OPERNFREUND-Interview mit dem Intendanten der Oper Frankfurt Bernd Loebe
Teil 3: „Wenn man nur den Boß spielt, hat man keine Chance“
Von der Arbeit eines Intendanten: Die Kunst und das liebe Geld
Die Oper wird als Teil der Städtischen Bühnen in der Rechtsform einer GmbH geführt. Bernd Loebe ist zugleich einer ihrer Geschäftsführer. So ist er auch unmittelbar für den wirtschaftlichen Erfolg verantwortlich. Loebe verkörpert dabei den Typus des milden Alleinherrschers. Selbst den Generalmusikdirektor durfte er sich, vertraglich garantiert, seinerzeit alleine aussuchen – ohne Einschaltung einer Findungskommission. Immer wieder betont er aber, daß er seine Tätigkeit primär als künstlerische Arbeit versteht.
OF: Stellen Sie einen Spielplan mit der Bestimmung von Produktionsteams und der Sängerbesetzung alleine auf oder hat daran die Dramaturgie des Hauses ihren Anteil?
Loebe: Den Spielplan verantworte ich alleine. Die Vorbereitung der festgelegten Projekte begleitet dann der zuständige Dramaturg. Wir verfügen hier über hervorragende Dramaturgen, die den Produktionsprozeß dann über viele Wochen intensiv betreuen.
OF: Gleichwohl: Bei Ihrem Vorgänger Michael Gielen sprach man immer von der „Ära Gielen-Zehelein“, um den bestimmenden Einflug des Chefdramaturgen zu kennzeichnen. Die „Ära Loebe“ kommt ohne Bindestrich aus.
Loebe: Es ist so. Ich möchte damit aber nicht kokettieren. Ich habe festgestellt, daß es oft so aussieht: Der Intendant hat zwei Ideen für den Spielplan, der Dramaturg hat zwei Ideen, der Operndirektor hat auch noch zwei Ideen, und der GMD hat vielleicht noch einen zusätzlichen Wunsch. Aus einem solchen Mosaik entsteht aber selten ein überzeugender Spielplan. Nach meiner Überzeugung ist es besser, wenn die Spielplangestaltung in einer Hand liegt. Ich bin sicher nicht beratungsresistent und lasse mich immer wieder auch von Projekten überzeugen. Es geht aber nicht bloß darum, wie der Spielplan aussieht, man muß auch eine Nase dafür haben, welcher Regisseur zu welcher Oper passen könnte. Ich möchte unbescheiden sagen, daß wir mit meiner Nase bislang ganz gut gefahren sind. Es gibt den Regisseur, den man überreden muß, und es gibt den Regisseur, den man nicht überreden darf.
OF: Nehmen Sie auf den Produktionsprozeß selbst Einfluß?
Loebe: Im Hinblick auf das Bühnenbild gibt es die Modellpräsentation. Es gibt die Bauprobe. Da sage ich jeweils meine Meinung. Da kann man auch Dinge noch korrigieren oder in eine andere Richtung lenken. Aber man muß sensibel vorgehen. Manche Regisseure haben große Angst vor Einflußnahme und wittern immer gleich Zensur. Man muß eben mit Argumenten kommen. Wenn man nur den Boß spielt und mit dem Anspruch antritt, daß der Wille des Intendanten widerspruchslos umgesetzt wird, dann hat man kaum eine Chance. Während der sechswöchigen Probenarbeit kann ich zudem nicht jeden Tag auf der Bühne sein. Die Zeit habe ich gar nicht. Aber mich informieren die Dramaturgen über den Verlauf der Proben. Trotzdem gibt es manchmal Überraschungen, gerade im Hinblick auf den Publikumszuspruch. Wir haben Produktionen erlebt, von denen wir weniger überzeugt waren, die beim Publikum stark eingeschlagen sind, und umgekehrt Produktionen, die wir für herausragend halten, die aber nicht ausreichend angenommen werden. Bei der jüngsten Neuproduktion von „Jeanne d’Arc“ wünsche ich mir etwa, daß der Kartenverkauf noch anzieht. Die Kritiken waren gut, aber der Publikumszuspruch könnte sich gerne noch steigern.
OF: So etwas ist aber doch sicher finanziell eingepreist, daß ein selten gespieltes Werk sich schlechter verkauft? Sonst hätten Sie wohl auch kürzlich den Krenek-Abend nicht gemacht.
Loebe: Wir hatten in den vergangenen 15 Jahren nicht eine einzige Spielzeit, bei der wir nicht die prognostizierten Einnahmen erreicht haben. In der Regel haben wir sogar mehr eingenommen. Das Dumme bei der Betriebsform der GmbH ist aber, daß wir die Mehreinnahmen nicht auf das nächste Jahr übertragen können. Wir können keine eigenen Reserven anlegen. Das ist schade, denn natürlich würde man gerne mit dem Ertrag aus guter Arbeit bei der einen oder anderen Besetzung noch etwas zulegen oder beim Bühnenbild und den Kostümen draufsatteln. Diese Freiheit haben wir leider nicht. Wir beginnen bei jeder Spielzeit finanziell von vorne.
OF: Womöglich ist es ein geschickter Einsatz der Mittel, aber ich hatte in den letzten Spielzeiten nicht den Eindruck, daß es etwa bei den Bühnenbildern durch Sparen erzwungene Kompromisse gab. Die Zeiten jedenfalls, da in Frankfurt ein „Parsifal“ nur konzertant gegeben werden konnte, weil man das Geld für das Bühnenbild nicht hatte, sind vorbei.
Loebe: Man muß beachten, daß wir damals auch nur eine Auslastung von um die 70 Prozent hatten. In den letzten Jahren lagen wir immer über 80 Prozent. Das macht finanziell natürlich etwas aus. Wir haben für diese Spielzeit mit einer Auslastung von 83 Prozent geplant. Am Ende werden wir wohl bei 85 bis 86 Prozent liegen. Dadurch werden wir wieder ein Plus erarbeitet haben. Außerdem verschaffen wir uns Spielräume durch Verleihungen und Verkäufe von Produktionen. Die „Arabella“ etwa haben wir nach Madrid verkauft. Damit können wir Mehrausgaben an anderer Stelle auffangen.
OF: Schade um diese Produktion!
Loebe: Na ja, wir haben sie jetzt vier Mal gespielt, zuletzt mit einer Auslastung zwischen 60 und 70 Prozent. Irgendwann ist auch einmal Schluß. Aber wir können die Produktion jederzeit aus Madrid zurückholen. Außerdem haben wir genug Strauss-Opern im Repertoire. Wir werden die „Frau ohne Schatten“ wieder aufnehmen …
OF: -… die Sie schon zwei Mal abgesetzt haben.
Loebe: (lacht). Ja, und jedes Mal waren die letzten Vorstellungen ausverkauft. Vielleicht sollten wir immer ankündigen, daß wir Produktionen nun zum letzten Mal spielen, dann kommen die Leute auf einmal.
Zurück zur Finanzierung: Der technische Direktor und ich legen für jede Produktion einen Finanzrahmen fest. So können wir den Bühnenbildnern immer genau sagen, was geht und was nicht geht. Wenn uns ein Entwurf besonders überzeugt, der aber den Rahmen sprengt, dann müssen wir das eben bei anderen Produktionen einsparen.
Es gibt aber noch andere Gründe für Beschränkungen beim Bühnenbild: Wir müssen immer beachten, was im Zusammenspiel mit den Wiederaufnahmen um eine Neuproduktion herum technisch geht. Unsere zwei Drehbühnen verführen natürlich zu komplizierten Bühnenaufbauten, die aber dann den schnellen Wechsel mit anderen Produktionen nicht zulassen. Auch dadurch müssen wir mitunter den Bühnenbildnern Grenzen setzen.
OF: Sie haben jetzt auch die Zahl der Co-Produktionen und Übernahmen erhöht.
Loebe: Das liegt an den Vorgaben der Stadt Frankfurt. Der Aufsichtsrat hat mir auferlegt, nur noch sechs eigene Produktionen pro Spielzeit am Großen Haus zu machen. Damit war die Absicht verbunden, in den Werkstätten Personal einzusparen. Das haben wir in der vergangenen Saison zum ersten Mal umgesetzt. Neben sechs Eigenproduktionen gab es zwei Übernahmen. Das soll eine Ausnahme bleiben. Ich versuche stattdessen, pro Saison die Finanzierung für eine weitere Neuproduktion zu erwirtschaften. Dann werden wir künftig wieder sieben echte Neuproduktionen plus eine Übernahme haben. Allerdings werde ich dann die Kulissen für die siebte Produktion woanders bauen lassen – was eine Verdreifachung der Kosten an dieser Stelle bedeutet. Das geht natürlich nur, wenn die Auslastung auf dem gegenwärtig hohen Niveau bleibt. Durch unseren Erfolg erarbeiten wir uns hier einen Spielraum. Ich finde es aber schade, daß ausgerechnet in einer Zeit, in der wir so erfolgreich sind, in der das Publikum in unsere Aufführungen strömt, der Aufsichtsrat uns einen solchen Sparzwang auferlegt. Deswegen fühle ich mich herausgefordert, eine siebte Produktion anders zu finanzieren. Für die laufende Spielzeit ist uns das bereits gelungen: Die Kulissen für den „Onegin“ haben wir auswärts bauen lassen.
Bei den Übernahmen ist es so, daß es sich um Produktionen handelt, die ich mir bereits angesehen habe und die in der Regel von Regisseuren stammen, die ohnehin hier arbeiten. Ich versuche, möglichst nicht die Katze im Sack zu kaufen.
OF: Diesen Wanderzirkus, den man an den großen Häusern oft sieht, wo Produktionen von vorneherein gleichzeitig für die Bedürfnisse von New York, München, Paris etc. entworfen werden, machen Sie nicht mit?
Loebe: Nein. Davon halte ich nichts. Wir müssen unser eigenes Profil schärfen. Das Etikett „typical Oper Frankfurt“ hat uns schon oft geholfen.
Lesen Sie im abschließenden vierten Teil, wie Bernd Loebe über die Sanierung der Theateranlage denkt und was das mit seiner weiteren Zukunft als Frankfurter Intendant zu tun hat.
Einen Überblick über das gesamte Interview mit Verweisen auf die übrigen Teile gibt es hier.