
MICHAEL VOLLE
Das Glücksgefühl nach einer „Winterreise“ …
Michael Volle kommt ausnahmsweise nicht nach Wien, um an der Staatsoper eine seiner großen Figuren auf die Bühne zu stellen, sondern um im Grand Salon des Park Hyatt einen Liederabend zu geben – erst seinen zweiten in Wien. Zu diesem Anlass hatte Renate Wagner eine Menge Fragen an den Künstler, die dieser bereitwillig beantwortet hat.
Herr Volle, Sie sind auf den Opernbühnen ununterbrochen unterwegs, warum nimmt man sich Zeit für Lieder?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Die Musik ist unendlich schön und ergreifend, das erfreut Seele und Herz ohne Ende. Das Glücksgefühl nach einer einigermaßen gelungenen „Winterreise“ ist schier unbeschreiblich und kommt dem nach einem Sachs sehr nahe. Und Schubert ist ja nur einer von vielen, vielen wunderbaren Liedkomponisten.
Auf der Bühne ist man Teil eines Ganzen, auf dem Podium ist man unendlich allein. Und die stimmlichen und interpretatorischen Anforderungen sind ja ganz andere…
Rein stimmhygienisch bedeutet das Liedersingen ein unverzichtbares Korrektivum, gerade wenn man viel und schweres Opernfach singt: Man kann sich hinter nichts „verstecken“, nicht hinter Kostümen, Bühnenbild und Aktionen – man ist nackt und bloß dem Ohr des Zuhörers „ausgeliefert“, man hört jede Unsicherheit bzw. Fehlfunktion der Stimme – es ist eigentlich die größte Herausforderung im Singen, die schwerste Disziplin.
Gibt es Komponisten, die Sie besonders gerne singen?
Ich tauche immer ganz und gar in das ein, was ich gerade singe – das muss man auch, damit man bei sich alles abrufen und es möglichst herüberbringen kann. BACH – groß geschrieben! – ist für mich das A und O. Mozart folgt ganz dicht darauf, ebenso Schubert. Einen „Elias“ zu singen, ist unglaublich erhebend. Auf der Bühne rangiert bei mir der Sachs ganz vorne – und dahinter sofort der Wozzeck
Ist in der Welt des Liedes Schubert der Höhepunkt, wie manche finden, und die „Winterreiche“ das Werk, das dem Interpreten am meisten abverlangt?
Schubert ist, zumindest für mich, die pure Essenz des Liedes und in der scheinbaren Schlichtheit schon das schwerste. Und die „Winterreise“ ist der Gipfel – 70 Minuten, 24 „Kurzopern“ non stopp, enorme Konzentration und Verausgabung, unbeschreiblich!
Ihr Liedbegleiter in Wien im Grand Salon des Park Hyatt wird Helmut Deutsch sein. Kennen Sie sich schon lange?
Seit zehn Jahren habe ich das große Glück, mit diesem wunderbaren großen Künstler zu arbeiten und auftreten zu können. Er, der seit langen Jahren mit allen Großen musiziert, ist ein ebenso inspirierender wie fordernder Partner, was meinen musikalischen-künstlerischen Horizont immer wieder aufs neue erweitert. Ich lebe wirklich auf die – leider viel zu seltenen – gemeinsamen Auftritte zu und hoffe noch auf viele weitere.
Man kann sagen, dass Ihre Opernkarriere in den letzten Jahren explodiert ist, in einem weit höheren Ausmaß als früher, als Sie 1999 bis 2007 in Zürich engagiert waren. Wikipedia behauptet, Sie seien fix in München engagiert, aber Sie scheinen doch jetzt eher in Berlin verankert? Und frei schaffend überall auf der Welt?
Glauben Sie nicht alles, was geschrieben steht. Ich war bis 2011 im Münchner Ensemble und bin seither frei schaffend tätig. Jetzt mit verstärktem Kontakt und Auftreten an der Staatsoper Berlin bei und mit Daniel Barenboim – neben allen anderen Auftritten weltweit.
Wir haben Sie jetzt endlich auch in Wien in größeren Rollen gehört, frühere Auftritte waren ja eher sporadisch, jetzt kamen Holländer und Scarpia. Die beiden „Ring“-Zyklen haben Sie abgesagt – warum? Und werden Sie diese bitte nachholen?
Die Absage der beiden Wiener „Ring“-Zyklen im Mai 2015, die auch mein Siegfried/Wanderer-Rollendebut hätten bringen sollen, erfolgte krankheitshalber – und absolut nicht, wie besonders dummdreiste Gerüchte lancierten, wie sie leider auch in einer fahrlässig sensationslüsternen „Opernfan“-Szene existieren, wegen des Dirigenten – Sir Simon Rattle ist ein ganz wunderbarer Dirigent und Partner. Mein erster gesamter „Ring“-Zyklus wird jetzt im Mai 2016 mit Daniel Barenboim in Berlin stattfinden. Was Wien und den „Ring“ betrifft… da steht leider noch nichts fest.
Große Wagner-Rollen, die Ihnen besonders passen, sind Holländer, Sachs, Amfortas – und Wotan. Für Wagnerianer sind diese drei Wotans (Wanderer) das Non plus ultra. Für Sie auch?
Wie gesagt, der Wanderer steht noch bevor – aber ich kann jetzt schon sagen: Der „Ring“ ist schon ’ne Wucht und eine ganz große Herausforderung. Und ich kann es kaum erwarten, bald schon wieder am Ende der „Walküre“ das ergreifende „Leb wohl, Du kühnes, herrliches Kind“ anzustimmen! Ob die Wotans in meinem persönlichen Ranking den Sachs ablösen können – mal schauen!
Sie haben schon in Zürich und auch bei Ihrem Bayreuther Debut 2007 den Beckmesser gesungen und waren dann der Sachs in Zürich, Köln, 2013 in Salzburg und dann an der Met. Zwei quasi so diametral entgegengesetzte Gestalten! War das eine große Umstellung?
Das ist nicht zu vergleichen – zwei völlig verschiedene Rollen und Charaktere. Ich meinte allerdings, den Sachs durch meine Beckmesser-Erfahrungen schon einigermaßen zu kennen – aber es war doch wie das Eintauchen in ein neues Universum, das einen dann nicht mehr loslässt.
Es gibt, immer wieder diskutiert, im Zeichen der politischen Korrektheit sogar die Forderung, man möge der „deutschen Meister Ehr“ umdichten und umformulieren. Halten Sie das für denkbar?
Absoluter Blödsinn. Es ist Ausdruck einer bestimmten Zeitepoche und Denkweise – ohne dass ich die schwierigen Punkte der Wagner’schen Schriften im geringsten unter den Teppich kehren möchte. Harry Kupfer, dieser große und genial-wunderbare Regisseur, hat sich bei meinem ersten Sachs 2012 in Zürich sehr weise über diese Zeilen geäußert. Er nannte sie eine sicher allgemeingültige, allumfassende „Huldigung“ der Kunst an sich, und dass Wagner das sicher nicht tumb auf etwas Nationales beschränkt sehen wollte – das würde seiner Größe als Künstler diametral entgegenstehen.
Ihre Erfahrungen mit Wagner-Inszenierungen sind ja allumfassend – 2007 in Bayreuth der Beckmesser in Katharina Wagners Inszenierung mit den Papp-Köpfen und Stolzing als Maler zum Beispiel…?
Wer meint denn sagen zu können, was „richtig“ ist und was wie inszeniert gehört? Es gibt keine einzige Wahrheit – das wäre auch sehr eindimensional und sehr langweilig. Das soll nicht heißen, dass ich alles gut finde, was sich in der Vergangenheit und heutzutage Regie nennt oder schimpft. Aber: Viele Wege führen nach Rom. Und – fast – alles ist subjektiv, nicht nüchtern objektiv zu beurteilen.
Aber wenn Stefan Herheim die Salzburger „Meistersinger“ ins Biedermeierliche gerückt hat und Sachs im Nachthemd und mit einer Zipfelmütze auftreten lässt – finden Sie nicht, dass er der Figur damit schlechtweg ihre Würde nimmt?
Was ist Würde? Stefan Herheim ist für mich einer der intensivsten, besten, musikalischsten, grüblerischsten, überzeugendsten Regisseure zur Zeit – seine Sicht auf den Sachs zeigt von großer Hingabe und Respekt, in seiner Sichtweise. Diese aufs betulich Biedermeierliche reduzieren zu wollen, wäre sehr, sehr kurz gegriffen.
2017 gibt es in Bayreuth für Sie den Sachs, da wird man sehen, was Barrie Kosky dazu einfällt. Sind Sie schon neugierig?
Ohne Neugierde auf Neues, vielleicht noch nicht Bekanntes, darf man diesen wunderbaren Beruf eigentlich gar nicht machen. Sonst verkommt er zur abgenutzten, gefährlichen Routine. Ich bin zuerst mal immer absolut offen und bereit für Alles! Und dann schau’n wir mal, wie sich was entwickelt. Zum Glück wurde ich bisher in meinen langen Jahren nur wenig enttäuscht.
Wenn wir schon von Inszenierungskonzepten sprechen: für mich war der „schwule Onegin“ in München eigentlich ein sehr interessanter Ansatz?
Für mich war es leider – bei den vom mir so heiß geliebten Werk – nur ein Ansatz, der nicht aufging, obwohl interessant zu machen, das ja.
Kann man zusammen fassen, dass Sie absolut keine apodiktischen Urteile fällen wollen?
Was ist „besser“ – Wagner oder Verdi? Wer ist der bessere Tenor – Domingo oder Pavarotti? Wo fängt die Oper an – für manche nach Mozart, für manche gibt es nur Belcanto. Oder nur Wagner? Oder alles nur nach 1945? Da kann man doch keine Urteile fällen, „Wahrheiten“ zementieren. Jeder entscheidet nur für sich selbst!
Apropos Moderne: Sie haben in den „Bassariden“ gesungen, gelten aber nicht als Spezialist für die ganz neue Musik, die für die Kehle ja wirklich schwierig ist. Ist der Eindruck falsch, dass Sie sich nicht eben darum reißen?
Ich habe sehr viel neue Musik gesungen und sehr viel dadurch gelernt. Es gibt tolle Stücke dabei und große Aufgaben. Im Moment bewege ich mich zwar eher „klassisch“, aber wer weiß, was noch kommt.
Was Richard Strauss betrifft, so war er ja zu Baritonen viel generöser als zu Tenören, Sie haben das mit Barak, Mandryka, Jochanaan ausgeschöpft. Ich könnte mir Sie und Ihren Humor sehr gut als Ochs vorstellen, aber ist der nicht vielleicht zu tief?
Tja – leider das falsche Fach. Richtig: zu tief!!! Aber die anderen Partien befriedigen enorm.
Sie gehören auch zu den Sängern, die meinen, Mozart sei „gesund“ für die Stimme. Kann man das ein bisschen definieren? Abgesehen davon, dass Giovanni und Graf so starke Rollen sind.
Da gilt, was ich schon zum Lied gesagt habe. Bei Mozart darf man nicht so „losbrettern“ wie öfter bei Verdi, Strauss, Wagner, Puccini – wobei, um nicht missverstanden zu werden, selbige durchaus sehr viel differenzierten Gesang erfordern. Aber Mozart ist ein anderes, durchsichtigeres Gewebe, wo man seinen Teil fein dazufügen muss. Und das erfordert eine kontrollierte Stimmgebung – wobei manche auch da jetzt sofort wieder habe „Glaubenskriege“ entfachen könnten, was angeblich (!) geht und was nicht. Ganz abgesehen davon: Mozart ist himmlisch schön.
Sie haben noch vor wenigen Jahren gesagt, Sie würden gerne wieder den Papageno singen. Das kann ich mir rein von der Physiognomie nicht so recht vorstellen. Hermann Prey war Beckmesser und Papageno, aber nebeneinander Sachs und Papageno in der Kehle haben?
Was heißt Physiognomie? Es ist doch alles „nur“ Bühne! Show! Papageno kann jeder sein, egal, wie er aussieht. Und zu singen ist er etwas vom Dankbarsten und Tollsten – für Anfänger natürlich ein dicker Brocken, für mich jetzt einfach nur Freude. Und: Ich habe nicht unendlich viele verschiedene „Gesangsstile“ – ich singe einfach! Und: Ich freu mich jetzt schon ohne Ende auf meine Pagagenos im Februar 2017 an der Bastille in Paris. Ein Fest – für mich auf jeden Fall (auch weil ich mit meiner Frau, Gabriela Scherer, als Erster Dame auf der Bühne stehe) und hoffentlich auch fürs Publikum.
Sie haben den Wunsch geäußert, mehr Verdi zu singen, aber es scheint meist auf das deutsche Fach hinauszulaufen. Johan Botha begründet das damit, dass es einfach für dieses Fach viel weniger Sänger gibt als für Verdi. Was müsste man da tun? Seinem Agenten sagen: Jetzt will ich aber einmal einen Rigoletto oder Jago oder Macbeth oder Boccanegra machen? Immerhin – Macbeth soll es ja 2019 an der Met geben?
Singen ist ein Geschäft, machen wir uns nichts vor, und wir sind die Ware, die verkauft wird, weil manche Leute uns gut finden. Von den wenigen absoluten Superstars (was den Verkauf angeht) abgesehen, greift dann aber auch sofort wieder die persönliche Meinung der entsprechenden Menschen, die die Rollen besetzen und bestimmen, wer was wo singt. Das heißt: Als Sänger braucht man Menschen in den entsprechenden Positionen, die einem das eine oder andere zutrauen. Und ich habe das Glück, dass es einige Leute im Geschäft gibt, die mir auch das italienische Fach zutrauen, so dass ich – auch an den großen Häusern – jetzt doch immer mehr auch diese tollen Rollen singen kann.
Welchen Anteil an der Planung hat eigentlich der Agent?
Auch das ist ein absoluter Glücksfall in meiner Laufbahn: Ich bin seit nunmehr 18 Jahren mit meiner Managerin zusammen, die sich auf wunderbare Weise um meine Auftritte kümmert und mich begleitet.
Wir brauchen nicht über die Schwierigkeiten des Sängerlebens zu sprechen, sie sind bekannt, auch die vielen Entscheidungen, die bezüglich Rollen, Angeboten, Häusern etc. zu treffen sind. Haben Sie eine Art „Rezept“ für sich gefunden?
Jeder muss für sich entscheiden, was ihm gut tut. Manche haben keine Beziehung zu Lied – warum sollen sie sich dann quälen? Manche können nicht auf der Bühne loslassen – dann geht’s nicht. Das Herumreisen ist spannend – aber man muss wissen, wie zutiefst familienfeindlich es ist. Sie sehen: Es gibt so viele Herausforderungen außerhalb des Singens. Da muss jeder seinen eigenen Weg suchen und hoffentlich finden.
Ein Thema am Rande: Ich erinnere mich an den „Freischütz“-Film mit Juliane Banse und Ihnen als Kaspar, der wurde mit so viel Hoffnung gestartet, Oper „verfilmt“ in die Kinos zu bringen und damit dann wirklich einmal ein anderes Publikum zu erreichen. Aber das ist eigentlich völlig verpufft, da kam nichts nach. Können Sie es sich erklären?
Es war eine wunderbare Erfahrung, bleibt aber leider wahrscheinlich einmalig. Es hat kein großes Publikum erreicht, konnte kein Blockbuster werden. So etwas zu machen, braucht unendlich viel Enthusiasmus und natürlich sehr viel Geld – und zahlt sich nicht aus. Leider.
Sie erwähnen in Interviews oft Ihren Lehrer Rudolf Piernay. Was macht ihn für Sie so besonders?
Lehrer – Schüler, das ist immer ein spezielles Verhältnis. Manche landen schon beim ersten Versuch den Volltreffer, aber solches Glück ist selten. Ich musste ein bißl suchen und wurde dann zu den richtigen Zeitpunkten zu Josef Metternich und danach zu Rudolf Piernay geführt, der mir entscheidende Hilfe für mein Singen gab. Ich versuche bis heute immer wieder, ihn zu treffen und mit ihm zu arbeiten, das tut gut.
Und könnten Sie sich, wenn die Karriere in zwei Jahrzehnten vielleicht zu Ende ist, vorstellen, selbst als Gesangslehrer weiterzugeben, was Sie wissen?
Sicher nicht im Rahmen einer Professur mit M.E. notwendiger „Dauerpräsenz“ bei den Studierenden – dazu fehlt mir die Zeit, denn da ist die Familie wichtiger. Und mir fehlt auch das absolut notwendige Wissen. Aber in Form von Kursen könnte ich es mir jederzeit vorstellen.
Würden Sie ans Memoirenschreiben denken?
Schau’n wir mal…
Letzte Frage: Wann sieht man Sie wieder an der Wiener Staatsoper oder im Konzertsaal?
Zu Ostern 2016 komme ich für den „Parsifal“ und für Bachs h-moll-Messe mit Philippe Jordan und den Wiener Symphonikern. Was für ein Glück, das alles machen zu dürfen!
Lieber Herr Volle – herzlichen Dank!!!
Sehr gern!!!
Das Interview führte Renate Wagner / 2.2.2016