaff!
Foto: Barbara Zeininger
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