Roberto umarmt Verdi in der Wiener Staatsoper
ROBERTO ALAGNA
Ein hohes C ist in Wien noch höher…
In der Neuinszenierung des „Troubadour“ an der Wiener Staatsoper ist Roberto Alagna der Manrico, eine Rolle, die er zwar schon oft, aber noch nie in Wien gesungen hat. Er beantwortete geduldig alle unsere Fragen und erzählte auch genau, wie es zu seinem „Lohengrin“-Vertrag für Bayreuth kam – und wie die Dinge derzeit stehen
Das Gespräch führte Renate Wagner in englischer Sprache
Herr Kammersänger Alagna, Sie sind der Manrico in der „Troubadour“-Neuinszenierung der Staatsoper. Machen Stretta und hohes „C“ diese Rolle unter den Verdi-Tenören zu etwas Besonderem?
Ein hohes „C“, das in Wien, bei der Stimmung des Orchesters noch höher ist als anderswo, das sollten wir erwähnen… Manrico ist, wie der Titel ja schon sagt, ein Troubadour, ein Romantiker, ein Liebender, auch die Stretta ist ja im Grunde kein Schlachtgesang. Sozial ist interessant, dass er ja als Zigeuner angesehen wird, der mit Leonore weit über seinen Rang hinaus zu lieben wagt und für diese Liebe alles tut – das ist eine geradezu magisch-mystische Geschichte, die gut zu mir passt. Allerdings muss ich sagen, dass die Rolle sehr schwer ist. Ich singe sie seit 17 Jahren, heute bin ich 53, und manchmal denke ich, hoppla, das war früher doch leichter. Andererseits hilft ja auch die Erfahrung, die man nicht hat, wenn man jünger ist… so ist das Leben.
Können Sie sich mit der neuen Inszenierung hier in Wien anfreunden – Sie haben ja sicher schon viele „Troubadour“-Inszenierungen hinter sich?
Ja, und demnächst in Paris begegne ich wieder einer neuen, die erst kürzlich Premiere hatte. Hier in Wien ist die Handlung in den Spanischen Bürgerkriegs versetzt, und das ist eine zeitliche Versetzung, mit der ich leben kann. Für mich ist wichtig, dass das Publikum, wenn der Vorhang aufgeht, auch etwas sieht, das für die Augen schön ist… ich gebe zu, dass ich Schönes dem Hässlichen vorziehe. Andererseits kann ich auch mit „abstrakten“ Inszenierungen leben, ich will als Sänger nur wissen, was warum geschieht. Ich finde es auch nicht fair dem Publikum gegenüber, wenn man es gänzlich um die Handlung einer Oper bringt, weil es nicht erkennen kann, was auf der Bühne geschieht. Also, für mich müssen die Dinge Sinn machen. Mein Bruder Daniel hat beispielsweise 2008 in Bologna eine wunderbar „moderne“ Inszenierung von „Orfeo ed Euridice“ gemacht, optisch ein bisschen wie Cocteau, und sehr überzeugend. Es ist natürlich möglich, szenisch vom Original abzuweichen.
Ihre letzte Wiener Premiere war die„Manon“ von Massenet, das ist auch schon wieder zehn Jahre her, Und auch damals war Anna Netrebko Ihre Partnerin.
Anna ist eine große Künstlerin und eine große Kollegin, und es ist wunderbar, sie in dieser Situation wieder zu treffen, wo wir beide privat so glücklich sind und kleine Kinder haben. Es ist überhaupt ein phantastisches Team hier, Ludovic Tezier kenne ich seit meinen Anfängen, mit Armiliato habe ich oft gesungen, wir sind wie eine Familie. Zum ersten Mal begegnet bin ich Daniele Abbado, und ich habe ihn angestarrt wie einen Geist, denn er ist seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten, Claudio, der so ein großer Dirigent war. Ich war regelrecht bewegt, als ich ihn sah…
Eine Frage, die Ihnen natürlich jeder stellt, kann ich nicht unterdrücken. Wie kam es zu Ihren Lohengrin, wer hatte eigentlich zuerst die Idee?
Das weiß ich nicht, ich sicherlich nicht, weil das ein Repertoire ist, das ich nie in Erwägung gezogen habe. Ich habe auch ganz, ganz wenig je auf Deutsch gesungen, die Arie aus „Martha“ und ein paar Kleinigkeiten. Aber vor ungefähr drei Jahren kam ein Brief aus Bayreuth mit dem Angebot, 2018 den Lohengrin zu singen. Meine erste Reaktion war nein, und ich habe danke nein gesagt. Sie versuchten es noch einmal, ich habe wieder abgelehnt. Dann kam ein Anruf von Christian Thielemann, der schon mehrere Anläufe genommen hat, mit mir zu arbeiten, aber ich war bei den vorgeschlagenen Terminen leider immer belegt. Er meinte, es wäre ganz wundervoll, „Lohengrin“ mit mir und Anna in Bayreuth zu machen. Und dann war es meine Frau Aleksandra, die mich überzeugt hat – warum ich denn die Herausforderung nicht annehmen würde? Sie sagte, ich kann Dir mit der deutschen Sprache helfen, und außerdem möchte ich einmal einen Sommer in Bayreuth verbringen… Und obwohl ich eigentlich nur in Sprachen singe, die ich auch spreche, habe ich den Vertrag von 2018 bis 2020 unterschrieben, auch, weil ich das mit Anna zusammen machen wollte.
Können Sie den Lohengrin schon?
Ich lerne. Ich lerne allein, und ich lerne immer, ich brauche nicht einmal ein Klavier dazu, ich benötige nur die Noten. Ich lerne überall, im Flugzeug, auch beim Kochen, anders ginge das mit meinem vollen Terminkalender gar nicht. Ich schlafe sogar mit den Noten unter dem Kopfkissen, und manchmal habe ich in der Früh das Gefühl, etwas besser zu können. Aber ich gebe zu, dass mir der Lohengrin schwer fällt, das Gefühl der Freude an einer Rolle, das ich sonst ziemlich schnell entwickle, fehlt mir noch. Das liegt nicht an der Musik, die ich liebe, es liegt noch daran, dass ich mir mit dem Text schwer tue. Man kann ja so eine Rolle nicht phonetisch lernen, man muss bei jeder Silbe wissen, was sie bedeutet und wie man sie singen will. Dabei ist der Lohengrin für mich gar nicht so schwierig – ich habe Schwereres gesungen und gelernt, und die Tessitura liegt angenehm, es geht nicht höher als A. Vielleicht habe ich Schwierigkeiten, mit der deutschen Sprache Legato zu singen, obwohl ich natürlich weiß, dass es möglich ist. Ich höre mir ja die alten Platten an, und Lauritz Melchior oder Helge Roswaenge haben das phantastisch gemeistert. Auch Jonas macht das großartig, aber ich muss meinen Weg finden. Im Momente suche ich ihn noch.
Und was würde geschehen, wenn der Fall einträte, dass Sie sich in dieser Rolle nicht finden?
Dann würde ich absagen, aber das wäre nur die allerletzte Lösung. Ich werde alles tun, den Lohengrin zu schaffen, auf meine Art und Weise, weil es ja auch eine großartige Herausforderung ist. Allerdings habe ich gehört, dass Anna in Bayreuth abgesagt haben soll, und das wäre für mich eigentlich schlimm, weil ich es auch ihretwegen angenommen habe…
Vielleicht könnte Ihre Frau, Aleksandra Kurzak, als Elsa einspringen?
Sie würde es auf jeden Fall können, sie singt immer dramatischere Rollen. Sie hat erst kürzlich die CD / DVD der Oper „Quo vadis“ von Feliks Nowowiejski aufgenommen, das ist so dramatisch und schwierig wie Wagner… Wir versuchen jetzt möglichst nicht nur privat, sondern so oft es geht auf der Bühne zusammen zu sein wie zuletzt in München für „La Juive“, was ich besonders mochte, weil es für mich eine neue Aufgabe war und das interessiert mich immer am meisten. Aleksandra wird mit mir in nächster Zeit in „Carmen“, „Turandot“, „Liebestrank“, „Otello“ und „Don Carlo“ singen, und sie und unsere kleine Tochter Malèna sind nach Möglichkeit immer bei mir. Wir übersiedeln jetzt auch von Paris nach Breslau, weil sie in der Nähe ihrer Eltern sein will und Malèna dort in die Schule gehen wird. Ich lerne jetzt Polnisch, die Kleine wächst mit Polnisch, Französisch und Italienisch auf. Im Moment sind Aleksandra und Malèna in Paris, weil die Kleine krank ist, und ich bin für einen Tag über Nacht hingeflogen, um sie ins Spital zu bringen, und habe am nächsten Tag den Frühflug nach Wien genommen, um bei der Probe zu sein. Der Beruf ist wichtig, und die Familie auch.
Im Beruf könnten Sie erfolgreicher nicht sein – nach Wien geht es nach Paris, dann nach New York an die Met, dann nach Berlin, dann nach London, dann wieder nach Paris, und das nur bis Saisonende, also in den nächsten fünf Monaten. Es ist mir fast peinlich zu fragen, aber es gibt einen aktuellen Anlass: Alexander Pereira versucht immer wieder, Sie an die Scala zurück zu bringen, er nennt Sie den „weltweit bekanntesten italienischen Tenor“, der doch dort singen müsste… Und der „Skandal“ von 2006 ist über ein Jahrzehnt her.
Und ich will gar nicht mehr davon sprechen. Es stimmt, dass Pereira immer wieder anfragt, aber ich glaube, ich will nicht mehr an der Scala singen. Was damals geschehen ist, hat mich so verletzt, dass ich – glauben Sie es mir – bis heute daran leide. Ich habe nie wieder diese hundertprozentige Sicherheit und Unbeschwertheit finden können wie früher, wenn ich jetzt auf die Bühne gehe. Immerhin werde ich wahrscheinlich wieder nach Italien kommen, wir verhandeln noch über diesen Sommer in Torre del Lago, nachdem ich jetzt nicht mehr jeden Sommer in Orange gebunden bin wie 20 Jahre lang. Ich möchte wieder in der Oper „Le Dernier Jour d‘un Condamné“ meines Bruders David singen, die Geschichte eines zum Tode Verurteilten nach einem Roman von Victor Hugo.
Eine andere Oper, die Ihnen sehr wichtig ist, ist der „Cyrano de Bergerac“ von Franco Alfano?
Ja, diese Oper hat in mancher Hinsicht eine besondere Bedeutung für mich. Ich war als Kind sehr scheu und hatte alle möglichen Komplexe, und seltsamerweise kann ich das mit dieser Rolle ausleben. Außerdem habe ich mir von Ricordi das Material geholt und mit meinen Brüdern sehr daran gearbeitet, die Originalfassung von Alfanos Oper wieder her zu stellen, die eine abenteuerliche Geschichte hat: Die Oper wurde auf Französisch komponiert, für die Uraufführung 1936 in Rom dann auf Italienisch umgeschrieben, und für Aufführungen in Frankreich nahm man nicht das Original, sondern übersetzte das Italienische ins Französische, abgesehen von vielen Änderungen. Die Originalfassung, die wir wieder hergestellt und 2003 in Montpellier erstmals gezeigt haben, singe ich sehr, sehr gerne, obwohl es eine der schwierigsten Partien ist, die mir je untergekommen sind. Ich freue mich sehr, die Oper demnächst in meiner Fassung an der Met zu singen.
Das wird dem Intendanten Peter Gelb nicht schwer fallen, angesichts dessen, wie oft Sie ihm aus der Patsche geholfen haben…
Ja, ich bin oft für Kollegen eingesprungen, auch wenn ich am Tag davor gesungen habe, aber das waren sozusagen „normale“ Einspringen mit Rollen, die ich im Repertoire hatte. Das Schlimmste war im Jänner 2016. Ich war für den Canio nach New York gekommen, hatte ihn am Abend zuvor gesungen, da läutete das Telefon, und Peter Gelb sagte: Roberto, ich bin in großen Nöten. Kannst Du den Des Grieux in Puccinis „Manon Lescaut“ singen? Ich sagte nein, die Partie kann ich nicht. Er meinte, ich hätte zehn Tage Zeit bis zur Premiere, ich sagte, ich würde es mir überlegen, darauf er: Nein, ich brauche die Entscheidung jetzt. Dann sagte ich, gut, ich würde mir die Noten holen, aber er sagte, die seien schon unterwegs. Dann schickte man mir einen Korrepetitor, am dritten Tag war Orchesterprobe und am zehnten Tag Premiere. Da habe ich 12 Stunden am Tag gearbeitet, es war ein Alptraum.
Nun, ich habe es im Kino gesehen, und es war phantastisch… Werden Sie den Puccini-Des Grieux und den Cyrano auch einmal an der Staatsoper singen?
Im Moment haben wir über Otello und Samson gesprochen, und das freut mich, weil ich diese Rollen noch nicht in Wien gesungen habe.
Herzlichen Dank für das Gespräch und Hals- und Beinbruch für die „Troubadour“-Premiere!