OPERNFREUND-Interview mit dem Intendanten der Oper Frankfurt Bernd Loebe
Teil 2: „Die wissen, ich bin ein Sturkopf“
Über das Ensemble, die Sänger und die Dirigenten
Im ersten Teil hat der Intendant der Oper Frankfurt Bernd Loebe unserem Redakteur Michael Demel einen kleinen Einblick in seine künftige Programmplanung gewährt. Im heutigen zweiten Teil macht er deutlich, welchen Stellenwert für seine Arbeit eine langfristig angelegte Personalplanung hat und verrät, welche aufstrebenden Jungstars der internationalen Dirigentenszene künftig in Frankfurt zu erleben sein werden.
Loebe: Ich muß auch immer im Blick haben, welche Stücke mit unserem Ensemble realisiert werden können. Viele unserer Sängerinnen und Sänger könnten ohne weiteres auch gut freiberuflich arbeiten und dabei wesentlich höhere Gagen erzielen. Ich kann sie nur halten, wenn ich ihnen interessante Aufgaben biete. Das Ensemble ist insgesamt auf einem so hohen Niveau, daß uns unentwegt Sänger für Gastauftritte abgeworben werden. Das führt zu schwierigen Balanceakten: Welche Urlaube von den Ensemblepflichten gewährt man, wann muß man „nein“ sagen, wie kann man gleichzeitig prickelnde eigene Rollenangebote machen. Es ist nicht einfach, das auszutarieren. Da gibt es immer wieder einmal traurige Gesichter. Wir haben 41 Mitglieder im Ensemble und sieben bis acht Sängerinnen und Sänger im Opernstudio, die auch überwiegend auf Ensemble-Niveau singen. Da kann man nicht jederzeit jeden gleichmäßig zufriedenstellen. Es gibt für einzelne immer Spielzeiten mit Durchhängern und Spielzeiten mit überproportionaler Beschäftigung in tollen Rollen. Das hinzubekommen in einer Zeit, wo die Sänger mit dem Flugzeug jedes Opernhaus der Welt problemlos erreichen können, insbesondere da, wo man deutlich höhere Gagen als in Frankfurt erzielen kann, ist eine große Herausforderung.
Ich bekomme ja immer wieder Briefe mit dem Inhalt, „Warum singt Herr Kränzle nicht?“ oder „Warum wird dieser oder jener Sänger nicht öfter eingesetzt?“. Es ist nicht so, daß wir keine entsprechenden Angebote machen. Aber ich verstehe es auch gut, wenn ein Sänger wie Kränzle die Chancen nutzt, die sich ihm auf den großen Bühnen der Welt bieten. Das gönnen wir unseren ehemaligen Ensemblemitgliedern auch aus vollem Herzen, wenn sie von Frankfurt aus eine große internationale Karriere starten.
OF: Hat das Ensemble also aktuell den Zustand, den Sie angestrebt haben?
Loebe: Ich denke schon. Wir wissen ja jetzt schon, was wir in den nächsten Jahren machen. Ich nehme immer früh die Witterung auf, wenn ich merke, daß ein Ensemblemitglied auf dem Absprung ist, um rechtzeitig für adäquaten Ersatz zu sorgen. Wir haben quasi immer junge Talente auf Halde. Man könnte die Zusammensetzung des Ensembles womöglich in wenigen Details, in einzelnen Mosaiksteinchen immer weiter optimieren. Aber viel mehr ist kaum noch zu machen. Drei Viertel unseres Ensembles könnte wie gesagt auch freiberuflich gut bestehen und besser verdienen. Da sind tatsächlich freundschaftliche Verhältnisse entstanden, die uns befähigen, beispielsweise so großartige Sängerinnen wie Claudia Mahnke oder Tanja Ariane Baumgartner langfristig hier zu halten. Die fühlen sich in dieser Stadt, in diesem Haus und unter dieser Leitung offensichtlich wohl und künstlerisch verstanden. Und so bekommen wir den beschriebenen Spagat doch immer irgendwie hin.
OF: Sie haben die „Stars“ im Ensemble angesprochen. Führt das nicht zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft: Diejenigen, die keine andere Wahl haben, nehmen müssen, was sie vorgesetzt bekommen und überwiegend nur in Nebenrollen eingesetzt werden, und die anderen, denen man die Filetstücke anbietet, damit sie nicht weggelockt werden, für die auch Produktionen eigens angesetzt werden, damit sie sich in einer bestimmten Rolle präsentieren können?
Loebe: Das ist doch ganz normal. Das ist auch in jeder Fußballmannschaft so, daß man die Aufgaben verteilt. Die überwiegende Mehrheit des Ensembles versteht das auch. Sie versteht auch, warum wir ab und zu einmal Gäste holen. Aber es gibt tatsächlich einen – marginalen – Prozentsatz von Sängern, die unzufrieden sind. Da gibt es Gespräche über Besetzungen, die auch einmal ein bißchen weh tun. Am Ende muß ein Sänger akzeptieren, daß Besetzungen letztlich die subjektive künstlerische Entscheidung des Intendanten sind. Wir reden hier in Frankfurt ja gerne davon, daß wir am Haus eine große Familie sind und alles so wunderbar ist. Darin aber zeigt sich auch der Familienzusammenhalt, daß man bereit ist, solche Entscheidungen zu akzeptieren.
OF: Wie stark ist der Einfluß von Agenturen? Sie holen ja die Stars von morgen von den Hochschulen und speziell auch aus den Talentschmieden in den USA. Sie entdecken viele Talente und versuchen sie aufzubauen. Sind da immer gleich Agenturen im Hintergrund, die sagen: zwei, drei Spielzeiten machen wir zu Ensemblebedingungen, dafür müssen aber bestimmte Partien einstudiert werden?
Loebe: Vielleicht ist das woanders so. Das Problem stellt sich bei uns jedenfalls nicht. Bei den Agenturen hat sich herumgesprochen, daß der Loebe sowieso das macht, was er will. Die wissen, ich bin da ein Sturkopf. Gleichzeitig vertrauen sie aber auch darauf, daß ich so professionell bin, die richtigen Entscheidungen für die Entwicklung eines jungen Talents zu treffen. Wir bekommen viele Anfragen von Agenturen, uns den ein oder anderen Sänger doch einmal anzuhören. Aber der Einfluß der Agenturen auf das Repertoire ist in diesem Haus unbedeutend.
Es stimmt, daß wir in den letzten Jahren viele neue Sänger aus Amerika rekrutiert haben. Das liegt aber auch an der gestiegenen Qualität der Ausbildung dort. Jahrelang galt als „typical american“: smart, weiße Zähne, aber oberflächlich. Das hat sich unter anderem durch europäische Gesangslehrer und Ausbilder, die vermehrt in Amerika arbeiten, geändert. Es ist nun einmal so: Wenn ich nach Italien zu Vorsingen fahre, dann finde ich oft niemanden, wenn ich an die Juilliard School in New York fahre, könnte ich von zehn Aspiranten neun mitnehmen. Allerding holt global gesehen gerade Asien stark auf. Es fällt auf, daß etwa junge südkoreanische Sänger nicht mehr durch übermäßiges Forcieren in Erscheinung treten, sondern ein starkes Differenzierungsvermögen mitbringen und inzwischen auch gut spielen können. Das beste Beispiel aus unserem Ensemble ist Kihwan Sim. An ihm kann man sehr gut die Entwicklung eines großen Talents sehen. Er hat bei uns im Opernstudio begonnen, ist dann ins Ensemble übernommen worden und hat die Chancen genutzt, die die Zusammenarbeit mit interessanten Regisseuren geboten hat.
OF: Sie entdecken ja nicht nur junge Sänger, sondern auch junge Dirigenten. Ein Vorsingen gibt es da nicht. Reagieren Sie auf Empfehlungen?
Loebe: Nehmen Sie einen Dirigenten wie Antonello Manacorda. Ich hatte ihn in verschiedenen Produktionen erlebt und einen persönliche Kontakt aufgebaut, noch bevor er nun durch Schallplattenaufnahmen stärker bekannt wurde. Wir haben aber nach den richtigen Projekten gesucht. In der kommenden Spielzeit wird er „L’Africaine“ von Meyerbeer machen, er wird auch in der Spielzeit 2019/20 wieder dabei sein. Auf ihn wird momentan international regelrecht Jagd gemacht. Ob wir ihn langfristig jedes Jahr für eine Produktion gewinnen können, läßt sich daher noch nicht sagen. Der Kontakt mit Joana Mallwitz, um ein weiteres Beispiel zu nennen, kam dadurch zustande, daß sie immer wieder zu Besuch am Haus war, weil sie die Ehefrau unseres ehemaligen Ensemblemitglieds Simon Bode ist. Dann habe ich sie zum ersten Mal in Kopenhagen dirigieren gehört und war sehr angetan. Wir haben mit ihr eine Planung für gleich vier Projekte gemacht. Ähnlich ist es mit Lorenzo Viotti, der in der nächsten Spielzeit die Wiederaufnahme des „Werther“ leiten wird. Von seinem Talent bin ich so überzeugt, daß ich schon weitere Pläne mit ihm gemacht habe, ohne abzuwarten, wie das Orchester auf ihn reagiert. Das ist aber eine Ausnahme. Üblicher Weise warte ich ab, ob die Chemie zwischen Dirigent und Orchester stimmt, bevor ich weitere Engagements vereinbare.
OF: Bleibt Constantinos Carydis dem Haus erhalten?
Loebe: Ja. Er hat ja leider das Dirigat von Janaceks „Totenhaus“ in der nächsten Saison zurückgegeben, weil er gemerkt hat, daß er mit der tschechischen Sprache noch nicht zurechtkommt. Er hat den Grundsatz, daß er nur Opern dirigiert, wenn er die Sprache auch versteht. Ich hatte ihn zum „Totenhaus“ überredet. Nun hat er feststellen müssen, daß er seinem eigenen künstlerischen Anspruch im Hinblick auf die genaue musikalische Ausdeutung des Textes nicht gerecht werden kann. Ich bedauere das natürlich. Aber ich kann ihm das persönlich nicht vorwerfen. Er ist ein sehr skrupulöser Künstler. Gerade seine Sensibilität ist ja seine große Stärke. Wenn er sich auf ein Projekt einläßt, dann verausgabt er sich körperlich und mental. Er ist für mich dadurch einer der ganz Großen. Dabei gibt es bei ihm immer wieder Selbstzweifel. Er ist selbst gar nicht davon überzeugt, daß er ein guter Dirigent ist. Er geht mit einem großen Respekt vor dem Werk ans Pult, und wenn er dann einmal angefangen hat, reißt er alle mit. Unser Orchester liebt ihn. Ich glaube auch, daß er sich in diesem Hause wohl fühlt. Er wird daher 2018 für eine Wiederaufnahme am Haus sein und 2019 eine Neuproduktion leiten. Er hat ja lange außer in Frankfurt nur noch in München Oper gemacht. Jetzt dirigiert er auch in Glyndebourne und bei den Salzburger Festspielen. Ich habe ihm ausdrücklich dazu geraten.
OF: Die Idee eines „ersten Gastdirigenten“, die hier mit Bertrand de Billy vor einigen Jahren sehr pressewirksam aus der Taufe gehoben worden ist, haben Sie still und heimlich beerdigt. Warum funktioniert das nicht?
Loebe: Konkret im Fall Bertrand de Billy gab es Erwartungen von ihm im Hinblick auf die Probenanzahl für die „Trojaner“, die wir so nicht realisieren konnten. Darüber sind wir dann auseinandergegangen. Ich glaube inzwischen, daß die förmliche Benennung eines „ersten Gastdirigenten“ nicht sinnvoll ist. Wir haben inzwischen ein Netzwerk von Gastdirigenten, die mit großer Regelmäßigkeit hierherkommen. Über einige Namen haben wir schon gesprochen. Jakub Hrusa kann man noch nennen, ein Dirigent, um den sich alle reißen. Die Angebote für ihn überschlagen sich derzeit, und wir hoffen sehr, daß unsere Vorplanungen mit ihm für die kommenden Spielzeiten auch tatsächlich in feste Verträge münden. Er kam für die Wiederaufnahme des „Trittico“ in der vergangenen Spielzeit zu uns, nachdem er unmittelbar zuvor eines der weltweit ganz oben angesiedelten Orchester dirigiert hatte. Er sagte dann zu mir, bei uns habe es ihm größeren Spaß gemacht, weil die Musiker in jeder Vorstellung gleichsam auf der vorderen Stuhlkante gesessen haben.
Es gibt eine große Bereitschaft des Orchesters, sich auf unterschiedliche Stilrichtungen und Dirigentenpersönlichkeiten einzulassen. Das ist neben der kontinuierlichen Arbeit unseres Generalmusikdirektors Sebastian Weigle auch der zweite Grund, warum unser Orchester so gut geworden ist. Der Wechsel tut anscheinend gut. Man muß sich immer wieder auf neue Anforderungen einstellen. Gerade das macht dem Orchester auch Spaß. Unsere Musiker wollen nicht Dirigenten haben, die alle gleich sind und die von der ersten bis zur zehnten Vorstellung alles in einem Trott durchdirigieren. Im Gegenteil: Das Orchester will an jedem Abend im Graben herausgefordert werden. Das erleichtert mir die Arbeit sehr, weil ich weiß, daß unsere Musiker ungemein arbeitswütig und für die Herausforderungen dankbar sind. Vor meiner Intendanz gab es den GMD, zwei Kapellmeister, einen Gast für Barock und einen Gast für Zeitgenössisches. Das war’s. Jetzt haben wir auf das Jahr gesehen rund 15 Gastdirigenten.
OF: Solche langfristigen Bindungen bergen ja auch Risiken.
Loebe: Es kommt schon vor, daß wir uns verschätzen, daß sich ein Künstler, ob Dirigent oder Sänger, nicht so entwickelt, wie man es vor zwei, drei Jahren bei den Planungen gehofft hatte. Aber wir sind vertragstreu. Ich halte mein Wort, egal, ob ich es bei einem zufälligen Treffen auf dem Gang gegeben habe oder ob es schriftlich fixiert ist. Das ist sicher eine unserer Qualitäten. Vereinbarungen werden von mir in der Regel nicht einseitig rückgängig gemacht. Vieles kann man mit dem betreffenden Künstler freundschaftlich besprechen. Das kann auch heißen, daß man eine Sache durchziehen muß. Unser großes Pfund ist Verläßlichkeit, die für Vertrauen sorgt.
OF: Bekommen Sie bei den Stars, die aus dem Ensemble herausgewachsen sind, Sonderkonditionen, wenn sie als Gäste zurückkehren?
Loebe: Es ist bekannt, daß wir nicht die international üblichen Gagen der großen Häuser zahlen können. Ehemalige Ensemblemitglieder ebenso wie andere Gäste akzeptieren das, weil sie besondere Probenbedingungen am Haus geboten bekommen. Brenda Rae zum Beispiel hat mir kürzlich versichert, sie sei so dankbar für das, was sie hier in Frankfurt erfahren hat, daß bei den bereits vereinbarten Engagements nach ihrem Ausscheiden aus dem Ensemble die Gagenhöhe kein Problem darstellt.
Erfahren Sie im dritten Teil, wie ein Opernmanager versucht, künstlerisches Profil und ökonomischen Erfolg unter einen Hut zu bringen, und warum ein Opernhaus einen Alleinherrscher benötigt.
Einen Überblick über das gesamte Interview mit Verweisen auf die übrigen Teile gibt es hier.