
IRINA BROOK
Auf der Suche nach Menschlichkeit
Irina Brook – ja, sie ist die Tochter des überdimensional großen Peter Brook, der wie wenige in der Theatergeschichte steht – hat vor allem in Frankreich ihre eigene Theaterkarriere aufgebaut, wo sie auch Intendantin des Theaters in Nizza ist. Ihre Regiearbeiten haben sie schon bis zu den Salzburger Festspielen geführt, nun fügt sie nach Paris und Berlin noch die Wiener Staatsoper zu den großen Opernhäusern, an denen sie arbeitet – derzeit mit großem Vergnügen an Donizettis „Don Pasquale“
Frau Brook, wie kam jemand wie Sie, jahrzehntelang einzig – als Schauspielerin, dann als Regisseurin – dem Sprechtheater verbunden, eigentlich dazu, Oper zu inszenieren?
Das war ein Angebot der Dutch Reisopera, die „Zauberflöte“ zu machen, und es wäre heller Wahnsinn gewesen, das nicht zu tun – das wunderbarste Werk der Opernliteratur überhaupt! Ich habe mich in das Genre verliebt (I fell in Love), und seither habe ich einige Opern inszeniert, von Händel über Verdi bis Tschaikowsky. Das ist natürlich im Vergleich zur Theaterarbeit eine ganz andere Tätigkeit, aber auch hier kann ich einbringen, was mir wichtig ist, wenn ich ein Werk auf die Bühne schicke: Anstand und Menschlichkeit.
Sie haben vor Wien in Berlin auch einen Donizetti gemacht, den „Liebestrank“. Ist das Absicht gewesen, sich jetzt diesem Genre der italienischen Buffa zuzuwenden?
Überhaupt nicht, das war reiner Zufall. Aber ich habe mich mit dem „Liebestrank“ viel mehr geplagt als bei „Don Pasquale“, aus der Geschichte etwas allgemein Menschliches herauszuholen, das den Zuschauer erreicht. Die grundlegenden Fakten bei Don Pasquale, der einsame alte Mann, die Sehnsucht nach einer jungen Frau, aber auch der Wunsch, den nichtsnutzigen Neffen endlich zur Vernunft zu bringen – das findet man auch heute überall. Das ist so archetypisch, dass es eigentlich ein ganz modernes Stück sein könnte. Wichtig war mir, dass Don Pasquale nicht irgendeine polternde, grantige Lustspielfigur wird, sondern ein Mann, der überzeugt ist von dem, was er tut. Ein echter Mensch.
Mit Sänger-Schauspielern arbeitet man während der Proben. Ein grundlegendes Konzept muss man sich vorher ausdenken, weil ja vom Bühnenbild angefangen so vieles daran hängt. Sie versetzen Geschichten gerne in die Gegenwart – aber wie sind Sie auf die Idee gekommen, aus Don Pasquale den Besitzer eines verschlissenen Nachtclubs zu machen?
In der Oper ist einmal grundsätzlich alles möglich, und es ging darum, etwas Glaubhaftes zu schaffen, das das Geschehen möglich macht, aber nicht bestimmt. Ich gehe bei meinen Ideen nicht davon aus, möglichst cool und trendy zu sein, sondern etwas zu finden, wo dieser Don Pasquale wirklich zuhause sein kann – in einem Einheitsbühnenbild für den ganzen Abend.
Aber die erste Szene von Norina spielt ja bei ihr zuhause?
Da schieben wir ihr eine Art Garderobenraum hinein. Bei mir ist Norina eine Schauspielerin – es gibt zwischen ihr und Dr. Malatesta nämlich wirklich viele verbale Hinweise, man würde „eine Rolle spielen“ und dergleichen. Das macht Norinas Verwandlung in die Klosterschülerin und später in die tobende Ehefrau auch gleich glaubhafter – sie spielt es als Schauspielerin, es ist eine Rolle.
Ist für Sie Oper eigentlich Theater mit Musik?
Wenn ich mir die Charaktere ansehe, gehe ich stark vom Text aus, aber natürlich muss man der Musik ganz genau zuhören, denn es passiert immer wieder, dass sie etwas ganz anderes aussagt als das Wort. Wenn Norina sich beispielsweise im dritten Akt grausam verhält – die Musik ist es nicht, sie zeigt, dass sie kein übles Geschöpf ist.
Es gibt die wirklich brillante Otto-Schenk-Inszenierung des „Don Pasquale“ mit Anna Netrebko an der Metropolitan Opera, die auch als DVD vorliegt. Sehen Sie sich so etwas an?
Natürlich, ich liebe es, DVDs von anderen Inszenierungen zu sehen, Regisseure sprechen in so vielen Sprachen, jeder macht auf etwas anderes aufmerksam. Es gibt ja auch so viele mögliche Sichtweisen. Ich weiß das nicht zuletzt von Shakespeare, man kann ihn legitim ganz „hinunter“ in die Tiefe und Dunkelheit spielen, aber ebenso hinauf ins Helle. Ich bin jemand, der bei der Arbeit grundsätzlich den helleren Blick auf die Dinge sucht, im Sinne der ihnen innewohnenden Menschlichkeit.
Sie haben mit Juan Diego Florez einen Weltstar allererster Ordnung in der Besetzung. Haben Sie ihn vorher gekannt?
Nein, und ich war absolut überrascht und entzückt (enchanted), mit ihm zu arbeiten, er ist nicht nur ein großer Sänger, sondern auch ein wunderbarer Schauspieler. Es tut mir fast leid, dass die Rolle nicht so extrem viel hergibt, denn er ist wirklich ein Clown, und ich würde zu gerne mit ihm etwas machen, wo man diese Seite seines Könnens und seiner Intelligenz wirklich ausspielen könnte. Aber auch die anderen Sänger sind wunderbar, Michele Pertusi ist ein so brillanter Schauspieler. Ich kann mich nicht genug wundern, wie großartig und problemlos die Proben gelaufen sind – aber so etwas sollte man natürlich nicht verschreien, schon morgen kann alles zusammen brechen und irgendeine Katastrophe passieren, wie das eben so ist im Theater.
Frau Brook, Sie leiten in Nizza das Nationaltheater. Wie kann man als Intendant eigentlich sechs Wochen am Stück weg sein und in einer anderen Stadt probieren?
Mit sehr viel schlechtem Gewissen, Telefon, Skype, e-mail, schnell einmal zurück fliegen. Für eine Stadt von 300.000 Einwohnern ist es ein großes Haus in Nizza, zwei Bühnen, eine für 1000, eine für 300 Zuschauer, an sich nur Sprechtheater, aber manchmal ist auch Platz für ein Tanzprojekt. Und es geht mir auch sehr um soziale Anliegen, sowohl in ganz konkretem Sinn im Alltag wie in höherem Sinn, wie man die Welt verbessern könnte. Der Kapitalismus ist daran, alles zu zerstören, und das einzige, was mir Mut macht, ist der Widerstand, der sich allerorten schon regt. Und das nicht durch eine blinde Masse, sondern darunter befinden sich wichtige und intelligente Leute. Und auch jedes Werk, das man auf eine Theater- oder Opernbühne bringt, sollte ein Teil dieser Verbesserung der Welt sein.
Haben Sie hier in Wien viel Theater gesehen?
Überhaupt nicht. Wenn man selbst arbeitet, muss man sich den Kopf frei halten. Da ist bestenfalls Zeit dafür, über den Naschmarkt zu schlendern und ein gutes Bier zu trinken…
Frau Brook, gab es je ein Interview, in dem Sie nicht auf Ihren berühmten Vater angesprochen wurden?
Selten, am ehesten in Frankreich, wo ich so lange lebe und arbeite, dass man mich als mich selbst wahrnimmt. Als meine Eltern für eine Arbeit nach Frankreich kamen und hier blieben, war ich drei Jahre alt. Dass mein Vater der weltberühmte Regisseur war, hatte den „Vorteil“, dass ich mich lange von der Regie ferngehalten und das Theater erst als Schauspielerin erfahren habe. Und heute eben so viel von Schauspielern und singenden Schauspielern weiß, dass es mein Hauptanliegen ist, dass sie sich auf der Bühne wohl fühlen. Das ist mir wichtiger als alles andere, da müssen Bühnenbild oder auch ein „Konzept“ hintanstehen.
Gibt es nächste Opernpläne, vielleicht auch für Wien?
Fest steht, dass ich in Prag Martinus „Julietta“ inszenieren werde. Was Wien betrifft, so gibt es noch keine Gespräche – ich habe nur sehr darum gebeten, dass man mich zurückholt, wenn der „Don Pasquale“ in einer anderen Besetzung gezeigt wird. Denn eine Inszenierung besteht nicht darin, dass einer auf der Bühne von links nach rechts geht – man muss dem Sänger auch die Emotion vermitteln, warum er etwas tut. Darauf kommt es mir an. Ich fürchte, wenn ich meinen „Don Pasquale“ in zwanzig Jahren in Wien auf der Bühne sehe, werde ich ihn vielleicht nicht mehr wieder erkennen…
Irina Brook mit ihrem bewunderten Hauptdarsteller Michele Pertusi
und Renate Wagner im Mahler-Saal der Wiener Staatsoper
Beim Interview mit Renate Wagner
Fotos: Barbara Zeininger