DEBRA HAYS
labor omnia vincit
75 Opern und fast 100 Partien in 25 Jahren
"Wenn Plastik-Rock im Autoradio kommt, dann fühl ich mich sehr wohl...."
Wir treffen uns zum Kaffeklatsch-Gespräch im Krefelder Café der Edel-Konditorei Heinemann und plaudern zusammen mit meinem lieben Kollegen Pedro Obiera vom Opernnetz, bei köstlichem Cappuccino, Kuchen und Eis gute zwei Stunden mit der sympathischen Sopranistin.
Labor omnia vincit (Deutsch: Arbeit überwindet alles) - ein Satz aus Vergils Georgica - ist nicht nur das Staatsmotto von Oklahoma, der Heimat von Debra Hays, sondern könnte auch über ihrem Leben stehen. In den alljährlichen Theaterferien besucht sie regelmäßig ihre Heimat, der sie sich auch heute noch sehr verbunden fühlt; nur gelegentlich leide sie etwas unter "Sonnenentzug". Wem geht es nicht so in Deutschland? In Houston (Texas), wo sie auch längere Zeit gewohnt hat, sei es allerdings "subtropisch" - vor allem im Sommer viel zu heiß.
La Boheme
Auf meine Frage, was sie in fünf Jahren als Rentnerin tun werde, antwortet sie: "Ich freue mich, dass ich dann ein bisschen mehr Freizeit habe und nicht immer in der Sommerhitze der Theaterferien nach Amerika zur Familie und meinen Freunden rüberfliegen muss. Ich kann dann auch einmal Weihnachten und besondere Geburtstage wahrnehmen." Anmerkung: Was nur wenige wissen ist, dass alle Sänger eine Art Präsenzpflicht haben und, wenn sie weiter als 30 km reisen wollen, jedes Mal eine Art Urlaubsschein beantragen müssen.
Später einmal wieder komplett in die USA retournieren würde sie nicht, denn sie fühlt sich hier am Niederrhein ausgesprochen wohl. Wir bleiben beim Thema "Rentnerdasein", weil das auch bei uns Kritikern mehr oder weniger vor der Tür steht. "Ich bin natürlich niemand, der sagt, dass er ohne Bühne nicht mehr leben kann, wenngleich ich mir durchaus vorstellen kann, noch die eine oder andere kleinere Partie zu singen. "Wir würden es uns wünschen und denken spontan an den "Besuch der alten Dame" (von Einem) oder "Bluthochzeit" (Fortner) - beides, wenn die Erinnerung nicht trügt, wurde noch nie in KR/Mg aufgeführt.
Doch zurück an den Anfang: Debra Hays sang damals in der Houston Grand Opera zuerst im Chor. Dann hat sie ein paar kleinere Partien bekommen, so den Pagen in Rigoletto - "immerhin neben Leo Nucci!" wie sie respektvoll anmerkt oder als Brautjungfer im Figaro ("mit Renée Fleming!"). Gerne spricht sie auch noch über ihre Partien, meist im Sommer, an der Dallas Lyric Opera, wo sie in gleich drei Gilbert-Sullivan-Operas mitspielte und schließlich in "Mikado" sogar die Hauptrolle bekam.
(Bild: Papagena / Zauberflöte) >>>>
Doch allein guter Künstler/Sänger zu sein, garantiert in den USA noch nicht den Lebensunterhalt, und so berichtet sie über ihre Zeit als Lehrerin, wo sie nebenher auch noch als Sekretärin in einem Ölkonzern tätig war. Wir sprechen über das Gesangsstudium und die Unterschiede zu Deutschland. Ein wesentlicher Grund, warum Amerikaner hier bei uns so gerne genommen werden, liegt immer noch daran, dass sie nach Vollendung des Studiums schon diverse Rollen einfach drauf haben.
"Die technischen Möglichkeiten an der Uni in den Staaten sind teilweise enorm. Es sind ganz andere Dimensionen". So hören wir, dass die Houston Universität sogar mittlerweile ein eigenes Opernhaus hat, wo die Studierenden vier (!) große Produktionen pro Jahr gestalten.
Debra Hays hat einen Bachelor in Music Education, später machte sie den Master in Voice Performance - unterschiedliche Studiengänge, aber mit ähnlicher Basis, wobei ersterer in den Lehrberuf führt. "Wir haben in Amerika viel mehr Musikunterricht als hier in Deutschland. Wenn man sieben Stunden hintereinander Chor mit zeitweise über 40 Jungen unterrichten muss, ist das schon sehr anstrengend, vor allem stimmlich. Nebenher noch zu singen, ist da kaum möglich..."
Als damalige Siegerin eines Gesangswettbewerbes war sie zwar ein paar Dollar reicher, erklärt uns aber, dass das Wesentliche bei solchen Auszeichnungen die Garantie einer großen Rolle ist: "durchaus für einen aufstrebenden Künstler mehr wert als Geld". Bei ihr war es "L‘elisir d´amore" (Adina); quasi der Beginn ihrer großen Opern-Karriere.
Fledermaus
Frau Hays ist gut vorbereitet oder hat ein enormes Gedächtnis ;-), denn sie ergänzt die Liste der 69 Opern, welche mir die Dramaturgie des Theaters netter Weise zusammengestellt hat, gleich um weitere sechs Opern. Es ist unglaublich: 75 Opern und fast 100 verschiedene Rollen, da ist viel zusammengekommen in dem Vierteljahrhundert wo sie nicht nur dem Theater Krefeld/ Mönchengladbach die Treue gehalten hat, sondern auch umgekehrt die Niederrheinischen Theaterbesucher ihr. Man liebt die sympathische Sopranistin und ich möchte mich da nicht ausnehmen, denn auch als bärbeißiger Kritiker habe ich nur gute Erinnerungen an ihre Auftritte. Den Begriff "Rampensau" akzeptiert sie lächelnd und bestätigt ihn als trefflich.
Stolz ein jeder Intendant, der so eine universell einsetzbare Sängerin im Ensemble hat, was mir auch der aktuelle Intendant Michael Grosse im Vorgespräch von ganzem Herzen bestätigt hat. Dass unter den 75 Opern auch tolle Raritäten waren - Candide (Bernstein), Le Grand Macabre (Ligeti), Die Insel Tulipan (Offenbach), Marry me a little (Sonderheim), Josef Süß / Spiegel des großen Kaisers (Glanert), Maskarade (Nielsen), Die Welt auf dem Mond (Haydn), Yvonne (Boesman), Stallerhof (Kühr), Das Frauenorchester von Auschwitz (Heucke) und demnächst Der Konsul (Menotti) - erfreut nicht nur das Herz der Kritikers, sondern spricht auch für die vielfältige und ausgewogene Spielplangestaltung der niederrheinischen Partner-Oper.
Frau Luna
Gerne denken wir an einen Britten Zyklus, der teilweise noch im (leider nicht mehr existierenden) Mönchengladbacher Schauspielhaus lief, wo sich beim "Raub der Lucretia" alles vor dem heruntergelassenen Eisernen Vorhang abspielte; ja, man braucht manchmal außer tollen Charakter-Sängern und guten Musikern nicht viel für faszinierende Oper.
Stichwort "Stimmpflege": Debbie Hays ist ein Paradebeispiel für gute Stimmpflege und Lebensrealismus. "Es war ziemlich klar und eindeutig, was ich für ein Stimmfach hatte: Leicht & lyrisch. Viele Sänger neigen fataler Weise dazu, immer schwerere und größere Partien zu nehmen." Als "großes Vorbild" bezeichnet sie Helen Donath. Sie habe sich an vielen ihrer Aufnahmen orientiert. "Wenn ich Jessye Norman als Vorbild genommen hätte, dann wäre ich stark gefährdet gewesen..."
Natürlich muss die Frage nach Fitness, Hobbies bzw. Sport kommen: "Wie halten Sie sich fit, Frau Hays?" - "Bei diesem Job bleibt man in Bewegung. Nehmen wir den aktuellen Gianni Schicchi; das Stück dauert zwar nur eine Stunde, aber die Proben sind brutal. Man ist die ganze Zeit auf der Bühne und aktiv; sehr viel Action - da braucht man keinen Sport“, erklärt sie uns lachend.
Fledermaus
Und die Verletzungsgefahr bei soviel Rennerei über die Jahre? "Ich hatte zweimal Gips. Einmal klappte es klaglos, denn ich musste ohnehin zu einer Ballettproduktion nur aus dem Graben singen." Das andere Mal eben das übliche Procedere: Sänger singt mit Gips von der Seite und ein Double bzw. der Regisseur agiert szenisch dazu."
Wir sprechen auch über Gefahren auf der Bühne. Fahrradfahren ist heute wieder in (Cavalleria / Martha). Ich frage nach gefährlichen Momenten. "Ich musste bei Stallerhof auf Plateauschuhen gehen und am Ende der Bühne war es weich gepolstert - Gott sei dank bin ich da erst umgeknickt!" Besondere Anekdoten? Gerne:
Das musikalische Schwein
Für „Martha“ - der Regisseur wollte ein lebendes, nettes Schwein auf der Bühne - mussten sie vor vielen Schweinen, welche lokale Bauern zu einem echten Casting gebracht hatten, quasi den edlen Tieren etwas vorsingen: "viele möglichst hohe und laute Töne". Ich erinnere mich noch gut an die Produktion und die Premiere, wobei die meisten Kritiker natürlich eben dieses Schwein erwähnten mit dem besonderen Hinweis, dass es sich beim Gesang von Frau Hays anscheinend besonders wohl fühlte, da es permanent fröhlich mit seinem Ringelschwänzchen wackelte. Eine witzige Geschichte, die sogar über dem großen Teich in der Houstoner Presse Niederschlag fand.
Lieblingsstücke? "Bei Mozart habe ich mich immer sehr wohl gefühlt." Blöde Arien? "Das Ännchen im Freischütz; das mit Nero dem Kettenhund ist ein fürchterlicher Text." Ich frage nach alternativer Musik außer Oper? "Ich bin mit Pop Musik aus den 70ern aufgewachsen, nicht mit Klassik." Daher machen ihr Stücke mit Jazz und Swing Music, wie z.B. "Marlene, Judy, Marilyn" (Bild unten) auch besonderen Spaß.
Wir sprechen auch über Operette - eine der am meisten unterschätzten Gattungen des Musiktheaters. "Für Operette braucht man einen riesigen Stimmumfang, hinzu kommt, dass man dazwischen auch noch viel sprechen muss. Ich hatte meist die zweite Sopran-Rolle, den Buffopart gesungen, wo auch Tanztalent gefragt war und diese Tanzerei ist nicht einfach, denn es muss immer leicht und locker aussehen." Heute natürlich (z.B. in der „Frau Luna“) singt sie die Hauptrolle.
Wir sprechen über moderne Inszenierungen oder Regiemarotten. "Was sich mir nicht erschließt ist, warum die Leute auf der Bühne auf Tischen oder Stühlen stehen müssen; darauf ggf. noch tanzen. Das tut man doch auch nicht im normalen Leben, oder?" Klare Worte, denen wir uns als altgediente Kritiker klaglos anschließen können ;-))
Frau Luna
Wir sprechen noch über die Intendanten, von denen sie vier Ären erlebt hat (Gramss, Gropper, Pesel und jetzt Grosse) und über tolle GMDs (Kreizberg, Bramall, Jackson, Kütson). "Wenn man bedenkt, dass man in dieser langen Zeit nur so wenige gehabt hat, ist man eigentlich gerne hier und es spricht für Kontinuität und Qualität". Ein wunderbarer Satz, den nur noch ihr Schlusssatz krönt:
"Schön, wenn man sein Hobby zu seinem Beruf machen konnte und ich weiß besonders zu schätzen, dass ich das hier nun 25 Jahre machen durfte" Danke, liebe Debra Hays, für dieses schöne Gespräch *
*Peter Bilsing & >>>>>>>>>> *Pedro Obiera
(c) Besonderer Dank an Matthias Stutte
für die schönen Originalbilder aus Kr/Mg