ARTURO CHACÓN-CRUZ

Ich gebe immer hundert Prozent!
Der mexikanische Tenor Arturo Chacón-Cruz hat sich im Theater an der Wien bewundernswert in das Alfredo-Konzept von Peter Konwitschnys „Traviata“ gefügt, obwohl es ihm eigentlich gegen den Strich ging. Aber auch in einem Sängerleben geht es nicht ohne Kompromisse ab, mit einer Ausnahme: Wenn man auf der Bühne steht, immer hundert Prozent zu geben…
Von Renate Wagner
Arturo, wie steht es mit Fußball?
Fragen Sie mich nicht nach Mexiko! Wir haben gegen Holland verloren, ungerechtfertigt, wenn Sie mich fragen – vielleicht war es Karma, dass die Holländer gegen die Argentinier unterlegen sind. Wer Weltmeister wird? Das Endspiel ist Sonntag, und es ist wirklich schwer zu sagen, denn die Argentinier haben Lionel Messi. Aber wenn die Deutschen so spielen wie gegen die Brasilianer, dann gewinnen sie. Ich bin nach der gestrigen „Traviata“ zum Spiel Holland gegen Argentinien geeilt, und es hat mich so gelangweilt, dass ich nach der Pause nicht mehr weitergeschaut habe… Ich selbst habe als Junge auch Fußball gespielt, aber nicht lange, über kurz oder lang hat die Musik mein ganzes Leben beherrscht.
Wir haben Sie als Hoffmann im Theater an der Wien kennengelernt, dann waren sie in den „Due Foscari“ der junge Foscari neben Placido Domingo, nun haben Sie hier den Alfredo in der ungewöhnlichen Konwitschny-Inszenierung gesungen. Und sind während der Vorstellungsserie in Wien rasch nach München gezischt, um dort als Ersatz für Joseph Calleja wieder den Alfredo zu singen. Kommt man da nicht ein bisschen ins Schleudern?
Tatsächlich springe ich nicht gerne ein, die Fans des Tenors, der abgesagt hat, sind dann immer enttäuscht, am Ende sogar feindselig, und man wird auf den Prüfstand gestellt, als hätte man nicht mittags um 1 Uhr in Wien den Anruf erhalten, ob man um 7 Uhr abends in München „La Traviata“ singen kann, und da muss man noch von einer Stadt in die andere fliegen, bekommt in einer Minute gesagt, welche Fassung und Striche es in München gibt – und die war wahrlich anders als in Wien -, und dann bekommt man noch in einer Minute Anweisungen, wo man auf- und abtreten soll in einer Inszenierung, die man nicht kennt und von der man gerade ein Bühnenbild gezeigt bekommt. Ich glaube nicht, dass sich jemand vorstellen kann, wie schwierig das ist – aber ich habe schon öfter in München gesungen, wollte die Leute dort nicht hängen lassen, und außerdem konnte ich da erstmals an der Seite von Diana Damrau auf der Bühne stehen. Also habe ich es gemacht. Dann war es aber im Vergleich zu Wien eine fast befreiende Erfahrung: Denn bei Konwitschny muss ich immer herumlaufen und komme fast nicht zu Atem, in München konnte ich mich normal bewegen und viel freier singen…
Alfredo ist eine Partie, die sie derzeit am meisten singen, wie viele Inszenierungen waren es schon?
Wien war die achte, München die neunte, und ich habe auch in ein paar recht komischen Produktionen gesungen – in Mexico City musste ich beispielsweise die meiste Zeit Stühle herumtragen -, aber so extrem in der Rollengestaltung wie bei Konwitschny war noch kein anderes Konzept. Es ist ja auch Verdi entgegengesetzt, dass Alfredo unter dem Druck der Umwelt einbricht und dass er Violetta am Ende allein sterben lässt. Das widerspricht auch meiner Persönlichkeit, weil ich bei Dingen, von denen ich überzeugt bin, eisern ausharre. Aber Konwitschny war sehr überzeugend in dem, was er will und was er sich vorstellt, und ich denke, man muss sich als Sänger auch immer wieder auf etwas Neues einlassen – man kann kein Künstler sein, wenn man starr auf etwas beharrt. Und außerdem, ganz offen gesagt – wenn man es nicht macht, stehen Dutzende anderer angestellt und machen es natürlich ungefragt sofort. Das sind Gründe, warum man sich gewissen Zwängen aussetzt, und dabei geht es gar nicht nur um die Gage: Es hat sich für mich künstlerisch ausgezahlt, dass ich mich selbst davon überzeugt habe, Konwitschny zu vertrauen – und außerdem hat das Publikum die Aufführung bei jeder Vorstellung mit höchster Begeisterung aufgenommen.
Sie bleiben bei Alfredo – ehrlich, wird das nicht irgendwann ein bisschen langweilig?
Schon deshalb nicht, weil die Produktionen so unterschiedlich sind. Im Herbst werde ich die Rolle in Los Angeles in der Aufführung von Marta Domingo singen, von der es die DVD mit Fleming / Villazon gibt. Marta kam übrigens nach Wien, zu meiner Traviata-Premiere, das war sehr freundlich von ihr, und ich freue mich besonders, dass in Los Angeles dann Placido den Père Germont singen wird, der für mich eine so wichtige Persönlichkeit ist – ich kenne ihn seit meinen Anfängen, er hat mir vor mehr als zehn Jahren gesagt, dass ich von Bariton auf Tenor umsatteln soll, und seither ist er immer ein Freund für mich gewesen. Ich habe öfter unter ihm als Dirigenten gesungen, er hat mir manches gezeigt und beigebracht, er ist einfach eine wunderbar großzügige und noble Persönlichkeit.
Hat er veranlasst, dass Sie neben ihm in der Wiener Produktion der „Due Foscari“ singen?
Überhaupt nicht, das war Roland Geyer, und Placido war nur sehr erfreut, als er davon hörte, weil wir seit vielen Jahren – eigentlich seit dem „Cyrano de Bergerac“ 2007 in Valencia – nicht mehr gemeinsam auf der Bühne gestanden sind. Man fragt mich oft, wie es möglich ist, dass Placido in seinem Alter noch so außerordentliche Leistungen vollbringt. Ich denke, es ist die Mischung aus seiner Technik, einer einmaligen Persönlichkeit und der Tatsache, dass er in einen Familienclan eingebettet ist, der ihn ungeheuer unterstützt. Er hat auch ganz einfach Techniken entwickelt, dieses schwere Leben zu meistern – er singt ja überall in der Welt, ich denke manchmal, da müssten Klone von ihm unterwegs sein. Aber er hat zum Beispiel kein Jet Lag, weil er es schafft, im Flugzeug sofort einzuschlafen… Man kann viel von ihm lernen.
Sprechen wir von Ihren vielen Violettas – Marlis Petersen in Wien, Diana Damrau in München, in Los Angeles wird es Nino Machaidze sein… Wie unterscheiden sie sich? Gibt es noch andere wichtige Violetta-Partnerinnen?
Ja, in den USA habe ich mit Elizabeth Futral gesungen, sie war wunderbar, aber alle anderen auch: Marlis kenne ich vom „Hoffmann“, sie ist eine ungeheuer starke Persönlichkeit, die auf der Bühne sehr viel gibt. Diana Damrau kannte ich, wir haben viel den Münchner „Hoffmann“ gemeinsam geprobt, aber dann nie zusammen gesungen – diese „Traviata“, in der ich eingesprungen bin, war unser erstes Zusammentreffen in einer Aufführung, und es ist phantastisch, was sie alles kann. Aber, wie gesagt, wie man sich auf der Bühne fühlt, hat eben nicht nur mit der Partnerin, sondern auch mit der jeweiligen Inszenierung zu tun.

Als wir Sie vor zwei Jahren im Theater an der Wien als Hoffmann kennen lernten, haben Sie sehr viel französisches Repertoire gesungen. Jetzt scheinen die Italiener zu überwiegen. Wie ergeben sich solche Schwankungen?
Das hatte sicher auch mit dem Verdi-Jahr zu tun, als andauernd Anfragen vor allem nach Alfredo und dem Herzog in „Rigoletto“ kamen, den ich schon seit 2009 singe und der etwa auch den Rudolf in „La Boheme“ etwas verdrängt hat. Aber ich liebe die Franzosen und bleibe ihnen treu, am liebsten singe ich Werther, ich will Des Grieux und Romeo und Faust und natürlich Hoffmann unbedingt behalten, wobei der Hoffmann eine Klasse für sich ist und so viel Stamina verlangt wie kaum eine andere Rolle. Und im Herbst probiere ich in Hamburg erstmals den Don José in „Carmen“ aus. Man hält das immer für eine hochdramatische Partie, aber ich möchte das versuchen, man weiß es erst, wenn man es auf der Bühne singt. Dabei will ich doch noch die Leichtigkeit der Stimme bewahren – am liebsten würde ich auch einen Nemorino singen!
Das wäre aber ganz schön anstrengend für die Stimmbänder, sowohl leichten Donizetti wie schweren Bizet zu singen… Wenn Sie eine solche Rolle neu lernen, hören Sie sich dann auf CDs an, wie die Kollegen es machen?
Nein, nie, ich mag das nicht. Ich sitze selbst mit dem Klavierauszug am Klavier und erarbeite mir die Rolle so, der Rest ergibt sich auf den Proben. Mit erschiene das, als ob ich ein Haus bauen will, und wenn ich da nachsehe, was der Nachbar hat und es nachbaue, dann ist es nicht mein Haus… Wie gesagt, bei dem Don José wird man sehen, werde ich sehen – ich singe ihn dann noch in Lyon, das ist ein kleines Haus mit wunderbarer Akustik, das heißt, ich nähere mich der Sache langsam, und wenn ich meine, dass es noch nicht passt, dann lasse ich es wieder. Ich werde es auch so mit den nächsten großen Rollen machen, dem Riccardo im „Maskenball“ – an dem ich mit meinem Landsmann und Freund Ramon Vargas arbeite – und sogar dem Manrico im „Troubadour“. Man meint, das sei eine so hochdramatische Rolle, aber Verdi hat sie für denselben Tenor geschrieben, der den Herzog im „Rigoletto“ gesungen hat.
Apropos Herzog. Sie sagten einmal, Sie hätten eine Rolle abgesagt, weil Sie dafür auf der Bühne hätten nackt sein müssen… Aber beim „Rigoletto“ in Aix konnte man in arte ganz genau sehen, dass dieser Herzog sein nacktes Hinterteil präsentiert. Warum?
Was die Rolle betrifft, die ich abgesagt habe, da hätte ich auf der Bühne regelrechte Obszönitäten vollführen sollen, und das kam wirklich nicht in Frage. Den Rigoletto-Herzog habe ich mit Robert Carsen gemacht, der ein ganz besonderer Regisseur ist, und er hat mich überzeugt, dass dieser Herzog ein so unbekümmerter und auch mutwilliger Mann ist, dem es einerseits egal ist, ob man ihn halbnackt sieht, der vielleicht auch seine Mitwelt damit schockieren will, so dass ich es gemacht habe – auch weil es, glaube ich, nicht geschmacklos gewirkt hat. Es ist eben so, dass man von großen Regisseuren überzeugt werden kann.
Gibt es Wiener Pläne?
Nicht mit der Wiener Staatsoper, aber immer wieder mit dem Theater an der Wien. Die Idee, vielleicht einmal hierher zu ziehen, ist noch immer in meinem Hinterkopf, obwohl ich in den USA ziemlich verwurzelt bin. Meine Gattin, mein dreijähriger Sohn Steven und ich sind jetzt von dem kalten Boston ins wärmere Miami gezogen, und ich überlege, vielleicht eine Wohnung in New York zu kaufen, möglichst in der Nähe der Met, aber der Prozess der endgültigen Entscheidung ist noch im Laufen. Wichtig für mich ist, dass meine Frau und das Kind so viel wie möglich bei mir sind, dass wir, wenn sie etwa bei ihren Eltern in Kanada sind, stundenlang zumindest via Facetime kommunizieren und dass ich so viel Zeit wie möglich mit meinem Sohn verbringe. Wenn ich nicht arbeite und zuhause bin, richte ich mein Leben nach seinem ein, d.h., ich benütze die Zeit, wo er schwimmen oder spielen geht, um Rollen zu studieren, und versuche im übrigen, mit ihm zusammen zu sein. Wenn man träumen könnte, würde ich mir wünschen, dass Steven eines Tages für mich das sein könnte, was Alvaro Domingo für seinen Vater ist, nämlich wirklich seine rechte Hand, die ihm das Leben erleichtert. Es ist wunderbar, wie musikalisch der kleine Steven mit seinen drei Jahren ist, er singt nicht nur gerne, er kann ganze Lieder aus dem Gedächtnis nachsingen…
Und was wünschen Sie sich noch für die Zukunft?
Dass ich eines Tages mit intakter Stimme aufhöre und auf eine Karriere zurückblicke, auf die ich mit Würde stolz sein kann. Ich gebe immer hundert Prozent, und darum ist es dann schmerzlich, wenn man böse oder oberflächliche oder mit Vorurteilen behaftete Kritiken bekommt. Aber das gehört auch dazu.
Und Sie kommunizieren nach wie vor unverdrossen mit Hilfe der modernen Medien mit Ihren Fans?
Absolut, und ich freue mich, wenn ich eine neue Nachricht auf Twitter setze, dass Hunderte von Menschen positiv darauf reagieren und mir freundlich schreiben. Außerdem kann man die Medienwelt auch für Werbung verwenden, warum nicht? Ich habe jetzt eine CD mit mexikanischen Liedern herausgebracht, und ich freue mich über jeden, der den Trailer dazu in YouTube anklickt. Diese Lieder sind sowohl für meine mexikanischen Landsleute wie für alle Musikfreunde gedacht – mir macht es Freude und hoffentlich anderen auch.
18.8. Dank an Merker-online