Jakub Hrůša
Im Rahmen ihres Deutschland-Gastspiels gastierte die Tschechische Philharmonie unter Leitung ihres ersten Gast-Dirigenten, Jakub Hrůša, in der Alten Oper Frankfurt. Unser Redakteur, Dirk Schauß, erhielt die Gelegenheit, mit einem der spannensten Dirigenten der jüngeren Generation zu sprechen. Im Mittelpunkt des Gespräches standen Ausführungen zum Konzertprogramm und auch viele persönliche Gedanken zur eigenen Biographie.
DS:
Herr Hrůša, heute Abend präsentieren Sie in der Alten Oper ein Programm mit drei Werken aus Tschechien.
Dvořáks Cellokonzert, Suks Scherzo Fantastique und Janáčeks Taras Bulba.
Wie kam es zu dieser Auswahl?
JH:
Unsere Solistin Sol Gabetta kenne ich gut. Kürzlich spielten wir die Cellokonzerte von Saint-Saëns, Martinů und Elgar mit ihr. Ich mag sie sehr. Wir dachten, dass wir mit der Tschechischen Philharmonie gerade den Dvořák machen sollten, zumal er von den Cellisten so gerne gespielt wird.
Ich selbst dirigiere das Konzert bewusst selten. Es ist ein Meisterwerk und der Zauber ist für mich dann besonders groß, wenn es nicht zu oft gespielt wird. Mit so einem Orchester wie der Tschechischen Philharmonie ist dann eine solche Zusammenarbeit eine große Feier.
Dann wollten wir etwas anbieten, was für uns Tschechen geläufig ist, aber für das Publikum vielleicht eine Entdeckung sein könnte. Bei uns wird beispielsweise Taras Bulba oft gespielt.
Ich selbst habe das Werk mindestens 50 – 60 Mal dirigiert. Ich habe eine enge Beziehung dazu und das begann bereits in meiner Jugend. Mit der Tschechischen Philharmonie habe ich es noch nicht oft gemacht.
Ich liebe dieses Stück sehr. Gerade dieses Stück zeigt die Qualitäten des Orchesters. Am Ende kommt diese herrliche Apotheose und das passt sehr gut ans Konzertende.
Josef Suk ist leider nicht so bekannt wie Janáček. Beide Komponisten kannten und schätzten sich sehr, obwohl sie sehr unterschiedlich komponierten.
Ich dachte mir, dass ein kürzeres farbiges Werk, wie Suks Scherzo Fantastique, ein guter Kontrast zu Taras Bulba ist.
Es ist eines von Suks Jugendstücken, sehr entspannt, lustvoll und inspirierend. Dabei wollte Suk in späteren Lebensjahren lieber gar nicht mehr an diese Komposition denken. Für ihn war es schwer, zu akzeptieren, dass sein Scherzo viel öfter gespielt wurde als seine anderen Werke. Er nannte es „ein kleines geistloses Nichts“.
Für Suk und Janáček war Dvořák der beste Komponist. Für Suk war er ja der Schwiegervater und für Janáček war Dvořák Freund und Vorbild zugleich. Dvořák ein großer einflussgebender Mensch für Janáček.
Somit haben wir das Konzert mit Dvořák und zwei seiner Nachfolger. Jedes Stück ist anders und steht ganz für sich selbst.
Für mich ist es das erste Mal, diese Stücke in Kombination miteinander aufzuführen. Ich bin überzeugt, dass es gut funktionieren wird.
DS:
Wird die Musik von Josef Suk in Ihrem Heimatland häufiger als bei uns aufgeführt?
Ist sie bei Ihnen populärer?
JH:
Suk ist nicht so populär wie Dvořák. Aber das Publikum kennt ihn, z.B. seine Asrael-Symphonie oder seine Streicher Serenade wird öfters gespielt. Seine Qualität wird deutlich wahrgenommen und geschätzt.
Er sollte mehr gespielt werden. Zu oft werden die gleichen Standardwerke des Repertoires gespielt.
Für mich sind Dvořák, Suk und Janáček in meinem Leben sehr wichtig. Hinzu kommen noch Smetana und Martinů. Ich führe viele Werke dieser Meister auf.
Ich freue mich daher sehr, dass auch andere Dirigenten Werke von Suk aufführen, wie z.B. Kirill Petrenko, Vladimir Jurowski oder Simon Rattle.
Es ist spürbar, wie gut die Qualität von Suks Musik ist. Die Nähe zu Mahler oder auch Richard Strauss ist erkennbar. Auch Suks Beschäftigung mit dem Tod verbindet ihn mit Mahler.
Bei Janáček ist es anders, da dieser vor allem als Opernkomponist bekannt ist.
Suk hat keine Oper geschrieben. Janáčeks symphonische Werke wirken stellenweise wie kurze Opern. Taras Bulba ist sehr programmatisch und dabei illustrativ in der Bildsprache.
Janáčeks Musik klingt im Vergleich zu Suk wie die Musik eines jungen Mannes, dabei war Janáček 20 Jahre älter als Suk.
DS:
Janáčeks Taras Bulba spielt in Ihrem Leben eine besondere Rolle. Und auch Josef Suk, dessen Asrael-Symphonie Sie am Ende Ihres Studiums erstmals dirigierten.
Ihr Mentor und Lehrer, Dirigent Jiří Bělohlávek, war ein großer Kämpfer für Josef Suks Musik und eben auch Chef der Tschechischen Philharmonie.
Wie fühlen Sie sich, wenn Sie jetzt, wenige Jahre nach seinem Tod, sein Orchester dirigieren?
JH:
Oh, ich könnte den ganzen Abend darüber sprechen ....
Für mich war er derjenige, von dem ich am meisten gelernt habe. Er hat mich wunderbar unterstützt. Nach seinem Tod erfahre ich in aller Welt, wie freundlich er über mich gesprochen hat.
Es sind gemischte Gefühle. Zu Bělohláveks Lebzeiten wurden er und ich oft verglichen, aber das ist jetzt vorbei. Die Tschechische Philharmonie hat mich voll akzeptiert.
Natürlich bemerke ich, dass manchmal die Musiker doch die Ähnlichkeiten zwischen meinem Lehrer und mir bemerken. Von Anfang an hat es zwischen ihm und mir gut gepasst. Die Gestik, die musikalischen Vorstellungen stimmten überein. Ich musste mich niemals zwingen, von ihm zu lernen, es war immer selbstverständlich.
Vor ihm habe ich privat und an der Hochschule Dirigieren studiert. Bělohlávek war die erste prägende Persönlichkeit für mich. Ich bin sehr dankbar und froh, dass daraus eine Freundschaft wurde. Wir blieben immer mit Briefen und Emails in Kontakt. Auch trafen wir uns gelegentlich mit unseren Familien.
Natürlich habe ich viel mit ihm über Janáček gesprochen. Ich stamme aus Brünn und habe gerade dort viel über diesen Komponisten gelernt. Hier ist Janáček die zentrale künstlerische Gestalt der Stadt. Es gibt das Janáček-Theater, das Janáček-Festival, das Janáček-Museum, seine große Statue.
In Bezug auf Josef Suk habe ich auch von anderen Dirigenten, wie Talich, Neumann, Kubelík und Libor Pešek gelernt. Ich habe viele Aufnahmen gehört und Suks Kompositionen immer wieder in Konzerten gehört. Im Studium haben wir oft über Josef Suk gesprochen. Und seine Asrael-Symphonie habe ich am Ende meines Studiums dirigiert.
DS:
Hr. Hrůša, ich staune über Ihr Arbeitspensum.
Sie sind Chef in Bamberg und jeweils erster Gast-Dirigent der Tschechischen Philharmonie und des Philharmonia Orchestras.
Wie schaffen Sie das?
JH:
Das ist nur der Anfang (lacht herzlich) … Ich bin aber kein Workaholic.
Von der Musik oder dem Dirigieren bin ich nicht abhängig. Aber ich liebe diese Arbeit, sich immer wieder mit den Partituren zu beschäftigen. Ich benötige kein zusätzliches Entertainment, da mir die Musik schon sehr viel gibt. Eine ganz wichtige Seite in meinem Leben, ist meine Familie, die mir sehr viel gibt. Ich habe die wunderbarste Familie, die ich mir vorstellen kann. Meine Frau ist ein ganz besonderer Schatz und die Kinder sind toll. Wir lieben uns alle sehr.
Die Kehrseite ist, dass ich mit diesen wunderbaren Menschen nicht genügend Zeit verbringen kann. Volle Zeit mit der Musik und mit der Familie, das geht leider nicht gleichzeitig. Ich vermisse das sehr. Wenn ich zaubern könnte, würde ich das mehr in Ausgleich bringen wollen.
Ich verbrachte kürzlich Winterferien mit der Familie und ich hätte ein sehr bedeutendes Einspringen realisieren können. Aber es hätte bedeutet, meine Familie nicht zu sehen. Somit entschied ich mich für die Familie. Sie gibt mir so viel Energie.
Ebenso geht es mir mit der Musik. Für mich ist es faszinierend festzustellen, dass es mir nach einem Konzert immer besser als vorher geht. Geistig und körperlich fühle ich mich wie erneuert. Die Musik gibt mir vor, im Moment zu leben. Und das ist gut so, da haben dann andere Gedanken keinen Platz. Handy, Sorgen, alles, was uns sonst beschäftigt, ist ausgeklammert im Moment der Musik.
DS:
Herr Hrůša, ich habe Sie öfters erlebt. Besonders prägend war für mich Ihr Dirigat von Puccinis Trittico an der Oper Frankfurt. Selten habe ich unser Orchester, welches ich seit meiner Kindheit sehr gut kenne, derart inspiriert erlebt.
JH:
Das freut mich sehr. Es sind sehr komplexe Werke. Für mich war es die bisher anspruchsvollste Opernproduktion, die ich dirigierte. Drei Opern an einem Abend und so unterschiedlich.
DS:
Ebenso war ich beeindruckt, als Sie neulich in der Alten Oper mit den Bamberger Symphonikern die vierte Symphonie von Gustav Mahler aufgeführt haben. Das hatte eine große Vollkommenheit. Für mich war das ein unendlicher Dialog zwischen dem Orchester und Ihnen, dabei sehr frei im musikalischen Agieren.
JH:
Das ist mir sehr wichtig. Wir hatten eine sehr gute Arbeitsphase und ich bin froh über das gelungene Ergebnis.
DS:
Welche Pläne haben Sie in Bamberg?
JH:
Wir planen u.a. auch wieder Opernaufführungen, es kommt Wagner, vielleicht auch Strauss.
DS:
Haben Sie ein Credo, von dem Sie als Musiker und Dirigent überzeugt sind?
JH:
Ich bin kein Freund von einfachen Credos.
Die Authentizität ist mir wichtig. Jeder sollte Musik so machen, dass das eigene Selbst sich klar mitteilt. Es geht mir dabei nicht darum, Erwartungen zu bedienen. Ich kann nur so gut im Ergebnis sein, so ehrlich ich mit mir selbst umgehe.
Ich kann andere Menschen dann inspirieren, wenn ich mich öffne.
Unsere ganzen Lebenserfahrungen sollten in der Musik reflektiert werden!
DS:
Lieber Herr Hrůša, vielen Dank für das wunderbare Gespräch.
Das Interview führte unser Kritiker Dirk Schauß (links)
Bilder (c) Kubiak
Ein „shooting star“ am Dirigentenhimmel
Jakub Hrůša. Foto: Facebook
Der Tscheche Jakub Hrůša steht bei der Premiere von Leoš Janáčeks Oper Věc Makropulos zum ersten Mal am Pult der Wiener Staatsoper. Der in Brünn geborene 34jährige war von 2002 bis 2005 Assistent der Chefdirigenten Vladimir Ashkenazy und Zdeněk Mácal an der „Tschechischen Philharmonie“ und 2005 bis 2006 Assistent von Myung-Whun Chung beim „Orchestre Philharmonique de Radio France“. Es folgte die Zusammenarbeit mit den „Prager Philharmonikern“, mit Beginn der Konzertsaison 2008/09 wurde er zu deren Chefdirigent ernannt. Ab 2010 leitete Hrůša als Chefdirigent das „Glyndebourne on Tour“ – Projekt, beim Glyndebourne Opera Festival dirigierte er öfter als
Gast.
Im September 2013 folgte in Dänemark seine Ernennung zum Musikdirektor am „Royal Danish Theatre“ und des „Danish Royal Orchestra“. Er ist auch erster Gastdirigent des „Tokyo Metropolitan Symphony Orchestras“ und designierter Chefdirigent der „Bamberger Symphoniker“, wo er ab Herbst 2016 die Nachfolge von Jonathan Nott antritt. Im aktuellen Prolog, der Zeitschrift der Wiener Staatsoper, findet sich ein Hrůša-Interview mit dem Hausdramaturgen Andreas Láng, das in erster Linie auf die laufende Produktion Bezug nimmt. Ernst Kopica vom MerkerOnline hatte mitten in der Hochphase der Probenzeit Gelegenheit folgendes Interview (auf Englisch) mit dem Dirigenten zu führen, das aber weit über die musikalischen Aussagen zu Věc Makropulos hinausging!
Ernst Kopica: Obwohl sie über eine so beeindruckende Biographie verfügen, sind sie doch für viele Wiener Opernbesucher ein „unbeschriebenes“ Blatt. War ihre Karriere eine „step-by-step“-Entwicklung oder gab es auch viele Überraschungen?
Jakub Hrůša: Beides. Auf der einen Seite hat es sich wirklich „step-by-step“ entwickelt, sodass der nächste Schritt immer dann kam, wenn es Sinn machte. Andererseits hatte ich natürlich auch Überraschungen erlebt, etwa wenn ich einspringen durfte und so als sehr junger Dirigent zu tollen Aufgaben kam. Generell finde ich den langsamen Weg sehr gesund. Für mich stand nie der Erfolg als solcher oder die Bewunderung meiner Person im Mittelpunkt. Für mich war es bei der Arbeit mit einem Orchester oder in einem Opernhaus viel entscheidender, dass man fühlte, hier sei der richtige Mann am richtigen Platz – Respekt, gegenseitiges Verständnis, die Energie fließen lassen und wahres Musikmachen! Um Tiefe zu erlangen muss man reifen, dafür muss man auch älter werden!
EK: Mit einer Biographie wie der ihren gelten sie als „shooting star“ in der Klassikwelt – ein Vorteil oder ein Nachteil bei Engagements und der Arbeit im Konzertsaal und in der Oper?
JH: Ich messe dem Ganzen nicht allzu viel Bedeutung bei. Ausdrücke wie „einer der besten Dirigenten“ oder „shooting-star“ sind für mich nur Worte. Für mich ist die Beziehung zum Orchester wichtiger, der gegenseitige Respekt oder manchmal auch eine professionelle Liebe und Wertschätzung. So wie etwa letzte Woche, als ich mit dem Concertgebouw Orchester arbeiten konnte, das war ein sehr schönes Debüt für mich und ich durfte mich glücklich schätzen. Da waren wir wirklich auf der gleichen Wellenlänge und es war ein schöner Erfolg.
Für mich ist das Musizieren wesentlicher als die anderen Äußerlichkeiten. Man lernt aber mit all dem Drumherum umzugehen, auch mit negativen Kritiken zu leben. Jeder einzelne Künstler bekommt positive Kritik und negative Kritik. Und ja, ich lese Kritiken über mich. Manchmal ist das nicht einfach, speziell wenn die Ausführungen mehr der Fantasie des Rezensenten folgen als seinem Wissen.
Weil sie mein Alter erwähnt haben: Ja, ich begann wirklich sehr früh. Meine professionelle Laufbahn als Dirigent startete ich mit 18 Jahren. Aber es ging – wie schon erwähnt – step-by-step und heute werde ich von den besten Orchestern der Welt eingeladen. Ich bin sehr glücklich wie sich meine Karriere entwickelt hat.
EK: Sie debütierten 2008 in Glyndebourne mit Carmen, dann kamen Don Giovanni, The turn of the Screw, La Boheme und Rusalka (die sie auch in Prag und Paris leiteten), in Kopenhagen machten sie Boris Godunow, in Finnland Jenufa – jetzt dirigieren sie erstmals an der Staatsoper in Wien – wie beurteilen sie die Unterschiede der einzelnen Opernhäuser?
JH: Die Häuser sind komplett unterschiedlich. Während der Aufführungen konzentriere ich mich natürlich nur auf das Stück. Aber da Vorbereitungszeiten bei Opern wirklich lang sind – wenn man es ernst nimmt dauern die Proben ein Monat – erkennt man die Unterschiedlichkeiten.
EK: 2015 erhielten sie als erster Preisträger den „Sir Charles Mackerras Preis“, der Interpretationen von Janáček -Werken durch junge Künstler auszeichnet. Warum gelten sie derzeit offenbar als Nummer 1 bei Leoš Janáček? Dirigiert ihn ein Tscheche anders?
JH: Ich verstehe seine Musik einfach sehr gut, sowohl mit dem Kopf als auch mit dem Herzen. Im Fall von Janáček ist es ein großer Vorteil, wenn man denselben kulturellen Hintergrund hat und dass man dieselbe Sprache spricht. Aber ich sage nicht, dass es unbedingt notwendig ist. Man kann auch ein guter Interpret seiner Werke sein, wenn man nicht tschechisch spricht, aber es hilft eine Menge. Das ist die eine Seite.
Auf der anderen Seite ist Janáček in technischer Hinsicht sehr schwierig, speziell Věc Makropulos. Und zwar für alle Beteiligten: Musiker, Sänger und natürlich auch für den Dirigenten. Man braucht dafür seine ganze Energie und man muss sich ihm ganz hingeben. Und ich habe mich ihm hingegeben, seit ich ein Bub war! Ich habe es schon in anderen Interviews gesagt: Janáček ist für mich wahrhaftig in Hinblick auf sein ganzes Leben, seine Gefühle. Keine modischen Attitüden, sein Werk ist wie Rohkost, wie das Ursprüngliche.
EK: Gibt es heute im Zeitalter der Globalisierung überhaupt noch regionale Unterschiede in der Musik?
JH: Meine Meinung über all die „Wunder“ der modernen Welt – wie Reisen, Internet und Globalisierung – ist, dass dies alles „neutrale Phänomene“ sind. Nicht gut und nicht schlecht, sondern einfach immer und überall verfügbar!
Als Beispiel: Janáček wird auf der ganzen Welt aufgeführt. Auch von Leuten, die nicht tschechisch sprechen oder die sich nicht so intensiv mit seinem Werk befassten. Da können manche Besonderheiten oder ursprüngliche Qualitäten verloren gehen. Die Interpretation wird vielleicht flacher und geht nicht so in die Tiefe wie vor knapp 100 Jahren in Brünn, wo Janáček lebte. Aber ist es nicht fantastisch, dass er auf der ganzen Welt gespielt wird? Der Preis für die globale Ausbreitung ist also unter Umständen eine geringere Qualität.
Und dasselbe gilt auch für die Sprache. Bis zum heutigen Tage bin ich mir ehrlicherweise nicht im Klaren darüber, ob es notwendig ist seine Werke in der Originalsprache aufzuführen. Es ist sicher besser wie er es komponierte und wie die Sprache zur Musik passt. Aber es kann auch passieren, dass Sänger tiefer ins Innerste des Stückes eintauchen können, sängen sie in einer Sprache, die sie gut kennen“. Für mich gibt es kein Schwarz/Weiß! Ich bereue es nicht, dass Věc Makropulos auf tschechisch gesungen wird und ich bin der erste, der sagt ja, machen wir es im Original. Aber vielleicht versteht man das Stück besser, wenn man nicht die Übertitel mitlesen muss.
EK: Bereits im April 2006 verpflichteten sie sich im Alter von 25 Jahren bei Supraphon zu einem CD-Album mit sechs CDs, Wie beurteilen sie den heutigen Markt hinsichtlich klassischer Einspielungen, es gibt ja fast jedes Werk in x-facher Interpretation!
JH: Man muss einmal fragen: Hört das Publikum wirklich so viele Versionen? Im vorigen Jahrhundert war es manchmal Kult eine gewisse CD zu besitzen, aber das gibt es heute nicht mehr. Als ich ein Kind war – in Zeiten vor Spotify und Youtube – stand ich vor der Entscheidung mein karges Taschengeld in diese oder jene CD zu investieren. Und ich investierte als Teenager und Student genug Geld dafür, am Ende sicher über 1000 CD’s! (lachend: Heute kaufe ich keine mehr, die bekomme ich als Geschenke von meinen Kollegen!)
Tatsache war: Damals musste ich mich entscheiden, welche Interpretation kaufe ich. Und diese hörte ich dann immer und immer wieder. Aber das war eben nur die EINE Interpretation. Heute ist das komplett anders. Du kannst im Internet unzählige Versionen vom selben Stück hören. Und stellst plötzlich fest, dass auch von unbekannten Künstlern tolle Interpretationen vorliegen.
Für mich stellt sich hingegen ein anderes Problem. Die Bevölkerung hat heute immer weniger Zeit! Nicht nur für Musik hören, sondern für alles im Leben. Und sie hat auch weniger Geduld, z.B. für Wagner-Opern oder Bruckner-Symphonien. Das fehlt in der heutigen Zeit.
Die Folgen der jederzeitigen Verfügbarkeit von Musik ist: Einerseits, kann man viel mehr vergleichen, andererseits springt man von einem Stück zum nächsten und kommt zu keinem Ende. Das wäre aber wichtig: Man muss ein Stück in seiner Gesamtheit hören, man kann es nicht nach fünf Minuten beurteilen.
EK: Sie sind aus Brünn, studierten in Prag, wo sie heute auch mit ihrer Frau und Tochter leben. Ein idealer Standort für einen Dirigenten? Oder stellt sich mit ihren letzten Stationen in Seattle, London, Reykjavik, Genf, Ostrau, Amsterdam und Wien nicht eher die Frage: Sehen sie fremde Hotelzimmer öfter als ihre Familie?
JH: Wir versuchen die richtige Balance zu finden. Aber in den letzten Monaten war ich wirklich kaum zu Hause. Das letzte Mal schlief ich Mitte September in meinem eigenen Bett und das nächste Mal wird es Ende Dezember sein! Aber meine Familie reist auch zu den Orten, wo ich dirigiere. Ich habe gelernt nicht mehr gegen das viele Reisen zu protestieren. Es gehört einfach dazu und ist Teil meines Berufes. Ich liebe ja meinen Beruf wirklich sehr und das ist auch ein wenig der Preis, den ich dafür zahlen muss. Ich habe es aber akzeptiert.
EK: Ihr Vater Petr ist Architekt, sie gestalten Musik. Gibt es da Parallelen?
JH: Ja, aber man muss aufpassen, denn allzu schnell zieht man falsche Parallelen. In der Theorie klingt es so, als ob es das gleiche wäre, aber in der Praxis und im Leben sind diese beiden Berufe doch sehr unterschiedlich.
EK: Sie studierten Klavier und Posaune, wann entschlossen sie sich Dirigent zu werden?
JH: Als ich etwa 16 Jahre alt war. Zu der Zeit also, als es galt Entscheidungen zu treffen. Ich wusste nicht, ob ich dabei Erfolg haben werde, aber ich war entschlossen, mein Bestes zu geben.
EK: Was muss ein Operndirigent von Stimmen verstehen?
JH: Bei Janáček ist die Stimme nicht so exponiert, da ist das vielleicht nicht so bedeutend. Aber sonst ist es klar: Man muss etwas von der Atmung verstehen, die Balance halten, den Worten Zeit geben können. Ich selbst war nie Sänger, aber es ist so wichtig für alle Musiker zu wissen, dass man Musik SINGT! Auch Pianisten wie z.B. Ivan Moravec, welcher leider heuer verstarb, meinten: Die Idee für den Ton muss vom Singen kommen!
EK: Ihr Lehrer war Jiří Bělohlávek und sie arbeiteten als Assistent von Myung-Whun Chung. Was macht einen guten Dirigentenlehrer aus?
JH: Jiří war ein richtiger Lehrer. Wir hatten zahlreiche gemeinsame Unterrichtsstunden und ich lernte alle Facetten des Dirigierens von ihm. Das war ganz unterschiedlich zu den Begegnungen mit anderen Dirigenten, denen man bei Proben zusieht und mit denen man spricht. In solchen Fällen muss man aufpassen, denn das kann auch in die falsche Richtung gehen. Was für den einen Dirigenten gut ist, muss nicht für alle gut sein. Das wichtigste für einen Dirigenten aber ist – zu dirigieren!
EK: Sie arbeiten in Wien gemeinsam mit Peter Stein, einem der führenden Regisseure weltweit. Wie verläuft die gemeinsame Arbeit?
JH: Er ist unglaublich, weil er so einfühlsam ist. Und zwar für jeden Aspekt der Oper einschließlich der Musik. Das ist eine seltene Eigenschaft. Er ist eine starke Persönlichkeit, aber er inszeniert nie gegen den Geist des Stückes. Trotz all seines Ruhmes, seiner Autorität und seines Bekanntheitsgrades empfinde ich ihn als einen Partner bei unserer Arbeit.
EK: Arbeiten sie das erste Mal mit den Wiener Philharmonikern?
JH: Ja. Das System der Probenarbeit ist nicht leicht, aber es ist eine sehr schöne Zusammenarbeit. Ich fühle das unglaubliche Potential, welches das Orchester besitzt. Ich empfinde gegenseitiges Verständnis, aber wir sind ja erst mitten in der Probenzeit.
EK: Sie sind seit über fünf Jahren auf Facebook, ist so etwas heute auch für Künstler notwendig?
JH: Ich halte die sozialen Medien für keine schlechte Sache, aber ich möchte nicht in ihnen verloren gehen. Sie sind gefährlicher als viele Leute denken und wir müssen lernen mit ihnen umzugehen. Es ist schwierig sie zu ignorieren, aber ich möchte kein Gefangener in ihnen sein.
EK: Herr Hrůša, ich bedanke mich herzlich für das Gespräch und ihre interessanten Ausführungen Toi, toi, toi für die Premiere am 13. Dezember!
Ernst Kopica 10.12.15