DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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LIEDERABENDE

 

 

Liederabend mit Catriona Morison

am 29. März 2022

Unverhoffte Begegnung mit einer außerordentlichen Begabung

In Zeiten galoppierender Infektionszahlen sind Opernbesucher kurzfristige Umbesetzungen gewohnt. Irgendwer ist immer frisch infiziert und in Quarantäne. Routinemäßig sorgen Einspringer für einen halbwegs normalen Bühnenbetrieb. Liederabende jedoch stehen und fallen mit der Besetzung, denn sie werden ausschließlich um des jeweiligen Sängers willen veranstaltet. Am vergangenen Dienstag hatte man sich auf den schon lange fälligen Soloabend von Claudia Mahnke gefreut, einem langjährigen Ensemblemitglied, das seinem Stammhaus trotz beachtlicher internationaler Karriere die Treue hält. Die krankheitsbedingte Absage kam so kurzfristig, daß man keine Wetten darauf abschließen wollte, ob die Oper Frankfurt überhaupt Ersatz, gar adäquaten finden werde. Schließlich wurde am Montag Abend der Name der Einspringerin bekannt gegeben: Catriona Morison. Schon die Tatsache, daß sie mit Malcolm Martineau, einem der derzeit besten Liedbegleiter auftreten würde, wirkte vertrauenerweckend. Eine Suchanfrage im abonnierten Streamingdienst Qobuz zeigte eine CD mit Liedern der Romantik an, bei der die junge Sängerin just von Martineau begleitet wird. Das kurze Anspielen einzelner Titel weckte große Erwartungen. Sie wurden nicht enttäuscht. Dem Frankfurter Publikum wurden große Teile der CD-Einspielung nun live geboten, so die Sechs Lieder von Edvard Grieg, ausgewählte Lieder aus Robert Schumanns Myrthen, Lieder von Johannes Brahms und als Besonderheit abseits gewohnter Pfade Lieder der Komponistin Josephine Lang. Man konnte ohrenfällig erleben, daß „live“ hier im wahrsten Sinne des Wortes „lebendig“ bedeutet. Frischer noch als auf der Tonkonserve klang das. Zugleich erwies sich die Stimme auch ohne die Mikrophone eines Aufnahmestudios als tragend genug für einen großen Saal.

Beim eröffnenden Grieg-Zyklus nahm die Sängerin das Publikum durch ihre differenzierte Lautstärkengestaltung für sich ein. Dies gelang ihr mit einem nobel abgerundeten Ton. Catriona Morison zeigte hier wie über nahezu den gesamten Abend, daß ihre Musizierhaltung in denkbar größtem Kontrast zu den aktuell am höchsten gehandelten männlichen Liedsängern Christian Gerhaher und Benjamin Appl, aber auch Ian Bostridge steht, die in der Nachfolge von Fischer-Dieskaus Manierismus zum rhetorischen Grimassieren neigen, Silben und einzelne Vokale überbetonen, sie ungewöhnlich und nicht selten gewollt häßlich und grell einfärben. Nichts von dieser oft professoralen, auf Dauer enervierenden Haltung ist bei der jungen Sängerin anzutreffen. Sie folgt dem Ideal des Vokalausgleichs alter Schule, ist stets um einen runden Ton und ein elegantes Legato bemüht. Man hört dieser Stimme einfach gerne zu. Dabei vernachlässigt sie keineswegs die interpretatorischen Aspekte des Dargebotenen, spürt intelligent und einfühlsam den Wort-Ton-Beziehungen nach. So erlebte das letzte der Sechs Lieder von Grieg eine plötzliche Weitung der Stimme, steigerte die Sängerin sich zu einer geradezu opernhaften Emphase. Im letzten Lied der fünf Schumann-Stücke, Aus den östlichen Rosen, verwendete sie zu den berühmten Worten „Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide“ ausnahmsweise auch bewußt fahle Töne, die den behaupteten Schmerz unterstrichen. Auch in der Auswahl der Brahms-Lieder hatte die Sängerin eine Schlußsteigerung eingebaut, so daß in Von ewiger Liebe die Passage „Unsere Liebe muß ewig bestehen“ in geradezu hymnische Ekstase mündete.

Nicht auf der Tonkonserve enthalten ist der Abschluß des Konzerts: Gustav Mahlers Rückert-Lieder. Sie standen bereits auf dem ursprünglich vorgesehenen Programm von Claudia Mahnke. Gleich das erste Lied Ich atmet‘ einen linden Duft ist sängerisch heikel, denn in für eine tiefe Stimme unbequemer Höhe soll Leichtigkeit evoziert werden. Baritone fliehen hier meist ins Falsett. Catriona Morisons Interpretation hatte hier nichts Säuselndes, sondern war von dem zuvor gezeigten klaren, unsentimentalen Ton bestimmt. Auch die übrigen Lieder gefielen durch einen unprätentiösen, aber farbenreichen Vortrag. Das abschließende Ich bin der Welt abhanden gekommen geriet innig, mit intensivem Piano. Das Publikum lauschte mit angehaltenem Atem.

Malcolm Martineau erwies sich einmal mehr als aufmerksamer, höchst sensibler Begleiter, der sich der jeweiligen musikalischen Grundhaltung der von ihm begleiteten Sänger symbiotisch zuordnen kann, ohne seine künstlerische Eigenständigkeit zu verleugnen.

Nach einem musikalisch reichen Abend war man dankbar für die Gelegenheit, diese Künstlerin erlebt zu haben, die man nun gerne öfter in Frankfurt hören möchte.

Michael Demel / 3. April 2022

Bilder: Barbara Aumüller

CD-Tipp:

 

 

 

Liederabend mit Gordon Bintner

am 21. Dezember 2021

Als der Frankfurter Intendant Bernd Loebe im Frühjahr 2016 bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der kommenden Saison die Neuzugänge im Ensemble vorstellte, da war er in einem Fall besonders stolz: Gordon Bintner, ein junger Bariton mit prächtiger Stimme habe sich an das Haus gebunden. Und das, obwohl er dies gar nicht nötig habe, denn er könne bereits ohne Weiteres als Freischaffender sein Auskommen finden. Die erste Spielzeit verlief unauffällig mit Einsätzen in kleineren und mittleren Partien. Danach etablierte der Sänger sich schnell als Allzweckwaffe vom lyrischen Fach bis zum Kavalierbariton. Schließlich kündigte der Intendant an, daß Bintner der steigenden Zahl an internationalen Verpflichtungen wegen in Frankfurt künftig seltener zu erleben sein werde. Dann kam die Pandemie. Reihenweise platzten Engagements, und das Ensemble der Oper Frankfurt erwies sich als sicherer Hafen für arrivierte Stimmen. Bintner wird also nach wie vor in der Liste der Stammsänger aufgeführt. Iurii Samoilov, der ebenfalls bereits in eine internationale Karriere gestartet war, ist zurückgekehrt und hat sich zum Saisonbeginn in „L‘Italiana in Londra“ mit Bintner ein vergnügliches Duell der Baritone geliefert. Dabei hatte Loebe bereits im Vorgriff auf die zu erwartenden Abgänge für Ersatz gesorgt: Domen Križaj hat sich beachtlich in „Manon Lescaut“ eingeführt. Der vielversprechende Danylo Matviienko ist aus dem Opernstudio in das feste Ensemble gewechselt. Iain McNeil ist dort bereits etabliert und hat zuletzt als „Spielmann“ in den „Königskindern“ großen Eindruck gemacht. Mikołaj Trąbka mit seiner vollen, kernigen Stimme wartet auf adäquate Einsätze ebenso wie Božidar Smiljanić. Als „Escamillo“ alterniert Bintner mit Kihwan Sim, der mit seiner Prachtstimme zu den Säulen des Ensembles zählt. Thomas Faulkner nimmt als Baßbariton einen Stammplatz in mittleren Partien ein. Und für lyrische Partien bis hin zum Kavaliersfach stehen zudem Liviu Holender und Sebastian Geyer bereit. Kurz: Die Oper Frankfurt hat derzeit das Luxusproblem, für ein knappes Dutzend guter bis herausragender Sänger in Baritonlage eine sinnvolle Beschäftigung zu finden. Da muß dann selbst ein Gordon Bintner auch einmal als „erster Nazarener“ in „Salome“ ran oder darf sich trotz noch jugendlichen Alters am „Don Alfonso“ in „Cosi fan tutte“ versuchen, weil der „Guglielmo“ bereits anderweitig besetzt ist (er wird den Guglielmo dafür im Sommer am Royal Opera House Covent Garden in London singen). Zum Ausgleich durfte er nun einen Liederabend im Großen Haus gestalten.

Liederabende sind für Opernsänger immer eine heikle Angelegenheit. Wie unter einem Vergrößerungsglas treten die Charakteristika ihrer Stimme zu Tage. So werden Stärken hervorgehoben, aber Schwächen gnadenlos bloßgelegt. Auch bei Gordon Bintner zeigte sich neben viel Licht auch etwas Schatten. Auf der Habenseite konnte er eine flüssige, unmanierierte Diktion verbuchen. Das erwies sich in gleich drei Sprachen. Daß ein Kanadier neben seiner englischen Muttersprache auch im Französischen zu Hause ist, war zu erwarten. Die „Chansons de Don Quichotte“ von Jaques Ibert gerieten in dieser Hinsicht ebenso idiomatisch wie „Let us garlands bring“ von Gerald Finzi. Vor diese beiden Zyklen im zweiten Teil hatte Bintner aber einen rein deutschsprachigen ersten Teil gesetzt. Mit fünf seltener zu hörenden Liedern von Franz Schubert und den „Sechs Gedichten von Nikolaus Lenau und Requiem op. 90“ von Robert Schumann hatte er sich vor eine gewaltige Aufgabe gestellt, die er sprachlich tadellos bewältigte. Sehr genau hatte er an der heiklen deutschen Aussprache gearbeitet und so die Texte natürlich dargeboten. Mitunter hätte man sich noch etwas mehr Willen zur Gestaltung gewünscht, etwa in dem recht langen und zur Monotonie neigenden Schubert-Lied „Des Fischers Liebesglück“. Musikalisch konnte die Stimme vor allem in der saftigen Mittellage und der satten, aber nicht dröhnenden Tiefe überzeugen. Die Höhenlage erwies sich überraschend deutlich als gefährdete Zone. Die Oktavsprünge etwa in „Des Fischers Liebesglück“ führten zu Spitzentönen, die durch das unvermittelte Umschlagen der Klangfarbe im Kopfregister wie Fremdkörper in der Gesangslinie wirkten. Bei anderen Liedern wiederum gelang der Registerausgleich meist so selbstverständlich, daß gerade die im ersten Teil wiederholt auftretenden steifen Töne in exponierter Lage umso mehr irritieren mußten. Womöglich war dies einer gewissen Anspannung geschuldet, denn mit den beiden Zyklen von Schubert und Schumann hatte sich Bintner großen technischen und gestalterischen Herausforderungen gestellt. Das merkte man bei den drei schlichteren „Deutschen Volksliedern“ von Johannes Brahms, die Bintner als Intermezzo zwischen die Ibert-Chansons und den Finzi-Zyklus im zweiten Teil gesetzt hatte. Locker, natürlich und charmant gelang ihm die Darbietung, und selbst den süddeutschen Zungenschlag in „Da unten im Tale“ konnte man ihm abkaufen.

Bei dem anspruchsvollen und abwechslungsreichen Programm war dem Bariton der Pianist Michael McMahon ein zuverlässiger, stets aufmerksamer und unaufdringlicher Begleiter. Die beiden verabschiedeten sich mit zwei weiteren Schubert-Liedern („Der Jüngling an der Quelle“ und „Fischerweise“) sowie mit einem kanadischen Volkslied unter warmem Beifall von einem zufriedenen Publikum.

 

Michael Demel / 30.12.2021

 

 

 

Liederabend mit Jack Swanson

am 6. Oktober 2020

Visitenkarte eines Spitzentalents mit Potential

„Wenn der junge amerikanische Tenor Jack Swanson zum ersten Mal die Bühne betritt, ahnt man noch nicht, daß dieser unscheinbare Collegeboy es locker mit dem Sänger der Titelpartie aufnehmen kann. … Zu hören ist eine geradezu ideale Belcantostimme, leichtgängig, perfekt fokussiert, mit einer unfaßbaren Geläufigkeit und einem silbernen Timbre ausgestattet.“

Das war vor einem Jahr. Rossinis selten gespielter Otello hatte an der Frankfurter Oper Premiere, und der OPERNFREUND berichtete von einem spektakulären Hausdebüt. Nun ist Jack Swanson für einen Liederabend an das Haus am Main zurückgekehrt. Er hätte mit einem Belcanto-Wunschkonzert auf Nummer sicher gehen können. Daß er bei Rossinis launigen Vokalkunststücken in seinem Element ist, zeigt er aber erst bei der Zugabe: La danza serviert er mit Witz und hinreißendem Schwung. Das auf Corona-Minimum dezimierte Publikum entfacht daraufhin einen jubelnden Applaus, der nach weiteren Zugaben verlangt. Swanson aber beläßt es bei dem Belcanto-Reißer, und das ist klug. Er hätte dem anspruchsvollen Hauptprogramm ansonsten die Nachwirkung genommen.

Zum Höhepunkt des Konzerts wurde zuvor der Beginn des zweiten Teils. Mit Liszts drei Petrarca-Sonetten hat sich der junge Sänger selbst vor eine gewaltige Herausforderung gestellt, die er glänzend besteht. Er deutet die drei Lieder von ihrer Nähe zur italienischen Oper her, zeigt auf, wo Liszt sich an die Formen von Rezitativ und Arie anlehnt. Daß der Komponist es verstanden hat, die musikalischen Qualitäten aus der italienischen Sprache herauszukitzeln mit ihren farbigen Vokalen und klingenden Konsonanten, wird in jedem Takt dieser leidenschaftlichen Interpretation deutlich. Hier ist der Belcanto-Tenor in seinem Element, läßt seine saftige Stimme fluten und nimmt stratosphärisch hohe Spitzentöne unerschrocken mit Aplomb. Daneben gibt es in diesen Stücken aber auch kontemplative Elemente und Passagen, die dem deutschen romantischen Kunstlied näher sind als der italienischen Oper. Auch hierfür besitzt Swanson die technischen Mittel, kann seine Stimme abdunkeln und in tiefen Passagen sogar einen beinahe baritonalen Bronzeton entwickeln. Fasziniert folgt man dem Sänger durch dieses Klangabenteuer, bei dem ihm der bewährte Liedbegleiter großer Sängerpersönlichkeiten Malcolm Martineau ein ebenbürtiger Partner ist.

In einem reizvollen Kontrast dazu steht eine Auswahl von vier Liedern Francis Poulencs. Man staunt, daß Swanson auch deren französischen Esprit mit Leichtigkeit und Charme servieren kann. Zwischen diese beiden Blöcke hat er Litany aus dem Zyklus Shadow of the Blues des zeitgenössischen amerikanischen Komponisten John Musto gesetzt. In diesem melancholischen, bluesigen Song nimmt der Sänger seine Opernstimme zurück. Angemessen schlicht präsentiert er das Stück, das in der Tradition der besten Songs von Steven Sondheim steht. In seiner Muttersprache Englisch zeigt der Tenor eine große Palette an Klangfarben und kleinsten Abstufungen, die er punktgenau zur Ausdeutung des Textes einsetzt. Diese nuancierte Textbehandlung kommt auch dem dritten Werkzyklus des zweiten Teils, Drei Shakespeare-Liedern von Roger Quilter, zugute.

Jene traumwandlerische Sicherheit im Ausdeuten von Texten mit musikalischen Mitteln steht ihm bei Liedern in deutscher Sprache (noch) nicht zur Verfügung. Dies konnte man im ersten Teil des Liederabends beobachten. Als unvermeidliche Reminiszenz an das Beethovenjahr schmachtet Swanson im Auftakt des Konzerts eine junge Dame mit dem eigenartigen Namen Adelaide an. Dann folgt Robert Schumanns Eichendorff-Liedkreis. Das sind zwölf Gedichtvertonungen, bei denen kaum ein gefühliges Deutsche-Romantik-Klischee ausgespart wird. Es rauschen fortwährend wahlweise die Wälder, die Wipfel oder die Bächlein, Hörner tönen, Vöglein singen und diversen Rittern, traurigen Bräuten sowie dem Dichter ist es gelegentlich weh ums Herz. Dabei verläßt sich Swanson ein ums andere Mal etwas zu sehr auf das Strahlen und Fluten seiner schönen Stimme. Für das Gespräch zwischen Ritter und Hexe im dritten Lied findet er keine unterschiedlichen Stimmen zur Differenzierung der beiden Personen. Wo im Übrigen bei all dem jugendlichen Schwung das „tiefe Leid“ herkommt, womit das neunte Lied endet, oder warum es im vorletzten Lied dem Dichter beim Anblick eines Hochzeitszuges „im Herzensgrunde schauert“, kann man aus dem Vortrag des Sängers nicht ergründen. Nur gelegentlich zeigt Swanson die Bandbreite der ihm zu Gebote stehenden Klangfarben, etwa in dem angemessen fahlen Ton, mit welchem er die „eingewachsenen Haare“ und die „versteinerte Brust“ eines seit vielen hundert Jahren in seiner Burg sitzenden Ritters im siebenten Lied malt. Da gibt es noch Entwicklungspotential. Aktuell kann man neben einem unverbraucht frischen Gesangston ein überwiegend erfolgreiches Bemühen um die Tücken der deutschen Sprache auf der Habenseite verbuchen. Die Differenzierungskunst, welche sich, wie der Musto-Song gezeigt hat, in der Muttersprache des Sängers bereits voll entfaltet hat, wird sicher auch bei deutschsprachigen Liedern künftig stärker zur Geltung kommen. Das muß lediglich ein wenig nachreifen.

Insgesamt präsentierte ein junges Spitzentalent, das man in Frankfurt gerne bald wieder in einer Opernrolle erleben möchte, einen stilistisch vielfältigen und abwechslungsreichen Liederabend.

7. Oktober 2020, Michael Demel

 

 

 

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