Mit Gatten Davide Vittone und buffy…
Versagen kommt nicht in Frage!
Jennifer Larmore – eine „Southern Belle“, wenn es je gab, aus Atlanta stammend, mit Scarlett O’Hara als Idol ihrer Jugend – gastiert wieder einmal im Theater an der Wien. Mit der Ottavia in Monteverdis „L´incoronazione di Poppea“ kehrt sie quasi zu ihren Anfängen zurück, wo sie mehr als jetzt, da Berg und Janacek ihre ständigen Begleiter sind, der alten Musik verpflichtet war
Frau Larmore, das Theater an der Wien ist gewissermaßen Ihr Wiener Stammhaus geworden?
Ja, glücklicherweise bin ich offenbar immer wieder im Visier von Intendant Geyer, und es gibt schöne Aufgaben. Er hat mich schon 2000 als Charlotte in „Werther“ besetzt. Zuletzt habe ich hier vor vier Jahren die Miss Jessel in Brittens „The Turn of the Screw“ gesungen, das war eine tolle Arbeit mit Robert Carsen, weil diese Figur gewissermaßen „tot“ war, alles lag hinter ihr, faszinierend zu spielen. Jetzt kommt die Ottavia, und ich bin so besonders gern im Theater an der Wien, weil das kein seelenloser Betrieb ist. In vielen Opernhäusern der Welt bekommt man eine Probe und wird auf die Bühne gestoßen, das ist wie in einer Fabrik. Im Theater an der Wien fühlt man sich wie in einer Familie, und in Wien bin ich überhaupt immer glücklich. Hier könnte ich wirklich leben. Im Vergleich zu anderen Großstädten – zu Paris, wo ich lebe! -, ist es hier geradezu entspannt.
Die Ottavia in „L´incoronazione di Poppea“ ist so etwas wie eine tragische Nebenrolle, die Frau, die von Nero für Poppea verlassen wird. Ist das ergiebig für eine Sängerin?
Es macht mich sogar besonders glücklich, sie zu singen, weil ich damit zu meinen Wurzeln zurückkehre. Monteverdi war neben Mozart einer der ersten Komponisten, die ich zu Beginn meiner Opernkarriere gesungen habe, vor mehr als 20 Jahren, damals 1993 unter René Jacobs in Bologna, auch bei den Festwochen der Alten Musik in Innsbruck und seither immer wieder einmal. Die „Poppea“ ist eine originelle Oper, fast wie ein Theaterstück, sie hat nur zwei Hauptfiguren, Nero und Poppea, die anderen kommen und gehen. Ottavia, die ich sehr mag, hat nur drei Szenen, die letzte ist dann die schöne Arie „Addio Roma“, und ich finde ganz toll, was Claus Guth hier aus dem Stück macht.
Vor vielen Jahren: Ottavia in Innsbruck
Frau Larmore, Sie haben in der Ära Holender Ende der neunziger Jahre einige Male an der Staatsoper gesungen und seither nicht mehr. Gibt es dafür einen Grund?
Das war noch die Zeit, wo ich als Rossini-Spezialistin galt, die Rosina im „Barbiere“ war meine Paraderolle, damit habe ich in Covent Garden, an der Met und dann auch in Wien debutiert und auch noch die Italiana gesungen. Rossini ist sehr wichtig für mich, er erlaubt den Mezzosopranistinnen, spritzig und lustig und hübsch zu sein, das ist wunderbar. Ich habe dann auch an der Staatsoper noch die Carmen gesungen, und dann sagte Ioan Holender eines Tages: „Ich finde, jetzt haben Sie genug in Wien gesungen.“ Ich habe nie erfahren, warum er das sagte, warum er diesen Entschluß fasste, aber jedenfalls waren die Auftritte an der Staatsoper für mich damit beendet. Es ist für mich nicht die Welt zusammen gebrochen, es gibt genügend Häuser, wo ich singe und gerne gesehen werde – aber in Wien scheint es wirklich so: Wer nicht an der Staatsoper singt, der existiert nicht, dabei ist das Theater an der Wien ein so großartiges Haus. Was Dominique Meyer betrifft, so kenne ich ihn von früher, wir sind auch Facebook-Freunde, aber er wird nicht nach mir rufen, er setzt lieber jüngere Sängerinnen ein. Es ist in diesem Beruf wie überall – alles dreht sich um Jugend und Schönheit.
Aber gerade für einen Mezzo gibt es wunderbare Möglichkeiten, auch wenn man wie Sie – wir sagen es offen – Fünfzig plus ist. Es ist überhaupt interessant an Ihrer Karriere, wie sich da ein Repertoire von ganz ungewöhnlicher Vielfalt akkumuliert hat.
Ich habe in meiner Jugend viel Händel und alte Musik gesungen, auch Mozart, mit dem Sesto in „Titus“ habe ich 1986 in Nizza überhaupt in Europa debutiert, 1993 bei den Salzburger Festspielen in der Regie von Erwin Piplits die Dorabella gesungen. Dann kam jede Menge Rossini, auch der Bellini-Romeo, und weil ich immer neugierig war, hat sich die Karriere in alle Richtungen entwickelt. Ins französische Fach zu Carmen und Charlotte, auch die Königin in „Hamlet“ von Thomas – das war übrigens das letzte Mal, dass ich an der Met gesungen habe, 2010 mit Keenlyside. Oder die Dulcinée in Massenet „Don Quichotte“ in Brüssel. Ja, und dann kam auch Verdi…
Wir sitzen in einem Café gegenüber der Wiener Staatsoper, in einer Stunde hat dort „Macbeth“ Premiere. Sie haben auch die Lady gesungen, die zwar oft von Mezzosopranen interpretiert wird, aber für diese doch sehr hoch liegt, oder?
Keine Ahnung, warum mir, je älter ich werde, die hohen Töne so leicht und locker aus der Kehle kommen. Es war Christof Loy, der mich 2012 unbedingt als Lady Macbeth in Genf haben wollte, und als ich mir die Rolle ansah, war mir klar, dass das Belcanto ist und nicht Verismo und herrlich zu singen. Und darüber hinaus wunderbar zu spielen, was für mich immer wichtiger geworden ist. Mittlerweile betrachte ich mich gar nicht so sehr als Sängerin, die spielt, sondern als Schauspielerin, die singt. Und wenn es dann eine so abgründige Figur ist wie die Lady Macbeth, ist die Herausforderung noch größer: Ich muss ja da nicht mit „Method Acting“ unbedingt das Böse in mir suchen, das ich in dieser Form sicher nicht finde, sondern erarbeite das einfach mit einem guten Regisseur. Ich habe die Lady dann auch vor zwei Jahren in Bologna in der Regie von Robert Wilson gesungen, das war ganz in seinem Stil, völlig verrückt und doch phantastisch. Ich steckte in einem Kleid aus total steifem Stoff, in dem ich mich kaum bewegen konnte, nur mit dem Armen wehen, und Wilson wollte, dass ich gewissermaßen über die Bühne schwebe, fließe…
Aber dennoch spielt Verdi für Sie nicht die wirklich große Rolle?
Ich habe auch noch die Eboli gesungen, in der französischen Fassung, vor zwei Jahre bei dem Caramoor Festival in New York, das von Musikfreunden sehr geschätzt wird, aber ich denke nicht, dass ich in diese Richtung weitergehen werde. Es gibt für mich so viele Möglichkeiten gerade in letzter Zeit – es war wieder Christof Loy, der mich zu etwas Neuem gebracht hat, nämlich zu Janacek: Die Küsterin in der “Jenufa” unter Runnicles 2012 in der Deutschen Oper Berlin gibt es auch auf DVD, und die „Schöne Helena“ 2014 aus Hamburg auch.
Janacek und Offenbach, größer kann die Spannweite kaum sein, und dazu noch als Errungenschaft der letzten Jahre die Geschwitz in „Lulu“ von Alban Berg…
Das ist eine phantastische Rolle. Ich habe kaum deutsches Repertoire in meinem Leben gemacht, immerhin einmal die „Rheingold“-Fricka, Hänsel und Gretel, die Fledermaus oder Die Lustige Witwe, die Wesendonck-Lieder habe ich auch gesungen, aber die Geschwitz ist eine Aufgabe, die mich begeistert. Auch das war Christof Loy, der mich in der Rolle wollte, 2009 habe ich in seiner Inszenierung in Covent Garden debutiert, sie dann in Paris gemacht, schließlich in Amsterdam, das war dort eine ganz wilde Inszenierung von William Kentridge, und ich werde froh sein, wenn die Geschwitz noch oft auf mich zukommt. Meine Kollegin Susan Graham wird sie jetzt an der Met singen, und ich habe ihr schon viele Ratschläge gegeben. Ich will jetzt wirklich nur hoffen, dass jemand auf die Idee kommt, mir die Marie in „Wozzeck“ anzubieten, diese Rolle würde ich mir wirklich wünschen.
Sie haben nun bald fast drei Jahrzehnte in der Welt der Oper und sehr stark auch in den Konzertsälen hinter sich. Es heißt immer – und zweifellos zu Recht -, wie schwer dieser Beruf ist. Haben Sie ihn auch so empfunden?
Der härteste Teil des Jobs besteht für mich darin, dass man im Grunde immer auf Reisen ist und getrennt von den Menschen, die man liebt. Ich habe meine ganze Familie, die mich immer sehr unterstützt, in den USA zurückgelassen, die Eltern, zwei Schwestern, einen Bruder. Als mein Vater, der mein Felsen war, starb, war das für mich entsetzlich – ich bin an sein Totenbett geflogen, und niemand in Hamburg, wo ich damals „Belle Helene“ probte, wäre auf die Idee gekommen, mich zurückzuhalten: „Denk nicht an uns, Du musst zu Deinem Vater“, hat man gesagt, und das erlebt man auch nicht jeden Tag. Meine Mutter ist 90 und noch immer voll Aktivität, wir sind unendlich langlebig in meiner Familie. Meine Tante Beatrix hat noch mit 102 Jahren die Trommel im Orchester ihrer Stadt gespielt und gab es nur auf, weil sie meinte, jetzt habe sie nicht mehr den rechten Schwung. Sie ist dann mit 104 gestorben. Ich sage immer zu meinem Mann: Du wirst mich einmal erschlagen müssen.
Sie haben zweimal Musiker geheiratet?
Ja, mein erster Mann war der Bassbariton William Powers, und wir sind noch immer die besten Freunde, haben es bloß nicht geschafft, genügend zusammen zu sein, um eine Ehe aufrecht zu erhalten. Seit zwei Jahren bin ich nun mit dem Kontrabassisten Davide Vittone verheiratet, er ist Italiener aus Turin, aber wir leben gemeinsam in Paris. Er arbeitet mit dem Balthasar-Neumann-Ensemble zusammen, ist aber darüber hinaus frei schaffend, und dafür ist Frankreich der beste Boden. Wir haben auch ein gemeinsames Ensemble gegründet, „Jennifer Larmore and OpusFive“, damit reisen wir gelegentlich mit Programmen für Streichquintett und Gesang und einem bunten Potpourri aus Liedern, Arien, Kabarett, Operette, Film und Broadway, einfach alles.
Natürlich kann er nicht immer mit mir zusammen sein, wenn ich meine Opernengagements habe, und so reise ich mit Buffy, meinem kleinen Spitz. Da wartet doch immer ein Lebewesen auf mich, und man kann nie wirklich einsam sein, wenn man einen Hund hat. Ich mag gar nicht daran denken, dass ich sie nicht mitnehmen kann, wenn ich nächstes Frühjahr für „Jenufa“-Aufführungen nach Tokio fliege.
Niemand denkt gerne ans Aufhören, aber wahrscheinlich sollte man sich rechtzeitig den Kopf auch darüber zerbrechen?
Absolut. Da habe ich übrigens etwas ganz Besonderes erlebt, als ich heuer im Sommer beim Caramoor Festival die Mère Marie im „Les dialogues des carmélites“ sang. Meine Partnerin war die von mir so bewunderte Deborah Polaski als Madame de Croissy. Und da meinte ich: „Ach ja, Debbie, wir werden wohl nicht mehr oft miteinander singen…“ und sie sagte ganz ruhig: „Wir werden nie wieder miteinander singen. Das war heute meine letzte Vorstellung.“ Und sie hat sich darauf gefreut, alles hinter sich zu lassen. Ich war nie neurotisch mit meiner Stimme, ich wollte nie, dass sie mein Leben beherrscht, aber es wäre dumm nicht zuzugeben, was der Beruf einem auch körperlich abverlangt. Man muss da wirklich smart sein, auf sich und seine Gesundheit aufpassen, auf vieles verzichten, ob es das abendliche Ausgehen oder mehr als ein Glas Alkohol ist. Aber das ist die Wahl, die man trifft, das ist Teil der Disziplin, zu der man sich mit diesem Beruf verpflichtet. Und wenn man es wirklich will, ist es nicht zu viel verlangt. Man macht es – Versagen kommt nicht in Frage.
Sie machen immer wieder Workshops und Meiserklassen,, in Österreich zuletzt in Gutenstein?
Ja, und ich sitze auch viel in Jurys und ich werde sicher noch viel mehr Meisterklassen machen, denn ich unterrichte gerne, habe selbst keine Kinder, liebe aber junge Menschen und denke, ich kann ihnen etwas beibringen. Meine 90jährige Mutter fragte mich neulich besorgt: „Jenny, wann wirst Du es endlich ein bisschen langsamer angehen?“ (When are you going to slow down?). Da habe ich gesagt: Es kommt alles von selbst, so wie sich alles in meinem Leben fließend ergeben hat. Ich will auch mehr schreiben – ich habe gerade das Buch „Una Voce: The Drama in Opera, both Onstage and Off“ herausgebracht und erzähle aus meinem Leben. Ich glaube, vieles davon kann für junge Sänger sehr lehrreich sein. Meine Erkenntnis: Das Leben nehmen, wie es kommt, und das Beste daraus zu machen.
Alle Fotos zur Verfügung gestellt von Jennifer Larmore
Das Interview führte Renate Wagner / 6.10.15