ERIN MORLEY
Mein verrücktes Jahr!
Das Wiener Publikum wird in der „Rigoletto“-Premiere vor Weihnachten als Gilda eine neue Sängerin kennen lernen: Für die junge Amerikanerin Erin Morley, die von der „Met“ kommt, ist Wien allerdings die letzte Station ihres „crazy“ Jahres 2014, in dem sie in Europa schon die Weltstädte München und Paris und noch einige mehr „mitgenommen“ und erobert hat.
Renate Wagner führte das Gespräch in englischer Sprache
Frau Morley, wie haben Sie sich gefühlt, als Ihr Agent Ihnen sagte, Sie würden die Gilda in einer Neuinszenierung der Wiener Staatsoper singen?
Wie glücklich kann man sein? Das ist eines der aufregendsten Dinge, die mir je passiert sind. Und dann noch mit Simon Keenlyside und Piotr Beczala auf der Bühne stehen? Das ist unglaublich! Abgesehen davon, dass beide so wunderbare Kollegen mit so viel Erfahrung sind und mir, die ich ja naturgemäß noch nicht so viel Erfahrung habe, wirklich helfen.
Und wie ist es zu dieser Besetzung gekommen?
Ich kannte Franz Welser-Möst, wir hatten mit seinem Cleveland-Orchestra einen wunderbaren Abend in der New Yorker Carnegie-Hall, wo ich die „Lulu“-Suite gesungen habe, das war fabelhaft. Natürlich bin ich sehr traurig, ihn nicht vorzufinden, muss aber sagen, dass es großartig ist, mit Maestro Myung-Whun Chung zu arbeiten. Er hat so eine „reine“ Art, die Musik anzugehen, und er gehört zu jenen Dirigenten, die so viel Wert auf den Text und dessen Ausdruck legen, dass er etwa ein Tempo anzieht, um irgendeine Seelenregung zu veranschaulichen … Ja, und dann habe ich Direktor Dominique Meyer in Paris vorgesungen. Und so kam es, dass sich für mich dieses Engagement ergab.
Die Gilda ist ja nicht neu für Sie, die gab es ja schon an zwei großen europäischen Opernhäusern. Und wie wird Ihre Wiener Gilda aussehen?
Im November 2012 habe ich sie in Valencia gesungen, das war eine ganz konventionelle Aufführung, Gilbert Deflo hatte sie zuerst für La Scala gemacht, wobei ich sagen muss, dass der spanische Bariton Juan Jesús Rodríguez ein phantastischer Partner war. In München, heuer im Mai, hat mich in der Inszenierung von Árpád Schillig dann etwas ganz anderes erwartet, sie war gewissermaßen abstrakt, mit dem Chor stets im Hintergrund der Bühne, aber ich konnte durchaus etwas damit anfangen. Den Regisseur habe ich natürlich nie gesehen, wie das so ist, wenn man in eine bestehende Inszenierung einsteigt – aber jedenfalls waren Piero Pretti und dann Joseph Calleja tolle Partner als Herzog und auch Franco Vassallo als Rigoletto. Hier in Wien ist es natürlich besonders großartig, mit Pierre Audi eine Konzeption von Anfang an zu erarbeiten. Gilda ist hier ein Beispiel dafür, wie Frauen behandelt werden – wobei es nicht nur in der Vergangenheit so war, dass Väter ihre Töchter aus Angst viel zu sehr behütet und eingeengt haben, und dass Männer eine Frau nur für eine Nacht besitzen wollen und dann wegwerfen… das gibt es auch heute noch, und das finde ich so toll an „Rigoletto“. Es ist eine dunkle Oper, sie schildert eine dunkle Gesellschaft – und das ist uns nicht fremd. Gilda flüchtet vor der übertriebenen Liebe des Vaters zur vermeintlichen Liebe des Herzogs, und sie stirbt am Ende bei uns nicht aus Liebe, sondern aus Enttäuschung, weil sie nicht mehr in dieser Welt bleiben will…
Das klingt sehr gut, aber doch mehr wie ein theoretisches Konzept. Kann man so etwas auf der Bühne wirklich vermitteln?
Ich hoffe, dass ich es herüber bringen kann. Wichtig ist, dass Gilda nicht nur das arme, unschuldige Mädchen ist, sondern ein komplexer Charakter. Wenn ich das nicht vorfinde, ist eine Rolle für mich nicht interessant – und ich glaube, für das Publikum auch nicht. Auch kann ich mit ein wenig Stolz sagen, dass ich in meiner Zeit, als ich Mitglied „Young Artists“ der Metropolitan Opera war, die Rolle vom Anfang bis zum Ende mit keiner Geringeren als Renata Scotto erarbeiten durfte…
Hurra, ich singe an der Wiener Staatsoper!
Ist die Herausforderung, eine Premiere an der Wiener Staatsoper zu singen, die größte, seitdem man Sie vor einem Jahr als Einspringerin in der Met auf die Bühne geschupst hat, um die Sophie zu singen?
Man hatte es mir genau zwei Tage davor gesagt, aber glücklicherweise war ich für die Sophie sehr gut vorbereitet, also ging es auch sehr gut. Aber wenn Sie mich fragen, was für mich bisher am schwierigsten war, dann muss ich sagen: die Konstanze, die ich jetzt in Paris gesungen habe, bevor ich nach Wien kam. Ich bin ja doch ein leichter, lockerer Koloratursopran und will es bleiben, darum möchte ich diese Rolle nicht oft singen. Diese drei Arien, die so schwierig und expressiv sind, dazu die Ensembles und auch der deutsche Dialog – es waren neun Vorstellungen in Paris und das Anspruchsvollste, was ich je gemacht habe.
Frau Morley, Sie sind noch „neu“ genug, dass nicht jeder Opernfreund Ihre Geschichte kennt. Darum das Interesse an Ihrem Werdegang, wobei sich gleich angesichts des Geburtsorts „Salt Lake City“ die logische Frage ergibt: Sind Sie Mormonin?
Ja, das bin ich, ich bin so aufgewachsen und bis auf eine rebellische Periode in meiner Jugend habe ich immer und bis heute daran festgehalten. Mein Mann ist ebenfalls Mormone, meine Tochter wird so erzogen, die Nanny, die immer bei uns ist, gehört den Mormonen an, und wenn wir unterwegs sind, finden wir überall Niederlassungen, wo sich für das Kind und die Nanny ganz schnell freundschaftliche Beziehungen ergeben… Für mich bedeutet die Zugehörigkeit zu dieser Kirche, die ja eine christliche ist, gewisse Regeln einzuhalten: Tatsächlich habe ich noch nie einen Schluck Kaffee getrunken… Aber bevor Sie mich bemitleiden: Ich weiß ja nicht, was ich vermisse! Und solche Verbote sind ohne größere Bedeutung, wichtig ist, dass die Religion sehr stark die Liebe zur Familie beinhaltet und dass auch Musik ein wichtiger Bestandteil ist.
Wie wird aus einem Mädchen aus Salt Lake City ein Koloratursopran für die großen Opernhäuser der Welt?
Die Voraussetzungen waren schon sehr gut. Meine Mutter spielte ausgezeichnet Violine, mein Vater ist Arzt und versteht als Laryngologe etwas von Sänger-Kehlköpfen, außerdem spielt er sehr gut Klavier und hat viele Jahre lang im Mormon Tabernacle Choir gesungen. Ich habe Violine, Orgel und Klavier gelernt und wollte sogar Pianistin werden. Aber ich habe immer gesungen, ich war im Kinderchor, im Chor, und ich hatte eine ältere Schwester, Aimee, die immer mein Vorbild war und der ich alles nachmachte: Und als sie Gesangsunterricht nahm, tat ich es auch. An der Universität, der Eastman School of Music, die in Rochester, New York, liegt und wo ich vier Jahre studierte, entschied sich dann mein Schicksal: Heute weiß ich, dass es ein Glücksfall war, dass ich mir die Hände verletzte, denn so habe ich mich auf das Singen konzentriert. Ich musste nämlich Sängerin werden, das ist einfach in mir, ich liebe es, mich theatralisch auszudrücken und in ein Bühnenschicksal zu werfen…
Da hatten Sie dann ja in der Juilliard School in New York Gelegenheit.
Ja, als ich mich zuerst da beworben hatte, wurde ich nicht genommen, nach den Eastman Jahren hatte ich mehr Glück. Und die Juilliard School ist ja im Lincoln Center, gleich neben der Metropolitan Opera. Und wenn wir unsere Aufführungen hatten, schickte James Levine immer seine Mitarbeiter – und diese luden dann die jungen Sänger, die sie geeignet fanden, an die Met ein, um dort vorzusingen. Und so kam ich in das Metropolitan Opera Lindemann Young Artist Development Program, das etwas ganz Wunderbares ist. Man lernt ungeheuer viel, James Levine selbst studiert manchmal mit den jungen Leuten Rollen ein, man darf überall zusehen und von den Größten der Welt lernen, was für mich immer besonders wichtig war, und man darf auch in kleinen Rollen auf der Bühne der Met stehen. Es ist einfach die optimale Vorbereitung auf den Beruf. Wenn ich zum Beispiel daran denke, wie ich meine Koloratur-Vorbilder Natalie Dessay und Diana Damrau bewundert habe, wenn sie auf der Bühne standen – und sie schenkten mir auch Karten in der ersten Reihe, damit ich sie gut sehen konnte, und Dianas Zerbinetta war atemberaubend, beide waren großartig als Lucia -, dann sind das wunderbare Erinnerungen.
Aber seit ein paar Jahren läuft Ihre Karriere abseits von den kleinen Met-Rollen international auf größerer Ebene?
Ich habe oft in Santa Fe gesungen, sehr gerne, darunter die Königin der Nacht, die ich eigentlich nicht mehr singen möchte, weil die dramatische Attacke, die sie braucht, für mich nicht richtig ist. Ich habe die Zerbinetta an einem kleinen Sommertheater in Virginia ausprobiert, aber seit man mich nach Valencia geholt hat und seit dem Einspringen als Sophie an der Met, das doch einige Resonanz hatte, vermittelt mich mein Agent tatsächlich weltweit. Heuer war mein „crazy year“, es begann in Lille mit der Sandrina in „La finta Giardiniera“, denn kam die Gilda in München, dann der „Schauspieldirektor“ und „La Rossignol“ in Santa Fe, dann die Konstanze in Paris, jetzt bin ich für die Gilda in Wien. Dann gehe ich an die Met zurück, singe die Olympia in „Hoffmanns Erzählungen“ – da können Sie mich dann auch im Kino bei der Übertragung sehen -, in Palm Beach probiere ich meine erste Marie in der „Regimentstochter“ aus und im April, darauf freue ich mich besonders, komme ich für die Sophie an die Wiener Staatsoper zurück. Mit Elina Garanca und Martina Serafin, die schon meine Marschallin war, als ich in New York einsprang…
Wie wollen Sie mit künftigen Rollen verfahren?
Es ist sehr wichtig, dass man die richtigen Ratgeber hat. Aber da ist meine Lehrerin Edith Bers, die seit Juillard Tagen mit mir arbeitet – übrigens auch mit meiner Freundin Isabel Leonard, die so viel Erfolg an der Met hat und mit der ich im „Dialog der Karmeliterinnen“ gemeinsam auf der Bühne stand! – , und da ist mein Agent Michael Benchetrit von Columbia Artists, und es ist so wichtig, dass ein Agent einen Künstler nicht puscht, sondern aufbaut und Verständnis hat, auch für die familiären Notwendigkeiten. Ich liebe Michael geradezu, wie er alles für mich richtig macht. Was die Rollen betrifft, will ich ein leichter Koloratursopran bleiben, das heißt, ich werde gerne die Zerbinetta an einer größeren Bühne singen, das ist auch schon vereinbart, und ich denke, dass Donizetti gut für meine Stimme ist, da peile ich nach der Marie – ich weiß nicht, wie oft ich Natalie Dessay in dieser Rolle bewundert habe! – die Adina und Norina an, in zwei Jahren werde ich auch die Lucia machen, auch das ist schon fix. Man muss ganz vorsichtig sein, wie man seine Rollen wählt. Und da heute die Opernhäuser Sänger viele Jahre voraus verpflichten, muss man sich natürlich auch fragen: Wo werde ich in fünf Jahren mit meiner Stimme und meiner Entwicklung sein, was kann ich dann singen?
Frau Morley, Sie sind mit Mann und Tochter nach Wien gekommen. Das heißt, Sie haben das Thema „Familie“ nicht unter dem Motto„Erst kommt die Karriere“ verschoben, bis es am Ende zu spät ist, sondern haben es gleich angepackt – ungeachtet der Schwierigkeiten?
Ja. Ich wusste, ich wollte eine Mutter und ich wollte eine Sängerin sein, nicht eines von beiden, sondern beides, so schwierig es ist. Ich bin mit John verheiratet, seit ich 22 bin, ich habe ohnedies bis 30 gewartet, bis ich ein Kind bekommen habe, weil ich mich auf innerlich reif fühlen wollte, eine Mutter zu sein. Heute weiß ich, was Maria für mein Leben, meine Erfahrung, meine Entwicklung bedeutet. Ich habe natürlich besonderes Glück, dass John zwar Professor an der juridischen Fakultät in Yale ist, aber dass man tolerant genug ist, ihn auch monatelang frei zu geben, damit er mit mir und Maria durch die Welt reisen kann, weil das Leben ohne Familie für einen Künstler einfach schwer ist. Das schadet dann auch der Kunst. Wenn ich wieder mehr in Amerika arbeite, dann leben wir ganz „normal“ in New Haven, das ist zwei Stunden Bahnfahrt von New York entfernt und zehn Minuten zu Fuß zur Universität – und dann bin ich dort ganz einfach die Frau des Professors … Bis ich wieder auf Reisen gehe, um etwa in Wien zu singen.
Renate Wagner zeigt Erin Morley Gustav Mahlers Klavier, das die Sängerin tief beeindruckt
Fotos: Barbara Zeininger