JUAN DIEGO FLÓREZ
Wir sind es, die auf der Bühne stehen Interview am 30.01.2019 Juan Diego Florez will nur noch wenig Oper singen, um nicht zu viel von daheim weg zu sein. Welch ein Glück für die Staatsoper und das Wiener Publikum, dass er mit seiner Familie in Wien lebt – und man folglich hier derzeit und künftig am meisten von ihm hören und sehen kann. Demnächst erstmals den Edgardo in der „Lucia di Lammermoor“, für deren Premiere geprobt wird und wo er eine neue Deutung der Rolle bieten wird. Das Interview führte Renate Wagner in englischer Sprache, weil Florez zwar „beim Einkaufen“ und mit anderen Wienern Deutsch spricht – aber noch nicht so gut, wie er gerne möchte… Herr Florez, der Edgardo in der „Lucia di Lammermoor“ ist nach all den heiteren Donizettis – Ihr Nemorino, Ihr Tonio, Ihr Ernesto – der erste Ausflug ins tragische Donizetti-Fach. Es ist auch eine dramatischere Rolle als die anderen – schwieriger zu singen als die vielen hohen „C“ des Tonio? Eigentlich nicht, heute für mich nicht, so wie sich meine Stimme entwickelt hat. Man muss einfach mehr dramatischeren Nachdruck geben, auch mehr gestalten. Zumal der Edgardo in der kommenden Wiener Aufführung anders angelegt ist als üblich. Sie kennen die Rolle ja von anderen Inszenierungen? Ja, in Barcelona war Damiano Michieletto der Regisseur, das war ziemlich abstrakt. Gut gefallen hat mir die Münchner Aufführung von Barbara Wysocka. Da spielte die Geschichte in den amerikanischen Fünfziger Jahren, mit mir als einer Art James Dean – das war ein erfrischender Zugang. Laurent Pelly sieht das Werk hier in Wien düsterer. Und vor allem hat er sich ausgedacht, dass Edgardo Lucia nicht wirklich liebt, sondern sie wie alle anderen Männer rund um sie nur benützt – in diesem Fall aus Rache an ihrer Familie und aus politischen Motiven. Aber was mich betrifft, so muss ihm zumindest in der wunderbaren Sterbeszene, die Donizetti wie einen inneren Monolog der Erkenntnis komponiert hat, klar werden, dass er sie doch geliebt hat… Sie und „Lucia“ Olga Peretyatko sind alte Bekannte, von frühen Rossini-Tagen in Pesaro bis zu Ihrem gemeinsamen „Hoffmann“ in Monte Carlo? Ja, und das ist natürlich bei der Arbeit angenehm, nicht nur, weil man viel Spaß miteinander hat. Man flüstert sich dann auch verschwörerisch zu: „Wie machen wir das am besten?“ Natürlich hat der Regisseur ein Konzept, und das von Laurent Pelly macht Sinn, aber es geht wohl um Details. Wir Sänger sind es, die auf der Bühne stehen, wir spüren genau, was das Publikum akzeptiert oder nicht. Wir haben es hier sicher mit einer intelligenten Produktion zu tun – aber es ist Oper, es geht auch um die Sänger. Edgardo ist nur eine jener dramatischeren Rollen, mit der Sie schon seit Jahren Ihr Image aufbrechen, „der“, aber auch „nur“ ein Belcanto-Sänger zu sein. Sie haben einmal gesagt, der Alfredo in „La Traviata“ interessiere Sie nicht – und nun haben Sie ihn mit Diana Damrau an der Met doch gesungen? Ja, weil mir klar geworden ist, dass man als Tenor um diese Partie nicht herumkommt, damit könnte man wahrscheinlich – ebenso wie mit dem Nemorino – bis ans Lebensende seine Karriere bestreiten. Aber ich habe den Alfredo derzeit nicht noch einmal vor – und die Met auch nicht, weil sie mich einfach zu lange von meiner Familie fern hält. Ich gebe trotz neuer Rollen mein altes Fach nicht auf. Demnächst singe ich in Wien wieder den Rossini-Almavvia im „Barbier von Sevilla“. Und ich werde im „Giullaume Tell“ wieder den Arnoldo singen, wie ich es schon früher getan habe. Eigentlich ist es das französische Repertoire, das für Sie wichtig wird und schon ist – nach Ihrem „Romeo“ der „Werther“, wo man die Züricher Aufführung glücklicherweise auf DVD sehen kann, der „Hoffmann“, und jetzt kommt dann der Des Grieux, den Sie nach Paris auch diese Spielzeit noch in Wien vorstellen werden? Ja, und der „Faust“ von Gounod ist auch schon eingeplant, und mit diesem Repertoire kann ich, glaube ich, die nächsten Jahre bestreiten. Gewisse „klassische“ Rollen kommen ja immer wieder, der „Rigoletto“-Herzog an der Scala, Werther und Hoffmann in Covent Garden. Die französischen Partien vereinigen Romantik, Passion und Delikatesse, das mag ich sehr. Und eines Tages will ich Mozart singen – den Don Ottavio oder auch den Tamino, aber dazu muss mein Deutsch noch besser werden. Nur noch wenige Opernengagements pro Spielzeit und nur in Europa – immerhin Wien, Mailand, Paris, London, Barcelona, München, Zürich – , aber Sie kompensieren das durch eine große Zahl von Soloabenden mit Arien und Liedern? Ja, denn das ist – immer mit Hinblick auf die Familie – nicht zeitaufwendig, sondern innerhalb Europas in wenigen Tagen zu machen. Außerdem erreicht man live weit mehr Publikum, als in Opernhäuser kommen, und auch an entlegeneren Orten. Und diese Zuschauer wollen dann spezifisch mich sehen, und man kann ihnen einen Abend lang alles geben. Und am Ende zur Gitarre greifen… Ja, das mache ich immer, und es ist immer ein großer Erfolg. Wenn Sie in Wien daheim sind und nicht proben und nicht singen – wie lebt Juan Diego Florez? Wie ein Ehemann und Familienvater, der seine Kinder in die Schule und den Kindergarten bringt und wieder abholt, der mit ihnen am Sonntag zur Marswiese klettern geht, der abends gern Konzerte besucht, natürlich viel mit seinen Auftritten zu organisieren hat… Und dann habe ich ja noch mein eigenes Büro für meine Stiftung „Sinfonía por el Perú“, die mir sehr am Herzen liegt. Es geht darum, im Land meiner Geburt sozial benachteiligten Kindern, die keine Chance auf musikalische Ausbildung haben, in Musikschulen zu ermöglichen, ein Instrument zu lernen oder im Chor zu singen. Derzeit betreuen wir 8000 Kinder – das ist ganz wichtig in meinem Leben. Und so sind meine Tage in Wien auch völlig ausgefüllt, wenn ich gerade nicht singe… Ihren Fans zum Trost gesagt, sind es doch drei Rollen in dieser Spielzeit. Viel Erfolg, und danke für das Gespräch! Renate Wagner 31.1.2019 MUSIK VOM HIMMEL
Juan Diego Flórez findet gar nicht, dass der Ernesto in Donizettis „Don Pasquale“ eine undankbare Partie ist, im Gegenteil, er bekommt die wunderbarsten Dinge zu singen. Im übrigen beruhigt der österreichische Kammersänger, der in Wien lebt, seine Fans: Wenn er demnächst auch einige Rollen des „schwereren“ Repertoires singen wird, so bleibt er doch dem Belcanto treu, seine Feuerwerke herrlichster Spitzentöne werden nicht verstummen… Interview am 22.4.2015 Herr Kammersänger Flórez, Sie übernehmen in der Staatsopern-Neuinszenierung des „Don Pasquale“ die Rolle des Ernesto, eine, wie alle übereinstimmen, in der Darstellung nicht übertrieben effektvolle Partie… Es stimmt, dass Ernesto ein wenig im Hintergrund bleibt, er ist faul, er ist ein Muttersöhnchen und Nesthocker, wenn man so sagen will, aber er kommt doch recht liebenswert heraus. Und vergessen Sie eines nicht: Er hat an diesem Abend die allerschönsten Dinge zu singen! (Und dann kommt die Interviewerin in den Genuß einer Privatvorstellung, weil Flórez alle schönen Melodien des Ernesto teils summt, teils ansingt, um sein Argument zu erhärten.) Und bei der Serenade wird es dann einen ganz witzigen Moment geben, wo ich anfange zu improvisieren… Sicher gehört das, was Ernesto singen darf, zum Besten, was Donizetti geschrieben hat, das ist Musik vom Himmel! Aber wir sind uns einig, dass es bei Donizetti Rollen gibt, die mehr darstellerische Möglichkeiten bieten, der Nemorino zum Beispiel. Als Sie die Wiener Serie des „Liebestranks“ abgesagt haben, hieß es, Sie wollten diese Rolle nicht mehr singen – was Ihre Fans vermutlich in Verzweiflung geschleudert hat. Also, das muss ein Missverständnis sein – selbstverständlich werde ich den Nemorino weiter singen, auch den Tonio, vor ein paar Tagen bin ich in der „Italiana“ als Lindoro eingesprungen und habe wieder gemerkt, wie viel Spaß mir diese Rolle macht. Nein, ich werde absolut mein „altes“ Repertoire beibehalten. An der Scala singe ich demnächst in Rossinis “Otello”, in Pesaro die “Messa di Gloria”, da ändert sich nichts. Dennoch – mit Ausnahme des Rinuccio in „Gianni Schicchi“ haben wir Sie in Wien bisher ausschließlich im Rossini / Donzietti / Bellini-Repertoire erlebt. Das wird sich geradezu dramatisch ändern, wenn Sie nächstes Jahr an der Staatsoper den Herzog im „Rigoletto“ und den Gounod’schen „Romeo“ singen werden. Der Werther, dessen Arie Sie ja bei Ihrer Gala so wunderbar interpretiert haben, steht auch auf Ihrem zukünftigen Programm – das klingt ja fast dramatisch nach einem Fachwechsel. Meine Stimme ist im Zentrum breiter und stärker geworden, das gibt mir die Möglichkeit, jetzt gewisse Rollen zu singen. Etwa den Herzog in „Rigoletto“, den ich ja schon vor Jahren versucht und dann zurückgelegt habe, aber jetzt wieder in Zürich probiert und es ging sehr gut. Es ist schön, dass ich gerade in Wien dann mit dem in der Staatsoper vorhandenen Repertoire die neuen Rollen, die ich liebe, vorstellen kann.
Irgendwo habe ich gelesen, Sie hätten Ihre „Technik geändert“? Ich habe seit zwanzig Jahren keinen Gesangslehrer mehr, nur ein paar Leute, die mir gut zuhören und Ratschläge geben. Wenn meine Stimme sich ändert, muss ich mich darauf einstellen, sie anpassen, damit ich mich bei dem, was sich singe, immer wohl fühle. Der Trick besteht ganz einfach darin, die Stimme nicht zu forcieren. Nicht in einer Note! Ich hoffe, dass es mir gelingen wird, etwa im Stile von Alfredo Kraus immer dramatischere Partien mit völliger Leichtigkeit zu singen. Mir stehen jetzt neue Partien offen, der Edgardo in der „Lucia di Lammermoor“ zum Beispiel, den ich erstmals im Dezember in Barcelona mache. Aber ich werde nicht singen, was mir nicht liegt. Den Rigoletto-Herzog ja, den Alfredo wahrscheinlich nicht, da liegt die Tessitura tiefer, und ich finde die Rolle auch nicht sehr interessant. Dieser Herzog wird etwas von Ihnen fordern, was Ihnen sicher noch nicht oft untergekommen ist – einen Villain, einen „Bösewicht“. Ganz so sehe ich das nicht, ich denke, er hat auch seine sympathischen Züge. Das ist einfach ein reicher junger Mann, der ungestraft alles tun kann und sich um nichts schert… Ich versuche, jede Figur aus ihrem Inneren heraus zu verstehen, dann kann ich sie auch spielen. Ich weiß nur nicht, ob ich in der Wiener „Rigoletto“-Aufführung gerne diese strähnige Perücke tragen werde, die Piotr Beczała am Kopf gehabt hat… Herr Kammersänger, leben Sie eigentlich in Wien? Ja, seit einem Jahr haben meine Frau und ich ein Haus im 4. Bezirk, unser Sohn geht schon in den Kindergarten, beide Kinder sollen einmal hier in die Schule gehen. Wir sind sehr glücklich in Wien, das ist schließlich die Stadt, wo ich meine Frau kennen gelernt habe. Wir behalten nur unser Sommerhaus in Pesaro, weil ich einfach Rossini in jeder Hinsicht treu bleibe. Mit Ihnen und Johan Botha in Wien ansässig, hat Direktor Meyer für jedes Fach einen Weltklassetenor zum Einspringen bei der Hand? Sie sehen ja, dass ich es bei der „Italiana“ ohne weiteres gemacht habe, ich bin da nicht schwierig und lasse mich nicht groß bitten. Ich habe im „richtigen Leben“ ein ganz schlechtes Gedächtnis, aber ich merke mir Rollen – die Musik, die Texte, ich merke mir auch Inszenierungen, in denen ich gesungen habe, da steige ich ganz schnell ein. Den Ernesto in „Don Pasquale“ habe ich zuletzt 2007 in Zürich gemacht, und er war eigentlich gleich wieder da. Wenn Sie nun glücklicherweise auch jenem Belcanto-Repertoire treu bleiben, für das gerade Sie ein „Markenzeichen“ in der Welt der Oper sind – bevorzugen Sie eigentlich einen der „großen Drei!? Rossini, der ist wie das wirkliche Leben, ich liebe beispielsweise den Grafen im „Barbier“, und es ist hart, die anderen zu vergleichen, denn nachdem alle angefangen haben, wie Rossini zu komponieren, haben sie doch ganz zu ihrem eigenen Stil gefunden. Bellini ist so ein Drama in sich, und Donizetti, wie gesagt – die herrlichsten Melodien. Da kann man sich nicht entscheiden. Sie haben kürzlich auch in Wien einen Benefiz-Galaabend für die Initiative „Sinfonia por el Perú“ gegeben. Spielt das in Ihrem Leben eine große Rolle? Natürlich, ich fahre jedes Jahr zurück nach Peru, gebe auch dort Konzerte, aber eigentlich überall in der Welt, und glücklicherweise finde ich überall Kollegen – „Juan Diego Florez and Friends“! -, die bereit sind, hier ohne Gage mit zu machen, damit wir Geld für die Kinder meines Geburtslandes sammeln. Sie sollen die Gelegenheit bekommen, Musik zu machen – ich halte das für die Möglichkeit, ein Tor zu einem neuen, besseren Leben für sie aufzustoßen. Herr Kammersänger, sind Sie, wie alle großen Stars, bis 2020 ausgebucht? Ja, grundsätzlich schon, aber ich will nicht zu viel machen. Man braucht auch Freiraum („Space“) – für neue Rollen, für die Familie. Mit bildschöner Partnerin Valentina Nafornită im Teesalon der Staatsoper
Alle Bilder (c) Barbara Zeininger Das Intervie führte Renate Wagner 22.4.15 | |