
„Schmeißt doch den dummen Finnen raus"
Sängerportrait der Oper Köln mit Matti Salminen
Vita, Anekdotisches und Nachdenkliches
Veranstaltung am 4. April 2013 in der Oper am Dom
Oft sind die kleinen Dinge am Rande von Veranstaltungen viel eingängiger als das Hauptevent; so auch beim jüngsten Kölner "Sängerportrait" im blauen Zelt hinter dem Dom.
Matti Salminen, weltberühmter Bassist und ein körperlicher Hüne, drückte die zierliche Erika de Heer, ehemalige Studienleiterin an der Kölner Oper, eine gefühlte Minute so fest an sich, dass man fast Angst bekommen konnte. Langjährige musikalische Zusammenarbeit, tiefes Vertrauen und große Dankbarkeit zeigten sich da und rührten schon ein wenig. Hatte doch der Gast des Abends, der vom Chefdramaturgen Georg Kehren blendend vorbereitet und moderiert war, "seine Erika" als ganz wesentliche Hilfe für die ersten Jahre seines Köln Engagements über den grünen Klee gelobt: "Sie hat mir alles beigebracht, sie war der Motor für meine spätere Karriere". Fast hätte diese in Köln allerdings gleich wieder geendet; der berühmte Jean Piere Ponnelle schrie ob Salminens damals noch nicht vorhandenen Deutschkenntnissen (er sang anfangs alles nur nach Gehör): "Schmeißt doch den dummen Finnen raus", was dann durch Kertész, der damals die Zauberflöte dirigierte, glücklicherweise verhindert wurde: " ... aber er singt doch so schön".
Diese kleine Geschichte passte wundervoll zum Auftakt des restlos ausverkauften Sängerportraits mit "In diesen heiligen Hallen", einem eher zufälligen Mitschnitt vom 10. September 1972 aus dem Archiv der Oper Köln, an dem auch die anwesende Eva Tamassy, die damalige 3. Dame, ihre Freude hatte. In dieser sehr beliebten Reihe des Hauses, einer Hommage nicht nur für die älteren Opernfreunde, saßen schon das Kölner Bass-Urgestein Carlos Feller, 93, (von dem ein anrührender Brief an Salminen vorgelesen wurde) Robert Ilosfalvy, Edda Moser, Dame Gwyneth Jones, Anna Tomowa-Sintow und Helen Donath, die zurzeit in Benjamin Schad´s preisgekrönter Inszenierung "Turn of the Screw" auftritt und die mit ihrem Mann auch unter den Zuhörern weilte. Auch dem bei einem Bühnenunfall 1974 tödlich verunglückten Kölner Ensemblemitglied Wolfgang Anheisser wurde eine posthume Veranstaltung gewidmet.
Salminen saß entspannt und locker auf dem berühmten schwarzen Sofa und plauderte über sein Leben; davon nahm die Köln Zeit einen ganz wesentlichen Teil ein. Georg Kehren, der anfänglich eine kleine Nervosität eingestand, hatte tief in der musikalischen Vergangenheit seines Gastes gegraben und gab ihm so Gelegenheit, sich über Regisseure, Inszenierungen und auch Kollegen anekdotisch, ernst oder auch kritisch zu äußern. Vierzig Jahre Operngeschichte waren da zu erleben; verblüffend, wie Salminen alle Namen, Daten, Orte und Inszenierungen wie aus der Pistole geschossen parat hat.
Das waren nicht nur die großen Namen, mit denen er sang: Lucia Popp, Margret Price, Claudio Nicolai oder Martha Mödl, sondern es waren auch die Mühen eines jungen Sängers: 1972 bis 1981 fest im Ensemble, hat er in Köln bis zu 16 unterschiedliche Partien in einer Spielzeit und insgesamt ca. 40 verschiedene Rollen einstudiert und gesungen. Kein Wunder, dass er sich zu Recht auch als "Kölscher" fühlte, was sich nicht nur in intimen Kenntnissen der lokalen Gastronomie, sondern auch zur Freude des Publikums im einheimischen Sprachgebrauch bestätigte. Wenngleich Salminen darauf hinwies, dass sich die Kölner Oper – abhängig von der Nationalität der aktuell verpflichteten Künstler – immer mal wieder fest in ungarischer oder in finnischer Hand befand.
Geborgen in Turku hat Salminen früh im Kinderchor mitgesungen und nach einer Schreinerlehre, auf der sein Vater bestand, in Helsinki ein Gesangsstudium absolviert. Er stammt aus einer einfachen Arbeiterfamilie, sein kommunistisch gesinnter Vater war ein sturer Bock, in dessen Weltbild kein Platz für klassische Musik gewesen sei. So habe er tagsüber gearbeitet, abends die Musikhochschule besucht und nachts in einer Tanzkapelle gesungen. Eigentlich sei er daher ein Schlagersänger, wie der Star augenzwinkernd bemerkte, denn das sei eine hervorragende Basis für die Opernbühne.
Nach der Ausbildung sang er zunächst in einem Opernchor und nutzte die Gelegenheit, die Solisten eingehend zu studieren anstatt in den Singpausen in der Kantine Karten zu spielen. Nach einer Hospitation in Rom ging es dann wieder nach Helsinki, wo Salminen sich zunächst einmal in kleinen Rollen bewähren musste. Wenngleich die Gewandmeister sich auch immer über den ob seiner Statur immensen Stoffverbrauch für die Kostüme mokierten.
Unterbrochen wurde der Abend immer wieder mit früheren Tondokumenten, so aus "Die schweigsame Frau", die Salminen für extrem schwierig hält, aber froh ist, den Morosus gesungen zu haben. Und nach einem Terzett aus der Zauberflöte nickte Intendantin Dr. Birgit Meyer heftig ob der Frage, ob sie heute einen 24 Jahre jungen Sänger mit dieser Stimme engagieren würde.
Die 1975 aufkommende finnische Opernbegeisterung führte zur Wiederaufnahme der Festspiele in Savonlinna im Innenhof einer alten Burg, wo Salminen seit 1967 jährlich auftritt und deren Besuch er dem hoch aufmerksamen Publikum nachdrücklich empfahl.
Weitere Wegbegleiter kamen zu Wort: Hannelore Bode, berühmte Wagner-Heroin, mit einer originellen "Lobhudelei" vom Band; Marek Janowski, früherer Gürzenich-GMD, telefonierte in einer Aufzeichnung aus Paris. Er sei "schuld" gewesen an seiner Wagner-Karriere nach Bach und Verdi, hatte ihn als Hagen für eine Plattenaufnahme nach Leipzig geholt und ist mit ihm dann um die Welt gereist. Seine Laudatio: "Matti ist ein Fels in der Brandung, die Stimme ist ein Naturereignis, eine mit Sensibilität vermittelte Kraft. Mit seiner Wucht der Gestaltung, der Präsenz und der unverwechselbaren Stimmfarbe ist er als Hagen ein Unikat." Seinen ersten "Marke" sang Salminen 1974 in Budapest; der spätere Dauerbrenner Bayreuth stand erstmalig 1976 auf seiner Agenda.
Salminen hat fast alle Wagner-Partien als Schulbeispiele gesungen bis auf den Hans Sachs; "ein trauriges Kapitel in meinem Leben", wie er selbst sagte. Als junger Mann habe er sich nicht reif gefühlt, und später dann im dritten Akt nicht "Schubert singen können"; der Pogner hätte ihm allemal gereicht. Aktuell singt er den Gurnemanz in einer Inszenierung des spanischen Teams "La Fura dels Baus", welches 2011 eine weltweit beachtete Aufführung von Stockhausens "Sonntag aus Licht" in Szene gesetzt hatte. Freimütig gestand er, schon so seine Probleme mit etlichen inszenatorischen Details zu haben. Und dass seine Aufgabe, im Parsifal Brot backen zu müssen, auch einen Nachteil habe: seine Frau will jetzt morgens frische Brötchen von ihm, wie er feixte. Opernsänger halt als "Brotberuf".
Aber so oft ist er gar nicht zu Hause an seinem ruhigen finnischen See, obwohl er wie alle seine Landsleute "ruhiges Wasser zum Anschauen" braucht. Die Belastung ist schon erheblich durch Reisen, Hotels, wechselnde Orte und Inszenierungen. So hatte er parallele Engagements in Zürich und Köln: jeden Morgen an einem anderen Flughafen. Seine Motivation: alles so gut zu machen wie möglich. Das will Salminen auch weiterhin, sein kommendes Programm steht: Finnland, Budapest, Paris, Zürich Salzburg.
Was er nicht will: "Ich habe keine Nerven dazu, mit Rohmaterial zu arbeiten, kann auch nichts mit Mittelmaß anfangen. Daher unterrichte ich nur wenige handverlesene Schüler". Aber immerhin hat Salminen zu seinem 50. Geburtstag eine Stiftung für junge finnische Sänger eingerichtet. Hart geht er mit der aktuellen Szene ins Gericht: es existiert ein brutaler Verdrängungswettbewerb, meist gibt es nur noch Stückverträge. Und da man Singen nicht aus Büchern lernen kann, fehlt es halt an Zeit und Ruhe.
Letztere möchte der 68-jährige jetzt selber einmal ausprobieren: Im kommenden Jahr sind fünf Monate Nichtstun angesagt. Das sei ein Test, denn nach 40 Jahren abzuspringen sei ja nicht so leicht. Aber Salminen gesteht auch freimütig, dass er nicht weiß, ob er das wirklich aushält. Denn: „Teufel, Pfarrer, Bösewicht oder Knecht, das ist nun mal das Leben eines Basses.“
Zur Schlusseinspielung nach gut zwei hochspannenden Stunden mit dem großen Monolog des Morosus „Wie schön ist doch das Leben“: Salminen entspannt zurückgelehnt auf dem schwarzen Ledersofa, Beine ausgestreckt, schaut versonnen lächelnd in einen fernen imaginären Opernhimmel und dirigiert und singt ein wenig mit. Schon ein sehr persönlicher Moment, einen großen Sänger so aus der Nähe zu erleben, der seiner eigene Karriere, die lange nicht beendet scheint, hinterherhört.
Es bleibt zu hoffen, dass es auch bei knapperen Kassen immer wieder Künstler in die Kölner Oper ziehen wird, die dann auf dem schwarzen Sofa Platz nehmen.
Michael Cramer 20.4.16
Bild 1 (c) Privatfoto Salzburger Festspiele