Historisch informiertes Musizieren mit Andreas Spering und der
der Staatsphilharmonie Nürnberg
(Christoph Willibald Gluck „Paris und Helena“)
Gespräch mit dem Dirigenten Andreas Spering

Die Staatsphilharmonie Nürnberg spielt auf modernen Instrumenten. Es gibt ja nur wenige Häuser (wie in Zürich oder an der Staatsoper Berlin) die historisch informiertes Musizieren mit eigenem Ensemble pflegen. Was bedeutet das für Ihr Dirigat mit der Staatsphilharmonie Nürnberg?
Ich pflege relativ häufig, klassisches oder barockes Repertoire mit modernen Orchestern zu erarbeiten. Die Pflege dieses Repertoires ist für Orchester essentiell, denn die sollten sich doch nicht von den Spezialisten hundert Jahre Musikgeschichte wegnehmen lassen. Es ist für Orchester nachgerade lebensnotwendig, dass sie die ganze Bandbreite des Spielbaren auch wirklich unter ihre Fittiche nehmen, sowohl was alte als auch neue Musik betrifft. Bei den meisten Orchestern mit denen ich zusammen arbeite ist eine Offenheit für historisches Musizieren zu spüren. Man stößt bei Begriffen wie „Non Vibrato“ kaum mehr auf Widerstand. Erfreulich ist jedenfalls die Bereitschaft bei den Instrumentalisten, Musik rhythmisch geschärft zu interpretieren. Das gilt auch für Kompositionen von Wagner, obwohl hier eine Trendwende einsetzt. Mittlerweile steht eine neue Dirigentengeneration dem historischen Musizieren aufgeschlossen gegenüber. Die alten Grabenkämpfe vor dreißig Jahren sind längst Historie. Wenn heutzutage romantische Werke weniger flächig philharmonisch , sondern rhythmisch pointierter interpretiert werden, mag das den werkspezifischen qualitativen Kriterien nur zu gute kommen.
Inwieweit findet historisch informierte Musikpraxis Eingang bei der Wiedergabe von Christoph Willibald Glucks „Paris und Helena“?
Musik muss zum Hörer sprechen. Der Rückgriff auf historisierende Klang-Reibungen, auf sprechende Phrasierung und Artikulation gibt dem Werk die authentische Spannung. Man muss proben, wie stark die Musik von der Rede beeinflusst ist, wie Melodien oder Klanggebilde aus der damaligen Zeit stark in „Versfüßen“ gedacht wurden. Und es macht nur Sinn, wenn die Klänge rhythmisch pointiert erscheinen, was die Abfolge kurz, kurz, lang betrifft. Die Betonung liegt dann auf der kurzen Note, also vorne. Man darf nicht sagen „Pausen b r o t“, sondern „Pau sen brot“. Da heißt es ordentlich zu feilen. Die Musiker müssen auch verstehen, warum die Note unbedingt betont sein muss. Es macht einfach Spaß, diese Aspekte mit dem exzellenten Nürnberger Orchester zu erarbeiten.
Spielen Sie die Oper in ganzer Länge?
Wir haben stark gekürzt. Die Netto-Spielzeit beträgt bei uns ca. 100 Minuten im Gegensatz zur Komplettfassung, die ca. 140 Minuten beanspruchen kann. Da toben immer zwei Seelen in der Brust eines Musikers oder Operndirigenten. Das Stück bietet wenig Spannungspotenzial. Da heißt die Devise ganz einfach, einen bannenden Opernabend auf die Bühne zu stellen. Dem Streichen fällt leider ausgezeichnete Musik zum Opfer. Da bleibt einem halt nur die Wahl zwischen Pest und Cholera, zwischen Skylla und Charybdis. Der Kürzungsanteil an musikalischem Material beläuft sich auf runde 20 %.
Wie kann die Spannung aufrecht erhalten werden, wenn die Klänge mit weit ausladenden lyrisch melodischen Abschnitten dahin fließen?
Die Kürzung führt in jedem Fall zu einer dramatischen Zuspitzung. Gluck hat die Oper durchgehend komponiert. Es gibt keinerlei Secco-Rezitative mehr, sondern Orchester-Rezitative, die oft aus der Arie oder dem Arioso in das nächste Accompagnato-Rezitativ weiterfließen. Es gibt große durchkomponierte Szenen.
Wie ist die stimmliche Besetzung?
Die Besetzung der Rolle des Paris mit einem Altus kommt für uns nicht in Frage. Ich bin immer froh, wenn mir eine Frauenstimme zur Verfügung steht. Die Mode, die Kastratenrollen mit Sopranisten zu besetzen, hat mit den Gepflogenheiten von damals nichts zu tun. Diese Besetzung wäre vom Volumen sehr eingeschränkt, und die Sopranisten wirken auch einfarbig, hart und gepresst im Klang. Ich meine, ein Kastrat (wie ursprünglich von Gluck ja vorgesehen) hätte geklungen, als würde man Cecilia Bartoli und Luciano Pavarotti aufeinander kopieren. Immerhin sind vier Frauenstimmen so unterschiedlich strukturiert, dass eigentlich keine Monotonie aufkommen kann.
Was sind Ihre weiteren Pläne?
Bald beginnt mein Festival in Brühl mit einem Programm, das um Joseph Haydn herumführt und auch eine konzertant aufgeführte Oper einschließt.
Egon Bezold/22.7.14