„Ich bin kein Basso Buffo!“
Fotos: Heiner Wesemann
PAOLO RUMETZ
Wien hat gänzlich unerwartet einen neuen Rigoletto-Interpreten bekommen, und wir müssen feststellen, dass wir über diesen Paolo Rúmetz so gut wie gar nichts wissen. Er freut sich sehr über unsere Interview-Anfrage und kommt mit seinem Scotch Terrier „Max“ – eigentlich „Erzherzog Ferdinand Maximilian von Habsburg“, was schon einiges über sein Herrchen aussagt. Wir führen das Gespräch auf Italienisch mit Heiner Wesemann als Dolmetscher und mit jenem Deutsch, das Paolo Rúmetz von einer seiner „Nonnas“ mitbekommen hat, die in ihrer Jugend eine Klosterschule in Wien besuchte…
Von Renate Wagner

Signore Rúmetz, Sie haben an der Wiener Staatsoper bisher Rollen wie Dulcamara, Don Magnifico, Bartolo oder den Mesner gesungen – das sind doch Bassbuffo-Partien. Wie kommt es, dass Sie als Cover für den Rigoletto angesetzt wurden?
Weil ich eben kein Basso Buffo bin! Nach einem Leben als frei beruflicher Sänger war ich sehr froh, in der Wiener Staatsoper einen zweijährigen Vertrag als Ensemblemitglied zu erhalten, zumal die Situation an italienischen Opernhäusern einfach katastrophal ist – es gibt kein Geld und keine Möglichkeiten. Und nach Wien zu kommen, ist eine große Ehre – abgesehen davon, dass für uns Triestiner ja Wien ohnedies die Hauptstadt ist, nach der wir blicken, und nicht Rom… Es war mir klar, dass ich vor allem für diese Rossini- und Donizetti-Rollen engagiert wurde, aber ich habe eben gehofft, ich bekäme auch Gelegenheit zu zeigen, dass ich ein echter Verdi-Bariton bin – ich habe im Laufe meiner Karriere die meisten wichtigen Rollen des Repertoires gesungen, den Falstaff und den Jago, den Renato und den Luna, den Amonasro, den Germont und den Boccanegra…
Aber nicht den Rigoletto?
Nein. Ich dachte eigentlich, mein Rigoletto-Debut würde im Sommer in Klosterneuburg stattfinden, mit Daniela Fally als meiner Gilda, den Vertrag mit Michael Garschall hatte ich schon unterschrieben, als von der Staatsoper der Auftrag kam, Rigoletto als Cover zu studieren. Das habe ich gewissenhaft getan, aber nie an den Ernstfall gedacht, dass ich einspringen müsste – und gar im dritten Akt der Premiere…
Ist Ihnen in Ihrem gar nicht so kurzen Künstlerleben jemals etwas ähnlich Dramatisches passiert wie die Ereignisse rund um diese „Rigoletto“-Premiere?
Nein, wirklich nicht, und so etwas könnte man sich auch nicht einmal im entferntesten vorstellen. Ich bin ja schon einmal in der Staatsoper eingesprungen, als Herzog von Nottingham im „Roberto Devereux“, als Marco Caria erkrankte, aber das war keine Premiere und ich hatte die Rolle schon gesungen. Aber als der Rigoletto ernstlich auf mich zukam, bin ich in dieser Partie noch nie auf der Bühne gestanden.
Man hat bemerkt, dass Sie sich, als Sie dann Rigoletto verkörperten, eigentlich nicht an die Rollenkonzeption von Regisseur Pierre Audi hielten?
Ich habe Pierre Audi nie zu Gesicht bekommen. Als ich die Hauptprobe gesungen hatte und Maestro Chung eigentlich sehr zufrieden mit mir war, was mich natürlich sehr motivierte, bekam ich eine fünfstündige szenische Probe mit dem Assistenten von Pierre Audi. Aber mir war schon klar, dass ein Konzept, das ganz auf die Eigenart des wirklich großartigen Simon Keenlyside zugeschnitten ist, für mich nicht passen konnte – aus vielen Gründen. Schon optisch: Sehen Sie mich an, ich bin nicht der durchtrainierte Typ, der mit nacktem Oberkörper herumlaufen kann. Und ich will Rigoletto auch nicht als bösen Tyrannen sehen, sondern als den liebenden Vater, der er in Verdis Oper ist. Wenn immer wieder die Rede von Wozzeck war, stimmt das vielleicht für Simon Keenlyside, aber in meinen Augen ist Rigoletto kein Wozzeck. Ich muss ihn also innerhalb der gegebenen Inszenierung einfach so gestalten, wie ich es kann.
Sie haben die Generalprobe gesungen. Hat man Sie „zur Sicherheit“ zur Premiere ins Haus bestellt?
Nein. Simon Keenlyside hatte sich gesund gemeldet, offenbar hatte niemand Bedenken, dass er die Premiere nicht singen würde. Ich saß mit Freunden zusammen, wir aßen Spaghetti und hörten die Übertragung im Radio. Dann läutete bei „Piangi fanciulla“ das Telefon – da war offenbar in der Oper klar, dass es nicht weitergehen würde. Glücklicherweise wohne ich ziemlich nahe, beim Naschmarkt, in der Nähe des Theaters an der Wien. Ich eilte also in die Oper, alle stürzten auf mich zu – und da sah ich, wie Simon Keenlyside wegging, ganz allein, niemand kümmerte sich um ihn. Ich glaube, das ist das Wichtigste, was ich an diesem Abend gelernt habe: Wenn Du nicht bringst, was Du sollst, kümmert sich keiner mehr um Dich…
Haben Sie eigentlich je erfahren, was an diesem Abend genau passiert ist?
Nein, absolut nicht – tatsächlich habe ich mit Simon Keenlyside nie ein Wort gewechselt, es kam einfach nicht dazu. Und an diesem Premierenabend: in die Garderobe, schminken, auf die Bühne, das allgemeine Chaos… nein, ich habe keine Ahnung, was außer dem, was mich direkt betraf, noch vorgefallen ist. Aber ich weiß, wie gerne ich Simon Keenlyside nachgegangen wäre und ihm gesagt hätte, wie unendlich leid mir tut, was ihm passiert ist.
Sie haben dann bei der Premiere den dritten Akt gesungen und in der Folge alle Vorstellungen bis auf die letzte, wo Sie dann auch erkrankt waren.
Ja, ich bin immer noch verkühlt, aber da hilft das Rezept meiner Großmutter – keine Medikamente, sondern heiße Milch und Honig… Ich kann sagen, dass das Publikum immer sehr freundlich zu mir war, und dass ich in der Oper nun auch irgendwie anders wahr genommen werde. Jetzt hoffe ich natürlich, dass man in mir den Verdi-Interpreten sieht, wie es meiner Stimme zukommt. Ich hoffe, Direktor Meyer denkt nun auch an mich, wenn er einen Boccanegra, einen Germont oder einen Amonasro zu besetzen hat.
Haben Sie eine Lieblingspartie bei Verdi – oder noch offene Wünsche?
Ich singe sehr gerne den Falstaff, und eigentlich habe ich alle für mich richtigen Rollen im Repertoire, außer vielleicht den Macbeth. Wobei für mich die „bösen“ Rollen wie eben Macbeth oder Jago keinen besonderen Reiz haben, hingegen verstehe ich die Väter wie Rigoletto, Germont oder Boccanegra sehr gut, auch wenn ich selbst nicht verheiratet und nicht Vater bin.
Palo Rumetz als Falstaff (Foto: privat)
Signore Rumetz, Sie stammen, wie wir wissen, aus Triest. Das ist eigentlich eine altösterreichische Stadt…
O ja, Triest ist wie Wien, darum fühle ich mich auch hier sehr wohl. Und meine beiden Großväter waren bei der österreichischen Marine, einer war bei der Seeschlacht bei Lissa dabei, der andere diente später auf der „SMS Tegetthoff“. Mein Interesse an österreichischer Geschichte und vor allem an den Habsburgern ist sehr groß, und es tut mir leid, dass mir meine Großmutter nicht genug Deutsch beigebracht hat, dass ich auch deutsche Bücher lesen könnte. Da wäre so viel über Musik und die Habsburger, das mich interessieren würde. Aber vielleicht wird das besser, wenn ich länger in Wien bleibe.
Und wie wurden Sie Opernsänger?
Das wollte ich immer. Dabei ist mein erstes Erlebnis in der Oper ganz schlecht ausgegangen. Ich war drei Jahre alt, mein Vater nahm mich in eine Freilichtaufführung der „Lucia di Lammermoor“ mit. Und als Lucia dann blutbefleckt herwankte und wie in Geist wirkte, habe ich mich so gefürchtet, dass mein Vater mit mir heimging. Ich weiß noch genau, was er damals sagte: „Das war das erste und letzte Mal, dass Du in der Oper warst!“ Nun, so ist es ja nicht gekommen. Ich habe in Triest studiert, dort fünf Jahre lang im Chor gesungen, in Rom bei dem Tenor Renato Guelfi und dann auch in München bei Josef Metternich Unterricht genommen, und mein Debut fand dann 1988 in meiner Heimatstadt im Teatro Verdi statt: Ich war ein Lakai in der „Ariadne“…
Aber deutsche Rollen singen Sie doch nicht?
Ich war schon einmal Melot und einmal der Heerrufer. Im slawischen Repertoire habe ich eine Rolle in „Boris Godunow“ gesungen, aber meine Welt ist die italienische und die französische Oper. Ganz besondere Unterstützung habe ich in meinem Leben von dem großen Nello Santi erfahren, den ich 1999 kennen lernte und der meinte, dass das große Verdi-Bariton-Fach das meine sei. Ich durfte immer wieder mit ihm zusammen arbeiten, zuletzt im November 2013 zweimal für konzertante „Simon Boccanegra“-Aufführungen in Tokio.
Haben Sie als Bariton Vorbilder? Meine erste Bariton-Liebe war Ettore Bastianini.
Bastianini, natürlich! Und auch Piero Cappuccilli, nicht nur, weil er wie ich in Triest geboren wurde. Ich finde es sehr, sehr schade, dass viele junge Sänger von heute gar nicht mehr in die Vergangenheit schauen und auch große Namen gar nicht kennen – abgesehen von allem, was sie von ihnen lernen könnten, wenn sie sich die Tonträger anhören. Das ist ein Zeichen unserer Zeit, dass alles „Gestrige“ einfach weggeworfen wird – und das bezieht sich leider auch auf Menschen. Darum finde ich an Wien so wunderbar, wie treu das Publikum ist und wie es seine „alten“ Sänger liebt. Wenn ich jetzt im „Barbier“ den Bartolo nicht singen kann, weil ich noch nicht gesund bin, dann springt jemand wie Alfred Šramek ein, den man anderswo längst zum alten Eisen geworfen hätte und der hier geehrt, geliebt und geschätzt wird. Das ist natürlich auch ein Grund, sich als Opernsänger in Wien glücklich zu fühlen – denn wenn man geliebt wird, ist es ewige Liebe.
Renate Wagner 5.1.15